Ein Kampf um Rom Феликс Дан Dahn erzählt vom Kampf und vom Untergang der Ostgoten in Italien nach dem Tode des großen Theoderich von Ravenna. Wir erleben das Ringen um die Macht, hören von den Ostgotenkönigen Witiches und Totila bis zu dem denkwürdigen letzten Kampf der Goten unter Teja am Vesuv. 1. Buch Theoderich "Dietericus de Berne, de quo cantant rustici usque hodie." Erstes Kapitel Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach Christus. Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunklen Fläche der Adria, deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Höhenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekrönt von einem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist. Es war still auf dieser Waldhöhe: nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben, die den ganzen Kreis der Seefestung umgürteten. Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen, - Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes. Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann, der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß, den Rücken an die höchste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte. Lange saß er so: regungslos, aber sehnsüchtig wartend: er achtete es nicht, daß ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu fallen begannen, ins Gesicht schlug und ungestüm in dem mächtigen, bis an den ehernen Gurt wallenden Bart wühlte, der fast die ganze breite Brust des alten Mannes mit glänzendem Silberweiß bedeckte. Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder: «Sie kommen», sagte er. Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadt her dem Tempel näherte: man hörte schnelle, kräftige Schritte, und bald danach stiegen drei Männer die Stufen der Treppe herauf. «Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!» rief der voranschreitende Fackelträger, der jüngste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme, als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos, der Vorhalle, erreichte. Er hob das Windlicht hoch empor - schöne, korinthische Erzarbeit am Stiel, durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, und den gewölbten durchbrochenen Deckel - und steckte es in den Erzring, der die geborstene Mittelsäule zusammenhielt. Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fließende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weiße Kleider; einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldene Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine römische Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt: weiße Lederriemen befestigten die Sandalen an den Füßen und reichten, kreuzweis geflochten, bis an die Knie; die nackten, glänzendweißen Arme umwirkten zwei breite Goldreife: und wie er, die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen, die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente, die Linke in die Hüfte gestemmt, ausruhend von dem Gang, zu seinen langsameren Weggenossen hinunterblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche Göttergestalt aus seinen schönsten Tagen wieder eingekehrt. Der zweite der Ankömmlinge hatte, trotz einer allgemeinen Familienähnlichkeit, doch einen von dem Fackelträger völlig verschiedenen Ausdruck. Er war einige Jahre älter, sein Wuchs war derber und breiter -tief in den mächtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune Haar - und von fast riesenhafter Höhe und Stärke: in seinem Gesicht fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung, welche die Züge des jüngeren Bruders verklärten: statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von bärenhafter Kraft und bärenhaftem Mut: er trug eine zottige Wolfsschur, deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt umhüllte, ein schlichtes Wollenwams darunter, und auf der rechten Schulter eine kurze, wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel. Bedächtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgroßer Mann von gemessen verständigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwert und den braunen Kriegsmantel des gotischen Fußvolks. Sein schlichtes, hellbraunes Haar war über der Stirn geradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische Haartracht, die schon auf römischen Siegessäulen erscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heute erhalten hat. Aus den regelmäßigen Zügen des offenen Gesichts, aus dem grauen, sichern Auge sprachen besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe. Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrüßt hatte, rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme: «Nun, Meister Hildebrand, ein schönes Abenteuer muß es sein, zu dem du uns in solch unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast! Sprich - was soll's geben?» Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommenen wendend: «Wo bleibt der Vierte, den ich lud?» «Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Weise.» «Da kommt er!» rief der schöne Jüngling, nach einer andern Seite des Hügels deutend. Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung. Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz, das fast blutleer schien; lange, glänzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die großen, melancholischen dunklen Augen voll verhaltner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen, glattgeschorenen Mund, den ein Zug resignierten Grames umfurchte. Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift. Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz, und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem, lanzengleichen Schaft. Nur mit dem Haupte nickend, begrüßte er die andern und stellte sich hinter den Alten, der sie nun alle vier dicht an die Säule, welche die Fackel trug, treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann: «Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte müssen gesprochen werden, unbelauscht und zu treuen Männern, die da helfen mögen. Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: - euch hab' ich gewählt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehört habt, so fühlt ihr von selbst, daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht.» Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augen an: «Rede», sagte er ruhig, «wir hören und schweigen. Wovon willst du zu uns sprechen?» «Von unserm Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Abgrund steht.» «Am Abgrund?» rief lebhaft der blonde Jüngling. Sein riesiger Bruder lächelte und erhob aufhorchend das Haupt. «Ja, am Abgrund», rief der Alte, «und ihr allein, ihr könnt es halten und retten.» «Verzeih dir der Himmel deine Worte!» - fiel der Blonde lebhaft ein - «haben wir nicht unsern König Theoderich, den seine Feinde selbst den Großen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Fürsten der Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all seinen Schätzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?» Der Alte fuhr fort: «Hört mich an. König Theoderich, mein teurer Herr und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie groß er ist - das weiß am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab' ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt: , sprach Athalarich, bitter lächelnd, und er setzte den Käfer auf ein Blatt: fragte sie die Mutter. , rief sie dann und hob sich aus den Kissen. weinte die Herrin. , sagte sie mit verklärtem Lächeln: und sie schloß die Augen und sank zurück auf das Lager, und jenes holde Lächeln blieb stehen auf ihrem Mund - und sie war dahin, dahin auf ewig!» - «Wer hat sie hier herabbringen lassen?» -«Die Königin. Sie erfuhr alles und befahl, die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm auszustellen und zu bestatten.» «Aber was sagt der Arzt? Wie konnte sie so plötzlich sterben?» - «Ach, der Arzt sah sie nur flüchtig; er hatte alle Gedanken bei der Königsleiche und die Herrin litt ja gar nicht, daß der fremde Mann ihre Tochter berühre. Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still, sie kommen.» Der Zug ging in derselben Ordnung ohne den Sarg zurück. Daphnidion schloß sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten. Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. «Rusticiana, fasse dich!» «Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie ermordet!» Und sie brach auf seiner Schulter zusammen. «Schweig, Unselige!» flüsterte er, sich umsehend. «Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getötet. Ich habe den Trank gemischt, der ihm den Tod gebracht.» Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, daß sie getrunken, geschweige, daß ich sie trinken sah. «Es ist ein grausamer Streich des Geschicks», sagte er laut; «aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte ihn!» - «Was werden sollte?» rief Rusticiana, von ihm zurücktretend. «Oh, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Wäre sie sein geworden, sein Weib - seine Geliebte, wenn sie nur lebte!» - «Aber du vergißt, daß er sterben mußte.» - «Mußte? Warum mußte er sterben? Auf daß du deine stolzen Pläne hinausführst! O Selbstsucht ohnegleichen!» «Es sind deine Pläne, die ich ausführe, nicht die meinen; wie oft muß ich dir's wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser. Lebe wohl.» Aber Rusticiana faßte heftig seinen Arm: «Und das ist alles? Und weiter hast du nichts, kein Wort, keine Träne für mein Kind? Und du willst mich glauben machen, um sie, um mich zu rächen habest du gehandelt? Du hast nie ein Herz gehabt. Du hast sie auch nicht geliebt - kalten Blutes siehst du sie sterben -ha, Fluch - Fluch über dich.» - «Schweig, Unsinnige.» -«Schweigen? Nein, reden will ich und dir fluchen. Oh, wüßt' ich etwas, das dir wäre, was mir Kamilla war! Oh, müßtest du, wie ich, deines ganzen Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln. Wenn ein Gott im Himmel ist, wirst du das erleben.» Cethegus lächelte. «Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? Wohlan, glaub' an die Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! Ich eile zur Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!» - «Und du stirbst mit mir.» «Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe.» Und sie wollte hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. «Halt, Weib. Glaubst du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? Deine Söhne, Anicitis und Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem Hause. Du weißt, auf ihre Rückkehr steht der Tod. Ein Wort - und sie sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Söhne, wie die Tochter, als durch dich gefallen zuführen. Ihr Blut über dein Haupt.» Und rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden. «Meine Söhne!» rief Rusticiana und brach auf dem Marmorestrich zusammen. Wenige Tage darauf verließ die Witwe des Boethius mit Corbulo und Daphnidion den Königshof für immer. Vergebens suchte die Regentin sie zu halten. Der treue Freigelassene führte sie zurück auf die verborgene Villa bei Tifernum, die je verlassen zu haben sie jetzt tief bedauerte. Sie baute daselbst, an der Stelle des kleinen Venustempels, eine Basilika, in deren Krypta eine Urne mit den Herzen der beiden Liebenden beigesetzt wurde. Ihre leidenschaftliche Seele verband mit dem Gebet für das Heil ihres Kindes unzertrennlich die Bitte der Rache an Cethegus, dessen wahre Beteiligung an Kamillens Tod sie nicht einmal ahnte: nur das durchschaute sie, daß er Mutter und Tochter als Werkzeuge seiner Pläne gebraucht und in herzloser Kälte des Mädchens Glück und Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Und kaum minder unablässig als das Licht der daselbst gestifteten ewigen Lampe stieg das Gebet und der Fluch der vereinsamten Mutter zum Himmel empor. Die Stunde sollte nicht ausbleiben, die ihr die Schuld des Präfekten ganz enthüllte, und auch die Rache nicht, die sie dafür vom Himmel niederrief. Drittes Kapitel Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zäher und grimmiger Kampf geführt. Die gotischen Patrioten, obwohl durch den plötzlichen Untergang ihres jugendlichen Königs schwer betrübt und für den Augenblick überwunden, wurden doch von ihren unermüdlichen Führern bald wieder aufgerafft. Das hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurückberufenen Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablässig. Wir haben gesehen, wie es diesen Männern gelungen war, Athalarich zur Abschüttelung der Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht, unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in welcher der ihnen als Hochverräter verhaßte Cethegus mehr als je in den Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevölkerung von Ravenna war genügend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit Mühe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurück, bis sie, durch wichtige Bundesgenossen verstärkt, desto sicherer siegen könnten. Diese Bundesgenossen waren die drei Herzöge Thulun, Ibba und Pitza, die Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurückberufen hatte. Thulun und Ibba waren Brüder, Pitza ihr Vetter. Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen angeblicher Verschwörung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht verschollen. Sie stammten aus dem berühmten Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten die Königskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum führte, wie der des Königshauses, bis zu den Göttern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhängigen Colonen und der Ruhm ihrer Kriegstaten erhöhten Macht und Glanz ihres Hauses. Man sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeitlang daran gedacht, mit Übergehung seiner Tochter und ihres unmündigen Knaben, zum Heile des Reiches den kräftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen. Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen, für den äußersten Fall, das heißt, wenn die Regentin von ihrem System nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen. Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische Volksbewußtsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich immer heftiger gegen die romanisierende Regentschaft sträubte. Mit Unmut gestand er sich, daß es ihm an wirklicher Macht fehle, diese Unzufriedenheit niederzuhalten. Ravenna war nicht sein Rom, wo er die Werke beherrschte, wo er die Bürger wieder an die Waffen gewöhnt und an seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten, und er mußte fürchten, daß sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit offenem Aufruhr beantworten würden. So faßte er den kühnen Gedanken, mit einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten, herauszureißen: er beschloß, die Regentin, nötigenfalls mit Gewalt, nach Rom zu bringen, nach seinem Rom, dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort war Amalaswintha ausschließlich in seiner Gewalt, und die Goten hatten das Nachsehen. Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht. Rasch wie immer traf Cethegus seine Maßregeln. Auf den kürzren Weg zu Lande mußte er verzichten, da die große Via flaminia sowohl als die andern Straßen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis befehligte, bedeckt waren und daher zu fürchten stand, daß ihre Flucht auf diesem Wege zu früh entdeckt und vielleicht verhindert würde. So mußte er sich entschließen, einen Teil des Weges zur See zurückzulegen: aber auf die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen Zweck nicht zählen. Zum Glück erinnerte sich der Präfekt, daß der Nauarch Pomponius, einer der Verschworenen, mit drei Trieren zuverlässiger, d. h. römischer Bemannung an der Ostküste des Adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf afrikanische Seeräuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in der Nacht des Epiphaniafestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er hoffte, vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und während kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschäftigte, leicht und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See über die großen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus war der Weg nach Rom kurz und ungefährdet. Diesen Plan im Bewußtsein - sein Bote kam glücklich hin und zurück mit dem Versprechen des Pomponius, pünktlich einzutreffen -, lächelte der Präfekt zu dem täglich wachsenden, trotzigen Haß der Goten, die seine Günstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres königlichen Zornes über die «Rebellen» vor dem Tag der Befreiung einen Zusammenstoß herbeizuführen, der leicht alle Pläne der Rettung vereiteln konnte. Das Epiphaniafest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den Basiliken, auf den Plätzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs. Es war Mittag. Amalaswintha und der Präfekt hatten soeben ihren Freund Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kühnheit ihn anfangs erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus dem Gemach der Beratung aufbrechen, als plötzlich der Lärm des Volkes, das vor dem Palast auf und nieder flutete, lauter und heftiger anschwoll. Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander. Cethegus schlug den Vorhang des großen Rundbogenfensters zurück: doch er sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdrängen in die offenen Tore des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken. Aber schon stieg im Palatium das Getöse die Treppen hinan, Zank mit der Dienerschaft wurde hörbar, einzelne Waffenschläge, bald nahe, schwere Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des Thronstuhles, auf den Cassiodor sie zurückgeführt. Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. «Halt», rief er, unter der Tür des Gemaches hinaus, «die Königin ist für niemand sichtbar.» Einen Augenblick lautlose Stille. Dann rief eine kräftige Stimme: «Wenn für dich, Römer, auch für uns, für ihre gotischen Brüder. Vorwärts!» Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen, und im Augenblick war Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales zurückgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron. Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus nicht kannte, und neben ihm - es litt keinen Zweifel - die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, in voller Rüstung, drei prachtvolle Kriegergestalten. Die Eingedrungenen neigten sich vor dem Thron. Dann rief Herzog Thulun nach rückwärts gewendet mit der Handbewegung eines geborenen Herrschers: «Ihr, gotische Männer, harret noch draußen eine kurze Weile; wir wollen's in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt es nicht so rufen wir euch auf zur Tat - ihr wißt, zu welcher.» Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurück und verloren sich bald in den Gängen und Hallen des Schlosses. «Tochter Theoderichs», hob der Herzog Thulun an, das Haupt zurückwerfend, «wir sind gekommen, weil uns dein Sohn, der König, zurückberufen. Leider finden wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, daß du uns nicht gerne hier siehst.» «Wenn ihr das wißt», sprach Amalaswintha mit Hoheit, «wie könnt ihr wagen, dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern Willen zu uns zu dringen?» - «Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die schon stärkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfüllen wirst.» -«Welche Sprache! Weißt du, wer vor dir steht, Herzog Thulun?» - «Die Tochter der Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt.» - «Rebell!» rief Amalaswintha und erhob sich majestätisch vom Throne, «dein König steht vor dir.» Aber Thulun lächelte: «Du würdest klüger tun, Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. König Theoderich hat dir die Mundschaft über deinen Sohn übertragen, dem Weibe: das war wider Recht, aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen Sohn zum Nachfolger gewünscht, den Knaben: das war nicht klug. Aber Adel und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch eines Königs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewünscht, und niemals hätten wir gebilligt, daß nach jenem Knaben ein Weib über uns herrschen solle, die Spindel über die Speere.» «So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Königin?» rief sie empört. «Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du verleugnest seine Tochter?» «Frau Königin», sprach der Alte, «wollest du selbst verhüten, daß ich dich verleugnen muß.» Thulun fuhr fort: «Wir verleugnen dich nicht - noch nicht. Jenen Bescheid gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst, und weil du wissen mußt, daß du ein Recht nicht hast. Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren - wir ehren damit uns selbst -, und weil es in diesem Augenblick zu bösem Zwiespalt im Reich führen könnte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die Bedingungen sagen, unter denen du sie fürder tragen magst.» Amalaswintha litt unsäglich: wie gern hätte sie das stolze Haupt, das solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos mußte sie das dulden! Tränen wollten in ihr Auge dringen: sie preßte sie zurück, aber erschöpft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestützt. Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: «Bewillige alles!» raunte er ihr zu, «'s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute nacht noch kommt Pomponius.» «Redet», sprach Cassiodor, «aber schont des Weibes, ihr Barbaren.» «Ei», lachte Herzog Pitza, «sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist ja unser König.» «Ruhig, Vetter», verwies ihn Herzog Thulun, «sie ist von edlem Blut wie wir.» «Fürs erste», fuhr er fort, «entläßt du aus deiner Nähe den Präfekten von Rom. Er gilt für einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkönigin beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis.» «Bewilligt!» sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas. «Fürs zweite erklärst du in einem Manifest, daß fortan kein Befehl von dir vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, daß kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gültig ist.» Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren Arm nieder. «Heute nacht kommt Pomponius!» flüsterte er ihr zu. Dann rief er laut: «Auch das wird zugestanden.» «Das dritte», hob Thulun wieder an, «wirst du so gern gewähren, als wir es empfanden. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Häupter zu bücken: Das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am besten weit voneinander - wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres Arms an seinen Marken. Die Nachbarn wähnen, das Land sei verwaiset, seit dein großer Vater ins Grab stieg. Awaren, Gepiden, Sklavenen springen ungescheut über unsre Grenzen. Diese drei Völker zu züchtigen, rüstest du drei Heere, je zu dreißig Tausendschaften, und wir drei Balten führen sie als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden.» Die ganze Waffenmacht obendrein in ihre Hände: nicht übel! dachte Cethegus. «Bewilligt», rief er lächelnd. «Und was bleibt mir», fragte Amalaswintha, «wenn ich all das euch dahingegeben?» «Die goldene Krone auf der weißen Stirn», sagte Herzog Ibba. «Du kannst ja schreiben wie ein Grieche», begann Thulun aufs neue. «Wohlan, man lernt solche Künste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll enthalten - mein Sklave hat es aufgezeichnet - was wir fordern.» Er reichte es Witichis zur Prüfung: «Ist es so? Gut. Das wirst du unterschreiben, Fürstin. - So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad, mit jenem Römer.» Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Haß: «Präfekt von Rom», sagte er, «Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du büßen» - der Zorn erstickte seine Stimme. «Pah», rief, ihn zurückschiebend, Hildebad - denn er war der baumlange Gote, «macht nicht so viel Aufhebens davon! Mein goldner Bruder kann leicht etwas missen von überflüssigem Blut. Und der andre hat mehr verloren, als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel», rief er Cethegus zu und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, «kennst du das?» «Des Pomponius Schwert!» rief dieser erbleichend und einen Schritt zurückweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken: «Pomponius?» «Aha», lachte Hildebad, «nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der Wasserfahrt kann nichts werden.» «Wo ist Pomponius, mein Nauarch?» rief Amalaswintha heftig. «Bei den Haifischen, Frau Königin, in tiefer See.» «Ha, Tod und Vernichtung!» rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn, «wie geht das zu?» «Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila - du kennst ihn ja, nicht wahr? - lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius, der machte ihm seit einigen Tagen ein so übermütiges Gesicht und ließ so dicke Worte fallen, daß es selbst meinem arglosen Blonden auffiel. Plötzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen entwischt. Totila schöpfte Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm nach, holt ihn ein auf der Höhe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn wohinaus?» «Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben haben.» «Doch, Vortrefflicher, er gab ihm eine. Wie der sah, daß wir zu sieben allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor, und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war ein harter Stand, sieben gegen dreißig. Aber es währte zum Glück nicht lang, da hörten unsre Bursch im nächsten Schiff das Eisen klirren, und flugs waren sie mit ihren Booten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir die mehreren: aber der Nauarch - gib dem Teufel sein Recht! - ergab sich nicht, focht wie ein Rasender und stieß meinem Bruder das Schwert durch den Schild in den linken Arm, daß es hoch aufspritzte. Da aber ward mein Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, daß er fiel wie ein Schlachtstier. , sprach er sterbend, Ich hab's ihm gelobt, es zu bestätigen. Er war ein tapferer Mann. Hier ist das Schwert.» Schweigend nahm es Cethegus. «Die Schiffe ergaben sich, und mein Bruder führte sie zurück nach Ancona. Ich aber segelte mit dem schnellen hierher und traf am Hafen mit den drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit.» Eine Pause trat ein, in welcher die Überwundnen ihre böse Lage schmerzlich überdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sicheren Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war. Sein schönster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der Haß diesen Namen in des Präfekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward erst durch den Ausruf Thuluns gestört: «Nun, Amalaswintha, willst du unterzeichnen? Oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Königs berufen?» Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: «Du mußt, o Königin», sagte er leise, «es bleibt dir keine Wahl.» Cassiodor gab ihr den Griffel, sie schrieb ihren Namen, und Thulun nahm die Tafel zurück. «Wohl», sagte er, «wir gehn, den Goten zu verkünden, daß ihr Reich gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, daß alles ohne Gewalt geschehen ist.» Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den gotischen Männern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit Cethegus allein sah, sprang die Fürstin heftig auf: nicht länger gebot sie ihren Tränen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja selbst Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. «Das», rief sie laut weinend, «das also ist die Überlegenheit der Männer. Rohe, plumpe Gewalt! O Cethegus, alles ist verloren.» «Nicht alles, Königin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnädiges Andenken», setzte er kalt hinzu, «ich gehe nach Rom.» «Wie? Du verläßt mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O besser, ich hätte widerstanden, dann wär' ich Königin geblieben, hätten sie auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt.» Jawohl, dachte Cethegus, besser für dich, schlimmer für mich. Nein, kein Held soll mehr diese Krone tragen. - Rasch hatte er erkannt, daß Amalaswintha ihm nichts mehr nützen könne - und rasch gab er sie auf. Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug für seine Pläne um. Doch beschloß er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthüllen, damit sie nicht auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerrief und dadurch Thulun die Krone zuwende. «Ich gehe, o Herrin», sprach er, «doch ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nützen. Man hat mich aus deiner Nähe verbannt, und man wird dich hüten, eifersüchtig wie eine Geliebte.» «Aber was soll ich tun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei Herzogen?» «Abwarten, zunächst dich fügen. Und die drei Herzoge», setzte er zögernd bei - «die ziehn ja in den Krieg - vielleicht kehren sie nicht zurück.» «Vielleicht!» seufzte die Regentin. «Was nützt ein Vielleicht!» Cethegus trat fest auf sie zu: «Sie kehren nicht zurück sobald du's willst.» Erschrocken bebte die Frau: «Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?» - «Das Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafür. Es ist Notwehr. Oder Strafe. Hättest du in dieser Stunde die Macht, du hättest das volle Recht, sie zu töten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen königlichen Willen. Sie erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient.» «Und sie soll'n ihn finden», flüsterte Amalaswintha, die Faust ballend, vor sich hin, «sie soll'n nicht leben, die rohen Männer, die eine Königin gezwungen. Du hast recht - sie sollen sterben.» «Sie müssen sterben - sie, und», fügte er ingrimmig bei, «und - der junge Seeheld!» «Warum auch Totila? Er ist der schönste Jüngling meines Volkes.» «Er stirbt», knirschte Cethegus, «oh, könnt er zehnmal sterben.» Und aus seinem Auge sprühte eine Glut des Hasses, die, plötzlich aus der eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken überraschte. «Ich schicke dir», fuhr er rasch und leise fort, «aus Rom drei vertraute Männer, isaurische Söldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hörst du, du sendest sie, die Königin: denn sie sind Henker, keine Mörder. Die drei müssen an einem Tage fallen. -Für den schönen Totila sorge ich selbst! Der Schlag wird alles erschrecken. In der ersten Bestürzung der Goten eile ich von Rom herbei. Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb' wohl.» Er verließ rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den Erfolg ihrer Führer, die Besiegung Amalaswinthas feierten. Sie fühlte sich ganz verlassen. Daß die letzte Verheißung des Präfekten kaum mehr als ein leeres Trostwort zur Beschönigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll stützte sie die Wange auf die schöne Hand und verlor sich eine Weile finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhänge des Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: «Gesandte von Byzanz bitten um Gehör. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet dir seinen brüderlichen Gruß und seine Freundschaft.» «Justinianus!» rief die ginze Seele der bedrängten Frau. Sie sah sich ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen: ringsumher hatte sie in trüben Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht, und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: «Byzanz - Justinianus!» Viertes Kapitel In den Waldbergen von Fiesole findet heutzutage der Wanderer, der von Florenz heranzieht, rechts von der Straße die Ruinen eines ausgedehnten, villenartigen Gebäudes. Efeu, Steinbrech und Wildrosen haben um die Wette die Trümmer überkleidet: die Bauern des nahen Dorfes haben seit Jahrhunderten Steine davongetragen, die Erde ihrer Weingärten an den Hügelrändern aufzudämmen. Aber noch immer bezeichnen die Reste deutlich, wo die Säulenhalle vor dem Hause, wo das Mittelgebäude, wo die Hofmauer stand. Üppig wuchert das Unkraut auf dem Wiesgrund, wo dereinst der schöne Garten in Zier und Ordnung prangte: nichts davon hat sich erhalten als das breite Marmorbecken eines längst vertrockneten Brunnens, in dessen kiesigem Rinnsal sich jetzt die Eidechse sonnt. Aber in den Tagen, von denen wir erzählen, sah es hier viel anders aus. «Die Villa des Mäzen bei Fäsulä», wie man das Gelände damals, wohl mit wenig Fug, benannte, war von glücklichen Menschen bewohnt, das Haus von vorsorglicher Frauenhand bestellt, der Garten von hellem Kindeslachen belebt. Zierlich war die rankende Klematis hinaufgebunden an den schlanken Schäften der korinthischen Säulen vor dem Haus, und der Wein zog freundlich schmückend über das flache Dach. Mit weißem Sande waren die schlängelnden Wege des Gartens bestreut, und in den Nebengebäuden, die der Wirtschaft dienten, glänzte eine Reinlichkeit, wartete stille Ordnung, die nicht auf römische Sklavenhände raten ließ. Es war um Sonnenuntergang. Die Knechte und Mägde kehrten von den Feldern zurück: die hoch mit Heu beladenen Wagen, mit Rossen nichtitalischer Zucht bespannt, schwankten heran: von den Hügeln herunter trieben die Hirten Ziegen und Schafe herzu, von großen zottigen Hunden umbellt. Dicht vor dem Hoftor gab es die lebendigste Szene des bunten Schauspiels: ein paar römische Sklaven trieben mit tobenden Gebärden und gellendem Geschrei die keuchenden Pferde eines grausam überladnen Wagens an: nicht mit Peitschenhieben, sondern mit Stöcken, deren Eisenspitzen sie den Tieren immer in dieselbe wunde Stelle stießen. Nur ruckweise ging es trotzdem vorwärts. Jetzt lag ein großer Stein vor dem linken Vorderrad, jeden Fortschritt unmöglich machend. Aber der wütige Italier sah es nicht. «Vorwärts, Bestie, und Kind einer Bestie», schrie er dem zitternden Rosse zu, «vorwärts, du gotisches Faultier!» Und ein neuer Streich mit dem Stachel und ein neuer verzweifelter Ruck: aber das Rad ging nicht über den Stein, das gequälte Tier stürzte in die Knie und drohte den Wagen mit umzureißen. Darüber wurde der Treiber erst recht grimmig. «Warte, du Racker!» schrie er und schlug nach dem Auge des zuckenden Rosses. Aber nur einmal schlug er, im nächsten Augenblick stürzte er selbst wie blitzgetroffen unter einem mächtigen Streiche nieder. «Davus, du boshafter Hund!» brüllte eine Bärenstimme, und über dem Gefallenen stand schier nochmal so lang und gewiß nochmal so breit wie der erschrockene Tierquäler ein ungeheurer Gote, einen derben Knüttel wiederholt auf den Rücken des Schreienden schwingend. «Du elender Neidling», schloß er mit einem Fußtritt, «ich will dich lehren, umgehn mit einem Geschöpf, das sechsmal besser ist als du. Ich glaube, du Schandbub quälst den Hengst, weil er von jenseits der Berge ist. Noch einmal laß mich das sehn, und ich zerbreche dir alle Knochen im Leibe. Jetzt auf und abgeladen: du trägst alle Schwaden, die zuviel sind, auf deinem eignen Rücken in die Scheuer. Vorwärts.» Mit einem giftigen Blick stand der Gezüchtigte auf und schickte sich hinkend an, zu gehorchen. Der Gote hatte das zuckende Roß sogleich aufgerichtet und wusch ihm jetzt sorglich die geschürften Knie mit seinem eignen Abendtrunk von Wein und Wasser. Kaum war er damit zu Ende, als ihn vom nahen Stall her dringend eine helle Knabenstimme rief: «Wachis, hierher, Wachis!» - «Komme schon, Athalwin, mein Bursch, was gibt's?» - und schon stand er in der offnen Türe des Pferdestalles, neben einem schönen Knaben von sieben bis acht Jahren, der sich heftig die langen, gelben Haare aus dem erglühenden Antlitz strich und mit Mühe in den himmelblauen Augen zwei Tränen des Zornes zerdrückte. Er hatte ein zierlich geschnitztes Holzschwert in der Rechten und hob es drohend gegen einen schwarzbraunen Sklaven, der mit gebognem Nacken und mit geballten Fäusten trotzig ihm gegenüberstand. «Was gibt's da?» wiederholte Wachis über die Schwelle tretend. «Der Rotschimmel hat wieder nichts zu saufen, und sieh nur, zwei Bremsen haben sich eingezogen oben an seinem Bug, wo er mit der Mähne nicht hinreichen kann und ich nicht mit der Hand, und der böse Cacus da, wie ich's ihm sage, will mir nicht folgen, und gewiß hat er mich geschimpft auf römisch, was ich nicht verstehe.» Wachis trat drohend näher. «Ich habe nur gesagt», sprach Cacus langsam zurückweichend: «erst ess' ich meine Hirse, das Tier mag warten; bei uns zu Lande kommt der Mensch vor dem Vieh.» -«So, du Tropf?» sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, «bei uns kommt das Roß vor dem Reiter zum Futter; mach vorwärts.» Aber Cacus war stark und trotzig; er warf den Kopf auf und sagte: «Wir sind hier in unserm Land - da gilt unser Brauch.» -«Eia, du verfluchter Schwarzkopf, wirst du gehorchen?» sprach Wachis ausholend. - «Gehorchen? Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben schon hier im Hause gelebt, als deinesgleichen noch Küh' und Schafe stahlen jenseits der Berge.» Wachis ließ den Knüttel fallen und wiegte seine Arme: «Höre, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weißt schon, was für einen. Jetzt geht's in einem hin.» -«Ha», lachte Cacus höhnisch, «wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin. Sie tanzt wie eine Jungkuh.» - «Jetzt ist's aus mit dir», sagte Wachis und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine Katze aus dem Griff des Goten, riß ein spitzes Messer aus der Brustfalte des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wallis bückte, sauste es haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Tür. «Na, warte, du Mordwurm!» rief der Germane und wollte sich auf Cacus werfen; da fühlte er sich von hinten umklammert. Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpaßt hatte. Aber jetzt ward Wachis sehr zornig. Er schüttelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit der Rechten Cacus an der Brust und stieß nun mit Bärenkraft seinen beiden Gegnern die Köpfe zusammen, jeden Stoß mit einem Ausruf begleitend: «So, meine Jungen - das für das Messer - und das für den Rückensprung - und den für die Jungkuh» - und wer weiß, wie lange diese seltsame Litanei noch fortgedauert haben würde, hätte sie nicht ein lautes Rufen gestört. «Wachis - Cacus - auseinander, sag' ich!» rief eine volle starke Frauenstimme, und vor der Tür erschien ein stattliches Weib in blauem, gotischem Gewand. Sie war nicht groß und doch imposant: ihr schöner Bau eher mächtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Züge regelmäßig, aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tüchtigkeit, Verlässigkeit sprachen aus den fast allzugroßen graublauen Augen: die unbedecktem vollen Arme zeigten, daß sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Gürtel, über den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte, klirrte ein Bund von Schlüsseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Hüfte, und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin. «Eia, Rauthgundis, strenge Frau», sagte Wachis loslassend, «mußt du denn überall die Augen haben?» «Überall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch zu vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis, solltest nicht auch der Hausfrau Verdruß machen. Komm, Athalwin, mit mir.» Und sie führte den Knaben an der Hand mit fort. Sie ging in dein Seitenhof und füllte aus einer Truhe Körner in ihr Gewand, die Hühner und Tauben zu füttern, die sie sogleich dicht umdrängten. Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: «Du, Mutter, ist's wahr? Ist der Vater ein Räuber?» Rauthgundis hielt inne in ihrem Tun und sah das Kind an: «Wer hat das gesagt?» «Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem großen Heuhaufen seiner Wiese drüben überm Zaun, und ich zeigte ihm, wie weit das Land uns gehöre rechts vom Zaun weit und breit - soweit unsre Knechte mähten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: , schrie der Alte, - und er zuckte und war tot. Man sah's an Tracht und Waffen - es war ein isaurischer Söldner.» Cethegus senkte den Brief und drückte die linke Hand vor die Stirn. «Wahnsinn des Zufalls», sagte er, «wohin konntest du führen!» Und er las zu Ende: «Totila sagte, er habe der Feinde viele am Hofe zu Ravenna. Wir zeigten den Vorfall Uliaris, dem Gotengrafen zu Neapolis, an. Dieser ließ die Leiche durchsuchen und Nachforschungen anstellen - ohne Erfolg. Uns beiden aber hat diese ernste Stunde die junge Freundschaft gefestigt und mit Blut geweiht für alle Zeit. Ernster und heiliger hat sie uns verbunden. Das Siegel der Dioskuren, das du mir zum Abschied geschenkt, war ein freundlich Omen, das sich freundlich erfüllt hat. Und wenn ich mich frage, wem dank' ich all dies Glück? Dir, dir allein, der mich in diese Stadt Neapolis gesendet, in der ich all mein Glück gefunden. So mögen dir es alle Götter und Göttinnen vergelten! Ach, ich sehe, dieser ganze Brief redet nur von mir und dieser Freundschaft schreibe doch bald, wie es um dich steht. Vale.» Ein bitteres Lächeln zuckte um des Präfekten ausdrucksvollen Mund. Und wieder durchmaß er das Gemach in nur mit Mühe gehaltenen Schritten. Endlich blieb er stehen, das Kinn in die linke Hand stützend. «Wie kann ich nur so - jugendlich sein, mich zu ärgern. Es ist alles sehr natürlich, wenn auch sehr einfältig. Du bist krank, Julius. Warte, ich will dir ein Rezept schreiben.» Und mit einem Anflug von grausamer Freude im Antlitz setzte er sich auf den Schreiblectus, nahm eine Papyrusrolle aus der Bronzevase, griff die gnidische Schilffeder und schrieb mit der roten Tinte aus einem Löwenkopf von Achat, der an dem Lectus angeschraubt war: «An Julius Montanus Cethegus, der Präfekt von Rom. Deine rührende Epistel aus Neapolis hat mir viel Spaß gemacht. Sie zeigt, daß du in der letzten Kinderkrankheit steckst. Hast du sie abgetan, wirst du ein Mann sein. Die Krisis zu beschleunigen, verschreibe ich dir das beste Mittel. Du suchst sogleich den Purpurhändler Valerius Procillus, meinen ältesten Gastfreund in Neapolis auf Er ist der reichste Kaufherr des Abendlandes, ein grimmiger Feind der Kaiser von Byzanz, die ihm Vater und Brüder getötet, ein Republikaner wie Cato und schon deshalb mein vertrauter Freund. Seine Tochter Valeria Procilla aber ist die schönste Römerin unserer Zeit und eine echte Tochter der alten, der heidnischen Welt. Antigone oder Virginia würden sich der Freundin freuen. Sie ist nur drei Jahre jünger und folglich zehnmal reifer als du. Gleichwohl wird sie dir der Vater nicht versagen, erklärst du ihm, daß Cethegus für dich wirbt. Du aber wirst dich beim ersten Anblick sterblich in sie verlieben. Du wirst das: obgleich ich es dir vorher sage, und obgleich du weißt, daß ich es wünsche. In ihren Armen wirst du alle Freunde der Welt vergessen: geht die Sonne auf, erbleicht der Mond. Übrigens, weißt du, daß dein Kastor einer der gefährlichsten Römerfeinde ist? Und ich habe einmal einen gewissen Julius gekannt, der geschworen: Rom über alles. Vale.» Cethegus rollte den Papyrus zusammen, umschnürte ihn mit den Bändern von rotem Bast, befestigte diese an der Schleife mit Wachs und drückte seinen Amethystring mit dem herrlichen Jupiterkopf auf dasselbe. Dann berührte er einen aus dem Marmorgetäfel hervorschauenden silbernen Adler: draußen an der Wand des Vestibulums schlug ein eherner Donnerkeil auf den Silberschild eines niedergeworfenen Titanen mit glockenhellem Ton. Der Sklave trat wieder ein. «Laß den Boten in meinen Thermen baden, gib ihm Speise und Wein, einen Goldsolidus und diesen Brief. Morgen mit Sonnenaufgang geht er damit zurück nach Neapolis.» Siebentes Kapitel Mehrere Wochen darauf finden wir den ernsten Präfekten in einem Kreis, der sehr wenig zu seinem hohen Trachten, ja zu seinem Alter zu passen schien. In dem seltsamen Nebeneinander von Heidentum und Christentum, das in den ersten Jahrhunderten nach der Konstantiner Bekehrung das Leben und die Sitten der Römerwelt mit grellen Widersprüchen erfüllte, spielte besonders die friedliche Mischung von Festen der alten und der neuen Religion eine auffallende Rolle. Neben den großen Feiertagen des christlichen Kirchenjahres bestanden auch noch größtenteils die fröhlichen Feste der alten Götter fort, wenn auch meist ihrer ursprünglichen Bedeutung, ihres religiösen Kernes beraubt. Das Volk ließ sich etwa den Glauben an Jupiter und Juno nehmen und die Kultushandlungen und die Opfer, aber nicht die Spiele, die Feste, die Tänze und Schmäuse, die mit jenen Handlungen verbunden waren; und die Kirche war von jeher klug genug, zu dulden, was sie nicht ändern konnte. So wurden ja sogar die echt heidnischen Lupercalien, mit welchen sich derber Aberglaube und wüster Unfug aller Art verband, erst im Jahre vierhundertsechsundneunzig - und nur mit Mühe abgeschafft. Viel länger natürlich behaupteten sich harmlose Feste wie die Floralien, die Palilien, und zum Teil haben sich ja manche von ihnen in den Städten und Dörfern Italiens mit unveränderter Bedeutung bis auf diese Stunde erhalten. So waren denn die Tage der Floralien gekommen, die, früher auf der ganzen Halbinsel, als ein Fest besonders der fröhlichen Jugend, mit lauten Spielen und Tänzen gefeiert, auch in jenen Tagen noch wenigstens mit Schmaus und Gelage begangen wurden. Und so hatten sich denn die beiden Licinier und ihr Kreis von jungen Rittern und Patriziern an den Hauptfesttag der Floralien zu einem Symposion zusammenbestellt, für welches jeder der Gäste, wie bei unsern «Picknicks», seinen Beitrag in Speisen oder Wein zu liefern hatte. Die Fröhlichen versammelten sich bei dem jungen Kallistratos, einem liebenswürdigen und reichen Griechen aus Korinth, der sich im Genuß künstlerischer Muse zu Rom niedergelassen und nahe bei den Gärten des Sallust ein geschmackvolles Haus gebaut hatte, das als der Mittelpunkt heitern Lebensgenusses und feiner Bildung. galt. Außer dem reichen Adel Roms verkehrten dort vornehmlich die Künstler und Gelehrten, und dann auch jene Schichten von römischer Jugend, denen über ihren Rossen und Wagen und Hunden wenige Zeit und Gedanken für den Staat übrigblieb, und die daher bis jetzt dem Einfluß des Präfekten unzugänglich gewesen waren. Deshalb war es diesem sehr erwünscht, als ihm der junge Lucius Licinius, jetzt sein glühendster Anhänger, die Einladung des Korinthers überbrachte. «Ich weiß wohl», sagte er schüchtern, «wir können deinem Geist nicht ebenbürtige Unterhaltung bieten, und wenn dich nicht die alten Kyprier und Falerner locken, die Kallistratos spenden wird, lehnst du ab.» «Nein, mein Sohn, ich komme», sagte Cethegus, «und mich locken nicht die alten Kyprier, sondern die jungen Römer.» Kallistratos, der sein Hellenentum mit Stolz zur Schau trug, hatte sein Haus mitten in Rom in griechischem Stil gebaut. Und zwar nicht in dem des damaligen, sondern des freien, des perikleischen Griechenlands, und dies machte im Gegensatz zu der geschmacklosen Überladung jener Tage den Eindruck edler Einfachheit. Durch einen schmalen Gang gelangte man in das Peristyl, den offenen, von Säulengängen umschlossenen Hof, dessen Mittelpunkt ein plätschernder Springbrunnen in braunem Marmorbecken bildete. Die nach Norden offene Säulenhalle enthielt außer andern Gelassen auch den Speisesaal, der heute die kleine Gesellschaft versammelt hielt. Cethegus hatte sich vorbehalten, nicht schon zu der «Coena», dem eigentlichen Schmause, sondern erst zu der «Commissatio», dem darauf folgenden nächtlichen Trinkgelage, zu kommen. Und so fand er denn die Freunde in der vornehmen Trinkstube, wo längst schon die zierlichen Bronzelampen an den schildpattgetäfelten Wänden brannten und die Gäste, mit Rosen und Eppich bekränzt, auf den Polstern des hufeisenförmigen Triklinums lagerten. Eine betäubende Mischung von Weinduft und Blumenduft, von Fackelglanz und Farbenglanz drang ihm an der Schwelle entgegen. «Salve, Cethege!» rief der Wirt dem Eintretenden entgegen. «Du findest nur kleine Gesellschaft.» Cethegus befahl dem Sklaven, der ihm folgte, einem herrlich gewachsenen jungen Mauren, dessen schlanke Glieder durch den Scharlachflor seiner leichten Tunika mehr gezeigt als verhüllt wurden, ihm die Sandalen abzubinden. Er zählte indessen: «Nicht unter den Grazien», lächelte er, «nicht über die Musen.» «Geschwind, wähle den Kranz», mahnte Kallistratos, «und nimm deinen Platz da oben auf dem Ehrensitz der mittleren Kline. Wir haben dich im voraus zum Symposiarchen, zum Festkönig gewählt.» Der Präfekt hatte sich vorgesetzt, diese jungen Leute zu bezaubern. Er wußte, wie gut er das konnte: und er wollte es heute. Er wählte einen Rosenkranz und ergriff das elfenbeinerne Zepter, das ihm ein syrischer Sklave kniend reichte. Das Rosendiadem zurechtrückend schwang er mit Würde den Stab: «So mach' ich eurer Freiheit ein Ende!» «Ein geborner Herrscher», rief Kallistratos, halb im Scherz, halb im Ernst. - «Aber ich will ein sanfter Tyrann sein! Mein erst Gesetz: ein Drittel Wasser - zwei Drittel Wein.» - «Oho», rief Lucius Licinius und trank ihm zu, «bene te! Du führst üppig Regiment. Gleiche Mischung ist sonst unser Höchstes.» «Ja, Freund», lächelte Cethegus, sich auf dem Ecksitz der mittleren Kline, dem «Konsulplatz», niederlassend, «ich habe meine Trinkstudien unter den Ägyptern gemacht, die trinken nur lautern. He, Mundschenk wie heißt er?» «Ganymedes - er ist aus Phrygien. Hübscher Wuchs, eh?» -«Also, Ganymed, gehorche deinem Jupiter und stelle neben jeden eine Patera Mamertiner Weines - doch neben Balbus zwei, weil er sein Landsmann ist.» Die jungen Leute lachten. Balbus war ein reicher Gutsbesitzer auf Sizilien, noch sehr jung und schon sehr dick. «Pah», lachte der Trinker, «Efeu ums Haupt und Amethyst am Finger - so trotz' ich den Mächten des Bacchus.» - «Nun, wo steht ihr im Wein?» fragte Cethegus, dem jetzt hinter ihm stehenden Mauren winkend, der ihm einen zweiten Kranz von Rosen, diesmal um den Nacken schlang. «Settiner Most mit hymettischem Honig war das letzte. Da, versuch'!» so sprach Piso, der schelmische Poet, dessen Epigramme und Anakreontika die Buchhändler nicht rasch genug konnten abschreiben lassen, und dessen Finanzen sich doch stets in poetischer Unordnung befanden. Und er reichte dem Präfekten, was wir einen «Vexierbecher» nennen würden, einen bronzenen Schlangenkopf, der, unvorsichtig an den Mund gebracht, einen Strahl Weines heftig in die Kehle schoß. Aber Cethegus kannte das Spiel, behutsam trank er und gab den Becher zurück. «Deine trocknen Witze sind mir lieber, Piso», lachte er und haschte ihm aus der Brustfalte ein beschriebenes Täfelchen. «O gib», sagte Piso, «es sind keine Verse - sondern - ganz im Gegenteil! - eine Zusammenstellung meiner Schulden für Wein und Pferde.» «Je nun», meinte Cethegus, «ich hab' sie an mich genommen -sie sind also mein. Du magst morgen die Quittung bei mir einlösen: aber nicht umsonst mit einem deiner boshaften Epigramme auf meinen frommen Freund Silverius!» - «O Cethegus», rief der Poet erfreut und geschmeichelt, «wie boshaft kann man sein für vierzigtausend Solidi! Wehe dem heiligen Mann Gottes.» Achtes Kapitel «Und im Schmause - wie weit seid ihr damit?» fragte Cethegus, «schon bei den Äpfeln? sind es diese?» Und er sah blinzelnd nach zwei Fruchtkörben von Palmenbast, die hoch aufgehäuft auf einem Bronzetisch mit elfenbeinernen Füßen prangten. «Ha, Triumph!» lachte Marcus Licinius, des Lucius jüngerer Bruder, der sich mit der liebhaberischen Spielplastik der Mode abgab. «Da siehst du meine Kunst, Kallistratos! Der Präfekt nimmt meine Wachsäpfel, die ich dir gestern geschenkt, für echt.» - «Ah, wirklich?» rief Cethegus wie erstaunt, obwohl er den Wachsgeruch längst ungern vermerkt. «Ja, Kunst täuscht die Besten. Bei wem hast du gelernt? Ich möchte dergleichen in meinem kyzikenischen Saal aufstellen.» «Ich bin Autodidakt», sagte Marcus stolz, «und morgen schicke ich dir meine neuen persischen Äpfel: - denn du würdigst die Kunst.» «Aber das Gelag ist doch zu Ende?» fragte der Präfekt, den linken Arm auf das Polster der Kline stützend. «Nein», rief der Wirt, «ich will es nur gestehn: da ich auf unsern Festkönig erst zur Trinkstunde rechnen durfte, hab' ich noch einen kleinen Nachschmaus zu den Bechern gerüstet.» -«O du Frevler», rief Balbus, sich mit der zottigen Purpurgausape die fettglänzenden Lippen wischend, «und ich habe so schrecklich viel von deinen Feigenschnepfen gegessen!» - «Das ist wider die Verabredung!» rief Marcus Licinius. - «Das verdirbt meine Sitten!» sagte der fröhliche Piso ernsthaft. -«Sprich, ist das hellenische Einfachheit?» fragte Lucius Licinius. - «Ruhig, Freunde», tröstete Cethegus mit einem Zitat: «Auch unverhofftes Unheil trägt ein Römer stark.» «Der hellenische Wirt muß sich nach seinen Gästen richten», entschuldigte Kallistratos, «ich fürchte, ihr kämt mir nicht wieder, böte ich euch marathonische Kost.» - «Nun, dann bekenne wenigstens, was noch droht», rief Cethegus, «du, Nomenklator, lies die Schüsseln ab: ich werde dann die Weine bestimmen, die dazu gehören.» Der Sklave, ein schöner lydischer Knabe, in einem bis an die Knie aufgeschlitzten Röckchen von blauer pelusischer Leinwand, trat dicht neben Cethegus an den Tisch von Zypressenholz und las von einem Täfelchen ab, das er an goldenem Kettchen um den Hals trug: «Frische Austern aus Britannien in Thunfischbrühe mit Lattich.» - «Dazu Falerner von Fundi», sprach Cethegus ohne Besinnen. «Aber wo steht der Schenktisch mit den Pokalen? Rechter Trunk mundet nur aus rechter Schale.» «Dort ist der Schenktisch!» und auf einen Wink des Hausherrn fiel der Vorhang zurück, der die eine Ecke des Zimmers, den Gästen gegenüber, verhüllt hatte. Ein Ruf des Staunens flog von den Tischen. Der Reichtum der dort zur Schau gestellten Prunkgeschirre und der Geschmack ihrer Anordnung war selbst diesen verwöhnten Augen überraschend. Auf der Marmorplatte des Tisches stand ein geräumiger silberner Wagen mit goldnen Rädern und ehernem Gespann: es war ein Beutewagen, wie sie in römischen Triumphen aufgeführt zu werden pflegten: und als köstliche Beute lagen darin Pokale, Gläser, Schalen jeder Gestalt und jedes Stoffes in scheinbarer Unordnung, doch mit kunstverständiger Hand gehäuft. «Bei Mars dem Sieger», lachte der Präfekt, «der erste römische Triumph seit zweihundert Jahren. Ein seltner Anblick! Darf ich ihn zerstören?» - «Du bist der Mann, ihn wieder aufzurichten», sagte Lucius Licinius feurig. - «Meinst du? Versuchen wir's! Also zum Falerner die Kelche dort von Terebinthenholz.» «Weindrosseln vom Tagus mit Spargel von Tarent!» fuhr der Lydier fort. «Dazu den roten Massiker von Sinuessa aus jenen amethystnen Kelchen.» «Junge Schildkröten von Trapezunt mit Flamingozungen.» «Halt an, beim heiligen Bacchus», rief Balbus. «Das sind ja die Qualen des Tantalus. Mir ist ganz gleich, aus was ich trinke, aus Terebinthen oder Amethyst - aber dies Aufzählen von Götterbissen mit trocknem Gaumen halt' ich nicht mehr aus. Nieder mit Cethegus dem Tyrannen, er sterbe, wenn er uns hungern läßt.» - «Mir ist, ich wäre Imperator und hörte das getreue Volk von Rom. Ich rette mein Leben und gebe nach. Tragt auf, ihr Sklaven.» Da tönten Flöten aus dem Vorgemach, und im Takte der Musik schritten sechs Sklaven, Efeu um die glänzend gesalbten Locken, in roten Mänteln und weißen Tuniken heran. Sie reichten den Gästen frische Handtücher von feinstem sidonischem Linnen mit weichen Purpurfransen. «Oh», rief Massurius, ein junger Kaufmann, der vornehmlich mit schönen Sklaven und Sklavinnen handelte und in dem zweideutigen Ruhme stand, der feinste Kenner solcher Ware zu sein, «das weichste Handtuch ist ein schönes Haar» - und er fuhr dem eben neben ihm knienden Ganymed durch die Locken. «Aber, Kallistratos, jene Flöten sind hoffentlich weiblichen Geschlechts - auf mit dem Vorhang - laß die Mädchen ein.» «Noch nicht», befahl Cethegus. «Erst trinken, dann küssen. Ohne Bacchus und Ceres, du weißt -» «Friert Venus, nicht Massurius.» Da erscholl aus dem Seitengemach der Klang von Lyra und Kithara, und ein trat ein Zug von acht Jünglingen in goldgrün schillernden Seidengewändern, worauf der «Anrichter» und der «Zerleger»: die sechs andern trugen Schüsseln auf dem Haupt: sie zogen im Taktschritt an den Gästen vorüber und machten vor dem Anrichttisch von Citrus halt. Während sie hier beschäftigt, waren, erklangen vom Mittelgrunde her Kastagnetten und Zimbeln, die großen Doppeltüren drehten sich um ihre erzschimmernden Säulenpfosten, und ein Schwarm von Sklaven in der schönen Tracht korintischer Epheben strömte herein. Die einen reichten Brot in zierlich durchbrochenen Bronzekörben, andre verscheuchten die Mücken mit breiten Fächern von Straußenfedern und Palmblättern, einige gossen Ö1 in die Wandlampen aus doppelhenkeligen Krügen mit anmutvollen Bewegung, indes etliche mit zierlichen Besen von ägyptischem Schilf von dem Mosaikboden die Brosamen fegten und die übrigen Ganymed die Becher füllen halfen, die jetzt schon eifrig kreisten. Damit stieg denn die Raschheit, die Wärme des Gesprächs, und Cethegus, der, wie überlegen nüchtern er blieb, völlig im Moment versunken schien, bezauberte durch seine Jugendlichkeit die Jünglinge. «Wie ist's», fragte der Hausherr, «wollen wir würfeln zwischen den Schüsseln? Dort neben Piso steht der Würfelbecher.» - «Nun, Massurius», meinte Cethegus mit einem spöttischen Blick auf den Sklavenhändler, «Willst du wieder einmal dein Glück wider mich versuchen? Willst du wetten gegen mich? Gib ihm den Becher, Syphax!» winkte er dem Mauren. «Merkur soll mich bewahren!» antwortete Massurius in komischem Schreck. «Laßt euch nicht ein mit dem Präfekten -er hat das Glück seines Ahnherrn Julius Cäsar geerbt.» «Omen accipio!» lachte Cethegus, «das nehm' ich an, mitsamt dem Dolch des Brutus.» «Ich sag' euch, er ist ein Zauberer! Erst jüngst hat er eine ungewinnbare Wette gegen mich gewonnen an diesem braunen Dämon. -» Und er wollte dem Sklaven eine Feige ins Gesicht werfen: aber dieser fing sie behende mit den glänzend weißen Zähnen und verzehrte sie mit ruhigem Behagen. «Gut, Syphax», lobte Cethegus, «Rosen aus den Dornen der Feinde! Du kannst ein Gaukler werden, sobald ich dich freilasse.» «Syphax will nicht frei sein, er will dein Syphax sein und dein Leben retten wie du seins.» «Was ist das - dein Leben?» fragte Lucius Licinius mit erschrockenem Blick. - «Hast du ihn begnadigt?» fragte Marcus. «Mehr, ich hab' ihn losgekauft.» «Ja, mit meinem Gelde!» brummte Massurius. «Du weißt, ich hab' ihm dein verwettet Geld sofort als Peculium geschenkt.» «Was ist das mit der Wette? Erzähle, vielleicht ein Stoff für meine Epigramme», fragte Piso. «Laßt den Mauren selbst erzählen - sprich, Syphax, du darfst.» Neuntes Kapitel Ohne Zögern trat der junge Sklave in das von den Tischen gebildete Hufeisen, den Rücken zur Türe gewandt. Sein funkelndes Auge überflog rasch die Versammlung und haftete dann mit Glut an seinem Herrn: alle bewunderten die jugendliche Kraft und Schönheit der schlanken Glieder, deren tiefes Braun nur um die Hüften ein kostbarer Schurz von Scharlach verhüllte. «Leicht ist erzählt, was schwere Schmerzen barg. Ich bin daheim im Lieblingsland der Sonne; wo hundert Palmen die immer grüne Oase beschatten, außer uns nur dem Löwen bekannt und dem fleckigen Panther. Aber in einer götterverlassenen Nacht, da fand der Feind unser altes Versteck. Vandalische Reiter waren's und keine Rettung. Rot und schwarz stieg der Rauch unsrer Zelte durch die Zedernwipfel hinan, kreischend flohen die Weiber und Kinder. Da traf mich ein sausender Speer. Ich erwachte gebunden im Sklavenraum eines Griechenschiffs, das uns gekauft, mich und viele Männer und Weiber meines Stammes: ich hatte nichts gerettet als meinen Gott, den weißen Schlangenkönig, ich trug ihn im Gürtel geborgen. Sie brachten uns nach Rom, da kaufte mich einer, dessen Namen verflucht sei.» «'s ist unser Freund Calpurnius», unterbrach Cethegus. «Und kein Stern soll ihm leuchten auf nächtlicher Fahrt, er soll verdursten im heißen Sand», knirschte der Maure mit aufloderndem Haß. «Er schlug mich oft um nichts und ließ mich hungern. Ich schwieg und betete zu meinem Gott um Rache. Er zürnte, daß ich so ruhig seine Wut ertrug. Er wußte nicht, daß Syphax seinen Gott bei sich trug in Gestalt einer Schlange. Da trat er eines Morgens an mein Lager und fand sie um meinen Hals geringelt. Er erschrak: ich sagte ihm, seine Zähne seien nicht tödlich, aber seine Rache. Da ergrimmte er, schlug nach mir und sagte: Umsonst flehte ich und wand mich auf den Knien vor ihm. Er schlug mich und schlug nach dem Gott: und als ich den deckte mit meinem Leibe, schrie er noch wilder: Wie konnt' ich gehorchen! Da rief er seine Sklaven und befahl: Ich erschrak zum Tode über diesen Frevel. Und sie griffen mich und haschten nach der Schlange. Aber der Gott gab mir die Kraft der Wut, die da gleich ist der Kraft des pfeilwunden Tigers, und ich sprang unter sie mit gellendem Schrei. Nieder schlug ich den Verfluchten mit dieser Faust und gewann die Türe des Hauses und sprang hinaus ins Freie und dreißig Sklaven hinter mir drein. Da galt es das Leben.» Die Gäste lauschten gespannt, selbst Balbus setzte den Becher ab, den er eben zu Munde führte. «Ich laufe nicht schlecht: oft haben wir, drei Vettern und ich, die windschnelle Antilope müde gejagt. Und die Sklaven waren langsam und schwer. Aber sie kannten die Stadt und ihre Straßen und ich nicht. So war es ein ungleich Spiel. Die Verfolger teilten sich in Scharen von drei, vier Mann und gewannen mir durch Seitengassen und Durchgänge den Weg ab. Zum Glück hatte ich im Vorbeirennen an einer Schmiede einen schweren Feuerhaken errafft: zwei-, dreimal braucht' ich ihn, die Verfolger zu scheuchen, zu treffen, die mir plötzlich von vorn entgegenkamen. Ich fühlte aber, lange konnte das nicht mehr dauern: wie rasch ich war, wie langsam sie, zuletzt mußte ich doch erliegen. Da sandte mir der Gott, den ich fest mit der Linken an die Brust drückte, ihn», - und sein schönes Auge funkelte, -«meinen Herrn, den gewaltigen, der mächtig ist wie der Löwe von Abaritana und klug wie der Elefant, der da gut ist wie milder Regen nach langer Dürre und herrlich wie -» «Jetzt erzählst du schlecht, Syphax, ich will vollenden. Ich kam gerade von den Schanzwerken am aurelischen Tor, dem Grabmal Hadrians.» «Deinem schönen, göttergeschmückten Lieblingsort», unterbrach Kallistratos. «Und bog am Fuße des Kapitols in das Forum Trajans: da stand eine gaffende, schreiende Menge und sah der Menschenjagd neugierig zu: wie ein Pfeil schoß der Maure von dem Forum des Nerva heran, seine Verfolger weit hinter ihm. Aber siehe, dicht neben mir bogen von links fünf, von rechts sieben der Sklaven Calpurnius' auf das Forum ein, bereit, ihn aufzufangen, sowie er auf den Platz ankam. sagte neben mir eine bekannte Stimme, es war Massurius, der aus dem Bade des Augustus trat. fragte ich. , antwortete der Sklave neben mir. , sprach Massurius zu mir, . - , sagte der Sklave, Ich blickte den Platz hinab auf den Mauren, der jetzt gleich heran war. , sagte ich, Denn eben hatte der Flüchtling die erste Kette der Sklaven, die sich ihm an der Mündung der Via julia entgegenwarf, durchbrochen und flog jetzt auf uns zu. , sprach Massurius. Gerade vor uns standen fünf Sklaven mit Lanzen und Wurfspeeren. rief ich, Da war er heran. Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter ihnen weg und, plötzlich aufschnellend, sprang er in hohem Satz über die Lanzen der beiden übrigen. Atemlos kam er dicht vor mir zu Boden: er blutete von Steinen und Pfeilen, und schon kam jetzt vom Forum julium heran das ganze Rudel. Verzweifelnd sah er um sich und wollte nach rechts in die Friedens-Tempel-Straße, die ihn gerade nach seines Herrn Hause zurückgeführt hätte. Da sah ich vor uns das Portal der kleinen Basilika von Sankt Laurentius offen stehen. rief ich ihm zu.» «In meiner Sprache! Er kennt meine Sprache», rief Syphax. «Er kennt, glaub' ich, alle Sprachen», meinte Marcus Licinius. «, wiederholte ich, Wie der Blitz war er die Stufen hinan, schon auf der letzten, da traf ihn ein Stein, daß er stürzte, und sein nächster Verfolger war oben und packte ihn. Aber glatt wie ein Aal rang er sich aus seinem Griff, stieß ihn die Stufen hinab und sprang in die Türe der Kirche.» «Da hattest du gewonnen», sagte Kallistratos. «Ich wohl, aber er nicht. Denn die Priester von St. Laurentius, so eifersüchtig sie ihre Asylrechte wahren, so wenig haben sie Mitleid mit einem Heiden. Einen Tag lang bargen sie ihn: als sie aber erfuhren, daß er um der Schlange willen seinen Herrn niedergeschlagen, da stellten sie ihm die Wahl, Christ zu werden und den Götzen aufzugeben, oder Calpurnius und die Muränen. Syphax wählte den Tod. Ich erfuhr es und kaufte dem Zornigen seine Rache ab und das Leben dieses schlanken Burschen, des schönsten Sklaven in Rom.» «Kein schlechtes Geschäft», meinte Marcus, «der Maure st dir treu.» «Ich glaube», sagte Cethegus, «tritt zurück, Syphax. Da bringt der Koch sein Meisterstück, so scheint's.» Zehntes Kapitel Es war eine sechspfündige Steinbutte, seit Jahren im Meerwasserweiher des Kallistratos mit Gänselebern gemästet. Der vielgepriesene «Rhombus» kam auf silberner Schüssel, ein goldenes Krönchen auf dem Kopf. «Alle guten Götter und du, Prophete Jonas!» lallte Balbus zurücksinkend in die Polster, «der Fisch ist mehr wert als ich selber.» - «Still, Freund», warnte Piso, «daß uns nicht Cato höre, der gesagt: wehe der Stadt, wo ein Fisch mehr wert als ein Rind.» Schallendes Gelächter und der laute Ruf: Euge belle! übertönte den Zornruf des Halbberauschten. Der Fisch ward zerschnitten und köstlich erfunden. «Jetzt, ihr Sklaven, fort mit dem matten Massiker. Der edle Fisch will schwimmen in edlem Naß. Auf, Syphax, jetzt paßt, was ich zu dem Gelage beigesteuert. Geh und laß die Amphora hereinbringen, welche die Sklaven draußen in Schnee gestellt. Dazu die Phialen von gelbem Bernstein.» «Was bringst du Seltenes, aus welchem Land?» fragte Kallistratos. «Frag', aus welchem Weltteil? bei diesem vielgereisten Odysseus», sagte Piso. «Ihr müßt raten. Und wer errät, wer diesen Wein schon gekostet hat, dem schenk' ich eine Amphora, so hoch wie diese.» Zwei Sklaven, eppichbekränzt, schleppten den mächtigen, dunkeln Krug herein: von schwarzbraunem Porphyr und fremdartiger Gestalt, mit hieroglyphischen Zeichen geschmückt und wohlvergipst oben an der Mündung. «Beim Styx! Kommt er aus dem Tartarus? Das ist ein schwarzer Gesell», lachte Marcus. «Aber er hat eine weiße Seele - zeige sie, Syphax.» Der Nubier schlug mit dem Hammer aus Ebenholz, den ihm Ganymedes reichte, sorgfältig den Gips herunter, hob mit silberner Zange den Verschluß von Palmenrinde he raus, schüttete die Schicht Öl hinweg, die oben schwamm, und füllte die Pokale. Ein starker berauschender Geruch entstieg der weißen, klebrigen Flüssigkeit. Alle tranken mit forschender Miene. «Ein Göttertrank!» rief Balbus absetzend. - «Aber stark wie flüssiges Feuer», sagte Kallistratos. «Nein, den kenn' ich nicht!» sprach Lucius Licinius. «Ich auch nicht», beteuerte Marcus Licinius. - «Aber ich freue mich, ihn kennen zu lernen», rief Piso und hielt Syphax die leere Schale hin. «Nun», fragte der Wirt, zu dem letzten, bisher fast ganz stummen Gast zu seiner Rechten gewendet, «nun, Furius, großer Seefahrer, Abenteurer, Indiensucher, Weltumsegler, wird deine Weisheit auch zuschanden?» Der Gefragte erhob sich leicht von den Kissen, ein schöner athletischer Mann von einigen dreißig Jahren, von bronzener, wettergebräunter Gesichtsfarbe, kohlschwarzen, tiefliegenden Augen, blendend weißen Zähnen und vollem Rundbart nach orientalischem Schnitt. Aber ehe er noch sprechen konnte, fiel Kallistratos rasch ein: «Doch, beim Zeus Xenius, ich glaube, ihr kennt euch gar nicht?» Cethegus maß die fesselnde Erscheinung mit scharfem Blick. «Ich kenne den Präfekten von Rom», sagte der Schweigsame. - «Nun, Cethegus, und dies ist mein vulkanischer Freund, Furius Ahalla, aus Korsika, der reichste Schiffsherr des Abendlands, tief wie die Nacht und heiß wie das Feuer. Er hat fünfzig Häuser, Villen und Paläste an allen Küsten von Europa, Asien und Afrika, zwanzig Galeeren, ein paar tausend Sklaven und Matrosen und -» «Und einen sehr geschwätzigen Freund», schloß der Korse. «Präfekt, mir ist es leid um dich, aber die Amphora ist mein. Ich kenne den Wein.» - Und er nahm ein Kibitzei und zerschlug es mit goldenem Löffel. «Schwerlich», lächelte Cethegus spöttisch. «Doch. Es ist Isiswein. Aus Ägypten. Aus Memphis.» Und ruhig schlürfte er das goldrötliche Ei. Erstaunt sah ihn Cethegus an. «Erraten», sagte er dann. «Wo hast du ihn gekostet?» «Notwendig da, wo du. Er fließt ja nur aus einer Quelle», lächelte der Korse. - «Genug mit euren Geheimnissen! Keine Rätsel unter den Rosen!» rief Piso. - «Wo habt ihr beiden Marder dasselbe Nest gefunden?» fragte Kallistratos. «Nun», rief Cethegus, «wisset es immerhin. Im alten Ägypten, im heil'gen Memphis voraus, haben sich immer noch, dicht neben den christlichen Einsiedlern und Mönchen in der Wüste, glaubenszähe Männer und namentlich Frauen erhalten, die nicht lassen wollen von Apis und Osiris und besonders treu den süßen Dienst der Isis pflegen. Sie flüchten von der Oberfläche, wo die Kirche das Kreuz der Askese siegreich aufgepflanzt, in die Tiefen, in den geheimen Schoß der großen Mutter Erde mit ihrem heiligen teuren Wahn. In einem Labyrinth unter den Pyramiden des Cheops haben sie noch einige hundert Krüge geborgen des mächtigen Weines, welcher dereinst die Eingeweihten zu den Orgien der Freude, der Liebe berauschte. Die Kunde geht geheimgehalten von Geschlecht zu Geschlecht, immer nur eine Priesterin kennt den Keller und bewahrt den Schlüssel. Ich küßte die Priesterin, und sie führte mich ein: - sie war eine wilde Katze, aber ihr Wein war gut: - und sie gab mir zum Abschied fünf Krüge mit aufs Schiff. «So weit hab' ich es mit Smerda nicht gebracht», sagte der Korse; «sie ließ mich trinken im Keller, aber als Andenken gab sie mir nur das mit» - und er entblößte den braunen Hals. -«Einen Dolchstich der Eifersucht», lachte Cethegus. «Nun, mich freut, daß die Tochter nicht aus der Art schlägt. Zu meiner Zeit, das heißt, als mich die Mutter trinken ließ, lief die kleine Smerda noch im Kinderröckchen. Wohlan, es lebe der heil'ge Nil und die süße Isis.» Und die beiden tranken sich zu. Aber es verdroß sie, ein Geheimnis teilen zu sollen, das jeder allein zu besitzen geglaubt. Doch die andern waren bezaubert von der Laune des eisigen Präfekten, der jugendlich wie ein Jüngling mit ihnen plauderte und jetzt, da das beliebteste Thema für junge Herren unter den Bechern angeregt war - Liebesabenteuer und Mädchengeschichten -, unerschöpflich übersprudelte von Streichen und Schwänken, die er meistens selbst erlebt. Alle hingen mit Fragen an seinen Lippen. Nur der Korse blieb stumm und kalt. «Sage», rief der Wirt und winkte dem Schenken, als gerade das Gelächter über eine solche Geschichte verhallt war, «sag' an, du Mann buntscheckiger Erfahrung: ägyptische Isismädchen, gallische Druidinnen, nachtlockige Töchter Syriens und meine plastischen Schwestern von Hellas -, alle kennst du und weißt du zu schätzen, aber sprich, hast du je ein germanisch Weib geliebt?» «Nein», sagte Cethegus, seinen Isiswein schlürfend, «sie waren mir immer zu langweilig.» «Oho», meinte Kallistratos, «das ist zuviel gesagt. Ich sage euch, ich habe an den letzten Kalenden einen Wahnsinn gehabt für ein germanisch Weib, die war nicht langweilig.» «Wie, du, Kallistratos von Korinth, der Aspasia, der Helena Landsmann, erglühst für ein Barbarenweib? O arger Eros, Sinnenverwirrer, Männerbeschämer», schalt der Präfekt. «Ja, wenn du willst, war's eine Sinnesverwirrung: ich habe nie dergleichen erfahren.» «Erzähle, erzähle», drängten die andern. Elftes Kapitel «Immerhin», sagte der Hausherr, die Polster glättend, «obwohl ich keine glänzende Rolle dabei spiele. Also an den vorigen Kalenden etwa kam ich zur achten Stunde aus den Bädern des Abaskantos nach Hause. Da steht auf der Straße niedergelassen eine Frauensänfte, vier Sklaven dabei, ich glaube, gefangene Gepiden. Unmittelbar aber vor der Türe meines Hauses stehen zwei verhüllte Frauen, die Calantica über den Kopf gezogen. Die eine trug sklavisches Gewand, aber die andre war sehr reich und geschmackvoll gekleidet, und das wenige, was von Wuchs und Gestalt zu sehen, war göttlich. Welch schwebender Schritt, welch feiner Knöchel, welch hochgewölbter Fuß! Als ich näher herankam, ließen sich beide rasch in die Sänfte heben, und fort waren sie. Ich aber - ihr wißt, es steckt des Bildhauers Blut in allen Hellenen -, ich träumte des Nachts von dem feinen Knöchel und dem wogenden Schritt. Mittags drauf, da ich die Türe öffne, aufs Forum zu gehn zu den Bibliographen, wie ich pflege, seh' ich dieselbe Sänfte rasch von danne n eilen. Ich gestehe, ohne sonst besonders eitel zu sein, diesmal hoffte ich eine Eroberung gemacht zu haben - ich wünschte es so sehr. Und ich zweifelte gar nicht mehr, als ich, um die achte Stunde nach Hause kommend, wieder meine Fremde, diesmal unbegleitet, an mir vorüberschlüpfen sah und nach ihrer Sänfte eilen. Folgen konnt' ich den raschen Sklaven nicht, so trat ich in mein Haus, froher Gedanken voll. Da sagte Ostiarius: Pochenden Herzens eile ich in das Gemach. Richtig, es war die Sklavin, die ich gestern gesehen. Sie schlug den faltigen Mantel zurück: eine hübsche, verschlagne Maurin oder Katthagerin - ich kenne den Schlag - sah mich mit schlauen Augen an. , sagte sie, Ich faßte ihre Hand und wollte ihr die dunkle Wange streicheln - denn wer die Herrin begehrt, der küsse die Sklavin -, aber sie lachte und sprach: - hoch horchte ich auf -, Laut lachten die jungen Leute, Cethegus mit ihnen. «Ja, lacht nur», fuhr der Hausherr selbst einstimmend fort, «ich aber lachte damals nicht. Aus all meinen Träumen heruntergefallen, sprach ich verdrießlich: Die Sklavin bot fünftausend, bot zehntausend Solidi; ich wandte ihr den Rücken und griff nach der Tür. Da sagte die Schlange: Das war so richtig, daß ich nur lächeln konnte. , sprach sie, Und sie schlüpfte hinweg. Unruhig blieb ich zurück. Ich konnte nicht leugnen, meine Neugier war sehr gespannt. Fest entschlossen, meinen Ares nicht herzulassen und die Kunstnärrin doch zu sehen, erwartete ich gierig die bestimmte Stunde. Die Stunde kam, und die Sänfte kam. Ich stand lauschend an meiner offnen Tür. Die Sklavin stieg heraus. , rief sie mir zu, Bebend vor Aufregung trat ich heran, der Purpurvorhang der Sänfte fiel halb zurück, und ich sah -» «Nun», rief Marcus, sich vorbeugend, den Becher in der Hand. «Was ich nie wieder vergessen werde. Ein Gesicht, Freunde, von ungeahnter Schönheit. Kypris und Artemis in einer Person. Ich war wie geblendet. Ich kann sie nicht schildern. Der Vorhang fiel zu. Ich aber sprang zurück, hob den Ares aus der Nische, reichte ihn der Punierin, wies ihr Gold zurück und taumelte in meine Tür, betäubt, als hätt' ich eine Waldnymphe gesehn.» «Nun, das ist stark», lachte Massurius. «Bist doch sonst kein Neuling in den Werken des Eros.» «Aber», fragte Cethegus, «woher weißt du, daß diese Zauberin eine Gotin war?» «Sie hatte dunkelrotes Haar und milchweiße Haut und schwarze Augenbrauen.» «Alle guten Götter!» dachte Cethegus. Aber er schwieg und wartete. Keiner der Anwesenden sprach den Namen aus. «Sie kennen sie nicht», sagte Cethegus zu sich. - «Und wann war das?» fragte der Wirt. «An den vorigen Kalenden.» «Ganz richtig», rechnete Cethegus; «da kam sie von Tarentum durch Rom nach Ravenna. Sie ruhte hier drei Tage.» «Und so hast du», lachte Piso, «deinen Ares eingebüßt für einen Blick. Schlechter Handel! Diesmal waren Merkur und Venus im Bunde. Armer Kallistratos.» «Ach», sagte dieser, «die Büste war gar nicht so viel wert. Es war moderne Arbeit. Jon in Neapolis hat sie vor drei Jahren gemacht. Aber ich sag' euch, einen Pheidias hätt' ich hingegeben um jenen Anblick.» «Ein Idealkopf?» fragte Cethegus, wie gleichgültig, und hob den ehernen Mischkrug, der vor ihm stand, scheinbar bewundernd, auf «Nein, das Modell war ein Barbar - irgendein Gotengraf -Watichis oder Witichas - wer kann sich die hyperboreischen Namen merken!» sagte Kallistratos seinen Bericht schließend und einem Pfirsich die Haut abziehend. Nachdenklich schlürfte Cethegus aus seiner Schale von Bernstein. Zwölftes Kapitel «Ja, die Barbarinnen könnte man sich gefallen lassen», rief Marcus Licinius, «aber der Orkus verschlinge ihre Brüder!» Und er riß den welken Rosenkranz vom Haupt -, die Blumen ertrugen den Dunst des Gelages schlecht - und ersetzte ihn durch einen frischen. «Nicht nur die Freiheit haben sie uns genommen - sie schlagen uns bei den Töchtern Hesperiens in der Liebe sogar aus dem Felde. Erst neulich hat die schöne Lavinia meinem Bruder die Türe verschlossen und den fuchsroten Aligern eingelassen.» «Barbarischer Geschmack!» meinte der Verschmähte achselzuckend und wie zum Trost nach seinem Isiswein langend. «Du kennst sie auch, Furius - ist es nicht Geschmacksverirrung?» - «Ich kenne deine Nebenbuhler nicht», sagte der Korse. «Aber es gibt schon Burschen unter diesen Goten, die einem Weib gefährlich werden mögen. Und da fällt mir ein Abenteuer ein, das ich jüngst entdeckt, das aber freilich noch ohne Spitze ist.» - «Erzähle nur», mahnte Kallistratos, die Hände in das laue Waschwasser steckend, das jetzt in korinthischen Erzschüsseln herumgereicht wurde, «vielleicht finden wir die Spitze dazu.» «Der Held meiner Geschichte», hob Furius an, «ist der schönste der Goten.» - «Ah, Totila der junge», unterbrach Piso und ließ sich den kameengeschmückten Becher mit Isiswein füllen. «Derselbe. Ich kenne ihn seit Jahren und bin ihm sehr gut, wie alle müssen, die je sein sonnig Angesicht geschaut, abgesehen davon» - und hier überflog des Korsen Züge ein Schatten ernsten Erinnerns, und er stockte -, «daß ich ihm sonst verbunden bin.» «Du bist, scheint's, verliebt in den Blondkopf», spottete Massurius, dem Sklaven, den er mitgebracht, ein Tuch voll pizentinischen Zwiebacks zuwerfend, um es mit nach Hause zu nehmen. «Nein, aber er hat mir, wie allen, mit denen er zu tun hat, viel Freundliches erwiesen, und gar oft hatte er die Hafenwache in den italischen Seestädten, wo ich landete.» «Ja, er hat große Verdienste um das Seewesen der Barbaren», sagte Lucius Licinius. - «Wie um ihre Reiterei», stimmte Marcus bei, «der schlanke Bursche ist der beste Reiter seines Volks.» «Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der Begegnung, aber vergebens drang ich in ihn, die fröhlichen Abendgelage auf meinem Schiffe zu teilen.» «Oh, diese deine Schiffsabende sind berühmt und berüchtigt», meinte Balbus, «du hast stets die feurigsten Weine.» - «Und die feurigsten Mädchen», fügte Massurius bei. «Wie dem sei, Totila schützte jedesmal Geschäfte vor und war nicht zu gewinnen. Ich bitte euch! Geschäfte nach der achten Stunde in Neapolis! Wo die Fleißigsten faul sind! Es waren natürlich Ausflüchte. Ich beschloß, ihm auf die Sprünge zu kommen, und umschlich abends sein Haus in der Via lata. Richtig: gleich den ersten Abend kam er heraus, vorsichtig umblickend und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie ein Gärtner war er angetan, einen Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine Abolla umgeschlagen. Ich schlich ihm nach. Er ging quer durch die Stadt nach der Porta Capuana zu. Dicht neben dem Tore steht ein dicker Turm, darinnen wohnt der Pförtner, ein alter patriarchenhafter Jude, dem König Theoderich ob seiner großen Treue die Hut des Tores anvertraut. Vor dem Tore blieb mein Gote stehen und schlug leise in die Hand: da flog eine schmale Seitentür von Eisen, die ich gar nicht bemerkt, geräuschlos auf, und hinein schlüpfte Totila geschmeidig wie ein Aal.» «Ei, ei», fiel Piso der Dichter eifrig ein, «ich kenne den Juden und Miriam, sein herrlich prachtäugiges Kind! Die schönste Tochter Israels, die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug' ist dunkelmeeresblau, und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs.» «Gut, Piso», lächelte Cethegus - «dein Gedicht ist schön.» -«Nein», rief dieser. «Miriam selbst ist die lebendige Poesie.» -«Stolz ist die Judendirne», brummte Massurius dazwischen, «sie hat mich und mein Gold geschmäht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um Geld gekauft.» «Siehe», sprach Lucius Licinius, «so hat sich der hochmüt'ge Gote, der einherschreitet, als trüg' er alle Sterne des Himmels auf seinem Lockenhaupt, zu einer Jüdin herabgelassen.» «So dacht' auch ich, und ich beschloß, den Jungen bei nächster Gelegenheit schwer zu verhöhnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber nichts da. Ein paar Tage darauf mußte ich nach Capua. Ich breche vor Sonnenaufgang auf, die Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta Capuana zur Stadt hinaus beim ersten Frührot: und als ich in meinem Reisewagen über die harten Steine an dem Judenturm vorüberrassele, denk' ich neidvoll an Totila und sage mir, der liegt jetzt in weichen Armen. Aber am zweiten Meilensteine vor dem Tor begegnet mir, nach der Stadt zuschreitend, leere Blumenkörbe über Brust und Rücken, in Gärtnertracht, wie damals - Totila. Er lag also nicht in Miriams Armen. Die Jüdin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine Vertraute, und wer weiß, wo die Blume blüht, die dieser Gärtner pflegt. Der Glücksvogel! Bedenkt nur, auf der Via Capuana stehen all die Villen und Lustschlösser der ersten Familien von Neapolis, und in jenen Gärten prangen und blühen die herrlichsten Weiber.» «Bei meinem Genius», rief Lucius Licinius, die bekränzte Schale hebend, «dort leben ja die schönsten Weiber Italiens -Fluch über den Goten!» - «Nein», schrie Massurius, von Wein erglühend,. «Fluch über Kallistratos und den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten bewirten, wie der Storch aus Kelchgläsern den Fuchs. Laß endlich, Hausherr, deine Mädchen kommen, wenn du deren bestellt hast: nicht höher brauchst du unsre Erwartung zu spannen. » «Jawohl, die Mädchen, die Tänzerinnen, die Psalterien!» riefen die jungen Leute durcheinander. «Halt», sprach der Wirt, «wo Aphrodite naht, muß sie auf Blumen wandeln. Dies Glas bring ich dir, Flora!» Er sprang auf und schleuderte an die getäfelte Decke eine köstliche Kristallschale, daß sie klirrend zersprang. Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze Getäfel wie eine Falltür empor, und ein reicher Regen von Blumen aller Art flutete auf die Häupter der erstaunten Gäste nieder. Rosen von Pästum, Veilchen von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblüten bedeckten wie ein dichtes Schneegestöber in duftigen Flocken den Mosaikboden, die Tische, die Polster und die Häupter der Gäste. «Schöner», rief Cethegus, «zog Venus nie auf Paphos ein.» Kallistratos schlug in die Hände. Da teilte sich beim Klang von Lyra und Flöte dem Triklinium gerade gegenüber die Mittelwand des Gemachs: vier hochgeschürzte Tänzerinnen, ausgesucht schöne Mädchen, in persischer Tracht, d. h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet, sprangen Zimbeln schlagend aus einem Gebüsch von blühendem Oleander. Hinter ihnen kam ein großer Wagen in Gestalt einer Fächermuschel, dessen goldne Räder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden, vier Flötenbläserinnen in lydischem Gewand - Purpur und Weiß mit goldgestickten Mänteln - schritten vorauf: und auf dem Sitz des Wagens ruhte, von Rosen übergossen, in halb liegender Stellung Aphrodite selbst, in Gestalt eines blühenden Mädchens von lockender, üppiger Schönheit, dessen fast einzige Verhüllung der Aphroditen nachgebildete Gürtel der Grazien war. «Ha, beim heiligen Eros und Anteros!» schrie Massurius und sprang unsicheren Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe. «Verlosen wir die Mädchen!» rief Piso, «ich habe ganz neue Würfel aus Gazellenknöcheln, weihen wir sie ein.» - «Laß sie den Festkönig verteilen», schlug Marcus Licinius vor. «Nein, Freiheit, Freiheit wenigstens in der Liebe», rief Massurius und faßte die Göttin heftig am Arme, «und Musik, heda, Musik -» «Musik», befahl Kallistratos. Aber noch ehe die Zimbelschlägerinnen wieder anheben konnten, wurde die Eingangstür hastig aufgerissen, und die Sklaven, die ihn aufhalten wollten, zur Seite drängend, stürmte Scävola herein, er war leichenblaß. «Hier also, hier wirklich find' ich dich, Cethegus? In diesem Augenblick!» «Was gibt's?» sagte der Präfekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom Haupt. «Was es gibt? Das Vaterland schwankt zwischen Szylla und Charybdis. Die gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza -» «Nun?» fragte Lucius Licinius. «Sie sind ermordet!» «Triumph!» rief der Römer und ließ die Tänzerin fahren, die er umfaßt hielt. «Schöner Triumph!» zürnte der Jurist. «Als die Nachricht nach Ravenna kam, beschuldigte alles Volk die Königin, sie stürmten den Palast -, doch Amalaswintha war entflohn.» «Wohin?» fragte Cethegus, rasch aufspringend. «Wohin? Auf einem Griechenschiff - nach Byzanz!» Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte die Stirn. «Aber das Ärgste ist - die Goten wollen sie absetzen und einen König wählen. - «Einen König?» sagte Cethegus. «Wohlan, ich rufe den Senat zusammen. Auch die Römer sollen wählen.» «Wen, was sollen wir wählen?» fragte Scävola. Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt seiner: «Einen Diktator! Fort, fort in den Senat.» «In den Senat!» wiederholte Cethegus majestätisch. «Syphax, meinen Mantel.» «Hier, Herr, und dabei dein Schwert», flüsterte der Maure. «Ich führ' es immer mit, auf alle Fälle.» Und Wirt und Gäste folgten halb taumelnd dem Präfekten, der, allein völlig nüchtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Straße schritt. Dreizehntes Kapitel In einem der schmalen Gemächer des Kaiserpalastes zu Byzanz stand kurze Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht ansehnlicher Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken. Es war still und einsam rings um ihn. Obwohl es draußen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster, das nach dem Hofraum des weitläufigen Gebäudes führte, mit schweren golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleichköstliche Stoffe deckten den Mosaikboden des Zimmers, so daß kein Geräusch die Schritte des langsam auf und ab Wandelnden begleitete. Gedämpftes, mattes Licht füllte den Raum. Auf dem Goldrund der Wände prangte die lange Reihe der christlichen Imperatoren seit Constantius in kleinen weißen Büsten: gerade über dem Schreibdivan hing ein großes mannshohes Kreuz von gediegenem Golde. So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam, neigte er das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war, von Glas umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes angebracht. Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus darstellend, auf purpurgesäumtem Pergament eine der Wände bedeckte. Nach langem, prüfendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der Rechten Gesicht und Augen. Es waren keine schönen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles, Gutes und Böses, lag darin. Wachsamkeit, Mißtrauen und List sprechen aus dem unruhigen Blick der tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters, furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen. «Wer den Ausgang wüßte!» seufzte er noch einmal die knochigen, Hände reibend. «Es treibt mich unablässig. Ein Geist ist in meine Brust gefahren und mahnt und mahnt. Aber ist's ein Engel des Herrn oder ein Dämon? Wer mir meinen Traum deutete! Vergib, dreieiniger Gott, vergib deinem eifrigsten Knecht. Du hast die Traumdeuter verflucht. Aber doch träumte König Pharao, und Joseph durfte ihm deuten; und Jakob sah im Traum den Himmel offen, und ihre Träume kamen von dir. Soll ich - darf ich es wagen?» Und wieder schritt er unschlüssig auf und nieder, wer weiß, wie lange noch, wäre nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben worden. Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur Erde mit auf der Brust gekreuzten Armen. «Imperator, die Patrizier, die du beschieden.» «Geduld», sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell von Gold und Elfenbein niederlassend, «rasch die Silberschuhe und die Chlamys.» Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und den hohen Absätzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhöhten, und warf ihm den faltenreichen, mit Goldsternen übersäten Mantel um die Schulter, jedes Stück der Gewandung küssend, wie er es berührte: nach einer Wiederholung der fußfälligen Niederwerfung, die in dieser orientalischen Unterwürfigkeit erst neuerlich verschärft worden war, ging der Velarius. Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine gebrochene Porphyrsäule aus dem Tempel von Jerusalem gestützt, die zu diesem Behuf nach seiner Größe zurechtgesägt war, in seiner «Audienzattitüde» dem Eingang gegenüber. Der Vorhang ging zurück, und drei Männer betraten das Gemach mit der gleichen Begrüßungsform wie jener Sklave; und doch waren sie die ersten Männer dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre reichgeschmückten Gewänder, ihre hochbedeutenden Köpfe, ihre geistvollen Züge bewiesen. «Wir haben euch beschieden», hob der Kaiser an, ohne ihre demütige Begrüßung zu erwidern, «euren Rat zu hören - über Italien. Ich habe euch alle nötigen Kenntnisse über die Dinge daselbst verschafft: die Briefe der Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei Tage hattet ihr Zeit. Erst rede du, Magister Militum.» Und er winkte dem Größten unter den dreien, einer stattlichen, ganz in eine reichvergoldete Rüstung gekleideten Heldengestalt. Die großen, offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine starke gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck gesunder Kraft, die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme hatten etwas Herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen Rundbartes Milde und Gutherzigkeit. «Herr», sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme, «Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab' ich auf dein Geheiß das Reich der Vandalen in Afrika zertrümmert mit fünfzehntausend Mann. Gib mir dreißigtausend, und ich werde dir die Gotenkrone zu Füßen legen.» «Gut», sprach der Kaiser erfreut, «dies Wort hat mir wohlgetan. Was sprichst du , Tribonianus?» Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so breitschultrig und die Glieder nicht so sehr durch stete Übung entwickelt. Die hohe, ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund zeugten von einem mächtigen Geist. «Imperator», sagte er gemessen, «ich warne dich vor diesem Krieg. Er ist ungerecht.» Unwillig fuhr Justinianus auf: «Ungerecht! Wiederzunehmen, was zum Römischen Reich gehört.» «Gehört hat. Dein Vorfahr Zeno überließ durch Vertrag das Abendland an Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmaßer Odoaker gestürzt.» «Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht König von Italien.» «Zugegeben. Aber nachdem er es geworden - wie er es werden mußte, ein Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein -, hat ihn Kaiser Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn anerkannt, ihn und sein Königreich.» «Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Stärkere, nehm' ich die Anerkennung zurück.» «Das eben nenn' ich ungerecht.» «Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zäher Rechthaber. Du taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In Politik werd' ich dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit der Politik zu tun!» «Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik.» «Bah, Alexander und Cäsar dachten anders.» «Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet, und dann zweitens» - er hielt inne. «Nun, zweitens?» «Zweitens bist du nicht Cäsar und nicht Alexander.» Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: «Du bist sehr offen, Tribonianus.» «Immer, Justinianus.» Rasch wandte sich der Kaiser zu dem Dritten. «Nun, was ist deine Meinung, Patricius?» Vierzehntes Kapitel Der Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes Lächeln, das ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt, und richtete sich auf. Er war ein verkrüppeltes Männchen, noch bedeutend kleiner als Justinian, weshalb dieser im Gespräch mit ihm den Kopf noch viel mehr als nötig gewesen wäre, herabsenkte. Er war kahlköpfig, die Wangen von krankhaftem Wachsgelb, die rechte Schulter höher als die linke, und er hinkte etwas auf dem linken Fuß, weshalb er sich auf einen schwarzen Krückstock mit goldnem Gabelgriff stützte. Aber das durchdringende Auge war so adlergewaltig, daß es von dieser unansehnlichen Gestalt den Eindruck des Widrigen fernhielt, dem fast häßlichen Gesicht die Weihe geistiger Größe verlieh: und der Zug schmerzlicher Entsagung und kühler Überlegenheit um den feinen Mund hatte sogar einen fesselnden Reiz. «Imperator», sagte er mit scharfer bestimmter Stimme, «ich widerrate diesen Krieg - für jetzt.» Unwillig zuckte des Kaisers Auge: «Auch aus Gründen der Gerechtigkeit?» fragte er, fast höhnisch. - «Ich sagte für jetzt.» -«Und warum?» - «Weil das Notwendige dem Angenehmen vorgeht. Wer sein Haus zu verteidigen hat, soll nicht in fremde Häuser einbrechen.» - «Was soll das heißen?» - «Das soll heißen: vom Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr. Der Feind, der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird, kommt vom Osten.» «Die Perser!» rief Justinian verächtlich. «Seit wann», sprach Belisar dazwischen, «seit wann fürchtet Narses, mein großer Nebenbuhler, die Perser?» «Narses fürchtet niemand», sagte dieser, ohne seinen Gegner anzusehn, «weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die Perser geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser nicht, so sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das Byzanz bedroht, steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber.» «Nun, und was soll das bedeuten?» «Das soll bedeuten, daß es schimpflich ist für dich, o Kaiser, für den Römernamen, den wir noch immer führen, Jahr für Jahr von Chosroes, dem Perserkhan, den Frieden um viele Zentner Goldes zu erkaufen.» Flammende Röte überflog des Kaisers Antlitz: «Wie kannst du Geschenke, Hilfsgelder also deuten!» «Geschenke! Und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur über den Zahltag, verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Dörfer. Hilfsgelder! Und er besoldet damit Hunnen und Sarazenen, deiner Grenze gefährlichste Feinde.» Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. «Was also rätst du?» fragte er, hart vor Narses stehenbleibend. «Nicht die Goten anzugreifen ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum erwehrt. Alle Kräfte deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen Tribute abzustellen, die schmählichen Verheerungen deiner Grenzen zu verhindern, die verbrannten Städte Antiochia, Dara, Edessa wieder aufzubauen, die Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten -trotz Belisars tapfrem Schwert - verloren, deine Grenzen durch einen siebenfachen Gürtel von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes zu schirmen. Und hast du dies Notwendige alles vollbracht - und ich fürchte sehr, du kannst es nicht vollbringen! -, dann magst du versuchen, wozu der Ruhm dich lockt.» Justinianus schüttelte leicht das Haupt. «Du bist mir nicht erfreulich, Narses», sagte er bitter. «Das weiß ich längst», sprach dieser ruhig. «Und nicht unentbehrlich!» rief Belisar stolz. «Kehre dich nicht, mein großer Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gib mir die dreißigtausend, und ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien.» «Und ich wette meinen Kopf», sagte Narses, «was mehr ist, daß Belisar Italien nicht erobern wird, nicht mit dreißig-, nicht mit sechzig-, nicht mit hunderttausend Mann.» «Nun», fragte Justinian, «und wer soll's dann können und mit welcher Macht?» «Ich», sagte Narses, «mit achtzigtausend.» Belisar erglühte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Antwort fand. «Du hast dich doch bei allem Selbstgefühl sonst nie so hoch über deinen Gegner gestellt», sprach der Jurist. «Und tu's auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der: Belisarius ist ein großer Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein großer Feldherr - und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur ein großer Feldherr überwinden.» Belisarius richtete sich in seiner ganzen stolzen Höhe auf und preßte die Faust krampfhaft um seinen Schwertknauf. Es war, als wolle er dem Krüppel neben ihm den Kopf zerdrücken. Der Kaiser sprach für ihn: «Belisar kein großer Feldherr! Der Neid verblendet dich, Narses.» «Ich beneide Belisar um nichts, nicht einmal», seufzte er leise, «um seine Gesundheit. Er wäre ein großer Feldherr, wenn er nicht ein so großer Held wäre. Er hat noch jede Schlacht, die er verlor, aus zu viel Heldentum verloren.» «Das kann man von dir nicht sagen, Narses», warf Belisar bitter ein. «Nein, Belisarius, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren.» Eine ungeduldige Antwort Belisars ward abgeschnitten durch den Velarius, der, den Vorhang aufhebend, meldete: «Alexandras, den du nach Ravenna gesendet, o Herr, ist seit einer Stunde gelandet und fragt -» «Herein mit ihm, herein!» rief der Kaiser, hastig von seiner Kline aufspringend. Ungeduldig winkte er dem Gesandten, von seiner Proskynesis sich zu erheben: «Nun, Alexandros, du kommst allein zurück?» Der Gesandte, ein schöner, noch junger Mann, wiederholte: «Allein.» «Es verlautete doch - dein letzter Bericht - wie verließest du das Gotenreich?» «In großer Verwirrung. Ich schrieb dir in meinem letzten Bericht, die Königin habe beschlossen, sich ihrer drei hochmütigsten Feinde zu entledigen. Sollte der Anschlag mißlingen, so war sie in Italien nicht mehr sicher und bat sich in diesem Falle aus, daß sie auf meinem Schiff nach Epidamnus, dann hierher nach Byzanz flüchten dürfe.» «Was ich mit Freuden bewilligte. Nur, und der Anschlag?» «Ist geglückt. Die drei Herzoge sind nicht mehr. Aber nach Ravenna kam das Gerücht, der gefährlichste unter ihnen, Herzog Thulun, sei nur verwundet. Dies bewog die Regentin, da ohnehin die Goten in der Stadt sich drohend vor dem Palaste scharten, auf mein Schiff zu flüchten. Wir lichteten die Anker, aber bald nachdem wir den Hafen verlassen, schon auf der Höhe von Arimunum, holte uns Graf Witichis mit Übermacht ein, kam an Bord und forderte Amalaswinthen auf, zurückzukehren, indem er sich für ihre Sicherheit bis zur feierlichen Untersuchung vor der Volksversammlung verbürgte. Da sie von ihm erfuhr, daß jetzt auch Herzog Thulun seinen Wunden erlegen, und aus seinem Anerbieten sah, daß er und seine mächtigen Freunde noch nicht an ihre Schuld glaubten, da überdies Gewalt zu fürchten war, willigte sie darein, mit ihm umzukehren nach Ravenna. Zuvor aber schrieb sie noch an Bord der Sophia diesen Brief an dich und sendet dir aus ihrem Schatze diese Geschenke.» «Davon später, sprich weiter, wie stehn die Dinge jetzt in Italien?» «Gut für dich, o großer Kaiser. Das vergrößerte Gerücht von dem Aufstand der Goten in Ravenna, von der Flucht der Regentin nach Byzanz durchflog das ganze Land. Vielfach kam es schon zum Zusammenstoß zwischen Römern und Barbaren. In Rom selbst wollten die Patrioten losschlagen, im Senat einen Diktator wählen, deine Hilfe anrufen. Aber alles wäre verfrüht gewesen, nachdem die Regentin in den Händen des Witichis: nur das geniale Haupt der Katakombenmänner hat es verhindert.» «Der Präfekt von Rom?» fragte Justinian. «Cethegus. Er mißtraute dem Gerücht. Die Verschworenen wollten die Goten überfallen, dich zum Kaiser Italiens ausrufen, ihn einstweilen zum Diktator wählen. Aber er ließ sich in der Kurie buchstäblich die Dolche auf die Brust setzen und sagte: nein.» «Ein mutiger Mann!» rief Belisar. «Ein gefährlicher Mann!» sagte Narses. «Eine Stunde darauf kam die Nachricht von der Rückkehr Amalaswinthens, und alles blieb beim alten. Der schwarze Teja aber hatte geschworen, Rom zu einer Viehweide zu machen, wenn es einen Tropfen Gotenblut vergossen. All das hab' ich auf meiner absichtlich zögernden Küstenfahrt bis nach Brundisium erfahren. Aber noch Besseres hab' ich zu melden. Nicht nur unter den Römern, unter den Goten selbst hab' ich eifrige Freunde von Byzanz gefunden, ja unter den Gliedern des Königshauses.» «Das wäre!» rief Justinian. «Wen meinst du?» «In Tuscien lebt, reichbegütert, Fürst Theodahad, Amalaswinthens Vetter.» «Jawohl, der letzte Mann im Haus der Amalungen, nicht wahr?» «Der letzte. Er und noch viel mehr Gothelindis, sein kluges, aber böses Gemahl, die stolze Baltentochter, hassen aufs gründlichste die Regentin. Er, weil sie seiner maßlosen Habsucht, mit der er all seiner Nachbarn Grundbesitz an sich zu reißen sucht, entgegentritt: sie, aus Gründen, die ich nicht entdecken konnte, ich glaube, sie reichen in die Mädchenzeit der beiden Fürstinnen zurück - genug, ihr Haß ist tödlich. Diese beiden nun haben mir zugesagt, dir in jeder Weise Italien zurückgewinnen helfen zu wollen; ihr genügt es, scheint's, die Todfeindin vom Thron zu stürzen, er freilich fordert reichen Lohn.» «Der soll ihm werden.» «Seine Hilfe ist deshalb wichtig, weil er schon halb Tuscien besitzt - das Adelsgeschlecht der Wölsungen hat den andere Teil - und spielend in unsre Hände bringen kann, dann aber, weil er, wenn Amalaswintha fällt, ihr auf den Thron zu folgen Aussicht hat. Hier sind Briefe von ihm und von Gothelindis. Aber lies vor allem das Schreiben der Regentin - ich glaube, es ist sehr wichtig.» Fünfzehntes Kapitel Der Kaiser zerschnitt die Purpurschnüre der Wachstafel und las: «An Justinian, den Imperator der Römer, Amalaswintha, der Goten und Italier Königin!» «Der Italier Königin», lachte Justinian, «welch verrückter Titel!» «Durch Alexandros, deinen Gesandten, wirst du erfahren, wie Eris und Ate in diesem Lande hausen. Ich gleiche der einsamen Palme, die von widerstreitenden Winden zerrissen wird. Die Barbaren werden mir täglich feindseliger, ich ihnen täglich fremder, die Römer aber, soviel ich mich ihnen nähere, werden mir nie vergessen, daß ich germanischen Stammes. Bis jetzt habe ich entschlossenen Geistes allen Gefahren getrotzt: jedoch ich kann es nicht länger, wenn nicht wenigstens mein Palast, meine fürstliche Person vor der Überraschung drängender Gewalt sicher ist. Ich kann mich aber auf keine der Parteien hier im Lande unbedingt verlassen. So ruf ich dich, als meinen Bruder in der königlichen Würde, zu Hilfe. Es ist die Majestät aller Könige, die Ruhe Italiens, dies es zu beschirmen gilt. Schicke mir, ich bitte dich, eine zuverlässige Schar, eine Leibwache» der Kaiser warf einen bedeutsamen Blick auf Belisar -, «eine Schar von einigen tausend Mann mit einem mir unbedingt ergebenen Anführer: sie sollen den Palast von Ravenna besetzen, er ist eine Festung für sich. Was Rom betrifft, so müssen jene Scharen mir vor allem den Präfekten Cethegus, der ebenso mächtig als zweideutig ist und mich in der Gefahr, in die er mich geführt, plötzlich verlassen hat, fernhalten, nötigenfalls vernichten. Habe ich meine Feinde niedergeworfen und mein Reich befestigt, wie ich zum Himmel und der eignen Kraft vertraue, so werd' ich die Truppen und Führer mit reichen Geschenken und reicherem Dank zurücksenden. Vale.» Justinian drückte krampfhaft die Wachstafel in seiner Faust: leuchtenden Auges sah er vor sich hin, seine nicht schönen Züge vereitelten sich im Ausdruck hoher geistiger Macht, und dieser Augenblick zeigte, daß in dem Manne neben vielen Schwächen und Kleinheiten eine Stärke, eine Größe lebte: die Größe eines diplomatischen Genies. «In diesem Brief», rief er endlich strahlenden Blickes, «halt' ich Italien und das Gotenreich.» Und in mächtiger Bewegung durchschnitt er das Gemach mit großen Schritten, jetzt sogar die Verbeugung vor dem Kreuz vergessend. «Eine Leibwache - sie soll sie haben! Aber nicht ein paar tausend Mann, viele Tausende, mehr als ihr lieb sein wird, und du, Belisarius, sollst sie führen.» «Sieh auch die Geschenke», mahnte Alexandros und wies auf einen köstlichen Schrein von Thuienholz mit Gold eingelegt, den der Velarius hinter ihm niedergestellt hatte. «Hier ist der Schlüssel.» Er überreichte ein kleines Büchschen von Schildpatt, das mit der Regentin Siegel geschlossen war. «Es ist ihr Bild dabei», sagte er, wie zufällig mit lauterer Stimme. In dem Augenblick, da der Gesandte die Stimme kräftiger erhoben, steckte sich, leise und unbemerkt von allen außer ihm, der Kopf eines Weibes durch den Vorhang, und zwei funkelnde schwarze Augen sahen scharf auf den Kaiser. Dieser öffnete den Schrein, schob rasch alle Kostbarkeiten beiseite und griff hastig nach einem unscheinbaren Täfelchen von geglättetem Buchs mit einem schmalen Goldrahmen. Ein Ruf des Staunens entflog unwillkürlich seinen Lippen, sein Auge blitzte, er zeigte das Bild Belisar: «Ein herrliches Weib, welche Majestät der Stirn! Ja, man sieht die geborene Herrscherin, die Königstochter!» Und bewundernd sah er auf die edeln Züge. Da rauschte der Vorhang, und die Lauscherin trat ein. Es war Theodora, die Kaiserin: ein verführerisches Weib. Alle Künste weiblichen Erfindungsgeistes in einer Zeit des äußersten Luxus und alle Mittel eines Kaiserreichs wurden täglich stundenlang aufgeboten, diese an sich ausgezeichnete, aber durch ein zügelloses Sinnenleben früh angegriffene Schönheit frisch und blendend zu erhalten. Goldstaub lieh ihrem dunkelblauschwarzen Haar metallischen Glanz: es war am Nacken mit aller Sorgfalt gegen den Wirbel hinaufgekämmt, den schönen Bau des Hinterkopfs, den feinen Ansatz des Halses zu zeigen. Augenbrauen und Wimpern waren mit arabischem Stimmi glänzend schwarz gefärbt: und so kunstvoll war das Rot der Lippen aufgetragen, daß selbst Justinian, der diese Lippen küßte, nie an eine Unterstützung der Natur durch phönikischen Purpur dachte. Jedes Härchen an den alabasterweißen Armen war sorgfältig ausgetilgt, und das zarte Rosa der Fingernägel beschäftigte täglich eine besondere Sklavin lange Zeit. Und doch hätte Theodora, damals noch nicht vierzig Jahre alt, auch ohne all diese Künste für ein ganz auffallend schönes Weib gelten müssen. Edel freilich war dieses Antlitz nicht: kein großer, ja kein stolzer Gedanke sprach aus diesen angestrengten, unheimlich glänzenden Augen, um die Lippen schwebte ein zur Gewohnheit gewordenes Lächeln, das die Stelle der ersten künftigen Falte ahnen ließ: und die Wangen zeigten in der Nähe der Augen Spuren müder Erschöpfung. Aber wie sie jetzt mit ihrem süßesten Lächeln auf Justinian zuschwebte, das schwere Faltenkleid von dunkelgelber Seide zierlich mit der Linken aufhebend, übte die ganze Erscheinung einen betäubenden Zauber, ähnlich dem süßen, einlullenden Geruch von indischem Balsam, der von ihr duftete. «Was erfreut meinen kaiserlichen Herrn so sehr? Darf ich seine Freude teilen?» fragte sie mit süßer, einschmeichelnder Stimme. Die Anwesenden warfen sich vor der Kaiserin zur Erde, kaum minder ehrerbietig als vor Justinian. Dieser aber schrak bei ihrem Anblick, wie auf einer Schuld ertappt, zusammen und wollte das Bild in der Busenfalte seiner Chlamys verbergen. Aber zu spät. Schon haftete der Kaiserin scharfer Blick darauf. «Wir bewunderten», sagte er verlegen, «die - die schöne Goldarbeit des Rahmens.» Und er reichte ihr errötend das Bild. «Nun, an dem Rahmen», lächelte Theodora, «ist beim besten Willen nicht viel zu bewundern. Aber das Bild ist nicht übel. Gewiß die Gotenfürstin?» Der Gesandte nickte. «Nicht übel, wie gesagt. Aber barbarisch, streng, unweiblich. Wie alt mag sie sein, Alexandros?» «Etwa fünfundvierzig.» Justinian blickte fragend auf das Bild, dann auf den Gesandten. «Das Bild ist vor fünfzehn Jahren gemacht», sagte Alexandros wie erklärend. «Nein», sprach der Kaiser, «du irrst; hier steht die Jahreszahl nach Indiktion und Konsul und ihrem Regierungsantritt: es ist von diesem Jahr.» Eine peinliche Pause entstand. «Nun», stammelte der Gesandte, «dann schmeicheln die Maler wie -» - «Wie die Höflinge», schloß der Kaiser. Aber Theodora kam ihm zu Hilfe. «Was plaudern wir von Bildern und dem Alter fremder Weiber, wo es sich um das Reich handelt. Welche Nachrichten bringt Alexandros? Bist du entschlossen, Justinianus?» -«Beinahe bin ich es. Nur deine Stimme wollte ich noch hören, und du, das weiß ich, bist für den Krieg.» Da sagte Narses ruhig: «Warum, Herr, hast du uns nicht gleich gesagt, daß die Kaiserin den Krieg will? Wir hätten unsre Worte sparen können.» - «Wie? Willst du damit sagen, daß ich der Sklave meines Weibes bin?» - «Hüte besser deine Zunge», sagte Theodora zornig, «schon manchen, der sonst unverwundbar schien, hat die eigne spitze Zunge erstochen.» «Du bist sehr unvorsichtig, Narses», warnte Justinian. «Imperator», sagte dieser ruhig, «die Vorsicht hab' ich längst aufgegeben. Wir leben in einer Zeit, in einem Reich, an einem Hof, wo man um jedes mögliche Wort, das man gesprochen oder nicht gesprochen hat, in Ungnade fallen, zugrunde gehen kann. Da mir nun jedes Wort den Tod bringen kann, will ich wenigstens an solchen Worten sterben, die mir selbst gefallen.» Der Kaiser lächelte: «Du mußt gestehn, Patricius, daß ich viel Freimut ertrage.» Narses trat auf ihn zu: «Du bist groß von Natur, o Justinianus, und ein geborner Herrscher: sonst würde Narses dir nicht dienen. Aber Omphale hat selbst Herkules klein gemacht.» Die Augen der Kaiserin sprühten tödlichen Haß. Justinian ward ängstlich. «Geht», sagte er, «ich will mit der Kaiserin allein beraten. Morgen vernehmt ihr meinen Entschluß.» Sechzehntes Kapitel Sowie sie draußen waren, schritt Justinian auf seine Gattin zu und drückte einen Kuß auf ihre weiße niedre Stirn. «Vergib ihm», sagte er, «er meint es gut.» «Ich weiß es», sagte sie, seinen Kuß erwidernd. «Darum, und weil er unentbehrlich ist gegen Belisar, darum lebt er noch.» -«Du hast recht, wie immer.» Und er schlang den Arm um sie. «Was hat er Besondres vor?» dachte Theodora. «Diese Zärtlichkeit deutet auf ein schlechtes Gewissen.» «Du hast recht», wiederholte er, mit ihr im Gemach auf und nieder schreitend. «Gott hat mir den Geist versagt, der die Schlachten entscheidet, aber mir dafür diese beiden Männer des Sieges gegeben - und zum Glück ihrer zwei. Die Eifersucht dieser beiden sichert meine Herrschaft besser als ihre Treue: jeder dieser Feldherren allein wäre eine stete Reichsgefahr, an dem Tage, da sie Freunde würden, wankte mein Thron. Du schürst doch ihren Haß?» «Er ist leicht zu schüren: zwischen ihnen ist eine natürliche Feindschaft wie zwischen Feuer und Wasser. Und jede Bosheit des Verschnittenen erzähl' ich mit großer Entrüstung meiner Freundin Antonina, des Helden Belisar Weib und Gebieterin.» -«Und jede Grobheit des Helden Belisar bericht' ich treulich dem reizbaren Krüppel. Aber zu unsrer Beratung. Ich bin, nach dem Bericht des Alexandros, so gut wie entschlossen zu dem Zug nach Italien.» «Wen willst du senden?» - «Natürlich Belisar. Er verheißt, mit dreißigtausend zu vollbringen, was Narses kaum mit achtzigtausend übernehmen will.» «Glaubst du, daß jene kleine Macht genügen wird?» «Nein. Aber Belisars Ehre ist verpfändet: er wird all seine Kraft aufbieten, und es wird ihm doch nicht ganz gelingen.» -«Und das wird ihm sehr heilsam sein. Denn seit dem Vandalensieg ist sein Stolz nicht mehr zu ertragen.» - «Aber er wird drei Viertel der Arbeit tun. Dann rufe ich ihn ab, breche selbst mit sechzigtausend auf, nehme Narses mit, vollende im Spiel das letzte Viertel und bin dann auch ein Feldherr und ein Sieger.» «Fein gedacht», sagte Theodora in aufrichtiger Bewunderung seiner Schlauheit: «dein Plan ist reif.» «Freilich», sagte Justinian seufzend stehenbleibend. «Narses hat recht, im geheimen Grund des Herzens muß ich's zugestehen. Es wäre dem Reiche heilsamer, die Perser abwehren, als die Goten angreifen. Es wäre mehr sichere, weisere Politik. Denn vom Osten kommt einst das Verderben.» «Laß es kommen! Das kann noch Jahrhunderte anstehn, wenn von Justinian nur noch der Ruhm auf Erden lebt, wie Afrika, so Italien zurückgewonnen zu haben. Hast du für die Ewigkeit zu bauen? Die nach dir kommen, mögen für ihre Gegenwart sorgen: sorge du für die deine.» - «Wenn man aber dann sprechen wird: hätte Justinian verteidigt, statt zu erobern, so stünd' es besser? Wenn man sagen wird: Justinians Siege haben sein Reich zerstört?» - «So wird niemand sprechen. Die Menschen blendet der Glanz des Ruhms. Und noch eins» - und hier verdrängte der Ernst der tiefsten Überzeugung den Ausdruck listiger Beschwatzung von ihren schmeichelnden Zügen. «Ich ahn' es, doch vollende.» «Du bist nicht nur Kaiser, du bist ein Mensch. Höher als das Reich muß dir deiner Seele Seligkeit stehen. Auf deinem, auf unsrem Pfad zur Herrschaft, zu dem Glanz dieser Herrschaft mußte mancher blut'ge Schritt geschehn: manches Harte mußte getan werden: Leben und Schätze so manchen gefährlichen Feindes mußten - genug. Wohl bauen wir mit einem Teil dieser Schätze der heiligen, der christlichen Weisheit jenen Siegestempel, der allein schon unsern Namen unsterblich machen wird auf Erden. Aber für den Himmel - wer weiß, ob es genügt! Laß uns» - und ihr Auge erglühte von unheimlichem Feuer -«laß uns die Ungläubigen vertilgen und über die Leichen der Feinde Christi hin den Weg zur Gnade suchen.» Justinian drückte ihre Hand. «Auch die Perser sind Feinde Christi, sind sogar Heiden.» - «Hast du vergessen, was der Patriarch gelehrt? Ketzer sind siebenmal schlimmer als Heiden! Ihnen ward der rechte Glaube gebracht, und sie haben ihn verschmäht. Das ist die Sünde wider den heiligen Geist, die nie vergeben wird - auf Erden und im Himmel. Du aber bist das Schwert, das diese gottverfluchten Arianer schlagen soll: sie sind Christi verhaßteste Feinde: sie kennen ihn und leugnen dennoch, daß er Gott. Schon hast du in Afrika die ketzerischen Vandalen niedergeworfen und den Irrwahn dort in Blut und Feuer erstickt: jetzt ruft dich Italien, Rom, die Stätte, wo der Apostelfürsten Blut geflossen, die heil'ge Stadt: nicht länger darf sie diesen Ketzern dienen. Justinian, gib sie dem wahren Glauben wieder.» Sie hielt inne. Der Kaiser blickte schwer aufatmend zu dem Goldkreuz empor. «Du deckst die letzten Tiefen meines Herzens auf: das ist es ja, was, noch mächtiger als Ruhm und Siegesehre, mich zu diesen Kriegen treibt. Aber bin ich fähig, bin ich würdig, so Großes, so Heiliges zu Gottes Ehre zu vollenden? Will er durch meine sünd'ge Hand so Großes vollführen? Ich zweifle, ich schwanke. Und der Traum, der mir in dieser Nacht geworden, war er von Gott gesendet? Und was soll er bedeuten? Treibt er zum Angriff, oder mahnt er ab? Nun hatte deine Mutter Komito, die Wahrsagerin von Kypros, große Weisheit, Ahnungen und Träume zu deuten.» - «Und du weißt, die Gabe ist erblich. Habe ich dir nicht auch den Ausgang des Vandalenkrieges aus deinem Traume gedeutet?» «Du sollst mir auch diesen Traum erklären. Du weißt, ich werde irre an dem besten Plan, wenn ein Omen dawider spricht. Höre denn. Aber» - und er warf einen ängstlichen Blick auf sein Weib -, «aber bedenke, daß es ein Traum war und kein Mensch für seine Träume kann.» «Natürlich, sie sendet Gott.» - «Was werd' ich vernehmen?» sagte sie zu sich selbst. «Ich war gestern nacht eingeschlafen, erwägend den letzten Bericht über Amala - über Italien. Da träumte mir, ich ging durch eine Landschaft mit sieben Hügeln. Dort ruhte unter einem Lorbeer das schönste Weib, das ich je gesehen. Ich stand vor ihr und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Plötzlich brach aus dem Busch zur Rechten ein brüllender Bär, aus dem Gestein zur Linken eine zischende Schlange gegen die Schlummernde hervor. Aufwachend rief sie meinen Namen. Rasch ergriff ich sie, drückte sie an meine Brust und floh mit ihr: rückblickend sah ich, wie der Bär die Schlange zerriß und die Schlange den Bären zu Tode biß.» «Nun, und das Weib?» «Das Weib drückte einen flüchtigen Kuß auf meine Stirn und war plötzlich wieder verschwunden, und ich erwachte, vergebens die Arme nach ihr ausstreckend. Das Weib», fuhr er rasch fort, ehe Theodora nachsinnen sollte, «ist natürlich Italien.» «Jawohl», sagte die Kaiserin ruhig. Aber ihr Busen wogte. «Der Traum ist der glücklichste. Bär und Schlange sind Barbaren und Italier, die um die Siebenhügelstadt ringen. Du entreißest sie beiden und läßt sie sich gegenseitig vernichten. «Aber sie entschwindet mir wieder - sie bleibt mir nicht.» «Doch. Sie küßt dich und verschwindet in deinen Armen. So wird Italien aufgehn in deinem Reich.» «Du hast recht», rief Justinian aufspringend. «Sei bedankt, mein kluges Weib. Du bist die Leuchte meiner Seele. Es sei gewagt: Belisar soll ziehn.» Und er wollte den Velarius rufen. Doch hielt er plötzlich an. «Aber noch eins.» Und die Augen niederschlagend, faßte er ihre Hand. «Ah», dachte Theodora, «jetzt kommt's.» «Wenn wir nun das Gotenreich zerstört und in die Hofburg von Ravenna mit Hilfe der Königin selbst eingezogen sind - was - was soll dann mir ihr, der Fürstin, werden?» «Nun», sagte Theodora völlig unbefangen, «was mit ihr werden soll? Was mit dem entthronten Vandalenkönig geworden. Sie soll hierher, nach Byzanz.» Justinian atmete hoch auf. «Mich freut es, daß du das Richtige fandest.» Und in wirklicher Freude drückte er ihr die schmale, weiße, wunderzierliche Hand. «Mehr als das», fuhr Theodora fort. «Sie wird um so leichter auf unsre Pläne eingehen, je sicherer sie einer ehrenvollen Aufnahme hier entgegensieht. So will ich selbst ihr ein schwesterliches Schreiben senden, sie einzuladen. Sie soll im Fall der Not stets ein Asyl an meinem Herzen finden.» «Du weißt gar nicht», fiel Justinian eifrig ein, «wie sehr du dadurch unsern Sieg erleichterst. Die Tochter Theoderichs muß völlig von ihrem Volk hinweg zu uns gezogen werden. Sie selbst soll uns nach Ravenna führen.» «Dann kannst du aber nicht gleich Belisar mit einem Heere senden. Das würde sie nur argwöhnisch machen und widerspenstig. Sie muß völlig in unsern Händen, das Barbarenreich von innen heraus gebrochen sein, ehe das Schwert Belisars aus der Scheide fährt.» «Aber in der Nähe muß er von jetzt an stehen.» «Wohl, etwa auf Sizilien. Die Unruhen in Afrika geben den besten Vorwand, eine Flotte in jene Gewässer zu senden. Und sowie das Netz gelegt, muß Belisars Arm es zuziehn.» «Aber wer soll es legen?» Theodora dachte eine Weile nach; dann sagte sie: «Der geistgewaltigste Mann des Abendlands: Cethegus Cäsarius, der Präfekt von Rom, mein Jugendfreund.» «Recht. Aber nicht er allein. Er ist ein Römer, nicht mein Untertan, mir nicht völlig sicher. Wen soll ich senden. Noch einmal Alexandros?» «Nein», rief Theodora rasch, «er ist zu jung für ein solches Geschäft, nein.» Und sie schwieg nachdenklich. «Justinian», sprach sie endlich, «auf daß du siehst, wie ich persönlichen Haß vergessen kann, wo es das Reich gilt und der rechte Mann gewählt werden muß, schlage ich dir selber meinen Feind vor: Petros, des Narses Vetter, des Präfekten Studiengenossen, den schlauen Rhetor - ihn sende.» «Theodora» - rief der Kaiser erfreut, sie umarmend, «du bist mir wirklich von Gott geschenkt. Cethegus - Petros - Belisar: Barbaren, ihr seid verloren!» Siebzehntes Kapitel Am Morgen darauf erhob sich die schöne Kaiserin vergnügt von dem schwellenden Pfühl, dessen weiche Kissen, mit blaßgelber Seide überzogen, mit den zarten Halsfedern des pontischen Kranichs gefüllt waren. Vor dem Bette stand ein Dreifuß mit einem silbernen Becken, den Okeanos darstellend, darin lag eine massiv goldne Kugel. Die weiche Hand der Kaiserin hob lässig die Kugel und ließ sie klingend in das Becken fallen: der helle Ton rief die syrische Sklavin in das Gemach, die im Vorzimmer schlief. Mit auf der Brust gekreuzten Armen trat sie an das Lager und schlug die schweren Vorhänge von violetter chinesischer Seide zurück. Dann ergriff sie den sanften iberischen Schwamm, der, in Eselsmilch getränkt, in kristallner Schale ruhte, und bestrich damit sorgfältig die Masse von öligem Teig, die Gesicht und Hals der Kaiserin während der Nacht bedeckte. Dann kniete sie vor dem Bette nieder, das Haupt fast zur Erde gebeugt, und reichte die rechte Hand hinauf. Theodora faßte diese Hand, setzte langsam den kleinen Fuß auf den Nacken der Knienden und schwang sich dann elastisch zur Erde. Die Sklavin erhob sich und warf der Herrin, die jetzt, nur mit der Untertunika von feinstem Batist bekleidet, auf dem Palmenholzrand des Bettes saß, den feinen Ankleidemantel von Rosagewebe über die Schultern. Dann verneigte sie sich, wandte sich zur Tür, rief: «Agave!» und verschwand. Agave, eine junge, schöne Thessalierin, trat ein; sie rollte dicht vor die Herrin den mit unzähligen Büchschen und Fläschchen besetzten Waschtisch von Citrusholz und begann, ihr Gesicht, Nacken und Hände mit weichen, in verschiedene Weine und Salben getauchten Tüchern zu reiben. «Das große Bad erst gegen Mittag!» sagte sie. Darauf erhob sich diese vom Lager und glitt auf den bunten, mit Pardelfell überzogenen Stuhl, die Kathedra. Da schob Agave eine ovale Wanne von Terebinthenholz heran, außen mit Schildpatt bekleidet, gefüllt mit köstlich duftendem Wasser, und hob die zierlichen, glänzend weißen Füße der Herrin hinein. Hierauf löste sie das Netz von Goldfäden, das die Nacht über die blau glänzenden Haare der Kaiserin zusammenhielt, so daß jetzt die weichen schwarzen Wellen über Schultern und Brust wallen konnten. Sie schlang ihr noch das breite Busenband von Purpur um, verneigte sich und ging mit dem Rufe: «Galatea!» Eine betagte Sklavin löste sie ab, die Amme und Wärterin und, leider müssen wir hinzufügen, die Kupplerin Theodoras in der Zeit, da sie nur erst des Akacius, des Löwenwärters im Zirkus flitterbehängtes Töchterlein und, fast noch ein Kind, der schon tief verdorbne Liebling des großen Zirkus war. Alle Demütigungen und Triumphe, alle Laster und Listen auf der Abenteurerin wechselndem Pfad bis zum Kaiserthron hatte Galatea getreulich geteilt. «Wie hast du geschlafen, mein Täubchen?» fragte sie, ihr in einer Bernsteinschale die aromatische Essenz reichend, welche die Stadt Adana in Cilicien für die Toilette der Kaiserin in großen Mengen als jährlichen Tribut einzusenden hatte. «Gut, ich träumte von ihm.» - «Von Alexandros?» - «Nein, du Närrin, von dem schönen Anicius.» - «Aber der Bestellte wartet schon lange draußen in der geheimen Nische.» - «Er ist ungeduldig», lächelte der kleine Mund, «nun, so laß ihn ein.» Und sie legte sich auf dem langen Diwan zurück, eine Decke von Purpurseide über sich ziehend; aber die feinen Knöchel der schönen Füße blieben sichtbar. Galatea schob den Riegel vor den Haupteingang, durch welchen sie eingetreten, und ging dann quer durch das Gemach zu der Ecke gegenüber, die durch eine eherne Kolossalstatue Justinians ausgefüllt war. Die scheinbar unbewegliche Last wich sofort zur Seite, sowie die Vertraute eine Feder berührte, und zeigte eine schmale Öffnung in der Wand, welche durch die Statue in ihrer gewöhnlichen Stellung vollständig verdeckt wurde: ein dunkler Vorhang war vor den Spalt gezogen. Galatea hob den Vorhang auf, und herein eilte Alexandros, der schöne junge Gesandte. Er warf sich vor der Kaiserin aufs Knie, ergriff ihre schmale Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen. Theodora entzog sie ihm leise. «Es ist sehr unvorsichtig, Alexandros», sagte sie, den schönen Kopf zurücklehnend, «den Geliebten zur Ankleidung zuzulassen. Wie sagt der Dichter? schenken wird, solang er in Totila nur den sieht. Meine Liebe aber und ihren Opfertod halt' ich vor dem Freunde tief verborgen: er ahnt nicht und soll nie erfahren, was sein glänzend Glück nur trüben könnte. Du siehst nun, o Cethegus, wie weit ab von deinem Ziel ein Gott deinen Plan gewendet. Mir hast du jenes Kleinod Italiens bringen wollen und hast es Totila zugeführt. Meine Freundschaft hast du zerstören wollen und hast sie in den Gluten heiliger Entsagung von allem Irdischen befreit und unsterblich gemacht. Du hast mich zum Manne machen wollen durch der Liebe Glück - ich bin's geworden durch der Liebe Schmerz.» Einundzwanzigstes Kapitel Wir unterlassen es, den Eindruck dieses Schreibens auf den Präfekten auszumalen, und begleiten lieber die beiden Dioskuren auf einem ihrer Abendspaziergänge an den reizenden Ufergeländen von Neapolis. Sie wandelten nach der früh beendigten Coena durch die Stadt und zur Porta nolana hinaus, die in schon halb verwitterten Reliefs die Siege eines römischen Imperators über germanische Stämme verherrlichte. Totila blieb stehen und bewunderte die schöne Arbeit. «Wer ist wohl Kaiser», fragte er den Freund, «dort auf dem Siegeswagen, mit dem geflügelten Blitz in der Hand wie ein Jupiter Tonans?» - «Es ist Marc Aurel», sagte Julius und wollte weitergehen. - «O bleib doch! Und wer sind die vier Gefesselten mit den langwallenden Haaren, die den Wagen ziehen?» «Es sind Germanenkönige.» - «Doch welches Stammes», fragte Totila weiter - «sieh da, eine Inschrift: , Die Goten vernichtet!» Laut lachend schlug der junge Gote mit flacher Hand auf die Marmorsäule und schritt rasch durch das Tor. «Eine Lüge in Marmor?» rief er rückwärts blickend. «Das hat der Imperator nicht gedacht, daß einst ein gotischer Seegraf in Neapolis seine Prahlereien Lügen straft.» - «Ja, die Völker sind wie die wechselnden Blätter am Baume», sagte Julius nachdenklich; «wer wird nach euch in diesen Landen herrschen?» Totila blieb stehen. «Nach uns?» fragte er erstaunt. - «Nun, du wirst doch nicht glauben, daß deine Goten ewig dauern werden unter den Völkern?» «Das weiß ich doch nicht», sagte Totila langsam fortschreitend. «Mein Freund, Babylonier und Perser, Griechen und Makedonen und, wie es scheinen will, auch wir Römer hatten ihre zugemessene Zeit: sie blühten, reiften und vergingen. Soll's anders sein mit den Goten?» «Ich weiß das nicht», sagte Totila unruhig, «ich habe den Gedanken nie gedacht. Es ist mir noch nie eingefallen, daß eine Zeit kommen könnte, da mein Volk» - er hielt inne, als sei es Sünde, den Gedanken auszudenken. «Wie kann man sich dergleichen vorstellen! Ich denke daran so wenig wie - wie an den Tod!» «Das sieht dir gleich, mein Totila!» «Und dir sieht es gleich, dich und andre mit solchen Träumereien zu quälen.» «Träumereien! Du vergißt, daß es für mich, für mein Volk schon Wirklichkeit geworden. Du vergißt, daß ich ein Römer bin. Und ich kann mich nicht darüber täuschen, wie die meisten tun: es ist vorbei mit uns. Das Zepter ist von uns auf euch übergegangen; glaubst du, es lief so ohne Schmerz, ohne Nachsinnen für mich ab, in dir, meinem Herzensfreund, den Barbaren, den Feind meines Volkes zu vergessen?» «Das ist nicht so, beim Glanz der Sonne!» fiel Totila eifrig ein. «Find' ich auch in deiner milden Seele den herben Wahn? Blick' doch nur um dich! Wann, sage mir, wann hat Italien herrlicher geblüht als unter unsrem Schilde? Kaum in den Tagen des Augustus. Ihr lehrt uns Weisheit und Kunst, wir leihen euch Friede und Schutz. Kein schöneres Wechselverhältnis läßt sich denken! Die Harmonie zwischen Römern und Germanen kann eine ganz neue Zeit erschaffen, schöner als je eine bestanden.» «Die Harmonie! Aber sie ist nicht da. Ihr seid uns ein fremdes Volk, geschieden durch Sprache und Glauben, durch Stammesund Sinnesart und durch halbtausendjährigen Haß. Wir brachen früher eure Freiheit, ihr jetzt die unsre; zwischen uns gähnt eine ewige Kluft.» - «Du verwirfst den Lieblingsgedanken meiner Seele.» «Es ist ein Traum!» - «Nein, er ist Wahrheit, ich fühl' es und vielleicht kommt noch die Zeit, dir's zu beweisen. Das Werk meines Lebens bau' ich drauf.» - «So wär's auf einen edlen Wahn gebaut. Keine Brücke zwischen Römern und Barbaren!» -«Dann», sagte Totila heftig, «begreif ich nicht, wie du leben kannst, wie du mich -» «Vollende nicht», sagte Julius ernst. «Es war nicht leicht: es war die schwerste der Entsagungen! Erst nach hartem Widerstreit der Selbstsucht ist sie mir gelungen: aber endlich hab' ich aufgehört, in meinem Volk allein zu leben. Der heil'ge Glaube, der jetzt schon - und er allein vermag's - Römer und Germanen verbindet, der meinen widerstrebenden Verstand durch lauter Schmerzen Schmerzen, die Freuden sind, -allmählich immer mächtiger umschlingt, er hat mir auch in diesem Zwiespalt Friede gebracht. In diesem einen darf ich mich jetzt schon rühmen, ein Christ zu sein: ich lebe der Menschheit, nicht meinem Volk allein, ein Mensch, kein bloßer Römer mehr. Darum kann ich dich, den Barbaren, lieben wie einen Bruder: sind wir doch Bürger eines Reichs: der Menschheit. Darum kann ich es ertragen, zu leben, nachdem ich mein Volk gestorben sehe. Ich lebe der Menschheit: sie ist mein Volk!» «Nein», rief Totila lebhaft, «das könnt' ich nimmermehr. In meinem Volk allein kann ich und will ich leben: meines Volkes Art ist die Luft, in der allein meine Seele atmen kann. Warum soll'n wir nicht dauern können, ewig: oder doch solang diese Erde dauert? Was Perser und Griechen! Wir sind von besserem Stoff. Weil sie dahinsiechten und versanken, müssen darum auch wir siechen und versinken? Noch blüh'n wir in voller Jugendkraft! Nein, wenn ein Tag kommt, da die Goten sinken -mög' ihn mein Auge nicht mehr sehn. O all ihr Götter, laßt uns nicht dahinkranken jahrhundertelang wie diese Griechen, die nicht leben können und nicht sterben! Nein, muß es sein, so sendet ein furchtbar Kampfgewitter und laßt uns rasch und herrlich fallen, alle, alle und mich voran!» Der Jüngling hatte sich in die wärmste Begeisterung gesprochen. Er sprang empor von der Marmorbank auf der Straße, darauf sie sich niedergelassen, den Lanzenschaft hoch gen Himmel erhebend. «Mein Freund», sagte Julius, ihn liebevoll anblickend, «wie schön steht dir dieser Eifer! Aber bedenke, ein solcher Kampf würde mit uns, mit meinem Volk entbrennen, und sollte ich -?» «Zu deinem Volke sollst du stehn mit Leib und Seele, das ist klar, wenn es jemals zu solchem Kampfe kommt. Du glaubst, das würde unsrer Freundschaft Eintrag tun? Mitnichten! Zwei Helden können sich knochentiefe Wunden haun und dabei doch die besten Freunde sein. Ha, mich würd' es freuen, dich in einer Schlachtreihe mir entgegenschreiten zu sehn mit Schild und Speer!» Julius lächelte. «Meine Freundschaft ist nicht so grimmiger Art, du wilder Gote. - Diese Fragen und Zweifel haben mich lange und bitter gequält, und all meine Philosophen zusammen haben mir nicht den Frieden gebracht. Erst seit ich's in Schmerzen erfahren, daß ich dem Gott im Himmel allein zu dienen habe und auf Erden der Menschheit und nicht einem Volk -» «Gemach, Freund», rief Totila, «wo ist denn die Menschheit, von der du schwärmst? Ich sehe sie nicht. Ich sehe nur Goten, Römer, Byzantiner! Eine Menschheit über den wirklichen Völkern, irgendwo in den Lüften, kenn' ich nicht. Ich diene der Menschheit, indem ich meinem Volke lebe. Ich kann gar nicht anders! Ich kann nicht die Haut abstreifen, darin ich geboren bin. Gotisch denk' ich, in gotischen Worten, nicht in einer allgemeinen Sprache der Menschheit; die gibt es nicht. Und wie ich nur gotisch denke, kann ich auch nur gotisch fühlen. Ich kann das Fremde anerkennen, o ja. Ich bewundere eure Kunst, euer Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles so streng geordnet ist. Wir können vieles von euch lernen - aber tauschen könnt' ich und möcht ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten! Im Grund des Herzens sind mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden.» «Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Römer!» «Du bist kein Römer! Vergib, mein Freund, es gibt schon lange keine Römer mehr. Sonst wär' ich nicht der Seegraf von Neapolis! So wie du kann nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muß jeder fühlen, der eines lebendigen Volkes ist!» Julius schwieg eine Weile. «Und wenn dem so ist - wohl mir! Heil, wenn ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Völker, was ist der Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo alles anders ist als hier.» «Halt ein, mein Julius», sprach Totila, stehenbleibend, die Lanze auf den Boden stoßend. «Hier laß mich stehn und leben, hier nach Kräften das Schöne genießen, das Gute schaffen nach Kräften. In deinen Himmel kann und will ich dir nicht folgen. Ich ehre deine Träume, ich ehre deine heil'ge Sehnsucht - aber ich teile sie nicht. Du weißt», fügte er lächelnd hinzu, «ich bin ein Heide, unverbesserlich wie meine Valeria - unsere Valeria. Zur rechten Stunde denk' ich ihrer. Deine erdenflücht'gen Träume ließen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt zurückgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Süden, und ich soll noch vor Nacht die bestellten Sämereien in den Garten des Valerius bringen. Ein schlechter Gärtner», lächelte er, «der seiner Blume vergäße. Leb' wohl - ich biege rechts hinab.» «Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.» «Was liesest du jetzt? Noch Platon?» «Nein, Augustinus, Lebe wohl!» Zweiundzwanzigstes Kapitel Rasch eile Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta capuana zu und dem Turm Isaks, des jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Tores, mit starken Mauern und massiv gewölbtem Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren zwei niedre, aber breite Gelasse zur Wohnung des Türmers bestimmt. Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind. In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strengster Ordnung die großen, schweren Schlüssel zu den Haupttüren und den Nebenpforten des wichtigsten Torgebäudes, dann das krumme Wächterhorn und der breite, hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse. Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien, und aufmerksam hörte er den Worten eines jungen, unansehnlichen Mannes, offenbar auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des jüdischen Stammes lag. «Sieh, Vater Isak», schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, «meine Rede ist keine eitle Rede, und meine Worte kommen nicht aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab' ich mit mir gebracht Brief und Urkund für jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien, jährlich fünfzig Goldsoldi und für jedes neue Werk zehn Soldi besonders. Eben erst hab' ich wieder hergestellt die zerfallene Wasserleitung dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sind die zehn Goldstücke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gib mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.» Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam das Haupt. «Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn - ich sage dir, laß ab, laß ab.» «Warum? Was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?» «Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe, und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du gesehen, daß sich Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie passen nicht zusammen! Und nun sieh dorthin und sage mir selbst, ob du passest für Miriam, mein Kind.» Und er schob mit seinem langen Stock sachte den grünwollenen Vorhang zur Seite, der das vordere Gemach abschloß. Leise silberne Töne waren schon herübergeklungen in das Gespräch der Männer: jetzt sah man in den einfachen, aber gefälligen Raum. An dem weiten Rundbogenfenster, das über die herrliche Neapolis, das blaue Meer und die fernen Berge die freieste Aussicht bot, stand ein junges Mädchen, ein fremdartig geformtes Saiteninstrument im Arm. Es war eine Erscheinung von überraschender Schönheit. Glühend rot fiel das Licht der sinkenden Sonne noch in das hochgelegene Gemach und übergoß wie das weiße Faltengewand so das edel geschnittene Profil des Mädchens mit purpurnem Schimmer: es spielte auf dem glänzend schwarzen Haar, das, halb hinter das feine Ohr zurückgestrichen, die edlen Schläfen zeigte. Und wie dieser Sonnenglanz, so schien der Glanz der Poesie die ganze Erscheinung zu umstrahlen, jede ihrer Bewegungen zu begleiten und jeden träumerischen Blick aus diesen dunkelblauen Augen, die, in tiefes Sinnen versunken, über die Stadt und das Meer hinschweiften. «Dunkelmeeresblau» hatte diese Augen Piso, der Dichter, genannt. - Wie im halben Traum berührten die Finger nur leise, leise die Saiten, während von den halbgeöffneten Lippen, geflüstert mehr als gesungen, eine alte, melancholische Weise erklang: «An Wasserflüssen Babylons Saß weinend Judas Stamm: Wann kommt der Tag, da Judas Stamm Nicht mehr zu weinen hat?» «Nicht mehr zu weinen hat!» wiederholte sie träumend und neigte das Haupt auf den Arm, der die Harfe auf der Fensterbrüstung hielt. «Sieh hin», sprach der Alte leise, «ist sie nicht lieblich wie die Rose in den Gärten von Saron und die Hindin auf den Bergen von Hiram, und ist kein Fehl an ihrem Leibe?» Ehe Jochem antworten konnte, scholl dreimal ein leises Klopfen an der schmalen Eisenpforte unten. Miriam fuhr auf aus ihrem Sinnen, strich rasch mit der Hand über die Augen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter. Jochem trat an das Fenster, und sein Gesicht legte sich in grimmige Falten. «Ha, der Christ, der gottverfluchte», knirschte er und ballte die Faust. «Schon wieder der blonde Gote mit dem unbändigen Stolz! Vater Isak, ist das der Edelhirsch, der dir zu deiner Hindin paßt?» - «Sohn, rede nicht Hohnwort wider Isak! Du weißt ja, der Jüngling hat sein Herz gesetzt auf ein Römermädchen, seine Seele denkt nicht an die Perle von Juda.» «Aber vielleicht die Perle von Juda an ihn!» «Mit Dank und Freuden, wie das Lamm denkt des starken Hirten, der es entrissen dem Rachen des Wolfs. Hast du vergessen, wie bei der letzten Jagd, welche die verdammten Römer machten auf die Schätze und Goldhaufen von Israel, und als sie niederbrannten die heil'ge Synagoge mit unheil'gem Feuer, wie da eine Rotte dieser bösen Buben mein armes Kind aufjagte auf der Straße, wie ein Rudel Wölfe das weiße Lamm, und zerrten ihr den Schleier vom Haupt und das Busentuch von den Schultern: wo war da Jochem, meiner Muhme Sohn, der sie begleitete? Entflohen war er vor der Gefahr mit hurtigen Füßen und ließ die Taube in den Krallen der Geier!» «Ich bin ein Mann des Friedens», sagte Jochem unbehaglich, «meine Hand führt nicht das Schwert der Gewalt.» «Aber Totila führt es, wie einst der Löwe Juda, und der Herr ist mit ihm. Allein, wie er des Weges kam, sprang er unter die Schar der frechen Räuber und schlug den frechsten mit der Schärfe des Schwertes und verscheuchte die andern, wie der Turmfalk die Krähen, und hüllte sorglich den Schleier über mein lebendiges Kind und stützte ihren wankenden Schritt und führte sie heim, ungeschädigt, in die Arme ihres alten Vaters. Das lohne ihm Jehova der Herr mit langem Leben und segne alle Schritte seines Pfades.» «Nun, wohl», sagte Jochem, seine Urkunden einsteckend, «ich gehe, diesmal für lange Zeit. Ich reise über das große Wasser, zu machen ein groß Geschäft.» «Ein groß Geschäft? Mit wem?» «Mit Justinianus, dem Kaiser übers Morgenland. Es ist eingestürzt ein Stück der großen Kirche, die er baut der Weisheit des Herrn in der goldnen Stadt des Konstantin. Ich hab' entworfen Plan und saubern Grundriß, wieder aufzubauen das Gebäude.» Heftig sprang der Alte auf und stieß seinen Stab auf den Boden: «Wie, Jochem, Sohn Rachels, dem Römer willst du dienen? Dem Kaiser, dessen Vorfahren die heilige Zion verbrannt und in die Asche gelegt den Tempel des Herrn? Und bauen willst du an einem Haus des Unglaubens, du, der Sohn des frommen Manasse? Wehe, wehe über dich!» «Was rufest du Wehe und weißt nicht warum? Riechst du's dem Goldstück an, ob es kommt aus der Hand des Juden oder des Christen? Wiegt es nicht gleich schwer, und glänzt es nicht gleich lieblich?» «Sohn Manasses, du kannst nicht Gott dienen und dem Mammon.» «Aber du selbst, dienst du nicht den Ungläubigen? Seh' ich nicht das Wächterhorn an der Wand deines Hauses? Führst du nicht die Schlüssel für diese Goten und tust ihnen auf und zu die Pforten für ihren Ausgang und Eingang und hütest die Burg ihrer Stärke?» «Ja, das tu' ich», sagte der Alte stolz, «und wachen will ich für sie treulich, Tag und Nacht, wie der Hund für den Herrn, und solang Isak Odem hat, der Sohn Rubens, soll kein Feind dieses Volkes schreiten durch dies Tor. Denn Dank schulden die Kinder Israels ihnen und ihrem großen König, der weise war wie Salomo, und wie Gideons war sein Schwert! Dank' wie unsre Väter dem großen König Cyrus, der sie befreiet hat aus Babylon. Die Römer haben gebrochen den Tempel des Herrn und zerstreut sein Volk über das Angesicht der Erde. Sie haben uns verspottet und geschlagen und verbrannt unsre heiligen Stätten und geplündert unsre Truhen und verunreinigt unsere Häuser und gezwungen unsere Weiber überall in ihren Landen und haben geschrieben gegen uns manch grausam Gesetz. Da kam dieser große König von Mitternacht, dessen Samen Jehova segne, und hat wieder aufgebaut unsre Synagogen: und wenn sie die Römer niederrissen, mußten sie alles wieder aufrichten mit eigner Hand und eignem Gelde, und er hat beschützt den Frieden unsrer Dächer, und wer einen schädigte aus Israel, der mußte es büßen, wie wer einen Christen gekränkt. Er hat uns gelassen unsern Gott und unsern Glauben und hat beschirmt unsre Schritte auf den Straßen unsres Handels, und wir feierten das Passah in Frieden und Freude, wie nicht mehr seit den Tagen, da der Tempel noch stand auf den Höhen von Zion. Und als ein Großer unter den Römern mir mit Gewalt meine Sarah geraubt, mein Weib, ließ ihm König Theoderich das stolze Haupt abschlagen noch am selben Tage und gab mir wieder mein Weib unversehrt. Und das will ich gedenken, solange meine Tage dauern, und will dienen seinem Volke treu bis zum Tode, und man soll wieder sagen, weit in allen Landen: treu und dankbar wie ein Jude.» «Mögest du nicht Undank ernten von den Goten für deinen Dank», sagte Jochem, sich zum Gehen rüstend: «Mir ist, einmal kommt die Stunde für mich, wieder um Miriam zu werben, zum letztenmal. Vielleicht, Vater Isak, bist du dann minder stolz.» Und er schritt durch Miriams Gemach zur Treppe hinaus, wo er Totila begegnete. Mit einer häßlichen Verbeugung und einem stechenden Blick drückte sich der Kleine an dem schlanken Goten vorbei, der beim Eintritt in die Türmerwohnung sich tief bücken mußte. Miriam folgte ihm auf dem Fuß. «Dort hängen deine Gärtnerkleider», sagte sie, ohne die langen Wimpern aufzuschlagen, «und hier am Fenster hab' ich die Blumen bereitgestellt. Sie liebt die weißen Narzissen, sagtest du neulich. Ich habe weiße Narzissen besorgt. Sie duften lieblich.» Und die melodische Stimme schwieg. «Du bist ein gutes Mädchen, Miriam», sagte Totila, den Helm mit den silberweißen Schwanenflügeln abhebend und auf den Tisch setzend, «wo ist dein Vater?» - «Der Segen des Herrn ruhe auf deinen goldenen Locken», sprach der Alte, in das Gemach tretend. - «Gegrüßt, treuer Isak!» rief Totila, warf den langen, glänzend weißen Mantel ab, der ihm von den Schultern floß, und hüllte sich in einen braunen Überwurf, den ihm Miriam von der Wand reichte. «Ihr guten Leute! Ohne euch und eure verschwiegene Treue wüßte ganz Neapolis um mein Geheimnis. Wie kann ich euch danken!» - «Dank?» sagte Miriam, schlug die dunkelblauen Augen auf und ließ sie leuchtend auf ihm ruhen. «Du hast voraus gedankt für alle Zeit.» «Nein, Miriam», sagte der Gote, den braunen, breitkrempigen Filzhut tief in die Stirne ziehend, «ich mein' es herzlich gut mit euch. Sage, Vater Isak, wer ist der Kleine, den ich schon öfter hier gesehen und eben wieder begegnet? Mir ist, er hat sein Auge auf Miriam geworfen. Sprich offen, wenn es bei ihr nur am Gelde fehlt - ich helfe gern.» - «Es fehlt an der Liebe, Herr, bei ihr», sagte Isak ruhig. - «Da kann ich freilich nicht helfen! Aber wenn sonst ihr Herz gewählt - ich möchte gern etwas tun für meine Miriam.» Und er legte freundlich die Hand auf das glänzende schwarze Haar des Mädchens. Nur leise war die Berührung. Aber wie vom heißen Blitz getroffen fiel Miriam plötzlich auf die Knie: die Arme über dem Busen kreuzend, und das schöne Haupt tief nach vorne beugend: wie eine tauschwere Blume glitt sie zu den Füßen Totilas nieder. Dieser trat bestürzt einen Schritt zurück. Aber im Augenblick war das Mädchen wieder auf: «Verzeih, es war nur eine Rose - sie fiel vor deinen Fuß.» Sie legte die Blume auf den Tisch, und so gefaßt war sie, daß weder ihr Vater noch der Jüngling des Vorfalls weiter achteten. «Es dunkelt schon, eile Herr», sprach sie ruhig und reichte ihm den Korb mit den Blumen. - «Ich gehe. Auch Valeria schuldet dir reichen Dank: ich habe ihr viel von dir erzählt, und sie fragt mich stets nach dir. Sie möchte dich lang schon sehen. Nun, vielleicht geht das bald - heut' ist's wohl das letztemal, daß ich diese Vermummung brauche.» «Willst du sie entführen, die Tochter von Edom?» rief der Alte. «Bring' sie nur hierher! Hier ist sie wohl geborgen.» «Nein», fiel Miriam ein, «nicht hierher, nein, nein!» «Weshalb nicht, du seltsames Kind?» zürnte der Alte. «Das ist kein Raum für seine Braut - dies Gemach - es brächte ihr kein Heil.» - «Beruhigt euch», sagte Totila, schon an der Türe, «offne Werbung soll der Heimlichkeit ein Ende machen. Lebt wohl.» Und er schritt hinaus, Isak nahm den Speer, das Horn und einige Schlüssel von der Wand; er folgte, ihm zu öffnen und die Abendrunde längs allen Pforten des großen Torbaues zu machen. Miriam blieb oben allein. Lange Zeit stand sie unbeweglich mit geschlossenen Augen an derselben Stelle. Endlich strich sie mit beiden Händen über Schläfe und Wangen und schlug die Augen auf. Still war's im Gemach; durch das offene Fenster glitt der erste Strahl des Mondlichts. Er fiel silbern auf Totilas hellen Mantel, der in langen Falten über dem Stuhl hing. Rasch flog Miriam auf den weißen Schimmer zu und bedeckte den Saum des Mantels mit heißen Küssen. Dann ergriff sie den blinkenden Schwanenhelm, der neben ihr auf dem Tische stand, sie umfaßte ihn mit beiden Armen und drückte ihn zärtlich an die Brust. Dann hielt sie ihn eine Weile träumend vor sich hin: endlich - sie konnte nicht wiederstehen - hob sie ihn rasch auf und setzte ihn auf das schöne Haupt: sie zuckte, als die Wölbung ihre Stirn berührte, dann strich sie die schwarzen Flechten aus den Schläfen und drückte einen Augenblick den harten, kalten Stahl fest mit beiden Händen an die glühende Stirn. Dann hob sie ihn wieder ab und legte ihn, scheu umblickend, auf seinen frühern Ort zu dem Mantel. Darauf trat sie ans Fenster und sah hinaus in die duftige Nacht und das zauberische Mondlicht. Ihre Lippen regten sich wie im Gebet: aber die Worte des Gebets klangen aus in der alten Weise: «An Wasserflüssen Babylons Saß weinend Judas Stamm: Wann kommt der Tag, der all dein Leid, Du Tochter Zions, stillt?» Dreiundzwanzigstes Kapitel Indessen Miriam schweigend aufsah zu den ersten Sternen, hatte Totilas rascher, sehnsuchtsbeflügelter Schritt alsbald die Villa des reichen Purpurhändlers, die etwa eine Stunde vor dem capuanischen Tor gelegen war, erreicht. Der Türstehersklave wies ihn an den alten Hortularius, den Freigelassenen Valerias, dem die Sorge für die Gärten überlassen war. Dieser, der Vertraute der Liebenden, nahm dem Gärtnerburschen die Blumen und Sämereien ab, die er angeblich von dem ersten Blumenhändler von Neapolis brachte, und geleitete ihn in sein gewöhnliches Schlafgemach im Erdgeschoß, dessen niedrige Fenster in den Garten führten: am anderen Morgen noch vor Aufgang der Sonne - so wollte es die Geheimlehre der antiken Gärtnerei - müßten die Blumen eingesetzt werden, auf daß das erste Sonnenlicht, das sie in dem neuen Boden träfe, das segenbringende der Morgensonne sei. - Ungeduldig erwartete der junge Gote in dem engen Gemach bei einem Kruge Weines die Stunde, da sich Valeria von ihrem Vater nach dem gemeinsamen Nachtmahl verabschieden konnte. Immer wieder sah er zum Himmel auf, an dem Auftauchen der Sterne und dem Gang des Mondes den Fortschritt der Nacht zu ermessen. Er schlug den Vorhang zurück, der die Fensteröffnung schloß; stille war's in dem weiten Garten. In der Ferne plätscherte nur leise der Springbrunnen, und Zikaden zirpten in den Myrtengebüschen: der warme, üppige Südwind strich in schwülem Hauch durch die Nacht, stoßweise ganze Wolken von Wohlgerüchen aus Rosenbäumen auf seinen Fittichen mit sich führend, und weithin aus dem Pinienwäldchen am Ende des Gartens drang lockend und sinnaufregend der tiefgezogene, heiße Schlag der Nachtigall. Endlich hielt sich Totila nicht länger. Geräuschlos schwang er sich über die Marmorbrüstung des Fensters: kaum knisterte unter seinen raschen Schritten der weiße Sand der schmalen Wege, wie er, den Strom des Mondlichts meidend, unter dem Schatten der Gebüsche dahineilte. Vorüber an den dunklen Taxusgängen und den Lauben von Oliven, vorüber an der hohen Statue der Flora, deren weißer Marmor geisterhaft im Mondlicht schimmerte, vorüber an dem weiten Becken, wo sechs Delphine den Wasserstrahl hoch aus den Nüstern bliesen, rasch eingebogen in den dicht verwachsenen Laubweg von Lorbeer und Tamarinden, und nun, noch ein Oleandergebüsch durchdringend, stand er vor der Grotte aus Tropfstein, in der die Quellnymphe über einer dunklen, großen Urne lehnte. Wie er eintrat, glitt eine weiße Gestalt hinter der Statue hervor. «Valeria, meine schöne Rose!» rief Totila und umschlang glühend die Geliebte, die leise seinem Ungestüm wehrte. «Laß, laß ab, mein Geliebter», flüsterte sie, sich seinem Arm entziehend. «Nein, du Süße, ich will nicht von dir lassen. Wie lang, wie schmerzlich hab' ich dein entbehrt! Hörst du, wie lockend und wirbelnd die Nachtigall ruft, fühlst du, wie der warme Hauch der Sommernacht, der berauschende Duft des Geißblattes Liebe atmet? Sie alle mahnen und bedeuten, wir sollen glücklich sein! Oh, laß sie uns festhalten, diese goldnen Stunden. Meine Seele ist nicht weit genug, all ihr Glück zu fassen: all deine Schönheit, all unsre Jugend und diese glühende, blühende Sommernacht; in mächtigen Wogen rauscht das volle Leben durch das Herz und will's vor Wonne sprengen.» «O mein Freund! Gern möcht' ich, wie du, aufgehn im Glücke dieser Stunden. Ich kann es nicht. Ich traue nicht diesem berauschenden Duft, der üppigen Schwüle dieser Sommernächte: sie dauert nicht: sie brütet Unheil: ich kann nicht glauben an das Glück unsrer Liebe.» «Du liebe Törin, warum nicht?» «Ich weiß es nicht: der unselige Zwiespalt, der all mein Leben scheidet, übt seinen Fluch auch hier. Gern möchte mein Herz sich trunken, wie du, diesem Glücke hingeben. Aber eine Stimme in mir warnt und mahnt: es dauert nicht - du sollst nicht glücklich sein.» «So bist du nicht glücklich in meinen Armen?» «Ja und nein! Das Gefühl des Unrechts, der Schuld gegen meinen edlen Vater lastet auf mir. Sieh, Totila, was mich zumeist an dir beglückt, ist nicht diese deine jugendschöne Kraft, selbst deine große Liebe nicht. Es ist der Stolz meines Herzens auf deine Seele, auf deine offene, lichte, edle Seele. Ich habe mich gewöhnt, dich klar und hell wie einen Gott des Lichts durch diese dunkle Welt schreiten zu sehen: der edle Mut siegessichrer Kraft, der Schwung, die freudige Wahrhaftigkeit deines Wesens ist mein Stolz: daß alles Kleine, Dumpfe, Gemeine versinken muß, wo du nahest, das ist mein Glück. Ich liebe dich wie eine Sterbliche den Sonnengott, der ihr in Fülle seines Lichts genaht. Und deshalb kann ich an dir nichts Heimliches, Verstecktes dulden. Auch die Wonnen dieser Stunden nicht - sie sind erlistet, und es kann nicht länger also sein.» «Nein, Valeria, und es soll auch nicht. Ich fühle ganz wie du. Auch mir ist die Lüge dieser Mummerei verhaßt, ich trage sie nicht länger. Ich bin gekommen, ihr ein Ende zu machen. Morgen, morgen werf' ich diese Täuschung ab und spreche zu deinem Vater offen und frei.» - «Dieser Entschluß ist der beste, denn» - «Denn er rettet dein Leben, Jüngling!» unterbrach plötzlich eine tiefe Stimme, und aus dem dunklen Hintergrund der Grotte trat ein Mann und stieß das blanke Schwert in die Scheide. «Mein Vater!» rief Valeria überrascht, doch in mutiger Fassung. Totila schlang seinen Arm um sie, sein Kleinod zu verteidigen. «Hinweg, Valeria, fort von dem Barbaren!» sprach Valerius, befehlend den Arm ausstreckend. «Nein, Valerius», sagte Totila, die Geliebte fester an sich drückend, «ihr Platz ist forthin an dieser Brust.» «Verwegner Gote!» «Höre mich, Valerius, und zürne uns nicht um dieser Täuschung willen. Du hast es selbst gehört, schon morgen sollte sie enden.» «Zu deinem Glück hab' ich's gehört. Gewarnt von dem ältesten meiner Freunde, wollt' ich doch kaum glauben, daß meine Tochter - mich hintergeht. Als ich's glauben mußte, beschloß ich, daß dein Blut deine List bezahlen sollte. Dein Entschluß hat dein Leben gerettet. Jetzt aber flieh: du siehst ihr Antlitz niemals wieder.» - Totila wollte heftig erwidern, aber Valeria kam ihm zuvor: «Vater», sprach sie ruhig, zwischen die Männer tretend, «höre dein Kind. Ich will meine Liebe nicht entschuldigen, sie bedarf es nicht, sie ist göttlich und notwendig wie die Sterne: die Liebe zu diesem Mann ist das Leben meines Lebens. Du kennst meine Seele: Wahrheit ist ihr Äther, und ich sage dir, bei meiner Seele: nie werd' ich lassen von diesem Mann!» -«Und niemals ich von ihr», rief Totila und ergriff ihre Rechte. Hochaufgerichtet stand das junge Paar, vom Licht des Mondes voll beleuchtet, vor dem Alten: ihre edlen Züge und Gestalten trugen im Augenblick die Weihe heiliger Begeisterung: und so schön war die Gruppe, daß ein rührendes, erweichendes Gefühl davon sich unwillkürlich dem zürnenden Vater aufdrängte. «Valeria, mein Kind!» «O mein Vater! Du hast mit einer Liebe und Treue all meine Schritte geleitet, daß ich bisher die Mutter, die verlorene, zwar beklagte, aber kaum vermißte. Jetzt, in dieser Stunde, vermiß' ich sie zum erstenmal: jetzt, ich fühl' es, bedürfte ich ihrer Fürsprache. O so laß ihr Andenken wenigstens für mich sprechen. Laß mich dir ihr Bild vor die Seele führen und dich an den Augenblick erinnern, da dich die Sterbende zum letztenmal an ihr Lager rief und dir, wie du mir oft gesagt, mein Glück auf die Seele band als heiligstes Vermächtnis.» - Valerius drückte die linke Hand vor die Stirn; seine Tochter wagte die andre zu fassen, er entzog sie ihr nicht, offenbar rang es gewaltig in des Alten Brust. Endlich sprach er: «Valeria, du hast ein mächtig Wort gesprochen, ohne es zu wissen. Es wäre unrecht, dir zu verschweigen, was du ahnungsvoll berührt. Erfahre, was deine Mutter in jener Sterbestunde mir auferlegt. Noch immer drückte ihre Seele jenes Gelübde, das wir doch lange abgelöst. . Vielleicht ist es nicht meine Schuld: du hast von jeher die Goten verachtet, diese Barbaren gering geschätzt: das waren die ersten Eindrücke: sie sind geblieben. Und ich hasse diese Krone, dieses Gotenreich: es hat in deiner Brust dem Vater, dem Bruder, mir den Platz fortgenommen. Diese Gotenkrone, nichts ist sie mir von je gewesen und geblieben als eine verhaßte, feindliche Macht.» «O mein Kind, weh mir, wenn ich das verschuldet hätte! Und tust du's nicht um des Reiches, o tu's um meinetwillen. Ich bin so gut wie verloren ohne die Wölsungen. Tu's um meiner Liebe willen.» Und sie faßte ihre Hand. Mataswintha entzog sie mit bittrem Lächeln: «Mutter, entweihe den höchsten Namen nicht. Deine Liebe! Du hast mich nie geliebt. Nicht mich, nicht den Bruder, nicht den Vater.» «Mein Kind! Was hätt' ich geliebt, wenn nicht euch!» «Die Krone, Mutter, und diese verhaßte Herrschaft. Wie oft hast du mich von dir gestoßen vor Athalarichs Geburt, weil ich ein Mädchen war und du einen Thronerben wolltest. Denke an meines Vaters Grab und an -» «Laß ab», winkte Amalaswintha. «Und Athalarich? Hast du ihn geliebt, oder vielmehr sein Recht auf den Thron? O wie oft haben wir armen Kinder geweint, wenn wir die Mutter suchten und die Königin fanden.» «Du hast mir nie geklagt. Erst jetzt, da du mir Opfer bringen sollst.» «Mutter, es gilt ja auch jetzt nicht dir, nur deiner Krone, deiner Herrschaft. Leg' diese Krone ab, und du bist aller Sorgen frei. Die Krone hat dir und uns allen kein Glück, nur Schmerzen gebracht. Nicht du bist bedroht: dir wollt' ich alles opfern - nur dein Thron, nur der goldne Reif des Gotenreichs, der Götze deines Herzens, der Fluch meines Lebens: nie werd' ich dieser Krone meine Liebe opfern, nie, nie, nie!» Und sie kreuzte die weißen Arme über ihrer Brust, als wollte sie die Liebe darin beschirmen. «Ah», sagte die Königin zürnend, «selbstisches, herzloses Kind! Du gestehst, daß du kein Herz hast für dein Volk, für die Krone deiner großen Ahnen - du gehorchst nicht freiwillig der Stimme der Ehre, des Ruhmes deines Hauses - wohlan, so gehorche dem Zwang. Du sprichst mir die Liebe ab, so erfahre meine Strenge. Zur Stunde verläßt du mit deinem Gefolge Ravenna. Du gehst als Gast nach Florentia in das Haus des Herzogs Gunthari: seine Gattin hat dich geladen. Graf Arahad wird deine Reise begleiten. Verlaß mich. Die Zeit wird dich beugen.» «Mich?» sprach Mataswintha, sich hoch aufrichtend: «keine Ewigkeit!» Schweigend blickte ihr die Königin nach. Die Anklagen der Tochter hatten einen mächtigeren Eindruck auf sie gemacht, als sie zeigen wollte. «Herrschsucht?» sagte sie zu sich selbst. «Nein, das ist es nicht, was mich erfüllt. Ich fühlte, daß ich dies Reich schirmen und beglücken konnte, darum liebte ich die Krone. Und gewiß, ich könnte, wie mein Leben, so meine Krone opfern, verlangte es das Heil meines Volkes. Könntest du das, Amalaswintha?» fragte sie sich, zweifelnd die Linke auf die Brust legend. Sie ward aus ihrem Sinnen geweckt durch Cassiodor, der langsam und gesenkten Hauptes eintrat. «Nun», rief Amalaswintha, erschreckt von dem Ausdruck seiner Züge, «bringst du ein Unglück?» «Nein, nur eine Frage.» «Welche Frage?» «Königin», hob der Alte feierlich an, «ich habe deinem Vater und dir dreißig Jahre lang gedient, treu und eifrig, ein Römer den Barbaren, weil ich eure Tugenden ehrte, und weil ich glaubte, Italien, der Freiheit nicht mehr fähig, sei unter eurer Herrschaft am sichersten geborgen: denn eure Herrschaft war gerecht und mild. Ich habe fort gedient, obwohl ich meiner Freunde Boethius und Symmachus Blut fließen sah, wie ich glaube, unschuldig Blut: aber sie starben durch offenes Gericht, nicht durch Mord. Ich mußte deinen Vater ehren, auch wo ich ihn nicht loben konnte. Jetzt aber -» «Nun, jetzt aber?» fragte die Königin stolz. «Jetzt komme ich, von meiner vieljährigen Freundin, ich darf sagen, meiner Schülerin -» «Du darfst es sagen», sprach Amalaswintha weicher. «Von des großen Theoderich edler Tochter ein einfach schlichtes Wort, ein Ja zu erbitten. Kannst du dies Ja sprechen -ich flehe zu Gott, daß du es könntest -, so will ich dir dienen treu wie je, solang es dieses greise Haupt vermag.» «Und kann ich's nicht?» «Und könntest du es nicht, o Königin», rief der Alte schmerzlich, «oh, dann Lebewohl dir und meiner letzten Freude an dieser Welt.» «Und was hast du zu fragen?» «Amalaswintha, du weißt, ich war fern an der Nordgrenze des Reichs, als hier Aufstand losbrach, als jene furchtbare Kunde, jene furchtbare Anklage sich erhob. Ich glaubte nichts - ich flog hierher - von Tridentum. Seit zwei Tagen bin ich hier, und keine Stunde vergeht, keinen Goten spreche ich, ohne daß die schwere Klage mir schwerer aufs Herz fällt. Und auch du bist verwandelt, ungleich, unstet, unruhig - und doch will ich's nicht glauben. - Ein treues Wort von dir soll all diese Nebel zerstreuen.» «Wozu die vielen Reden», rief sie, auf die Armlehne des Thrones sich stützend, «sage kurz, was hast du zu fragen?» «Sprich nur ein schlichtes Ja: bist du schuldlos an dem Tod der drei Herzoge?» «Und wenn ich es nicht wäre - haben sie nicht reichlich den Tod verdient?» «Amalaswintha, ich bitte dich: sage ja.» «Du nimmst ja auf einmal großen Anteil an den gotischen Rebellen!» «Ich beschwöre dich», rief der Greis, auf die Knie fallend, «Tochter Theoderichs, sage ja, wenn du kannst.» «Steh auf», sprach sie finster sich abwendend, «du hast kein Recht, so zu fragen.» «Nein», sagte der Alte, ruhig aufstehend, «nein, jetzt nicht mehr. Denn von diesem Augenblick an gehör' ich der Welt nic ht mehr an.» «Cassiodor!» rief die Königin erschrocken. «Hier ist der Schlüssel zu meinen Gemächern in dieser Königsburg: du findest darin alle Geschenke, die ich von dir und Theoderich erhalten, die Urkunden meiner Würden, die Abzeichen meiner Ämter. Ich gehe.» «Wohin, mein alter Freund, wohin?» «In das Kloster, das ich gegründet zu Squillacium in Apulien. Fortan werd' ich, fern von den Werken der Könige, nur die Werke Gottes auf Erden verwalten: längst verlangt meine Seele nach Frieden, und jetzt hab' ich auf Erden nichts mehr, was mir teuer. Noch einen Rat will ich dir scheidend geben: lege das Zepter aus der blutbefleckten Hand: sie kann diesem Reiche nicht mehr Segen, nur Fluch kann sie ihm bringen. Denke an das Heil deiner Seele, Tochter Theoderichs: Gott sei dir gnädig.» Und ehe sie sich von ihrer Bestürzung erholt, war er verschwunden. Sie wollte ihm nacheilen, ihn zurückrufen, aber an dem Vorhang trat ihr Petros, der Gesandte von Byzanz, entgegen. «Königin», sagte er rasch und leise, «bleib' und höre mich. Es gilt ein dringendes Wort. Man folgt mir auf dem Fuß.» «Wer folgt dir?» «Leute, die es nicht so gut meinen mit dir als ich. Täusche dich nicht länger: die Geschicke dieses Reiches erfüllen sich: du hältst sie nicht mehr auf, so rette für dich, was zu retten ist: ich wiederhole meinen Vorschlag.» «Welchen Vorschlag?» «Den von gestern.» «Den der Schande, des Verrats! Niemals! Ich werde diese Beleidigung deinem Herrn, dem Kaiser, melden und ihn bitten, dich abzurufen. Mit dir verhandle ich nicht mehr.» «Königin, es ist nicht mehr Zeit, dich zu schonen. Der nächste Gesandte Justinians heißt Belisar und kommt mit einem Heere.» «Unmöglich!» rief die verlassene Fürstin. «Ich nehme meine Bitte zurück.» «Zu spät. Belisars Flotte liegt schon bei Sizilien. Den Vorschlag, den ich dir gestern als meinen Gedanken mitteilte, hast du als solchen verworfen. Vernimm: nicht ich, der Kaiser Justinian selbst ist es, der ihn ausspricht als letztes Zeichen seiner Huld.» «Justinian, mein Freund, mein Schützer, will mich und mein Reich verderben!» rief Amalaswintha, der es schrecklich tagte. «Nicht dich verderben, dich erretten! Wiedergewinnen will er dies Italien, die Wiege des römischen Reichs: dieser unnatürliche, unmögliche Staat der Goten, er ist gerichtet und verloren. Trenne dich von dem sinkenden Fahrzeug. Justinian reicht dir die Freundeshand, die Kaiserin bietet dir ein Asyl an ihrem Herzen, wenn du Neapolis, Rom, Ravenna und alle Festungen in Belisars Hände lieferst und geschehen läßt, daß die Goten entwaffnet über die Alpen geführt werden.» «Elender, soll ich mein Volk verraten, wie ihr mich? Zu spät erkenne ich eure Tücke! Eure Hilfe rief ich an, und ihr wollt mich verderben.» «Nicht dich, nur die Barbaren.» «Diese Barbaren sind mein Volk, sind meine einzigen Freunde: ich erkenne es jetzt, und ich stehe zu ihnen in Tod und Leben.» «Aber sie stehn nicht mehr zu dir.» «Verwegner! Fort aus meinen Augen, fort von meinem Hof.» «Du willst nicht hören? Merke wohl, o Königin, nur unter jener Bedingung bürg' ich für dein Leben.» «Für mein Leben bürgt mein Volk in Waffen.» «Schwerlich. Zum letztenmal frag' ich dich» «Schweig. Ich liefere die Krone nicht ohne Kampf an Justinian.» «Wohlan», sagte Petros zu sich selbst, «so muß es ein andrer tun. - Tretet ein, ihr Freunde», rief er hinaus. - Aber aus dem Vorhang trat langsam mit gekreuzten Armen Cethegus. «Wo ist Gothelindis? Wo Theodahad?» flüsterte Petros. Seine Bestürzung entging der Fürstin nicht. «Ich ließ sie vor dem Palast. Die beiden Weiber hassen sich zu grimmig. Ihre Leidenschaft würde alles verderben.» «Du bist mein guter Engel nicht, Präfekt von Rom», sprach Amalaswintha finster und von ihm zurückweichend. «Diesmal vielleicht doch», flüsterte Cethegus, auf sie zuschreitend. «Du hast die Vorschläge von Byzanz verworfen? Das erwartete ich von dir. Entlaß den falschen Griechen.» Auf einen Wink der Königin trat Petros in ein Seitengemach. «Was bringst du mir, Cethegus! Ich traue dir nicht mehr!» «Du hast, statt mir zu trauen, dem Kaiser vertraut, und du siehst den Erfolg.» «Ich sehe ihn», sagte sie schmerzlich. «Königin, ich habe dich nie belogen und getäuscht darin: ich liebe Italien und Rom mehr als deine Goten: Du wirst dich erinnern, ich habe dir dies niemals verhehlt.» «Ich weiß es und kann es nicht tadeln.» «Am liebsten säh' ich Italien frei. Muß es dienen, so dien' es nicht dem tyrannischen Byzanz, sondern euch, der milden Hand der Goten. Das war von je mein Gedanke, das ist er noch heute. Um Byzanz abzuhalten, will ich dein Reich erhalten: aber offen sag' ich dir, du, deine Herrschaft läßt sich nicht mehr stützen. Rufst du zum Kampfe gegen Byzanz, so werden dir die Goten nicht mehr folgen, die Italier nicht vertrauen.» «Und warum nicht? Was trennt mich von den Italiern und von meinem Volk?» «Deine eignen Taten. Zwei unselige Dokumente, in der Hand des Kaisers Justinian. Du selbst hast zuerst seine Waffen ins Land gerufen, eine Leibwache von Byzanz!» Amalaswintha erbleichte: «Du weißt -» «Leider nicht nur ich, sondern meine Freunde, die Verschworenen in den Katakomben: Petros hat ihnen den Brief mitgeteilt: sie fluchen dir.» «So bleiben mir meine Goten.» «Nicht mehr. Nicht bloß der ganze Anhang der Balten steht dir nach dem Leben: - die Verschworenen von Rom haben im Zorn über dich beschlossen, sowie der Kampf entbrannt, aller Welt kundzutun, daß dein Name an ihrer Spitze stand gegen die Goten, gegen dein Volk. Jenes Blatt mit deinem Namen ist nicht mehr in meiner Hand, es liegt im Archiv der Verschwörung.» «Ungetreuer!» «Wie konnte ich wissen, daß du hinter meinem Rücken mit Byzanz verkehrst und dadurch meine Freunde dir verfeindest? Du siehst: Byzanz, Goten, Italier, alles steht gegen dich. Beginnt nun der Kampf gegen Byzanz unter deiner Führung, so wird Uneinigkeit Italier und Barbaren spalten, niemand dir gehorchen, und dies Reich hilflos vor Belisar erliegen. Amalaswintha, es gilt ein Opfer: ich fordere es von dir im Namen Italiens, deines und meines Volkes.» «Welches Opfer? Ich bringe jedes.» «Das höchste: deine Krone. Übergib sie einem Mann, der Goten und Italier gegen Byzanz zu vereinen vermag, und rette dein Volk und meines.» Amalaswintha sah ihn forschend an: es kämpfte und rang in ihrer Brust: «Meine Krone! Sie war mir sehr teuer.» «Ich habe Amalaswinthen stets jedes höchsten Opfers fähig gehalten.» «Darf ich, kann ich deinem Rate trauen!» «Wenn der dir süß wäre, dürftest du zweifeln. Wenn ich deinem Stolze schmeichelte, dürftest du mißtrauen: aber ich rate dir die bittre Arznei der Entsagung. Ich wende mich an deinen Edelsinn, an deinen Opfermut: laß mich nicht zuschanden werden.» «Dein letzter Rat war ein Verbrechen», sagte Amalaswintha schaudernd. «Ich hielt deinen Thron durch jedes Mittel, solang er zu halten war, solang er Italien nützte: jetzt schadet er Italien, und ich verlange, daß du dein Volk mehr liebst als dein Zepter.» «Bei Gott! Du irrst darin nicht: für mein Volk hab' ich mich nicht gescheut, fremdes Leben zu opfern» - sie verweilte gern bei diesem Gedanken, der ihr Gewissen beschwichtigte -, «ich werde mich nicht weigern, jetzt - aber wer soll mein Nachfolger werden?» «Dein Erbe, dem die Krone gebührt, der letzte Amaler.» «Wie? Theodahad, der Schwächling?» «Er ist kein Held, das ist wahr. Aber die Helden werden ihm gehorchen, dem Neffen Theoderichs, wenn du ihn einsetzest. Und bedenke noch eins: seine römische Bildung hat ihm die Römer gewonnen: ihm werden sie beistehen: einen König nach des alten Hildebrand, nach Tejas Herzen würden sie hassen und fürchten.» «Und mit Recht», sagte die Regentin sinnend: «aber Gothelindis Königin!» Da trat Cethegus ihr näher und sah ihr scharf ins Auge: «So klein ist Amalaswintha nicht, daß sie kläglicher Weiberfeindlichkeit gedenkt, wo es edler Entschlüsse bedarf. Du erschienst mir von jeher größer als dein Geschlecht. Beweis es jetzt. Entscheide dich!» «Nicht jetzt», sprach Amalaswintha, «meine Stirne glüht, und verwirrend pocht mein Herz. Laß mir diese Nacht, mich zu fassen. Du hast mir Entsagung zugetraut: ich danke dir. Morgen die Entscheidung.» 4. Buch Theodahad "Nachbarn zu haben schien Theodahad eine Art von Unglück." (Prokop, Gotenkrieg I.) Erstes Kapitel Am andern Morgen verkündete ein Manifest dem staunenden Ravenna, daß die Tochter Theoderichs zugunsten ihres Vetters Theodahad auf die Krone verzichtet und daß dieser, der letzte Mannessproß der Amelungen, den Thron bestiegen habe. Italier und Goten wurden aufgefordert, dem neuen Herrscher den Eid zu schwören. So hatte Cethegus richtig gerechnet. Das Gewissen der unseligen Frau fühlte sich durch manche Torheit, ja durch blut'ge Schuld schwer belastet. Edle Naturen suchen Erleichterung und Buße in Opfer und Entsagung: durch ihrer Tochter und Cassiodors Anklagen war ihr Herz mächtig bewegt worden, und der Präfekt hatte sie in günstiger Stimmung für seinen Rat gefunden. Weil er so bitter war, befolgte sie ihn: ja sie hatte, um ihr Volk zu retten und ihre Schuld zu sühnen, sich noch weitere Demütigungen vorgesteckt. Ohne Schwierigkeit vollzog sich der Thronwechsel. Die Italier zu Ravenna waren zu einer Erhebung keineswegs vorbereitet und wurden von Cethegus auf gelegenere Zeit vertröstet. Auch war der neue König als Freund römischer Bildung bei ihnen bekannt und beliebt. Die Goten freilich schienen sich nicht ohne weiteres den Tausch gefallen lassen zu wollen. Fürst Theodahad war allerdings ein Mann - das empfahl ihn gegenüber Amalaswinthen - und ein Amaler: das wog schwer zu seinen Gunsten gegenüber jedem andern Bewerber um die Krone. Aber im übrigen war er im Volke der Goten keineswegs hoch angesehen. Unkriegerisch und feige, verweichlicht an Leib und Seele hatte er keine Eigenschaften, welche die Germanen von ihren Königen forderten. Nur eine Leidenschaft erfüllte seine Seele: Habsucht, unersättliche Goldgier. Reich begütert in Tuscien lebte er mit allen seinen Nachbarn in ewigen Prozessen: mit List und Gewalt und dem Schwergewicht seiner königlichen Geburt wußte er seinen Grundbesitz nach allen Seiten auszudehnen und die Ländereien weit in der Runde an sich zu reißen: «Denn» sagt ein Zeitgenosse - «Nachbarn zu haben schien dem Theodahad eine Art von Unglück.» Dabei war seine schwache Seele vollständig abhängig von der bösartigen, aber kräftigen Natur seines Weibes. Einen solchen König sahen denn die Tüchtigsten unter den Goten nicht gern auf dem Throne Theoderichs. Und kaum war das Manifest Amalaswinthens bekanntgeworden, als Graf Teja, der kurz zuvor mit Hildebad in Ravenna angekommen war, diesen sowie den alten Waffenmeister und den Grafen Witichis zu sich beschied und sie aufforderte, die Unzufriedenheit des Volkes zu steigern, zu leiten und einen Würdigern an Theodahads Stelle zu setzen. «Ihr wißt», schloß er seine Worte, «wie günstig die Stimmung im Volke. Seit jener Bundesnacht im Mercuriustempel haben wir unablässig geschürt unter den Goten, und Großes ist schon gelungen: des edeln Athalarich Aufschwung, der Sieg am Epiphaniasfeste, das Zurückholen Amalaswinthens, wir haben es bewirkt. Jetzt winkt die günstige Gelegenheit. Soll an des Weibes Stelle treten ein Mann, der schwächer als ein Weib? Haben wir keinen Würdigern mehr als Theodahad im Volk der Goten?» «Recht hat er, beim Donner und Strahl», rief Hildebad. «Fort mit diesen verwelkten Amalern! Einen Heldenkönig hebt auf den Schild und schlagt los nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!» «Nein», sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, «noch nicht! Vielleicht, daß es noch einmal so kommen muß: aber nicht früher darf es geschehen, als es muß. Der Anhang der Amaler ist groß im Volk: nur mit Gewalt würde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich entwinden lassen. Sie würden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch zum Kampf. Kampf aber unter den Söhnen eines Volkes ist schrecklich, nur die Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag sich bewähren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich unfähig erwiesen, so ist's noch immer Zeit.» «Wer weiß, ob dann noch Zeit ist», warnte Teja. «Was rätst du, Alter?» fragte Hildebad, auf welchen die Gründe des Grafen Witichis nicht ohne Wirkung blieben. «Brüder», sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, «ihr habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden. Die alten Gefolgen des großen Königs haben einen Eid getan, solang sein Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden.» «Welch törichter Eid!» rief Hildebad. «Ich bin alt und nenn' ihn nicht töricht. Ich weiß, welcher Segen auf der festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Söhne der Götter», schloß er geheimnisvoll. «Ein schöner Göttersohn, Theodahad!» lachte Hildebad. «Schweig», rief zornig der Alte, «das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem kläglichen Verstand. Das Rätsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute liegt - dafür habt ihr den Sinn verloren. Darum schweig' ich von solchen Dingen zu euch. Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Tut ihr, was ihr wollt, ich tue, was ich muß.» «Nun», sprach Graf Teja nachgebend, «auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn dieser letzte Amaler dahin... » - «Dann ist das Gefolge seines Schwures frei.» «Vielleicht», schloß Witichis, «ist es ein Glück, daß auch uns dein Eid die Wahl erspart: denn gewiß wollen wir keinen Herrscher, den du nicht anerkennen könntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen, und tragen wir diesen König solang er zu tragen ist.» «Aber keine Stunde länger», sagte Teja und ging zürnend hinaus. Zweites Kapitel Am nämlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten Krone der Gotenkönige gekrönt. Ein reiches Festmahl, besucht von allen römischen und gotischen Großen des Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas Liebe kennengelernt. Bis tief in die Nacht währte das lärmende Gelage. Der neue König, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte sich frühe zurückgezogen. Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr für die lauten Jubelrufe, die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei nur eine Freude: den Gedanken, daß dieser Jubel hinunterdringen müsse bis in die Königsgruft, wo Amalaswintha, die verhaßte, besiegte Feindin, am Sarkophage ihres Sohnes trauerte. Unter der Menge von jenen Gästen, die immer fröhlich sind, wenn sie bei vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu bemerken: mancher Römer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den Kaiser gesehen hätte: so mancher Gote, der in der gefährlichen Lage des Reiches einem König wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte. Zu letzteren zählte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem kranzgeschmückten Säulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberührt stand die goldne Schale vor ihm, und auf den lauten Zuruf Hildebads, der ihm gegenüber saß, achtete er kaum. Endlich - schon leuchteten längst im Saale die Lampen und am Himmel die Sterne - stand er auf und ging hinaus in das grüne Dunkel des Gartens. Langsam wandelte er durch die Taxusgänge dahin: sein Auge hing an den funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So führte ihn sein sinnendes Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah hinaus nach der flimmernden See - da blitzte etwas dicht vor seinen Füßen im schwachen Mondlicht: es war eine Rüstung, daneben die kleine, gotische Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase, und ein bleiches Antlitz hob sich ihm entgegen. «Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest.» «Nein, ich war bei den Toten.» «Auch mein Herz weiß nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und Kind», sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend. «Bei Weib und Kind», wiederholte Teja seufzend. «Viele fragten nach dir, Teja.» «Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?» «Dein Erbe nahm?» «Wenigstens besitzt er's. Und über den Ort, wo meine Wiege stand, ging seine Pflugschar.» Und schweigend sah er lange vor sich hin. «Dein Harfenspiel - es schweigt? Man rühmt dich unsres Volkes besten Harfenschläger und Sänger!» «Wie Gelimer, der letzte König der Vandalen, seines Volkes bester Harfenschläger war. Aber mich würden sie nicht im Triumph einführen nach Byzanz!» «Du singst nicht oft mehr?» «Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen werde.» «Tage der Freude?» «Tage der höchsten, der letzten Trauer.» Lange schwiegen beide. «Mein Teja», hob endlich Witichis an, «in allen Nöten von Krieg und Frieden hab' ich dich gefunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du soviel jünger als ich und nicht leicht der Ältere sich dem Jüngling verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiß, daß auch dein Herz mehr an mir hängt als an deinen Jugendgenossen.» Teja drückte ihm die Hand: «Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch wo du sie nicht verstehst. Die andern - und doch: den einen hab' ich sehr lieb.» «Wen?» «Den alle lieb haben.» «Totila!» «Ich hab' ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er kann's nicht fassen, daß andre dunkel sind und bleiben müssen.» «Bleiben müssen! Warum? Du weißt, Neugier ist meine Sache nicht. Und wenn ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: lüfte den Schleier, der über dir und deiner finstern Trauer liegt, so bitt' ich's nur, weil ich dir helfen möchte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene.» «Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Rädergang des Schicksals verspürt hat, wie es, blind und taub für das Zarte und Hohe, mit eherner, grundloser Gewalt alles vor sich niedertritt, ja, wie es das Edle, weil es zart ist, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Notwendigkeit, welche Toren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menschen beherrscht, der ist hinaus über Hilfe und Trost: er hört ewig, wenn er es einmal erlauscht, mit dem leisen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen Taktschlag des fühllosen Rades im Mittelpunkt der Welt, das gleichgültig mit jeder Bewegung Leben zeugt und Leben tötet. Wer das einmal empfunden und erlebt, der entsagt einmal und für immer und allem: nichts wird ihn mehr erschrecken. Aber freilich - die Kunst des Lächelns hat er auch vergessen auf immerdar.» «Mir schaudert. Gott bewahre mich vor solchem Wahn! Wie kamst du so jung zu so fürchterlicher Weisheit?» «Freund, mit deinen Gedanken allein ergrübelst du die Wahrheit nicht, erleben mußt du sie. Und nur, wenn du des Mannes Leben kennst, begreifst du, was er denkt und wie er denkt. Und auf daß ich dir nicht länger erscheine wie ein irrer Träumer, wie ein Weichling, der sich gern in seinen Schmerzen wiegt - und damit ich dein Vertrauen und deine schöne Freundschaft ehre, vernimm -, höre ein kleines Stück meines Grams. Das größere, das unendlich größere behalt' ich noch für mich», sagte er schmerzlich, die Hand auf die Brust drückend -«es kommt wohl noch die Stunde auch für dies. Vernimm heute nur, wie über meinem Haupte der Stern des Unheils schon leuchtete, da ich gezeugt ward. - Und von all den tausend Sternen da oben bleibt nur dieser Stern getreu. Du warst dabei -du erinnerst dich - wie der falsche Präfekt mich laut vor allen einen Bastard schalt und mir den Zweikampf weigerte: - ich mußte es dulden, ich bin noch Schlimmeres als ein Bastard. - - Mein Vater, Tagila, war ein tüchtiger Kriegsheld, aber kein Adaling, gemeinfrei und arm. Er liebte, schon seit der Bart ihm sproßte, Gisa seines Vaterbruders Tochter. Sie lebten draußen, weit an der äußersten Ostgrenze des Reichs, an dem kalten Ister, wo man stets im Kampfe liegt mit den Gepiden und den wilden, räuberischen Sarmaten und wenig Zeit hat, an die Kirche zu denken und die wechselnden Gebote, die ihre Konzilien erlassen. Lange konnte mein Vater seine Gisa nicht heimführen: er hatte nichts als Helm und Speer und konnte ihrem Mundwalt den Malschatz nicht zahlen und einem Weibe keinen Herd bereiten. Endlich lachte ihm das Glück. Im Krieg gegen einen Sarmatenkönig eroberte er dessen festen Schatzturm an der Alutha: und die reichen Schätze, welche die Sarmaten seit Jahrhunderten zusammengeplündert und hier aufgehäuft, wurden seine Beute. Zum Lohn seiner Tat ernannte ihn Theoderich zum Grafen und rief ihn nach Italien. Mein Vater nahm seine Schätze und Gisa, jetzt sein Weib, mit sich über die Alpen und kaufte sich weite schöne Güter in Tuscien zwischen Florentia und Luca. Aber nicht lange währte sein Glück. Kaum war ich geboren, da verklagte ein Elender, ein feiger Schurke, meine Eltern wegen Blutschande beim Bischof von Florentia. Sie waren katholisch - nicht Arianer - und Geschwisterkinder: ihre Ehe war nichtig nach dem Recht der Kirche und die Kirche gebot ihnen, sich zu trennen. Mein Vater drückte sein Weib an die Brust und lachte des Gebots. Aber der geheime Ankläger ruhte nicht -» - «Wer war der Neiding?» «Oh, wenn ich es wüßte, ich wollte ihn erreichen, und thront er in allen Schrecken des Vesuvius! Er ruhte nicht. Unablässig bedrängten die Priester meine arme Mutter und wollten ihre Seele mit Gewissensbissen schrecken. Umsonst: sie hielt sich an ihren Gott und ihren Gatten und trotzte dem Bischof und seinen Sendboten. Und mein Vater, wenn er einen der Pfaffen in seinem Gehöfte traf, begrüßte ihn, daß er nicht wiederkam. Aber wer kann mit denen kämpfen, die im Namen Gottes sprechen! Eine letzte Frist ward den Ungehorsamen gesteckt, hätten sie sich bis dahin nicht getrennt, so sollten sie dem Bann verfallen und ihr Hab und Gut der Kirche. Entsetzt eilte jetzt mein Vater an den Hof des Königs, Aufhebung des grausamen Spruches zu erflehen. Aber die Satzung des Konzils sprach zu klar, und Theoderich konnte es nicht wagen, das Recht der katholischen Kirche zu kränken. Als mein Vater zurückkehrte von Ravenna, mit Gisa zu flüchten, starrte er entsetzt auf die Stätte, wo sein Haus gestanden: der Termin war abgelaufen, und die Drohung erfüllt: sein Haus zerstört, sein Weib, sein Kind verschwunden. Rasend stürmte er durch ganz Italien, uns zu suchen. Endlich entdeckte er, als Priester verkleidet, seine Gisa in einem Kloster zu Ticinum: ihren Knaben hatte man ihr entrissen und nach Rom geschleppt. Mein Vater bereitet mit ihr alles zur Flucht: sie entkommen um Mitternacht über die Mauern des Klostergartens. Aber am Morgen fehlt die Büßerin bei der Hora: man vermißt sie, ihre Zelle ist leer. Die Klosterknechte folgen den Spuren des Rosses - sie werden eingeholt: grimmig fechtend fällt mein Vater: meine Mutter wird in ihre Zelle zurückgebracht. Und so furchtbar drücken die Macht des Schmerzes und die Zucht des Klosters auf die zermürbte Seele, daß sie in Wahnsinn fällt und stirbt. Das sind meine Eltern!» «Und du?» «Mich entdeckte in Rom der alte Hildebrand, ein Waffenfreund meines Großvaters und Vaters: - er entriß mich, mit des Königs Beistand, den Priestern und ließ mich mit seinen eigenen Enkeln in Regium erziehen.» «Und dein Gut, dein Erbe?» «Verfiel der Kirche, die es, halb geschenkt, an Theodahad überließ: er war meines Vaters Nachbar, er ist jetzt mein König!» «Mein armer Freund! Aber wie erging es dir später? Man weiß nur dunkles Gerede - du warst einmal in Griechenland gefangen... -» Teja stand auf. «Davon laß mich schweigen; vielleicht ein andermal. Ich war Tor genug, auch einmal an Glück zu glauben und an eines liebenden Gottes Güte. Ich hab' es schwer gebüßt. Ich will's nie wieder tun. Leb' wohl, Witichis, und schilt nicht auf Teja, wenn er nicht ist wie andre.» Er drückte ihm die Hand und war rasch im dunklen Laubgang verschwunden. Witichis sah lange schweigend vor sich hin. Dann blickte er gen Himmel, in den hellen Sternen eine Widerlegung der finstern Gedanken zu finden, die des Freundes Worte in ihm geweckt. Er sehnte sich nach ihrem Licht voll Frieden und Klarheit. Aber während des Gesprächs war Nebelgewölk rasch aus den Lagunen aufgestiegen und hatte den Himmel überzogen: es war finster ringsum. Mit einem Seufzer stand Witichis auf und suchte in ernstem Sinnen sein einsames Lager. Drittes Kapitel Während unten in den Hallen des Palatiums Italier und Goten tafelten und zechten, ahnten sie nicht, daß über ihren Häuptern in dem Gemach des Königs eine Verhandlung gepflogen ward, die über ihr und ihres Reiches Schicksale entscheiden sollte. Unbeobachtet war dem König alsbald der Gesandte von Byzanz nachgefolgt, und lange und geheim sprachen und schrieben die beiden miteinander. Endlich schienen sie handelseinig geworden, und Petros wollte anheben, nochmal vorzulegen, was sie gemeinsam beschlossen und aufgezeichnet. Aber der König unterbrach ihn. «Halt!», flüsterte der kleine Mann, der in seinem weiten Purpurmantel verlorenzugehen drohte, «halt - noch eins!» Und er hob sich aus dem schön geschweiften Sitz, schlich durch das Gemach und hob den Vorhang, ob niemand lausche. Dann kehrte er beruhigt zurück und faßte den Byzantiner leise am Gewand. Das Licht der Bronzeampel spielte im Winde flackernd auf den gelben, vertrockneten Wangen des häßlichen Mannes, der die kleinen Augen zusammenkniff: «Noch dies. Wenn jene heilsamen Veränderungen eintreten sollen - auf daß sie eintreten können, wird es gut sein, ja notwendig, einige der trotzigsten meiner Barbaren unschädlich zu machen.» - «Daran hab' ich bereits gedacht», nickte Petros. «Da ist der alte halbheidnische Waffenmeister, der grobe Hildebad, der nüchterne Witichis.» - «Du kennst deine Leute gut», grinste Theodahad, «du hast dich tüchtig umgesehen. Aber», raunte er ihm ins Ohr, «einer, den du nicht genannt hast, einer vor allen muß fort.» «Der ist?» «Graf Teja. des Tagila Sohn.» «Ist der melancholische Träumer so gefährlich?» «Der gefährlichste von allen! Und mein persönlicher Feind! Schon von seinem Vater her.» «Wie kam das?» «Er war mein Nachbar bei Florentia. Ich mußte seine Äcker haben - umsonst drang ich in ihn. Ha», lächelte er pfiffig, «zuletzt wurden sie doch mein. Die heilige Kirche trennte seine verbrecherische Ehe, nahm ihm sein Gut dabei und ließ mir's -billig - ab. Ich hatte einiges Verdienst um die Kirche in dem Prozeß - dein Freund, der Bischof von Florentia, kann dir's genau erzählen.» «Ich verstehe», sagte Petros, «was gab der Barbar seine Äcker nicht in Güte! Weiß Teja -?» «Nichts weiß er. Aber er haßt mich schon deshalb, weil ich sein Erbgut - kaufte. Er wirft mir finstere Blicke zu. Und dieser schwarze Träumer ist der Mann, seinen Feind zu den Füßen Gottes zu erwürgen.» «So?» sagte Petros, plötzlich sehr nachdenklich. «Nun, genug von ihm: er soll nicht schaden. Laß dir jetzt noch mal den ganzen Vertrag Punkt für Punkt vorlesen; dann unterzeichne. Erstens. König Theodahad verzichtet auf die Herrschaft über Italien und die zugehörigen Inseln und Provinzen des Gotenreichs: nämlich Dalmatien, Liburnien, Istrien, das zweite Pannonien, Savien, Noricum, Rätien und den gotischen Besitz in Gallien, zugunsten des Kaisers Justinian und seiner Nachfolger auf dem Throne von Byzanz. Er verspricht, Ravenna, Rom, Neapolis und alle festen Plätze des Reichs dem Kaiser ohne Widerstand zu öffnen.» Theodahad nickte. «Zweitens. König Theodahad wird mit allen Mitteln dahin wirken, daß das ganze Heer der Goten entwaffnet und in kleinen Gruppen über die Alpen geführt werde. Weiber und Kinder haben nach Auswahl des kaiserlichen Feldherrn dem Heere zu folgen oder als Sklaven nach Byzanz zu gehen. Der König wird dafür sorgen, daß jeder Widerstand der Goten erfolglos bleiben muß. Drittens. Dafür beläßt Kaiser Justinian dem König Theodahad und seiner Gemahlin den Königstitel und die königlichen Ehren auf Lebenszeit, und viertens» - «Diesen Abschnitt will ich doch mit eigenen Augen lesen», unterbrach Theodahad, nach der Urkunde langend. «Viertens beläßt der Kaiser dem König der Goten nicht nur alle Ländereien und Schätze, die dieser als sein Privateigentum bezeichnen wird, sondern auch den ganzen Königsschatz der Goten, der allein an geprägtem Gold auf vierzigtausend Pfunde geschätzt ist. Er übergibt ihm ferner zu erb und eigen ganz Tuscien von Pistoria bis Cäre, von Popilonia bis Clusium, und endlich überweist er an Theodahad auf Lebenszeit die Hälfte aller öffentlichen Einkünfte des durch diesen Vertrag seinem rechtmäßigen Herrn zurückerworbenen Reiches. Sage, Petros, meinst du nicht, ich könnte drei Viertel fordern?» «Fordern kannst du sie, allein ich zweifle sehr, daß sie dir Justinian gewährt. Ich habe schon die Grenzen, die äußersten, meiner Vollmacht überschritten.» «Fordern wollen wir's doch immerhin», meinte der König die Zahl ändernd. «Dann muß Justinian herunter markten oder dafür andere Vorteile gewähren.» Um des Petros schmale Lippen spielte ein falsches Lächeln: «Du bist ein kluger Handelsmann, o König. - Aber hier verrechnest du dich doch», sagte er zu sich selbst. Da rauschten schleppende Gewänder den Marmorgang heran, und eintrat ins Gemach in langem, schwarzem Mantel und schwarzem, mit silbernen Sternen besäten Schleier Amalaswintha, bleich von Antlitz, aber in edler Haltung, eine Königin trotz der verlorenen Krone: überwältigende Hoheit der Trauer sprach aus den bleichen Zügen. «König der Goten», hob sie an, «vergib, wenn an deinem Freudenfeste ein dunkler Schatten noch einmal auftaucht von der Welt der Toten. Es ist zum letztenmal.» Beide Männer waren von ihrem Anblick betroffen. «Königin» - stammelte Theodahad. «Königin! O wär' ich's nie gewesen. Ich komme, Vetter, von dem Sarge meines edeln Sohnes, wo ich Buße getan für all meine Verblendung, und all meine Schuld bereut. Ich steige herauf zu dir, König der Goten, dich zu warnen vor gleicher Verblendung und gleicher Schuld.» Theodahads unstetes Auge vermied ihren ernsten, prüfenden Blick. «Es ist ein übler Gast», fuhr sie fort, «den ich in mitternächtlicher Stunde als deinen Vertrauten bei dir finde. Es ist kein Heil für einen Fürsten als in seinem Volk: zu spät hab' ich's erkannt, zu spät für mich, nicht zu spät, hoff' ich, für mein Volk. Traue du nicht Byzanz: es ist ein Schild, der den erdrückt, den er beschirmen soll.» «Du bist ungerecht», sagte Petros, «und undankbar.» «Tu nicht, mein königlicher Vetter», fuhr sie fort, «was dieser von dir fordert. Bewillige nicht du, was ich ihm weigerte. Sizilien sollen wir abtreten und dreitausend Krieger dem Kaiser stellen für alle seine Kriege - ich wies die Schmach von mir. Ich sehe», sprach sie, auf das Pergament deutend, «du hast schon mit ihm abgeschlossen. Tritt zurück, sie werden dich immer täuschen.» Ängstlich zog Theodahad die Urkunde an sich: er warf einen mißtrauischen Blick auf Petros. Da trat dieser gegen Amalaswintha vor: «Was willst du hier, du Königin von gestern? Willst du dem Beherrscher dieses Reiches wehren? Deine Zeit und deine Macht ist um.» - «Verlaß uns», sagte Theodahad, ermutigt. «Ich werde tun, was mir gutdünkt. Es soll dir nicht gelingen, mich von meinen Freunden in Byzanz zu trennen. Sieh her, vor deinen Augen soll unser Bund geschlossen sein.» Und er zeichnete seinen Namen auf die Urkunde. «Nun», lächelte Petros, «kamst du noch eben recht, als Zeugin mit zu unterzeichnen.» «Nein», sprach Amalaswintha mit einem drohenden Blick auf die beiden Männer, «Ich kam noch eben recht, euren Plan zu vereiteln. Ich gehe geradewegs von hier zum Heere, zur Volksversammlung, die nächstens bei Regeta tagt. Aufdecken will ich daselbst vor allem Volk deine Anträge, die Pläne von Byzanz und dieses schwachen Fürsten Verrat.» «Das wird nicht abgehen», sagte Petros ruhig, «ohne dich selbst zu verklagen.» «Ich will mich selbst verklagen. Enthüllen will ich all meine Torheit, all meine blutige Schuld, und gern den Tod erleiden, den ich verdient. Aber warnen, aufschrecken soll diese meine Selbstanklage mein ganzes Volk vom Ätna bis zu den Alpen; eine Welt von Waffen soll euch entgegenstellen, und retten werd' ich meine Goten durch meinen Tod von der Gefahr, in die mein Leben sie gestürzt.» Und in edler Begeisterung eilte sie aus dem Gemach. Verzagt blickte Theodahad auf den Gesandten: lang fand er keine Worte. «Rate, hilf -», stammelte er endlich. «Raten? Da hilft nur ein Rat. Die Rasende wird sich und uns verderben, läßt man sie gewähren. Sie darf ihre Drohung nicht erfüllen. Dafür mußt du sorgen.» «Ich?» rief Theodahad erschreckt; «ich kann dergleichen nicht! Wo ist Gothelindis? Sie, sie allein kann helfen.» «Und der Präfekt», sagte Petros - «sende nach ihnen.» Alsbald waren die beiden Genannten von dem Festmahle heraufbeschieden. Petros verständigte sie von den Worten der Fürstin, ohne jedoch dem Präfekten den Vertrag als Veranlassung des Auftritts zu nennen. Kaum hatte er gesprochen, so rief die Königin: «Genug, sie darf es nicht vollenden. Man muß ihre Schritte bewachen, sie darf mit keinem Goten in Ravenna sprechen - sie darf den Palast nicht verlassen. Das vor allem!» Und sie eilte hinaus, vertraute Sklaven vor Amalaswinthens Gemächer zu senden. Alsbald kehrte sie wieder. «Sie betet laut in ihrer Kammer», sprach sie verächtlich. «Auf, Cethegus, laß uns ihre Gebete vereiteln.» Cethegus hatte, mit dem Rücken an die Marmorsäulen des Eingangs gelehnt, die Arme über die Brust gekreuzt, diese Vorgänge schweigend und sinnend mit angehört. Er erkannte die Notwendigkeit, die Fäden der Ereignisse wieder mehr in seine Hand zu versammeln und straffer anzuziehen. Er sah Byzanz immer mehr in den Vordergrund dringen: - das durfte nicht weiter angehn. «Sprich, Cethegus,» mahnte Gothelindis nochmals, «was tut jetzt vor allem not?» «Klarheit», sagte dieser sich aufrichtend. «In jedem Bunde muß der Zweck, der besondere Zweck jedes der Verbündeten klar sein: sonst werden sie stets sich durch Mißtrauen hemmen. Ihr habt eure Zwecke - ich habe den meinen. Eure Zwecke liegen am Tage: ich habe sie euch neulich schon gesagt: du Petros, willst, daß Kaiser Justinian an der Goten Statt in Italien herrsche: ihr, Gothelindis und Theodahad, wollt dies auch, gegen reiche Entschädigung an Rache, Geld und Ehren. Ich habe - ich habe auch meinen Zweck: was hilft es, das zu verhehlen? Mein schlauer Petros, du würdest doch nicht lange mehr glauben, daß ich nur den Ehrgeiz habe, dein Werkzeug zu sein und dereinst Senator in Byzanz zu werden. Also auch ich habe meinen Zweck, all eure dreieinige Schlauheit würde ihn nie entdecken, weil er zu nahe vor Augen liegt. Ich muß ihn euch selbst verraten. Der versteinerte Cethegus hat noch eine Liebe: sein Italien. Drum will er, wie ihr, die Goten fort haben aus diesem Land. Aber er will nicht, wie ihr, daß Kaiser Justinianus unbedingt an ihre Stelle trete, er will nicht die Traufe statt des Regens. Am liebsten möchte ich, der unverbesserliche Republikaner -du weißt, mein Petros, wir waren es damals beide mit achtzehn Jahren auf der Schule von Athen, und ich bin es noch: aber du brauchst es dem Kaiser, deinem Herrn, nicht zu melden, ich hab' es ihm lange selbst geschrieben die Barbaren hinauswerfen, ohne euch hereinzulassen. Das geht nun leider nicht an: wir können eurer Hilfe nicht entbehren. Doch will ich diese auf das Unvermeidliche beschränken. Kein byzantinisch Heer darf diesen Boden betreten, als um ihn im letzten Augenblick der Not aus der Hand der Italier zu empfangen. Italien sei mehr ein von den Italiern dargebrachtes Geschenk als eine Eroberung für Justinian. Die Segnungen der Feldherrn und Steuerrechner, die Byzanz über die Länder bringt, die es befreit, sollen uns erspart bleiben: wir wollen euern Schutz, nicht eure Tyrannei.» Über Petros' Züge zog ein feines Lächeln, das Cethegus nicht zu bemerken schien; er fuhr fort: «So vernehmt meine Bedingung. Ich weiß, Belisarius liegt mit Flotte und Heer nah bei Sizilien. Er darf nicht landen. Er muß heimkehren. Ich kann keinen Belisar in Italien brauchen. Wenigstens nicht eher, als ich ihn rufe. Und sendest du, Petros, ihm nicht sofort diesen Befehl zu, so scheiden sich unsere Wege. Ich kenne Belisar und Narses und ihre Soldatenherrschaft, und ich weiß, welch milde Herren diese Goten sind. Und mich erbarmt Amalaswintha: sie war eine Mutter meines Volkes. Deshalb wählet, wählet zwischen Belisar und Cethegus. Landet Belisar, so steht Cethegus und ganz Italien zu Amalaswintha und den Goten: und dann laß sehen, ob ihr uns eine Scholle dieses Landes entreißt. Wählt ihr Cethegus, so bricht er die Macht der Barbaren, und Italien unterwirft sich dem Kaiser als eine freie Gattin, nicht als seine Sklavin. Wähle, Petros.» «Stolzer Mann», sprach Gothelindis, «du wagst uns Bedingungen zu setzen, uns, deiner Königin?» Und drohend erhob sie die Hand. Aber mit eiserner Faust ergriff Cethegus diese Hand und zog sie ruhig herab. «Laß die Possen, Eintagskönigin. Hier unterhandeln nur Italien und Byzanz. Vergißt du deine Ohnmacht, so muß man dich dran mahnen. Du thronst, solange wir dich halten.» Und mit so ruhiger Majestät stand er vor dem zornmütigen Weib, daß sie verstummte. Aber ihr Blick sprühte unauslöschlichen Haß. «Cethegus», sagte jetzt Petros, der sich einstweilen entschlossen, «du hast recht. Byzanz kann für den Augenblick nicht mehr erreichen als deine Hilfe, weil nichts ohne sie. Wenn Belisar umkehrt, so gehst du ganz mit uns und unbedingt?» «Unbedingt.» «Und Amalaswinthen?» «Geb' ich preis.» «Wohlan», sagte der Byzantiner, «es gilt.» Er schrieb auf eine Wachstafel in kurzen Worten den Befehl zur Heimkehr an Belisar und reichte sie dem Präfekten: «Du magst die Botschaft selbst bestellen.» Cethegus las sorgfältig: «Es ist gut», sagte er, die Tafel in die Brust steckend, «es gilt.» «Wann bricht Italien los auf die Barbaren?» fragte Petros. «In den ersten Tagen des nächsten Monats. Ich gehe nach Rom. Leb' wohl.» «Du gehst? Und hilfst uns nicht das Weib - die Tochter Theoderichs verderben?» fragte die Königin mit bittrem Vorwurf. «Erbarmst dich ihrer abermals?» «Sie ist gerichtet», sagte Cethegus, an der Tür sich kurz umwendend. «Der Richter geht - der Henker Amt hebt an.» Und stolz schritt er hinaus. Da faßte Theodahad, der sprachlos vor Staunen den Byzantiner hatte handeln sehn, mit Entsetzen dessen Hand: «Petros», rief er, «um Gott und aller Heiligen willen, was hast du getan? Unser Vertrag und alles ruht auf Belisar, und du schickst ihn nach Hause?» «Und läßt diesen Übermütigen triumphieren?» knirschte Gothelindis. Aber Petros lächelte: der Sieg der Schlauheit strahlte auf seinem Antlitz. «Seid ruhig», sagte er, «diesmal ist er überwunden, der Allüberwinder Cethegus, besiegt von dem verhöhnten Petros.» Er ergriff Theodahad und Gothelindis an den Händen, zog sie nahe an sich, sah sich um, und flüsterte dann: «Vor jenem Brief an Belisar steht ein kleiner Punkt, der bedeutet ihm: all das Geschriebene ist nicht ernst gemeint, ist nichtig. Ja, ja, man lernt, man lernt die Schreibekunst am Hof von Byzanz.» Viertes Kapitel Zwei Tage nach der nächtlichen Begegnung mit Theodahad und Petros verbrachte Amalaswintha in einer Art von wirklicher oder vermeinter Gefangenschaft. Sooft sie ihre Gemächer verließ, sooft sie einbog in einen Gang des Palastes, jedesmal glaubte sie hinter oder neben sich Gestalten auftauchen, hingleiten, verschwinden zu sehen, die ebenso eifrig bedacht schienen, all ihre Schritte zu beobachten als sich selbst ihren Blicken zu entziehen: kaum zu dem Grabe ihres Sohnes konnte sie unbewacht niedersteigen. Umsonst fragte sie nach Witichis, nach Teja: sie hatten gleich am Morgen nach dem Krönungsfest in Aufträgen des Königs die Stadt verlassen. Das Gefühl, vereinsamt und von bösen Feinden umlauert zu sein, ruhte drückend auf ihrer Seele. Schwer und düster hingen am Morgen des dritten Tages die herbstlichen Regenwolken auf Ravenna herab, als sich Amalaswintha von dem schlummerlosen Lager erhob. Unheimlich berührte es sie, daß, als sie an das Fenster von Frauenglas trat, ein Rabe krächzend von dem Marmorsims aufstieg und mit heiserem Schrei und schwerem Flügelschlag langsam über die Gärten dahinflog. Die Fürstin fühlte schon daran, wie geknickt ihre Seele war durch diese Tage von Schmerz, Furcht und Reue, daß sie sich des finstern Eindrucks nicht erwehren konnte, den ihr die frühen Herbstnebel, aus den Lagunen der Seestadt aufsteigend, brachten. Seufzend blickte sie in die graue Sumpflandschaft hinaus. Schwer war ihr Herz von Reue und Sorge. Und ihr einziger Halt der Gedanke, durch freie Selbstanklage und volle Demütigung vor allem Volk das Reich noch zu retten um den Preis ihres Lebens. Denn sie zweifelte nicht, daß die Gesippen und Bluträcher der drei Herzoge ihre Pflicht vollauf erfüllen würden. In solchen Gedanken schritt sie durch die öden Hallen und Gänge des Palastes, diesmal, wie sie glaubte, unbelauscht, hinunter zu der Ruhestätte ihres Sohnes, sich in den Vorsätzen der Buße und Sühne an ihrem Volk zu befestigen. Als sie nach geraumer Zeit aus der Gruft wieder emporstieg und in einen dunklen Gewölbgang einlenkte, huschte ein Mann in Sklaventracht aus einer Nische hervor - sie glaubte sein Gesicht schon oft gesehen zu haben - drückte ihr eine kleine Wachstafel in die Hand und war seitab verschwunden. Sie erkannte sofort - die Handschrift Cassiodors -. Und sie erriet nun auch den geheimnisvollen Überbringer: es war Dolios, der Briefsklave ihres treuen Ministers. Rasch die Tafel in ihrem Gewande bergend eilte sie in ihr Gemach. Dort las sie: «In Schmerz, nicht in Zorn, schied ich von dir. Ich will nicht, daß du unbußfertig abgerufen werdest und deine unsterbliche Seele verloren gehe. Flieh aus diesem Palast, aus dieser Stadt: dein Leben ist keine Stunde mehr sicher. Du kennst Gothelindis und ihren Haß. Traue niemand als meinem Schreiber und finde dich um Sonnenuntergang bei dem Venustempel im Garten ein. Dort wird dich meine Sänfte erwarten und in Sicherheit bringen, nach meiner Villa im Bolsener See. Folge und vertraue. Gerührt ließ Amalaswintha den Brief sinken: der vielgetreue Cassiodor! Er hatte sie doch nicht ganz verlassen. Er bangte und sorgte noch immer für das Leben der Freundin. Und jene reizende Villa auf der einsamen Insel im blauen Bolsener See! Dort hatte sie, vor vielen, vielen Jahren, als Gast Cassiodors, in voller Blüte der Jugendschönheit, Hochzeit gehalten mit Eutharich, dem edlen Amalungen, und von allem Schimmer der Macht und Ehren umflossen, ihrer Jugend stolzeste Tage gefeiert. Ihr sonst so hartes, aber jetzt vom Unglück erweichtes Gemüt beschlich mächtige Sehnsucht, die Stätte ihrer schönsten Freuden wiederzusehen. Schon dies eine Gefühl trieb sie mächtig an, der Mahnung Cassiodors zu folgen: noch mehr die Furcht - nicht für ihr Leben, denn sie wollte sterben -, die Raschheit ihrer Feinde möchte ihr unmöglich machen, das Volk zu warnen und das Reich zu retten. Endlich überlegte sie, daß der Weg nach Regata bei Rom, wo in Bälde die große Volksversammlung, wie alljährlich im Herbst, stattfinden sollte, sie am Bolsener See vorüberführte. Also war es nur eine Beschleunigung ihres Planes, wenn sie schon jetzt in dieser Richtung aufbrach. Um aber auf alle Fälle sicherzugehn, um auch, wenn sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen sollte, ihre warnende Stimme an das Ohr des Volkes gelangen zu lassen, beschloß sie einem Brief an Cassiodor, den auf seiner Villa anzutreffen sie nicht bestimmt voraussetzten konnte, ihre ganze Beichte und die Enthüllung aller Pläne der Byzantiner und Theodahads anzuvertrauen. Bei geschlossenen Türen schrieb sie die schmerzreichen Worte nieder, heiße Tränen des Dankes und der Reue fielen auf das Pergament, das sie sorgfältig siegelte und dem treuesten ihrer Sklaven übergab, es sicher nach dem Kloster Squillacium in Apulien, der Stiftung und dem gewöhnlichen Aufenthalt Cassiodors, zu befördern. * Langsam verstrichen der Fürstin die zögernden Stunden des Tages. Mit ganzer Seele hatte sie des Freundes dargebotene Hand ergriffen. Erinnerung und Hoffnung malten ihr um die Wette das Eiland im Bolsener See als ein teures Asyl, dort hoffte sie Ruhe und Frieden zu finden. Sie hielt sich sorgsam innerhalb ihrer Gemächer, um keinem ihrer Wächter Veranlassung zum Verdacht, Gelegenheit, sie aufzuhalten, zu geben. Endlich war die Sonne gesunken. Mit leisen Schritten eilte Amalaswintha, ihre Sklavinnen zurückweisend und nur einige Kleinodien und Dokumente unter dem weiten Mantel bergend, aus ihrem Schlafgemach in den breiten Säulengang, der zur Gartentreppe führte. Sie zitterte, hier wie gewöhnlich auf einen der lauschenden Späher zu stoßen, gesehen, angehalten zu werden. Häufig sah sie sich um, vorsichtig blickte sie sogar in die Statuennischen: alles war leer, kein Lauscher folgte diesmal ihren Tritten. So erreichte sie unbeobachtet die Plattform der Freitreppe, die Palast und Garten verband und weiten Ausblick über diesen hin gewährte. Scharf überschaute sie den nächsten Weg, der zum Venustempel führte. Der Weg war frei. Nur die welken Blätter raschelten wie unwillig von den rauschenden Platanen auf die Sandpfade nieder, gewirbelt von dem Winde, der fern, jenseits der Gartenmauer, Nebel und Wolken in geisterhaften Gestalten vor sich her trieb: es war unheimlich in dem ausgestorbenen Garten und seiner grauen Dämmerung. Die Fürstin fröstelte, der kalte Abendwind zerrte an ihrem Schleier und Mantel, einen scheuen Blick warf sie noch auf die düsteren, lastenden Steinmassen des Palastes hinter sich, in dem sie so stolz gewaltet und geherrscht, und aus dem sie nun einsam, scheu, verfolgt wie eine Verbrecherin, flüchtete. Sie dachte des Sohnes, der in den Tiefen des Palastes ruhte. - Sie dachte der Tochter, die sie selbst aus diesen Mauern, aus ihrer Nähe verbannt hatte. Und einen Augenblick drohte der Schmerz die Verlassene zu überwältigen. Sie wankte, mühsam hielt sie sich aufrecht an dem breiten Marmorgeländer der Terrasse: ein Fieberschauer rüttelte an ihrem Leibe wie das Grauen der Verlassenheit an ihrer Seele. «Aber mein Volk!» sprach sie zu sich selbst, «und meine Buße - ich will's vollenden.» Gekräftigt von diesem Gedanken eilte sie die Stufen der Treppe hinab und bog in den von Efeu überwölbten Laubengang ein, der quer durch den Garten führte und an dem Venustempel mündete. Rasch schritt sie voran, erbebend, wenn zu einem der Seitengänge das Herbstlaub wie seufzend hereinwirbelte. Atemlos langte sie vor dem kleinen Tempel an und ließ ringsum die suchenden Blicke schweifen. Aber keine Sänfte, keine Sklaven waren zu sehen, rings war alles still: nur die Äste der Platanen seufzten im Winde. Da schlug das nahe Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Sie wandte sich: um den Vorsprung der Mauer bog mit hastigen Schritten ein Mann. Es war Dolios. Er winkte, scheu umherspähend. Rasch eilte die Fürstin auf ihn zu, folgte ihm um die Ecke, und vor ihr stand Cassiodors wohlbekannter gallischer Reisewagen, die bequeme und vornehme Carruca, von allen vier Seiten mit verschiebbaren Gitterläden von feinem Holzwerk umschlossen, und mit dem raschen Dreigespann belgischer Manni beschirrt. «Eile tut not, o Fürstin», flüsterte Dolios, sie in die weichen Polster hebend. «Die Sänfte ist zu langsam für den Haß deiner Feinde. Stille und Eile, daß uns niemand bemerkt.» Amalaswintha blickte noch einmal um sich. Dolios öffnete das Tor des Gartens und führte den Wagen vor dasselbe hinaus. Da traten zwei Männer aus dem Gebüsch: der eine bestieg den Sitz des Wagenlenkers vor ihr: der andere schwang sich auf eines der beiden gesattelt vor dem Tore stehenden Rosse. Sie erkannte die Männer als vertraute Sklaven Cassiodors, sie waren wie Dolios mit Waffen versehen. Dieser sperrte wieder sorgfältig das Gartentor und ließ die Gitterladen des Wagens herab. Dann warf er sich auf das zweite der Pferde und zog das Schwert: «Vorwärts!» rief er. Und von dannen jagte der kleine Zug, als wär' ihm der Tod auf der Ferse. Fünftes Kapitel Die Fürstin wiegte sich in Gefühlen des Dankes, der Freiheit, der Sicherheit. Sie baute schöne Entwürfe der Sühne. Schon sah sie ihr Volk durch ihre warnende Stimme gerettet vor Byzanz, vor dem Verrat des eignen Königs. Schon hörte sie den begeisterten Ruf des tapferen Heeres, der den Feinden Verderben, ihr aber Verzeihung kündete. In solchen Träumen verflogen ihr die Stunden, die Tage und Nächte. Unausgesetzt eilte der Zug vorwärts: drei-, viermal des Tages wurden die Pferde des Wagens und der Reiter gewechselt, so daß sie Meile um Meile wie im Fluge zurücklegten. Wachsam hütete Dolios die ihm anvertraute Fürstin, mit gezogenem Schwert schützte er den Zugang zum Wagen, während seine Begleiter Speise und Wein aus den Stationen holten. Jene geflügelte Eile und diese treue Wachsamkeit benahmen Amalaswinthen einer Besorgnis, deren sie sich eine Weile nicht hatte erwehren können: ihr war, sie würden verfolgt. Zweimal, in Perusia und in Clusium, glaubte sie, wie der Wagen hielt, ja in Clusium meinte sie, aus dem niedergelassenen Gitterladen zurückspähend, eine zweite Carruca, ebenfalls von Reitern begleitet, in das Tor der Stadt einbiegen zu sehen. Aber als sie Dolios davon sprach, jagte der spornstreichs nach dem Tore zurück und kam sogleich mit der Meldung wieder, daß nichts wahrzunehmen sei; auch hatte sie von da ab nichts mehr bemerkt, und die rasende Eile, mit der sie sich dem ersehnten Eiland näherte, ließ sie hoffen, daß ihre Feinde, selbst wenn sie ihre Flucht entdeckt und eine Strecke weit verfolgt haben sollten, alsbald ermüdet zurückgeblieben seien. Da verdüsterte ein Unfall, unbedeutend an sich, aber unheilkündend durch seine begleitenden Umstände, plötzlich die helle Stimmung der flüchtenden Fürstin. Es war hinter der kleinen Stadt Martula. Öde, baumlose Heide dehnte sich unabsehbar nach jeder Richtung: nur Schilf und hohe Sumpfgewächse ragten aus den feuchten Niederungen zu beiden Seiten der römischen Hochstraße und nickten und flüsterten gespenstisch im Nachtwind. Die Straße war hin und wieder mit niedern, von Reben überflochtenen Mauern eingefaßt und, nach altrömischer Sitte, mit Grabmonumenten, die aber oft traurig zerfallen waren und mit ihren auf dem Wege zerstreuten Steintrümmern den Pferden das Fortkommen erschwerten. Plötzlich hielt der Wagen mit einem heftigen Ruck, und Dolios riß die rechte Tür auf. «Was ist geschehen», rief die Fürstin erschreckt, «sind wir in des Feindes Hand?» «Nein», sprach Dolios, der, ihr von je als verschlossen und finster bekannt, auf dieser Reise fast unheimlich schweigsam schien, «ein Rad ist gebrochen. Du mußt aussteigen und warten, bis es gebessert.» Ein heftiger Windstoß löschte in diesem Augenblick seine Fackel, und naßkalter Regen schlug in der Bestürzten Antlitz. «Aussteigen? hier? Und wohin dann? Hier ist nirgend ein Haus, ein Baum, der Schutz böte vor Regen und Sturm. Ich bleibe in dem Wagen.» - «Das Rad muß abgehoben werden. Dort das Grabmal mag dir Schutz gewähren.» Mit einem Schauer von Furcht gehorchte Amalaswintha und schritt über die Steintrümmer, die ringsum zerstreut lagen, nach der rechten Seite des Weges, wo sie jenseits des Grabens ein hohes Monument aus der Dunkelheit ragen sah. Dolios half ihr über den Graben. Da schlug von der Straße hinter ihrem Wagen her das Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. Erschrocken blieb sie stehen. «Es ist unser Nachreiter», sagte Dolios rasch, «der uns den Rücken deckt, komm.» Und er führte sie durch feuchtes Gras den Hügel heran, auf dem sich das Monument erhob. Oben angelangt setzte sie sich auf die breite Steinplatte eines Sarkophags. Da war Dolios plötzlich im Dunkel verschwunden, vergebens rief sie ihn zurück. Bald sah sie unten auf der Straße seine Fackel wieder brennen: rot leuchtete sie durch die Nebel der Sümpfe, und der Sturm entführte rasch den Schall der Hammerschläge der Sklaven, die an dem Rade arbeiteten. So saß die Tochter des großen Theoderich, einsam und todesflüchtig, auf der Heerstraße in unheimlicher Nacht; der Sturm riß an ihrem Mantel und Schleier, der feine kalte Regen durchnäßte sie, in den Zypressen hinter dem Grabmal seufzte melancholisch der Wind, oben am Himmel jagte zerfetztes Gewölk und ließ nur manchmal einen flüchtigen Mondstrahl durch, der die gleich wieder folgende Dunkelheit noch düsterer machte. Banges Grauen durchschlich fröstelnd ihr Herz. Allmählich gewöhnte sich ihr Auge an die Dunkelheit, und umhersehend konnte sie die Umrisse der nächsten Dinge deutlicher unterscheiden. Da - ihr Haar sträubte sich vor Entsetzen - da war ihr, als säße dicht hinter ihr auf dem erhöhten Hintereck des Sarkophags eine zweite Gestalt: - ihr eigener Schatten war es nicht -: eine kleinere Gestalt in weitem faltigem Gewand, die Arme auf die Knie, das Haupt in die Hände gestützt und zu ihr herunterstarrend. Ihr Atem stockte, sie glaubte flüstern zu hören, fieberhaft strengte sie die Sinne an, zu sehen, zu hören: da flüsterte es wieder: «Nein, nein, noch nicht!» So glaubte sie zu hören. Sie richtete sich leise auf, auch die Gestalt schien sich zu regen, es klirrte deutlich wie Stahl auf Stein. Da schrie die Geängstigte: «Dolios! Licht! Hilfe! Licht!» Und sie wollte den Hügel hinab, aber zitternd versagten die Knie, sie fiel und verletzte die Wange an dem scharfen Gestein. Da war Dolios mit der Fackel heran, schweigend erhob er die Blutende, er fragte nicht. «Dolios», rief sie, sich fassend, «gib die Leuchte: ich muß sehen, was dort war, was dort ist.» Sie nahm die Fackel und schritt entschlossen um die Ecke des Sarkophags: Es war nichts zu sehen, aber jetzt, im Glanze der Fackel, erkannte sie, daß das Monument nicht, wie die übrigen, ein altes, daß es sichtlich erst neu errichtet war, so unverwittert war der weiße Marmor, so frisch die schwarzen Buchstaben der Inschrift. Von jener seltsamen Neugier, die sich mit dem Grauen verbindet, unwiderstehlich fortgerissen, hielt sie die Fackel dicht an den Sockel des Monumentes und las bei flackerndem Licht die Worte: «Ewige Ehre den drei Balten Thulun, Ibba und Pitza. Ewiger Fluch ihren Mördern.» Mit einem Aufschrei taumelte Amalaswintha zurück. Dolios führte die Halbohnmächtige zu dem Wagen. Fast bewußtlos legte sie die noch übrigen Stunden des Weges zurück. Sie fühlte sich krank an Leib und Seele. Je näher sie dem Eiland kam, desto lebhafter ward die fieberhafte Freude, mit der sie es ersehnt, verdrängt von einer ahnungsvollen Furcht: mit Bangen sah sie die Sträucher und Bäume des Weges immer rascher an sich vorüberfliegen. Endlich machten die dampfenden Rosse halt. Sie senkte die Läden und blickte hinaus: es war die kalte unheimliche Stunde, da das erste Tagesgrauen ankämpft gegen die noch herrschende Nacht; sie waren, so schien es, angelangt am Ufer des Sees: aber von seinen blauen Fluten war nichts zu sehen; ein düsterer grauer Nebel lag undurchdringlich wie die Zukunft vor ihren Augen. Von der Villa, ja von der Insel selbst war nichts zu entdecken. Rechts vom Wagen stand eine niedrige Fischerhütte tief in dem dichten, ragenden Schilf, durch welches wie seufzend der Morgenwind fuhr, daß die schwankenden Häupter sich bogen. Seltsam: ihr war, als warnten und winkten sie hinweg von dem dahinter verborgenen See. Dolios war in die Hütte gegangen; er kam jetzt zurück und hob die Fürstin aus dem Wagen, schweigend führte er sie durch den feuchten Wiesengrund und nach dem Schilf zu. Da lag am Ufer eine schmale Fähre: sie schien mehr im Nebel als im Wasser zu schwimmen. Am Steuer aber saß in einen grauen zerfetzten Mantel gehüllt ein alter Mann, dem die langen weißen Haare wirr ins Gesicht hingen. Er schien vor sich hin zu träumen mit geschlossenen Augen, die er nicht aufschlug, als die Fürstin in den schwankenden Nachen stieg und sich in der Mitte desselben auf einem Feldstuhl niederließ. Dolios trat an den Schnabel des Schiffes und ergriff zwei Ruder, die Sklaven blieben bei dem Wagen zurück. «Dolios», rief Amalaswintha besorgt, «es ist sehr dunkel, wird der Alte steuern können in diesem Nebel, und an keinem Ufer ein Licht?» - «Das Licht würde ihm nichts nützen, Königin, er ist blind.» - «Blind?» rief die Erschrockene, «laß landen! Kehr' um!» - «Ich fahre hier seit zwanzig Jahren», sprach der greise Ferge, «kein Sehender kennt den Weg gleich mir.» - «So bist du blind geboren?» «Nein, Theoderich der Amaler ließ mich blenden, weil mich Alarich, der Balten-Herzog, des Thulun Bruder, gedungen hätte, ihn zu morden. Ich bin ein Knecht der Balten, war ein Gefolgsmann Alarichs, aber ich war so unschuldig wie mein Herr, Alarich der Verbannte. Fluch über die Amalungen!» rief er mit zornigem Ruck am Steuer. «Schweig! Alter», sprach Dolios. «Warum soll ich heute nicht sagen, was ich bei jedem Ruderschlag seit zwanzig Jahren sage? Es ist mein Taktspruch. -Fluch den Amalungen!» Mit Grauen sah die Flüchtige auf den Alten, der in der Tat mit völliger Sicherheit und pfeilgerade fuhr. Sein weiter Mantel und wirres Haar flogen im Winde: ringsum Nebel und Stille, nur das Ruder hörte man gleichförmig einschlagen, leere Luft und graues Licht auf allen Seiten. Ihr war, als führe sie Charon über den Styx in das graue Reich der Schatten. - Fiebernd hüllte sie sich in ihren faltigen Mantel. Noch einige Ruderschläge und sie landeten. Dolios hob die Zitternde heraus: der Alte aber wandte sein Boot schweigend und ruderte so rasch und sicher zurück wie er gekommen. Mit einer Art von Grauen sah ihm Amalaswintha nach, bis er in dem dichten Nebel verschwand. Da war es ihr als höre sie den Schall von Ruderschlägen eines zweiten Schiffes, die rasch näher und näher drangen. Sie fragte Dolios nach dem Grund dieses Geräusches. «Ich höre nichts», sagte dieser, «du bist allzu erregt, komm in das Haus.» Sie wankte, auf seinen Arm gestützt, die in den Felsen gehauenen Stufen hinan, die zu der burgähnlichen, hochgetürmten Villa führten. Von dem Garten, der, wie sie sich lebhaft erinnerte, zu beiden Seiten dieses schmalen Weges sich dehnte, waren in dem Nebel kaum die Linien der Baumreihen zu sehen. Endlich erreichten sie das hohe Portal, eine eherne Tür im Rahmen von schwarzem Marmor. Der Freigelassene pochte mit dem Knauf seines Schwertes: - dumpf dröhnte der Schlag in den gewölbten Hallen nach - die Türe sprang auf. Amalaswintha gedachte, wie sie einst durch dieses Tor, das die Blumengewinde fast versperrt hatten,. an ihres Gatten Seite eingezogen war, sie gedachte, wie sie die Pförtner, gleichfalls ein jung vermähltes Paar, so freundlich begrüßt. Der finstersehende Sklave mit wirrem grauem Haar, der jetzt mit Ampel und Schlüsselbund vor ihr stand, war ihr fremd. «Wo ist Fuscina, des früheren Ostiarius Weib? Ist sie nicht mehr im Hause?» fragte sie. «Die ist lang ertrunken im See», sagte der Pförtner gleichgültig und schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fürstin: sie mußte sich die kalten dunklen Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken ihrer Fähre geleckt. Sie gingen durch Bogenhöfe und Säulenhallen: alles leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Öde: - die ganze Villa schien ein weites Totengewölbe. «Das Haus ist unbewohnt? Ich bedarf einer Sklavin.» «Mein Weib wird dir dienen.» «Ist sonst niemand in der Villa?» «Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt.» «Ein Arzt - ich will ihn -» Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige dumpfe Schläge: schwer dröhnten sie durch die leeren Räume. Entsetzt fuhr Amalaswintha zusammen. «Was war das?» fragte sie, Dolios' Arm fassend. Sie hörte die schwere Türe zufallen. «Es hat nur jemand Einlaß begehrt», sagte der Ostiarius und schloß die Türe des für die Flüchtige bestimmten Gemaches auf Die dumpfe Luft eines lang nicht mehr geöffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit Rührung erkannte sie die Schildplattbekleidung der Wände. Es war dasselbe Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt, überwältigt von der Erinnerung glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunklen Polstern belegt war. Sie verabschiedete die beiden Männer, zog die Vorhänge des Lagers um sich her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf. Sechstes Kapitel So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild jagten Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber. Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: -Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien sie zu sich zu winken: - das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens - dann Nebel und Wolken und blattlose Bäume, drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewändern, und der blinde Fährmann: in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem Stein hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher und näher - beengend - erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da - nein, es war kein Traumgesicht - da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter Schatten. Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhanges auseinander - da war nichts mehr zu sehen. Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf an der Wand, der draußen einen Hammer in Bewegung setzte. Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen. Sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen. Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebtüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badestube des unteren, deren Decke - eine große, kreisförmige Metallplatte - den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm- und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfüllt werden konnte. Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten. Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief, erschien das Weib des Türsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den Heizstübchen, den Auskleide- und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Tür. Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief. Gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und köstliche Düfte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschaffenem Glas. Gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Zedernholz, die auf zwölf Staffeln zu einer Sprungbrücke führte, rings an den Marmorwänden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten. Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten, und wandte sich zur Türe. «Woher bist du mir bekannt?» fragte die Fürstin, sie nachdenklich betrachtend, «wie lange bist du hier?» «Seit acht Tagen.» Und sie ergriff die Türe. «Wie lange dienst du Cassiodor?» «Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.» Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes - zu spät: sie war hinaus, die Türe war zugefallen, und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen Ausgang. Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei. Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke. Aber keine Flucht schien möglich: die Türe war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken, nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen. Verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen. Endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenüber - und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben, und die ovale Öffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt. War es ein menschlich Antlitz? Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Züge, und eine Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick. Amalaswintha brach in die Knie und verhüllte ihr Gesicht. «Du - du hier!» Ein heiseres Lachen war die Antwort. «Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! - Es wird dein Grab! Mein Dolios und alle Sklaven Cassiodors, an mich verkauft seit acht Tagen. Ich habe dich hierher gelockt; ich bin dir hierher nachgeschlichen wie dein Schatten: lange Tage, lange Nächte hab' ich den brennenden Haß getragen, endlich hier die volle Rache zu kosten. Stundenlang will ich mich weiden an deiner Todesangst, will es schauen, wie die erbärmliche, winselnde Furcht diese stolze Gestalt wie Fieber schüttelt und durch diese hochmütigen Züge zuckt: o ein Meer von Rache will ich trinken.» Händeringend erhob sich Amalaswintha: «Rache! Wofür? Woher dieser tödliche Haß?» «Ha, du fragst noch? Freilich sind Jahrzehnte darüber hingegangen, und das Herz des Glücklichen vergißt so leicht. Aber der Haß hat ein treues Gedächtnis. Hast du vergessen, wie dereinst zwei junge Mädchen spielten unter dem Schatten der Platanen auf der Wiese vor Ravenna? Sie waren die Ersten unter ihren Gespielinnen. Beide jung, schön und lieblich: Königskind die eine, die andere die Tochter der Balten. Und die Mädchen sollten eine Königin des Spiels wählen, und sie wählten Gothelindis, denn sie war noch schöner als du und nicht so herrisch; und sie wählten sie einmal, zweimal nacheinander. Die Königstochter aber stand dabei, von wildem, unbändigem Stolz und Neid verzehrt. Und als man mich zum dritten wieder gewählt, faßte sie die scharfe, spitzige Gartenschere» - «Halt ein, o schweig, Gothelindis.» - «Und schleuderte sie gegen mich. Und sie traf; aufschreiend, blutend stürzte ich zu Boden, meine ganze Wange eine klaffende Wunde, und mein Auge, mein Auge durchbohrt. Ha, wie das schmerzt, noch heute.» «Verzeih, vergib, Gothelindis!» jammerte die Gefangene. «Du hattest mir ja längst verziehn.» «Verzeihen? Ich dir verzeihen? Daß du mir das Auge aus dem Antlitz und die Schönheit aus dem Leben geraubt, das soll ich dir verzeihen? Du hattest gesiegt fürs Leben: Gothelindis war nicht mehr gefährlich, sie trauerte im stillen, die Entstellte floh das Auge der Menschen. Und Jahre vergingen. Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunklen Auge und der weichen Seele; und er, selber krank, erbarmte sich der kranken halb Blinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid und Güte, mit der Häßlichen, die sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter, zur Sühne alter und neuer Schuld - denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet -, daß die arme, mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte. Aber als du es erfuhrst, du, die mich verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus Stolz, weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest. Das beschlossest du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen; und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung - oder war es zum Hohne? - gab man auch mir einen Amaler: - Theodahad, den elenden Feigling!» «Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich -» «Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? Oh, du Verfluchte! Und hättest du ihn noch geliebt und beglückt - alles hätt' ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Zepter lieben! Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab gebracht - Rache, Rache für ihn.» Und die weite Wölbung widerhallte von dem Ruf: «Rache! Rache!» «Zu Hilfe!» rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie entlang. «Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab' ich so lang meinen Haß gezügelt? Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab' ich dich gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor einer Stunde an deinem Bette, hab' ich mit höchster Mühe meinen erhobenen Arm vom Streiche abgehalten: - denn langsam, Zoll für Zoll, sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.» «Entsetzliche!» «Oh, was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.» «Was willst du tun?» rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend. «Ertränken will ich dich, langsam, langsam in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodor gebaut. Du weißt es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich, und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen. In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die stolzen Glieder getrocknet: - in diesem Bade sollst du sterben!» Und sie drückte auf eine Feder. Der Boden des Beckens im oberen Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise, die links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangene von der schmalen Galerie in die turmhohe Tiefe zu ihren Füßen. «Denk' an mein Auge!» rief Go thelindis, und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusentüren und die Wogen des Sees schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit. Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amalungen wieder, sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi. Das erquickte ihre Seele, sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen und betete ruhig mit geschlossenen Augen, während die Wasser stiegen und stiegen, schon rauschten sie an den Stufen der Galerie. «Beten willst du, Mörderin? Hinweg von dem Kreuz!» rief Gothelindis grimmig, «denk' an die drei Herzoge!» Und plötzlich begannen alle die Delphine und Tritonen auf der rechten Seite des Achtecks Ströme heißen Wassers auszuspeien: weißer Dampf quoll aus den Röhren. Amalaswintha sprang auf und eilte auf die linke Seite der Galerie: «Gothelindis, ich vergebe dir! Töte mich, aber verzeih auch du meiner Seele.». Und das Wasser stieg und stieg: schon schwoll es über die oberste Stufe und drang langsam auf den Boden der Galerie. «Ich dir vergeben? Niemals! Denk' an Eutharich!» Und zischend schossen jetzt von links die dampfenden Wasserstrahlen auf Amalaswintha. Sie flüchtete nun in die Mitte, gerade dem Medusenhaupt gegenüber, die einzige Stelle, wohin kein Strahl der Wasserröhren reichte. Wenn sie die hier angebrachte Sprungdecke erstieg, konnte sie noch einige Zeit ihr Leben fristen: Gothelindis schien dies zu erwarten und sich an der verlängerten Qual weiden zu wollen. Schon brauste das Wasser auf dem Marmorboden der Galerie und bespülte die Füße der Gefangenen; rasch flog sie die braunglänzenden Staffeln hinan und lehnte sich an die Brüstung der Brücke: «Höre mich, Gothelindis! Meine letzte Bitte! Nicht für mich - für mein Volk, für unser Volk: - Petros will es verderben und Theodahad... » - «Ja, ich wußte, dieses Reich ist die letzte Sorge deiner Seele! Verzweifle! Es ist verloren! Diese törichten Goten, die jahrhundertelang den Balten die Amaler vorgezogen, sie sind verkauft und verraten von dem Haus der Amaler: Belisarius naht, und niemand ist, der sie warnt.» «Du irrst, Teufelin, sie sind gewarnt. Ich, ihre Königin, habe sie gewarnt. Heil meinem Volk! Verderben seinen Feinden und Gnade meiner Seele!» Und mit raschem Sprung stürzte sie sich hoch von der Brüstung in die Fluten, die sich brausend über ihr schlossen. Gothelindis blickte starr auf die Stelle, wo ihr Opfer gestanden. «Sie ist verschwunden», sagte sie. Dann schaute sie in die Flut: obenauf schwamm das Brusttuch Amalaswinthens. «Noch im Tode überwindet mich dieses Weib», sagte sie langsam: «wie lang war der Haß und wie kurz die Rache!» Siebentes Kapitel Wenige Tage nach diesen Ereignissen finden wir zu Ravenna in dem Gemach des Gesandten von Byzanz eine Anzahl von vornehmen Römern geistlichen und weltlichen Standes versammelt: auch die Bischöfe Hypatius und Demetrius aus dem Ostreich weilten bei ihm. Große Aufregung, aus Zorn und Furcht gemischt, sprach aus allen Gesichtern, als der gewandte Rhetor seine Ansprache mit folgenden Worten schloß: «Deshalb, ihr ehrwürdigen Bischöfe des Westreichs und des Ostreichs und ihr edeln Römer, hab' ich euch hierher beschieden. Laut und feierlich lege ich vor euch im Namen meines Kaiser Verwahrung ein gegen alle Taten der Arglist und Gewalt, die im geheimen gegen die hohe Frau verübt werden mögen. Seit neun Tagen ist sie verschwunden aus Ravenna: wohl mit Gewalt hinweggeführt aus eurer Mitte: sie, die von jeher die Freundin, die Beschützerin der Italier gewesen. Verschwunden ist am gleichen Tage die Königin, ihre grimmige Feindin. Ich habe Eilboten ausgesandt, nach allen Richtungen, noch bin ich ohne Nachricht; aber wehe, wenn...» Er konnte nicht vollenden. Dumpfes Geräusch scholl von dem Forum des Herkules herauf, bald hörte man hastige Schritte im Vestibulum, der Vorhang ward zurückgeschlagen, und ins Gemach eilte staubbedeckt einer der byzantischen Sklaven des Gesandten: «Herr», rief er, «sie ist tot! Sie ist ermordet!» «Ermordet!» scholl es in der Runde. «Durch wen?» fragte Petros. «Von Gothelindis auf der Villa im Bolsener See.» «Wo ist die Leiche? Wo ist die Mörderin?» «Gothelindis gibt vor, die Fürstin sei im Bad ertrunken, unkundig mit den Wasserkünsten spielend. Aber man weiß, daß sie ihrem Opfer von hier auf dem Fuße nachgefolgt. Römer und Goten eilen zu Hunderten nach der Villa, die Leiche in feierlichem Zuge hierher zu geleiten. Die Königin floh vor der Rache des Volks in das feste Schloß von Feretri.» «Genug», rief Petros entrüstet, «ich eile zum König und fordre euch auf, ihr edeln Männer, mir zu folgen. Auf euer Zeugnis will ich mich berufen vor Kaiser Justinian.» Und sofort eilte er an der Spitze der Versammelten nach dem Palast. Sie fanden auf den Straßen eine Menge Volks in Bestürzung und Entrüstung hin und her wogend: die Nachricht war in die Stadt gedrungen und flog von Haus zu Haus. Als man den Gesandten des Kaisers und die Vornehmen der Stadt erkannte, öffnete sich die Menge vor ihnen, schloß sich aber dicht hinter ihnen wieder und flutete nach auf dem Wege in den Palast, von dessen Toren sie kaum abgehalten wurde. Von Minute zu Minute stieg die Zahl und der Lärm des Volkes: auf dem Forum des Honorius drängten sich die Ravennaten zusammen, die mit der Trauer um ihre Beschützerin schon die Hoffnung vereinten, bei diesem Anlaß die Barbarenherrschaft fallen zu sehen: das Erscheinen des kaiserlichen Gesandten steigerte diese Hoffnung, und der Auflauf vor dem Palast nahm mehr und mehr eine Richtung, die keineswegs bloß Theodahad und Gothelindis bedrohte. Inzwischen eilte Petros mit seiner Begleitung in das Gemach des hilflosen Königs, den mit seiner Gattin alle Kraft des Widerstandes verlassen hatte: er verzagte vor der Aufregung der unten wogenden Menge und hatte nach Petros gesendet, von ihm Rat und Hilfe zu erlangen, da ja dieser es gewesen, der mit Gothelindis den Untergang der Fürstin beschlossen und die Art der Ausführung beraten hatte. Er sollte ihm jetzt auch die Folgen der Tat tragen helfen. Als daher der Byzantiner auf der Schwelle erschien, eilte er, beide Arme ausbreitend, auf ihn zu; aber erstaunt blieb er plötzlich stehen, erstaunt über die Begleitung, noch mehr erstaunt über die finster drohende Miene des Gesandten. «Ich fordre Rechenschaft von dir, König der Goten», rief dieser schon an der Türe, «Rechenschaft im Namen von Byzanz für die Tochter Theoderichs. Du weißt, Kaiser Justinian hat sie seines besondern Schutzes versichert: jedes Haar ihres Hauptes ist daher heilig und heilig jeder Tropfen ihres Blutes. Wo ist Amalaswintha?» Der König sah ihn staunend an. Er bewunderte diese Verstellungskunst. Aber er begriff ihren Zweck nicht. Er schwieg. «Wo ist Amalaswintha?» wiederholte Petros, drohend vortretend, und sein Anhang folgte ihm einen Schritt. «Sie ist tot», sagte Theodahad, ängstlich werdend. «Ermordet ist sie», rief Petros, «so ruft ganz Italien, ermordet von dir und deinem Weibe. Justinian, mein hoher Kaiser, war der Schirmherr dieser Frau, er wird ihr Rächer sein: Krieg künd' ich dir in seinem Namen an, Krieg gegen euch, ihr blutigen Barbaren, Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht.» «Krieg gegen euch und euer ganz Geschlecht!» wiederholten die Italier, fortgerissen von der Gewalt des Augenblicks und den alten, langgenährten Haß entzügelnd, und wie eine Woge brausten sie heran auf den zitternden König. «Petros», stammelte dieser entsetzt, «du wirst gedenken des Vertrages, du wirst doch...» Aber der Gesandte zog eine Papyrusrolle aus dem Mantel und riß sie mitten durch. «Zerrissen ist jedes Band zwischen meinem Kaiser und deinem blutbefleckten Haus. Ihr selber habt durch eure Greueltat alle Schonung verwirkt, die man euch früher gewährt. Nichts von Verträgen. Krieg!» «Um Gott», jammerte Theodahad, «nur nicht Krieg und Kampf! Was forderst du, Petros?» «Unterwerfung! Räumung Italiens! Dich selber und Gothelindis lad' ich zum Gericht nach Byzanz vor den Thron Justinians, dort... -» Aber seine Rede unterbrach der schmetternde Ruf des gotischen Kriegshorns, und in das Gemach eilte mit gezogenen Schwertern einen starke Schar gotischer Krieger, von Graf Witichis geführt. Die gotischen Führer hatten sofort auf die Nachricht von Amalaswinthens Untergang die tüchtigsten Männer ihres Volks in Ravenna zu einer Beratung vor die Porta romana beschieden und dort Maßregeln der Sicherung und der Gerechtigkeit beraten. Zur rechten Zeit erschienen sie jetzt auf dem Forum des Honorius, wo der Auflauf immer drohender wurde: schon blinkte hier und dort ein Dolch, schon ertönte manchmal der Ruf: «Wehe den Barbaren!» Diese Zeichen und Stimmen verschwanden und verstummten sofort, als nun die verhaßten Goten in geschlossenem Zug von dem Forum des Herkules her durch die Via palatina anrückten: ohne Widerstand zogen sie quer durch die grollenden Haufen, und indessen Graf Teja und Hildebad die Tore und die Terrasse des Palastes besetzten, waren Graf Witichis und Hildebrand gerade rechtzeitig im Gemache des Königs angelangt, die letzten Worte des Gesandten noch zu hören. Ihr Zug stellte sich in einer Schwenkung rechts vom Thronsitz des Königs, zu dem dieser zurückgewichen war: und Witichis auf sein langes Schwert gestützt, trat hart vor den Griechen hin und sah ihm scharf ins Auge. Eine erwartungsvolle Pause trat ein. «Wer wagt es», fragte Witichis ruhig, «hier den Herrn und Meister zu spielen im Königshaus der Goten?» Von seiner Überraschung sich erholend entgegnete Petros: «Es steht dir übel an, Graf Witichis, Mörder zu beschützen. Ich hab' ihn nach Byzanz geladen vor Gericht.» «Und darauf hast du keine Antwort, Amalunge?» rief der alte Hildebrand zornig. Aber das böse Gewissen band dem König die Stimme. «So müssen wir statt seiner sprechen», sagte Witichis. «Wisse, Grieche, vernehmt es wohl, ihr falschen und undankbaren Ravennaten: das Volk der Goten ist frei und erkennt auf Erden keinen Herrn und Richter über sich.» «Auch nicht für Mord und Blutschuld?» «Wenn schwere Taten unter uns geschehen, richten und strafen wir sie selbst. Den Fremdling geht das nichts an, am wenigsten unsern Feind, den Kaiser in Byzanz.» «Mein Kaiser wird diese Frau rächen, die er nicht retten konnte. Liefert die Mörder aus nach Byzanz.» «Wir liefern keinen Gotenknecht nach Byzanz, geschweige unsern König», sprach Witichis. «So teilt ihr seine Strafe wie seine Schuld, und Krieg erklär' ich euch, im Namen meines Herrn. Erbebt vor Justinian und Belisar.» Eine freudige Bewegung der gotischen Krieger war die Antwort. Der alte Hildebrand trat ans Fenster und rief zu den unten stehenden Goten hinab: «Hört, ihr Goten, frohe Kunde: Krieg, Krieg mit Byzanz.» Da brach unten ein Getöse los, wie wenn das Meer entfesselt über seine Dämme bricht, die Waffen klirrten, und tausend Stimmen jubelten: «Krieg, Krieg mit Byzanz!» Dieser Widerhall blieb nicht ohne Eindruck auf Petros und die Italier. Das Ungestüm solcher Begeisterung erschreckte sie: schweigend sahen sie vor sich nieder. Während die Goten sich beglückwünschend die Hände schüttelten, trat Witichis ernst, gesenkten Hauptes in die Mitte, hart neben Petros, und sprach feierlich: «Also Krieg! Wir scheuen ihn nicht: - du hast es gehört. Besser offner Kampf als die langjährige, lauernde, wühlende Feindschaft. Der Krieg ist gut: aber wehe dem Frevler, der ohne Recht und ohne Grund den Krieg beginnt. Ich sehe Jahre voraus, viele Jahre von Blut und Mord und Brand, ich sehe zerstampfte Saaten, rauchende Städte, zahllose Leichen die Ströme hinabschwimmen. Hört unser Wort: auf euer Haupt dies Blut, dies Elend. Ihr habt geschürt und gereizt jahrelang: wir haben's ruhig getragen. Und jetzt habt ihr den Krieg hereingeschleudert, richtend, wo ihr nicht zu richten habt, ohne Grund euch mischend in das Leben eines Volkes, das so frei wie ihr: auf euer Haupt die Schuld. Dies unsre Antwort nach Byzanz.» Schweigend hörte Petros diese Worte an, schweigend wandte er sich und schritt mit seinen italischen Freunden hinaus. Einige von diesen gaben ihm das Geleit bis in seine Wohnung, unter ihnen der Bischof von Florentia. «Ehrwürdiger Freund», sagte er zu diesem beim Abschied, «die Briefe Theodahads in der bewußten Sache, die du mir zur Einsicht anvertraut, mußt du mir ganz belassen. Ich bedarf ihrer, und für deine Kirche sind sie nicht mehr nötig» - «Der Prozeß ist längst entschieden», erwiderte der Bischof, «und die Güter unwiderruflich erworben. Die Dokumente sind dein.» Darauf verabschiedete der Gesandte seine Freunde, die ihn bald mit dem kaiserlichen Heer in Ravenna wiederzusehen hofften, und eilte in sein Gemach, wo er zuerst einen Boten an Belisar abfertigte, ihn zum sofortigen Angriff aufzufordern. Darauf schrieb er einen ausführlichen Bericht an den Kaiser, der mit folgenden Worten schloß: «Und so scheinst du, o Herr, wohl Grund zu haben, mit den Diensten deines getreuesten Knechts zufrieden zu sein und mit der Lage der Dinge. Das Volk der Barbaren in Parteien zerspalten: auf dem Thron ein verhaßter Fürst, unfähig und treulos: die Feinde sonder Rüstung überrascht: die italische Bevölkerung überall für dich gewonnen: es kann nicht fehlen: wenn keine Wunder geschehen, müssen die Barbaren fast ohne Widerstand erliegen. Und wie oft tritt auch hier mein erhabener Kaiser, dessen Stolz das Recht, Hs Schirmherr und Rächer der Gerechtigkeit auf: - es ist ein geistvoller Zufall, daß die Triere, die mich trägt, den Namen führt. Nur das eine betrübt mich unendlich, daß es meinem treuen Eifer nicht gelungen, die unselige Tochter Theoderichs zu retten. Ich flehe dich an, meiner hohen Herrin, der Kaiserin, die mir niemals gnädig gesinnt war, wenigstens zu versichern, daß ich allen ihren Aufträgen bezüglich der Fürstin, deren Schicksal sie mir noch in der letzten Unterredung als Hauptsorge ans Herz legte, aufs treueste nachzukommen suchte. Auf die Anfrage bezüglich Theodahads und Gothelindens, deren Hilfe uns das Gotenreich in die Hände liefert, wage ich es, der hohen Kaiserin mit der ersten Regel der Klugheit zu antworten: es ist zu gefährlich, die Mitwisser unsrer tiefsten Geheimnisse am Hof zu haben.» Diesen Brief sandte Petros eilig durch die beiden Bischöfe Hypatius und Demetrius voraus. Sie sollten nach Brundisium und von da über Epidamnus auf dem Landweg nach Byzanz eilen. Er selbst wollte erst nach einigen Tagen folgen, langsam die gotische Küste des jonischen Meerbusens entlang fahrend, überall die Stimmung der Bevölkerung in den Hafenstädten zu prüfen und zu schüren. Dann sollte er um den Peloponnes und Euböa her nach Byzanz segeln: denn die Kaiserin hatte ihm den Seeweg vorgeschrieben und ihm Aufträge für Athen und Lampsakos erteilt. Er überrechnete schon vor der Abreise von Ravenna mit vergnügten Sinnen immer wieder seine Wirksamkeit in Italien und den Lohn, den er dafür in Byzanz erwartete. Er kehrte zurück, noch einmal so reich als er gekommen. Denn er hatte der Königin Gothelindis nie eingestanden, daß er mit dem Auftrag, Amalaswintha zu verderben, ins Land gekommen. Er hatte ihr vielmehr lange die Gefahr der Ungnade bei Kaiser und Kaiserin entgegengehalten und sich nur mit Widerstreben durch sehr hohe Summen von ihr für den Plan gewinnen lassen, in welchem er sie doch nur als Werkzeug brauchte. Er erwartete in Byzanz mit Sicherheit die versprochene Würde des Patriciats und freute sich schon, seinem hochmütigen Vetter Narses, der ihn nie befördert hatte, nun bald in gleichem Range entgegenzutreten. «So ist denn alles nach Wunsch gelungen», sagte er selbstzufrieden, während er seine Briefschaften ordnete: «und diesmal, du stolzer Freund Cethegus, hat sich die Verschmitztheit doch trefflich bewährt. Und der kleine Rhetor aus Thessalonike hat es doch weiter gebracht mit seinen kleinen, leisen Schritten, denn du mit deinem stolzen, herausfordernden Gang. Nur muß noch dafür gesorgt werden, daß Theodahad und Gothelindis nicht nach Byzanz an den Hof entrinnen. Wie gesagt, das wäre zu gefährlich: vielleicht hat die Frage der klugen Kaiserin eine Warnung sein sollen. Nein, dieses Königspaar muß verschwinden aus unsern Wegen.» Und er ließ den Gastfreund rufen, bei dem er gewohnt, und nahm Abschied von ihm. Dabei übergab er ihm eine dunkle, schmale Vase von der Form derer, die zur Aufbewahrung von Urkunden dienten: er versiegelte den Deckel mit seinem Ring, der einen feingeschnittenen Skorpion zeigte, und schrieb einen Namen auf die daran hängende Wachstafel. «Diesen Mann», sagte er dem Gastfreund, «suche auf bei der nächsten Versammlung der Goten zu Regeta und übergib ihm die Vase: was sie enthält ist sein. Leb' wohl, auf baldig Wiedersehen hier in Ravenna.» Und er verließ mit seinen Sklaven das Haus und bestieg alsbald das Gesandtenschiff: von stolzen Erwartungen hoch gehoben trug ihn die «Nemesis» dahin. Und als sich nun sein Schiff dem Hafen von Byzanz näherte, von Lampsakos aus hatte er - auch dies hatte die Kaiserin gewünscht - seine baldige Ankunft durch einen kaiserlichen Schnellsegler, der eben abging, melden lassen, überflog des Gesandten Auge erwartungsvoll die schönen Landhäuser, die marmorweiß aus den Schatten immergrüner Gärten blinkten. «Hier wirst du künftig wohnen, unter den Senatoren des Reichs», sprach wohlgefällig Petros. Vor dem Einlaufen in den Hafen flog die «Thetis», das prachtvolle Lustboot der Kaiserin, ihnen entgegen, sowie es des Gesandten Galeere erkannte die Purpurwimpel entrollend und sie zum Halten anrufend. Alsbald stieg an Bord der Galeere ein Bote der Kaiserin: es war Alexandros, der frühere Gesandte am Hof von Ravenna. Er wies dem Trierarchen ein Schreiben des Kaisers, in das dieser einen erschrockenen Blick warf. Dann wandte er sich zu Petros: «Im Namen des Kaisers Justinian! Du bist wegen jahrelang fortgesetzter Urkundenfälschug und Steuerunterschlagung lebenslänglich zu den Metallarbeitern in den Bergwerken von Cherson bei den ultziagirischen Hunnen verurteilt. Du hast die Tochter Theoderichs ihren Feinden preisgegeben. Der Kaiser hätte dich durch deinen Brief für entschuldigt erachtet, aber die Kaiserin, untröstlich über den Untergang ihrer königlichen Schwester, hat deine alte Schuld dem Kaiser entdeckt. Und ein Brief des Präfekten von Rom an diesen hat dargetan, daß du mit Gothelindis geheim der Königin Verderben geplant. Die Kaiserin hat den Kaiser auch hierin überzeugt. Dein Vermögen ist eingezogen: die Kaiserin aber läßt dir sagen» - hier flüsterte er in des Zerschmetterten Ohr -, «du habest in deinem klugen Brief ihr selbst den Rat erteilt, Mitwisser von Geheimnissen zu verderben. Trierarch, du führst den Verurteilten sofort an seinen Strafort ab.» Und Alexandros ging auf die «Thetis» zurück. Die «Nemesis» aber drehte rauschend ihr Steuer, wandte dem Hafen von Byzanz den Rücken und trug den Sträfling für immer aus dem Leben der Menschen. Achtes Kapitel Wir haben Cethegus, den Präfekten, seit seiner Abreise nach Rom aus den Augen verloren. Er hatte daselbst in den Wochen der erzählten Ereignisse die eifrigste Tätigkeit entfaltet: denn er erkannte, daß die Dinge jetzt zur Entscheidung drängten; er konnte ihr getrost entgegensehen. Ganz Italien war einig in dem Haß gegen die Barbaren: und wer anders vermochte es, der Kraft dieses Hasses Bewegung und Ziel zu geben, als das Haupt der Katakombenverschwörung und der Herr von Rom. Das war er durch die jetzt völlig ausgebildeten und ausgerüsteten Legionäre und durch die nahezu vollendete Befestigung der Stadt, an der er in den letzen Monaten nachts wie tags hatte arbeiten lassen. Und nun war es ihm zuletzt noch gelungen, wie er glaubte, ein sofortiges Auftreten der byzantinischen Macht in seinem Italien, die Hauptgefahr, die seinen ehrgeizigen Plänen gedroht, abzuwenden. Durch zuverlässige Kundschafter hatte er erfahren, daß die byzantinische Flotte, die bisher lauernd bei Sizilien geankert, sich wirklich von Italien hinweggewandt und der afrikanischen Küste genähert habe, wo sie die Seeräuberei zu unterdrücken beschäftigt schien. Freilich sah Cethegus voraus, daß es zu einer Landung der Griechen in Italien kommen werde: er konnte derselben als einer Nachhilfe nicht entbehren. Aber alles war ihm daran gelegen, daß dies Auftreten des Kaisers eben nur eine Nachhilfe bleibe, und deshalb mußte er, ehe ein Byzantiner den italischen Boden betreten, eine Erhebung der Italier aus eigner Kraft veranlaßt und zu solchen Erfolgen geführt haben, daß die spätere Mitwirkung der Griechen nur als eine Nebensache erschien und mit Anerkennung einer losen Oberhoheit des Kaisers abgelehnt werden konnte. Und er hatte zu diesem Zweck seine Pläne trefflich vorbereitet. Sowie der letzte römische Turm unter Dach, sollten die Goten in ganz Italien an einem Tag überfallen, mit einem Schlag alle festen Plätze, Burgen und Städte, Rom, Ravenna und Neapolis voran, genommen werden. Und waren die Barbaren ins flache Land hinausgeworfen, so stand nicht mehr zu fürchten, daß sie bei ihrer großen Unkunde in Belagerungen und bei der Anzahl und Stärke der italischen Festen diese und damit die Herrschaft über die Halbinsel wiedergewinnen würden. Dann mochte ein byzantinisches Bundesheer helfen, die Goten vollends über die Alpen zu drängen: und Cethegus wollte schon dafür sorgen, daß diese Befreier ebenfalls keinen Fuß in die wichtigsten Festungen setzen sollten, um sich ihrer später unschwer wieder entledigen zu können. Dieser Plan setzte nun aber voraus, daß die Goten durch die Erhebung Italiens überrascht würden. Wenn der Krieg mit Byzanz in Aussicht oder gar schon ausgesprochen war, dann natürlich ließen sich die Barbaren die in Kriegsstand gesetzten Städte nicht durch einen Handstreich entreißen. Da nun aber Cethegus, seit er die Sendung des Petros durchschaut hatte, bei jeder Gelegenheit Justinians Hervortreten aus seiner drohenden Stellung erwarten mußte, da es kaum noch gelungen war Belisar wieder abzuwenden von Italien, beschloß er, keinen Augenblick mehr zu verlieren. Er hatte auf den Tag der Vollendung der Befestigung Roms eine allgemeine Versammlung der Verschworenen in den Katakomben anberaumt, in der das mühsam und erfindungsreich vorbereitete Werk gekrönt, der Augenblick des Losschlagens bestimmt und Cethegus als Führer dieser rein italischen Bewegung bezeichnet werden sollte. Er hoffte sicher, den Widerstand der Be stochenen oder Furchtsamen, die nur für und mit Byzanz zu handeln geneigt waren, durch die Begeisterung der Jugend zu überwältigen, wenn er diese sofort in den Kampf zu führen versprach. Noch vor jenem Tag kam die Nachricht von Amalaswinthens Ermordung, von der Verwirrung und Spaltung der Goten nach Rom, und ungeduldig sehnte der Präfekt die Stunde der Entscheidung herbei. Endlich war auch der einzige noch unfertige Turm des aurelischen Tores unter Dach: Cetheus führte die letzten Hammerschläge: ihm war dabei, er höre die Streiche des Schicksals von Rom und von Italien dröhnen. Bei dem Schmause, den er darauf den Tausenden von Arbeitern in dem Theater des Pompejus gab, hatten sich auch die meisten der Verschworenen eingefunden, und der Präfekt benutzte die Gelegenheit, diesen seine unbegrenzte Beliebtheit im Volk zu zeigen. Auf die jüngeren unter den Genossen machte dies freilich den Eindruck, welchen er gewünscht hatte; aber ein Häuflein, dessen Mittelpunkt Silverius war, zog sich mit finsteren Mienen von den Tischen zurück. Der Priester hatte seit langem eingesehen, daß Cethegus nicht bloß Werkzeug sein wollte, daß er eigene Pläne verfolgte, die der Kirche und seinem persönlichen Einfluß sehr gefährlich werden konnten. Und er war entschlossen, den kühnen Verbündeten zu stürzen, sobald er entbehrt werden konnte; es war ihm nicht schwer geworden, die Eifersucht so manches Römers gegen den Überlegenen im geheimen zu schüren. Die Anwesenheit aber zweier Bischöfe aus dem Ostreich, Hypatius von Ephesus und Demetrius von Philippi, die in Glaubensfragen öffentlich mit dem Papst, aber geheim mit König Theodahad, in Unterstützung des Petros, in Politik verhandelten, hatte der kluge Archidiakon benutzt, um mit Theodahad und mit Byzanz in enge Verbindung zu treten. «Du hast recht, Silverius», murrte Scävola im Hinausgehen aus dem Tor des Theaters, «der Präfekt ist Marius und Cäsar in einer Person.» - «Er verschwendet diese ungeheuren Summen nicht umsonst, man darf ihm nicht zu sehr trauen», warnte der geizige Albinus. - «Liebe Brüder», mahnte der Priester, «sehet zu, daß ihr nicht einen unter euch lieblos verdammt. Wer solches täte, wäre des höllischen Feuers schuldig. Freilich beherrscht unser Freund die Fäuste der Handwerker wie die Herzen seiner jungen : es ist das gut so, er kann dadurch die Tyrannei zerbrechen... » «Aber dadurch auch eine neue aufrichten», meinte Calpurnius. «Das soll er nicht, wenn Dolche noch töten, wie in Brutus' Tagen», sprach Scävola. «Es bedarf des Blutes nicht. Bedenket nur immer»: sagte Silverius, «je näher der Tyrann, desto drückender die Tyrannei: je ferner der Herrscher, desto erträglicher die Herrschaft. Das schwere Gewicht des Präfekten ist aufzuwiegen durch das schwerere des Kaisers.» «Jawohl», stimmte Albinus bei, der große Summen von Byzanz erhalten hatte, «der Kaiser muß der Herr Italiens werden.» - «Das heißt», beschwichtigte Silverius den unwillig auffahrenden Scävola, «wir müssen den Präfekten durch den Kaiser, den Kaiser durch den Präfekten niederhalten. Siehe, wir stehen an der Schwelle meines Hauses. Laßt uns eintreten. Ich habe geheim euch mitzuteilen, was heute abend in der Versammlung kundwerden soll. Es wird euch überraschen. Aber andre Leute noch mehr.» Inzwischen wär auch der Präfekt von dem Gelage nach Hause geeilt, sich in einsamem Sinnen zu seinem wichtigen Werke zu bereiten. Nicht seine Rede überdachte er: wußte er doch längst, was er zu sagen hatte, und, ein glänzender Redner, dem die Worte so leicht wie die Gedanken kamen, überließ er den Ausdruck gern dem Antrieb des Augenblicks, wohl wissend, daß das eben frisch aus der Seele geschöpfte Wort am lebendigsten wirkt. Aber er rang nach innerer Ruhe, denn seine Leidenschaft schlug hohe Wellen. Er überschaute die Schritte, die er nach seinem Ziele hin getan, seit zuerst dieses Ziel mit dämonischer Gewalt ihn angezogen. Er erwog die kurze Strecke, die noch zurückzulegen war: er überzählte die Schwierigkeiten, die Hindernisse, die noch auf diesem Wege lagen, und ermaß dagegen die Kraft seines Geistes, sie zu überwinden. Und das Ergebnis dieses prüfenden Wägens erzeugte in ihm eine Siegesfreude, die ihn mit jugendlicher Aufregung ergriff. Mit gewaltigen Schritten durchmaß er das Gemach. Die Muskeln seiner Arme spannten sich wie in der Stunde beginnender Schlacht: er umgürtete sich mit dem breiten, siegreichen Schwert seiner Kriegsfahrten und drückte krampfhaft dessen Adlergriff, als gelte es, jetzt gegen zwei Welten, gegen Byzanz und die Barbaren, sein Rom zu erkämpfen. Dann trat er der Cäsarstatue gegenüber und sah ihr lange in das schweigende Marmorantlitz. Endlich ergriff er mit beiden Händen die Hüften des Imperators und rüttelte an ihnen: «Leb' wohl», sagte er, «und gib mir dein Glück mit auf den Weg. Mehr brauch' ich nicht.» Und rasch wandte er sich und eilte aus dem Gemache und durch das Atrium hinaus auf die Straße, wo ihn schon die ersten Sterne begrüßten. Zahlreicher als je hatten sich die Verschworenen an diesem Abend in den Katakomben eingefunden: waren doch durch ganz Italien die Ladungen zu dieser Versammlung als zu einer entscheidungsvollen ergangen. So waren auf den Wunsch des Präfekten besonders alle strategisch wichtigen Punkte vertreten: von den starken Grenzhüterinnen Tridentum, Tarvisium und Verona, die das Eis der Alpen schauen, bis zu Otorantum und Consentia, welche die laue Welle des ausonischen Meeres bespült, hatten sie alle ihre Boten zugesendet, jene berühmten Städte Siziliens und Italiens mit den stolzen, den schönen, den weltgeschichtlichen Namen: Syrakusä und Catana, Panormus und Messana, Regium, Neapolis und Cumä, Capua und Beneventum, Antium und Ostia, Reate und Narnia, Volsinii, Urbsvetus und Spoletum, Clusium und Perusia, Auximum und Ancon, Florentia und Fäsulä, Pisa, Luca, Luna und Genua, Ariminium, Cäsena, Faventia und Ravenna, Parma, Dertona und Placentia, Mantua, Cremona und Ticinum (Pavia), Mediolanum, Comum und Bergamum, Asta und Pollentia: dann von der Nord-und Ostküste des jonischen Meerbusens: Concordia, Aquileja, Jadera, Scardona und Salona. Da waren ernste Senatoren und Dekurionen, ergraut in dem Rat ihrer Städte, deren Häupter ihre Ahnen seit Jahrhunderten gewesen: kluge Kaufleute, breitschultrige Gutsherrn, rechthaberische Juristen, spöttische Rhetoren: und namentlich eine große Anzahl von Geistlichen jeden Ranges und jeden Alters: die einzige fest organisierte Macht und Silverius unbedingt gehorsam. Wie Cethegus, noch hinter der Mündung des schmalen Ganges verborgen, die Massen in dem Halbrund der Grotte übersah, konnte er sich eines verächtlichen Lächelns nicht erwehren, das aber in einen Seufzer auslief Außer der allgemeinen Abneigung gegen die Barbaren, die doch bei weitem nicht stark genug war, schwere politische Pläne mit Opfern und Entsagungen zu tragen - welch verschiedene und oft welch kleine Motive hatten die Verschworenen hier zusammengeführt! Cethegus kannte die Beweggründe der einzelnen genau: hatte er sie doch durch Bearbeitung ihrer schwächsten Seiten beherrschen gelernt. Und er mußte zuletzt noch froh darum sein: echte Römer hätte er nie, wie diese Verschworenen, so völlig unter seinen Einfluß gebracht. Aber wenn er sie nun hier alle beisammen sah, diese Patrioten, und bedachte, wie den einen die Hoffnung auf einen Titel von Byzanz, den andern plumpe Bestechung, einen dritten Rachsucht wegen irgendeiner Beleidigung oder auch nur die Langeweile oder Schulden oder ein schlechter Streich unter die Unzufriedenen geführt: und wenn er sich nun vorstellte, daß er mit solchen Bundesgenossen den gotischen Heermännern entgegentreten sollte - da erschrak er fast über die Vermessenheit seines Planes. Und eine Erquickung war es ihm, als die helle Stimme des Lucius Licinius seinen Blick auf die Schar der jungen «Ritter» lenkte, denen wirklich kriegerischer Mut und nationale Begeisterung aus den Augen sprühte: so hatte er doch einige zuverlässige Waffen. - «Gegrüßt, Lucius Licinius», sprach er, aus dem Dunkel des Ganges hervortretend. «Ei, du bist ja gerüstet und gewaffnet, als ging es von hier gegen die Barbaren.» «Kaum bezwing' ich das Herz in der Brust vor Haß und vor Freude», sagte der schöne Jüngling. «Sieh, alle diese hier hab' ich für dich, für das Vaterland geworben.» Cethegus blickte grüßend umher: «Auch du hier, Kallistratos - du heitrer Sohn des Friedens?» «Hellas wird ihre Schwester Italia nicht verlassen in der Stunde der Gefahr», sagte der Hellene und legte die weiße Hand auf das zierliche Schwert mit dem Griff von Elfenbein. Und Cethegus nickte ihm zu und wandte sich zu den andern: Marcus Licinius, Piso, Massurius, Balbus, die seit den Floralien ganz von dem Präfekten gewonnen, ihre Brüder, Vettern, Freunde mitgebracht hatten. Prüfend flog sein Blick über die Gruppe, er schien einen aus diesem Kreise zu vermissen. Lucius Licinius erriet seine Gedanken: «Du suchst den schwarzen Korsen, Furius Ahalla? Auf den kannst du nicht zählen. Ich holte ihn von weitem aus, aber er sprach: Und als ich weiter in ihn drang - denn ich gewönne gern sein kühnes Herz und die vielen Tausende von Armen, über die er gebeut -sprach er kurz abweisend: » «Die Götter mögen wissen, was den tigerwilden Korsen an jenen Milchbart bindet», meinte Piso. Cethegus lächelte, aber er furchte die Stirn. «Ich denke, wir Römer genügen», sprach er laut, und das Herz der Jünglinge schlug. «Eröffne die Versammlung», mahnte Scävola unwillig den Archidiakon, «du siehst, wie er die jungen Leute beschwatzt; er wird sie alle gewinnen. Unterbrich ihn: rede.» «Sogleich. Bist du gewiß, daß Albinius kommt?» «Er kommt; er erwartet den Boten am appischen Tor.» «Wohlan», sagte der Priester. «Gott mit uns!» Und er trat in die Mitte der Rotunde, erhob ein schwarzes Kreuz und begann: «Im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal haben wir uns versammelt im Grauen der Nacht zu den Werken des Lichts. Vielleicht zum letztenmal: denn wunderbar hat der Sohn Gottes, dem die Ketzer die Ehre weigern, unsere Mühen zu seiner Verherrlichung, zur Vernichtung seiner Feinde gesegnet. Nächst Gott dem Herrn aber gebührt der höchste Dank dem edeln Kaiser Justinian und seiner frommen Gemahlin, die mit tätigem Mitleid die Seufzer der leidenden Kirche vernehmen: und endlich hier unsrem Freund und Führer, dem Präfekten, der unablässig für unseres Herrn, des Kaisers Sache wirkt...» - «Halt, Priester!» rief Lucius Licinius dazwischen, «ihr nennt den Kaiser von Byzanz hier unsern Herrn? Wir wollen nicht den Griechen dienen statt den Goten! Frei wollen wir sein!» - «Frei wollen wir sein», wiederholte der Chor seiner Freunde. «Frei wollen wir werden!» fuhr Silverius fort. «Gewiß. Aber das können wir nicht aus eigner Macht, nur mit des Kaisers Hilfe. Glaubt auch nicht, geliebte Jünglinge, der Mann, den ihr als euren Vorkämpfer verehrt, Cethegus, denke hierin anders. Justinian hat ihm einen köstlichen Ring - sein Bild in Karneol -gesendet, zum Zeichen, daß er billige, was der Präfekt für ihn, den Kaiser, tue, und der Präfekt hat den Ring angenommen: sehet hier, er trägt ihn am Finger.» Betroffen und unwillig sahen die Jünglinge auf Cethegus. Dieser trat schweigend in die Mitte. Eine peinliche Pause entstand. «Sprich, Feldherr!» rief Lucius, «widerlege sie! Es ist nicht, wie sie sagen mit dem Ring.» Aber Cethegus zog den Ring kopfnickend ab: «Es ist, wie sie sagen: der Ring ist vom Kaiser, und ich hab' ihn angenommen.» Lucius Licinius trat einen Schritt zurück. «Zum Zeichen?» fragte Silverius. «Zum Zeichen», sprach Cethegus mit drohender Stimme, «daß ich der herrschsüchtige Selbstling nicht bin, für den mich einige halten, zum Zeichen, daß ich Italien mehr liebe als meinen Ehrgeiz. Ja, ich baute auf Byzanz und wollte dem mächtigen Kaiser die Führerstelle abtreten - darum nahm ich diesen Ring. Ich baue nicht mehr auf Byzanz, das ewig zögert: deshalb hab' ich diesen Ring heute mitgebracht, ihn dem Kaiser zurückzustellen. Du, Silverius, hast dich als Vertreter von Byzanz erwiesen: hier, gib deinem Herrn sein Pfand zurück: er säumt zu lang; sag' ihm, Italien hilft sich selbst.» «Italien hilft sich selbst!» jubelten die jungen Ritter. «Bedenket, was ihr tut!» warnte mit verhaltnem Zorn der Priester. «Den heißen Mut der Jünglinge begreif ich - aber daß meines Freundes, des gereiften Mannes Hand nach dem Unerreichbaren greift - befremdet mich. Bedenket die Zahl und die wilde Kraft der Barbaren! Bedenket, wie die Männer Italiens seit langem des Schwertes entwöhnt, wie alle Zwingburgen des Landes in der Hand...» - «Schweig, Priester», donnerte Cethegus, «das verstehst du nicht! Wo es die Psalmen zu erklären gilt und die Seele nach dem Himmelreich zu lenken, da rede du: denn solches ist dein Amt; wo's aber Krieg und Kampf der Männer gilt, laß jene reden, die den Krieg verstehen. Wir lassen dir den ganzen Himmel - laß uns nur die Erde. Ihr römischen Jünglinge, ihr habt die Wahl. Wollt ihr abwarten, bis dieses wohlbedächtige Byzanz sich doch vielleicht Italiens noch erbarmt? Ihr könnt müde Greise werden bis dahin - oder wollt ihr, nach alter Römer Art, die Freiheit mit dem eigenen Schwert erkämpfen? Ihr wollt's, ich seh's am Feuer eurer Augen. Wie? Man sagt uns, wir sind zu schwach, Italien zu befreien? Ha, seid ihr nicht die Enkel jener Römer, die den Weltkreis bezwungen? Wenn ich euch aufrufe, Mann für Mann, da ist kein Name, der nicht klingt wie Heldenruhm: Decius, Corvinus, Cornelius, Valerius, Licinius -wollt ihr mit mir das Vaterland befreien?» «Wir wollen es! Führe uns, Cethegus!» riefen die Jünglinge begeistert. Nach einer Pause begann der Jurist: «Ich heiße Scävola. Wo römische Heldennamen aufgerufen werden, hätte man auch des Geschlechts gedenken mögen in dem das Heldentum der Kälte erblich ist. Ich frage dich, du jugendheißer Held Cethegus, hast du mehr als Träume und Wünsche, wie die jungen Toren, hast du einen Plan?» - «Mehr als das, Scävola, ich habe und halte den Sieg. Hier ist die Liste fast aller Festungen Italiens: an den nächsten Iden, in dreißig Tagen also, fallen sie alle, auf einen Schlag, in meine Hand.» «Wie? Dreißig Tage sollen wir noch warten?» fragte Lucius. «Nur so lange, bis die hier Versammelten ihre Städte wieder erreicht, bis meine Eilboten Italien durchflogen haben. Ihr habt über vierzig Jahre warten müssen!» Aber der ungeduldige Eifer der Jünglinge, den er selbst geschürt, wollte nicht mehr ruhen: sie machten verdroßne Mienen zu dem Aufschub - sie murrten. Blitzschnell ersah der Priester diesen Umschlag der Stimmung. «Nein, Cethegus,» rief er, «so lang kann nicht mehr gezögert werden! Unerträglich ist dem Edeln die Tyrannei: Schmach dem, der sie länger duldet, als er muß. Ich weiß euch bessern Trost, ihr Jünglinge! Schon in den nächsten Tagen können die Waffen Belisars in Italien blitzen.» «Oder sollen wir vielleicht», fragte Scävola, «Belisar nicht folgen, weil er nicht Cethegus ist?» «Ihr sprecht von Wünschen», lächelte dieser, «nicht von Wirklichem. Landete Belisar, ich wäre der erste, mich ihm anzuschließen. Aber er wird nicht landen. Das ist's ja, was mich abgewendet hat von Byzanz: der Kaiser hält nicht Wort.» Cethegus spielte ein sehr kühnes Spiel. Aber er konnte nicht anders. «Du könntest irren und der Kaiser früher sein Wort erfüllen, als du meinst. Belisar liegt bei Sizilien.» «Nicht mehr. Er hat sich nach Afrika, nach Hause gewendet. Hofft nicht mehr auf Belisar.» Da hallten hastige Schritte aus dem Seitengange, und eilfertig stürzte Albinus herein: «Triumph», rief er, «Freiheit, Freiheit!» «Was bringst du?» fragte freudig der Priester. «Den Krieg, die Rettung. Byzanz hat den Goten den Krieg erklärt.» «Freiheit, Krieg!» jauchzten die Jünglinge. «Es ist unmöglich!» sprach Cethegus, tonlos. «Es ist gewiß!» rief eine andre Stimme vom Gange her - es war Calpurnius, der jenem auf dem Fuß gefolgt - «und mehr als das: der Krieg ist begonnen. Belisar ist gelandet auf Sizilien, bei Catana: Syrakusä, Messana sind ihm zugefallen, Panormus hat er mit der Flotte genommen, er ist übergesetzt nach Italien, von Messana nach Regium, er steht auf unserm Boden.» «Freiheit!» rief Marcus Licinius. «Überall fällt ihm die Bevölkerung zu. Aus Apulien, aus Calabrien flüchten die überraschten Goten, unaufhaltsam dringt er durch Bruttien und Lucanien gen Neapolis.» «Es ist erlogen, alles erlogen!» sagte Cethegus mehr zu sich selbst als zu den andern. «Du scheinst nicht sehr erfreut über den Sieg der guten Sache. Aber der Bote ritt drei Pferde zu Tod. Belisar ist gelandet mit dreißigtausend Mann.» - «Ein Verräter, wer noch zweifelt», sprach Scävola. - «Nun laß sehen», höhnte Silverius, «ob du dein Wort halten wirst. Wirst du der erste von uns sein, dich Belisar anzuschließen?» Vor Cethegus' Auge versank in dieser Stunde eine ganze Welt, seine Welt. So hatte er denn umsonst, nein, schlimmer als das, für einen verhaßten Feind alles getan, was er getan. Belisar in Italien mit einem starken Heere und er getäuscht, machtlos, überwunden! Wohl jeder andre hätte jetzt alles weitre Streben ermüdet aufgegeben. In des Präfekten Seele fiel nicht ein Schatten der Entmutigung. Sein ganzer Riesenbau war eingestürzt: noch betäubte der Schlag sein Ohr, und schon hatte er beschlossen, im selben Augenblick ihn von neuem zu beginnen: seine Welt war versunken, und er hatte nicht Muße, ihr einen Seufzer nachzusenden, denn aller Augen hingen an ihm. Er beschloß, eine zweite zu schaffen. «Nun! Was wirst du tun?» wiederholte Silverius. Cethegus würdigte ihn keines Blicks. Zu der Versammlung gewendet sprach er mit ruhiger Stimme: «Belisar ist gelandet: Er ist jetzt unser Haupt, ich gehe in sein Lager.» Damit schritt er dem Ausgang zu, gemessenen Ganges, gefaßten Angesichts, an Silverius und dessen Freunden vorüber. Silverius wollte ein Wort des Hohnes flüstern, aber er verstummte, da ihn der Blick des Präfekten traf: «Frohlocke nicht, Priester», schien er zu sagen, «diese Stunde wird dir vergolten.» Und Silverius, der Sieger, blieb erschrocken stehn. Neuntes Kapitel Die Landung der Byzantiner war allen, Goten wie Italiern, gleich unerwartet gekommen. Denn die letzte Bewegung Belisars nach Südosten hatte alle Erwartungen von der kaiserlichen Flotte in die Irre gelenkt. Von unsern gotischen Freunden war nur Totila in Unteritalien: vergeblich hatte er als Seegraf von Neapolis die Regierung zu Ravenna gewarnt und um Vollmachten, um Mittel zur Verteidigung Siziliens gebeten. Wir werden sehen, wie ihm alle Mittel genommen wurden, das Ereignis zu verhindern, das sein Volk bedrohte, das gerade in die lichten Kreise seines eigenen Lebens zuerst verhängnisvolle Schatten werfen und die Bande des Glückes zerreißen sollte, mit welchen ein freundliches Schicksal diesen Liebling der Götter bisher umwoben hatte. Denn in Bälde war es der unwiderstehlichen Anmut seiner Natur gelungen, das edle, wenn auch strenge Herz des Valerius zu gewinnen. Wir haben gesehen, wie mächtig die Bitten der Tochter, das Andenken an die Scheideworte der Gattin, die Offenheit Totilas schon in jener Stunde der nächtlichen Überraschung auf den würdigen Alten gewirkt. Totila blieb als Gast in der Villa: Julius, mit seiner gewinnenden Güte, wurde von den Liebenden zu Hilfe gerufen, und ihren vereinten Einflüssen gab der Sinn des Vaters allmählich nach. Dies war jedoch bei dem strengen Römertum des Alten nur dadurch möglich, daß von allen Goten Totila an Sinnesart, Bildung und Wohlwollen den Römern am nächsten stand, so daß Valerius bald einsah, er könne einen Jüngling nicht «barbarisch» schelten, der besser als mancher Italier die Sprache, die Weisheit und die Schönheit der hellenischen und römischen Literatur kannte und würdigte und, wie er seine Goten liebte, so die Kultur der Alten Welt bewunderte. Dazu kam endlich, daß im politischen Gebiet den alten Römer und den jungen Germanen der gemeinsame Haß gegen die Byzantiner verband. Wenn der offenen Heldenseele Totilas in den tückischen Erbfeinden seiner Nation die Mischung von Heuchelei und Gewaltherrschaft unwillkürlich wie dem Lichte die Nacht verhaßt, so war für Valerius die ganze Tradition seiner Familie eine Anklage gegen das Imperatorentum und Byzanz. Die Valerier hatten von jeher zu der aristokratischrepublikanischen Opposition wider das Cäsarentum gezählt. Und so mancher der Ahnen hatte schon seit den Tagen des Tiberius die altrepublikanische Gesinnung mit dem Tode gebüßt und besiegelt. Niemals hatten diese Geschlechter im Herzen die Übertragung der Weltherrschaft von der Tiberstadt nach Byzanz anerkannt. In dem byzantinischen Kaisertum erblickte Valerius den Gipfel aller Tyrannei: und um jeden Preis wollte er die Habsucht, den Glaubenszwang, den orientalischen Despotismus dieser Kaiser von seinem Latium fernhalten. Es kam dazu, daß sein Vater und sein Bruder bei einer Handelsreise durch Byzanz von einem Vorgänger Justinians aus Habsucht waren festgehalten und, wegen angeblicher Beteiligung an einer Verschwörung, unter Konfiskation ihrer im Ostreich gelegenen Güter, hingerichtet wurden, so daß den politischen Haß des Patrioten mit aller Macht persönliche Schmerzen verstärkten. Er hatte, als Cethegus ihn in die Katakombenverschwörung einweihte, begeistert den Gedanken einer Selbstbefreiung Italiens ergriffen, aber alle Annäherungen der kaiserlichen Partei mit den Worten abgewiesen: «Lieber den Tod, als Byzanz!» So vereinten sich die beiden Männer in dem Entschluß, keine Byzantiner in dem schönen Lande zu dulden, das dem Goten kaum minder teuer war als dem Römer. Die Liebenden hüteten sich, den Willen des Alten schon jetzt zu einem bindenden Wort zu drängen; sie begnügten sich für die Gegenwart mit der Freiheit des Umgangs, die Valerius ihnen beließ, und warteten ruhig ab, bis der Einfluß allmählicher Gewöhnung ihn auch mit dem Gedanken an ihre völlige Vereinigung befreunden würde. So verlebten unsere jungen Freunde goldene Tage. Das Liebespaar hatte neben seinem eigensten Glücke die Freude an der wachsenden Neigung des Vaters zu Totila, und Julius genoß jene weihevolle Erhebung, die für edle Naturen in dem Überwinden eigner Schmerzen um des Glückes geliebter Herzen willen liegt. Seine suchende, von der Weisheit der alten Philosophie nicht befriedigte Seele wandte sich mehr und mehr jener Lehre zu, die den höchsten Frieden im Entsagen findet. Eine sehr entgegengesetze Natur war Valeria. Sie war der Ausdruck der echt römischen Ideale ihres Vaters, der an der frühe verstorbenen Mutter Stelle ihre ganze Erziehung geleitet und im geistigen und sittlichen Gebiet die Ergebnisse des antiken, heidnischen Geistes ihr angeeignet hatte. Das Christentum, dem ihre Seele bei dem Eintritt in das Leben durch eine äußere Nötigung war zugewendet und später ebenso durch ein äußerliches Mittel wieder war entrissen worden, erschien ihr als eine gefürchtete, nicht als eine verstandene und geliebte Macht, die sie gleich wohl nicht aus dem Kreise ihrer Gedanken und Gefühle zu scheiden vermochte. Als echte Römerin sah sie auch nicht mit bangem Zagen, sondern mit freudigem Stolz die kriegerische Begeisterung, die im Gespräch mit ihrem Vater über Byzanz und seine Feldherrn aus der Seele Totilas leuchtete, den künftigen Helden verkündend. Und so trug sie es mit edle r Fassung, als den Geliebten seine Kriegerpflicht plötzlich abrief aus den Armen der Liebe und Freundschaft. Denn sowie die Flotte der Byzantiner auf der Höhe von Syrakusä erschienen war, loderte in dem jungen Goten der Gedanke, der Wunsch des Krieges unauslöschlich empor. Als Befehlshaber des unteritalischen Geschwaders lag ihm die Pflicht ob, die Feinde zu beobachten, die Küste zu decken. Er setzte rasch seine Schiffe instand und segelte der griechischen Seemacht entgegen, Erklärung heischend über den Grund ihres Erscheinens in diesen Gewässern. Belisar, der den Auftrag hatte, erst nach einem Ruf von Petros feindlich aufzutreten, gab eine friedliche und unanfechtbare Auskunft, die Unruhen in Afrika und Seeräubereien mauretanischer Schiffe vorschützend. Mit dieser Antwort mußte sich Totila begnügen: aber in seiner Seele stand der Ausbruch des Krieges fest, vielleicht nur deshalb, weil er ihn wünschte. Er traf daher alle Anstalten, schickte warnende Boten nach Ravenna und suchte vor allem, das wichtige Neapolis wenigstens von der Seeseite her zu decken, da die Landbefestigung der Stadt während des langen Friedens vernachlässigt und der alte Uliaris, der Stadtgraf von Neapolis, nicht aus seiner stolzen Sicherheit und Griechenverachtung aufzurütteln war. Die Goten wiegten sich überhaupt in dem gefährlichen Wahn, die Byzantiner würden gar nie wagen, sie anzugreifen; und ihr verräterischer König bestärkte sie gern in diesem Glauben. Die Warnungen Totilas blieben deshalb unbeachtet, und es wurde dem eifrigen Seegrafen sogar sein ganzes Geschwader abgenommen und in den Hafen von Ravenna zu angeblicher Ablösung beordert: aber die Schiffe, welche die abgesegelten ersetzen sollten, blieben aus. Und Totila hatte nichts als ein paar kleine Wachtschiffe, mit welchen er, wie er den Freunden erklärte, die Bewegungen der zahlreichen Griechenflotte nicht beobachten, geschweige den aufhalten konnte. Diese Mitteilungen bewogen den Kaufherrn, die Villa bei Neapolis zu verlassen und seine reichen Besitzungen und Handelsniederlassungen bei Regium, an der Südspitze der Halbinsel, aufzusuchen, um die wertvollste Habe aus dieser Gegend, für die Totila den ersten Angriff der Feinde besorgte, nach Neapolis zu flüchten und überhaupt seine Anordnungen für den Fall eines längeren Krieges zu treffen. Auf dieser Reise sollte Julius ihn begleiten, und auch Valeria war nicht zu bewegen, in der leeren Villa zurückzubleiben. Von Gefahr war, wie Totila versichert hatte, für die nächsten Tage nichts zu fürchten. So reisten denn die drei, von einigen Sklaven begleitet, nach der Hauptvilla bei dem Passe Jugum nördlich von Regium ab, die, unmittelbar am Meere gelegen, ja zum Teil mit jenem schon von Horatius gescholtenen Luxus in das Meer selbst «wagend hinausgebaut» war. Valerius traf die Dinge in schlechter Ordnung. Seine Institoren hatten, sicher gemacht durch lange Abwesenheit des Herrn, übel gewirtschaftet, und mit Unwillen erkannte dieser, daß seine prüfende, ordnende, strafende Tätigkeit nicht tage-, sondern wochenlang in dieser Gegend notwendig sein werde. Unterdessen mehrten sich die drohenden Anzeichen. Totila schickte warnende Winke: aber Valeria erklärte, ihren Vater in der Gefahr nicht verlassen zu können, und dieser verschmähte es, vor den «Griechlein» zu flüchten, die er noch mehr verachtete als haßte. Da wurden sie eines Tages durch zwei Boote überrascht, die fast gleichzeitig in den kleinen Hafen der Villa einliefen: das eine trug Totila, das andre den Korsen Furius Ahalla. Die Männer begrüßten sich überrascht, doch erfreut als alte Bekannte und wandelten miteinander durch die Taxus- und Lorbeergänge des Gartens zu der Villa herein. Hier trennten sie sich: Totila gab vor, seinen Freund Julius besuchen zu wollen, indes den Korsen ein Geschäft zu dem Kaufherrn führte, mit dem er seit Jahren in einer für beide Teile gleich vorteilhaften Handelsverbindung stand. Mit Freuden sah daher Valerius den klugen, kühnen und stattlichschönen Seefahrer bei sich eintreten, und nach herzlicher Begrüßung wandten sich die beiden Handelsfreunde ihren Büchern und Rechnungen zu. Nach kurzen Erörterungen erhob sich der Korse von den Rechentafeln und sprach: «So siehst du, Valerius, aufs neue hat Mercurius unser Bündnis gesegnet. Meine Schiffe haben dir Purpur und köstlichen Wollstoff aus Phönikien und aus Spanien zugeführt: und deine köstlichen Fabrikate des verflossenen Jahres verführt nach Byzanz und Alexandria, nach Massilia und Antiochia. Ein Zentenar Goldes Mehrgewinn gegen das Vorjahr! Und so wird er steigen und steigen von Jahr zu Jahr, solang die wackern Goten den Frieden schirmen und die Rechtspflege im Abendland.» Er schwieg wie abwartend. «Solang sie schirmen können!» seufzte Valerius, «solang diese Griechen Frieden halten. Wer steht dafür, daß uns nicht diese Nacht der Seewind die Flotte Belisars an die Küste treibt!» «Also auch du erwartest den Krieg? Im Vertrauen: er ist mehr als wahrscheinlich, er ist gewiß.» «Furius», rief der Römer, «woher weißt du das?» «Ich komme von Afrika, von Sizilien. Ich habe die Flotte des Kaisers gesehen: so rüstet man nicht gegen Seeräuber. Ich habe die Heerführer Belisars gesprochen: sie träumen Tag und Nacht von den Schätzen Italiens. Sizilien ist zum Abfall reif, sowie die Griechen landen.» Valerius erbleichte vor Aufregung. Furius bemerkte es und fuhr fort: «Und deshalb vor allem bin ich hierher geeilt, dich zu warnen. Der Feind wird in dieser Gegend landen, und ich wußte, daß deine Tochter dich begleitet.» «Valeria ist eine Römerin.» «Ja, aber diese Feinde sind die wildesten Barbaren. Denn Hunnen, Massageten, Skythen, Awaren, Sclavenen und Sarazenen sind es, die dieser Kaiser der Römer losläßt auf Italien. Wehe, wenn dein minervengleiches Kind in ihre Hände fiele.» «Das wird sie nicht!» sagte Valerius, die Hand am Dolch. «Aber du sprichst wahr - sie muß fort in Sicherheit.» - «Wo ist in Italien Sicherheit? Bald werden die Wogen dieses Krieges brausend zusammenschlagen über Neapolis, über Rom, und kaum sich an Ravennas Mauern brechen.» «Denkst du so groß von diesen Griechen? Hat doch Griechenland nie etwas anderes nach Italien geschickt als Mimen, Seeräuber und Kleiderdiebe!» - «Belisarius aber ist ein Sohn des Sieges. Jedenfalls entbrennt ein Kampf, dessen Ende so mancher von euch nicht erleben wird!» - «Von euch, sagst du? Wirst du nicht mit kämpfen?» «Nein, Valerius! Du weißt, in meinen Adern fließt nur korsisch Blut, trotz meines römischen Adoptivnamens: ich bin nicht Römer, nicht Grieche, nicht Gote. Ich wünsche den Goten den Sieg, weil sie Zucht und Ordnung halten zu Wasser und zu Land, und weil mein Handel blüht unter ihrem Zepter, aber wollt' ich offen für sie fechten, der Fiskus von Byzanz verschlänge, was irgend von meinen Schiffen und Waren in den Häfen des Ostreichs liegt, drei Viertel all meines Guts. Nein, ich gedenke mein Eiland so zu befestigen - du weißt ja, Korsika ist mein -, daß keine der kämpfenden Parteien mich viel belästigen wird: meine Insel wird eine Friedensinsel sein, während rings die Länder und Meere von Krieg erdröhnen. Ich werde dies Asyl beschirmen wie ein König seine Krone, wie ein Bräutigam die Braut und deshalb» - seine Augen funkelten, und seine Stimme bebte vor Erregung «deshalb wollte ich jetzt heute ein Wort aussprechen, das ich seit Jahren auf dem Herzen trage» - Er stockte. Valerius sah voraus, was kommen werde, und sah es mit tiefem Schmerz: seit Jahren hatte er sich in dem Gedanken gefallen, sein Kind dem mächtigen Kaufherrn zu vertrauen, eines alten Freundes Adoptivsohn, dessen Neigung er lange durchschaut. So lieb er in letzter Zeit den jungen Goten gewonnen, er würde doch den langjährigen Handelsgenossen als Eidam vorgezogen haben. Und er kannte den unbändigen Stolz und die zornige Rachsucht des Korsen: er fürchtete im Fall der Weigerung die alte Liebe und Freundschaft alsbald in lodernden Haß umschlagen zu sehen: man erzählte dunkle Geschichten von der jähzornigen Wildheit des Mannes, und gern hätte Valerius ihm und sich selbst den Schmerz einer Zurückweisung erspart. Aber jener fuhr fort: «Ich denke, wir beide sind Männer, die Geschäfte geschäftlich abtun. Und ich spreche, nach altem Brauch, gleich mit dem Vater, nicht erst mit der Tochter. Gib mir dein Kind zur Ehe, Valerius: du kennst zum Teil mein Vermögen - nur zum Teil: denn es ist viel größer, als du ahnst. Zur Widerlage der Mitgift geb' ich, wie groß sie sei, das Doppelte... » «Furius!» unterbrach der Vater. «Ich glaube wohl ein Mann zu sein, der ein Weib beglücken mag. Jedenfalls kann ich sie beschützen, wie kein andrer in diesen drohenden Zeiten: ich führe sie, wird Korsika bedrängt, auf meinen Schiffen nach Asien, nach Afrika; an jeder Küste erwartet sie nicht ein Haus, ein Palast. Keine Königin soll sie beneiden. Ich will sie hochhalten: höher als meine Seele.» Er hielt inne, sehr erregt, wie auf rasche Antwort wartend. Valerius schwieg, er suchte nach einem Ausweg: es war nur eine Sekunde: aber der Anschein nur, daß sich der Vater besinne, empörte den Korsen. Sein Blut kochte auf, sein schönes, bronzefarbenes Antlitz, eben noch beinahe weich und mild, nahm plötzlich einen furchtbaren Ausdruck an: dunkelrote Glut schoß in die braunen Wangen. «Furius Ahalla», sprach er rasch und hastig, «ist nicht gewöhnt, zweimal zu bieten. Man pflegt meine Ware aufs erste Angebot mit beiden Händen zu ergreifen - nun biete ich mich selbst -: ich bin, bei Gott, nicht schlechter als mein Purpur» «Mein Freund», hob der Alte an, «wir leben nicht mehr in der Zeit alten, strengen Römerbrauchs: der neue Glaube hat den Vätern fast das Recht genommen, die Töchter zu vergeben. Mein Wille würde sie dir und keinem andern geben, aber ihr Herz... » - «Sie liebt einen andern:» knirschte der Korse, «wen?» Und seine Faust fuhr an den Dolch, als sollte der Nebenbuhler keinen Augenblick mehr atmen. Es lag etwas vom Tiger in dieser Bewegung und im Funkeln des rollenden Auges. Valerius empfand, wie tödlich dieser Haß, und wollte den Namen nicht nennen. - «Wer kann es sein?» fragte halblaut der Wütende. «Ein Römer? Montanus? Nein! O nur - nur nicht er - sag' nein, Alter, nicht er» - Und er faßte ihn am Gewande. «Wer? Wen meinst du?» «Der mit mir landete - der Gote: doch ja, er muß es sein, es liebt ihn ja alles: Totila!» «Er ist's!» sagte Valerius und suchte begütigend seine Hand zu fassen. Doch mit Schrecken ließ er sie los: ein zuckender Krampf rüttelte den ehernen Leib des starken Korsen, er streckte beide Hände starr vor sich hin, als wollte er den Schmerz, der ihn quälte, erwürgen. Dann warf er das Haupt in den Nacken und schlug sich die beiden geballten Fäuste grausam gegen die Stirn, den Kopf schüttelnd und laut lachend. Entsetzt sah Valerius diesem Toben zu, endlich glitten die gepreßten Hände langsam herab und zeigten ein aschenfahles Antlitz. «Es ist aus», sagte er dann mit bebender Stimme. «Es ist ein Fluch, der mich verfolgt: ich soll nicht glücklich werden im Weibe. Schon einmal - hart vor der Erfüllung! Und jetzt - ich weiß es -, Valerias Seelenzucht und klare Ruhe hätte auch in mein wild schäumendes Leben rettenden Frieden gebracht: ich wäre anders geworden - - besser. Und sollte es nicht sein» - hier funkelte sein Auge wieder -, «nun, so wär' es fast das gleiche Glück gewesen, den Räuber dieses Glücks zu morden. Ja, in seinem Blute hätte ich gewühlt und von der Leiche die Braut hinweggerissen - und nun ist er es! Er, der einzige, dem Ahalla Dank schuldet und welchen Dank» - - Und er schwieg, mit dem Haupte nickend und wie verloren in Erinnerung. «Valerius», rief er dann plötzlich sich aufraffend, «ich weiche keinem Mann auf Erden - ich hätt' es nicht getragen, hinter einem andern zurückzustehen - doch Totila! - Es sei ihr vergeben, daß sie mich ausschlägt, weil sie Totila gewählt. Leb' wohl, Valerius, ich geh' in See, nach Persien, Indien - ich weiß nicht, wohin - ach, überallhin nehm' ich diese Stunde mit.» Und rasch war er hinaus, und gleich darauf entführte ihn sein pfeilgeschwindes Boot dem kleinen Hafen der Villa. Seufzend verließ Valerius das Gemach, seine Tochter zu suchen. Er traf im Atrium auf Totila, der sich schon wieder verabschiedete. Er war nur gekommen, zu rascher Rückreise nach Neapolis zu treiben. Denn Belisar habe sich wieder von Afrika abgewendet und kreuze bei Panoramus: jeden Tag könnte die Landung auf Sizilien, in Italien selbst erfolgen, und trotz all seines Drängens sende der König keine Schiffe. In den nächsten Tagen wolle er selbst nach Sizilien, sich Gewißheit zu schaffen. Die Freunde seien daher hier völlig unbeschützt, und er beschwor den Vater Valerias, sofort auf dem Landwege nach Neapolis heimzukehren. Aber den alten Soldaten empörte es, vor den Griechen flüchten zu sollen: vor drei Tagen könne und wolle er nicht weichen von seinen Geschäften, und kaum war er von Totila zu bestimmen, eine Schar von zwanzig Goten zur notdürftigsten Deckung anzunehmen. Mit schwerem Herzen stieg Totila in seinen Kahn und ließ sich an Bord des Wachtschiffes zurückbringen. Es war dunkler Abend geworden, als er dort ankam, ein Nebelschleier verhüllte die Dinge in nächster Nähe. Da scholl Ruderschlag von Westen her, und ein Schiff, kenntlich an der roten Leuchte an dem hohen Mast, bog um die Spitze eines kleinen Vorgebirges. Totila lauschte und fragte seine Wachen: «Segel zur Linken! Was für ein Schiff? Was für Herr?» «Schon angezeigt vom Mastkorb» - hallte es wider -«Kauffahrer - Furius Ahalla - lag hier vor Anker.» «Fährt wohin?» «Nach Osten - nach Indien!» - Zehntes Kapitel Am Abend des dritten Tages, seit Totila die gotische Bedeckung geschickt, hatte Valerius endlich seine Geschäfte beendet und auf den andern Morgen die Abreise festgesetzt. Er saß mit Valeria und Julius beim Nachtmahl und sprach von den Aussichten auf Erhaltung des Friedens, die des jungen Helden Kriegesdurst doch wohl unterschätzt habe: es war dem Römer ein unerträglicher Gedanke, daß «Griechen» das teure Italien in Waffen betreten sollten. «Auch ich wünsche den Frieden», sprach Valeria, nachsinnend - «und doch -» «Nun?» fragte Valerius. «Ich bin gewiß, du würdest», vollendete das Mädchen, «im Krieg erst Totila so lieben lernen, wie er es verdient: er würde für mich streiten und für Italien.» -«Ja», sagte Julius, «es steckt in ihm ein Held und Größeres als das.» - «Ich kenne Größeres», antwortete Valerius. Da erschollen auf dem Marmorestrich des Atrium klirrende Schritte, und der junge Thorismuth, der Anführer der zwanzig Goten und Totilas Schildträger, trat hastig ein. «Valerius», sprach er schnell, «laß die Wagen anschirren, die Sänften in den Hof - ihr müßt fort.» Die drei sprangen auf: «Was ist geschehn - sind sie gelandet?» - «Rede», sprach Julius, «was macht dich besorgt?» -«Für mich nichts», lachte der Gote, «und euch wollt ich nicht früher erschrecken als unvermeidlich. Aber ich darf nicht mehr schweigen - gestern früh spülte die Flut eine Leiche ans Land...» «Eine Leiche?» - «Einen Goten von unsrer Schiffsmannschaft - es war Alb, der Steuermann auf Totilas Schiff.» Valeria erbleichte, aber erbebte nicht. «Das kann ein Zufall sein - er ist ertrunken.» - «Nein», sagte der Gote fest, «er ist nicht ertrunken: es stak ein Pfeil in seiner Brust.» - «Das deutet auf einen Kampf zur See! Nicht auf mehr!» meinte Valerius. «Aber heute -» «Heute?» fragte Julius. - «Heute sind alle Landleute ausgeblieben, die sonst täglich von Regium hier durch nach Colum gehen. Auch ein Reiter, den ich auf Kundschaft nach Regium schickte, ist nicht zurückgekommen.» - «Beweist noch immer nichts», sprach Valerius eigensinnig. - Sein Herz sträube sich gegen den Gedanken einer Landung der Verhaßten solang als möglich - «oft schon hat die Brandung die Straße gesperrt.» «Aber als ich selbst soeben auf der Straße nach Regium vorging und das Ohr auf die Erde legte, hörte ich die Erde zittern unter dem Hufschlag von vielen Rossen, die in rasender Eile nahen. Ihr müßt fliehn.» Jetzt griffen Valerius und Julius zu den Waffen, die an den Pfeilern des Gemaches hingen, Valeria legte schwer atmend die Hand aufs Herz: «Was ist zu tun» fragte sie. «Besetzt den Engpaß von Jugum», befahl Valerius, «in den die Straße längs der Küste verläuft: er ist schmal; er ist lange zu halten.» - «Er ist schon besetzt von acht meiner Goten, ich fliege hin, sobald ihr zu Pferde sitzt, die Hälfte meiner Schar deckt eure Reise: eilt.» Aber ehe sie das Gemach verlassen konnten, stürzte ein gotischer Krieger, mit Schlamm und Blut bedeckt, herein: «Flieht», rief er, «sie sind da!» - «Wer ist da, Gelaris?» fragte Thorismuth. «Die Griechen! Belisar, der Teufel!» - «Rede», befahl Thorismuth. - «Ich kam bis zum Pinienwald von Regium, ohne etwas Verdächtiges zu spüren, freilich auch ohne einer Seele auf der Straße zu begegnen. Als ich an einem dicken Baumstamm vorbeireite, eifrig vorwärts spähend, fühle ich einen Ruck am Halse, als risse mir ein Blitz den Kopf von den Schultern, und im Nu lag ich unter meinem Tier am Boden... » «Schlecht gesessen, o Gelaris!» schalt Thorismuth. - «Jawohl, eine Roßhaarschlinge ums Genick und eine Bleikugel an den Kopf geschnellt, da fällt auch ein besserer Reitersmann als Gelaris, Genzos Sohn. Zwei Unholde - Waldschraten oder Alraunen acht' ich sie ähnlich - setzten aus dem Busch über den Graben, banden mich auf mein Pferd, nahmen mich zwischen ihre kleinen, zottigen Gäule - und hui... » «Das sind die Hunnen Belisars!» rief Valerius. «Jagten sie mit mir davon. Als ich wieder ganz zu mir gekommen, war ich in Regium, mitten unter den Feinden, doch erfuhr ich denn alles. Die Regentin ist ermordet, der Krieg ist erklärt, die Feinde haben Sizilien überrascht, die ganze Insel ist zum Kaiser abgefallen - -» «Und das feste Panormus?» «Fiel durch die Flotte, die in den Hafen drang. Die Mastkörbe waren höher als die Mauern der Stadt: von den Masten schossen und sprangen sie herab.» - «Und Syrakusä?» fragte Valerius. «Fiel durch den Verrat der Sizilianer - die Goten der Besatzung sind ermordet: in Syrakusä ist Belisarius eingeritten unter einem Blumenregen, als scheidender Konsul des Jahres - denn es war am letzten Tage seines Konsulats - Goldmünzen streuend, unter Händeklatschen alles Volks.» «Und wo ist der Seegraf? Wo ist Totila?» - «Zwei seiner Schiffe sind in den Grund gebohrt vom Schnabelstoße der Trieren. Sein Schiff und noch eins: er sprang ins Meer mit voller Rüstung - und ist - noch nicht - aufgefischt.» Da sank Valeria schweigend auf das Lager. «Der Griechenfeldherr», fuhr der Bote fort, «landete gestern in dunkler stürmischer Nacht bei Regium: die Stadt hat ihn mit Jubel aufgenommen; er ordnet nun sein Heer, dann soll's im Fluge nach Neapolis gehen. Seine Vorhut, die gelbhäutigen Reiter, die mich eingebracht, mußten sogleich wieder umkehren und den Paß gewinnen. Ich sollte ihnen Führer dahin sein. Ich führte sie weit ab nach Westen - in den Meeressumpf - und -entsprang ihnen im Dunkel - des Abends aber - sie schickten mir - Pfeile nach - und einer traf - ich kann nicht mehr.» - Und klirrend stürzte der Mann zu Boden. «Er ist verloren!» sprach Valerius, «sie führen vergiftetes Geschoß! Auf, Julius und Thorismuth, ihr geleitet mein Kind auf der Straße gen Neapolis: ich gehe in den Paß und decke euch den Rücken.» Vergebens waren die Bitten Valerias: Gesicht und Haltung des Alten nahmen einen Ausdruck eisernen Entschlusses an. «Gehorcht!» befahl er der Widerstrebenden, «ich bin der Herr dieses Hauses, der Sohn dieses Landes, und ich will die Hunnen Belisars fragen, was sie zu tun haben in meinem Vaterland. Nein, Julius! Dich muß ich bei Valeria wissen - lebet wohl.» Während Valeria mit ihrer gotischen Bedeckung und mit den meisten Sklaven spornstreichs auf der Straße nach Neapolis hinwegeilte, stürmte Valerius mit Schild und Schwert einem halben Dutzend Sklaven voran, zum Garten der Villa hinaus, nach dem Engpaß zu, der nicht weit vor dem Anfang seiner Besitzungen die Straße nach Regium überwölbte. Der Felsenbogen zur Linken, im Norden, war unübersteiglich, und zur Rechten, nach Süden, fielen jene Wände senkrecht in das tiefe Meer, dessen Brandung oft die Straße überflutete. Die Mündung des Passes aber war so schmal, daß zwei nebeneinanderstehende Männer sie mit ihren Schilden wie eine Pforte schließen konnten: so durfte Valerius hoffen, den Paß auch gegen große Übermacht lang genug zu decken, um den raschen Pferden der Fliehenden hinlänglichen Vorsprung zu gewähren. Während der Alte den schmalen Pfad, der sich zwischen dem Meere und seinen Weinbergen nach dem Engpaß hinzog, durch die mondlose Nacht vorwärts eilte, bemerkte er zur Rechten, draußen, in ziemlicher Entfernung vom Land, im Meer den hellen Strahl eines kleinen Lichtes, das offenbar von dem Mast eines Schiffes niederleuchtete. Valerius erschrak: sollten die Byzantiner zur See gegen Neapolis vorrücken? Sollten sie Bewaffnete in seinem und des Engpasses Rücken ans Land werfen wollen? Aber würden sich dann nicht mehrere Lichter zeigen? Er wollte die Sklaven fragen, die auf seinen Befehl, aber schon mit sichtlichem Widerwillen, ihm aus der Villa gefolgt waren. Umsonst: sie waren verschwunden in dem Dunkel der Nacht. Sie waren dem Herrn entwischt, sobald dieser ihrer nicht mehr achtete. So kam Valerius allein an dem Engpaß an, dessen hintere Mündung zwei der gotischen Wachen besetzt hielten, während zwei andere den östlichen, dem Feinde zugekehrten Eingang ausfüllten und die übrigen vier in dem innern Raum hielten. Kaum war Valerius dicht hinter die beiden vordersten Wächter getreten, als man plötzlich ganz nahes Pferdegetrappel vernahm: und alsbald bogen um die letzte Krümmung, welche die Straße vor dem Paß um eine Felsnase machte, zwei Reiter in vollem Trabe. Beide trugen Fackeln in der Rechten: es warfen nur diese Fackeln Licht auf die nächtliche Szene, denn die Goten vermieden alles, was ihre kleine Zahl verraten konnte. «Beim Barte Belisars!» schalt der vorderste Reiter, in Schritt übergehend, «hier wird der Katzensteg so schmal, daß kaum ein ehrlich Roß drauf Platz hat - und da kommt noch ein Hohlweg oder -, halt, was rührt sich da?» Und er hielt sein Pferd an und bog sich, die Fackel weit vor sich streckend, vorsichtig nach vorn, so bot er dicht vor dem Eingang, in dem Licht seiner Kienfackel ein bequemes Ziel. «Wer ist da?» rief er seinem Begleiter nochmals zu. Da fuhr ein gotischer Wurfspeer durch die breiten Panzerringe in seine Brust. «Feinde, weh!» schrie der Sterbende und stürzte rücklings aus dem Sattel. «Feinde, Feinde!» rief der Mann hinter ihm, schleuderte die verderbliche Fackel weit von sich ins Meer, warf sein Pferd herum und jagte zurück, während das Tier des Gefallenen ruhig stehenblieb bei der Leiche seines Herrn. Nichts hörte man jetzt in der Stille der Nacht als den Hufschlag des enteilenden Rosses und, zur Rechten des Passes, den leisen Schlag der Wellen am Fuße der Felswand. Den Männern im Engpaß schlug das Herz in Erwartung. «Jetzt bleibt kalt, ihr Männer», mahnte Valerius, «lasse sich keiner aus dem Passe locken. Ihr in der ersten Reihe schließt die Schilde fest aneinander und streckt die Lanzen vor: wir in der Mitte werfen. Ihr drei im Rücken reicht uns die Speere und habt acht auf alles.» «Herr», rief der Gote, der hinter dem Passe auf der Straße, stand, «das Licht! Das Schiff nähert sich immer mehr.» «Habt acht und ruft es an, wenn -» Aber schon waren die Feinde da, deren Vorhut die beiden Späher gebildet hatten, es war ein Trupp von fünfzig hunnischen Reitern, mit einigen Fackeln. Wie sie um die Krümmung des Weges bogen, erhellte sich die Szene mit wechselndem, grellem Licht neben tiefem Dunkel. «Hier war es, Herr!» sprach der entkommene Reiter, «seht euch vor.» - «Schafft den Toten zurück und das Roß», sprach eine rauhe Stimme, und der Anführer, eine Fackel erhebend, ritt im Schritt gegen den Eingang vor. «Halt» rief ihm Valerius auf lateinisch entgegen «wer seid ihr, und was wollt ihr?» - «Das habe ich zu fragen!» entgegnete der Führer der Reiter in derselben Sprache. - «Ich bin ein römischer Bürger und verteidige mein Vaterland gegen Räuber.» Der Anführer hatte unterdessen im Licht seiner Fackel die ganze Örtlichkeit besehen: sein geübtes Auge erkannte die Unmöglichkeit, links oder rechts den Engpaß zu umgehen und zugleich die Enge seiner Mündung. «Freund», sagte er etwas zurückweichend, «so sind wir Bundesgenossen. Auch wir sind Römer und wollen Italien von seinen Räubern befreien. Also gib Raum und laß uns durch.» Valerius, der in jeder Weise Zeit gewinnen wollte, sprach: «Wer bist du, und wer sendet dich?» -«Ich heiße Johannes: die Feinde Justinians nennen mich , sprach Belisar, zu mir, Also fort und laßt uns durch -.» Und er spornte sein Pferd. «Sag Belisar, solange Genius Valerius lebt, soll er keinen Fußbreit vorwärts in Italien. Zurück, ihr Räuber!» - «Verrückter Mensch! Du hältst es mit den Goten gegen uns?» - «Mit der Hölle wenn gegen euch.» Der Führer warf nochmals prüfende Blicke nach rechts und links: «Höre», sprach er, «du kannst uns hier wirklich eine Weile aufhalten. Nicht lang. Weichst du, sollst du leben. Weichst du nicht, so laß dich erst schinden und dann pfählen!» Und er hob die Fackel, nach einer Blöße spähend. «Zurück», rief Valerius. «Schieß', Freund!» Und eine Sehne klirrte, und ein Pfeil schlug an den Helm des Reiters. «Warte,» rief dieser und spornte sein Tier zurück. «Absitzen», befahl er, «alle Mann!» Aber die Hunnen trennten sich nicht gern von ihren Rossen. «Wie Herr? Absitzen!» fragte einer der nächsten. Da schlug ihm Johannes mit der Faust ins Gesicht. Der Mann rührte sich nicht. «Absitzen!» donnerte er nochmals; «wollt ihr zu Pferde in das Mauseloch schlüpfen?» Und er selbst schwang sich aus dem Sattel: «Sechs steigen auf die Bäume und schießen von oben. Sechs legen sich auf die Erde, kriechen an den Seiten der Straße vor und schießen im Liegen. Zehn schießen stehend, auf Brusthöhe. Zehn hüten die Pferde; die andern zwanzig folgen mir mit dem Speer sowie die Sehnen geschwirrt. Vorwärts.» Und er gab die Fackel ab und ergriff eine Lanze. Während die Hunnen seinen Befehl vollzogen, musterte Johannes noch einmal den Paß. «Ergebt euch!» rief er. -«Kommt an», riefen die Goten. Da winkte Johannes, und zwanzig Pfeile schwirrten zugleich. Ein Wehschrei und der vorderste Gote zur Rechten fiel; einer der Schützen auf den Bäumen hatte ihn in die Stirn getroffen. Rasch sprang Valerius mit dem vorgehaltenen Schild an seine Stelle. Er kam gerade recht, den wütenden Anprall des anstürmenden Johannes aufzuhalten, der mit der Lanze in die Lücke rannte. Er fing den Lanzenstoß mit dem Schilde und schlug nach dem Byzantiner, der nahe vor dem Eingang zurückprallte, strauchelte und niederfiel; die Hunnen hinter ihm wichen zurück. Da konnte sich's der Gote neben Valerius nicht versagen, den feindlichen Führer unschädlich zu machen: er sprang mit gezücktem Speer aus dem Engpaß einen Schritt vorwärts. Aber das hatte Johannes gewollt: blitzschnell hatte er sich aufgerafft, den überraschten Goten von der Straßenwand zur Rechten des Felspasses hinabgestoßen, und im selben Augenblick stand er an der rechten, schuldlosen Seite des Valerius, der die wieder vordringenden Hunnen abwehrte, und stieß diesem mit aller Kraft das lange Persermesser in die Weichen. Valerius brach zusammen: aber es gelang den drei hinter ihm stehenden Goten, Johannes, der schon in das Innere des Passes gedrungen war, mit ihren Schildschnäbeln wieder zurück- und hinauszustoßen. Er ging zurück, einen neuen Pfeilregen zu befehlen. Schweigend deckten die beiden Goten wieder die Mündung, der dritte hielt den blutenden Valerius in seinen Armen. Da stürzte die Wache von der Rückseite in den Engpaß: «Das Schiff! Herr das Schiff! Sie sind gelandet; sie fassen uns im Rücken! Flieh, wir wollen euch tragen - ein Versteck in den Felsen. -» «Nein», sprach Valerius, sich aufrichtend, «hier will ich sterben; stemme mein Schwert gegen die Wand und -» Aber da schmetterte von der Rückseite her laut der Ruf des gotischen Heerhorns: Fackeln blitzten, und eine Schar von dreißig Goten stürmten in den Paß, Totila an ihrer Spitze. Sein erster Blick fiel auf Valerius: «Zu spät, zu spät!» rief er schmerzlich. «Aber folgt mir! Rache! Hinaus!» Und wütend brach er mit seinem speeretragenden Fußvolk aus dem Paß. Und schrecklich war der Zusammenstoß auf der schmalen Straße zwischen Felsen und Meer. Die Fackeln erloschen in dem Getümmel, und der anbrechende Morgen gab nur ein graues Licht. Die Hunnen, obwohl an Zahl den kühnen Angreifern überlegen, waren durch den plötzlichen Ausfall völlig überrascht: sie glaubten, ein ganzes Heer der Goten sei im Anmarsch: sie eilten, ihre Rosse zu gewinnen und zu entfliehen; aber die Goten erreichten mit ihnen zugleich die Stelle, wo die ledigen Tiere hielten: und in wirrem Knäuel stürzten Mann und Roß die Felsen hinab. Umsonst hieb Johannes selbst auf seine fliehenden Leute ein: ihr Schwall warf ihn zu Boden, er raffte sich wieder auf und sprang den nächsten Goten an. Aber er kam übel an: es war Totila, er erkannte ihn. «Verfluchter Flachskopf», schrie er, «so bist du nicht ersoffen?» «Nein, wie du siehst!» rief dieser und schlug ihm das Schwert durch den Helmkamm und noch ein Stück in den Schädel, daß er taumelte. Da war aller Widerstand zu Ende. Mit knapper Not hoben ihn die nächsten Reiter auf ein Pferd und jagten mit ihm davon. Der Kampfplatz war geräumt. Totila eilte nach dem Hohlweg zurück. Er fand Valerius, bleich, mit geschlossenen Augen, das Haupt auf seinen Schild gelegt. Er warf sich zu ihm nieder und drückte die erstarrende Hand an seine Brust. «Valerius», rief er, «Vater! Scheide nicht! Scheide nicht so von uns. Noch ein Wort des Abschieds.» Der Sterbende schlug die Augen auf «Wo sind sie?» fragte er. «Geschlagen und geflohn.» - «Ah, Sieg!» atmete Valerius auf; «ich darf im Siege sterben. Und Valeria - mein Kind - sie ist gerettet?» «Sie ist es. Aus dem Seegefecht, aus dem Meer entkommen, eilte ich hierher, Neapolis zu warnen, euch zu retten. Nahe der Straße, zwischen deinem Hause und Neapolis, war ich gelandet; dort traf ich sie und erfuhr deine Gefahr; eines meiner Schiffsboote nahm sie auf und führte sie nach Neapolis: mit dem andern eilte ich hierher, dich zu retten - ach, nur zu rächen!» Und er senkte das Haupt auf des Sterbenden Brust. «Klage nicht um mich, ich sterbe im Sieg! Und dir, mein Sohn, dir dank' ich es.» Und wohlgefällig streichelte er die langen Locken des Jünglings. «Und auch Valerias Rettung. O dir, dir, ich hoffe es, auch Italiens Rettung. Du bist der Held, auch dieses Land zu retten - trotz Belisar und Narses. Du kannst es - du wirst es und dein Lohn sei mein geliebtes Kind.» -«Valerius! Mein Vater!» - «Sie sei dein! Aber schwöre mir's» -und er richtete sich empor mit letzter Kraft und sah ihm scharf ins Auge -, «schwöre mir's beim Genius Valerias: nicht eher wird sie dein, als bis Italien frei ist und keine Scholle seines heiligen Bodens mehr einen Byzantiner trägt.» «Ich schwör' es dir», rief Totila, begeistert seine Rechte fassend, «ich schwör's beim Genius Valerias!» «Dank, Dank, mein Sohn; nun mag ich getrost sterben - grüße sie und sage ihr: dir hab' ich sie empfohlen und anvertraut: sie -und Italien.» Und er legte das Haupt zurück auf seinen Schild und kreuzte die Arme über der Brust - und war tot. Lange hielt Totila schweigend die Hand auf seiner Brust. Ein blendendes Licht weckte ihn plötzlich aus seinem Sinnen: es war die Morgensonne, deren goldne Scheibe prächtig über dem Kamm des Felsgebirges emportauchte: er stand auf und sah dem steigenden Gestirn entgegen. Die Fluten glitzerten in hellem Widerschein, und ein Schimmer flog über alles Land. «Beim Genius Valerias!» wiederholte er leise mit innigster Empfindung und hob die Hand zum Schwur dem Morgenlicht entgegen. Wie der Tote fand er Kraft und Trost und Begeisterung in seinem schweren Gelübde: die hohe Pflicht erhob ihn. Gekräftigt wandte er sich zurück und befahl die Leiche auf sein Schiff zu tragen, um sie nach dem Grabmal der Valerier in Neapolis zu führen. Elftes Kapitel Während dieser drohenden Ereignisse waren wohl freilich auch die Goten nicht völlig müßig geblieben. Doch waren alle Maßregeln kraftvoller Abwehr gelähmt, ja absichtlich vereitelt durch den feigen Verrat ihres Königs. Theodahad hatte sich von seiner Bestürzung über die Kriegserklärung des byzantinischen Gesandten alsbald wieder erholt, da er sich nicht von der Überzeugung trennen konnte und wollte, sie sei doch im Grunde nur erfolgt, um den Schein zu wahren und die Ehre des Kaiserhofes zu decken. Er hatte ja Petros nicht mehr allein gesprochen: und dieser mußte doch vor Goten und Römern einen Vorwand haben, Belisar in Italien erscheinen zu lassen. Das Auftreten dieses Mannes war ja das längst verabredete Mittel zur Durchführung der geheimen Pläne. Den Gedanken, Krieg führen zu sollen - von allen ihm der unerträglichste! -, wußte er sich dadurch fernzuhalten, daß er weislich überlegte, zum Kriegführen gehören zwei. «Wenn ich mich nicht verteidige», dachte er, «ist der Angriff bald vorüber. Belisar mag kommen - ich will nach Kräften dafür sorgen, daß er auf keinen Widerstand stößt, der des Kaisers Stimmung gegen mich nur verschlimmern könnte. Berichtet der Feldherr im Gegenteil nach Byzanz, daß ich seine Erfolge in jeder Weise gefördert, so wird Justinian nicht anstehn, den alten Vertrag ganz oder doch zum größten Teil zu erfüllen.» In diesem Sinne handelte er, berief alle Streitkräfte der Goten zu Land und zur See aus Unteritalien, wo er die Landung Belisars erwartete, hinweg und schickte sie massenhaft an die Ostgrenze des Reiches nach Liburnien, Dalmatien, Istrien und gen Westen nach Südgallien, indem er, gestützt auf die Tatsache, daß Byzanz eine kleine Truppenabteilung nach Dalmatien, gegen Salona, gesendet und mit den Frankenkönigen Gesandte gewechselt hatte, vorgab, der Hauptangriff sei von den Byzantinern zu Lande, in Istrien, und von mit ihnen verbündeten Franken am Rhodanus und Padus zu befürchten. Die Scheinbewegungen Belisars unterstützten diesen Glauben: und so geschah das Unerhörte, daß die Heerscharen der Goten, die Schiffe, die Waffen, die Kriegsvorräte in großen Massen in aller Eile gerade vor dem Angriff hinweggeführt, daß Unteritalien bis Rom, ja alles Land bis Ravenna entblößt und alle Verteidigungsmaßregeln in den Gegenden vernachlässigt wurden, auf die alsbald die ersten Schläge der Feinde fallen sollten. An dem Dravus, Rhodanus und Padus wimmelte es von gotischen Waffen und Segeln, während bei Sizilien, wie wir sahen, sogar die nötigsten Boote zum Wachdienst fehlten. Auch das ungestüme Drängen der gotischen Patrioten besserte daran nicht viel. Witichis und Hildebad hatte sich der König aus der Nähe geschafft, indem er sie mit Truppen und Aufträgen nach Istrien und nach Gallien entsandte, und dem argwöhnischen Teja leistete der alte Hildebrand, der nicht ganz den Glauben an den letzten der Amaler aufgeben wollte, zähen Widerstand. Am meisten aber ward Theodahad gekräftigt, als ihm seine entschlossene Königin zurückgegeben wurde. Witichis war alsbald nach der Kriegserklärung der Byzantiner mit einer gotischen Schar vor die Burg von Feretri gezogen, wo Gothelindis mit ihren pannonischen Söldnern Zuflucht gesucht, und hatte sie bewogen, sich freiwillig wieder in Ravenna einzufinden, unter Verbürgung für ihre Sicherheit, bis in der bevorstehenden großen Volks- und Heeresversammlung bei Rom ihre Sache nach allen Formen des Rechts untersucht und entschieden werde. Diese Bedingungen waren beiden Parteien genehm: denn den gotischen Patrioten mußte alles daran gelegen sein, jetzt, bei dem Ausbruch des schweren Krieges, nicht durch Parteiung in der Oberleitung gespalten zu sein. Und wenn der große Gerechtigkeitssinn des Grafen Witichis wider jede Anklage das Recht voller Verteidigung gewahrt wissen wollte, so sah auch Teja ein, daß, nachdem der Feind die schwere Beschuldigung des Königsmordes auf das ganze Volk der Goten geschleudert, nur ein strenges und feierliches Verfahren in allen Formen, nicht eine stürmische Volksjustiz auf blinden Argwohn hin, die Volksehre wahren könne. Gothelindis aber blickte einem Verfahren mit kühner Stirn entgegen: mochten die Stimmen innerer Überzeugung auch gegen sie sprechen, sie glaubte ganz sicher zu sein, daß sich ein genügender Beweis ihrer Tat nicht erbringen lasse. - Hatte doch nur ihr Auge das Ende der Feindin gesehen. - Und sie wußte wohl, daß man sie ohne volle Überführung nicht strafen werde. So folgte sie willig nach Ravenna, flößte dem zagen Herzen ihres Gatten neuen Mut ein und hoffte, war nur der Gerichtstag überstanden, alsbald im Lager Belisars und am Hofe von Byzanz Ruhe von allen weitern Anfechtungen zu finden. Die Zuversicht des Königspaares über den Ausgang jenes Tages wurde nun noch dadurch erhöht, daß die Rüstungen der Franken ihnen den Vorwand gegeben hatte, außer Witichis und Hildebad auch noch den gefährlichen Grafen Teja mit einer dritten Heerschar in den Nordwesten der Halbinsel zu entsenden: mit ihm zogen viele Tausende gerade der eifrigsten Anhänger der Gotenpartei - so daß an dem Tag bei Rom eine von ihren Gegnern nicht allzu zahlreich besuchte Versammlung sich einfinden würde. Und unablässig waren sie tätig, sowohl ihre persönlichen Anhänger als alte Gegner Amalaswinthens, die mächtige Sippe der Balten in ihren weitverbreiteten Zweigen, in möglichst großer Anzahl zur Entscheidung jenes Tages heranzuziehen. So hatte das Königspaar Ruhe und Zuversicht gewonnen. Und Theodahad war von Gothelindis bewogen worden, selbst als Vertreter seiner Gemahlin gegen jede Anklage unter den Goten zu erscheinen, um durch solchen Mut und den Glanz des königlichen Ansehens vielleicht von vornherein alle Widersacher einzuschüchtern. Umgeben von ihren Anhängern und einer kleinen Leibwache verließen Theodahad und Gothelindis Ravenna und eilten nach Rom, wo sie mehrere Tage vor dem für die Versammlung anberaumten Termin eintrafen und in dem alten Kaiserpalast abstiegen. Nicht unmittelbar vor den Mauern, sondern in der Nähe Roms, auf einem freien, offnen Felde, Regeta genannt, zwischen Anagni und Terracina, sollte die Versammlung gehalten werden. Früh am Morgen des Tages, da sich Theodahad allein auf die Reise dorthin aufmachen wollte und von Gothelindis Abschied nahm, ließ sich ein unerwarteter und unwillkommener Name melden: Cethegus, der während ihres mehrtägigen Aufenthalts in der Stadt nicht erschienen, er war vollauf mit der Vollendung der Befestigungen beschäftigt. Als er eintraf, rief Gothelindis entsetzt über seinen Ausdruck: «Um Gott, Cethegus! Welch Unheil bringst du?» Aber der Präfekt furchte nur einen Augenblick die Stirn bei ihrem Anblick, dann sprach er ruhig: «Unheil? Für den, den's trifft. Ich komme aus einer Versammlung meiner Freunde, wo ich zuerst erfuhr, was bald ganz Rom wissen wird: Belisar ist gelandet.» «Endlich», rief Theodahad. Und auch die Königin konnte eine Miene des Triumphs nicht verbergen. «Frohlockt nicht zu früh! Es kann euch reuen. Ich komme nicht, Rechenschaft von euch und eurem Freunde Petros zu verlangen: wer mit Verrätern handelt, muß sich aufs Lügen gefaßt machen. Ich komme nur, um euch zu sagen, daß ihr jetzt ganz gewiß verloren seid.» «Verloren?» - «Gerettet sind wir jetzt!» «Nein, Königin. Belisar hat bei der Landung ein Manifest erlassen: er sagt, er komme, die Mörder Amalaswinthens zu strafen; ein hoher Preis und seine Gnade ist denen zugesichert, die euch lebend oder tot einliefern.» Theodahad erbleichte. «Unmöglich!» rief Gothelindis. «Die Goten aber werden bald erfahren, wessen Verrat den Feind ohne Widerstand ins Land gelassen. Mehr noch. Ich habe von der Stadt Rom den Auftrag, in dieser stürmischen Zeit als Präfekt ihr Wohl zu wahren. Ich werde euch im Namen Roms ergreifen und Belisar übergeben lassen.» «Das wagst du nicht!» rief Gothelindis, nach dem Dolche greifend. «Still, Gothelindis, hier gilt es nicht, hilflose Frauen im Bad ermorden. Ich lasse euch aber entkommen - was liegt mir an eurem Leben oder Sterben! - gegen einen billigen Preis.» «Ich gewähre jeden!» stammelte Theodahad. «Du lieferst mir die Urkunden deiner Verträge mit Silverius aus - schweig! Lüge nicht! Ich weiß, ihr habt lang und geheim verhandelt. Du hast wieder einmal einen hübschen Handel mit Land und Leuten getrieben! Mich lüstet nach dem Kaufbrief.» «Der Kauf ist jetzt eitel! Die Urkunden ohne Kraft! Nimm sie! Sie liegen verwahrt in der Basilika des heiligen Martinus, in dem Sarkophag, links in der Krypta!» Seine Furcht zeigte, daß er wahr sprach. «Es ist gut», sagte Cethegus. «Alle Ausgänge des Palastes sind von meinen Legionären besetzt. Erst erhebe ich die Urkunden. Fand ich sie am bezeichneten Ort, so werd' ich Befehl geben, euch zu entlassen. Wollt ihr dann entfliehn, so geht an die Pforte Marc Aurels und nennt meinen Namen dem Kriegstribun der Wache, Piso. Er wird euch ziehen lassen.» Und er ging, das Paar ratlosen Ängsten überlassend. «Was tun?» fragte Gothelindis mehr sich selbst als ihren Gemahl. «Weichen oder trotzen?» «Was tun?!» wiederholte Theodahad unwillig. «Trotzen, das heißt bleiben! Unsinn! Fort von hier sobald als möglich; kein Heil als die Flucht!» - «Wohin willst du fliehn?» - «Nach Ravenna zunächst - das ist fest! Dort erheb ich den Königsschatz. Von da, wenn es sein muß, zu den Franken. Schade, schade, daß ich die hier verborgnen Gelder preisgeben muß. Die vielen Millionen Solidi» - «Hier? Auch hier», fragte Gothelindis aufmerksam, «in Rom hast du Schätze geborgen. Wo? und sicher?» «Ach, allzu sicher! In den Katakomben! Ich selber würde Stunden brauchen, sie alle aufzufinden in jenen finsteren Labyrinthen. Und die Minuten sind jetzt Leben oder Tod. Und das Leben geht doch noch über die Solidi! Folge mir, Gothelindis. Damit wir keinen Augenblick verlieren; ich eile an die Pforte Marc Aurels.» Und er verließ das Gemach. Aber Gothelindis blieb überlegend stehen. Ein Gedanke, ein Plan hatte sie bei den Worten erfaßt: sie erwog die Möglichkeit des Widerstands. Ihr Stolz ertrug es nicht, der Herrschaft zu entsagen. «Gold ist Macht», sprach sie zu sich selber, «und nur Macht ist Leben.» Ihr Entschluß stand fest. Sie gedachte der kappadokischen Söldner, die des Königs Geiz aus seinem Dienst verscheucht hatte; sie harrten noch herrenlos in Rom, der Einschiffung gewärtig. Sie hörte Theodahad hastig die Treppe hinuntersteigen und nach einer Sänfte rufen. «Ja, flüchte nur, du Erbärmlicher!» sprach sie, «ich bleibe.» Zwölftes Kapitel Herrlich tauchte am nächsten Morgen die Sonne aus dem Meer: und ihre Strahlen glitzerten auf den blanken Waffen von vielen tausend Gotenkriegern, die das weite Blachfeld von Regeta belebten. Aus allen Provinzen des weiten Reiches waren die Scharen herbeigeeilt, gruppenweise, sippenweise, oft mit Weib und Kind, sich bei der großen Musterung, die alljährlich im Herbste gehalten wurde, einzufinden. Eine solche Volksversammlung war das schönste Fest und der edelste Ernst der Nation zugleich: ursprünglich, in der heidnischen Zeit, war ihr Mittelpunkt das große Opferfest gewesen, das alljährlich zweimal, an der Winter- und SommerSonnenwende, alle Geschlechter des Volkes zur Verehrung der gemeinsamen Götter vereinte: daran schlossen sich dann Markt-und Tausch-Verkehr, Waffenspiele und Heeresmusterung. Die Versammlung hatte zugleich die höchste Gerichtsgewalt und die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden und die Verhältnisse zu andern Staaten. Und noch immer, auch in dem christlichen Gotenstaat, in welchem der König so manches Recht, das sonst dem Volke zukam, erworben, hatte die Volksversammlung eine höchst feierliche Weihe, wenn auch deren alte heidnische Bedeutung vergessen war, und die Reste der alten Volksfreiheit, die selbst der gewaltige Theoderich nicht angetastet, lebten unter seinen schwächeren Nachfolgern kräftiger wieder auf. Noch immer hatte die Gesamtheit der freien Goten das Urteil zu finden, die Strafe zu verhängen, wenn auch der Graf des Königs in dessen Namen das Gericht leitete und das Urteil vollzog. Und oft schon hatten germanische Völker selbst ihre Könige wegen Verrates, Mordes und anderer schwerer Frevel vor offner Volksversammlung angeklagt, gerichtet und getötet. In dem stolzen Bewußtsein, sein einziger Herr zu sein und niemand, auch dem König nicht, über das Maß der Freiheit hinaus zu dienen, zog der Germane in allen seinen Waffen zu dem «Ding», wo er sich im Verband mit seinen Genossen sicher und stark fühlte und seine und seines Volkes Freiheit, Kraft und Ehre in lebendigen Bildern und Taten vor Augen sah. Zur diesmaligem Versammlung aber zog es die Goten mit besonders starken Gründen. Der Krieg mit Byzanz war zu erwarten oder schon ausgebrochen, als die Ladung nach Regeta erging: das Volk freute sich auf den Kampf mit dem verhaßten Feind und freute sich, zuvor seine Heeresmacht zu mustern, diesmal ganz besonders sollte die Volksversammlung zugleich Heerschau sein. Dazu kam, daß wenigstens in den nächsten Landschaften den meisten Goten bekannt wurde, dort zu Regeta sollte Gericht gehalten werden über die Mörder der Tochter Theoderichs; die große Aufregung, die diese Tat erweckt hatte, mußte ebenfalls mächtig nach Regeta ziehn. Während ein Teil der Herbeigewanderten in den nächsten Dörfern bei Freunden und Bekannten eingesprochen, hatten sich große Scharen schon einige Tage vor der feierlichen Eröffnung auf dem weiten Blachfeld selbst, zweihundertachtzig Stadien (gegen sechsunddreißig römische Meilen zu tausend Schritt) von Rom, unter leichten Zelten und Hütten oder auch unter dem milden, freien Himmel gelagert. Diese waren mit den frühsten Stunden des Versammlungstages schon in brausender Bewegung und nützten die geraume Zeit, da sie die alleinigen Herrn des Platzes waren, zu allerlei Spiel und Kurzweil. Die einen schwammen und badeten in den klaren Fluten des raschen Flusses Ufens (oder «Decemnovius», weil er nach neunzehn römischen Meilen bei Terracina in das Meer mündet), der die weite Ebene durchschnitt. Andere zeigten ihre Kunst, über ganze Reihen von vorgehaltenen Speeren hinwegzusetzen oder, fast unbekleidet, unter den im Taktschlag geschwungenen Schwertern zu tanzen, indes die Raschfüßigsten, angeklammert an die Mähnen ihrer Rosse, mit deren schnellstem Lauf gleichen Schritt hielten und, am Ziele angelangt, mit sichrem Sprung sich auf den sattellosen Rücken schwangen. «Schade», rief der junge Gudila, der bei diesem Wettlauf zuerst an das Ziel gelangt war und sich jetzt die gelben Locken aus der Stirne strich, «schade, daß Totila nicht zugegen! Er ist der beste Reiter im Volk und hat mich noch immer besiegt; aber jetzt, mit dem Rappen, nehm' ich's mit ihm auf.» - «Ich bin froh, daß er nicht da ist», lachte Gunthamund, der als der Zweite herangesprengt war, «sonst hätte ich gestern schwerlich den ersten Preis im Lanzenwurf davongetragen.» - «Ja», sprach Hilderich, ein stattlicher, junger Krieger in klirrendem Ringpanzer, «Totila ist gut mit der Lanze. Aber sichrer noch wirft der schwarze Teja: der nennt dir die Rippe vorher, die er treffen wird.» - «Bah», brummte Hunibad, ein älterer Mann, der dem Treiben der Jünglinge prüfend zugesehn, «das ist doch all nur Spielerei. Im blutigen Ernste frommt dem Mann zuletzt doch nur das Schwert: wann dir der Tod von allen Seiten so dicht auf den Leib rückt, daß du nicht mehr ausholen kannst zum Wurf. Und da lob ich mir den Grafen Witichis von Fäsulä! Das ist mein Mann! War das ein Schädelspalten, im Gepidenkrieg! Durch Stahl und Leder schlug der Mann, als wär' es trocken Stroh. Der kann's noch besser als mein eigner Herzog, Guntharis, der Wölsung, in Florentia. Doch was wißt ihr davon, ihr Knaben. - Seht, da steigen die frühesten Ankömmlinge von den Hügeln nieder: Auf! Ihnen entgegen!» Und auf allen Wegen strömte jetzt das Volk heran: zu Fuß, zu Roß und zu Wagen. Ein brausendes, wogendes Leben erfüllte mehr und mehr das Blachfeld. An den Ufern des Flusses, wo die meisten Zelte standen, wurden die Rosse abgezäumt, die Gespanne zu einer Wagenburg zusammengeschoben, und durch die Lagergassen hin flutete nun die stündlich wachsende Menge. Da suchten und fanden und begrüßten sich Freunde und Waffenbrüder, die sich seit Jahren nicht gesehn. Es war ein buntgemischtes Bild: die alte germanische Gleichartigkeit war in diesem Reiche lang geschwunden. Da stand neben dem vornehmen Edeln, der sich in einer der reichen Städte Italiens niedergelassen, in den Palästen senatorischer Geschlechter wohnte und die feinere und üppigere Sitte der Welschen angenommen hatte, neben dem Herzog oder Grafen aus Mediolanum oder Ticinum, der über dem reichvergoldeten Panzer das Wehrgehänge von Purpurseide trug, neben einem solchen zieren Herrn ragte wohl ein rauher, riesiger Gotenbauer, der in den tiefen Eichwäldern am Margus in Mösien hauste, oder der in dem Tann am rauschenden Onus dem Wolf die zottige Schur abgerungen hatte, die er um die mächtigen Schultern schlug, und dessen rauher erhaltene Sprache befremdlich an das Ohr der halbromanisierten Genossen schlug. Und wieder friedliche Schafhirten aus Dakien, die, ohne Acker und ohne Haus, mit ihren Herden von Weide zu Weide wanderten, ganz in derselben Weise noch, welche die Ahnen vor tausend Jahren aus Asien herübergeführt hatte. Da war ein reicher Gote, der in Ravenna oder Rom eines römischen Geldwechslers Kind geheiratet und bald Handel und Verkehr gleich seinem römischen Schwager zu treiben und seinen Gewinn nach Tausenden zu berechnen gelernt hatte. Und daneben stand ein armer Senne, der an dem brausenden Isarkus die magern Ziegen auf die magre Weide trieb und dicht neben der Höhle des Bären seine Bretterhütte errichtet hatte. So verschieden war den Tausenden, die sich hier zusammenfanden, das Los gefallen, seit ihre Väter dem Ruf des großen Theoderich nach Westen gefolgt waren, hinweg aus den Tälern des Hämus. Aber doch fühlten sie sich als Brüder, als Söhne eines Volkes: dieselbe stolzklingende Sprache redeten sie, dieselben Goldlocken, dieselbe schneeweiße Haut, dieselben hellen, blitzenden Augen und - vor allem - das gleiche Gefühl in jeder Brust: als Sieger stehen wir auf dem Boden, den unsre Väter dem römischen Weltreich abgetrotzt, und den wir decken wollen, lebendig oder tot. Wie ein ungeheurer Bienenschwarm wogten und rauschten die Tausende durcheinander, die sich hier begrüßten, alte Bekanntschaften aufsuchten und neue schlossen, und das wirre Getriebe schien nimmer enden zu wollen und zu können. Aber plötzlich tönten von dem Kamm der Hügel her eigentümliche, feierlich gezogene Töne des gotischen Heerhorns: und augenblicklich legte sich das Gesumme der brausenden Stimmen. Aufmerksam wandten sich aller Augen nach der Richtung der Hügel, von denen ein geschlossener Zug ehrwürdiger Greise nahte. Es war ein halbes Hundert von Männern in weißen, wallenden Mänteln, die Häupter eichenbekränzt, weiße Stäbe und altertümlich geformte Steinbeile führend: die Sajonen und Fronwärter des Gerichts, welche die feierlichen Formen der Eröffnung, Hegung und Aufhebung des Dings zu vollziehen hatten. Angelangt in der Ebene begrüßten sie mit dreifachem, langgezogenem Hornruf die Versammlung der freien Heermänner, die, nach feierlicher Stille, mit klirrenden Waffen lärmend antworteten. Alsbald begannen die Bannboten ihr Werk. Sie teilten sich nach rechts und links und umzogen mit Schnüren von roter Wolle, die alle zwanzig Schritt um einen Haselstab, den sie in die Erde stießen, geschlungen wurden, die ganze weite Ebene, und begleiteten diese Handlung mit uralten Liedern und Sprüchen. Genau gegen Aufgang und Mittag wurden die Wollschnüre auf mannshohe Lanzenschäfte gespannt, so daß sie die zwei Tore der nun völlig umfriedeten Dingstätte bildeten, an denen die Fronboten mit gezückten Beilen Wache hielten, alle Unfreien, alle Volksfremden und alle Weiber fernzuhalten. Als diese Arbeit vollendet war, traten die beiden Ältesten unter die Sperrtore und riefen mit lauter Stimme: «Gehegt ist der Hag Altgotischer Art: Nun beginnen mit Gott Mag gerechtes Gericht.» Auf die hiernach eingetretne Stille folgte unter der versammelten Menge ein anfangs leises, dann lauter tönendes und endlich fast betäubendes Getöse von fragenden, streitenden, zweifelnden Stimmen. Es war nämlich schon bei dem Zug der Sajonen aufgefallen, daß er nicht, wie gewöhnlich, von dem Grafen geführt war, der im Namen und Bann des Königs das Gericht abzuhalten und zu leiten pflegte. Doch hatte man erwartet, daß dieser Vertreter des Königs wohl während der Umschnürung des Platzes erscheinen werde. Als nun aber diese Arbeit geschehen und der Spruch der Alten, der zum Beginn des Gerichts aufforderte, ergangen und doch immer noch kein Graf, kein Beamter erschienen war, der allein die Eröffnungsworte sprechen konnte, ward die Merksamkeit aller auf jene schwer auszufüllende Lücke gelenkt. Während man nun überall nach dem Grafen, dem Vertreter des Königs, fragte und suchte, erinnerte man sich, daß dieser ja verheißen hatte, in Person vor seinem Volk zu erscheinen, sich und seine Königin gegen die erhobenen schweren Anklagen zu verteidigen. Aber da man jetzt bei des Königs Freunden und Anhängern sich nach ihm erkundigen wollte, ergab sich die verdächtige Tatsache, die man bisher, im Gedräng der allgemeinen Begrüßung, gar nicht wahrgenommen, daß nämlich auch nicht einer der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des Königshauses, die zur Unterstützung des Beschuldigten zu erscheinen Recht, Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Straßen und in der Umgegend Roms gesehen hatte. Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Lärm über diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Königsgrafen der rechtmäßige Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedene Redner hatten bereits vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen. - Da erscholl plötzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles übertönender Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetümes vergleichbar. Aller Augen folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Rücken einer hohen Steineiche gelehnt, eine hohe ragende Gestalt, die in den hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen Schlachtruf ertönen ließ. Als sich der Schild senkte erkannte man das mächtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu sprühen schienen. Begeisterter Jubel begrüßte den greisen Waffenmeister des großen Königs, den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon bei lebendem Leib zu einer mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf gelegt, hob der Alte an: «Gute Goten, meine wackern Männer. Es ficht euch an und will euch befremden, daß ihr keinen Grafen seht und Vertreter des Mannes, der eure Krone trägt. Laßt's euch nicht Bedenken machen! Wenn der König meint, damit das Gericht zu stören, so soll er irren. Ich denke noch an die alten Zeiten und sage euch: das Volk kann Recht finden ohne König und Gericht halten ohne Königsgrafen. Ihr seid alle herangewachsen in neuer Übung und Sitte, aber da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter jünger denn ich: der wird's mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt, das Gotenvolk ist frei!» «Ja, wir sind frei!» rief ein tausendstimmiger Chor. «Wir wählen uns unsern Dinggrafen selbst, schickt der König den seinen nicht», rief der graue Haduswinth, «Recht und Gericht war, eh' König war und Graf. Und wer kennt besser alten Brauch des Rechts als Hildebrand, Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Dinggraf sein.» «Ja», hallte es ringsum wider, «Hildebrand so unser Dinggraf sein.» «Ich bin's durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als hätte mir König Theodahad Brief und Pergament darüber ausgestellt. Auch haben meine Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft mir öffnen das Gericht.» Da eilten zwölf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die Trümmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus: die Sajonen säuberten die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und links und rechts zwei der viereckigen Platten an den Stamm der Eiche, so daß ein stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, von dem Altar des altitalischen Wald und Hirtengottes herab, der Gotengraf Gericht. Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem, weißem Kragen über Hildebrands Schultern, gaben ihm den oben gekrümmten Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Häupten einen blanken Stahlschild an die Zweige der Eiche. Dann stellten sie sich in zwei Reihen zu seiner Rechten und Linken auf: der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild, daß er hell erklang, dann setzte er sich, das Antlitz gegen Osten, und sprach: «Ich gebiete Stille, Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und Scheltwort und Waffenzücken, und alles, was den Dingfrieden kränken mag. Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil' und Stunde, an Ort und Stätte, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer?» Da traten die nächststehenden Goten heran und sprachen im Chor: «Hier ist rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender Eiche, hier ist rechte Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem, gotischem Erdgrund, zu halten ein frei Gericht gotischer Männer.» «Wohlan», fuhr der alte Hildebrand fort, «wir sind versammelt, zu richten zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis, die Königin, und schwere Rüge wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider Theodahad, unsern König. Ich frage...» Da ward seine Rede unterbrochen durch lauten, schallenden Hornruf, der von Westen her näher und näher drang. Dreizehntes Kapitel Erstaunt sahen die Goten um und erblickten einen Zug von Reitern, welche die Hügel herab gegen die Gerichtsstätte eilten. Die Sonne fiel grell blendend auf die waffenblitzenden Gestalten, daß sie nicht erkenntlich waren, obwohl sie in Eile nahten. Da richtete sich der alte Hildebrand hoch auf in seinem erhöhten Sitz, hielt die Hand vor die falkenscharfen Augen und rief sogleich: «Das sind gotische Waffen! Die wallende Fahne trägt als Bild die Waage: das ist das Hauszeichen des Grafen Witichis! Und dort ist er selbst! An der Spitze des Zugs. Und an seiner Linken die hohe Gestalt, das ist der starke Hildebad! Was führt die Feldherrn zurück? Ihre Scharen sollten schon weit auf dem Weg nach Gallien und Dalmatien sein.» Ein Brausen von fragenden, staunenden, grüßenden Stimmen erfolgte. Indes waren die Reiter heran und sprangen von den dampfenden Rossen. Mit Jubel empfangen, schritten die Führer, Witichis und Hildebad, durch die Menge den Hügel heran, bis zu Hildebrands Richterstuhl. «Wie?» rief Hildebad noch atemlos, «ihr sitzt hier und haltet Gericht, wie im tiefsten Frieden, und der Feind, Belisar, ist gelandet!» «Wir wissen es», sprach Hildebrand ruhig, «und wollten mit dem König beraten, wie ihm zu wehren sei.» «Mit dem König!» lachte Hildebad bitter. «Er ist nicht hier», sagte Witichis umblickend, «das verstärkt unsern Verdacht. Wir kehrten um, weil wir Grund zu schwerem Argwohn erhielten. Aber davon später! Fahrt fort, wo ihr haltet. Alles nach Recht und Ordnung! Still, Freund!» Und den ungeduldigen Hildebad zurückdrängend, stellte er sich bescheiden zur Linken des Richterstuhles in die Reihe der andern. Nachdem es wieder stiller geworden, fuhr der Alte fort: «Gothelindis, unsre Königin, ist verklagt wegen Mordes an Amalaswintha, der Tochter Theoderichs. Ich frage: sind wir Gericht, zu richten solche Klage?» Der alte Haduswinth, gestützt auf seine lange Keule, trat vor und sprach: «Rot sind die Schnüre dieser Malstätte. Beim Volksgericht ist das Recht über roten Blutfrevel, über warmes Leben und kalten Tod. Wenn's anders geübt ward in letzten Zeiten, so war das Gewalt, nicht Recht. Wir sind Gericht, zu richten solche Klage.» «In allem Volk», fuhr Hildebrand fort, «geht wieder Gothelindis schwerer Vorwurf, im stillen Herzen verklagen wir sie alle darob. Wer aber will hier, im offnen Volksgericht, mit lautem Wort, sie dieses Mordes zeihen?» «Ich!» sprach eine helle Stimme, und ein schöner, junger Gote, in glänzenden Waffen, trat von rechts vor den Richter, die rechte Hand auf die Brust legend. Ein Murmeln des Wohlgefallens drang durch die Reihen: «Er liebt die schöne Mataswintha!» «Er ist der Bruder des Herzogs Guntharis von Tuscien, der Florentia besetzt hält.» - «Er freit um sie!» - «Als Rächer ihrer Mutter tritt er auf!» «Ich, Graf Arahad von Asta, des Aramuth Sohn, aus der Wölsungen Edelgeschlecht», fuhr der junge Gote mit einem anmutigen Erröten fort. «Zwar bin ich nicht versippt mit der Getöteten: allein die Männer ihrer Sippe, Theodahad voran, ihr Vetter und ihr König, erfüllen nicht die Pflicht der Blutrache; ist er doch selbst des Mordes Helfer und Hehler. So klag' ich denn, ein freier, unbescholtener Gote edeln Stammes, ein Freund der unseligen Fürstin, an Mataswinthens, ihrer Tochter, Statt. Ich klag' um Mord! Ich klag' auf Blut!» Und unter lautem Beifall des Volkes zog der stattliche, schöne Jüngling das Schwert und streckte es gerad vor sich auf den Richterstuhl. «Und dein Beweis? sag an... » «Halt, Dinggraf», scholl da eine ernste Stimme. Witichis trat vor, dem Kläger entgegen. «Bist du so alt und kennst das Recht so wohl, Meister Hildebrand, und läßt dich fortreißen von der Menge wildem Drang? Muß ich dich mahnen, ich, der jüngere Mann, an allen Rechtes erstes Gebot? Den Kläger hör' ich, die Beklagte nicht.» «Kein Weib kann stehen in der Goten Ding», sprach Hildebrand ruhig. «Ich weiß: doch wo ist Theodahad, ihr Gemahl und Mundwalt, sie zu vertreten?» «Er ist nicht erschienen. » «Ist er geladen?» «Er ist geladen! Auf meinen Eid und den dieser Boten», sprach Arahad, «tretet vor, Sajonen.» Zwei der Fronwärter traten vor und rührten mit ihren Stäben an den Richterstuhl. «Nun», sprach Witichis weiter, «man soll nicht sagen, daß im Volk der Goten ein Weib ungehört, unverteidigt verurteilt werde; wie schwer sie auch verhaßt sei - sie hat ein Recht auf Rechtsgehör und Rechtsschutz. Ich will ihr Mundwalt und ihr Fürsprecher sein.» Und er trat ruhig dem jugendlichen Ankläger entgegen, gleich ihm das Schwert ziehend. Eine Pause der ehrenden Bewunderung trat ein. «So leugnest du die Tat?» fragte der Richter. «Ich sage: sie ist nicht erwiesen!» - «Erweise sie!» sprach der Richter zu Arahad gewendet. Dieser, nicht vorbereitet auf ein förmliches Verfahren und nicht gefaßt auf einen Widersacher von Witichis' großem Gewicht und kräftiger Ruhe, ward etwas verwirrt. «Erweisen?» rief er ungeduldig. «Was braucht's noch Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, daß Gothelindis die Fürstin lang und tödlich haßte. Die Fürstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die Mörderin: ihr Opfer kommt in einem Hause Gothelindis wieder zum Vorschein - tot: die Mörderin aber flieht auf ein festes Schloß. Was braucht's da noch Erweis?» Und ungeduldig sah er auf die Goten rings umher. «Und daraufhin klagst du auf Mord im offnen Ding?» sprach Witichis ruhig. «Wahrlich, der Tag sei fern vom Gotenvolk, da man nach solchem Anschein Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Männer, ist Licht und Luft! Weh, weh dem Volk, das seinen Haß zu seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir.» Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, daß aller Goten Herzen dem treuen Manne zuschlugen. «Wo sind die Beweise?» fragte nun Hildebrand. «Hast du handhafte Tat? Hast du blickenden Schein? Hast du gichtigen Mund? Hast du echten Eid? Heischest du der Verklagten Unschuldeid?» «Beweis!» wiederholte Arahad zornig. «Ich habe keinen als meines Herzens festen Glauben.» «Dann», sprach Hildebrand - Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Tore her den Weg zu ihm und sprach: «Römische Männer stehen am Eingang. Sie bitten um Gehör: sie wissen, sagen sie, alles um der Fürstin Tod.» «Ich fordre, daß man sie höre», rief Arahad eifrig, «nicht als Kläger, als Zeugen des Klägers.» Hildebrand winkte, und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige Menge heraufzuführen. Voran schritt ein von Jahren gebeugter Mann in härener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Überwurfs machte seine Züge unkenntlich; zwei Männer in Sklaventracht folgten. Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei aller Einfachheit, ja Armut, von seltner Würde geadelt war. Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad dicht ins Antlitz und trat mit Staunen rasch zurück. «Wer ist es», fragte der Richter, «den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?» - «Nein», rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurück, «ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorus.» Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Dingstätte. «So hieß ich», sprach der Zeuge, «in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus.» Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen - die Weihe der Entsagung. «Nun, Bruder Marcus», forschte Hildebrand, «was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag' uns die volle Wahrheit und nur die Wahrheit.» «Die werd' ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung führt mich her, nicht den Mord zu rächen bin ich gekommen, die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! - Nein, den letzten Auftrag der Unseligen, der Tochter meines großen Königs, zu erfüllen, bin ich da.» Und er zog eine Papyrusrolle aus dem Gewande. «Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, die ich, als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten, mitzuteilen habe: » Ein Ruf grimmigen Schmerzes ging durch die Tausende gotischer Männer. «Ich wollte», fuhr Hildebad fort, «augenblicklich mit all unsren Tausendschaften umkehren, aber Graf Witichis, mein Oberfeldherr, litt es nicht. Nur das setzte ich durch, daß wir die Truppen Halt machen ließen und mit wenigen Reitern hierher flogen zu warnen, zu retten, zu rächen. Denn Rache, Rache heisch' ich an König Theodahad: nicht nur Torheit und Schwäche, Arglist war es, daß er den Süden den Feinden preisgegeben. Hier dieser Brief beweist es. Viermal hat ihn mein Bruder gemahnt, gebeten. All umsonst. Er gab ihn, er gab das Reich in Feindeshand. Weh uns, wenn Neapolis fällt, schon gefallen ist. Ha, er soll nicht länger herrschen, nicht leben soll er länger, der das verschuldet hat. Reißt ihm die Krone der Goten vom Haupt, die er geschändet, nieder mit ihm! Er sterbe!» «Nieder mit ihm! Er sterbe!» donnerte das Volk im mächtigem Echo nach. Unwiderstehlich, schien der Strom ihres Grimmes zu wogen und jeden zu zerreißen, der ihm widerstehen wollte. Nur einer blieb ruhig und gelassen inmitten der stürmenden Menge. Das war Graf Witichis. Er sprang auf einen der alten Steine unter dem Eichbaum und wartete, bis sich der Lärm etwas gelegt. Dann erhob er die Stimme und sprach mit jener schlichten Klarheit, die ihm so wohl anstand: «Landsleute, Volksgenossen! Hört mich an! Ihr habt unrecht mit eurem Spruch. Wehe, wenn im Gotenstamm, des Ehre und Stolz die Gerechtigkeit gewesen seit der Väter Zeit, Haß und Gewalt des Rechtes Thron besteigen. Theodahad ist ein schwacher, schlechter König! Nicht länger soll er allein des Reiches Zügel lenken! Gebt ihm einen Vormund wie einem Unmündigen! Setzt ihn ab meinetwegen. Aber seinen Tod, sein Blut dürft ihr nicht fordern! Wo ist der Beweis, daß er verraten hat? Daß Totilas Botschaft an ihn gelangt? Seht ihr, ihr schweigt: hütet euch vor Ungerechtigkeit, sie stürzt die Reiche der Völker.» Und groß und edel stand er auf seinem erhöhten Boden im vollen Glanz der Sonne, voll Kraft und edler Würde. Bewundernd ruhten die Augen der Tausenden auf ihm, der ihnen an Hoheit und Maß und klarer Ruhe so überlegen schien. Eine feierliche Pause erfolgte. Und ehe noch Hildebad und das Volk Antwort finden konnten gegen den Mann, der die lebendige Gerechtigkeit schien, ward die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem dichten Walde gezogen, der im Süden die Aussicht begrenzte, und der auf einmal lebendig zu werden schien. Vierzehntes Kapitel Denn man hörte von dort her den raschen Hufschlag nahender Pferde und das Klirren von Waffen. Alsbald bog eine kleine Schar von Reitern aus dem Wald, aber weit ihnen allen voraus jagte auf kohlschwarzem Roß ein Mann, der wie mit dem Sturmwind um die Wette ritt. Weit im Winde flatterte seine Helmzier: ein mächtiger schwarzer Roßschweif, und seine eignen langen, schwarzen Locken. Vorwärts gebeugt trieb er das schaumbespritzte Roß zu rasender Eile und sprang am Südeingang des Dings sausend vom Sattel. Alle wichen links und rechts zurück, die der grimme, tödlichen Haß sprühende Blick seines Auges aus dem leichenblassen, schönen Antlitz traf Wie von Flügeln getragen stürmte er den Hügel hinan, sprang auf einen Stein neben Witichis, hielt eine Rolle hoch empor, rief wie mit letzter Kraft: «Verrat, Verrat!» und stürzte dann wie blitzgetroffen nieder. Entsetzt sprangen Witichis und Hildebad hinzu: sie hatten kaum den Freund erkannt: «Teja, Teja!» riefen sie, «was ist geschehen? Rede!» - «Rede!» wiederholte Witichis, «es gilt das Reich der Goten!» Wie mit übermenschlicher Kraft richtete sich in diesem Wort der stählerne Mann wieder empor, sah einen Augenblick um sich und sprach dann mit hohler Stimme: «Verraten sind wir, Goten, verraten von unserm König. Ich erhielt Auftrag vor sechs Tagen, nach Istrien zu ziehen, nicht nach Neapolis, wie ich gebeten. Ich schöpfte Verdacht, doch ich gehorchte und gehe unter Segel mit meinen Tausendschaften. Ein starker Weststurm bricht herein, verschlägt zahllose kleine Schiffe von Westen her bis zu uns. Darunter den , den raschen Keles - das leichte Postschiff Theodahads. Ich kannte das Fahrzeug wohl, es gehörte einst meinem Vater. Wie das unserer Schiffe ansichtig wird, will es entfliehen. Ich, argwöhnisch, jage ihm nach und hole es ein. Er trug diesen Brief an Belisar von des Königs Hand: . Goten: der Mann soll unser König sein. Nennt mir den Mann!» «Graf Witichis, ja Witichis, Heil König Witichis!» Während dieser brausende Jubelruf durch das Gefilde hallte, hatte ein erschütternder Schreck den bescheidenen Mann ergriffen, der gespannt der Rede des Alten gefolgt war und erst ganz zu Ende von der Ahnung ergriffen ward, daß er der so Gepriesene sei. Als er nun aber seinen Namen in diesem tausendstimmigen Jauchzen erschallen hörte, überkam ihn vor allen andern Gedanken das Gefühl: «Nein, das kann, das soll nicht sein.» Er riß sich von Teja und Hildebad, die freudig seine Hände drückten, los, und sprang hervor, das Haupt schüttelnd und, wie abwehrend, den Arm ausstreckend. «Nein!» rief er, «nein, Freunde! Nicht das mir! Ich bin ein schlichter Kriegsmann, nicht ein König. Ich bin vielleicht ein gutes Werkzeug, kein Werkmeister! Wählt einen andern, einen Würdigeren!» Und wie bittend streckte er beide Hände gegen das Volk. Aber der donnernde Ruf: «Heil König Witichis!» ward ihm statt aller Antwort. Und nun trat der alte Hildebrand vor, faßte seine Hand und sprach laut: «Laß ab, Witichis! Wer war es, der zuerst geschworen, unweigerlich den König anzuerkennen, der auch nur eine Stimme mehr hätte? Siehe, du hast alle Stimmen und willst dich wehren?» Aber Witichis schüttelte das Haupt und preßte die Hand vor die Stirn. Da trat der Alte ganz nahe zu ihm und flüsterte in sein Ohr: «Wie? Muß ich dich stärker mahnen? Muß ich dich mahnen jenes mächtigen Eides und Bundes, da du gelobtest: Ich weiß, - ich kenne deine klare Seele, -: dir ist die Krone mehr eine Last als eine Zierde: ich ahne, daß dir diese Krone große, bittre Schmerzen bringen wird. Vielleicht mehr als Freuden; deshalb fordre ich, daß du sie auf dich nimmst.» Witichis schwieg und drückte noch die andre Hand vor die Augen. Schon viel zu lang währte dem begeisterten Volk das Zwischenspiel. Schon rüsteten sie den breiten Schild, ihn darauf zu erheben, schon drängten sie den Hügel hinan, seine Hand zu fassen: und fast ungeduldig scholl aufs neue der Ruf: «Heil König Witichis.» «Ich fordre es bei deinem Bluteid! - Willst du ihn halten oder brechen?» flüsterte Hildebrand. «Halten!» sprach Witichis und richtete sich entschlossen auf. Und nun trat er, ohne falsche Scham und ohne Eitelkeit, einen Schritt vor und sprach: «Du hast gewählt, mein Volk, wohlan, so nimm mich hin. Ich will dein König sein!» Da blitzten alle Schwerter in die Luft, und lauter scholl's: «Heil König Witichis!» Jetzt stieg der alte Hildebrand ganz herab von seinem Dingstuhl und sprach: «Ich weiche nun von diesem hohen Stuhl! Denn unserm König ziemt jetzt diese Stätte. Nur einmal noch laß mich des Grafenamtes walten. Und kann ich dir nicht den Purpur umhängen, den die Amaler getragen, und ihr goldenes Zepter reichen, - nimm meinen Richtermantel und den Richterstab als Zepter, zum Zeichen, daß du unser König wardst um deiner Gerechtigkeit willen. Ich kann sie nicht auf deine Stirne drücken, die alte Gotenkrone, Theoderichs goldnen Reif. So laß dich krönen mit dem frischen Laub der Eiche, der du an Kraft und Treue gleichst.» Mit diesen Worten brach er ein zartes Gewinde von der Eiche und schlang es um Witichis' Haupt: «Auf, gotische Heerschar, nun walte deines Schildamts.» Da ergriffen Haduswinth, Teja und Hildebad einen der altertümlichen breiten Dingschilde der Sajonen, hoben den König, der nun mit Kranz, Stab und Mantel geschmückt war, darauf und zeigten ihn auf ihren hohen Schultern allem Volk: «Sehet, Goten, den König, den ihr selbst gewählt: so schwört ihm Treue.» Und sie schworen ihm, aufrecht stehend, nicht kniend, die Hände hoch gen Himmel hebend, nun die Waffentreue bis in den Tod. Da sprang Witichis von dem Schild, bestieg den Dingstuhl und rief: «Wie ihr mir Treue, so schwör' ich euch Huld. Ich will ein milder und gerechter König sein, des Rechtes walten und dem Unrecht wehren, gedenken will ich, daß ihr frei seid, gleich mir, nicht meine Knechte, und mein Leben, mein Glück, mein alles, euch will ich's weihen, dem Volk der guten Goten. Das schwöre ich euch bei dem Himmelsgott und bei meiner Treue.» Und den Dingschild vom Baume hebend, rief er: «Das Ding ist aus. Ich löse die Versammlung.» Die Sajonen schlugen sofort die Haselstäbe mit den Schnüren nieder, und bunt und ordnunglos wogte nun die Menge durcheinander. Auch die Römer, die sich neugierig, aber scheu, aus der Ferne dieses Walten einer Volksfreiheit mit angesehen, wie sie in Italien seit mehr als fünfhundert Jahren nicht gekannt, durften sich nun unter die gotischen Männer mischen, denen sie Wein und Speisen verkauften. Witichis schickte sich an, mit den Freunden und den Führern des Heeres nach einem der Zelte zu begeben, die am Ufer des Flusses aufgeschlagen waren. Da drängte sich ein römisch gekleideter Mann, wie es schien, ein wohlhabender Bürger, an sein Geleit und forschte eifrig nach Graf Teja, des Tagila Sohn. «Der bin ich: was willst du mir, Römer?» sprach dieser sich wendend. «Nichts, Herr, als diese Vase überreichen. Seht nach: das Siegel, der Skorpion, ist unversehrt.» - «Was soll mir die Vase? Ich kaufe nichts dergleichen.» - «Die Vase ist euer, Herr. Sie ist voller Urkunden und Rollen, die euch zugehören. Und mir ist es vom Gastfreund aufgetragen, sie euch zu geben. Ich bitt' euch, nehmt.» Und damit drängte er ihm die Vase in die Hand und war im Gedränge verschwunden. Gleichgültig löste Teja das Siegel und nahm die Urkunden heraus, gleichgültig sah er hinein. Aber plötzlich schoß ein brennend Rot über seine bleichen Wangen, sein Auge sprühte Blitze, und er biß krampfhaft in die Lippe. Die Vase entfiel ihm, er aber drängte sich in Fieberhast vor Witichis und sprach mit fast tonloser Stimme: «Mein König -König Witichis - eine Gnade!» «Was ist dir, Teja, um Gott? Was willst du?» «Urlaub! Urlaub auf sechs - auf drei Tage! Ich muß fort.» -«Fort, wohin?» - «Zur Rache! Hier lies - der Teufel, der meine Eltern verklagte, in Verzweiflung, Tod und Wahnsinn trieb - er ist es den ich längst geahnt: hier ist sein Anzeigebrief an den Bischof von Florentia, mit seiner eignen Hand - es ist Theodahad!-» «Er ist's, es ist Theodahad», sagte Witichis, vom Briefe aufsehend. «Geh denn! Aber zweifle nicht: du triffst ihn nicht mehr in Rom, er ist gewiß längst entflohn. Er hat starken Vorsprung. Du wirst ihn nicht einholen.» «Ich hole ihn ein, ob er auf den Flügeln des Sturmadlers säße.» «Du wirst ihn nicht finden.» «Ich finde ihn, und müßt ich ihn aus dem tiefsten Pfuhl der Hölle oder im Schoße des Himmelgottes suchen.» «Er wird mit starker Bedeckung gelichtet sein», warnte der König. «Aus tausend Teufeln hol' ich ihn heraus. Hildebad, dein Pferd! Leb' wohl, König der Goten. Ich vollstrecke die Acht.» 5. Buch Witichis - Erste Abteilung "Die Goten aber wählten zum König Witichis, einen Mann, zwar nicht von edlem Geschlecht, aber von hohem Ruhm der Tapferkeit." (Prokop, Gotenkrieg I.) Erstes Kapitel Langsam sank die Sonne hinter die grünen Hügel von Fäsulä und vergoldete die Säulen vor dem schlichten Landhaus, in welchem Rauthgundis als Herrin schaltete. Die gotischen Knechte und die römischen Sklaven waren beschäftigt, die Arbeit des Tages zu beschließen. Der Mariskalk brachte die jungen Rosse von der Weide ein. Zwei andre Knechte leiteten den Zug stattlicher Rinder von dem Anger auf dem Hügel nach den Ställen, indes der Ziegenbub mit römischen Scheltworten seine Schutzbefohlenen vorwärts trieb, die genäschig hier und da an dem salzigen Steinbrech nagten, der auf dem zerbröckelten Mauerwerk am Wege grünte. Andre germanische Knechte räumten das Ackergerät im Hofraum auf, und ein römischer Freigelassener, ein gar gelehrter und vornehmer Herr, der Obergärtner selbst, verließ mit einem zufriedenen Blick die Stätte seiner blühenden und duftenden Wissenschaft. Da kam aus dem Roßstall unser kleiner Freund Athalwin im Kranze seiner hellgelben Locken. «Vergiß mir ja nicht, Kakus, einen rostigen Nagel in den Trinkkübel zu werfen. Wachis hat's noch besonders aufgetragen! Daß er dich nicht wieder schlagen muß, wenn er heimkommt.» Und er warf die Tür zu. «Ewiger Verdruß mit diesen welschen Knechten!» sprach der kleine Hausherr mit wichtigem Stolz. «Seit der Vater fort ist und Wachis ihm ins Lager gefolgt, liegt alles auf mir, denn die Mutter, lieber Gott, ist wohl gut für die Mägde, aber die Knechte brauchen den Mann.» Und mit großem Ernst schritt das Büblein über den Hof. «Und sie haben vor mir gar nicht den rechten Respekt», sprach er und warf die kirschroten Lippen auf und krauste die weiße Stirn. «Woher soll er auch kommen? Mit nächster Sonnwend bin ich volle neun Jahr: und sie lassen mich noch immer herumgehen mit einem Ding wie ein Kochlöffel.» Und verächtlich riß er an dem kleinen Schwert von Holz in seinem Gurt. «Sie dürften mir keck ein Weidmesser geben, ein rechtes Gewaffen. So kann ich nichts ausrichten und sehe nichts gleich.» Und doch sah er so lieblich, einem zürnenden Eros gleich, in seinem kniekurzen, ärmellosen Röckchen von feinstem, weißem Leinen, das die liebe Hand der Mutter gesponnen und genäht und mit einem zierlichen roten Streifen durchwirkt hatte. «Gern lief ich noch auf den Anger und brächte der Mutter zum Abend die Waldblumen, die sie so liebt, mehr als unsre stolzesten Gartenblumen. Aber ich muß noch Rundschau halten, ehe sie mir die Tore schließen, denn: , hat der Vater gesagt, wie er ging, Und ich gab ihm die Hand drauf. So muß ich Wort halten.» Damit schritt er den Hof entlang, an der Vorderseite des Wohnhauses vorüber, durchmusterte die Nebengebäude zur Rechten und wollte sich eben nach der Rückseite des Geviertes wenden, als er durch lautes Bellen der jungen Hunde zur Linken auf ein Geräusch an dem Holzzaun, der das Ganze umfriedete, aufmerksam wurde. Er schritt nach der bezeichneten Ecke hin und erstaunte, denn auf dem Zaune saß oder über denselben herein stieg eine seltsame Gestalt. Es war ein großer, alter, hagrer Mann in grobem Wams und ganz rauhem Loden, wie ihn die Berghirten trugen; als Mantel hing eine mächtige Wolfsschur unverarbeitet von seinen Schultern nieder, und in der Rechten trug er einen riesigen Bergstock mit scharfer Stahlspitze, mit welchem er die Hunde abwehrte, die zornig an dem Zaun hinaufsprangen. Eilends lief der Knabe hinzu. «Halt, du landfremder Mann, was tust du auf meinem Zaun? Willst du gleich hinaus und herab?» Der Alte stutzte und sah forschend auf den schönen Knaben. «Herunter, sag' ich!» wiederholte dieser. - «Begrüßt man so in diesem Hof den wegmüden Wandrer?» - «Ja, wenn der wegmüde Wandrer über den Hinterzaun steigt. Bist du was Rechtes und willst du was Rechtes, - da vorn steht das große Hoftor sperrangelweit offen: da komm herein.» «Das weiß ich selbst, wenn ich das wollte.» Und er machte Anstalten, in den Hof hereinzusteigen. «Halt», rief zornig der Kleine, «da kommst du nicht herab! Faß, Griffo! Faß, Wulfo! Und wenn du die zwei jungen nicht scheust, so ruf' ich die Alte! Dann gib acht! He Thursa, Thursa, leid's nicht!» Auf diesen Ruf schoß um die Ecke des Roßstalles ein riesiger, grauborstiger Wolfshund mit wütendem Gebell herbei und schien ohne weiteres dem Eindringling an die Gurgel springen zu wollen. Aber kaum stand das grimmige Tier vor dem Zaun, dem Alten gegenüber, so verwandelte sich seine Wut plötzlich in Freude: sein Bellen verstummte und wedelnd sprang er an dem Alten hinan, der nun ganz gemütlich hereinstieg. «Ja, Thursa, treues Tier, wir halten noch zusammen», sagte er. - - «Nun sage mir, kleiner Mann, wie heißt du?» - «Athalwin heiß' ich», versetzte dieser, scheu zurücktretend, «du aber, - ich glaube, du hast den Hund behext - wie heißt du?» - «Ich heiße wie du», sagte der Alte freundlicher. «Und das ist hübsch von dir, daß du heißest wie ich. Sei nur ruhig, ich bin kein Räuber! Führ' mich zu deiner Mutter, daß ich ihr sage, wie tapfer du deine Hofwehr verteidigt hast.» Und so schritten die beiden Gegner friedlich in die Halle, Thursa bellte freudig springend voran. Das korinthische Atrium der Römervilla mit seinen Säulenreihen an den vier Wänden hatte die gotische Hausfrau mit leichter Änderung in die große Halle des germanischen Hofbaues verwandelt. In Abwesenheit des Hausherrn war sie zu festlicher Bewirtung nicht bestimmt, und Rauthgundis hatte diese Zeit ihre Mägde aus der Frauenkammer hierher versetzt. In langer Reihe saßen rechts die gotischen Mägde mit sausender Spule; ihnen gegenüber einige römische Sklavinnen mit feineren Arbeiten beschäftigt. In der Mitte der Halle schritt Rauthgundis auf und nieder und ließ selbst die flinke Spule auf dem glatten Mosaik des Estrichs tanzen, aber dabei auch nach rechts und links stets die wachen Blicke gleiten. Das kornblumenblaue Kleid von selbstgewirktem Stoff war über die Knie heraufgeschürzt und hing gebauscht über dem Gurt von stählernen Ringen, der ihren einzigen Schmuck, ein Bündel von Schlüsseln, trug. Das dunkelblonde Haar war rings an Stirn und Schläfen zurückgekämmt und am Hinterkopf in einen einfachen Knoten geschürzt. Es lag viel schlichte Würde in der Gestalt, wie sie mit ernst prüfendem Blick auf und nieder schritt. Sie trat zu der jüngsten der gotischen Mägde, die zuunterst in der Reihe saß, und beugte sich zu ihr. «Brav, Liuta», sprach sie, «dein Faden ist glatt, und du hast heut' nicht so oft ausgesehen nach der Tür wie sonst. Freilich», fügte sie lächelnd hinzu - «es ist jetzt kein Verdienst, da doch kein Wachis zur Tür hereinkommen kann.» Die junge Magd errötete. Rauthgundis legte die Hand auf ihr glattes Haar: «Ich weiß», sagte sie, «du hast mir im stillen gegrollt, daß ich dich, die Verlobte, dieses Jahr über täglich morgens und abends eine Stunde länger spinnen ließ als die andern: es war grausam, nicht? Nun, sieh: es war dein eigner Gewinn. Alles, was du dies Jahr aus meinem besten Garn gesponnen, ist dein; ich schenk' es dir zur Aussteuer: so brauchst du nächstes Jahr, das erste deiner Ehe, nicht spinnen.» Das Mädchen faßte ihre Hand und sah ihr dankbar weinend ins Auge. «Und dich nennen sie streng und hart!» war alles, was sie sagen konnte. - «Mild mit den Guten, streng mit den Bösen, Liuta. Alles Gut, dessen ich hier walte, ist meines Herrn Eigen und meines Knaben Erbe. Da heißt es genau sein.» Jetzt wurden der Alte und Athalwin in der Tür sichtbar: der Knabe wollte rufen, aber sein Begleiter verhielt ihm den Mund und sah eine Weile unbemerkt dem Schalten und Walten Rauthgundens zu, wie sie der Mägde Arbeit prüfte, lobte und schalt und neue Aufträge gab. «Ja», sprach der Alte endlich zu sich selbst, «stattlich sieht sie aus, und sie scheint wohl die Herrin im Hause - doch, wer weiß alles?» Da war Athalwin nicht mehr zu halten: «Mutter», rief er, «ein fremder Mann, der Thursa behext und über den Zaun gestiegen und zu dir will. Ich kann's nicht begreifen.» Da wandte sich die stattliche Frauengestalt würdevoll dem Eingang zu, die Hand vor Augen haltend, die blendende Abendsonne, die in die offne Tür brach, abzuwehren. «Was führst du den Gast hierher? Du weißt, der Vater ist nicht hier. Führ' ihn in die große Halle. Sein Platz ist nicht bei mir.» «Doch, Rauthgundis! Hier, bei dir, ist mein Platz», sprach der Alte vortretend. «Vater!» rief die Frau und lag an der Brust des Fremden. Verdutzt und nicht ohne Mißbehagen sah Athalwin auf die Gruppe. «Du bist also der Großvater, der da oben in den Nordbergen haust? Nun grüß Gott, Großvater! Aber warum sagst du denn das nicht gleich? Und warum kommst du nicht durchs Tor wie andre ehrliche Leute?» Der Alte hielt seine Tochter in beiden Händen und sah ihr scharf ins Auge. «Sie sieht glücklich aus und gedeihend», brummte er vor sich hin. Da faßte sich Rauthgundis: rasch warf sie einen Blick durch die Halle. Alle Spindeln ruhten außer Liutas - aller Augen musterten neugierig den Alten. «Ob ihr wohl spinnen wollt, fürwitzige Elstern?» rief sie streng. «Du, Marcia, hast vor lauter Gaffen den Flachs herabfallen lassen, du kennst den Brauch, du spinnst eine Spule mehr, - ihr andern macht Feierabend. Komm, Vater! Liuta, rüst' ein laues Bad und Fleisch und Wein. -» «Nein!» sprach der Vater, «der alte Bauer hat am Berg auch nur Bad und Trunk am Wasserfall. Und was das Essen anlangt -draußen, vorm Hinterzaun, am Grenzpfahl, liegt mein Rucksack, den holt mir: da hab' ich mein Speltbrot und meinen Schafkäse, den bringt mir. - Wieviel habt ihr Rinder im Stall und Rosse auf der Weide?» Es war seine erste Frage. Eine Stunde darauf - schon war es dunkel geworden, und der kleine Athalwin war kopfschüttelnd über den Großvater zu Bett gegangen, da wandelten Vater und Tochter beim Licht des ausgehenden Mondes ins Freie. «Ich hab' nicht Luft genug da drinnen», hatte der Alte gesagt. Sie sprachen viel und ernst, wie sie durch den Hof und durch den Garten schritten. Mitten drein warf der Alte immer wieder Fragen nach ihrer Wirtschaft auf, wie sie ihm Gerät oder Gebäude nahelegten, und in seinem Ton lag keine Zärtlichkeit: nur manchmal in dem Blick, der verstohlen sein Kind musterte. «Laß doch endlich Roggen und Rosse», lächelte Rauthgundis, «und sage mir, wie's dir gegangen ist die langen Jahre? Und was dich endlich einmal herabgeführt hat von den Bergen zu deinen Kindern?» - «Wie's mir gegangen? Nun: halt einsam, einsam! Und kalte Winter! Ja, bei uns ist's nicht so hübsch warm, wie hier im Welschtale.» Und er sagte das wie einen Vorwurf. «Und warum ich herunter bin? Ja sieh, letztes Jahr hat sich der Zuchtstier zerfallen auf dem Firnjoch. Und da wollt' ich mir einen andern kaufen hier unten.» Da hielt sich Rauthgundis nicht länger: mit warmer Liebe warf sie sich an des Alten Brust und rief: «Und den Zuchtstier hast du nicht näher gefunden als hier? Lüge doch nicht, Steinbauer, gegen dein eigen Herz und dein eigen Kind. Du bist gekommen, weil du gemußt, weil du's doch endlich nicht mehr ausgehalten vor Heimweh nach deinem Kinde.» Der Alte blieb stehen und streichelte ihr Haar: «Woher du's nur weißt! Nun ja! Ich mußte doch mal selbst sehen, wie's um dich steht, und wie er dich hält, der Herr Gotengraf.» «Wie seinen Augapfel», sprach das Weib selig. - «So? Und warum ist er denn nicht daheim bei Hof und Haus und Weib und Kind?» - «Er steht beim Heer in des Königs Dienst.» «Ja, das ist's ja eben. Was braucht er einen Dienst und einen König? Doch - sage: warum trägst du keinen goldnen Armreif? Ein Gotenweib aus dem Welschtal kam einmal des Wegs bei uns vorbei, vor fünf Jahren, die trug Gold handbreit: da dacht' ich: so trägt's deine Tochter, und freute mich, und nun -» Rauthgundis lächelte: «Soll ich Gold tragen für meiner Mägde Augen? Ich schmücke mich nur, wenn Witichis es sieht.» - «So? Mög' er's verdienen! Aber du hast doch Goldspangen und Goldreife wie andre Gotenfrauen hier unten?» - «Mehr als andre, truhenvoll. Witichis brachte große Beute vom Gepidenkrieg.» - «So bist du ganz glücklich?» - «Ganz, Vater, aber nicht wegen der Goldspangen.» - «Hast du über nichts zu klagen? Sag's mir nur, Kind! Was es auch sei, sag's deinem alten Vater, und er schafft dir dein Recht.» Da blieb Rauthgundis stehen. «Vater, sprich nicht so! Das ist nicht recht von dir zu sprechen, nicht von mir zu hören. Wirf ihn doch weg, den unglückseligen Irrwahn, als müßte ich elend werden, weil ich zu Tal gezogen. Ich glaube fast, nur diese Furcht hat dich hier herabgeführt.» «Nur sie!» rief der Alte hastig, mit dem Stock aufstoßend. «Und du nennst einen Wahn, was deines Vaters tiefstes, inneres Wesen? Ein Wahn! Ah, ist's ein Wahn, daß sich's schwer atmet hier unten? Ein Wahn, daß unsre hochgewachsenen, weißen Goten klein und braun geworden hier unten im Tal? Ist es ein Wahn, daß alles Unheil von jeher von Süden hergekommen, von diesem weichen, falschen Tal? Woher kommen die Bergstürze über unsre Hütten? Von Süden her. Von wo kommt der giftige Wind, der Mensch und Vieh verdirbt? Von Süden. Warum stürzt mir Kuh und Schaf, wann sie am Südhang grasen? Warum starb deine Mutter, wie sie das erstemal von unserm Berge nach Bolsanum herabkam, in der schwülen Stadt? Ein Bruder von dir stieg auch herab, trat in des Königs Theoderichs Waffenschar zu Ravenna: erstochen haben ihn die Welschen beim Wein. Warum taugt kein Knecht mehr was, der je hier in den Süden herabstieg auch nur auf einen Winter? Wo hat unser großer Held Theoderich das verfluchte Regieren gelernt, mit Steuern und Folter und Kerker und Schreiben? Was haben unsre Väter von all dem gewußt? Von woher kommt aller Trug, alle Unfreiheit, alle Üppigkeit, alle Unkraft, alle List? Von hier: aus dem Welschtal, aus dem Süden, wo die Menschen zu Tausenden beisammen nisten, wie unsauber Gewürm, und einer dem andern die Luft vergiftet. Und da kommt mir so einer auf meinen Fels und holt mein frisches Kind herab in dieses Land des Unsegens! Dein Eheherr hat was Gutes und Klares, ich leugn' es nicht; und hätte er sich droben bei mir ein Gehöft gebaut, ich hätte ihm gern mein Kind und das Joch der besten Ochsen dazu gegeben. Aber nein! Da herunter mußte er sie führen ins heiße Sumpftal. Und er selbst bückt den Kopf in goldnen Sälen zu Rom und in der Rabenstadt. Wohl hab' ich mich lang gewehrt -» «Aber endlich gabst du nach «Was wollt' ich machen? War doch mein kernfrisches Mädel ganz herzenssiech geworden nach dem Unglücksmann.» «Und zehn Jahre hat der Unglücksmann dein Kind beglückt.» - «Wenn's nur auch wahr ist!» «Vater!» - «Und wahr bleibt. Es wäre das erstemal, daß Glück von Süden käme. Sieh, mein Abscheu ist so groß vor der Ebne, daß ich die sieben Jahr nicht niederstieg, gar mein Enkelkind nie gesehn habe. Wenn ich es jetzt doch getan, hat's schweren Grund.» «Also nicht die Liebe? Nicht dein Herz?» «Freilich! Doch mein banges Herz! Ein böses Zeichen ist geschehen. Du denkst doch noch der freudigen Buche, die am Felsbache stand, rechts vorm Hause? Ich pflanzte sie, nach altem Brauch, an dem Tag, da du geboren wardst. Und prächtig, wie du selbst, gedieh der Baum. In dem Jahr, da du fortzogst freilich, fand ich, er sehe krank und traurig aus. Aber die andern sahen es nicht und lachten mich aus. Nun, sie erholte sich wieder und war frisch und grün. Doch in der letzten Woche kam des Nachts ein Hochgewitter, so wütig, wie ich's selten gehört da droben in den Felsen, und als wir am Morgen vor das Tor treten - ist der Stamm vom Blitz zerspalten, und die Krone hat der Gießbach mit sich fortgerissen - nach Süden.» «Schad' um den lieben Baum! Doch kann dich das ängstigen?» «Es ist nicht alles. Traurig grub ich am Abend, nach dem Tagewerk, den armen Stamm aus der Erde und warf ihn ins Herdfeuer, daß er nicht verunehrt und elend am Wege stehe, der meinem Kinde ein Bild und Zeichen war. Und ich nahm mir's sehr zu Herzen, und ich sann und sann mit schweren Sorgen über deinen Mann, und meine Zweifel an ihm kamen dicht und dichter. Und ich sah ins Feuer, drin der Stamm verkohlte. So schlief ich ein, und im Traum sah ich dich und Witichis. Er tafelte im Goldsaal unter stolzen Männern und schönen Frauen in Glanz und Pracht gekleidet. Du aber standest vor der Tür, im Bettlerkleid, und weintest bittre Tränen und riefst ihn beim Namen. Er aber sprach: , wie sie sie nennen: Mataswintha sei die Erbin der Krone. Sie haben sie als Königin ausgerufen. Sie weilte in Florentia, fiel also gleich in ihre Gewalt. Man weiß nicht, ist sie Guntharis' Gefangene oder Arahads Weib. Nur das weiß man, daß sie awarische und gepidische Söldner geworben, den ganzen Anhang der Amaler und ihre ganz Sippe und Gefolgschaft, zu all dem großen Anhang der Wölsungen, bewaffnet haben. Dich schelten sie den Bauernkönig: sie wollen Ravenna gewinnen!» «O schicke mich nach Florentia mit nur drei Tausendschaften!» rief Hildebad zornig. «Ich will dir diese Königin der Goten samt ihrem adeligen Buhlen in einem Vogelkäfig gefangen bringen.» Aber die andern machten besorgte Gesichter. «Es sieht finster her!» sprach Hildebrand. «Belisar mit seinen Hunderttausenden vor uns: im Rücken das schlangenhafte Rom, - all unsre Macht noch fünfzig Meilen fern - und jetzt noch Bruderkrieg und Aufruhr im Herzen des Reiches! Der Donner schlag' in dieses Land.» Aber Witichis blieb ruhig und gefaßt wie immer. Er strich mit der Hand über die Stirn. «Es ist vielleicht gut so», sagte er dann. «Jetzt bleibt uns keine Wahl. Jetzt müssen wir zurück.» «Zurück?» fragte Hildebrand zürnend. - «Ja! Wir dürfen keinen Feind im Rücken lassen. Morgen brechen wir das Lager ab und gehn...» - «Gegen Neapolis vor?» sagte Hildebad. «Nein! Zurück nach Rom! Und weiter, nach Florentia, nach Ravenna! Der Brand der Empörung muß zertreten sein, eh' er noch recht entglommen.» - «Wie? Du weichst vor Belisar zurück?» - «Ja, um desto stärker vorzugehen, Hildebad! Auch die Bogensehne spannt die Kraft zurück, den tödlichen Pfeil zu schnellen.» -«Nimmermehr!» sprach Hildebad, «das kannst - das darfst du nicht.» Aber ruhig trat Witichis auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter: «Ich bin dein König. Du hast mich selbst gewählt. Hell klang vor andern dein Ruf: Heil König Witichis! Du weißt es, Gott weiß es: nicht ich habe die Hand ausgestreckt nach dieser Krone! Ihr habt sie mir auf das Haupt gedrückt: nehmt sie herunter, wenn ihr sie mir nicht mehr anvertraut. Aber solang ich sie trage, traut mir und gehorcht: sonst seid ihr mit mir verloren.» «Du hast recht», sagte der lange Hildebad und senkte das Haupt. «Vergib mir! Ich mach' es gut im nächsten Gefecht.» «Auf, meine Feldherrn», schloß Witichis, den Helm aufsetzend, «du, Totila, eilst mir in wichtiger Sendung zu den Frankenkönigen nach Gallien: ihr andern fort zu euren Scharen, brecht das Lager ab: mit Sonnenaufgang geht's nach Rom.» Siebentes Kapitel Wenige Tage darauf, am Abend des Einzugs der Goten in Rom, finden wir die jungen «Ritter»: Lucius und Marcus Licinius, Piso, den Dichter, Balbus, den Feisten, Julianus, den jungen Juristen, bei Cethegus, dem Präfekten, in vertrautem Gespräch. «Das also ist die Liste der blinden Anhänger des künftigen Papstes Silverius, meiner schlimmsten Argwöhner? Ist sie vollständig?» - «Sie ist es. Es ist ein hartes Opfer», rief Lucius Licinius, «das ich dir bringe, Feldherr. Hätt' ich gleich, wie das Herz mich antrieb, Belisar aufgesucht, ich hätte jetzt schon Neapolis mit belagert und bestürmt, statt daß ich hier die Katzentritte der Priester belausche und die Plebejer marschieren und in Manipeln schwenken lehre.» - «Sie lernen's doch nie wieder», meinte Marcus. «Geduldet euch», sagte Cethegus ruhig, Ohne von einer Papyrusrolle aufzublicken, die er in der Hand hielt. «Ihr werdet euch bald genug und lang genug mit diesen gotischen Bären balgen dürfen. Vergeßt nicht, daß das Raufen doch nur Mittel ist, nicht Zweck.» «Weiß nicht», zweifelte Lucius. «Die Freiheit ist der Zweck, und Freiheit fordert Macht», sprach Cethegus; «wir müssen diese Römer wieder an Schild und Schwert gewöhnen, sonst» - der Ostiarius meldete einen gotischen Krieger. Unwillige Blicke tauschten die jungen Römer. «Laß ihn ein!» sprach Cethegus, seine Schreibereien in einer Kapsel bergend. Da eilte ein junger Mann im braunen Mantel der gotischen Krieger, einen gotischen Helm auf dem Haupt, herein und warf sich an des Präfekten Brust. «Julius!» sprach dieser kalt zurücktretend. «Wie sehn wir uns wieder! Bist du denn ganz ein Barbar geworden. Wie kamst du nach Rom?» «Mein Vater, ich geleite Valeria unter gotischem Schutz: ich komme aus dem rauchenden Neapolis.» - «Ei», grollte Cethegus, «hast du mit deinem blonden Freund gegen Italien gestritten? Das steht einem Römer gut! Nicht wahr, Lucius?» -«Ich habe nicht gefochten und werde nicht fechten in diesem Krieg, dem unseligen. Weh denen, die ihn entzündet.» Cethegus maß ihn mit kalten Blicken. «Es ist unter meiner Würde und über meiner Geduld, einem Römer die Schande solcher Gesinnung vorzuhalten. Wehe, daß du ein solcher Abtrünniger, mein Julius. Schäme dich vor diesen deinen Altersgenossen. Seht, römische Ritter, hier ist ein Ritter ohne Freiheitsdurst, ohne Zorn auf die Barbaren!» Aber ruhig schüttelte Julius das Haupt. «Du hast sie noch nicht gesehen, die Hunnen und Massageten Belisars, die euch die Freiheit bringen sollen. Wo sind denn die Römer, von denen du sprichst? Hat sich Italien erhoben, seine Fesseln abzuwerfen? Kann es sich noch erheben? Justinian kämpft mit den Goten, nicht wir. Wehe dem Volk, das ein Tyrann befreit.» Cethegus gab ihm im geheimen recht, aber er wollte solche Worte nicht billigen vor Fremden: «Ich muß allein mit diesem Philosophen disputieren. Berichtet mir, wenn bei den Frommen etwas geschieht.» Und die Kriegstribunen gingen, mit verächtlichen Blicken auf Julius. «Ich möchte nicht hören, was die von dir reden!» sagte Cethegus ihnen nachsehend. - «Das gilt mir gleich. Ich folge meinen eignen und nicht fremden Gedanken.» - «Er ist Mann geworden», sagte Cethegus zu sich selbst. «Und meine tiefsten und besten Gedanken, die diesen Krieg verfluchen, führen mich hierher. Ich komme, dich zu retten und zu entführen aus dieser schwülen Luft, aus dieser Welt von Falschheit und Lüge. Ich bitte dich, mein Freund, mein Vater: folge mir nach Gallien.» - «Nicht übel», lächelte Cethegus. «Ich soll Italien aufgeben im Augenblick, da die Befreier nahen! Wisse: ich war es, der sie herbeigerufen, ich habe diesen Kampf entfacht, den du verfluchst.» - «Ich dacht' es wohl», sprach Julius schmerzlich. «Aber wer befreit uns von den Befreiern, wer endet diesen Kampf?» «Ich», sprach Cethegus ruhig und groß. «Und du, mein Sohn, sollst mir dabei helfen. Ja, Julius, dein väterlicher Freund, den du so kalt und nüchtern schiltst, hat auch eine begeisterte Schwärmerei, wenn auch nicht für Mädchenaugen und gotische Freundschaften. Laß diese Knabenspiele jetzt, du bist ein Mann. Gib mir die letzte Freude meines öden Lebens und sei der Genosse meiner Kämpfe und der Erbe meiner Siege! Es gilt Rom, Freiheit, Macht! Jüngling, können dich diese Worte nicht rühren? Denk dir», fuhr er, wärmer werdend, fort, «diese Goten, diese Byzantiner - ich hasse sie wie du - die einen durch die andern erschöpft, aufgerieben, und über den Trümmern ihrer Macht erhebt sich Italien, Rom in alter Herrlichkeit! Auf dem kapitolinischen Hügel thront wieder der Herrscher über Morgen-und Abendland: eine neue römische Weltherrschaft, stolzer, als sie dein cäsarischer Namensvetter geträumt, verbreitet Zucht, Segen und Furcht über die Erde...» «Und der Herrscher dieses Weltreichs heißt Cethegus Cäsarius!» «Ja, und nach ihm: Julius Montanus! Auf, Julius, du bist kein Mann, wenn dich dies Ziel nicht lockt!» Julius sprach bewundernd: «Mir schwindelt! Das Ziel ist sternenhoch: aber deine Wege, sie sind nicht gerade. Ja, wären sie gerade, bei Gott, ich teilte deinen Gang. Ja, rufe die römische Jugend zu den Waffen, herrsche beiden Barbarenheeren zu: , führe einen offenen Krieg gegen die Barbaren und gegen die Tyrannen: und dann an deiner Seite will ich stehen und fallen!» - «Du weißt recht gut, daß dieser Weg unmöglich ist.» «Und deshalb - ist's dein Ziel!» - «Tor, erkennst du nicht, daß es gewöhnlich ist, aus gutem Stoff ein Gebilde fertigen, daß es aber göttlich ist, aus dem Nichts, nur mit eigner schöpferischer Kraft, eine neue Welt zu schaffen.» - «Göttlich? Durch List und Lüge? Nein.» - «Julius,» - «Laß mich offen sprechen, deshalb bin ich gekommen. O könnt' ich dich zurückrufen von dem dämonischen Pfade, der dich sicher in Nacht und Verderben führt. Du weißt, - wie ich dein Bild verehre und liebe. Es will mir nicht stimmen zu dieser Verehrung, was Griechen, Goten, Römer von dir flüstern.» «Was flüstern sie?» fragte Cethegus stolz. «Ich mag's nicht denken, aber alles, was in diesen Zeiten Furchtbares geschehen: Athalarichs, Kamillas, Amalaswinthens Untergang, der Byzantiner Landung, du wirst dabei genannt, wie der Dämon, der alles Böse schafft. Sage mir, schlicht und treu, daß du frei bist von dunkeln -» «Knabe!» fuhr Cethegus auf, «willst du mir zur Beichte sitzen und zu Gericht? Lerne erst das Ziel begreifen, eh du die Mittel schiltst. Meinst du, man baut die Weltgeschichte aus Rosen und Lilien? Wer das Große will, muß das Große tun, nennen's die Kleinen gut oder schlecht.» - «Nein und dreimal nein! ruft dir mein ganzes Herz entgegen. Fluch dem Ziel, zu dem nur Frevel führen. Hier scheiden sich unsere Pfade.» «Julius, geh nicht! Du verschmähst, was noch nie einem Sterblichen geboten ward. Laß mich einen Sohn haben, für den ich ringe, dem ich die Erbschaft meines Lebens hinterlassen kann. » «Fluch und Lüge und Blut kleben daran. Und sollt' ich sie schon jetzt antreten:- ich will sie nie! Ich gehe, daß sich dein Bild nicht noch mehr vor mir verdunkle. Aber ich flehe dich um eins: wann der Tag kommt (und er wird kommen), da dich ekelt all des Blutes und des frevlen Trachtens und des Zieles selbst, das solche Taten fordert, - - dann rufe mich: ich will herbeieilen, wo immer ich sei, und will dich losringen und loskaufen von den dämonischen Mächten und sei's um den Preis meines Lebens.» Leichter Spott zuckte zuerst um des Präfekten Lippe, aber er dachte: «Er liebt mich noch immer. Gut, ich werde ihn rufen, wenn das Werk vollendet: laß sehen, ob er ihm dann widerstehen kann, ob er den Thron des Erdkreises ausschlägt.» -«Wohl», sagte er, «ich werde dich rufen, wenn ich dein bedarf. Leb' wohl.» Und mit kalter Handbewegung entließ er den Heißbewegten. Aber als die Türe hinter ihm zugefallen, nahm der eisige Präfekt ein kleines Relief von getriebenem Erz aus einer Kapsel und betrachtete es lang. Dann wollte er es küssen. Aber plötzlich flog der höhnische Zug wieder um seine Lippen. «Schäme dich vor Cäsar, Cethegus», sagte er, und legte das Medaillon wieder in die Kapsel. Es war ein Frauenkopf und Julius sehr ähnlich. Achtes Kapitel Inzwischen war es dunkler Abend geworden. Der Sklave brachte die zierliche Bronzelampe, korinthische Arbeit: ein Adler, der im Schnabel den Sonnenball trägt, gefüllt mit persischem Duftöl. «Ein gotischer Krieger steht draußen, Herr, er will dich allein sprechen. Er sieht sehr unscheinbar aus. Soll er die Waffen ablegen?» - «Nein», sagte Cethegus, «wir fürchten die Barbaren nicht. Laß ihn kommen.» Der Sklave ging, und Cethegus legte die Rechte an den Dolch im Busen seiner Tunika. Ein stattlicher Gote trat ein, die Mantelkapuze über den Kopf geschlagen: er warf sie jetzt zurück. Cethegus trat erstaunt einen Schritt näher. «Was führt den König der Goten zu mir?» «Leise!» sprach Witichis. «Es braucht niemand zu wissen, was wir beide verhandeln. Du weißt: seit gestern und heute ist mein Heer von Regeta in Rom eingezogen. Du weißt noch nicht, daß wir Rom morgen wieder räumen werden. Cethegus horchte hoch auf. «Das befremdet dich?» - «Die Stadt ist fest», sagte Cethegus ruhig. «Ja, aber nicht die Treue der Römer. Benevent ist schon abgefallen zu Belisar. Ich habe nicht Lust, mich zwischen Belisar und euch erdrücken zu lassen.» Vorsichtig schwieg Cethegus, er wußte nicht, wo das hinaus sollte. «Weshalb bist du gekommen, König der Goten?» -«Nicht um dich zu fragen, wie weit man den Römern trauen kann. Auch nicht, um zu klagen, daß wir ihnen so wenig trauen können, die doch Theoderich und seine Tochter mit Wohltaten überhäuft; sondern um grad und ehrlich ein paar Dinge mit dir zu schlichten, zu euren wie zu unserem Frommen.» Cethegus staunte. In der stolzen Offenheit dieses Mannes lag etwas, das er beneidete. Er hätte es gern verachtet. «Wir werden Rom verlassen; und alsbald werden die Römer Belisar aufnehmen. Das wird so kommen. Ich kann's nicht hindern. Man hat mir geraten, die Häupter des Adels als Geiseln mit hinwegzuführen.» Cethegus erschrak und hatte Mühe, das zu verbergen. «Dich vor allen, den Princeps Senatus.» - «Mich!» lächelte Cethegus. - «Ich werde dich hier lassen. Ich weiß es wohl: du bist die Seele von Rom.» Cethegus schlug die Augen nieder. «Ich nehme das Orakel an», dachte er. «Aber eben deshalb lass' ich dich hier. Hunderte, die sich Römer nennen, wollen die Byzantiner zu ihren Herren - du, du willst das nicht.» Cethegus sah ihn fragend an. «Täusche mich nicht! Wolle mich nicht täuschen. Ich bin der Mann verschlagner Künste nicht. Aber mein Auge sieht der Menschen Art. Du bist zu stolz, um Justinian zu dienen. Ich weiß, du hassest uns. Aber du liebst auch diese Griechen nicht und wirst sie nicht länger hier dulden als du mußt. Deshalb lass' ich dich hier. Vertritt du Rom gegen die Tyrannen: ich weiß, du liebst die Stadt.» Es war etwas an diesem Mann, das Cethegus zum Staunen zwang. «König der Goten», sagte er, «du sprichst klar und groß wie ein König, ich danke dir. Man soll nicht sagen von Cethegus, daß er die Sprache der Größe nicht versteht. Es ist, wie du sagst: ich werde mein Rom nach Kräften römisch erhalten.» «Gut», sagte Witichis, «sieh, man hat mich gewarnt vor deiner Tücke. Ich weiß viel von deinen schlauen Plänen, ich ahne noch mehr, und ich weiß, daß ich gegen Falschheit keine Waffe habe. Aber du bist kein Lügner. Ich wußte, ein männlich Wort ist unwiderstehlich bei dir: und Vertrauen entwaffnet einen Feind, der ein Mann.» «Du ehrst mich, König der Goten.» «Ich will dich warnen; weißt du, wer die wärmsten Freunde Belisars?» - «Ich weiß es: Silverius und die Priester.» - «Richtig. Und weißt du, daß Silverius, sowie der alte Papst Agapetus gestorben, den Bischofsstuhl von Rom besteigen wird?» «So hör' ich.» «Man riet mir, auch ihn als Geisel fortzuführen. Ich werd' es nicht tun. Die Italier hassen uns genug. Ich will nicht noch in das Wespennest der Pfaffen stoßen. Ich fürchte die Märtyrer.» Aber Cethegus wäre den Priester gern los geworden. «Er wird gefährlich auf dem Stuhl Petri», meinte er. «Laß ihn nur! Der Besitz dieses Landes wird nicht durch Priesterkunst entschieden.» «Wohlan», sprach Cethegus, die Papyrusrolle vorzeigend, «ich habe hier die Namen seiner wärmsten Freunde zufällig beisammen. Es sind wichtige Männer.» Er wollte ihm die Liste aufdringen und hoffte, die Goten sollten so seine gefährlichsten Feinde als Geiseln mitführen. Aber Witichis wies ihn ab. «Laß das! Ich werde gar keine Geiseln nehmen. Was nützt es, ihnen die Köpfe abzuschlagen? Du, dein Wort soll mir für Rom bürgen.» «Wie meinst du das? Ich kann Belisar nicht abhalten.» «Du sollst es nicht: Belisar wird kommen, aber verlaß dich drauf, er wird auch wieder gehn. Wir Goten werden diesen Feind bezwingen: vielleicht erst nach hartem Kampf, aber gewiß. Dann aber gilt es den zweiten Kampf um Rom.» «Einen zweiten?» fragte Cethegus ruhig, «mit wem?» Aber Witichis legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm ins Antlitz mit einem Auge wie die Sonne: «Mit dir, Präfekt von Rom!» «Mit mir!» Und er wollte lächeln, aber er konnte nicht. «Verleugne nicht dein Liebstes, Mann: es ist deiner nicht würdig. Ich weiß es, für wen du die Türme und Schanzen um diese Stadt erbaust, nicht für uns und nicht für die Griechen! Für dich! Ruhig! Ich weiß, was du sinnest, oder ich ahn' es: kein Wort! Es sei! Sollen Griechen und Goten um Rom kämpfen und kein Römer? Aber höre: Laß nicht einen zweiten jahrelangen Krieg unsre Völker hinraffen. Wenn wir die Byzantiner niedergekämpft, hinausgeworfen aus unserm Italien, - dann, Cethegus, will ich dich erwarten vor den Mauern Roms; nicht zur Schlacht unsrer Völker, - zum Zweikampf: Mann gegen Mann, du und ich, wir wollen's um Rom entscheiden.» Und in des Königs Blick und Ton lag eine Größe, eine Würde und Hoheit, die den Präfekten verwirrte. Er wollte heimlich spotten der einfältigen Schlichtheit des Barbaren. Aber es war ihm, als könne er sich selbst nie mehr achten, wenn er diese Größe nicht zu achten, nicht zu ehren, nicht zu erwidern fähig sei. So sprach er ohne Spott: «Du träumst, Witichis, wie ein gotischer Knabe.» «Nein, ich denke und handle wie ein gotischer Mann. Cethegus, du bist der einzige Römer, den ich würdige, so mit ihm zu reden. Ich habe dich fechten sehen im Gepidenkrieg: du bist meines Schwertes würdig. Du bist älter als ich, wohlan: ich gebe dir den Schild voraus!» «Seltsam seid ihr Germanen», sagte Cethegus unwillkürlich: «was für Phantasien!» Aber jetzt furchte Witichis die offene Stirn: «Phantasien? Wehe dir, wenn du nicht fähig bist, zu fühlen, was aus mir spricht. Wehe dir, wenn Teja recht behält! Er lachte zu meinem Plan sprach: Und er riet mir, dich gefangen mitzuführen. Ich dachte größer von dir und Rom. Aber wisse: Teja hat dein Haus umstellt, und bist du so klein oder so feig, mich nicht zu fassen, - in Ketten führen wir dich aus deinem Rom. Schmach dir, daß man dich zwingen muß zur Ehre und zur Größe.» Da ergrimmte Cethegus. Er fühlte sich beschämt. Jenes Ritterliche war ihm fremd, und es ärgerte ihn, daß er es nicht verhöhnen konnte. Es ärgerte ihn, daß man ihn mit Gewalt nötige, daß man seiner freien Wahl mißtraut habe. Wütender Haß gegen Tejas Mißachtung wie gegen des Königs brutale Offenheit loderte in ihm auf. All diese Eindrücke rangen in ihm, er hätte gern den Dolch in des Germanen breite Brust gestoßen. Fast hätte er vorhin aus soldatischem Ehrgefühl im vollen Ernst sein Wort gegeben. Jetzt durchzuckte ihn ein davon sehr verschiedenes, unschönes Gefühl der Schadenfreude. Sie hatten ihm nicht getraut, die Barbaren, sie hatten ihn gering erachtet: nun sollten sie gewiß betrogen sein! Und mit scharfem Blick vortretend faßte er des Königs Hand. «Es gilt», rief er. «Es gilt», sprach Witichis, fest seine Hand drückend. «Mich freut es, daß ich recht behielt und nicht Teja. Leb' wohl! Hüte mir mein Rom. Von dir fordre ich es wieder in ehrlichem Kampf.» Und er ging. «Nun», sprach Teja draußen mit den andern Goten rasch vortretend, «soll ich das Haus stürmen?» «Nein», sagte Witichis, «er gab mir sein Wort.» «Wenn er's nur hält!» Da trat Witichis heftig zurück. «Teja! Dich macht dein finstrer Sinn ungerecht! Du hast kein Recht, an eines Helden Ehre zu zweifeln, Cethegus ist ein Held.» «Er ist ein Römer. Gute Nacht!» sagte Teja, das Schwert einsteckend. Und er ging mit seinen Goten andren Weges. Cethegus aber warf sich diese Nacht unwillig aufs Lager. Er war uneins in sich. Er grollte mit Julius. Er grollte bitter mit Witichis, bittrer noch mit Teja. Am bittersten mit sich selbst. * Am folgenden Tage versammelte Witichis noch einmal Volk, Senat und Klerus der Stadt bei den Thermen des Titus. Von der höchsten Stufe der Marmortreppe des stolzen Gebäudes herab, die von den Großen des Heeres besetzt war, hielt der König eine schlichte Ansprache an die Römer. Er erklärte, daß er auf kurze Zeit die Stadt räumen und zurückweichen werde. Bald aber werde er wiederkehren. Er erinnerte sie der Milde der gotischen Herrschaft, der Wohltaten Theoderichs und Amalaswinthens, und forderte sie auf, Belisar, falls er heranrückte, mutig zu widerstehen, bis die Goten zum Entsatz wieder heranrückten: der Römer wieder an die Waffen gewöhnte Legionäre und ihre starken Mauern machten langen Widerstand möglich. Zuletzt forderte er den Eid der Treue und ließ sie nochmals feierlich schwören, daß sie ihre Stadt auf Leben und Tod gegen Belisar verteidigen wollten. Die Römer zögerten: denn ihre Gedanken waren jetzt schon im Lager Belisars, und sie scheuten den Meineid. Da scholl dumpfer feierlicher Gesang von der Sacra Via her: und an dem slawischen Amphitheater vorbei zog eine große Prozession von Priestern mit Psalmengesang und Weihrauchschwang heran. In der Nacht war Papst Agapet gestorben, und in aller Eile hatte man Silverius den Archidiakon, zu seinem Nachfolger gewählt. Langsam und feierlich wogte das Heer von Priestern heran: die Insignien der Bischofswürde von Rom wurden vorausgetragen: silberstimmige Knaben sangen in süßen und doch weihevollen Weisen. Endlich nahte die Sänfte des Papstes: offen, breit, reichvergoldet, einem Schiffe nachgebildet. Die Träger gingen langsam, Schritt für Schritt, nach dem Takt der Musik, von ringsum drängendem Volk umwogt, das nach dem Segen seines neuen Bischofs verlangte. Silverius spendete unablässig denselben, mit seinem klugen Haupte rechts und links nickend. Eine große Zahl von Priestern und ein Zug von speertragenden Söldnern schloß die Prozession. Sie hielt inne, als sie in die Mitte des Platzes gelangt war. Schweigend, mit trotzigen Augen, sahen die arianischen, gotischen Krieger, die alle Mündungen des Platzes besetzt hielten, den stolzen, prachtentfaltenden Aufzug der ihnen feindlichen Kirche, indes die Römer die Ankunft ihres Seelenhirten um so freudiger begrüßten, als seine Stimme ihre Gewissenszweifel wegen des zu leistenden Eides lösen sollte. Eben wollte Silverius seine Ansprache an das versammelte Volk beginnen, als der Arm eines baumlangen Goten, über die Brüstung der Sänfte hereinlangend, ihn an dem goldbrokatnen Mantel zupfte. Unwillig ob der wenig ehrerbietigen Störung wandte Silverius das strenge Gesicht, aber uneingeschüchtert sprach der Gote, den Ruck wiederholend: «Komm, Priester, du sollst hinauf zum König.» Silverius hätte es angemessener gefunden, wenn der König zu ihm heruntergekommen wäre, und Hildebad schien etwas dergleichen in seinen Mienen zu lesen. Denn er rief: «'s ist nicht anders! Duck' dich, Pfäfflein!» Und damit drückte er einen der die Sänfte tragenden Priester an der Schulter nieder: die Träger ließen sich nun auf die Knie herab, und seufzend stieg Silverius heraus, Hildebad auf die Treppe folgend. Als er vor Witichis angelangt war, ergriff dieser seine Hand, trat mit ihm vor, an den Rand der Treppe, und sprach: «Ihr Männer von Rom, diesen hier haben eure Priester zu eurem Bischof bezeichnet. Ich genehmige die Wahl: er sei Papst, sobald er mir Gehorsam geschworen und euch den Eid der Treue für mich abgenommen hat. Schwöre, Priester!» Nur einen Augenblick war Silverius betroffen. Aber sogleich wieder gefaßt, wandte er sich mit salbungsvollem Lächeln zu dem Volk, dann zum König. «Du befiehlst?» sprach er. «Schwöre», rief Witichis, «daß du in unsrer Abwesenheit alles aufbieten wirst, diese Stadt Rom in Treue zu den Goten zu erhalten, denen sie so viel verdankt; in allen Stücken uns zu fördern, unsre Feinde aber zu schädigen. Schwöre Treue den Goten.» «Ich schwöre», sagte Silverius, sich zu dem Volke wendend. «Und so fordre ich, der ich die Macht habe, die Seelen zu binden und zu lösen, euch, ihr Römer, umstarret rings von gotischen Waffen, auf, im gleichen Sinne zu schwören, wie ich geschworen habe.» Die Priester und einige der Vornehmen schienen verstanden zu haben und erhoben unbedenklich die Finger zum Schwur. Da besann sich auch die Menge nicht länger, und der Platz erscholl von dem lauten Ruf: «Wir schwören Treue den Goten.» «Es ist gut, Bischof von Rom», sprach der König. «Wir bauen auf euren Schwur. Lebt wohl, ihr Römer! Bald werden wir uns wiedersehen.» Und er schritt die breiten Stufen nieder. Teja und Hildebad folgten ihm. «Jetzt bin ich nur begierig...» - sagte Teja. «Ob sie es halten?» meinte Hildebad. «Nein. Gar nicht. Aber wie sie's brechen. Nun, der Priester wird's schon finden.» Und mit fliegenden Fahnen zogen die Goten ab zur Porta Flaminia hinaus, die Stadt ihrem Papst und dem Präfekten überlassend, während Belisar in Eilmärschen auf der Via Latina nahte. Neuntes Kapitel In der Stadt Florentia waltete eifriges, kriegerisches Leben. Die Tore waren geschlossen: auf den Zinnen und Mauerkronen schritten zahlreiche Wachen, in den Straßen klirrte es von Zügen reisiger Goten und bewaffneter Söldner: denn die Wölsungen Guntharis und Arahad hatten sich in diese Stadt geworfen und sie eins tweilen zum Hauptwaffenplatz des Aufstandes gegen Witichis gemacht. In der schönen Villa, die sich Theoderich in einer Vorstadt am Ufer des Arnus, aber noch in den Ringmauern der Stadt gebaut, hausten die beiden Brüder. Herzog Guntharis von Tuscien, der ältere, war ein gefürchteter Kriegsmann und seit Jahren Graf der Stadt Florentia: rings in ihrem Weichbild lagen die Güter des mächtigen Adelsgeschlechts, von Tausenden von Colonen und Hintersassen bebaut: ihre Macht in dieser Stadt und Landschaft war ohne Schranken, und Herzog Guntharis war entschlossen, sie völlig zu gebrauchen. In voller Rüstung, den Helm auf dem Haupt, schritt der stattliche Mann unwillig durch das marmorgetäfelte Zimmer, indes der jüngere Bruder in schmucker Freitracht, ohne Waffen, schweigend und sinnend an dem Citrustisch lehnte, der von Briefen und Pergamenten bedeckt war. «Entschließe dich, mach' vorwärts, mein Junge!» sprach Guntharis: «es ist mein letztes Wort. Noch heute bringst du mir das Ja des störrigen Kindes, oder ich - hörst du? - ich selbst gehe, es zu holen. Aber dann, wehe ihr. Ich weiß besser als du umzuspringen mit einem launischen Mädchenkopf.» «Bruder, das wirst du nicht.» «Beim Donner, das werd' ich. Meinst du, ich wage meinen Kopf, ich versäume das Glück unsres Hauses um deine schmachtende Zartheit? Jetzt oder nie ist der Augenblick, den Wölsungen endlich die erste Stelle im Volk zu schaffen, die ihnen gebührt, und von der Amaler und Balten sie seit Jahrhunderten ausgeschlossen. Wird die letzte Amelungentochter dein Weib, kann niemand dir die Krone bestreiten, und mein Schwert soll sie schon schützen auf deinem Haupt gegen diesen Bauernkönig Witichis. Aber nicht zu lange mehr darf's währen. Ich habe noch keine Nachricht von Ravenna: doch ich fürchte, die Stadt wird nur Mataswintha, nicht uns, zufallen, das heißt, nicht uns allein; wer sie hat, hat aber Italien, nachdem Neapolis und Rom verloren. Die mächtige Festung müssen wir haben. Deshalb muß sie dein Weib sein, eh' wir vor die Rabenmauern ziehen, sonst wird ruchbar, daß sie mehr unsre Gefangene als unsre Königin.» «Wer wünscht das mehr, heißer als ich? Aber ich kann sie doch nicht zwingen?» - «Nicht? Warum nicht? Suche sie auf und gewinne sie im guten oder im bösen. Ich gehe, die Wachen auf den Wällen zu verstärken. Bis ich zurück bin, will ich Antwort!» Herzog Guntharis ging, und seufzend machte sich sein Bruder nach dem Garten auf, Mataswintha zu suchen. Der Garten war von einem kunstverständigen Freigelassenen aus Kleinasien angelegt. Er hatte im Hintergrund einen waldähnlichen Abschluß, der, frei von Beeten und Terrassen, das wunderbar reiche Wiesengrün noch erhalten hatte. Diese blumigen Wiesenufer und dichten Oleanderbüsche durchrieselte ein klarer Bach mit anmutigem Gewoge. Dicht an dem Rande des Baches, im weichem Grase hingegossen, lag eine jugendliche Frauengestalt. Sie hatte von dem rechten Arm das Gewand zurückgeschlagen und schien bald mit den murmelnden Wellen, bald mit den nickenden Blumen am Rande zu spielen. Sinnend sah sie vor sich hin und warf wie träumend hier und da ein Veilchen oder einen Krokus in die Wellen, mit leise geöffneten Lippen der Blüte nachsehend, die rasch die klaren Wellen entführten. Dicht hinter ihren Schultern kniete ein junges Mädchen in maurischer Sklaventracht, eifrig beschäftigt, einen Kranz fertig zu flechten, an welchem nur die letzten Verbindungen fehlten: sorgsam spähte die anmutfeine Kleine manchmal, ob die Träumende ihre heimliche Arbeit nicht gewahre. Aber diese schien ganz in ihre Phantasien verloren. Endlich war der zierliche Kranz vollendet: mit lachenden Augen drückte sie ihn auf das prachtvolle feuerfarbne Haar der Herrin und bog sich um ihre Schulter, deren Blick zu suchen. Aber diese hatte gar nicht gemerkt, wie die Blumen ihr Haupt berührten. Da ward die Kleine unwillig und rief mit schmollend aufgeworfenen Lippen: «Aber Herrin, bei den Palmenwipfeln des Auras, was denkest du wieder? Bei wem bist du?» Mataswintha schlug die leuchtenden Augen auf: «Bei ihm!» flüsterte sie. «Weiße Göttin, das trag' ich nicht mehr!» rief die Kleine aufspringend, «es ist zu arg, die Eifersucht bringt mich um! Nicht mich, deine Gazelle nur, auch die eigne Schönheit vergißt du - über dem unsichtbaren Mann. Schau' doch nur einmal in die Wellen und sieh, wie reizend dein Haar von den dunkeln Veilchen und weißen Anemonen sich hebt.» «Dein Kranz ist schön!» sagte Mataswintha, ihn herunterlangend und dann leicht in die Wellen werfend, «welch süße Blumen! Grüßt ihn von mir.» «Ach, meine armen Blumen!» rief die Sklavin, ihnen nachblickend; aber sie wagte nicht, weiter zu schelten. «Sag' mir nur», rief sie, sich wieder niederlassend, «wie all dies enden soll? Da sind wir jetzt schon viele Tage, wir wissen nicht recht, Königin oder Gefangene? Jedenfalls in fremder Gewalt, haben den Fuß nicht aus deinem Gemach oder diesem hochummauerten Garten gesetzt und wissen nichts von der ganzen Welt. Du aber bist immer still und selig, als müßte das alles so sein.» «Es muß auch alles so sein.» «So? und wie wird es enden?» «Er wird kommen und wird mich befreien.» «Nun, Weißlilie! Du hast einen starken Glauben. Wären wir daheim im Mauretanierland, und sähe ich dich nachts zu den Sternen blicken, so sagte ich wohl: du habest das alles in den Sternen gelesen. Aber so! Ich begreife das nicht» - und sie schüttelte die schwarzen Locken - «Ich werde dich nie begreifen.» «Doch, Aspa, du wirst und sollst», sprach Mataswintha sich aufraffend und zärtlich den weißen Arm um den braunen Nacken schlingend, «deine treue Liebe verdient längst diesen Lohn, den besten, den ich zu spenden habe.» In der Sklavin dunkles Auge trat eine Träne. «Lohn?» sprach sie. «Aspa ward geraubt von wilden Männern mit roten, fliegenden Locken. Aspa ist eine Sklavin. Alle haben sie gescholten, viele geschlagen. Du hast mich gekauft, wie man eine Blume kauft. Und du streichelst mir Wange und Haar. Und bist so schön wie die Göttin der Sonne und sprichst von Lohn?» Und sie schmiegte das Köpfchen an der Herrin Busen. «Du bist meine Gazelle!» sagte diese, «und hast ein Herz wie Gold. Du sollst alles wissen, was niemand weiß, außer mir. Höre also: Ich hatte eine Kindheit ohne Freude, ohne Liebe, und doch verlangte meine junge Seele nach Weichheit, nach Liebe. Meine arme Mutter hatte einen Knaben, einen Thronerben heiß gewünscht und sicher erwartet, und mit Widerwillen, mit Kälte und Härte behandelte sie das Mädchen. Als Athalarich geboren war, nahm die Härte ab, aber die Kälte nahm zu, dem Erben der Krone allein ward alle Liebe und Sorge. Ich hätte es nicht empfunden, hätte ich nicht in meinem weichen Vater den Gegensatz gesehen. Ich fühlte, wie auch er litt unter der kalten Härte seiner Gattin, und oft drückte mich der kranke Mann mit Seufzen, mit Tränen an die Brust. Und als er gestorben und begraben war, da war mir alle Liebe in der Welt erstorben. Wenig sah ich Athalarich, der von andern Lehrern und im andern Teil des Palastes erzogen ward, weniger noch die Mutter, fast nur, wenn sie mich zu strafen hatte. Und doch liebte ich sie so sehr, und doch sah ich, wie meine Wärterinnen und Lehrerinnen ihre eignen Kinder liebten, herzten und küßten: und nach gleicher Wärme verlangte mit aller Macht mein Herz. So wuchs ich heran, wie eine bleiche Blume ohne Sonnenlicht! Da war denn mein liebster Ort in der Welt das Grab meines Vaters Eutharich im stillen Königsgarten zu Ravenna. Da suchte ich bei dem Toten die Liebe, die ich bei den Lebenden nicht fand, und sowie ich meinen Wärtern entrinnen konnte, eilte ich dorthin, zu sehnen und zu weinen. Und dies Sehnen wuchs, je älter ich ward: in Gegenwart der Mutter mußte ich all meine Gefühle zusammenpressen, sie verachtete es, wenn ich sie zeigte. Und wie ich vom Kind zum Mädchen heranwuchs, merkte ich wohl, daß die Augen der Menschen oft wie bewundernd auf mir ruhten. Aber ich dachte, sie bedauerten mich, und das tat mir weh. Und öfter und öfter flüchtete ich zum Grabe des Vaters, bis es der Mutter gemeldet ward, und ich ward verklagt, daß ich dort weinte und ganz verstört zurückkäme. Zornig verbot mir die Mutter, ohne sie das Grab wieder zu besuchen, und sprach von verächtlicher Schwäche. Aber dawider empörte sich mein Herz, und ich besuchte das Grab trotz dem Verbot. Da überraschte sie mich einst daselbst, und schlug mich, und ich war doch kein Kind mehr, und führte mich in den Palast zurück, und schalt mich schwer. Sie drohte, mich zu verstoßen für immer, und fragte im Scheiden zürnend den Himmel, warum er sie mit einem solchen Kinde gestraft. Das war zuviel. Namenlos elend beschloß ich, dieser Mutter zu entrinnen, der ich zur Strafe leben sollte, und davonzugehen, wo mich niemand kennte: ich wußte nicht wohin, am liebsten in das Grab zu meinem Vater. Als es Abend geworden, stahl ich mich aus dem Palast, ich eilte nochmals an das geliebte Grab zu langem, tränenreichen Abschied. Schon gingen die Sterne auf, da huschte ich aus dem Garten, aus dem Palast und eilte durch die dunkeln Straßen der Stadt an das faventinische Tor. Glücklich schlüpfte ich an der Wache vorbei ins Freie und lief nun eine Strecke auf der Straße fort, gradaus in die Nacht, ins Elend. Aber auf der Straße kam mir entgegen ein Mann im Kriegsgewand. Als ich an ihm vorüber wollte, schritt er plötzlich heran, sah mir ins Antlitz und legte die Hand leicht auf meine Schulter: Ich erbebte unter seiner Hand, Tränen brachen aus meinen Augen, und schluchzend rief ich: Da faßte der Mann meine beiden Hände und sah mich an, so freundlich, so mild, so besorgt. Dann trocknete er meine Tränen mit seinem Mantel und sprach in weichem Ton der tiefsten Güte: Mir ward so weh und wohl ums Herz beim Klange dieser Stimme. Und wie ich in sein mildes Auge sah, war ich meiner selbst nicht mehr mächtig. - , sagte er, Ich verstand ihn nicht. Aber ich liebte ihn unendlich für diese Worte, diese Milde. Fragend, staunend, hilflos sah ich ihm ins Auge. Ich bebte und zitterte. Es mußte ihn rühren; oder er dachte, es sei die Kälte. Er nahm seinen warmen Mantel ab, schlug ihn um meine Schultern und führte mich langsam zurück durchs Tor, auf unbelebten Straßen, durch die Stadt nach dem Palast. Willenlos, hilflos, wankend wie ein krankes Kind folgte ich ihm, das Haupt, das er mir sorglich verhüllte, an seine Brust gelehnt. Er schwieg und trocknete mir nur manchmal die Augen. Unbemerkt, wie ich glaubte, gelangten wir an die Türe der Palasttreppe. Er öffnete sie, schob mich sanft hinein: dann drückte er mir die Hand. , sagte er, Und er legte leise die Hand auf mein Haupt, schloß die Türe hinter mir und stieg die Treppe hinab. Ich aber lehnte an der halbgeschlossenen Tür und konnte nicht fort. Mein Fuß versagte, mein Herz pochte. Da hört' ich, wie eine rauhe Stimme ihn ansprach: Er aber antwortete: - Und mein Beschützer sprach» - und sie stockte, und flammend Rot schoß über ihre Wangen... - «Nun», fragte Aspa, sie groß ansehend, «was sagte er?» Aber Mataswintha drückte Aspas Köpfchen nieder an ihre Brust. «Er sagte», flüsterte sie - «er sagte: - » «Da hat er recht gesagt», sprach die Kleine, «was brauchst du da rot zu werden? Ist's doch so! Nun aber weiter! Was tatest du?» «Ich schlich auf mein Lager und weinte, weinte Tränen der Trauer, der Wonne, der Liebe, alles durcheinander. In jener Nacht stieg eine Welt, ein Himmel in mir auf: er war mir gut, das fühlte ich, und er nannte mich schön. Ja, jetzt wußte ich es: ich war schön, und ich war selig darüber. Ich wollte schön sein: für ihn! O wie glücklich war ich! Seine Begegnung brachte Glanz in mein Dunkel, Segen in mein Leben. Ich wußte jetzt, man konnte mir gut sein, man konnte mich lieben! Sorglich pflegte ich des Leibes, den er gelobt. Die süße Macht in meinem Herzen breitete eine milde Wärme über mein ganzes Wesen: ich ward weicher und inniger, und selbst der Mutter strenger Sinn ward jetzt liebevoller gegen mich, seit ich nur sanfte Liebe ihrer Härte entgegengab. Und täglich wurden alle Herzen gütiger gegen mich, wie ich weicher gegen alle. Und all das dankte ich ihm. Er hatte mir die Flucht in Schmach und Elend erspart und mir eine ganze Welt von Liebe gewonnen. Seitdem lebte ich nur für ihn.» Und sie hielt inne und legte die Linke auf die wogende Brust. «Aber, Herrin, wann hast du ihn wiedergesehen? Gesprochen? Lebt deine Liebe von so karger Kost?» «Gesprochen nie mehr, gesehen nur einmal noch: am Todestage Theoderichs befehligte er die Palastwache, da sagte Athalarich seinen Namen, denn nie hätte ich gewagt, nach ihm zu forschen, aus Furcht, meine Flucht, ach, mein Geheimnis zu verraten. Er war nicht am Hof: und wann er dort erscheinen mochte, war ich auf den Villen.» «So weißt du weiter gar nichts von ihm, von seinem Leben, von seiner Vergangenheit.» «Wie hätt' ich forschen können! Glühende Scham hätte mich verraten! Lieb' ist des Schweigens Tochter und der Sehnsucht. Aber von seiner, von unsrer Zukunft weiß ich.» «Von eurer Zukunft?» lächelte Aspa. «An den Hof kam alle Sonnenwende die alte Radrun und erhielt von König Theoderich fremde Kräuter und Wurzeln, die er ihr aus Asien bringen ließ und vom Nil. Das hatte sie sich ausbedungen zum einzigen Lohn dafür, daß sie ihm als Knaben sein ganzes Schicksal geweissagt hatte, und war alles eingetroffen aufs Haar. Sie braute Salben und mischte Tränke: nannte man sie laut, aber leise: Und wir alle am Hof wußten - außer den Priestern, die hätten es gewehrt -, daß jede Sommersonnenwende, wann sie kam, der König sich das Jahr vorhersagen ließ. Und kam sie von ihm heraus, so riefen sie, das wußte ich, meine Mutter und Theodahad und Gothelindis und fragten aus, und nie blieb noch aus, was sie verkündet. Da, in der nächsten Sonnenwende, faßte auch ich mir ein Herz, lauerte der Alten auf und lockte sie, wie ich sie allein fand, in mein Gemach und bot ihr Gold und lichte Steine, wenn sie mir weissagen wollte. Aber sie lachte und zog ein Fläschchen von Bernstein hervor und sprach: Und sie ritzte mir eine Ader im linken Arm und fing den Strahl in ihrem Bernstein. Dann sah sie forschend in meine beiden Hände und sang endlich tonlos: Und damit war sie hinaus.» «Das ist wenig tröstlich, - soviel ich's fasse.» «Du kennst der Alten Sprüche nicht: sie sind alle so dämmmerdunkel. Sie fügt jeder Verheißung eine Drohung bei, für alle Fälle. Ich aber halte mich an das Helle, nicht an das Dunkle. Weissagung erfüllt sich, wie man sie faßt. Ich weiß: er wird mein und bringt mir Glanz und Glück, den Schmerz daneben will ich tragen: Schmerz um ihn ist Wonne.» «Ich bewundre dich, Herrin, und deinen Glauben. Und auf den Spruch der Hexe hin hast du ausgeschlagen all die Könige und Fürsten, vom Vandalen- und Westgoten-, Franken- und Burgunderland, die um dich freiten? Selbst Germanus, den edeln, den kaiserlichen Prinzen von Byzanz, und harrst auf ihn?» «Und harr' auf ihn! Aber nicht des Spruches allein wegen. In meinem Herzen lebt ein Vögelein, das singt mir alle Tage: . Ich weiß es sternengewiß», schloß sie das Auge zum Himmel aufschlagend und in die frühere Träumerei versinkend. Rasche Schritte tönten von der Villa her. «Ah», rief Aspa, «dein schmucker Freier! Armer Arahad, du verlierst deine Mühe!» «Ich will dem Spiel ein Ende machen heut'!» sprach Mataswintha, sich erhebend, und auf ihrer Stirn, in ihren Augen lag jetzt eine zornige Strenge, die das Blut der Amaler in ihren Adern bekundete. Es lebte eine seltsame Mischung von lodernder Leidenschaft und hinschmelzender Weichheit in dem Mädchen. Aspa staunte oft über das verhaltne Feuer in ihrer Herrin. «Du bist wie die Götterberge in meiner Heimat», sagte sie: «Schnee auf dem Gipfel: Rosen um den Gürtel: aber im Innern versengendes Feuer, das oft über Schnee und Rosen strömt.» Indes bog Graf Arahad aus dem buschigen Wege und neigte sich vor dem schönen Weibe mit einem Erröten, das ihm wohl anstand. «Ich komme», sagte er, «Königin...», Aber herb unterbrach sie ihn. «Hoffentlich, Graf von Asta, kommst du, endlich diesem schnöden Spiel von Gewalt und Lüge ein Ende zu machen. Nicht länger will ich's tragen. Dein kecker Bruder überfällt mich plötzlich, die wehrlose, in die Trauer um ihre Mutter versunkene Waise, in meinen Gemächern, nennt mich in einem Atem seine Königin und seine Gefangene und hält mich wochenlang in unwürdiger Haft. Er bringt mir den Purpur und nimmt mir die Freiheit. Darauf kommst du und verfolgst mich mit deiner eiteln Werbung, die dich nie zum Ziele führt. Ich habe dich verschmäht in der Freiheit: glaubst du, gefangen, in deiner Zwanggewalt, wird dich, du Tor, das Kind der Amaler erhören? Du schwörst, du liebest mich? Wohlan, so achte mich. Ehre meinen Willen, laß mich frei. Oder zittre, wenn mein Befreier naht.» Und drohend trat sie auf den Bestürzten zu, der keine Worte finden konnte. Da eilte heftigen Schrittes Herzog Guntharis herbei, mit funkelnden Augen. «Auf, Arahad», rief er, «komm zu Ende. Wir müssen fort, sogleich. Er naht, er dringt mit Macht heran.» - «Wer?» fragte Arahad hastig. - «Er sagt, er kommt sie zu befreien. Er hat gesiegt, der Bauernkönig, und unsre Vorposten geschlagen bei Castrum Sivium.» «Wer?» fragte jetzt Mataswintha eifrig. «Nun», antwortete Guntharis zornig, «jetzt magst du's erfahren: es ist doch nicht mehr zu bergen: Graf Witichis von Fäsulä.» «Witichis!» hauchte Mataswintha mit leuchtenden Augen und hochaufatmend. «Ja! Ihn haben die Rebellen von Regeta, das Recht des Adels vergessend, zum König der Goten erhoben.» «Er! Er mein König!» sprach Mataswintha wie im Traume. «Ich hätte dir's gesagt, schon da ich dich als Königin begrüßte; aber in deinem Gemach stand seine Marmorbüste, bekränzt. Das war mir verdächtig. Später sah ich's: es war ein Zufall, es ist ein Areskopf.» Mataswintha schwieg und suchte die glühende Röte zu verbergen, die ihr Antlitz überflog. «Nun», rief Arahad, «was ist zu tun?» «Wir müssen fort. Wir müssen ihm zuvorkommen in Ravenna. Florentia, die Feste, hält ihn eine Weile auf, indessen gewinnen wir Ravenna, und wenn du Beilager gehalten in der Burg Theoderichs mit dessen Enkelin, ist alles Volk der Goten unser. Auf, Königin! Ich lasse deinen Wagen schirren: in einer Stunde gehst du nach Ravenna in der Mitte unsrer Scharen.» Und die Brüder eilten hinweg. Blitzenden Auges sah ihnen Mataswintha nach: «Ja, führt mich fort, gefangen und gebunden; wie der Adler aus der Höhe wird mein König auf euch niederstoßen und mich retten aus eurer Gewalt. Komm, Aspa, der Befreier naht.» Zehntes Kapitel Kaum hatten die Goten den Mauern Roms den Rücken gewendet, so berief Papst Silverius - es war am Tage nach seinem Eide - die Spitzen der Priesterschaft, des Adels, der Beamten und der Bürgerschaft der Stadt in die Thermen des Caracalla zu einer Beratung über Heil und Gedeihen der Stadt des heiligen Petrus. Auch Cethegus war geladen und erschienen. Mit Unbefangenheit stellte Silverius darauf den Antrag, da endlich die Stunde gekommen sei, das Joch der Ketzer abzuwerfen, eine Gesandtschaft an Belisarius, den Feldherrn des rechtgläubigen Kaisers Justinian, des einzig rechtmäßigen Herrn Italiens, abzuordnen, ihm die Schlüssel der ewigen Stadt zu überreichen und ihm und seinem Heere den Schutz der Kirche und der Gläubigen gegen die Rache der Barbaren zu empfehlen. Den Gewissenszweifel eines noch sehr jungen Priesters und eines ehrlichen Schmiedemeisters wegen des gestern geleisteten Eides beseitigte er lächelnden Mundes mit der Berufung auf seine apostolische Macht, wie zu binden, so zu lösen, und auf die offenbare Gewalt gotischer Waffen, unter deren Eindruck sie den Schwur geleistet. Darauf ging der Antrag einstimmig durch: und der Papst selbst, Scävola, Albinus und Cethegus wurden als die Gesandten gewählt. Aber Cethegus widersprach. Schweigend hatte er die Verhandlung mit angehört und sich der Abstimmung enthalten, jetzt stand er auf und sprach: «Ich bin gegen den Beschluß. Nicht wegen des Eides. Ich brauche deshalb apostolische Lösungsgewalt nicht in Anspruch zu nehmen. Denn ich habe nicht geschworen. Aber um der Stadt willen. Das heißt: uns ohne Not dem gerechten Zorn der Goten aussetzen, die wohl einmal wiederkommen können und dann solch offnen Abfall nicht mit apostolischer Lösung entschuldigen werden. Laßt uns gebeten oder gezwungen werden von Belisar: wer sich wegwirft, wird mit Füßen getreten.» Silverius und Scävola tauschten bedeutsam Blicke. «Solche Gesinnung», sprach der Jurist, «wird dem Feldherrn des Kaisers gewiß sehr gefallen, kann aber an dem Beschluß nichts ändern. Du gehst also nicht mit uns zu Belisar?» Cethegus stand auf: «Ich gehe zu Belisar. Aber nicht mit euch», sagte er und ging hinaus. Als die übrigen die Thermen verlassen, sprach der Papst zu Scävola: «Das gibt ihm den Rest. Er hat sich vor Zeugen gegen die Übergabe erklärt!» - «Und er geht selbst in die Höhle des Löwen.» - «Er soll sie nicht mehr verlassen. Du hast doch die Anklageakte aufgesetzt?» - «Schon längst. Ich fürchtete, er werde die Gewalt in der Stadt an sich reißen: und er geht selbst zu Belisar! Er ist verloren, der Stolze.» - «Amen!» sagte Silverius. «Und so mag jeder untergehen, der in weltlichem Trachten dem heiligen Petrus widerstreitet. Übermorgen um die vierte Stunde machen wir uns auf.» Aber er irrte, der Heilige Vater: diesmal sollte der Stolze noch nicht untergehen. Cethegus war sofort nach seinem Hause geeilt, wo der gallische Reisewagen angeschirrt seiner wartete. «Gleich brechen wir auf», rief er dem Sklaven zu, der auf dem vordersten Rosse saß, «ich hole nur mein Schwert.» Im Vestibulum traf er die Licinier, die ihn ungeduldig erwarteten. «Heut' kam der Tag», rief ihm Lucius entgegen, «auf den du uns so lang vertröstet!» - «Wo ist die Probe deines Vertrauens in unseren Mut, unser Geschick, unsre Treue?» fragte Marcus. - «Geduld!» sprach Cethegus mit erhobenem Zeigefinger und schritt in sein Gemach. Alsbald kam er wieder, sein Schwert und mehrere Pergamente unterm linken Arm, eine versiegelte Rolle in der Rechten: sein Auge leuchtete: «Ist das äußerste Eisentor der Moles Hadriani fertig?» fragte er. - «Fertig», sprach Lucius Licinius. - «Ist das Getreide aus Sizilien in dem Kapitol geborgen?» - «Geborgen.» - «Sind die Waffen verteilt und die Schanzen am Kapitol vollendet, wie ich befahl?» - «Vollendet», antwortete Marcus. -«Gut. Nehmt diese Rolle. Entsiegelt sie morgen, sowie Silverius die Stadt verlassen, und erfüllt jedes ihrer Worte genau. Es gilt nicht nur mein Leben und das eure -: es gilt Rom! Die Stadt Cäsars wird eure Taten sehen. Geht: auf Wiedersehen!» Und aus seinen Augen sprühte Feuer in die Herzen der jungen Römer. - «Du sollst zufrieden sein!» - «Du und Cäsar!» riefen sie und eilten hinweg. Mit einem Lächeln, das selten auf seinem Antlitz mit solcher Freudigkeit spielte, sprang Cethegus in seinen Wagen. «Heiliger Vater», sagte er zu sich selbst, «ich bin noch in deiner Schuld für die letzte Versammlung in den Katakomben: ich will sie zahlen! - Die Via latina hinab!» rief er rasch dem Sklaven zu, «und laß die Rosse jagen, was sie können.» Der Präfekt hatte einen Vorsprung von mehr als einem Tag vor der langsamer reisenden Gesandtschaft. Und er nutzte ihn wohl. Er hatte in seinem unermüdlichen Geist einen Plan ersonnen, trotz Belisars Landung in Italien doch in Rom Herr und Meister zu bleiben. Und er ging jetzt mit all seiner Umsicht an die Ausführung. Kaum konnte er erwarten, bis er auf die Vorposten der Byzantiner bei Capua traf, deren Führer, Johannes, ihn durch einige Reiter und seinen eignen jüngeren Bruder, Perseus, nach dem Hauptquartier geleiten ließ. Im Lager angekommen fragte Cethegus nicht nach dem Feldherrn, sondern ließ sich sofort nach dem Zelt des Rechtsrats Prokopius von Cäsarea führen. Prokopius war sein Studiengenosse in Berytus auf der Juristenschule gewesen: und die beiden bedeutenden Geister hatten sich mächtig angezogen. Aber nicht die Wärme der Freundschaft führte den Präfekten vor allem zu diesem Mann: dieser Mann war der beste Kenner von Belisars ganzer politischer Vergangenheit, wohl auch der Vertraute seiner Pläne für die Zukunft. Mit Freuden empfing den Jugendfreund Prokopius. Er war ein Mann von frischem, gesundem Menschenverstand, einer von den wenigen Gelehrten jener Zeit, denen die gekünstelte Bildung in den Rhetorenschulen nicht die Fähigkeit, einfach aufzufassen und gesund zu fühlen, unter den Schnörkeln byzantinischer Gelehrtheit erstickt hatte. Heller Verstand lag auf der offnen Stirn, und in dem noch jugendlich leuchtenden Auge glänzte die Freude an allem Guten. Nachdem Cethegus Staub und Mühsal der Reise in einem sorgfältigen Bad abgespült, machte sein Wirt, ehe er ihn zur Abendtafel in sein Zelt führte, mit ihm die Runde durch das Lager, ihm die Quartiere der wichtigsten Truppenteile, der bedeutendsten Heerführer weisend und mit ein paar Worten deren Eigenart, Verdienste und oft bunt zusammengesetzte Vergangenheit erläuternd. Da waren die Söhne des rauhen Thrakiens, Constantinus und Bessas, die sich aus rohem Söldnerhandwerk emporgerungen, tapfre Soldaten, aber ohne Bildung, mit dem ganzen Eigendünkel selbstgemachter Männer: - sie betrachteten sich als Belisars unentbehrliche Stützen und ihn voll ersetzende Nachfolger. Daneben der vornehme Iberier Peranius, aus dem Königsgeschlecht der Iberier, der feindlichen Nachbarn der Perser, der aus Haß gegen die persischen Überwinder Vaterland und Hoffnung des Thrones aufgegeben und Dienste in des Kaisers Heer genommen hatte. Dann Valentinus, Magnus und Innocentius, verwegne Führer der Reiterei, Paulus, Demetrius, Ursicinus, die Führer des Fußvolks, Enns, der isaurische Häuptling und Heerführer der Isaurier Belisars, Aigan und Askan, die Führer der Massageten, Alamundarus und König Abocharabus, die Sarazenen, Ambazuch und Bleda, die Hunnen, Arsakes, Amazaspes und Artabanes, die Armenier - der Arsakide Phaza war mit dem Rest der Armenier in Neapolis zurückgelassen worden - Azarethas und Barasmenes, die Perser, Antallas und Cabaon, die Mauren. Sie alle kannte und nannte Prokopius, karg sein Lob, reichlich und mit Behagen spitzen, aber geistvollen Tadel spendend. Eben wandten sie sich zu dem Quartier des Martinus, des friedlichen Städteverbrenners, zur Rechten, da fragte Cethegus, stehen bleibend: «Und wessen ist das Seidenzelt dort auf dem Hügel, mit den goldnen Sternen und dem Purpurwimpel? Und seine Wachen tragen goldne Schilde?» «Dort», sprach Prokop, «wohnt Seine unüberwindliche Köstlichkeit, des römischen Reiches Oberpurpurschneckenintendant, Prinz Areobindos, den Gott erleuchte.» «Des Kaisers Neffe, nicht?» «Jawohl, er hat des Kaisers Nichte, Projecta, geheiratet: sein höchstes und einziges Verdienst. Er ist hierher gesendet mit der Kaisergarde, uns zu ärgern und dafür zu sorgen, daß wir nicht so leicht siegen. Er ist Belisarius gleichgestellt, versteht vom Krieg so wenig wie Belisar von den Purpurschnecken und soll Statthalter von Italien werden.» «So», sprach Cethegus. «Er wollte beim Lagerschlagen sein Zelt durchaus zur Rechten Belisars haben. Wir gaben nicht nach. Zum Glück hat Gott in seiner Allweisheit jenen Hügel zur Lösung unsres Rangstreits schon vor Jahrtausenden hier aufgeworfen: nun lagert der Prinz zwar links, aber höher als Belisarius.» «Und wessen sind die bunten Zelte dort, hinter Belisars Quartier? Wer wohnt darin?» - «Dort», seufzte Prokop, «ein sehr unglückliches Weib: Antonina, Belisars Gemahlin.» - «Sie unglücklich? Die Gefeierte, die zweite Kaiserin? Warum?» -«Davon ist nicht gut reden in offner Lagergasse. Komm mit ins Zelt, der Wein wird genug gekühlt sein.» Elftes Kapitel Im Zelte fanden sie die zierlichen Polster des Feldbetts um einen niedern Bronzetisch von durchbrochner Arbeit gelegt, den Cethegus lobte. «Das ist ein afrikanisches Beutestück aus dem Vandalenkrieg: ich nahm es aus Karthago mit. Und diese weichen Kissen lagen einst auf dem Bett des Perserkönigs: ich erbeutete sie in der Schlacht von Dara.» «Du bist mir ein praktischer Gelehrter!» lächelte Cethegus. «Wie bist du so anders geworden seit den Tagen von Athen.» «Das will ich hoffen!» sprach Prokop und zerschnitt selbst -er hatte die aufwartenden Sklaven entfernt - die dampfende Hirschkeule vor ihm. «Du mußt wissen: ich wollte Philosophie zu meinem Beruf machen, Weltweiser werden. Drei Jahre hörte ich die Platoniker, die Stoiker, die Akademiker zu Athen, - und studierte mich krank und dumm. Auch blieb es nicht bei der Philosophie. Nach löblicher Sitte unsres frommen Jahrhunderts mußte auch die Theologie beigezogen werden, und ein weiteres Jahr hatte ich darüber nachzudenken, ob Christus, als Gott Vater, zugleich seiner eignen jungfräulichen Mutter Vater, also sein eigner Großvater sei. Nun, über all diesen Studien drohte mir mein von Natur gar nicht zu verachtender Verstand abhanden zu kommen. Zum Glück ward ich sterbenskrank, und die Ärzte verboten mir Athen und alle Bücher. Sie schickten mich nach Kleinasien. Ich rettete nur einen Thukydides in meinen Reiseranzen. Und dieser Thukydides rettete mich. Ich las und las in der Langeweile der Reise seine herrliche Geschichte von der Hellenen Taten in Krieg und Frieden, und nun bemerkte ich mit Staunen, daß der Menschen Tun und Treiben, ihre Leidenschaften, ihre Tugenden und Frevel eigentlich doch viel anziehender und denkwürdiger seien als alle Formeln und Figuren heidnischer Logik - von der christlichen Logik vollends zu schweigen! Und wie ich nach Ephesos gelangte und durch die Straßen schlenderte, kam plötzlich über mich eine wunderbare Erleuchtung. Denn ich wandelte über einen großen Platz: da stand vor mir die Kirche des heiligen Geistes, und war erbaut auf den Trümmern des alten Dianatempels. Und zur Linken stand ein zerfallner Altar der Isis, und zur Rechten ragte das Bethaus der Juden. Da ergriff mich plötzlich der Gedanke: , sagte ich, , aber geschickten Hand weggewischt und siehe, da steht eingestempelt: so lachte er: und sprang in den Wald. Dann kam er mittags müd und zerrissenen Gewandes heim: und ausgelassen stolz. Aber er sagte kein Wort und meinte nur, er habe Siegfried gespielt. Ich hatte aber meine eigenen Gedanken. Und als ich gar einst an seinem Schwert Blutflecken bemerkte, schlich ich ihm nach zu Walde. Richtig, es war, wie ich gedacht. Ich hatte ihm einst warnend eine Höhle im schroffen Felsgeklüft gezeigt, das steil über den Gießbach hangt, weil dort die giftigen Vipern zu Dutzenden nisten. Er fragte mich damals nach allem aus, und als ich sagte, jeder Biß sei tödlich, und gleich gestorben sei eine arme Beerensammlerin, die der Beißwurm in den nackten Fuß gestochen, da zog er flugs sein Holzschwert und wollte mitten darunter springen. Mit Mühe und schwer erschrocken hielt ich ihn damals ab. Und jetzt fielen mir die Vipern ein, und ich zitterte, daß ich ihm eine Eisenwaffe gegeben. Und bald fand ich ihn im Walde, mitten im Steingeklüft, unter Dornen und Gestrüpp: da holte er einen mächtigen Holzschild hervor, den er sich selbst gezimmert und dort versteckt hatte. Und eine Krone war frisch drauf gemalt. Und er zog sein Schwert und sprang laut jauchzend in die Höhle. Ich sah mich um: da lag das lang mächtige Gewürm zu halben Dutzenden von frühern Schlachten her mit zerhauenen Häuptern umhergestreut. Ich folgte, und so besorgt ich war, ich konnt' ihn nicht stören, wie er so heldenmütig focht! Er trieb eine dickgeschwollene Natter mit Steinwürfen aus ihrem Loch, daß sie sich züngelnd aufringelte: gerade wie sie zischend gegen ihn sprang, warf er blitzschnell den Schild vor und hieb sie mit einem Streich mitten entzwei. Da rief ich ihn an und schalt ihn herzhaft aus. Er aber sah trotzig drein und rief: Ich sagte, ich würde ihm sein Schwert nehmen. rief er. Da nahm ich ihn die nächsten Tage mit mir zum Einfangen der Rosse auf die Wildweide. Das vergnügte ihn sehr: und nächstens, dacht' ich, brechen wir ja auf. Aber eines Morgens war er mir wieder entschlüpft, und ich ging allein an die Arbeit. Den Rückweg nahm ich den Fluß entlang, gewiß, ihn an der Felshöhle zu finden. Aber ihn fand ich nicht. Nur das Gehäng seines Schwertes, zerrissen, an den Dornen hangen und seinen Holzschild zertreten auf der Erde. Erschrocken sah ich umher und suchte, aber -» «Rascher, weiter», rief der König. «Aber?» fragte Hildebad. «Aber in den Felsen war nichts zu sehen. Da gewahrte ich große Fußspuren eines Mannes im weichen Sande. Ich folgte ihnen. Sie führten bis an den steilen Rand des Felsens. Ich sah hinab. Und unten» - Witichis wankte. «Ach, mein armer Herr! Da lag am Ufer des Flusses hingestreckt die kleine Gestalt. Wie ich die steilen Felsschroffen hinabkam, ich weiß es nicht, im Flug war ich unten. - Da lag er, das kleine Schwert noch fest in der Hand, von den Felsspitzen zerrissen, das lichte Haar von Blut überströmt -» «Halt ein», sprach Teja, die Hand auf seine Schultern legend, indes Hildebad des armen Vaters Hand faßte, der stöhnend auf sein Lager sank. «Mein Kind, mein süßes Kind, mein Weib!» rief er. «Ich fühlte das kleine Herz noch schlagen. Wasser aus dem Fluß brachte ihn nochmal zu sich. Er schlug die Augen auf und erkannte mich. , klagte ich. , sagte er, Ich war starr vor Entsetzen. , hauchte er, , sagte er und griff nach mir. Er sah bös aus und falsch. Ich sprang zurück. , sagte er, rief ich. Da ward er ganz wütig und schlug nach mir mit einem Stock und kam näher; ich aber wußte, daß in der Nähe unsere Knechte Holz fällten, und schrie um Hilfe und wich zurück bis an den Rand der Felsen. Erschrocken sah er sich um. Denn die Leute mußten mich gehört haben: ihre Axtschläge ruhten plötzlich. Doch plötzlich vorspringend, sagte er: und stieß mich über den Fels.>» Teja biß die Lippen. «O der Neidling», rief Hildebad. Und Witichis riß sich mit einem Schrei des Schmerzes los. «Mach's kurz», sagte Teja. - «Er verlor wieder die Sinne. Ich trug ihn auf meinen Armen nach Hause zur Mutter. Noch einmal schlug er die Augen auf, in ihrem Schoß. Ein Gruß an dich war sein letzter Hauch.» «Und mein Weib - ist sie nicht verzweifelt?» «Nein, Herr, das ist sie nicht: die ist von Gold, aber auch von Stahl. Wie der Knabe die Augen geschlossen, zeigte sie schweigend zum Fenster hinaus, nach rechts. Ich verstand sie: dort stand des Mörders Haus. Und ich waffnete alle deine Knechte und führte sie hinüber zur Rache: wir legten den ermordeten Knaben auf deinen Schild und trugen ihn in unsrer Mitte zur Mordklage. Und Rauthgundis ging mit, ein Schwert in der Hand, hinter der Leiche. Vor dem Tor der Villa legten wir den Knaben nieder. Calpurnius selbst war entflohn auf dem schnellsten Roß zu Belisar. Aber sein Bruder und sein Sohn und zwanzig Sklaven standen im Hof: sie wollten eben zu Pferd steigen und ihm folgen. Wir erhoben dreimal den Mordruf. Dann brachen wir ein. Wir haben sie alle erschlagen, alle, und das Haus niedergebrannt über den Bewohnern. Frau Rauthgundis aber sah dem allen zu, an der Leiche Wacht haltend, auf ihr Schwert gestützt, und sprach kein Wort. Und mich schickte sie tags darauf voraus, nach dir zu suchen. Sie folgte mir bald darauf, sowie sie die kleine Leiche verbrannt. Und da ich einen Tag verloren, durch die Empörer vom nächsten Wege abgesperrt, so kann sie stündlich da sein.» «Mein Kind, mein Kind, mein armes Weib! Das ist der erste Ertrag, den mir diese Krone bringt. Und nun», rief er mit aller Heftigkeit des Schmerzes den Alten an, «willst du noch das Grausame fordern, das Untragbare?» Hildebrand stand langsam auf: «Nichts ist untragbar, was notwendig ist. Auch der Winter ist tragbar. Und das Alter. Und der Tod. Sie kommen, ohne zu fragen, wollt ihr's tragen? Sie kommen. Und wir tragen's. Weil wir müssen. Aber ich höre Frauenstimmen und rauschende Gewande. Gehen wir.» Witichis wandte sich von ihm zur Tür. Da stand, unter dem Zeltvorhang, in grauem Gewand und schwarzem Schleier Rauthgundis, sein Weib, eine kleine, schwarze Marmorurne an die Brust drückend. Ein Ruf liebereichen Schmerzes und schmerzreicher Liebe: - -und die Gatten hielten sich umfangen. Schweigend verließen die Männer das Zelt. Sechzehntes Kapitel Draußen hielt Teja den Alten leise am Mantel zurück: «Du quälst den König umsonst», sagte er. «Er wird nie darein willigen. Er kann's auch nicht. Jetzt am wenigsten.» «Woher weißt du...?» unterbrach der Greis. - «Still; ich ahn' es: wie ich alles Unglück ahne.» «Dann wirst du auch einsehen, daß er muß.» - «Er, er wird's nie tun.» - «Aber - du meinst sie selbst?» - «Vielleicht!» - «Sie wird», sagte Hildebrand. «Ja, sie ist ein Wunder von einem Weib», schloß Teja. Während in den nächsten Tagen das jetzt kinderlose Paar seinem stillen Schmerze lebte und Witichis kaum sein Zelt verließ, geschah es, daß die Vorposten der königlichen Belagerer und die Außenwachen der gotischen Besatzung von Ravenna, den eingetretenen tatsächlichen Waffenstillstand benutzend, in mannigfachen Verkehr traten. Sie warfen sich, scheltend und zankend, gegenseitig die Schuld an diesem Bürgerkrieg vor. Die Belagerer klagten, daß die Besatzung in der höchsten Not des Reiches dem gewählten König der Goten seine Königsburg verschlossen. Die Ravennaten schmähten auf Witichis, der der Tochter der Amaler nicht gönne, was ihr gebühre. Einer solchen Unterredung hörte unbemerkt der alte Graf Grippa von Ravenna selber zu, der die Runde auf den Wällen machte. Plötzlich trat er vor und rief zu den Leuten des Witichis hinunter, die ihren König lobten und rühmten: «So? Ist das euch edel und königlich gehandelt, daß er statt aller Antwort auf unsern billigen Spruch Sturm lief wie ein Rasender? Und hatte doch ein so leichtes Mittel, das Gotenblut zu sparen! Wir wollen ja nur, daß Mataswintha Königin sei! Nun, kann er deshalb nicht König bleiben? Ist's ein zu hartes Opfer, mit dem schönsten Weib der Erde, mit der Fürstin Schönhaar, von deren Reiz die Sänger singen auf den Straßen, Thron und Lager zu teilen? Mußten lieber soviel tausend tapferer Goten sterben? Nun, er soll nur so fortstürmen! Laß sehn, was eher bricht: sein Eigensinn oder diese Felsen.» Diese Worte des Alten machten den größten Eindruck auf die Goten vor den Wällen. Sie wußten nichts zu erwidern zu ihres Königs Verteidigung. Von seiner Ehe wußten sie so wenig wie das ganze Heer, daran hatte auch Rauthgundens Anwesenheit im Lager wenig geändert; denn, wahrlich, nicht gleich einer Königin war sie eingezogen. In großer Erregung eilten sie zurück ins Lager und erzählten, was sie vernommen, wie der Eigensinn des Königs ihre Brüder hingeopfert. «Darum also hat er die Botschaft aus der Stadt verheimlicht!» riefen sie. Bald bildeten sich in jeder Gasse des Lagers Gruppen, lebhaft bewegte, die anfangs leiser, bald immer lauter die Sache besprachen und auf den König schalten. Die Germanen jener Zeit behandelten ihre Könige mit einem Freimut der Rede, der die Byzantiner entsetzte. Hier wirkten der Verdruß über den Rückzug von Rom, die Schmach der Niederlage vor Ravenna, der Schmerz um die geopferten Brüder, der Zo rn über sein Geheimtun zusammen, einen Sturm des Unwillens gegen den König zu erregen, der deshalb nicht minder mächtig, weil er noch nicht offen ausgebrochen. Nicht entging diese Stimmung den Heerführern, wann sie durch die Gassen des Lagers schritten und bei ihrem Nahen die Drohworte kaum mehr verstummten. Aber sie konnten die Gefahr nur entfesseln, wenn sie strafend sie beim Namen nannten. Und oft, wann Graf Teja oder Hildebad beschwichtigend einschreiten wollten, hielt sie der alte Waffenmeister zurück. «Laßt es nur noch anschwellen», sagte er, «wenn's genug ist, werd' ich's dämmen. Die einzige Gefahr wäre», murmelte er halblaut vor sich hin - «Daß uns die drüben im Rebellenlager zuvorkämen», sagte Teja. «Richtig, du alles Erratender. Aber das hat gute Wege. Überläufer erzählen, daß sich die Fürstin standhaft weigert. Sie droht, sich eher zu töten als Arahad die Hand zu reichen.» «Pah», meinte Hildebad, «daraufhin würd' ich's wagen.» «Weil du das leidenschaftliche Geschöpf nicht kennst, das Amalungenkind. Sie hat das Blut und die Feuerseele Theoderichs und wird auch uns am Ende böses Spiel machen.» «Witichis ist ein anderer Freier als jener Knabe von Asta», flüsterte Teja. «Darauf vertrau' ich auch», meinte Hildebad. «Gönnt ihm noch einige Tage Ruhe», riet der Alte. «Er muß seinem Schmerz sein Recht antun: eh' ist er zu nichts zu bringen. Stört ihn nicht darin: laßt ihn ruhig in seinem Zelt und bei seinem Weibe. Ich werde sie bald genug stören müssen.» Aber der Greis sollte bald genötigt sein, den König früher und anders, als er gemeint, aus seinem Schmerz aufzurufen. Die Volksversammlung zu Regeta hatte gegen diejenigen Goten, die zu den Byzantinern übergingen, ein Gesetz erlassen, das schimpflichen Tod drohte. Solche Fälle kamen zwar im ganzen selten, aber doch in den Gegenden, wo wenige Germanen unter dichter Bevölkerung lebten und häufige Mischheiraten stattgefunden hatten, häufiger vor. Der alte Waffenmeister trug diesen Neidingen, die sich und ihr Volk entehrten, ganz besonderen Zorn. Er hatte jenes Gesetz beantragt gegen Heereslitz und Fahnenwechsel. Noch war eine Anwendung desselben nicht nötig gewesen, und man hatte der Bestimmung fast vergessen. Plötzlich sollte man ernst genug daran gemahnt werden. Belisar selbst hatte zwar Rom mit seinem Hauptheer noch nicht verlassen. Aus mehr als einem Grunde wollte er vorläufig noch diese Stadt zum Stützpunkt all seiner Bewegungen in Italien machen. Aber er hatte den weichenden Goten zahlreiche Streifscharen nachgesandt, sie zu verfolgen, zu beunruhigen und insbesondere die zahlreichen Kastelle, Burgen und Städte zu übernehmen, in welchen die Italier die barbarischen Besatzungen vertrieben oder erschlagen hatten oder, von keiner Besatzung im Zaum gehalten, einfach zum «Kaiser der Romäer», wie er sich auf griechisch nannte, abgefallen waren. Solche Vorfälle ereigneten sich, besonders seit der gotische König in vollem Rückzug und nach Ausbruch der Empörung die gotische Sache halb verloren schien, fast alle Tage. Teils mit dem Druck, teils ohne den Druck oder die Erscheinung byzantinischer Truppen vor den Toren ergaben sich viele Schlösser und Städte an Belisar. Da nun die meisten doch lieber den Schein einer Nötigung abwarteten, um, falls die Goten gleichwohl unverhofft wieder siegen sollten, eine Entschuldigung zu finden, war dies für den Feldherrn ein weiterer Grund, solche kleinen Abteilungen, meist aus Italiern und Byzantinern gemischt, unter Führung der Überläufer, die der Gegend und der Verhältnisse kundig waren, auszusenden. Und diese Scharen, ermutigt durch den fortgesetzten Rückzug der Goten, wagten sich weit ins Land; jedes gewonnene Kastell wurde ein Ausgangspunkt für weitere Unternehmungen. Eine solche Streifschar hatte jüngst auch Castellum Marcianum gewonnen, das bei Cäsena, ganz in der Nähe des königlichen Lagers, eine Felshöhe oberhalb des großen Pinienwaldes krönte. Der alte Hildebrand, an den Witichis seit seiner Verwundung den Oberbefehl abgegeben, sah diese gefährlichen Fortschritte der Feinde und den Verrat der Italier mit Ingrimm: und da er ohnehin die Truppen nicht gegen Herzog Guntharis oder gegen Ravenna beschäftigen wollte - er hoffte auf eine friedliche Lösung des Knotens -, beschloß er, gegen diese kecken Streifscharen einen züchtigenden Streich zu tun. Späher hatten gemeldet, daß, am Tage nach Rauthgundens Ankunft im Lager, die neue, byzantinische Besatzung von Castellum Marcianum sogar Cäsena, diese wichtige Stadt im Rücken des gotischen Lagers, zu bedrohen wagte. Grimmig schwur der alte Waffenmeister diesen Frechen das Verderben. Er selbst stellte sich an die Spitze einer Tausendschaft von Reitern, die in der Stille der Nacht, Stroh um die Hufe der Rosse gewickelt, in der Richtung gegen Cäsena aufbrachen. Der Überfall gelang vollkommen. Unbemerkt gelangten sie bis in den Wald, an den Fuß des hoch auf dem Fels gelegenen Kastells. Hier verteilte Hildebrand die Hälfte seiner Reiter auf alle Seiten des Waldes, die andere Hälfte ließ er absitzen und führte sie leise die Felswege des Kastells hinan. Die Wache am Tor ward überrascht, und die Byzantiner, von einer überlegenen Macht überfallen, flohen nach allen Seiten den Fels hinab in den Wald, wo der große Teil von den Berittenen gefangen wurde. Die Flammen des brennenden Schlosses erleuchteten die Nacht. Eine kleine Gruppe aber zog sich fechtend über das Flüßchen am Fuß des Felsens zurück, über das nur eine schmale Brücke führte. Hier wurden die verfolgenden Reiter Hildebrands von einem einzelnen aufgehalten, einem Anführer, nach dem Glanz der Rüstung zu schließen. Dieser hochgewachsene und schlanke, wie es schien noch junge Mann - sein Visier war dicht geschlossen - focht wie ein Verzweifelter, deckte die Flucht der Seinen und hatte schon vier Goten niedergestreckt. Da kam der alte Waffenmeister zur Stelle und sah eine Weile den ungleichen Kampf mit an. «Gib dich gefangen, tapferer Mann!» rief er dem einsamen Krieger zu, «dein Leben sichr' ich dir.» Bei diesem Ruf zuckte der Byzantiner zusammen: einen Augenblick senkte er das Schwert und sah auf den Alten. Aber schon im nächsten Moment sprang er wütend vor und wieder zurück; er hatte dem vordersten Angreifer mit gewaltigem Streich den Arm vom Leibe geschlagen. Entsetzt wichen die Goten etwas zurück. Hildebrand ergrimmte. «Drauf!» schrie er, vorspringend, «jetzt keine Gnade mehr! Zielt mit den Speeren.» - «Er ist gefeit gegen Eisen!» rief einer der Goten, ein Vetter Tejas, «dreimal hab' ich ihn getroffen - er ist nicht zu verwunden.» «Meinst du, Aligern?» lachte der Alte grimmig, «laß sehen, ob er auch gegen Stein gefeit ist.» Und er schleuderte seinen steinernen Wurfhammer - er war fast der einzige, der nicht von dieser heidnisch alten Waffe gelassen - sausend gegen den Byzantiner. Die wuchtige Steinaxt schlug krachend grad auf den stolz geschweiften Helm, und wie blitzgetroffen fiel der Tapfere nieder. Zwei Männer sprangen rasch hinzu und lösten ihm den Helm. «Meister Hildebrand», rief Aligern erstaunt, «das war kein Byzantiner.» - «Und kein Italier», sagte Gunthamund. «Sieh die Goldlocken - das war ein Gote!» meinte Hunibad. Hildebrand trat hinzu - - und schrak zusammen. «Fackeln her», rief er - «Licht! - - Ja», sprach er finster, seinen Steinhammer wieder aufhebend, «das war ein Gote. Und ich - ich hab' ihn erschlagen», fügte er mit eisiger Ruhe hinzu. Aber seine Faust zitterte am Hammerschaft. «Nein, Herr», rief Aligern, «er lebt. Er war nur betäubt! Er schlägt die Augen auf.» «Er lebt?» fragte der Alte mit Grauen, «das woll'n die Götter nicht!» - «Ja, er lebt!» wiederholten die Goten, ihren Gefangenen aufrichtend. «Dann weh über ihn und mich! Aber nein! Ihn senden die Götter der Goten in meine Gewalt! Bind ihn auf dein Roß, Gunthamund, aber fest! Und wenn er entwischt, gilt es deinen Kopf statt des seinen. Auf, zu Pferd und nach Hause!» Im Lager angelangt, fragte die Bedeckung den Waffenmeister, was sie für diesen Gefangenen rüsten sollten. «Einen Bund Stroh für heute nacht», sagte der, «und für morgen früh - einen Galgen.» Mit diesen Worten ging er in das Zelt des Königs und berichtete den Erfolg seines Zuges. «Wir haben unter den Gefangenen», schloß er finster, «einen gotischen Überläufer. Er muß hängen, ehe die Sonne morgen niedergeht.» - «Das ist sehr traurig», sagte Witichis seufzend. -«Ja, aber notwendig. Ich berufe das Kriegsgericht der Heerführer auf morgen. Willst du den Vorsitz führen?» -«Nein», sagte Witichis, «erlaß mir's: ich bestelle Hildebad an meiner Statt.» - «Nein», sagte der Alte, «das geht nicht an. Ich bin Oberfeldherr, solang du im Zelte liegst: ich fordere den Vorsitz als mein Recht.» Witichis sah ihn an: «Du siehst grimmig und so kalt! Ist's ein alter Feind deiner Sippe?» -«Nein», sprach Hildebrand. - «Wie heißt der Gefangene?» -«Wie ich, Hildebrand.» - «Höre, du scheinst ihn zu hassen, diesen Hildebrand! Du magst ihn richten, aber hüte dich vor übertriebener Strenge. Vergiß nicht, daß ich gern begnadige.» «Das Wohl der Goten fordert seinen Tod», sagte Hildebrand ruhig, «und er wird sterben.» Siebzehntes Kapitel Früh am andern Morgen wurde der Gefangene verhüllten Hauptes hinausgeführt auf eine Wiese, im Norden, «an der kalten Ecke» des Lagers, wo sich die Heerführer und ein großer Teil der Heermänner versammelt hatten. «Höre», sagte der Gefangene zu einem seiner Begleiter, «ist der alte Hildebrand auf dem Dingplatz?» «Er ist das Haupt des Dings.» «Barbaren sind und bleiben sie! Tu mir den Gefallen, Freund -ich schenke dir dafür diese purpurne Binde - und geh zu dem Alten. Sag' ihm: ich wisse, daß ich sterben muß. Aber er möge doch mir - und mehr noch meinem Geschlecht - hörst du? -meinem Geschlecht - die Schande des Galgens ersparen. Er möge mir heimlich eine Waffe senden.» Der Gote, Gunthamund, ging, Hildebrand zu suchen, der das Gericht bereits eröffnet hatte. Das Verfahren war sehr einfach. Der Alte ließ zuerst das Gesetz von Regeta vorlesen, dann von Zeugen feststellen, wie man sich des Gefangenen bemächtigt, darauf diesen selbst vorführen. Noch immer bedeckte ein Wollsack sein Haupt und seine Schultern. Eben sollte dieser abgenommen werden, als Gunthamund sich zu Hildebrand drängte und in sein Ohr flüsterte. «Nein», sagte dieser, die Stirn runzelnd. «Ich laß ihm sagen: die Schmach für sein Geschlecht sei seine Tat, nicht seine Strafe.» Und laut fuhr er fort: «Zeigt das Antlitz des Verräters! Er ist Hildebrand, der Sohn des Hildegis!» Ein Ruf des Staunens und Schreckens lief durch die Menge. «Sein eigner Enkel!» - «Alter, du sollst nicht weiter richten! Du bist grausam gegen dein Fleisch und Blut!» rief Hildebad aufspringend. «Nur gerecht, aber gegen alle», sagte Hildebrand, den Stab auf die Erde stoßend. «Armer Witichis!» flüsterte Graf Teja. Aber Hildebad sprang auf und eilte hinweg nach dem Lager. «Was kannst du für dich vorbringen, Sohn des Hildegis?» fragte Hildebrand. Der junge Mann trat hastig vor: sein Antlitz war von Zorn gerötet, nicht von Scham, keine Spur von Furcht lag auf seinen Zügen. Sein langes, gelbes Haar flog im Wind. Die Menge war von Mitgefühl ergriffen. Schon der Bericht seines todesmutigen Widerstandes, dann die Entdeckung seines Namens, endlich jetzt seine Jugend und Schönheit sprachen mächtig für ihn. Er ließ sein Auge flammend die Reihen durchfliegen und mit Stolz auf dem Alten haften. «Ich verwerfe dies Gericht! Euer Gesetz trifft mich nicht! Ich bin Römer, kein Gote! Mein Vater starb vor meiner Geburt, meine Mutter war eine Römerin, die edle Cloelia. Diesen barbarischen Alten hab' ich nie als mir verwandt empfunden. Seine Strenge hab' ich verachtet, wie seine Liebe. Seinen Namen hat er mir, dem Kinde, aufgezwungen, mich meiner Mutter entrissen. Ich aber entlief ihm, sobald ich konnte: nicht Hildebrand, Flavus Cloelius habe ich mich von je genannt. Römisch waren meine Freunde, römisch von jeher meine Gedanken, römisch mein Leben. All meine Freunde gingen zu Belisar und Cethegus: sollt' ich zurückbleiben? Tötet mich, ihr könnt es und ihr werdet's. Aber gesteht, daß es Mord ist, nicht Rechtsvollzug. Ihr richtet keinen Goten, ihr ermordet einen gefangenen Römer. Denn römisch ist meine Seele.» Schweigend, mit gemischten Empfindungen, hörte die Menge diese Verteidigung. Da erhob sich ingrimmig der Alte, sein Auge sprühte Blitze, seine Hand zitterte vor Zorn an dem Stabe. «Elender!» schrie er, «du bist eines gotischen Mannes Sohn, das räumst du ein. So bist du denn ein Gote, und wenn du dich als Römer fühlst, verdienst du, schon dafür zu sterben. Sajonen, fort mit ihm, an den Galgen.» Da trat der Gefangene nochmals an die Schranken der Stufe. «So sei verflucht», schrie er, «du tierisch rohes Volk! Verflucht, ihr Barbaren allesamt, und zumeist du, Greis, mit dem Wolfsherzen! Glaubt nicht, daß all eure Wildheit euch frommt und eure Grausamkeit! Hinweggetilgt sollt ihr werden aus diesem schönen Land, und keine Spur soll von euch künden.» Auf einen Wink des Alten warfen ihm die Bannboten wieder die Hülle ums Haupt und führten ihn ab nach einem Hügel, wo ein starker Eibenbaum aller seiner Zweige und Blätter beraubt war. Da wurden die Augen der Menge von ihm nach dem Lager abgelenkt, aus dem Lärm und Hufschlag eilender Rosse nahte. Es war ein Zug Reiter mit dem königlichen Banner, Witichis und Hildebad an der Spitze. «Haltet ein», rief der König von weitem, «schont den Enkel Hildebrands: Gnade, Gnade!» Aber der Alte wies nach dem Hügel. «Zu spät, Herr König», rief er laut, «es ist aus mit dem Verräter. So geh' es jedem, der seines Volkes vergißt. Erst kommt das Reich, König Witichis, und dann kommen Weib und Kind und Kindeskind.» Groß war der Eindruck dieser Tat Hildebrands auf das Heer, größer noch auf den König. Witichis fühlte das Gewicht, das durch dieses Opfer jede Forderung des Alten gewonnen hatte. Und mit dem Gefühl, daß jetzt jeder Widerstand viel schwerer geworden, kehrte er in sein Zelt zurück. Und Hildebrand benutzte seinen Vorteil, die Stimmung. Er trat am Abend mit Teja in das Zelt des Königs. Schweigend, Hand in Hand saßen die Gatten auf dem Feldbett; auf dem Tisch vor ihnen stand die schwarze Urne, daneben lag eine Goldkapsel nach Art der Amulette an blauem Bande: die kleine römische Bronzelampe verbreitete nur trübes Licht. Als Hildebrand dem König die Hand reichte, sah ihm dieser ins Antlitz: ein Blick sagte ihm, daß Hildebrand mit dem festen Entschluß eingetreten sei, jetzt seinen Gedanken durchzusetzen um jeden Preis. Alle Anwesenden schienen stillschweigend von dem Eindruck des bevorstehenden Seelenringens durchschauerte «Frau Rauthgundis», hob der Alte an, «ich habe Hartes mit dem König zu reden. Es wird euch kränken, es zu hören.» Die Frau erhob sich, aber nicht um zu gehen. Der Ausdruck tiefen Schmerzes und tiefer Liebe zu ihrem Gatten gab den regelmäßigen, festen Zügen eine edle Weihe. Sie legte, ohne die Rechte aus der Hand des Gatten zu ziehen, leise die Linke auf seine Schulter. «Sprich nur fort, Hildebrand, ich bin sein Weib und fordre die Hälfte dieser Härte.» «Frau» mahnte der Alte nochmal. «Laß sie bleiben», sprach der König, «fürchtest du, ihr ins Angesicht deine Gedanken zu sagen?» - «Fürchten? Nein! Und sollt' ich einem Gott ins Antlitz sagen, das Volk der Goten ist mir mehr als du - ich tät's ohne Furcht: Wisse denn...» «Wie? Du willst? Schone, schone sie», sprach Witichis, den Arm um seine Frau schlingend. Aber Rauthgundis sah ihn groß und fest an: «Ich weiß alles, mein Witichis. Wie ich gestern abend durchs Lager wandelte, unerkannt, im Schutz der Dämmerung, hörte ich die Heermänner an den Feuern auf dich schelten und diesen Alten hoch erheben. Ich lauschte und hörte alles, was dieser fordert und was du weigerst.» «Und du hast mir nichts gesagt?» - «Hat es doch keine Gefahr. Weiß ich doch, daß du dein Weib nicht verstoßen wirst. Nicht um eine Krone und nicht um jenes zauberschöne Mädchen. Wer will uns scheiden? Laß diesen Alten drohn: ich weiß ja doch, es hängt kein Stern am Himmel fester als ich an deinem Herzen.» Diese Sicherheit wirkte auf den Alten. Er furchte die Stirn: «Nicht mit dir hab' ich zu rechten. Witichis, ich frage dich vor Teja: du weißt, wie es steht. Ohne Ravenna sind wir verloren - Ravenna öffnet dir nur Mataswinthens Hand. - Willst du diese Hand fassen oder nicht?» Da sprang Witichis auf. «Ja, unsre Feinde haben recht! Wir sind Barbaren! Da steht vor diesem fühllosen Alten ein herrlich Weib, an Schmerzen wie an Treue unerreicht, vor ihm steht die Asche unseres gemordeten Kindes, und er will von diesem Weib, von dieser Asche weg den Gatten zu neuer Ehe rufen. Nie, niemals!» «Vor einer Stunde waren Vertreter aller Tausendschaften des Heeres auf dem Weg in dein Zelt», sprach der Greis. «Sie wollten erzwingen, was ich fordre. Ich hielt sie mit Mühe ab.» «Laß sie kommen!» rief Witichis, «sie können mir nur die Krone nehmen, nicht mein Weib.» «Wer die Krone trägt, ist seines Volkes, nicht mehr sein eigen.» «Hier», da ergriff Witichis den Kronhelm und legte ihn auf den Tisch vor Hildebrand, «noch einmal geb' ich euch zum letztenmal die Krone zurück. Ich habe sie nicht verlangt, weiß Gott. - Sie hat mir nichts gebracht als diese Aschenurne. -Nehmt sie zurück: laßt König sein, wer will und Mataswintha frein.» Aber Hildebrand schüttelte das Haupt. «Du weißt, das führt zum sichersten Verderben. Schon jetzt sind wir in drei Parteien gespalten. Viele Tausende würden Arahad nie anerkennen. Du bist's allein, der noch alles zusammenhält. Fällst du weg, so lösen wir uns auf, ein Bündel losgebundner Ruten, die Belisar im Spiele bricht. Willst du das?» «Frau Rauthgundis, kannst du kein Opfer bringen für dein Volk?» sprach Teja nähertretend. «Auch du, hochsinniger Teja, gegen mich? Ist das deine Freundschaft?» - «Rauthgundis», sprach dieser ruhig, «ich ehre dich vor allen Frauen hoch, und Hohes fordre ich darum von dir.» - Hildebrand aber begann: «Du bist die Königin dieses Volkes. Ich weiß von einer Gotenkönigin aus unsrer Ahnen Heidenzeit. Hunger und Seuchen lasteten auf ihrem Volk. Ihre Schwerter waren sieglos. Die Götter zürnten den Goten. Da fragte Swanhild die Eichen des Waldes und die Wellen des Meeres, und sie rauschten zur Antwort: » Aber Witichis wandte sich schmerzlich von ihm ab. - Die Boten schossen wie Blitze hinweg; bald scholl aus allen Gassen der donnernde Ruf: «Heil König Witichis», und von allen Seiten stimmten die jüngst noch Hadernden einig in diesem Ruf zusammen. Sein Blick flog mit dem Stolz tiefsten Schmerzes über die Tausende. Und Teja sprach hinter ihm leise: «Du siehst, du hast das Reich gerettet.» «Auf, führ' uns zum Sieg!» rief Hildebad, «denn Guntharis und A~ahad rücken an. Sie wähnen, uns ohne Haupt in offenem Zwist zu überraschen! Heraus auf sie! Sie sollen sich schrecklich irren; heraus auf sie und nieder die Empörer.» -«Nieder die Empörer!» donnerten die Heermänner nach, froh, einen Ausweg ihrer tieferregten Leidenschaft zu finden. Aber der König winkte mit edler Ruhe: «Stille! Nicht noch einmal soll gotisch Blut fließen von gotischen Waffen. Ihr harret hier in Geduld: du, Hildebad, tu mir auf das Tor. Niemand folgt mir: ich allein gehe zu den Gegnern. Du, Graf Teja, hältst das Lager in Zucht, bis ich wiederkehre. Du aber, Hildebrand» - er riefs mit erhobener Stimme -, «reit an die Tore von Ravenna und künde laut: sie sollen sie öffnen. Erfüllt ist ihr Begehr, und noch vor Abend ziehen wir ein: der König Witichis und die Königin Mataswintha.» So gewaltig und ernst sprach er diese Worte, daß das Heer sie mit lautloser Ehrfurcht vernahm. Hildebad öffnete die Lagerpforte: man sah die Reihen der Empörer im Sturmschritt heraneilen: laut scholl ihr Kriegsruf, als sich das Tor öffnete. König Witichis gab an Teja sein Schwert und ritt ihnen langsam entgegen. Hinter ihm schloß sich das Tor. «Er sucht den Tod», flüsterte Hildebrand. «Nein», sprach Teja, «er sucht und bringt das Heil der Goten.» Wohl stutzten die Feinde, als sie den einzelnen Reiter erkannten. Neben den wölsungischen Brüdern, die an der Spitze zogen, ritt ein Führer awarischer Pfeilschützen, die sie in Sold genommen. Dieser hielt Hand vor die kleinen, blitzenden Augen und rief: «Beim Rosse des Roßgotts, das ist der König selbst! Jetzt, meine Burschen, pfeilkundige Söhne der Steppe, zielt haarscharf, und der Krieg ist aus». Und er riß den krummen Hornbogen von der Schulter. «Halt, Khan Warchun», sprach Herzog Guntharis, eine eherne Hand auf seine Schulter legend. «Du hast zweimal schwer gefehlt in einem Atem. Du nennst den Grafen Witichis König: das sei dir verziehn. Und du willst ihn morden, der im Botenfrieden naht: das mag awarisch sein, es ist nicht Gotensitte. Hinweg mit dir und deiner Schar aus meinem Lager.» Der Khan stutzte und sah ihn staunend an: «Hinweg, sogleich!» wiederholte Herzog Guntharis. Der Aware lachte und winkte seinen Reitern: «Mir gleich! Kinder! Wir gehn zu Belisar: sonderbare Leute, diese Goten! Riesenleiber -Kinderherzen.» Indessen war Witichis herangeritten, Guntharis und Arahad musterten ihn mit forschenden Blicken. In seinem Wesen lag neben der alten, schlichten Würde eine ernste Hoheit: die Majestät des höchsten Schmerzes. «Ich komme, mit euch zu reden, zum Heile der Goten. Nicht weiter sollen Brüder sich zerfleischen. Laßt uns zusammen einziehen in Ravenna und zusammen Belisar bekämpfen. Ich werde Mataswintha freien, und ihr beide sollt am nächsten stehen an meinem Thron.» «Nimmermehr!» rief Arahad leidenschaftlich. «Du vergißt», sprach Herzog Guntharis stolz, «daß deine Braut in unsern Zelten ist.» «Herzog Guntharis von Tuscien, ich könnte dir erwidern, daß bald wir in euren Zelten sein werden. Wir sind zahlreicher und nicht feiger, als ihr, und, o Herzog Guntharis, mit uns ist das Recht. Ich will nicht also sprechen. Aber mahnen will ich dich des Gotenvolks. Selbst wenn du siegen solltest - du wirst zu schwach, um Belisar zu schlagen. Kaum einig sind wir ihm gewachsen. Gib nach!» «Gib du nach!» sprach der Wölsung, «wenn dir's ums Gotenvolk zu tun. Lege diese Krone nieder: kannst du kein Opfer bringen deinem Volk?» - «Ich kann's - ich hab's getan. Hast du ein Weib, o Guntharis?» «Ein teures Weib habe ich.» - «Nun wohl: auch ich hatte ein teures Weib. Ich hab's geopfert meinem Volk: ich habe sie ziehen lassen, Mataswinthen zu freien.» Herzog Guntharis schwieg. Arahad aber rief: «Dann hast du sie nicht geliebt.» Da fuhr Witichis empor, sein Schmerz und seine Liebe wuchsen riesengroß. Glut deckte seine Wangen, und einen vernichtenden Blick warf er auf den erschrockenen Jüngling: «Schwatze mir nicht von Liebe, lästre nicht, du törichter Knabe! Weil dir ein Paar rote Lippen und weiße Glieder in deinen Träumen vor den Blicken glänzen sprichst du von Liebe? Was weißt du von dem, was ich an diesem Weib verloren, der Mutter meines süßen Kindes! Eine Welt von Liebe und Treue. Reizt mich nicht, meine Seele ist wund, in mir liegen Schmerz und Verzweiflung mit Mühe gebändigt: reizt sie nicht, laßt sie nicht losbrechen!» Herzog Guntharis war sehr nachdenklich geworden. «Ich kenne dich, Witichis, vom Gepidenkrieg: nie sah ich unadeligen Mann so adelige Streiche tun. Ich weiß, es ist kein Falsch an dir. Ich weiß, wie Liebe bindet an ein ehlich Weib. Und du hast das Weib deinem Volk geopfert? Das ist viel.» «Bruder! Was sinnest du?» rief Arahad, «was hast du vor?» -«Ich habe vor, das Haus der Wölsungen an Edelmut nicht beschämen zu lassen. Edle Geburt, Arahad, heischt edle Tat? Sag' mir nur eins noch: weshalb hast du nicht lieber die Krone hingegeben, ja dein Leben, als dein Weib?» «Weil es des Reiches sicheres Verderben war. Zweimal wollt' ich die Krone Graf Arahad abtreten: zweimal schwuren die Ersten meines Heeres, ihn nie anzuerkennen. Drei, vier Gegenkönige würden gewählt, aber, bei meinem Wort, Graf Arahad würde niemals anerkannt. Da rang ich mein Weib von mir ab, vom blutenden Herzen. Und nun, Herzog Guntharis, gedenk' auch du des Gotenvolks. Verloren ist das Haus der Wölsungen, wenn die Goten verloren. Die edelste Blüte des Stammes fällt mit dem Stamm, wenn Belisar die Axt an die Wurzel legt. Ich habe mein Weib dahingegeben, meines Lebens Krone: gib du die Hoffnung einer Krone auf.» «Man soll nicht singen in der Goten Hallen: Der Gemeinfreie Witichis war edler, als des Adels Edelste! Der Krieg ist aus: ich huldige dir, mein König.» Und der stolze Herzog bog das Knie vor Witichis, der ihn aufhob und an seine Brust zog. «Bruder! Bruder! Was tust du an mir! Welche Schmach!» rief Arahad. «Ich rechn' es mir zur Ehre!» sprach Guntharis ruhig. «Und zum Zeichen, daß mein König nicht Feigheit sieht, sondern eine Edeltat in der Huldigung, erbitt' ich mir eine Gunst. Amaler und Balten haben unser Geschlecht zurückgedrängt von dem Platz, der ihm gebührt im Volke der Goten -» - «In dieser Stunde», sprach Witichis, «kaufst du ihn zurück: die Goten sollen nie vergessen, daß Wölsungen-Edelsinn ihnen einen Bruderkampf erspart hat.» - «Und des zum Zeichen sollst du uns das Recht verleihen, daß die Wölsungen der Goten Sturmfahne dem Heer vorauftragen in jeder Schlacht.» - «So sei's», sagte der König, ihm die Rechte reichend, «und keine Hand wird sie mir würdiger führen.» «Wohlan, jetzt auf zu Mataswintha», sprach Guntharis. «Mataswintha!» rief Arahad, der bisher wie betäubt der Versöhnung zugesehen, die alle seine Hoffnungen begrub. «Mataswintha!» wiederholte er. «Ha, zur rechten Zeit gemahnt ihr mich. Ihr könnt mir die Krone nehmen - sie fahre hin -, nicht meine Liebe und nicht die Pflicht, die Geliebte zu beschützen. Sie hat mich verschmäht: ich aber liebe sie bis zum Tode. Ich habe sie vor meinem Bruder beschirmt, der sie zwingen wollte, mein zu werden. Nicht minder wahrlich will ich sie beschützen, wollt ihr sie nun beide zwingen, des verhaßten Feindes zu werden. Frei soll sie bleiben, diese Hand, die kostbarer als alle Kronen der Erde.» Und rasch schwang er sich aufs Pferd und jagte mit verhängtem Zügel seinem Lager zu. Witichis sah ihm besorgt nach. «Laß ihn», sprach Herzog Guntharis, «wir beide, einig, haben nichts zu fürchten. Gehen wir, die Heere zu versöhnen, wie die Führer.» Während Guntharis zuerst den König durch seine Reihen führte und diese aufforderte, gleich ihm zu huldigen, was sie mit Freuden taten, und darauf Witichis den Wölsungen und seine Anführer mit in sein Lager nahm, wo die Besiegung des stolzen Herzogs durch Friedensworte als ein Wunderwerk des Königs angesehen wurde, sammelte Arahad aus den Reitern im Vordertreffen eine kleine Schar von etwa hundert ihm treu ergebenen Gefolgen und sprengte mit ihnen nach seinem Lager zurück. Bald stand er im Zelt vor Mataswinthen, die sich bei seinem Eintreten unwillig erhob. «Zürne nicht, schilt nicht, Fürstin! Diesmal hast du kein Recht dazu. Arahad kommt, die letzte Pflicht seiner Liebe zu erfüllen. Flieh, du mußt mir folgen.» Und im Ungestüm seiner Aufregung griff er nach der weißen, schmalen Hand. Mataswintha trat einen Schritt zurück und legte die Rechte an den breiten Goldgürtel, der ihr weißes Untergewand umschloß: «Fliehen?» sagte sie, «wohin fliehen?» «Übers Meer! Über die Alpen! Gleichviel: in die Freiheit. Denn deiner Freiheit droht höchste Gefahr.» «Von euch allein droht sie.» - «Nicht mehr von mir! Und ich kann dich nicht mehr beschirmen. Solang du mein werden solltest, konnte ich es, konnte grausam sein gegen mich selbst, deinen Willen zu ehren. Aber nun -» «Aber nun?» sprach Mataswintha erbleichend. «Sie haben dich einem andern bestimmt. Mein Bruder, mein Heer und meine Feinde im Königslager und in Ravenna, alle sind darin einig. Bald werden sie dich tausendstimmig als Opfer zum Brautaltar rufen. Ich kann's nicht denken! Diese Seele, diese Schönheit entweiht als Opfer in ungeliebtem Ehebund.» «Laß sie kommen», sagte Mataswintha, «laß sehen, ob sie mich zwingen!» Und sie drückte den Dolch, den sie im Gürtel trug, an sich. - «Wer ist er, der neue Zwingherr, der mir droht.» «Frage, nicht!» rief Arahad, «dein Feind, der dein nicht wert, der dich nicht liebt; der - folge mir! - flieh, schon kommen sie!» Man hörte von draußen nahenden Hufschlag. «Ich bleibe. Wer zwingt das Enkelkind Theoderichs?» «Nein! Du sollst nicht, sollst nicht in ihre Hände fallen, der Fühllosen, die nicht dich lieben, nicht deine Herrlichkeit, nur dein Recht auf die Krone! Folge mir...» Da ward der Türvorhang des Zeltes zur Seite geschoben: Graf Teja trat ein. Zwei Gotenknaben mit ihm, in weißer Seide, festlich gekleidet. Sie trugen ein mit einem Schleier verhülltes Purpurkissen. Er trat bis an die Mitte des Zeltes und beugte das Knie vor Mataswinthen. Er trug, wie die Knaben, einen grünen Rautenzweig um den Helm. Aber sein Auge und seine Stimme waren düster, als er sprach: «Ich grüße dich, der Goten und Italier Königin!» Mit erstauntem Blick maß sie ihn. Teja erhob sich, trat zurück zu den Knaben, nahm von dem Kissen einen goldenen Reif und den grünen Rautenkranz und sprach: «Ich reiche dir den Brautkranz und die Krone, Mataswintha, und lade dich zur Hochzeit und zur Krönung - die Sänfte steht bereit.» Arahad griff ans Schwert. «Wer sendet dich?» fragte Mataswintha mit klopfendem Herzen, aber die Hand am Dolch. «Wer sonst, als Witichis, der Goten König.» Da leuchtete ein Strahl der Begeisterung aus Mataswinthens wunderbaren Augen: sie erhob beide Arme gen Himmel und sprach: «Dank, Himmel, deine Sterne lügen nicht, und nicht das treue Herz. Ich wußt' es wohl.» Und mit beiden schimmernden Händen ergriff sie das bekränzte Diadem und drückte es fest auf das dunkelrote Haar. «Ich bin bereit. Geleite mich», sprach sie, «zu deinem Herrn und meinem». Und mit königlicher Wendung reichte sie Graf Teja die Linke, der sie ehrerbietig hinausführte. Arahad aber starrte der Verschwundenen nach, sprachlos, noch immer die Hand am Schwert. Da trat Eurich, einer seiner Gefolgen, zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter: «Was nun?» fragte er, «die Rosse stehen und harren: wohin?» -«Wohin?» rief Arahad auffahrend. «Wohin? Es gibt nur noch einen Weg, wir wollen ihn gehen. Wo stehen die Byzantiner und der Tod?» Zweites Kapitel Am siebenten Tage nach diesen Ereignissen bereitete sich ein glanzvolles Fest auf der Fora und in dem Königspalast zu Ravenna. Die Bürger der Stadt und die Goten aller drei Parteien wogten in gemischten Scharen durch die Straßen und fuhren durch die Lagunenkanäle - denn Ravenna war damals eine Wasserstadt, fast, aber doch nicht ganz, wie heute Venedig - die riesigen Kränze, Blumenbogen und Fahnen zu bewundern, die von allen Zinnen und Dächern niederwehten: denn es galt, die Vermählung des gotischen Königspaares zu feiern. Am frühen Morgen hatte sich das ganze jetzt vereinigte Heer der Goten vor den Toren der Stadt zu feierlicher Volksversammlung geschart. Der König und die Königin erschienen auf milchweißen Rossen: abgestiegen waren sie vor allem Volk unter eine breitschattende Steineiche getreten: dort hatte Witichis seiner Braut die rechte Hand auf das Haupt gelegt; sie aber trat mit dem entblößtem linken Fuß in den Goldschuh des Königs. Damit war unter dem Zuruf der Tausenden die Ehe nach Volksrecht geschlossen. Darauf bestieg das Paar einen mit grünen Zweigen geschmückten Wagen, der von vier weißen Rindern gezogen ward; der König schwang die Geißel, und sie fuhren, gefolgt von dem Heere, in die Stadt. Dort schloß sich an die halb heidnische, germanische, eine zweite, die christliche Feier: der arianische Bischof erteilte seinen Segen über das Paar in der Basilika Sancti Vitalis und ließ es die Ringe wechseln. Rauthgundens wurde nicht gedacht. Noch war die Kirche nicht mächtig genug, ihre Forderung der Unauflöslichkeit einer kirchlich geschlossenen Ehe überall durchzusetzen; vornehme Römer und vollends Germanen verstießen noch häufig in voller Willkür ihre Frauen. Und wenn gar ein König aus Gründen des Staatswohls und ohne Einspruch der Gattin das Gleiche beschloß, erhob sich kein Widerstand. - Aus der Kirche ging der Zug nach dem Palast, in dessen Hallen und Gärten ein großes Festmahl gerüstet war. Das ganze Gotenheer und die ganze Bevölkerung der Stadt fand hier, dann auf der Fora des Herkules und des Honorins und in den nächsten Straßen und Kanälen auf Schiffen, an tausend Tischen reiche Bewirtung, während die Großen des Reiches und die Vornehmen der Stadt mit dem Königspaar in der Gartenrotunde oder in der weiten Trinkhalle, die Theoderich hatte in dem römischen Palast anbringen lassen, tafelten. So wenig die Lage des Landes und des Königs Stimmung zu rauschenden Festen passen mochten - es galt, die Ravennaten mit den Goten und die verschiedenen Parteien der Goten unter sich zu versöhnen; und man hoffte, in Strömen des Festweins die letzten feindseligen Erinnerungen hinwegzuspülen. Am besten übersah man den Königstisch und die festlichen Tafeln, die sich über den weiten Garten und Park verteilten, von dem zum Brautgemach Mataswinthens bestimmten kleinen Gelaß, dessen einziges Fenster auf die Rotunde vor dem Garten und, über den Garten hin, bis auf das Meer ausblicken ließ. In diesem Gemach drei Tage zuvor schon schmückend zu schalten und zu walten, hatte sich Aspa, die Numiderin, als Lohn treuer Dienste ausgebeten. «Denn diese ernsten, finstern Römer wissen ebensowenig wie die rauhen Goten, dem schönsten Weib der Erde das Brautbett zu bereiten: in Afrika, im Land der Wunder, lernt man das.» Und wohl war ihr's gelungen, wenn auch im Sinn der schwülen, phantastischen Üppigkeit ihrer Heimat. Sie hatte das enge und niedre Gemach wie zu einem kleinen Zauberkistchen umgeschaffen! Wände und Decke waren von glänzend weißen Marmorplatten gefügt. Aber Aspa hatte den ganzen Raum mit drei- und vierfach aufeinandergelegten Gehängen von dunkelroter Seide verhüllt, die in schweren Falten von den Wänden niederfloß, sich über die Getäfeldecke wie ein Rundbogen wölbte und den Marmorbogen so dicht verhüllte, daß jeder Tritt lautlos drüber hinglitt und alles Geräusch sich im Entstehen brach. Nur an der Fensterbrüstung sah man den schimmernd weißen Marmor sich prachtvoll von der Glut der Seide heben. Das Fenster von weißem Frauenglas war mit einem Vorhang von mattgelber Seide verhangen, und alles Licht in dem kleinem Raum strömte aus von einer Ampel, die von der Mitte der Decke aus niederhing: eine Silbertaube mit goldnen Flügeln schwebte aus einem Füllhorn von Blumengewinden, in den Füßen trug sie eine flache Schale aus einem einzigen großen Karneol, der, ein Geschenk des Vandalenkönigs, in den aurassischen Bergen gefunden, als ein seltenes Wunder galt. Und in dieser Schale glühte ein rotes Flämmchen, genährt von stark duftendem Zedernöl. Ein gebrochenes, träumerisches Dämmerlicht ergoß sich von hier aus über das phantastische Doppelpfühl, das, halb von Blumen verschüttet, darunterstand. Aspa hatte sich das bräutliche Lager als die aufgeschlagenen Schalen einer Muschel gedacht, die an der inneren Seite zusammenhängen, zwei ovale, muschelförmige Klinen von Citrusholz erhoben sich nur wenig von dem Teppich des Bodens. Über die weißen Kissen und Teppiche hin war eine Linnendecke von orangegoldnem Glanz gegossen. Aber der eigenste Schmuck des Gelasses war die Fülle von Blumen, welche die Hand der Numiderin mit poesiereichem, wenn auch phantastischem Geschmack über das ganze Gemach verstreut und über die Wände, Decken, Vorhänge, die Türe und das Lager verteilt hatte. Ein Bogen von starkduftigen Geißblattranken überwölbte laubenartig die einzige Türe, den schmalen Eingang. Zwei mächtige Rosenbäume standen zu Häupten des Lagers und streuten ihre roten und weißen Blüten auf die Teppiche. Die Ampel hing, wie erwähnt, aus einem kunstvoll gewundnen Füllhorn von Blumen herab. Und überall sonst, wo eine Falte, eine Biegung der Teppiche das Auge zu verweilen lud, hatte Aspa eine seltene Blume glücklich angeschmiegt. Der Lorbeer und der Oleander Italiens, die sizilische Myrte, das schöne Rhododendron der Alpen und die glühenden Iriaceen Afrikas mit ihren reichen Kelchen: alle lauschten je am gelegensten Ort und doch, wie es schien, vom Zufall hingeworfen. - Schon standen die Sterne am Himmel. Es dämmerte draußen: im Gemach hatte Aspa die Flamme in der veilchendunkeln Schale entzündet und war nur noch beschäftigt, hier und da eine Falte zu glätten, indes sie eine römische Sklavin anwies, in den Silberkrügen auf dem Bronzekredenztisch den Palmwein mit Schnee zu kühlen, eine andre, das Gemach mit Balsam zu durchsprengen. «Reichlicher die Narden, reichlicher die Myrrhen gesprengt! So!» rief Aspa, eine volle Libation über das Lager spritzend. «Laß ab», mahnte die Römerin, «es ist zu viel! Schon der Duft der Blumen betäubt. Die Rose und das Geißblatt berauschen fast die Sinne: mir würde schwindeln hier.» «Ah», lachte Aspa, «wie singt der Dichter: » Sie las nicht weiter: die großen runden Augen wurden feucht, ihre Stimme versagte; sie neigte das blasse Haupt. «Valeria», sprach eine milde Stimme, und Cassiodor beugte sich über ihre Schulter. «Tränen über dem Buch des Trostes? Aber was sehe ich die Ilias! Kind! Ich gab dir doch die Evangelien.» «Verzeih mir, Cassiodor. Es hängt mein Herz noch andern Göttern an als deinen. Du glaubst nicht: je gewaltiger von allen Seiten her die Schatten ernster Entsagung auf mich eindringen, seit ich bei dir bin und in diesen Mauern weile, desto krampfhafter klammert sich die widerstrebende Seele an die letzten Fäden, die mich mit einer andern Welt verbinden. Und zwischen Grauen und Liebe ratlos schwankt der Sinn.» «Valeria, du hast keinen Frieden in diesem Haus des Friedens gefunden. Wohlan, so zieh hinaus. Du bist ja frei und Herrin deines Willens. Kehre zurück zu jener bunten Welt, wenn du glaubst, dort dein Glück zu finden.» Sie aber schüttelte das schöne Haupt. «Es geht nicht mehr. Feindlich ringen in meiner Seele zwei Gestalten. Welche auch siege - ich verliere immer.» «Kind, sprich nicht so! Du kannst die beiden Mächte, Erdenlust und Himmelsseligkeit, nicht wie zwei gleiche Dinge in einer Waage wiegen.» «Weh denen», fuhr sie, wie mit sich selbst sprechend, fort, «welchen das Schicksal den gespaltnen Doppeltrieb in die Seele gepflanzt, der bald zu den Sternen nach oben, bald nieder zu den Blumen zieht. Sie werden keines der beiden froh.» «In dir, mein Kind», sprach Cassiodor, sich zu ihr setzend, «walten freilich unversöhnt deines weltlichen Vaters und deiner frommen Mutter Sinn. Dein Vater, ein Römer der alten Art, ein Kind der stolzen, rauhen Welt, kühn, sicher, selbstvertrauend, nach Gewinn und Macht strebend, wenig, allzuwenig, fürcht' ich, ergriffen von dem Geist unseres Glaubens, der nur im Jenseits unsere Heimat sucht - in der Tat, Valerius, mein Freund, war mehr ein Heide denn ein Christ. Und daneben deine Mutter, fromm, sanft, aus einem Märtyrergeschlecht, den Himmel suchend und der Erde vergessend, auch sie hat wohl ein Teil von ihrem Wesen in dich... -» «Nein», sprach Valeria aufstehend und das edle Haupt kräftig zurückwerfend, «ich fühle nur des Vaters Art in mir. Kein Tropfen Blut neigt jener Seite zu. Die Mutter war viel krank und starb schon früh. Unter meines Vaters Augen wuchs ich auf; Iphigenia und Antigone und Nausikaa, Cloelia und Lucretia und Virginia waren die Freundinnen meiner Jugend. Nicht viele Priester sah man in des Kaufherrn Haus, und wenn er abends mit mir saß und las, so waren's Livius und Tacitus und Vergilius, nicht das heilige Buch der Christen. So wuchs ich heran bis in mein siebzehntes Jahr, den Sinn allein auf diese Welt gerichtet. Denn auch die Tugenden, die der Vater pries und übte, sie galten nur dem Staat, dem Haus, den Freunden. Glücklich war ich in jener Zeit, ungespalten meine Seele.» «Du warst eine Heidin trotz des Taufwassers.» «Ich war glücklich. Da kamen wir auf einer Reise zuerst in diese Mauern mit ihrem Grabesernst, und dunkle, schwere Schatten fielen hier zuerst in meine Seele. Dich fand ich hier, und du entdecktest mir, was man mir bisher sorgfältig verborgen hatte, daß die Mutter in schwerer Krankheit mich schon vor meiner Geburt durch ein Gelübde dem ehelosen Leben im Kloster geweiht, wenn Gott sie und ihr Kind am Leben erhalte, und daß mein Vater, dem dieser Gedanke unerträglich, später mich vom Himmel eingelöst, indem er, freilich mit Zustimmung des Bischofs von Rom, statt die Tochter hinzugeben, Kirche und Kloster hier gebaut.» «So ist es, Kind, mit dem vierten Teil seines Vermögens! Darüber kannst du dich beruhigen. Der Nachfolger des heiligen Petrus, der die Macht hat, zu binden und zu lösen, hat den Tausch, die Umwandlung des Gelübdes gebilligt. Du bist frei!» -«Aber ich fühle mich nicht frei! Nicht mehr seit jener Stunde! Was auch du, was auch der Vater gesagt, tief, tief in meinem Herzen spricht eine Stimme: Die finstre, ernste, drohende Macht jenes heiligen Glaubens, der meiner Seele fremd gewesen und geblieben ist, die in diesem feierlichen Raume wohnt, hat ein Recht, ein zwingend Herrschaftsrecht über meine Seele und läßt nicht davon. Ich bin ihr verfallen. Ihr gehör' ich an, nicht wollend, wiederstrebend, aber sicher doch. Der Welt der Entsagung, des Schmerzes, der Dornen: nicht jener goldnen Welt meines Homers, der Blumen und des Sonnenscheins, zu der noch immer von innen meine ganze Seele neigt. So oft ich's auch vergessen will, immer ziehen wieder die Wolkenschatten über meine Seele. Sie drohen im Hintergrunde aller Freuden: wie dort das finstre Martyrbild hinter den roten Rosen.» «Valeria, du hassest, scheint's, was du verehren solltest.» «Ich hasse es nicht. Ich fürchte es. Wohl war eine Zeit», - und ein Strahl der Freude flog über ihre Züge «da glaubte ich den dunklen Schatten für immer besiegt von einem hellen Gott des Lichts. Als ich zuerst des jungen Goten lachend Auge sah und seine sonnige Seele mich umschloß, als so viel Jugend, Schönheit, Liebe und Glück mich umfluteten, da wähnte ich wohl, für immer sei jener Bann gelöst. Aber es währte nicht lang. Der finstre Gott des Schmerzes pochte vernehmlich an die goldne Wand, die ich zwischen ihn und mich gebaut, und immer näher drangen seine Schläge. Der Krieg bricht aus, mein teurer Vater fällt und nimmt einen verhängnisvollen Eid des Geliebten mit sich ins Grab. In Schutt versinkt das Haus meiner Ahnen, und ich muß flüchten aus meiner Vaterstadt. Sie fällt dem Feinde zu. Nur das Opfer eines köstlichen Lebens rettet mir den Geliebten. Die Woge des Krieges verschlägt ihn fern von mir. Und wie ich erwache aus der Betäubung dieses Streichs, -find' ich mich hier, in diesem großen Grabe, dem Ort meiner Bestimmung. Ach, du wirst sehen, der Himmel begnügt sich nicht mit dem leeren Grab. Er fordert auch die Leiche, die hineingehört.» - «Valeria! Du solltest Kassandra heißen.» «Ja, denn Kassandra sah die Wahrheit, ihre Gesichte trafen ein!» «Du weißt, wir erkennen einer Seele den Preis zu, die der Erde vergißt über dem Himmel. Aber Gott will erzwungene Opfer nicht. Und so sag' ich dir, du quälst dich mit eitlem Vorwurf. Der Papst hat dich gelöst, so bist du frei.» «Die Seele löst kein Papst. Der Papst nimm Gold, das Schicksal nicht. Du wirst erfüllt sehen, was ich dir ahnend vorhersage - nie werd' ich glücklich, nie werd' ich Totilas, und diese Stätte wird... -» «Und wenn's so wäre? Hängst du denn noch gar so fest an Glück und Hoffnung? Freilich, du bist noch jung. Aber Kind, ich sage dir: je früher du dich losmachst, desto größerem Weh entrinnst du. Ich habe die Welt und ihre falschen Freuden und Ehren alle gekostet und sie alle eitel und treulos gefunden. Nichts auf Erden füllt die Seele aus, die nicht von dieser Erde ist. Wer das erkennt, der sehnt sich hinweg aus dieser Welt der Unrast und der Sünde. Erst in der Welt jenseits des Grabes ist deine Heimat. Dahin verlangt die ganze Seele... -» «Nein, nein, Cassiodor», rief die Römerin, «meine ganze Seele verlangt nach Glück auf dieser schönen Erde! Ihr gehör' ich an! Auf ihr fühl' ich mich heimisch. Blauer Himmel, weißer Marmor, rote Rosen, linde, duftgefüllte Abendluft: - wie seid ihr schön! Das will ich einatmen mit entzückten Sinnen! Wer das genießt, ist glücklich! Weh dem, der es verloren! Von deinem Jenseits hab' ich kein Bild in meiner bangen Seele! Nebel, Schatten - graues Ungewiß allein liegt jenseits des Grabes. Wie spricht Achilleus? Im Glück, im Sonnenschein fühl' ich den Gott, und seine Gnade wird mir offenbar. Er will gewiß der Menschen Glück und Freude: - der Schmerz ist sein heiliges Geheimnis - ich vertraue: dereinst wird uns auch dieses Rätsel klar. Einstweilen aber laß uns auf der Erde freudig das Unsere tun und keinen Schatten uns allzulang verdunkeln. In diesem Glauben, Valeria, laß uns scheiden. Denn ich muß sofort zu König Witichis mit meinen Reitern.» «Du gehst von mir? Schon wieder? Wann, wo werd' ich dich wiedersehn?» «Ich seh' dich wieder, nimm mein Wort zum Pfand! Ich weiß, es kommt der Tag, da ich mit vollem Recht dich aus diesen ernsten Mauern führen darf ins sonnige Leben. Laß dich indes nicht allzusehr verdüstern. Es kommt der Tag des Sieges und des Glücks: und mich erhebt's, daß ich zugleich das Schwert für mein Volk und meine Liebe führe.» Inzwischen war der Pförtner mit einem Schreiben an Cassiodor wiedergekommen. «Auch ich muß dich verlassen, Valeria», sprach der. «Rusticiana, des Boethius Witwe, ruft mich dringend an ihr Sterbebett: sie will ihr Herz erleichtern von alter Schuld. Ich gehe nach Tifernum.» «Dahin führt auch unser Weg, du ziehst mit mir, Cassiodor. Leb' wohl, Valeria!» Nach kurzem Abschied sah die Jungfrau den Geliebten gehn. Sie bestieg ein Türmchen der Gartenmauer und sah ihm nach. Sie sah, wie er in voller Rüstung sich in den Sattel schwang, sie sah mit freudigen Augen seine Reiter hinter ihm traben. Hell blitzten ihre Helme im Abendlicht, die blaue Fahne flatterte lustig im Winde: alles war voll Leben, Kraft und Jugend. Sie sah dem Zuge nach, lang und sehnend. Aber als er fern und ferner sich hinzog, da wich der frohe Mut, den sein Erscheinen gebracht, wieder von ihr. Bange Ahnungen stiegen in ihr auf, und unwillkürlich sprachen sich ihre Gefühle aus in den Worten ihres Homeros: «Siehest du nicht, wie schön von Gestalt, wie stattlich Achilleus? Dennoch harrt auch seiner der Tod und das dunkle Verhängnis, Wann auch ihm in des Kampfes Gewühl das Leben entschwindet. Ob ihn ein Pfeil von der Sehne dahinstreckt, oder ein Wurfspeer.» Und schmerzlich seufzend schritt die Jungfrau aus dem rasch sich verdunkelnden Garten in die dumpfen Mauern zurück. Viertes Kapitel Inzwischen hatte König Witichis in seinem Waffenplatz Ravenna jede Kunst und Tätigkeit eines erfahrenen Kriegsmannes entfaltet. Während jede Woche, ja jeden Tag vor und in der Stadt größere und kleinere Scharen von den gotischen Heeren eintrafen, die der Verrat Theodahads an die Grenzen gesendet hatte, arbeitete der König unablässig daran, das ganze große Heer, das allmählich bis auf einhundertfünfzig Tausendschaften gebracht werden sollte, auszurüsten, zu waffnen, zu gliedern und zu üben. Denn die Regierung Theoderichs war eine äußerst friedliche gewesen: nur die Besatzungen der Grenzprovinzen, kleine Truppenmassen, hatten mit Gepiden, Bulgaren und Awaren zu tun gehabt, und in den mehr als dreißig Jahren der Ruhe waren die kriegerischen Ordnungen eingerostet. Da hatte der tüchtige König, von seinen Freunden und Feldherren eifrig unterstützt, Arbeit vollauf. Die Arsenale und Werften wurden geleert, in Ravenna ungeheure Vorratsspeicher angelegt und zwischen der dreifachen Umwallung der Stadt endlose Reihen von Werkstätten für Waffenschmiede aller Art aufgeschlagen, die Tag und Nacht unablässig zu arbeiten hatten, den Forderungen des kampfbegierigen Königs, des massenhaft anschwellenden Heeres zu genügen. Ganz Ravenna ward ein Kriegslager. Man hörte nichts als die Hammerschläge der Schmiede, das Wiehern der Rosse, den Sturmruf und Waffenlärm der sich übenden Heerscharen. In diesem Getöse, in dieser rastlosen Tätigkeit betäubte Witichis, so gut es gehen wollte, den Schmerz seiner Seele, und begierig sah er dem Tag entgegen, da er sein schönes Heer zum Angriff gegen den Feind führen könne. Doch hatte er bei allem Drange, im Kampfgewühl sich selber zu verlieren, seiner Königspflicht nicht vergessen und durch Herzog Guntharis und Hildebad ein Friedensanerbieten an Belisar gesendet mit den mäßigsten Vorschlägen. So von Krieg und Staat ganz in Anspruch genommen, hatte er kaum einen Blick und Gedanken für seine Königin, der er auch, wie er meinte, kein größeres Gut als die ungestörteste Freiheit zuwenden konnte. Aber Mataswintha war von jener unheilvollen Brautnacht an von einem Dämon erfüllt, von dem Dämon unersättlicher Rache. In Haß übergeschlagene Liebe ist der giftigste Haß. Ihre tiefe und leidenschaftliche Seele hatte von Kindheit an das Ideal dieses Mannes hoch zu den Sternen erhöht. Ihr Stolz, ihre Hoffnung, ihre Liebe, war einzig an dieser Gestalt gehangen, und sicher, wie den Aufgang der Sonne, hatte sie die Erfüllung ihrer Sehnsucht durch diesen Mann erwartet. Und nun mußte sie sich gestehen, daß er ihre Liebe hatte ans Licht gebracht und nicht erwidert: daß sie, obwohl seine Königin, mit dieser Liebe wie eine Verbrecherin dem verstoßenen und doch ewig allein in seinem Herzen wohnenden Weibe gegenüberstehe. Und er, auf den sie als Retter und Befreier von unwürdigem Zwang gehofft, er hatte ihr die höchste Schmach angetan: eine Ehe ohne Liebe. Er hatte ihr die Freiheit genommen und kein Herz dafür gegeben. Und warum? Was war der letzte Grund dieses Frevels? Das Gotenreich, die Gotenkrone! Sie zu erhalten, hatte er sich nicht besonnen, einer Mataswintha Leben zu verderben. «Hätte er meine Liebe nicht erwidert - ich wäre zu stolz, ihn darum zu hassen. Aber er zieht mich an sich, behängt mich, wie zum Hohne, mit dem Namen seines Weibes, führt diese Liebe bis hart an den Gipfel der Erfüllung und stößt mich dann achtlos hinunter in die Nacht unaussprechlicher Beschämung. Und warum? Warum das alles? Um einen eiteln, leeren Schall: Um einen toten Reif von Gold. Weh ihm, und wehe seinem Götzen, dem er dies Herz geschlachtet. Er soll es büßen. An seinem Götzenbilde soll er's büßen. Hat er mir ohne Schonung mein Idol, sein eigen Bild, meine schöne Liebe mit Füßen getreten, - wohlan, Götze gegen Götze! Er soll leben, dieses Reich vernichtet zu sehen, diese Krone zerstückt. Zerschlagen will ich ihm seinen Lieblingswahn, um den er die Blüte meiner Seele geknickt, zerschlagen dieses Reich wie seine Büste. Und wenn er verzweifelnd, händeringend vor den Trümmern steht, will ich ihm zurufen: sieh, so sehn die zerschlagenen Götzen aus.» So, in der widerstandslosen Sophistik der Leidenschaft, beschuldigte und verfolgte Mataswintha den unseligen Mann, der mehr als sie gelitten, der nicht nur sie, der sein und des geliebten Weibes Glück dem Vaterland geopfert. Vaterland, Gotenreich: - der Name schlug ohne Klang an das Ohr des Weibes, das von Kindheit auf unter diesem Namen nur zu leiden, nur dagegen für ihre Freiheit zu ringen gehabt hatte. Sie hatte nur der Selbstsucht ihres einen Gefühls, der Poesie dieser Leidenschaft gelebt, und zur Rache, Rache für die Hinopferung ihrer Seele, dies Gotenreich zu verderben, war ihre höchste, grimmige Lust. O hätte sie, wie jene Marmorbüste, mit einem Streich, dies Reich zerschmettern können! Mit diesem Wahnsinn der Leidenschaft empfing sie aber deren ganze dämonische Klugheit. Sie wußte ihren tödlichen Haß und ihre geheimen Rachegedanken so tief vor dem König zu verbergen, - so tief, wie sie sich selbst die geheime Liebe verbarg, die sie noch immer für den grimmig Verfolgten im tiefsten Busen trug. Auch wußte sie dem König ein Interesse an der gotischen Sache zu zeigen, welches das einzige Band zwischen ihnen zu bilden schien, und das, wenn auch in feindlichem Sinne, wirklich in ihr bestand. Denn wohl begriff sie, daß sie dem gehaßten König nur dann schaden, seine Sache nur dann verderben konnte, wenn sie in alle Geheimnisse derselben genau eingeweiht, mit ihren Stärken wie mit ihren Blößen genau vertraut war. Ihre hohe Stellung machte ihr leicht möglich, alles, was sie wissen wollte, zu erfahren: schon aus Rücksicht auf ihren großen Anhang konnte man der Amalungentochter, der Königin, Kenntnis der Lage ihres Reiches, ihres Heeres nicht vorenthalten. Der alte Graf Grippa versah sie mit allen Nachrichten, die er selbst erfuhr. In wichtigeren Fällen wohnte sie selbst den Beratungen bei, die in den Gemächern des Königs gehalten wurden. So war Mataswintha über Stärke, Beschaffenheit und Einteilung des Heeres, die nächsten Angriffspläne der Feldherren und alle Hoffnungen und Befürchtungen der Goten so gut wie der König selbst unterrichtet. Und sehnlich wünschte sie eine Gelegenheit herbei, dies ihr Wissen sobald und so verderblich wie möglich zu verwerten. Mit Belisar selbst in Verkehr zu treten durfte sie nicht hoffen. Naturgemäß richteten sich ihre Augen auf die aus Furcht vor den Goten neutralen, im Herzen aber ausnahmslos byzantinischgesinnten Italier ihrer Umgebung, mit denen sie leichten und unverdächtigen Verkehr pflegen konnte. Aber sooft sie diese Namen im Geiste musterte, - da war keiner, dessen Tatkraft und Klugheit sie das tödliche Geheimnis hätte vertrauen mögen, daß die Königin der Goten selbst am Verderben ihres Reiches arbeiten wolle. Diese feigen und unbedeutenden Menschen - die Tüchtigeren waren längst zu Cethegus oder Belisar gegangen - waren ihr weder des Vertrauens würdig, noch schienen sie Witichis und seinen Freunden gewachsen. Wohl suchte sie auf schlauen Umwegen durch den König und die Goten selbst zu erkunden, welchen unter allen Römern sie für ihren gefährlichsten, bedeutendsten Feind hielten. Aber auf solche Anfragen und Erkundigungen hörte sie immer nur einen Mann nennen, immer und immer wieder einen einzigen. Und der saß ihr unerreichbar fern im Kapitol von Rom: Cethegus, der Präfekt. Es war ihr unmöglich, sich in Verbindung mit ihm zu setzen. Keinem ihrer römischen Sklaven wagte sie einen so verhängnisvollen Auftrag, als ein Brief nach Rom war, anzuvertrauen. Die kluge und mutige Numiderin, die den Haß ihrer angebeteten Herrin gegen den rohen Barbaren, der diese verschmäht, vollauf teilte, ungeschwächt bei ihr durch heimliche Liebe, hatte sich zwar eifrig erboten, ihren Weg zu Cethegus zu finden. Aber Mataswintha wollte das Mädchen nicht den Gefahren einer Wanderung durch Italien, mitten durch den Krieg, aussetzen. Und schon gewöhnte sie sich an den Gedanken, ihre Rache bis zu dem Zug auf Rom zu verschieben, ohne inzwischen in ihrem Eifer in Erforschung der gotischen Pläne und Rüstungen zu erkalten. So wandelte sie eines Tages nach der Stadt zurück von dem Kriegsrat, der draußen im Lager, im Zelt des Königs, war gehalten worden. Denn seit die Rüstungen ihrer Vollendung nah und die Goten jeden Tag des Aufbruchs gewärtig waren, hatte Witichis, wohl auch um Mataswintha aus dem Wege zu sein, seine Gemächer im Palatium verlassen und seine schlichte Wohnung mitten unter seinen Kriegern aufgeschlagen. Langsam, das Vernommene ihrem Gedächtnis einprägend und über die Verwertung nachsinnend, wandelte die Königin, nur von Aspa begleitet, durch die äußersten Reihen der Zelte, einen sumpfigen Arm des Padus zur Linken, die weißen Zelte zur Rechten. Sie mied das Gedränge und den Lärm der innern Gassen des Lagers. Während sie bedächtig und ihrer Umgebung nicht achtend dahinschritt, musterten Aspas scharfe Augen die Gruppe von Goten und Italiern, die sich hier um den Tisch eines Gauklers geschart hatte, der unerhörte und nie gelesene Künste zum besten zu geben schien, nach dem Staunen und Lachen der Zuschauer zu schließen. Aspa zögerte etwas in ihrem Gang, diese Wunder mit anzusehen. Es war ein junger, schlanker Bursch: nach der blendend weißen Haut des Gesichts und der bloßen Arme wie nach dem langen gelben Haar gallischen Zuschnitts ein Kelte, wozu die kohlschwarzen Augen nicht stimmen wollten. Er verrichtete wirklich Wunderdinge auf seiner einfachen Bühne. Bald sprang er in die Höhe, überschlug sich in der Luft und kam doch senkrecht bald wieder auf die Füße, bald auf die Hände zu stehen. Dann schien er brennende Kohlen mit sichtlichem Behagen zu verspeisen und dafür Münzen auszuspeien: dann verschluckte er einen fußlangen Dolch und zog ihn später wieder aus seinen Haaren hervor, um ihn mit drei, vier andern scharfgeschliffenen Messern in die Luft zu werfen und eines nach dem andern mit nie fehlender Behendigkeit am Griff aufzufangen, wofür ihn Gelächter und Rufe der Bewunderung von seiten seiner Zuschauer belohnten. Aber schon zu lange hatte sich die Sklavin verweilt. Sie sah nach der Herrin und bemerkte, daß ihr Weg gesperrt war von einer Schar italischer Lastträger und Troßknechte, welche die Gotenkönigin offenbar nicht kannten und gerade an ihr vorbei, über den Weg hin, nach dem Wasser zu, lärmende Kurzweil trieben. Sie schienen sich einen Gegenstand, den Aspa nicht wahrnahm, zu zeigen und ihn mit Steinen zu bewerfen. Eben wollte sie ihrer Herrin nacheilen, als der Gaukler neben ihr auf dem Tisch einen gellenden Schrei ausstieß; Aspa wandte sich erschrocken und sah den Gallier in ungeheurem Satz über die Köpfe der Zuschauer weg wie einen Pfeil durch die Luft auf die Italier losschießen. Schon stand er mitten in dem Haufen und schien, sich bückend, einen Augenblick unter ihnen verschwunden. Aber plötzlich war er sichtbar. Denn einer und gleich darauf ein zweiter Italier stürzte von seinen Faustschlägen nieder. Im Augenblick war Aspa an den Königin Seite, die sich schnell aus der Nähe der Schlägerei entfernt hatte, aber, zu der Sklavin Befremden, stehen blieb, mit dem Finger auf die Gruppe weisend. Und seltsam in der Tat war das Schauspiel. Mit unglaublicher Kraft und noch größerer Gewandtheit wußte der Gaukler das Dutzend der Angreifer sich vom Leibe zu halten. Die Gegner anspringend, sich wendend und duckend, weichend, darin wieder plötzlich vorspringend und den nächsten am Fuß niederreißend oder mit kräftigem Faustschlag vor Brust oder Gesicht niederstreckend, wehrte er sich. Und das alles ohne Waffe, und nur mit der rechten Hand: denn die linke hielt er, wie etwas bergend und schützend, dicht an die Brust. So währte der ungleiche Kampf minutenlang. Der Gaukler ward näher und näher von der wütenden, lärmenden Menge dem Wasser zugedrängt. Da blitzte eine Klinge. Einer der Troßknechte, zornig über einen schweren Schlag, zückte ein Messer und sprang den Gaukler von hinten an. Mit einem Schrei stürzte dieser zusammen: die Feinde über ihn her. «Auf! Reißt sie auseinander! Helft dem Armen», rief Mataswintha den Kriegern zu, die jetzt von dem verlassenen Tisch der Goten herankamen, «ich befehle es, die Königin!» Die Goten eilten nach dem Knäuel der Streitenden: aber noch ehe sie herankamen, sprang der Gaukler, der sich für einen Moment von allen Feinden losgemacht, hoch aus dem Gewirr und eilte mit letzter Kraft davon, gerade auf die beiden Frauen zu - verfolgt von den Italiern, welche die wenigen Goten nicht aufzuhalten vermochten. Welch ein Anblick! Seine gallische Tunika hing ihm in Fetzen vom Leibe: ein Stück seiner gelben Haare schleifte am Rücken, und siehe, unter der gelben Perücke kam schwarzes glänzendes Haar zum Vorschein, und der weiße Hals verlief in eine bronzebraune Brust. Mit letzter Kraft erreichte er die Frauen. Da erkannte er Mataswintha. «Schütze mich, rette mich, weiße Göttin!» schrie er und brach zusammen vor Mataswinthas Füßen. Schon waren die Italier heran, und der vorderste schwang sein Messer. - Aber Mataswintha breitete ihren blauen Mantel über den Gefallenen: «Zurück!» sprach sie mit Hoheit, «laßt ab von ihm. Er steht im Schutz der Gotenkönigin.» Verblüfft wichen die Troßknechte zurück. «So?» rief nach einer Pause der mit dem Dolch, «straflos soll er ausgehen, der Hund und Sohn eines Hundes? Und fünf von uns liegen am Boden halbtot? Und ich habe fortan drei Zähne zu wenig? Und keine Strafe?» - «Er ist gestraft genug», sagte Mataswintha, auf die tiefe Dolchwunde am Halse deutend. «Und all das um einen Wurm», schrie ein zweiter, «um eine Schlange, die aus seinem Ranzen schlüpfte, und die wir mit Steinen warfen.» - «Da seht! Er hat die Natter geborgen, da, an seiner Brust. Nehmt sie ihm.» - «Schlagt ihn tot», schrien die andern. Aber da kamen zahlreiche Gotenkrieger heran und schafften ihrer Königin Gehorsam, die Italier unsanft zurückstoßend und einen Kreis um den Gefallenen schließend. Aspa blickte scharf zu, und plötzlich sank sie mit gekreuzten Armen neben dem Gaukler nieder. «Was ist dir, Aspa? Steh auf!» sprach Mataswintha staunend. «O Herrin!» stammelte diese, «der Mann ist kein Gallier! Er ist ein Sohn meines Volkes. Er betet zu dem Schlangengott! Sieh hier seine braune Haut unter dem Halse. Braun wie Aspa, - und hier - hier, eine Schrift; Schriftzeichen eingeritzt über seiner Brust: die heilige Gemeinschaft meiner Heimat», jubelte sie. Und, mit dem Finger deutend, hob sie an zu lesen. «Der Gaukler scheint verdächtig. - Warum diese Verstellung?» sprach Mataswintha. «Man muß ihn in Haft nehmen.» «Nein, nein, o Herrin», flüsterte Aspa. «Weißt du, wie die Inschrift lautet? - Kein Auge als meines kann sie dir deuten» -«Nun?», fragte Mataswintha. «Sie lautet», flüsterte Aspa leise: Syphax schuldet ein Leben seinem Herrn, Cethegus, dem Präfekten. Ja, ja, ich erkenne ihn, das ist Syphax, Hiempsals Sohn, ein Gastfreund meines Stammes: die Götter senden ihn zu uns.» «Aspa», sprach Mataswintha rasch, «ja, ihn senden die Götter: die Götter der Rache. Auf, ihr Goten, legt diesen wunden Mann auf eine Bahre, und folgt damit meiner Sklavin in den Palast! Er steht fortan in meinem Dienst.» Fünftes Kapitel Wenige Tage darauf begab sich Mataswintha wieder ins Lager, diesmal nicht von Aspa begleitet. Denn diese wich Tag und Nacht nicht von dem Bette ihres verwundeten Landsmannes, der unter ihren Händen, ihren Kräutern und Sprüchen sich rasch erholte. König Witichis selbst hatte diesmal die Königin abgeholt mit dem ganzen Geleit seines Hofes. In seinem Zelte sollte der wichtigste Kriegsrat gehalten werden. Das Eintreffen der letzten Verstärkungen war auf heute angekündigt: und auch Guntharis und Hildebad wurden zurückerwartet mit der Antwort Belisars auf das Friedensanerbieten. «Ein verhängnisvoller Tag!» sagte Witichis zu seiner Königin. «Bete zum Himmel um den Frieden.» «Ich bete um den Krieg», sprach Mataswintha, starr vor sich hinblickend. «Verlangt dein Frauenherz so sehr nach Rache?» -«Nach Rache nur noch ganz allein und sie wird mir werden.» Damit traten sie in das Zelt, welches schon von gotischen Heerführern erfüllt war. Mataswintha dankte mit stolzem Kopfbeugen dem ehrerbietigen Gruß. «Sind die Gesandten zurück?» fragte der König, sich setzend, den alten Hildebrand, «so führt sie ein.» Auf ein Zeichen des Alten erhoben sich die Seitenvorhänge, und Herzog Guntharis und Hildebad traten ein, sich tief verneigend. «Was bringt ihr? Frieden oder Krieg?» fragte Witichis eifrig. «Krieg! Krieg, König Witichis!» riefen beide Männer mit einem Munde. «Wie? Belisar verwirft die Opfer, die ich ihm biete? Du hast ihm freundlich, eindringlich, meine Vorschläge mitgeteilt?» Herzog Guntharis trat vor und sprach: «Ich traf den Feldherrn im Kapitol als Gast des Präfekten und sprach zu ihm: » Ein Murren, der Entrüstung ging durch das Zelt. «Zornig, ohne Antwort auf solchen Vorschlag, wandten wir ihm den Rücken und schritten hinaus. , rief er uns nach. Da wandt' ich mich», sprach Hildebad, «und rief: Auf, König Witichis, jetzt zu den Waffen. Du hast das Äußerste versucht an Friedensliebe und Schmach geerntet. Jetzt auf! Lang genug hast du gezögert und gerüstet! Jetzt führ' uns an, zum Kampf.» Da tönten Trompetenstöße aus dem Lager: man hörte den Hufschlag eilig nahender Rosse. Alsbald hob sich der Vorhang des Zeltes, und eintrat Totila in glänzenden Waffen, vom weißen Mantel umwallt. «Heil meinem König, Heil dir, Königin», sprach er huldigend. «Mein Auftrag ist erfüllt: ich bringe dir den Freundesgruß des Frankenkönigs. Er hielt ein Heer bereit im Solde von Byzanz, dich anzugreifen. Es gelang mir, ihn umzustimmen. Sein Heer wird nicht gegen die Goten in Italien einrücken. Graf Markja von Mediolanum, der bisher die Cottischen Alpen gegen die Franken gedeckt, ward dadurch frei mit seinen Tausendschaften: er folgt mir in Eile. Im Rückweg hab' ich aufgerafft, was ich irgend von waffenfähigen Männern fand, und die Besatzungen der Burgen an mich gezogen. Ferner: Wir hatten bisher Mangel an Reiterei. Getrost, mein König: ich führe dir sechstausend Reiter zu, auf herrlichen Rossen. Sie verlangen, sich zu tummeln in den Ebenen von Rom. Nur ein Wunsch lebt in uns allen: führ' uns zum Kampf, zum Kampf nach Rom.» «Hab' Dank, mein Freund, für dich und deine Reiter. Sprich, Hildebrand, wie verteilt sich jetzt unsres Heeres Macht? Sagt an, ihr Feldherren, wie viele führt ein jeder von euch? Ihr Notare, zeichnet auf!» «Ich führe drei Tausendschaften Fußvolk», rief Hildebad. «Ich vierzig Tausendschaften zu Fuß und zu Roß mit Schild und Speer», sprach Herzog Guntharis. «Ich vierzig Tausendschaften zu Fuß: Bogenschützen, Schleuderer, Speerträger», sagte Graf Grippa von Ravenna. «Ich sieben Tausendschaften mit Messer und Keule», zählte Hildebrand. «Und dazu Totilas sechs Tausendschaften Reiter und vierzehn erlesene Tausendschaften Tejas mit der Streitaxt - wo ist er? Ich vermisse ihn hier!» -«Und ich habe meine Scharen zu Fuß und zu Roß auf fünfzig Tausendschaften erhöht», schloß der König. «Das sind zusammen einhundertsechzig Tausendschaften», schrieb der Protonotar, die Pergamentrolle dem König überreichend. Da flog ein froher Glanz kriegerischen Stolzes über des Königs ernstes Angesicht. «Einhundertsechzig Tausendschaften gotischer Männer: Belisar, sollen sie vor dir die Waffen strecken, ohne Kampf? Wie lang braucht ihr noch Rast, um aufzubrechen?» Da eilte der schwarze Teja ins Zelt. Er hatte beim Eintreten die letzte Frage vernommen. Sein Auge sprühte Blitze, er bebte vor Zorn. «Rast? Keine Stunde Rast mehr: auf zur Rache, König Witichis! Ein ungeheuren Frevel ist geschehn, der laut um Rache gen Himmel schreit. Führ' uns sofort zum Kampf!» «Was ist geschehn?» «Ein Feldherr Belisars, der Hunne Ambazuch, umschloß, wie du weißt, seit lange mit Hunnen und Armeniern das feste Petra. Kein Entsatz war nah und fern. Der junge Graf Arahad nur - er suchte wohl den Tod - überfiel mit seiner kleinen Gefolgschaft die Übermacht; er fiel im tapfersten Gefecht. Verzweifelt widerstand das Häuflein gotischer Männer in der Burg. Denn alles wehrlose Volk der Goten: Greise, Kranke, Weiber, Kinder, vom flachen Land in Tuscien, Valeria und Picenum war hierher geflüchtet vor dem Feind, wohl viele Tausend. Endlich zwang sie der Hunger, gegen freien Abzug die Tore zu öffnen. Der Hunne schwor allen Goten in der Stadt, ihr Blut nicht zu vergießen. Er zog ein und befahl den Goten, sich in der großen Basilika Sankt Zenos zu versammeln. Das taten sie, über fünftausend Köpfe, Greise, Weiber, Kinder und ein paar hundert Krieger. Und als sie alle beisammen... -» Teja hielt schaudernd inne. «Nun?» fragte Mataswintha, erblassend. «Da schloß der Hunne die Türen, umstellte das Haus mit seinem Heer und - verbrannte sie alle fünftausend samt der Kirche.» «Und der Vertrag?» rief Witichis. «Ja, so schrien auch die Verzweifelten ihn an durch Qualm und Flammen. , lachte der Hunne, . Und so sahen die Byzantiner zu, wie fünftausend Goten, Greise, Weiber, Kranke, Kinder - König Witichis, hörst du's? Solches geschieht, und du - du sendest Friedensboten! Auf, König Witichis», rief der Ergrimmte, das Schwert aus der Scheide reißend, «wenn du ein Mann bist, brich jetzt auf zur Rache. Die Geister der Erwürgten ziehen vorauf: Führ' uns zum Kampf! Zur Rache führ' uns an!» «Führ' uns zum Kampf! Zur Rache führ' uns an!» widerhallte das Zelt vom Ruf der Goten. Da stand Witichis auf in ruhiger Kraft. «So soll's sein. Das Äußerste geschah. Und unsere beste Rüstung ist unser Recht: jetzt auf, zum Kampf.» Und er reichte seiner Königin die Pergamentrolle, die er in der Hand hielt, die über seinem Stuhl hängende Königsfahne, das blaue Bandum, zu ergreifen. «Ihr seht das alte Banner Theoderichs in meiner Hand, das er von Sieg zu Sieg getragen. Wohl ruht es jetzt in schlechtrer Hand, als seine war: - doch zaget nicht. Ihr wisset: übermütige Zuversicht ist meine Sache nicht, doch diesmal sag' ich euch voraus: in dieser Fahne rauscht ein naher Sieg, ein großer, stolzer, rachefroher Sieg. Folgt mir hinaus. Das Heer bricht auf, sogleich. Ihr Feldherren, ordnet eure Scharen: nach Rom!» «Nach Rom», widerhallte das Zelt. «Nach Rom!» Sechstes Kapitel Inzwischen schickte sich Belisar an, mit der Hauptmacht seines Heeres die Stadt zu verlassen. Johannes hatte er deren Bewachung übertragen. Er hatte beschlossen, die Goten in Ravenna aufzusuchen. Sein bisher von keinem Unfall gehemmter Siegeslauf und die Erfolge seiner vorausgeschickten Streitsachen, die durch den Übergang der Italier alles flache Land, auch alle Festen und Burgen und Städte, bis nahe bei Ravenna, gewonnen, hatten in ihm die Zuversicht erzeugt, daß der Feldzug bald beendigt und nur das Erdrücken der ratlosen Barbaren in ihrem letzten Schlupfwinkel übrig sei. Denn nachdem Belisar selbst den ganzen Süden der Halbinsel: Bruttien, Lucanien, Calabrien, Apulien, Campanien: dann Rom mit Samnium und die Valeria durchzogen und besetzt hatte, waren seine Unterfeldherren, Bessas und Constantinus, mit der lanzentragenden Leibwache des Feldherrn, die unter Führung des Armeniers Zanter, des Persers Chanaranges und des Massageten Aschman standen, vorausgesendet worden, Tuscien zu unterwerfen. Bessas rückte vor das sturmfeste Narnia: für die damaligen Belagerungsmittel war die Burgstadt fast uneinnehmbar: - sie thront auf hohem Berge, dessen Fuß der tiefe Nar umspült. Die beiden einzigen Zugänge, vom Osten und vom Westen, sind ein enger Felsenpaß und die hohe, alte, vom Kaiser Augustus gebaute, befestigte Brücke. - Aber die römische Bevölkerung überwältigte die halbe gotische Hundertschaft, die hier lag, und öffnete den Thrakiern des Bessas die Tore. Dem Constantinus erschlossen sich ebenso ohne Schwertstreich Spoletium und Perusia. Auf der östlichen Seite des Ionischen Meerbusens hatte inzwischen ein andrer Unterfeldherr Belisars, der Comes Sacri Stabuli Constantinus, den Tod zweier byzantinischer Heerführer, des Magister Militum für Illyrien, Mundus, und seines Sohnes Mauricius, die gleich im Anfang des Krieges bei Salona in Dalmatien im Gefecht gegen die Goten gefallen waren, gerächt, Salona besetzt und durch seine große Übermacht die geringen gotischen Scharen zum Rückzug auf Ravenna gezwungen. Ganz Dalmatien und Liburnien war darauf den Byzantinern zugefallen. Von Tuscien aus streiften, wie wir sahen, die Hunnen Justinians schon durch Picenum und bis in die Ämilia. Die Friedensvorschläge des Gotenkönigs hielt Belisar daher für Zeichen der Schwäche. Daß die Barbaren zum Angriff übergehen könnten, fiel ihm nicht ein. Dabei trieb es ihn, Rom zu verlassen, wo es ihn anwiderte, der Gast des Präfekten zu heißen; im freien Felde mußte sein Übergewicht bald wieder hervortreten. Der Präfekt ließ das Kapitol in der treuen Hut Lucius Licinius und folgte dem Zuge Belisars. Vergebens warnte er diesen vor allzu großer Zuversicht. «Bleibe du doch hinter den Felsen des Kapitols, wenn du die Barbaren fürchtest», hatte dieser stolz geantwortet. «Nein», erwiderte dieser. «Eine Niederlage Belisars ist ein zu seltnes Schauspiel, man darf es nicht versäumen.» In der Tat, Cethegus hätte eine Demütigung des großen Feldherrn, dessen Ruhm die Italier allzusehr anzog, gern gesehen. Belisar hatte sein Heer aus den nördlichen Toren der Stadt geführt und wenige Stadien vor der Stadt in einem Lager versammelt, es hier zu mustern und neu zu ordnen und zu gliedern. Schon der starke Zufluß von Italiern, die zu seinen Fahnen geeilt waren, machte es nötig. Auch Ambazuch, Bessas und Constantinus hatte er mit dem größten Teil ihrer Truppen wieder in dies Lager herangezogen: sie ließen in den von ihnen gewonnenen Städten nur kleine Besatzungen zurück. Dunkle Gerüchte von einem anrückenden Gotenheer hatten sich in das Lager verbreitet. Aber Belisar schenkte ihnen keinen Glauben. «Sie wagen es nicht», hatte er dem warnenden Prokop entgegnet. «Sie liegen in Ravenna und zittern vor Belisarius.» Spät in der Nacht lag Cethegus schlaflos auf dem Lager in seinem Zelt. Er ließ die Ampel brennen. «Ich kann nicht schlafen», sagte er «In den Lüften klirrt es wie Waffen und riecht's wie Blut. Die Goten kommen. Sie rücken wohl durch die Sabina, die Via casperia und salara herab.» Da rauschten seine Zeltvorhänge zurück, und Syphax stürzte atemlos an sein Lager. «Ich weiß es schon», sagte Cethegus aufspringend, «was du meldest: die Goten kommen. » «Ja, Herr, morgen sind sie da. Sie zielen auf das salarische Tor. Ich hatte das beste Roß der Königin, aber dieser Totila, der den Vortrab führt, jagt wie der Wind durch die Wüste. Und hier im Lager ahnt niemand etwas.» «Der große Feldherr», lächelte Cethegus, «hat keine Vorposten ausgestellt.» - «Er verließ sich ganz auf den festen Turm an der Aniusbrücke*, aber... -« «Nun, der Turm ist fest.» - «Ja, aber die Besatzung, römische Bürger aus Neapolis, ging zu den Goten über, als sie der junge Totila, der Führer des Vortrabs, anrief. Die Leibwächter Belisars, welche sich widersetzten, wurden gebunden, zumal Junocentius, und Totila ausgeliefert. Der Turm und die Brücke ist in der Goten Hand.» «Es wird hübsch werden! Hast du eine Ahnung, wie stark der Feind?» - «Keine Ahnung. Herr: ich weiß es so genau wie König Witichis selbst. Hier die Liste ihrer Truppen. Sie schickt dir Mataswintha, seine Königin.» Cethegus sah ihn forschend an. «Geschehen Wunder, die Barbaren zu verderben?» «Ja, Herr, Wunder geschehen! Dies sonnenschöne Weib will ihres Volkes Untergang um des einen willen. Und dieser eine ist ihr Gatte.» «Du irrst», sagte Cethegus, «sie liebte ihn schon als Mädchen und kaufte seine Büste.» «Ja, sie liebt ihn. Aber er nicht sie. Und die Marsbüste ward zerschlagen in der Brautnacht.» «Das hat sie dir doch schwerlich selbst gesagt.» «Aber Aspa, die Tochter meines Landes, ihre Sklavin. Sie sagt mir alles. Sie liebt mich. Und sie liebt ihre Herrin, fast wie ich dich. Und Mataswintha will mit dir das Gotenreich verderben. Und sie wird durch Aspa alles schreiben in den Zauberzeichen unseres Stammes. Und ich würde diese Sonnenkönigin zu meinem Weibe nehmen, wenn ich Cethegus wäre.» «Ich auch, wenn ich Syphax wäre. Aber deine Botschaft ist eine Krone wert! Ein listig, rachedürstend Weib wiegt Legionen auf! Jetzt Trotz euch, Belisar, Witichis und Justinian! Erbitte dir eine Gnade, jede, nur nicht die Freiheit: - ich brauche dich noch.« «Meine Freiheit ist - dir dienen. Eine Gunst: laß mich morgen neben dir fechten,» «Nein, mein hübscher Panther, deine Klauen kann ich noch nicht brauchen: - nur deinen Leisegang. Du schweigst gegen jedermann von der Goten Nähe und Stärke. Lege mir die Rüstung an, und gib den Plan der salarischen Straße dort aus der Kapsel. Jetzt rufe mir Marcus Licinius und den Führer meiner Isaurier, Snadil.» Syphax verschwand. Cethegus warf einen Blick auf den Plan. «Also dort her, von Nordwesten, kommen sie, die Hügel herab. Wehe dem, der sie dort aufhalten will. Darauf folgt der tiefe Talgrund, in dem wir lagern. Hier wird die Schlacht geschlagen und verloren. Hinter uns, südöstlich, zieht sich unsre Stellung entlang dem tiefen Bach; in diesen werden wir unfehlbar geworfen: die Brücken werden nicht zu halten sein. Darauf eine Strecke flachen Landes - welch schönes Feld für die gotischen Reiter, uns zu verfolgen! - Noch weiter rückwärts endlich ein dichter Wald und eine enge Schlucht mit dem zerfallnen Kastell Hadrians... Marcus», rief er dem Eintretenden entgegen, «meine Scharen brechen auf. Wir ziehn hinab den Bach in den Wald, und jedem, der dich fragt, dem sagst du: wir ziehn zurück nach Rom.» «Nach Hause? Ohne Kampf?» fragte Marcus erstaunt, «du weißt doch: es steht der Kampf bevor!» «Eben deswegen!» Damit schritt er hinaus, Belisar in seinem Zelt zu wecken. Aber er fand ihn schon wach: Prokop stand bei ihm. «Weißt du's schon, Präfekt? Flüchtendes Landvolk meldet, ein Häuflein gotischer Reiter naht: die Tollkühnen reiten in ihr Verderben: sie wähnen die Straße frei bis Rom.» Und er fuhr fort sich zu rüsten. «Aber die Bauern melden, die Reiter seien nur die Vorhut. Es folge ein furchtbares Heer von Barbaren», warnte Prokop. «Eitle Schrecken! Sie fürchten sich, diese Goten. - Witichis wagt gar nicht, mich aufzusuchen. Endlich habe ich ja, vierzehn Stadien vor Rom, die Atilobrücke durch einen Turm geschützt: Martinus hat ihn gebaut nach meinem Gedanken; - der allein hält der Barbaren Fußvolk mehr als eine Woche auf - mögen auch ein paar Gäule durch den Fluß geschwommen sein.» «Du irrst, Belisarius! Ich weiß es gewiß: das ganze Heer der Goten naht», sprach Cethegus. «So geh nach Hause, wenn du es fürchtest.» - «Ich mache Gebrauch von dieser deiner Erlaubnis. Ich habe mir in diesen Tagen das Fieber geholt. Auch meine Isaurier leiden daran: - ich ziehe mit deiner Gunst nach Rom zurück.» «Ich kenne dieses Fieber», sagte Belisar - «das heißt: - an andern. Es vergeht, sowie man Graben und Wall zwischen sich und dem Feinde hat. Zieh ab, wir brauchen dich so wenig wie deine Isaurier.» Cethegus verneigte sich und ging. «Auf Wiedersehen», sprach er, «o Belisarius. Gib das Zeichen zum Aufbruch meinen Isauriern», sprach er im Lager laut zu Marcus. «Und meinen Byzantinern auch», setzte er leiser bei. «Aber Belisar hat... » - «Ich bin ihr Belisar. Syphax, mein Pferd.» Während er aufstieg, sprengte ein Zug römischer Reiter heran: Fackeln leuchteten dem Anführer vorauf. «Wer da? Ah du, Cethegus? Wie, du reitest ab? Deine Leute ziehn sich nach dem Fluß? Du wirst uns doch nicht verlassen, jetzt, in dieser höchsten Gefahr?» Cethegus beugte sich vor. «Sieh, du, Calpurnius! Ich erkannte dich nicht: du siehst so bleich. Was bringst du von den Vorposten?» «Flüchtige Bauern sagen», sprach Calpurnius ängstlich, «es sei gewiß mehr als eine Streifschar. Es sei der König der Barbaren, Witichis selbst, im raschen Anzug durch die Sabina: sie seien schon auf dem linken Tiberufer: Widerstand ist dann... - Wahnsinn - Verderben. Ich folge dir, ich schließe mich dir an.» «Nein», sagte Cethegus herb, «du weißt, ich bin abergläubisch: ich reite nicht gern mit den Furien verfallnen Männern. Dich wird die Strafe für deinen feigen Knabenmord sicher bald ereilen. Ich habe nicht Lust, sie mit dir zu teilen.» «Doch flüstern Stimmen in Rom, auch Cethegus verschmähe manchmal einen bequemen Mord nicht», sprach Calpurnius grimmig. «Calpurnius ist nicht Cethegus», sprach der Präfekt, stolz davonsprengend. «Grüße mir einstweilen den Hades!» rief er. * Prokop, Gotenkrieg I. 17. 18. setzt hier aus Verwechslung den Tiber statt den Anio. Siebentes Kapitel «Verfluchtes Omen!» knirschte Calpurnius. Und er eilte zu Belisar: «Befehl den Rückzug, rasch, Magister Militum.» -«Warum, Vortrefflicher?» - «Es ist der Gotenkönig selbst.» -«Und ich bin Belisar selbst», sagte dieser, den prachtvollen Helm mit dem weißen Roßschweif aufsetzend. «Wie konntest du deinen Posten im Vordertreffen verlassen?» - «Herr, um dir das zu melden.» - «Das konnte wohl kein Bote? Höre, Römer, ihr seid nicht wert, daß man euch befreit. Du zitterst ja, Mann des Schreckens. Zurück mit dir ins Vordertreffen. Du führst unsre Reiter zum ersten Angriff: ihr, meine Leibwächter Antallas und Kuturgur, nehmt ihn in die Mitte: Er muß tapfer sein, hört ihr? Weicht er - nieder mit ihm! So lehrt man Römer Mut. Der Lagerrufer sagte eben die letzte Stunde der Nacht an. In einer Stunde geht die Sonne auf. Sie muß unser ganzes Heer auf jenen Hügeln finden. Auf! Ambazuch, Bessas, Constantinus, Demetrius, das ganze Lager bricht auf, dem Feind entgegen.» «Feldherr, es ist, wie sie sagen», meldete Maxentius, der treueste der Leibwächter, «zahllose Goten rücken an.» «Sie sind zwei Heere gegen uns», meldete Salomo, Belisars Hypaspisten-Führer. «Ich rechne Belisar ein ganzes Heer.» «Und der Schlachtplan?» fragte Bessas. «Im Angesicht des Feindes entwerf' ich ihn, während des Calpurnius Reiter ihn aufhalten. Vorwärts, gebt die Zeichen, führt Phalion vor.» Und er schritt aus dem Zelte; nach allen Seiten stoben die Heerführer, die Hypaspisten, Prätorianer, Protektoren und Doryphoren auseinander, Befehle gebend, verteilend, empfangend. In einer Viertelstunde war alles in Bewegung gegen die Hügel! Man nahm sich nicht Zeit, das Lager abzubrechen. Aber der plötzliche Aufbruch brachte vielfache Verwirrung. Fußvolk und Reiter gerieten in der dunkeln, mondlosen Nacht untereinander. Auch hatte die Kunde von der Übermacht der vordringenden Barbaren Mutlosigkeit verbreitet. Es waren nur zwei nicht sehr breite Straßen, die gegen die Hügel führten: so gab es manche Stockung und Hemmung. Viel später, als Belisar gerechnet, langte das Heer im Angesicht der Hügel an: und als die ersten Sonnenstrahlen sie beleuchteten, sah Calpurnius, der den Vortrab führte, von allen Seiten gotische Waffen blitzen. Die Barbaren waren Belisar zuvorgekommen. Erschrocken machte Calpurnius halt und sandte Belisar Nachricht. Dieser sah ein, daß Calpurnius mit seinen Reitern nicht die Berge stürmen könne. Er schickte Ambazuch und Bessas mit dem Kern des armenischen Fußvolks ab, um auf der breiten Straße zu stürmen. Den linken und den rechten Flügel führten Constantinus und Demetrius, er selbst brachte im Mitteltreffen seine Leibwachen als Rückhalt heran. Calpurnius, froh des Wechsels im Plan, stellte seine Reiter unter den steilsten Abfall der Hügel, links seitab der Straße, wo kein Angriff zu befürchten schien, den Erfolg von Ambazuchs und Bessas Sturm abzuwarten und die fliehenden Goten zu verfolgen oder die weichenden Armenier aufzunehmen. Oben auf den Höhen aber stellten sich die Goten in langer Ausdehnung in Schlachtordnung. Totilas Reiter waren zuerst eingetroffen. Ihm hatte sich Teja, zu Pferd, vor Kampfbegier fiebernd, angeschlossen: - sein beiltragendes Fußvolk war noch weit zurück: - er hatte sich ausgebeten, ohne Befehlführung, überall, wo es ihn reizte, ins Handgemenge zu greifen. Darauf war Hildebrand eingetroffen und hierauf der König mit der Hauptmacht gefolgt. Herzog Guntharis mit seinen und Tejas Leuten wurden noch erwartet. Pfeilschnell war Teja zu Witichis zurückgeflogen. «König», sagte er, «unter jenen Hügeln steht Belisar. Er ist verloren beim Gott der Rache! Er hat den Wahnsinn gehabt, vorzurücken. Dulde nicht die Schmach, daß er uns zuvorkommt im Angriff.» «Vorwärts!» rief König Witichis, «gotische Männer vor!» In wenigen Minuten hatte er den Rand der Hügel und übersah das Talgefild vor ihm. «Hildebad - den linken Flügel! Du, Totila, brichst mit deinen Reitern hier im Mitteltreffen, die Straße herunter, vor. Ich halte rechts seitab der Straße, bereit, dir zu folgen oder dich zu decken.» «Das wird's nicht brauchen», sagte Totila, sein Schwert ziehend. «Ich bürge dir, sie halten meinen Ritt diesen Hügel herab nicht auf.» «Wir werfen die Feinde in ihr Lager zurück», fuhr der König fort, «nehmen das Lager, werfen sie in den Bach, der dicht hinter dem Lager glänzt: was übrig ist, können eure Reiter, Totila und Teja, über die Ebene jagen bis Rom.» «Ja, wenn wir erst den Paß gewonnen haben, dort in den Waldhügeln, hinter dem Fluß». sagte Teja, mit dem Schwert hinüberdeutend. «Er ist noch unbesetzt, scheint's: ihr müßt ihn mit den Flüchtigen zugleich erreichen.» Da tritt der Bannerträger, Graf Wisand von Vulsinii, der Bandalarius des Heeres, an den König heran. «Herr König, ihr habt mir eine Bitte zu erfüllen zugesagt.» - «Ja, weil du bei Salona den Magister Militum für Illyrien, Mundus, und seinen Sohn vom Roß gestochen.» «Ich habe es nun einmal auf die Magistri Militum abgesehen. Ich möchte denselben Speer auch an Belisar erproben. Nimm mir, nur für heute, das Banner ab, und laß mich den Magister Belisar aufsuchen. Sein Roß, der Rotscheck Phalion oder Balian, wird so sehr gerühmt, und mein Hengst wird steif. Und du kennst das alte gotische Reiterrecht: wirf den Reiter und nimm sein Roß.'» «Gut gotisch Recht!» raunte der alte Hildebrand. «Ich muß die Bitte gewähren», sprach Witichis, das Banner aus der Hand Wisands nehmend. Dieser sprengte eilig hinweg. «Guntharis ist nicht zur Stelle, so trage du es heute, Totila.» «Herr König», entgegnete dieser, «ich kann's nicht tragen, wenn ich meinen Reitern den Weg in die Feinde zeigen soll.» Witichis winkte Teja. «Vergib», sagte dieser: «heut' denk' ich beide Arme sehr zu brauchen.» - «Nun, Hildebad.» «Danke für die Ehre: ich hab's nicht schlechter vor als die andern!» - «Wie», sagte Witichis, fast zürnend, «muß ich mein eigner Bannerträger sein, will keiner meiner Freunde mein Vertrauen ehren?» «So gib mir die Fahne Theoderichs», sprach der alte Hildebrand, den mächtigen Schaft ergreifend. «Mich lüstet weitern Kampfes nicht so sehr. Aber mich freut's, wie die Jungen nach Ruhme dürsten. Gib mir das Banner, ich will's heute wahren wie vor vierzig Sommern.» Und er ritt sofort an des Königs rechte Seite. «Der Feinde Fußvolk rückt den Berg hinan», sprach Witichis, sich im Sattel hebend. «Es sind Hunnen und Armenier», sagte Teja, mit seinem Falkenauge spähend, «ich erkenne die hohen Schilde!» Und den Rappen vorwärts spornend rief er: «Ambazuch führt sie, der eidbrüchige Brandmörder von Petra.» «Vorwärts, Totila», sprach der König, «und aus diesen Scharen - - keine Gefangenen.» Rasch sprengte Totila zu seinen Reitern, die hart an der Mündung der aufsteigenden Straße auf der Höhe aufgestellt waren. Mit scharfen Blick musterte er die Bewaffnung der Armenier, die in tiefen Kolonnen langsam bergauf rückten. Sie trugen schwere, mannshohe Schilde und kurze Speere zu Stoß und Wurf. «Sie dürfen nicht zum Werfen kommen», rief er seinen Reitern zu. Er ließ sie die leichten Schilde auf den Rücken binden und befahl, im Augenblick des Anpralls die langen Lanzen, statt, wie üblich, in der Rechten, in der Linken, der Zügelhand, zu führen, den Zügel einfach um das Handgelenk geschlungen und über die Mähne weg die Lanze aus der rechten in die linke Faust werfend. Dadurch trafen sie auf die rechte, vom Schild nicht gedeckte Seite der Feinde. «Sowie der Stoß angeprallt - sie werden ihm nicht stehen! - werft die Lanze im Armriem zurück, zeht das Schwert und haut nieder, was noch steht.» Er stellte sie nun, die Kolonne der Feinde rechts und links überflügelnd, auf beiden Seiten neben der Straße auf. Er selbst führte den Keil auf der Straße. Er beschloß, den Feind die Hälfte des Hügels herankommen zu lassen. Mit atemloser Spannung sahen beide Heere dem Zusammenstoß entgegen. Ruhig rückte Ambazuch, ein erprobter Soldat, vorwärts. «Laßt sie nur dicht heran, Leute», sagte er, «bis ihr das Schnauben der Rosse im Gesicht spürt. Dann, - und nicht eher, -werft: und zielt mir tief, auf die Brust der Pferde, und zieht das Schwert. So hab' ich noch alle Reiter geschlagen.» Aber es kam anders. Denn als Totila, voransprengend, das Zeichen zum Angriff gab, schien eine donnernde Lawine vom Berg herab über die erschrocknen Feinde einzubrechen. Wie der Sturmwind jagte die blitzende, klirrende, schnaubende, dröhnende Masse heran, und eh' die erste Reihe der Armenier Zeit gefunden, die Wurfspeere zu heben, lag sie schon, von den langen Lanzen auf der schildlosen Seite durchbohrt, niedergestreckt. Sie waren weggefegt, als wären sie nie gestanden. Blitzschnell war das geschehen: und während noch Ambazuch seiner zweiten Reihe, in der er selber stand, Befehl geben wollte, zu knien und die Speere einzustemmen, sah er schon auch seine zweite Reihe überritten, die dritte auseinandergesprengt und die vierte unter Bessas kaum noch Widerstand leistend gegen die furchtbaren Reiter, die jetzt erst dazu kamen, die Schwerter zu ziehen. Er wollte das Gefecht stellen: er flog zurück und rief seinen wankenden Scharen Mut zu. Da erreichte ihn Totilas Schwert: ein Hieb zerschlug ihm den Helm. Er stürzte in die Knie und streckte den Griff seines Schwertes dem Goten entgegen. «Nimm Lösegeld», rief er, «ich bin dein.» Und schon streckte Totila die Hand aus, ihm die Waffe abzunehmen, da rief Tejas Stimme: «Denk an Burg Petra.» Ein Schwert blitzte, und zerspaltenen Haupts sank Ambazuch. Da stob die letzte Reihe der Armenier, Bessas mit fortreißend, entsetzt auseinander, - das Vordertreffen Belisars war vernichtet. Mit lautem Freudenruf hatten König Witichis und die Seinen den Sieg Totilas mit angesehn. «Sieh, jetzt schwenken die hunnischen Reiter, die hier gerade unter uns stehen, gegen Totila», sagte der König zu dem alten Bannerträger. «Totila wendet sich gegen sie. Sie sind viel zahlreicher. Auf! Hildebad, eile die Straße hinunter, ihm zu Hilfe.» «Ah», rief der Alte, sich vorbeugend im Sattel und über den Felsrand spähend, «wer ist der Reitertribun da unten zwischen den zwei Leibwächtern Belisars?» Witichis beugte sich vor. «Calpurnius!» rief er mit geltendem Schrei. Und siehe, urplötzlich sprengte der König, keinen Pfad suchend, gerade wo er stand, hinab die Felshöhe auf den Verhaßten. Die Furcht, er möchte ihm entrinnen, ließ ihn alles vergessen. Und als hätte er Flügel, als hätte der Gott der Rache ihn herabgeführt über Gebüsch und spitze Felsspalten und Schroffen und Gräben sauste der König hinunter. Einen Augenblick faßte den alten Waffenmeister Entsetzen: solchen Ritt hatte er noch nie geschaut. Aber im nächsten Moment schwang er die blaue Fahne und rief: «Nach! Nach eurem König!» Und das berittene Gefolge voran, das Fußvolk, springend und auf den Schilden rutschend, hinterher, brach das Mitteltreffen der Goten plötzlich steil von oben auf die hunnischen Reiter. Calpurnius hatte aufgesehn. Ihm war, als ob sein Name, gellend gerufen, an sein Ohr schlüge. Ihm klang der Ruf wie die Posaune des Weltgerichts. Wie blitzgetroffen wandte er sich und wollte auf und davon. Aber der maurische Le ibwächter zur Rechten fiel ihm in den Zügel: «Halt, Tribun!» sagte Antallas, auf Totilas Reiter deutend - «dort ist der Feind!» Ein Schmerzensschrei riß ihn und Calpurnius zur Linken herum. Denn da stürzte der zweite der Leibwächter, der Hunne Kuturgur, zu seiner Linken klirrend vom Pferd, unter dem Schwerthieb eines Goten, der plötzlich wie vom Himmel gefallen schien. Und hinter diesem Goten drein sprang und kletterte und wogte es den steilen Felshang hinab, der doch pfadlos schien: und die Reiter waren von diesem plötzlich von oben gekommenen Feind in der Flanke umfaßt, während sie gleichzeitig in der Stirnseite mit den Geschwadern Totilas zusammenstießen. Calpurnius erkannte den Goten. «Witichis!» rief er entsetzt und ließ den Arm sinken. Aber sein Pferd rettete ihn; verwundet und scheu geworden durch den Fall des hunnischen Leibwächters zur Linken, setzte es in wilden Sprüngen davon. Der maurische Leibwächter zu seiner Rechten warf sich wütend auf den König der Goten, der ganz allein den Seinigen weit vorausgeeilt war. «Nieder, Tollkühner!» schrie er. Aber im nächsten Augenblick hatte ihn das Schwert Witichis getroffen, der unaufhaltsam alles vor sich niederzuwerfen schien, was ihn von Calpurnius jetzt noch fernhielt. Rasend setzte ihm Witichis nach. Mitten durch die Reihen der hunnischen Reiter, die, entsetzt vor diesem Anblick, auseinanderstoben. Calpurnius hatte sein Pferd wieder bemeistert und suchte jetzt Schutz hinter den stärksten Geschwadern seiner Reiter. Umsonst. Witichis verlor ihn nicht aus dem Auge und ließ nicht von ihm ab. Wie dicht er sich unter seinen Reitern barg, wie rasch er floh, - er entging nicht dem Blicke des Königs, der alles erschlug, was sich zwischen ihn und den Mörder seines Sohnes drängte. Knäuel auf Knäuel, Gruppe auf Gruppe öl ste sich vor dem furchtbaren Schwert des rächenden Vaters: die ganze Masse der Hunnen war quer geteilt von dem Flüchtenden und seinem Verfolger. Sie vermochte nicht, sich wieder zu schließen. Denn ehe noch Totila ganz heran war, hatte der alte Bannerträger mit Reitern und Fußvolk ihre rechte Flanke durchbrochen, in zwei Teile gespalten. Als Totila ansprengte, hatte er nur noch Flüchtlinge zu verfolgen. Der Teil zur Rechten wurde alsbald von Totila und Hildebrand in die Mitte genommen und vernichtet. Der größere Teil zur Linken floh zurück auf Belisar. Calpurnius jagte indessen, wie von Furien gehetzt, über das Schlachtfeld. Er hatte einen großen Vorsprung, da sich Witichis siebenmal erst hatte Bahn hauen müssen. Aber ein Dämon schien Boreas, des Goten Roß, zu treiben. Näher und näher kam er seinem Opfer. Schon vernahm der Flüchtling den Ruf, zu stehen und zu fechten. Noch hastiger spornte er sein Pferd. Da brach es unter ihm zusammen. Noch bevor er sich aufgerafft, stand Witichis vor ihm, der vom Sattel gesprungen war. Er stieß ihm, ohne ein Wort, mit dem Fuß das Schwert hin, das ihm entfallen. Da faßte sich Calpurnius mit dem Mut der Verzweiflung. Er hob das Schwert auf und warf sich mit einem Tigersprung auf den Goten. Aber mitten im Sprung stürzte er rücklings nieder. Witichis hatte ihm die Stirn mitten entzweigehauen. Der König setzte den Fuß auf die Brust der Leiche und sah in das verzerrte Gesicht. Dann seufzte er tief auf: «Jetzt hab' ich die Rache. O hätt' ich mein Kind.» Mit Ingrimm hatte Belisar die so ungünstige Eröffnung des Kampfes mit angesehen. Aber seine Ruhe, seine Zuversicht verließ ihn nicht, als er Ambazuchs und Bessas' Armenier weggefegt, als er des Calpurnius Reiter durchbrochen und geworfen sah. Er erkannte jetzt die Übermacht und Überlegenheit des Feindes. Allein er beschloß, auf der ganzen Linie vorzurücken, eine Lücke lassend, um den Rest der fliehenden Reiter aufzunehmen. Jedoch scharf bemerkten dies die Goten und drängten, Witichis voran, Totila und Hildebrand, welche die Umzingelten vernichtet hatten, folgend, den Flüchtlingen jetzt so ungestüm nach, daß sie mit ihnen zugleich die Linie Belisars zu erreichen und zu durchdringen drohten. Das durfte nicht sein. Belisar füllte diese Lücke selbst durch seine Leibwache zu Fuß und schrie den fliehenden Reitern entgegen, zu halten und zu wenden. Aber es war, als ob die Todesfurcht ihres gefallenen Führers sie alle ergriffen hätte. Sie scheuten das Schwert des Gotenkönigs hinter sich mehr als den drohenden Feldherrn vor sich: und ohne Halt und Fassung rasten sie, als wollten sie ihr eignes Fußvolk niederreiten, im vollen Galopp heran. Einen Augenblick - ein furchtbarer Stoß: - ein tausendstimmiger Schrei der Angst und Wut, - ein wirrer Knäuel von Reitern und Fußvolk minutenlang, - darunter einhauende Goten: und plötzlich ein Auseinanderstieben nach allen Seiten unter gellendem Siegesruf der Feinde. - Belisars Leibwache war niedergeritten, seine Hauptschlachtlinie durchbrochen. - Er befahl den Rückzug ins Lager. Aber es war kein Rückzug mehr: es war eine Flucht. Hildebads, Guntharis' und Tejas Fußvolk waren jetzt auf dem Schlachtfeld eingetroffen. Die Byzantiner sahen ihre Stellung im ganzen geworfen: sie verzweifelten am Widerstand, und mit großer Unordnung eilten sie nach dem Lager zurück. Gleichwohl hätten sie dasselbe noch in guter Zeit vor den Verfolgern erreicht, hätte nicht ein unerwartetes Hindernis alle Wege gesperrt. So siegesgewiß war Belisar ausgezogen, daß er das ganze Fuhrwerk, die Wagen und das Gepäck des Heeres, ja selbst die Herden, die ihm nachgetrieben wurden nach der Sitte jener Zeit, den Truppen auf allen Straßen zu folgen befohlen hatte. Auf diesen langsamen, schwer beweglichen und schwer zu entfernenden Körper stießen nun überall die weichenden Truppen, und grenzenlose Hemmung und Verwirrung trat ein. Soldaten und Troßknechte wurden handgemein: die Reihen lösten sich zwischen den Karren, Kisten und Wagen. Bei vielen erwachte die Beutelust, und sie fingen an, das Gepäck zu plündern, ehe es in die Hände der Barbaren falle. Überall ein Streiten, Fluchen, Klagen, Drohen: dazwischen das Krachen der Lastwagen, die zerbrochen wurden, und das Blöken und Brüllen der erschrockenen Herden. «Gebt den Troß preis! Feuer in die Wagen! Schickt die Reiter durch die Herden!» befahl Belisar, der mit dem Rest seiner Leibwachen in guter Ordnung mit dem Schwert sich Bahn brach. Aber vergebens. Immer unentwirrbarer, immer dichter wurde der Knäuel: - nichts schien ihn mehr lösen zu können. Da zerriß ihn die Verzweiflung. Der Schrei, «die Barbaren über uns!» erscholl aus den hintersten Reihen. Und es war kein leerer Schreck. Hildebad mit dem Fußvolk war jetzt in die Ebene hinabgestiegen, und seine ersten Reihen trafen auf den wehrlosen Knäuel. Da gab es eine furchtbare wogende Bewegung nach vorn: ein tausendstimmiger Schrei der Angst - der Wut - des Schmerzes der Angegriffenen, der Leibwachen, die, alter Tapferkeit gedenk, fechten wollten und nicht konnten: - der Zertretenen und Zerdrückten - und plötzlich stürzte der größte Teil der Wagen, mit ihrer Bespannung und mit den Tausenden, die darauf und dazwischen zusammengedrängt waren, mit donnerndem Krachen links und rechts neben der Hochstraße. So ward der Weg frei. Und unaufhaltsam, ordnungslos ergoß sich der Strom der Flüchtigen nach dem Lager. - Mit lautem Siegesgeschrei folgte das gotische Fußvolk, ohne Mühe mit den Fernwaffen, mit Pfeilen, Schleudern und Wurfspeeren, in dem dichten Gewühl seine Ziele treffend, während Belisar mit Mühe die unaufhörlichen Angriffe der Reiter Totilas und des Königs abwehrte. «Hilf, Belisar», rief Aigan, der Führer der massagetischen Söldner, aus dem eben gesprengten Knäuel heranreitend, das Blut aus dem Gesicht wischend: «meine Landsleute haben heut' den schwarzen Teufel unter den Feinden gesehen. Sie stehn mir nicht. Hilf: dich fürchten sie sonst mehr als den Teufel!» Mit Knirschen sah Belisar hinüber nach seinem rechten Flügel, der aufgelöst über das Blachfeld jagte, von den Goten gehetzt. «O Justinianus, kaiserlicher Herr, wie erfüll' ich schlecht mein Wort!» Und die weitere Deckung des Rückzugs ins Lager dem erprobten Demetrius überlassend - denn das hügelige Terrain, das jetzt erreicht war, schwächte die Kraft der verfolgenden Reiter -, sprengte er mit Aigan und seiner berittenen Garde querfeldein mitten unter die Flüchtenden. «Halt!» donnerte er ihnen zu, «halt, ihr feigen Hunde. Wer flieht, wo Belisar streitet? Ich bin mitten unter euch, kehrt und siegt!» Und aufschlug er das Visier des Helmes und zeigte ihnen das majestätische, das löwengewaltige Antlitz. Und so mächtig war die Macht dieser Heldenpersönlichkeit, so groß das Vertrauen auf sein sieghaftes Glück, daß in der Tat alle, welche die hohe Gestalt des Feldherrn auf seinem Rotscheck erkannten, stutzten, hielten und mit einem Ruf der Ermutigung sich den nachdringenden Goten wieder entgegenwandten. An dieser Stelle wenigstens war die Flucht zu Ende. Da schritt ein gewaltiger Gote heran, leicht sich Bahn brechend. «Heia, das ist fein, daß ihr einmal des Laufens müde seid, ihr flinken Griechlein. Ich konnt' euch nicht mehr nach vor Schnaufen. In den Beinen seid ihr uns überlegen. Laßt sehn, ob auch in den Armen. Ha, was weicht ihr, Burschen! Vor dem, auf dem Braunscheck? Was ist's mit dem?» «Herr, das muß ein König sein unter den Welschen, kaum kann man sein zornig Auge tragen.» «Das wäre! Ah - das muß Belisarius sein! Freut mich», schrie er ihm hinüber, «daß wir uns treffen, du kühner Held. Nun spring vom Roß und laß uns die Kraft der Arme messen. Wisse, ich bin Hildebad, des Tota Sohn. Sieh, auch ich bin ja zu Fuß. Du willst nicht?» rief er zornig. «Muß man dich vom Gaule holen?» Und dabei schwang er in der Rechten wiegend den ungeheuren Speer. «Wende, Herr, weich aus», rief Aigan, «der Riese wirft ja junge Mastbäume.» - «Wende, Herr», wiederholten seine Hypaspisten ängstlich. Aber Belisar ritt, das kurze Schwert gezückt, ruhig dem Goten um eine Pferdelänge näher. Sausend flog der balkengleiche Speer heran, grad gegen Belisars Brust. Aber grad', ehe er traf - ein kräftiger Hieb von Belisars kurzem Römerschwert, und drei Schritte seitwärts fiel der Speer harmlos nieder. «Heil Belisarius! Heil», schrien die Byzantiner ermutigt und drangen auf die Goten ein. «Ein guter Hieb», lachte Hildebad grimmig. «Laß sehen, ob dir deine Fechtkunst auch gegen den hilft.» Und sich bückend hob er aus dem Ackerfeld einen alten, zackigen Grenzstein, schwang ihn mit zwei Armen erst langsam hin und her, hob ihn dann über den Kopf mit beiden Händen und schleuderte ihn mit aller Kraft auf den heransprengenden Helden - ein Schrei des Gefolges: rücklings stürzte Belisar vom Pferd. Da war es aus. «Belisarius tot! Wehe! Alles verloren, wehe!» schrien sie, als die hochragende Gestalt verschwunden, und jagten besinnungslos nach dem Lager zu. Einzelne flohen unaufhaltsam bis an und in die Tore Roms. Umsonst war's daß sich die Lanzen- und Schildträger todesmutig den Goten entgegenwarfen: sie konnten nur ihren Herrn, nicht die Schlacht mehr retten. Den ersten tödlichen Schwerthieb Hildebads, der herangestürmt war, fing der treue Maxentius auf mit der eignen Brust. Aber hier sank auch ein gotischer Reiter endlich vom Roß, der erst nach Hildebad Belisar erreicht und sieben Leibwächter erschlagen hatte, um bis zum Magister Militum durchzudringen. Mit dreizehn Wunden fanden ihn die Seinen. Aber er blieb am Leben. Und er war einer der wenigen, welche den ganzen Krieg durchkämpften und überlebten -, Wisand, der Bandalarius. Belisar, von Aigan und Valentius, seinem Hippokomos (Roßwart) wieder auf den Rotschecken gehoben und rasch von der Betäubung erholt, erhob umsonst den Feldherrnstab und Feldherrnruf: sie hörten nicht mehr und wollten nicht hören. Umsonst hieb er nach allen Seiten unter die Flüchtigen: er wurde fortgerissen von ihren Wogen bis ans Lager. Hier gelang es ihm noch einmal, an einem festen Tor, die nachdringenden Goten aufzuhalten. «Die Ehre ist hin», sagte er unwillig, «laßt uns das Leben wahren.» Mit diesen Worten ließ er die Lagertore schließen, ohne Rücksicht auf die großen Massen der noch Ausgeschlossenen. Ein Versuch des ungestümen Hildebad, ohne weiteres einzudringen, scheiterte an dem starken Eichenholz des Pfahlwerks, das dem Speerwurf und den Schleudersteinen trotzte. Unmutig auf seinen Speer gelehnt, kühlte er sich einen Augenblick von der Hitze. Da bog Teja, der längst, wie der König und Totila, abgesessen, prüfend und das Pfahlwerk messend, um die Ecke des Walls. «Die verfluchte Holzburg», rief ihm Hildebad entgegen. «Da hilft nicht Stein, nicht Eisen.» «Nein», sagte Teja, «aber Feuer!» Er stieß mit dem Fuß in einen Aschenhaufen, der neben ihm lag. «Das sind die Wachtfeuer, samt dem Reisig, von heute nacht. Hier glimmen noch Gluten! Hierher, ihr Männer, steckt die Schwerter ein, entzündet das Reisig! Werft Feuer in das Lager!» «Prachtjunge», jubelte Hildebad, «flugs, ihr Burschen, brennt sie aus, wie den Fuchs aus dem Bau! Der frische Nordwind hilft.» Rasch waren die Wachtfeuer wieder entfacht, Hunderte von Bränden flogen in das trockne Sparrenwerk der Schanze. Und bald schlugen die Flammen lodernd gen Himmel. Der dichte Qualm, vom Wind ins Lager getragen, schlug den Byzantinern ins Gesicht und machte die Verteidigung der Wälle unmöglich. Sie wichen in das Innere des Lagers. «Wer jetzt sterben dürfte!» seufzte Belisar. «Räumt das Lager! Hinaus zur Porta decumana. In gut geschlossener Ordnung zu den Brücken hinter uns!» Aber der Befehl, das Lager zu räumen, zerriß das letzte Band der Zucht, der Ordnung und des Mutes. Während unter Tejas dröhnenden Axthieben die verkohlten Torbalken niederkrachten und mitten durch Flammen und Qualm der schwarze Held, wie ein Feuerdämon, der erste durch das prätorische Tor ins Lager sprang, rissen die Flüchtenden alle Tore, auch die seitwärts aus dem Lager nach Rom zu führten, die Portä prinzipalis rechts und links, auf einmal auf und strömten in wirren Massen nach dem Fluß. Die ersten erreichten noch sicher und unverfolgt die beiden Brücken; sie hatten großen Vorsprung, bis Hildebad und Teja Belisar aus dem brennenden Lager herausgedrängt. Aber plötzlich - neues Entsetzen! - schmetterten die gotischen Reiterhörner ganz nahe. Witichis und Totila hatten sich, sowie sie das Lager genommen wußten, sogleich wieder zu Pferd geworfen und führten nun ihre Reiter von beiden Seiten, links und rechts vom Lager her, den Flüchtenden in die Flanken. Eben war Belisar aus dem decumanischen Lagertor gesprengt und eilte nach der einen Brücke zu, als er von links und rechts die verderblichen Reitermassen heransausen sah. Noch immer verlor der gewaltige Kriegsmann die Fassung nicht. «Vorwärts im Galopp an die Brücken!» befahl er seinen Sarazenen, «deckt sie!» Es war zu spät: Ein dumpfer Krach, gleich darauf ein zweiter, die beiden schmalen Brücken waren unter der Last der Flüchtenden eingebrochen, und zu Hunderten stürzten die hunnischen Reiter und die illyrischen Lanzenträger, Justinians Stolz, in das sumpfige Gewässer. Ohne Bedenken spornte Belisar, an dem steilen Ufer angelangt, sein Pferd in die schäumende und blutig gefärbe Flut. Schwimmend erreichte er das andere Ufer. «Salomo, Dahisthäos», sagte er, sowie er drüben gelandet, zu seinen raschesten Prätorianern, «auf, nehmt hundert aus meinen Reiterwachen und jagt, was ihr könnt, nach dem Engpaß. Überreitet alle Flüchtigen. Ihr müßt ihn vor den Goten erreichen, hört ihr? Ihr müßt! Er ist unser letzter Strohhalm.» Beide gehorchten und sprengten blitzschnell davon. Belisar sammelte, was er von den zerstreuten Massen erreichen konnte. Die Goten waren wie die Byzantiner durch den Fluß eine Weile aufgehalten. Aber plötzlich rief Aigan: «Da sprengt Salomo zurück!» - «Herr», rief dieser heranjagend: «alles ist verloren! Waffen blitzen im Engpaß. Er ist schon besetzt von den Goten.» Da, zum erstenmal an diesem Tage des Unglücks, zuckte Belisar zusammen. «Der Engpaß verloren? - Dann entkommt kein Mann vom Heere meines Kaisers. Dann fahrt wohl: Ruhm, Antonina und Leben. Komm, Aigan, zieh das Schwert - laß mich nicht lebend fallen in Barbarenhand.» «Herr», sagte Aigan, «so hört' ich euch nie reden.» «So war's auch noch nie. Laß uns absteigen und sterben.» Und schon hob er den rechten Fuß aus dem Bügel, vom Roß zu springen, da sprengte Dagisthäos heran -: «Getrost, mein Feldherr!» «Nun?» - «Der Engpaß ist unser - römische Waffen sind's, die wir dort sahen. Es ist Cethegus, der Präfekt! Er hielt ihn geheim besetzt.» «Cethegus?» rief Belisar. «Ist's möglich? Ist's gewiß?» «Ja, mein Feldherr. Und seht, es war hoch an der Zeit.» Das war es. Denn eine Schar gotischer Reiter, von König Witichis gesendet, den Flüchtenden am Engpaß vorauszukommen, hatte durch eine Furt den Fluß durchschritten, den Reitern Belisars den Weg abgeschnitten und vor ihnen den verhängnisvollen Paß erreicht. Aber eben als sie dort einwollten, brach Cethegus an der Spitze seiner Isaurier aus dem Versteck der Schlucht hervor und warf die überraschten Goten nach kurzem Gefecht in die Flucht. «Der erste Glanz des Sieges an diesem schwarzen Tag!» rief Belisar. «Auf, nach dem Engpaß!» Und mit besserer Ordnung und Ruhe führte der Feldherr seine gesammelten Scharen an die Waldhügel. «Willkommen in Sicherheit, Belisarius», rief ihm Cethegus zu, seine Schwertklinge säubernd. «Ich warte hier auf dich seit Tagesanbruch. Ich wußte wohl, daß du zu mir kommen würdest.» «Präfekt von Rom», sprach Belisar, ihm vom Pferd herunter die Hand reichend: «du hast des Kaisers Heer gerettet, das ich verloren hatte: ich danke dir.» Die frischen Truppen des Präfekten hielten, eine undurchdringliche Mauer, den Paß besetzt, die zerstreut heranflüchtenden Byzantiner durchlassend und Angriffe der ersten ermüdeten Verfolger, die über den Fluß gedrungen - sie hatten einen vollen Tag des Kampfes hinter sich -, in der günstigen Stellung ohne Mühe abwehrend. Vor Einbruch der Dunkelheit nahm König Witichis seine Scharen zurück, auf dem Schlachtfeld ihres Sieges zu übernachten, während Belisar mit seinen Feldherren einstweilen im Rücken des Passes, so gut es gehen wollte, die aufgelösten Heeresmassen, wie sie zerstreut und vereinzelt eintrafen, ordnete. Als Belisar wieder einige tausend Mann beisammen hatte, ritt er zu Cethegus heran und sprach: «Was meinst du, Präfekt von Rom? Deine Truppen sind noch frisch. Und die Unsern müssen ihre Scharte auswetzen. Laß uns hervorbrechen noch einmal - die Sonne geht noch nicht gleich unter - und das Los des Tages wenden.» Mit Staunen sah ihn Cethegus an und sprach die Worte Homers: «Wahrlich, ein schreckliches Wort, du Gewaltiger, hast du gesprochen. Unersättlicher! So schwer erträgst du's, ohne Sieg aus einer Schlacht zu gehn? Nein, Belisarius! dort winken die Zinnen Roms: dahin führe deine todesmatten Völker. Ich halte diesen Paß, bis ihr die Stadt erreicht. Und froh will ich sein, wenn mir das gelingt.» Und so war's geschehn. Belisar vermochte unter den damaligen Umständen weniger als je den Präfekten gegen dessen Willen zu bewegen. So gab er nach und führte sein Heer nach Rom zurück, das er mit dem Einbruch der Nacht erreichte. Lange wollte man ihn nicht einlassen. Den von Staub und Blut Bedeckten erkannte man nur schwer. Auch hatten Versprengte die Nachricht aus der Schlacht in die Stadt getragen, der Feldherr sei gefallen und alles verloren. Endlich erkannte ihn Antonina, die ängstlich auf den Wällen seiner harrte. Durch das pincianische Tor ließ man ihn ein; es hieß seitdem Porta belisaria. Feuerzeichen auf den Wällen zwischen dem flaminischen und dem pincianischen Tor verkündeten die Erreichung Roms dem Präfekten, der nun, in guter Ordnung und von den ermüdeten Siegern kaum verfolgt, im Schutze der Nacht seinen Rückzug bewerkstelligte. Nur Teja drängte nach mit einigen seiner Reiter bis an das Hügelland, wo heute Villa Borghese liegt, und bis zur Aqua Acetosa. Achtes Kapitel Am Tage darauf erschien das ganze zahlreiche Heer der Goten vor der ewigen Stadt, die es in sieben Lagern umschloß. Und nun begann jene denkwürdige Belagerung, die nicht minder das Feldherrntalent und die Erfindungsgabe Belisars als den Mut der Belagerer entfalten sollte. Mit Schrecken hatten die Bürger Roms von ihren Mauern herab mit angesehen, wie die Scharen der Goten nicht enden wollten. «Sieh hin Präfekt, sie überflügeln alle deine Mauern.» -«Ja! In die Breite! Laß sehen, ob sie sie in der Höhe überflügeln. Ohne Flügel kommen sie nicht herüber.» Nur zwei Tausendschaften hatte Witichis in Ravenna zurückgelassen, acht hatte er unter den Grafen Uligis von Urbssalvia und Ansa von Asculum nach Dalmatien entsendet, diese Provinz und Liburnien den Byzantinern zu entreißen und zumal das wichtige Salona wiederzugewinnen; durch Söldner in Savien geworben, sollten sie sich verstärken. Auch die gotische Flotte sollte - gegen Tejas Rat! - dort, nicht gegen den Hafen von Rom, Portus, wirken. Den Umkreis der Stadt Rom aber und ihre weit hinausgestreckten Wälle, die Mauern Aurelians und des Präfekten, umgürtete nun der König mit einhundertundfünfzig Tausendschaften. Rom hatte damals fünfzehn Haupttore und einige kleinere. Von diesen umschlossen die Goten den schwächeren Teil der Umwallung, den Raum, der von dem flaminischen Tor im Norden (östlich von der jetzigen Porta del Popolo) bis zum pränestinischen Tor reicht, vollständig mit sechs Heerlagern; nämlich die Wälle vom flaminischen Tor gegen Osten bis ans pincianische und salarische, dann bis an das nomentanische Tor (südöstlich von Porta pia), ferner bis gegen das «geschlossene Tor», die Porta clausa, endlich südlich von da das tiburtinische Tor (heute Porta San Lorenzo) und das asinarische, metronische, latinische (an der Via latina), das appische (an der Via appia) und das Sankt-Pauls-Tor, das zunächst dem Tiberufer lag. Alle diese sechs Lager waren auf dem linken Ufer des Flusses. Um aber zu verhüten, daß die Belagerten durch Zerstörung der milvischen Brücke den Angreifern den Übergang über den Fluß und das ganze Gebiet auf dem rechten Tiberufer bis an die See abschnitten, schlugen die Goten ein siebentes Lager auf dem rechten Tiberufer: «auf dem Felde Neros», vom vatikanischen Hügel bis gegen die milvische Brücke hin (unter dem «Monte Mario»). So war die milvische Brücke durch ein Gotenlager gedeckt und die Brücke Hadrians bedroht, sowie der Weg nach der Stadt durch die «Porta Sancti Petri», wie man damals schon, nach Prokops Bericht, das innere Tor Aurelians nannte. Es war das nächste an dem Grabmal Hadrians. Aber auch das Tor von Sankt Pankratius rechts des Tibers war von den Goten scharf beobachtet. Dies Lager auf dem neronischen Feld, auf dem rechten Tiberufer, zwischen dem pankratischen und dem Petrus-Tor, überwies Witichis dem Grafen Markja von Mediolanum, der aus den Cottischen Alpen und der Beobachtung der Franken zurückgerufen worden war. Aber der König selbst weilte oft hier, das Grabmal Hadrians mit scharfen Blicken prüfend. Er hatte kein einzelnes Lager übernommen, sich die Gesamtleitung vorbehaltend, vielmehr die sechs übrigen an Hildebrand, Totila, Hildebad, Teja, Guntharis und Grippa verteilt. Jedes der sieben Lager ließ der König mit einem tiefen Graben umziehn, die dadurch ausgehobne Erde zu einem hohen Wall zwischen Graben und Lager aufhäufen und diesen mit Pfahlwerk verstärken, sich gegen Ausfälle zu sichern. Aber auch Belisar und Cethegus verteilten ihre Feldherren und Mannschaften nach den Toren und Regionen Roms. Belisar übertrug das pränestinische Tor im Osten der Stadt (heute Porta maggiore) Bessas, das stark bedrohte flaminische, dem ein gotisches Lager, das Totilas, in gefährlicher Nähe lag, Constantinus, der es durch Marmorquadern, aus römischen Tempeln und Palästen gebrochen, fast ganz zubauen ließ. Belisar selbst schlug sein Standlager auf im Norden der Stadt. Dieser war unter den ihm von Cethegus eingeräumten Teilen der Festung Rom der schwächste. Den Westen und Süden hielt eifersüchtig, unentfernbar und unentbehrlich, der Präfekt. Aber hier im Norden war Belisar Herr: zwischen dem flaminischen und dem pincianischen oder nun «belisarischen» -Tor, dem schwächsten Teil der Umwallung, ließ er sich nieder, zugleich Ausfälle gegen die Barbaren planend. Die übrigen Tore überwies er den Führern des Fußvolks Peranius Magnus, Ennes, Artabanes, Azarethas und Chilbudius. Der Präfekt hatte alle Tore auf dem rechten Tiberufer übernommen, die neue Porta aurelia an der älischen Brücke bei dem Grabmal Hadrians, die Porta septimiana, das alte aurelische Tor, das nun das pankratische hieß, und die Porta portuensis, auf dem linken Ufer aber noch das Tor Sankt Pauls. Erst das nächste Tor weiter östlich, das ardeatinische, stand unter byzantinischer Besatzung: Chilbudius befehligte hier. Gleich unermüdlich und gleich erfinderisch erwiesen sich die Belagerer und die Belagerten in Plänen des Angriffs und der Verteidigung. Lange Zeit handelte es sich nur um Maßregeln, welche die Bedrängung der Römer ohne Sturm, vor dem Sturm, bezweckten, und andrerseits sie abwehren sollten. Die Goten, Herren und Meister der Campagna, suchten die Belagerten auszudursten: sie schnitten alle die prachtvollen vierzehn Wasserleitungen ab, welche die Stadt speisten. Belisar ließ vor allem, als er dies vernahm, die Mündungen innerhalb der Stadt verschütten und vermauern. «Denn», hatte ihm Prokop gesagt, «nachdem du, o großer Held Belisarius, durch eine solche Wasserrinne nach Neapolis hineingekrochen bist, könnte es den Barbaren einfallen, - und kaum schimpflich scheinen, -auf dem gleichen Heldenpfad sich nach Rom hineinzukrabbeln.» Den Genuß des geliebten Bades mußten die Belagerten entbehren: kaum reichten die Brunnen in den vom Fluß entlegenen Stadtteilen für das Trinkwasser aus. Durch das Abschneiden des Wassers hatten aber die Barbaren den Römern auch das Brot abgeschnitten. - Wenigstens schien es so. Denn die sämtlichen Wassermühlen Roms versagten nun. Das aufgespeicherte Getreide, das Cethegus aus Sizilien gekauft, das Belisar aus der Umgegend Roms zwangsweise hatte in die Stadt schaffen lassen, trotz des Murrens der Pächter und Colonen, dieses Getreide konnte nicht mehr gemahlen werden. «Laßt die Mühlen durch Esel und Rinder drehen!» rief Belisar. «Die meisten Esel waren klug genug und die Rinder, ach Belisarius», sprach Prokop, «sich nicht mit uns hier einsperren zu lassen. Wir haben nur so viel, als wir brauchen, sie zu schlachten. Sie können unmöglich erst Mühlen drehen und dann noch Fleisch genug haben, das gemahlene Brot selbst zu belegen.» «So rufe mir Martinus. Ich habe gestern an dem Tiber, die Gotenzelte zählend, zugleich einen Gedanken gehabt... -» «Den Martinus wieder aus dem Belisarischen in das Mögliche übersetzen muß. Armer Mann! Aber ich gehe, ihn zu holen.» Als aber am Abend des gleichen Tages Belisar und Martinus durch zusammengelegte Boote im Tiber die erste Schiffsmühle herstellten, welche die Welt kannte, da sprach bewundernd Prokopius: «Das Brot der Schiffsmühle wird länger die Menschen erfreun, als deine größten Taten. Dies so gemahlene Mehl schmeckt nach Unsterblichkeit.» Und wirklich ersetzten die von Belisar erdachten, von Martinus ausgeführten Schiffsmühlen den Belagerten während der ganzen Dauer der Einschließung die gelähmten Wassermühlen. Hinter der Brücke nämlich, die jetzt Ponte San Sisto heißt, auf der Senkung des Janiculus, befestigte Belisar zwei Schiffe mit Seilen und legte Mühlen über deren flaches Deck, so daß die Mühlenräder durch den Fluß, der aus dem Brückenbogen mit verstärkter Gewalt hervorströmte, von selbst getrieben wurden. Eifrig trachteten alsbald die Belagerer, diese Vorrichtungen, die ihnen Überläufer schilderten, zu zerstören. Balken, Holzflöße, Bäume warfen sie oberhalb der Brücke von dem von ihnen beherrschten Teil aus in den Fluß und zertrümmerten so in einer Nacht wirklich alle Mühlen. Aber Belisar ließ sie wieder herstellen und nun oberhalb der Brücke starke Ketten gerade über den Fluß ziehen und so auffangen, was die Mühlen bedrohend herabtrieb. Nicht nur seine Mühlen sollten diese eisernen Stromriegel decken: sie sollten auch verhindern, daß die Goten auf Kähnen und Flößen den Fluß herab und, ohne die Brücke, in die Stadt drängten. Denn Witichis traf nun alle Vorbereitungen zum Sturm. Er ließ hölzerne Türme bauen, höher als die Zinnen der Stadtmauer, die auf vier Rädern von Rindern gezogen werden sollten. Dann ließ er Sturmleitern in großer Zahl beschaffen und vier furchtbare Widder oder Mauerbrecher, die je eine halbe Hundertschaft schob und bediente. Mit unzähligen Bündeln von Reisig und Schilf sollten die tiefen Gräben ausgefüllt werden. Dagegen pflanzten Belisar und Cethegus, jener im Norden und Osten, dieser im Westen und Süden die Verteidigung der Stadt überwachend, Ballisten und Wurfbogen auf die Wälle, die auf große Entfernung balkenähnliche Speergeschosse schleuderten, mit solcher Kraft, daß sie einen gepanzerten Mann völlig durchbohrten. Die Tore schützten sie durch «Wölfe», d. h. Querbalken, mit eisernen Stacheln besetzt, die man auf die Angreifer niederschmettern ließ, wann sie dicht bis an das Tor gelangt waren. Und endlich streuten sie zahlreiche Fußangeln und Stachelkugeln auf den Vorraum zwischen den Gräben der Stadt und dem Lager der Barbaren. Neuntes Kapitel Trotz alledem, sagten die Römer, hätten längst die Goten die Mauern erstiegen, wäre nicht des Präfekten Egeria gewesen. Denn es war merkwürdig: sooft die Barbaren einen Sturm vorbereiteten -: Cethegus ging zu Belisar und warnte und bezeichnete im voraus den Tag. Sooft Teja oder Hildebad in kühnem Handstreich ein Tor zu überrumpeln, eine Schanze wegzunehmen gedachten: - Cethegus sagte es vorher, und die Angreifer stießen auf das Zweifache der gewöhnlichen Besatzung der Punkte. Sooft in mächtigem Überfall die Kette des Tibers gesprengt werden sollte: Cethegus schien es geahnt zu haben und schickte den Schiffen der Feinde Brander und Feuerkähne entgegen. So ging es viele Monate hin. Die Goten konnten sich nicht verhehlen, daß sie, trotz unablässiger Angriffe, seit Anfang der Belagerung keinerlei Forstschritte gemacht. Lange trugen sie diese Unfälle, die Entdeckung und Vereitelung all ihrer Pläne, mit ungebeugtem Mut. Aber allmählich bemächtigte sich nicht bloß der großen Masse Verdrossenheit, insbesondere da Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werden begann, - auch des Königs klarer Sinn wurde von trüber Schwermut verdüstert, als er all seine Kraft, all seine Ausdauer, all seine Kriegskunst wie von einem bösen Dämon vereitelt sah. Und kam er von einem fehlgeschlagenen Unternehmen, von einem verunglückten Sturm, matt und gebeugt, in sein Königszelt, so ruhten die stolzen Augen seiner schweigsamen Königin mit einem ihm unverständlichen, aber grauenvoll unheimlichen Ausdruck auf ihm, daß er sich schaudernd abwandte. «Es ist nicht anders», sagte er finster zu Teja, «es ist gekommen, wie ich vorausgesagt. Mit Rauthgundis ist mein Glück von mir gewichen, wie die Freudigkeit meiner Seele. Es ist, als läge ein Fluch auf meiner Krone. Und diese Amalungentochter wandelt um mich her, schweigend und finster, wie mein lebendiges Unglück.» «Du könntest recht haben», sprach Teja. «Vielleicht lös' ich diesen Zauberbann. Gib mir Urlaub für heut' nacht.» Am selben Tage, fast in derselben Stunde, forderte drinnen in Rom Johannes, der Blutige, von Belisar Urlaub für diese Nacht. Belisar schlug es ab. «Jetzt ist nicht Zeit zu nächtlichen Vergnügen», sagte er. «Wird kein groß Vergnügen sein, in der Nacht zwischen alten feuchten Mauern und gotischen Lanzen einem Fuchs nachzuspüren, der zehnmal schlauer ist als wir beide.» «Was hast du vor?» fragte Belisar, aufmerksam werdend. «Was ich vorhabe? Ein Ende zu machen der verfluchten Stellung, in der wir alle, in der du, o Feldherr, nicht zum mindesten stehst. Es ist schon alles ganz recht. Seit Monaten liegen die Barbaren vor diesen Mauern und haben nichts dabei gewonnen. Wir erschießen sie wie Knaben die Dohlen vom Hinterhalt und können ihrer lachen. Aber wer ist er eigentlich, der all dies vollbringt? Nicht, wie es sein sollte, du, des Kaisers Feldherr, noch des Kaisers Heer: sondern dieser eisige Römer, der nur lachen kann, wenn er höhnt. Der sitzt da oben im Kapitol und verlacht den Kaiser und die Goten und uns und, mit Verlaub zu sagen, dich selber am meisten. Woher weiß dieser Odysseus und Ajax in einer Person alle Gotenpläne so scharf, als säße er mit im Rat des Königs Witichis? Durch sein Dämonium, sagen die einen. Durch seine Egeria, sagen die andern. Er hat einen Raben, der hören und sprechen kann wie Menschen, meinen wieder andere: den schickt er alle Nacht ins Gotenlager. Das mögen die alten Weiber glauben und die Römer, nicht meiner Mutter Sohn. Ich glaube den Raben zu kennen und das Dämonium. Gewiß ist, er kann die Kunde nur aus dem Gotenlager selbst holen, laß uns doch sehen, ob wir nicht selbst an seiner Statt aus dieser Quelle schöpfen könnten.» «Ich habe das längst bedacht, aber ich sah kein Mittel.» «Ich habe von meinen Hunnen alle seine Schritte belauern lassen. Es ist verdammt schwer: denn dieser braune Maurenteufel folgt ihm wie ein Schatten. Aber tagelang ist Syphax fern: - und dann gelingt es eher. Nun, ich habe erspäht, daß Cethegus so manche Nacht die Stadt verließ, bald aus der Porta portuensis, rechts vom Tiber, bald aus der Porta Sankt Pauls, links vom Tiber im Süden, die er beide besetzt hält. Weiter wagten ihm die Späher nicht zu folgen. Ich aber denke heute nacht - denn heute muß es wieder treffen, - ihm so nicht von den Fersen zu weichen. Doch muß ich ihn vor dem Tore erwarten: seine Isaurier ließen mich nicht durch; ich werde bei einer Runde vor den Mauern in einem der Gräben zurückbleiben.» «Gut. Es sind aber, wie du sagst, zwei Tore zu beobachten.» -«Deshalb hab' ich mir Perseus, meinen Bruder, zum Genossen erkoren; er hütet das paulinische, ich das portuensische Tor; verlaß dich drauf - bis morgen vor Sonnenaufgang kennt einer von uns das Dämonium des Präfekten.» Und wirklich: einer von ihnen sollte es kennenlernen. Gerade gegenüber dem Sankt-Pauls-Tor, etwa drei Pfeilschüsse von den äußersten Gräben der Stadt, lag ein mächtiges altertümliches Gebäude, die Basilika Sancti Pauli extra muros, die Paulskapelle vor den Mauern, deren letzte Reste erst zur Zeit der Belagerung Roms durch den Connetable von Bourbon völlig verschwanden. Ursprünglich ein Tempel des Jupiter Stator, war der Bau seit zwei Jahrhunderten dem Apostel geweiht worden: aber noch stand die bronzene Kolossalstatue des bärtigen Gottes aufrecht: man hatte ihm nur den flammenden Donnerkeil aus der Rechten genommen und dafür ein Kreuz hineingeschoben. Im übrigen paßte die breite und bärtige Gestalt gut zu ihrem neuen Namen. Es war um die sechste Stunde der Nacht. Der Mond stand glanzvoll über der ewigen Stadt und goß sein silbernes Licht über die Mauerzinnen und über die Ebene, zwischen den römischen Schanzen und der Basilika, deren schwarze Schatten nach dem Gotenlager hin fielen. Eben hatte die Wache am Sankt-Pauls-Tor gewechselt. Aber es waren sieben Mann hinausgeschritten, und nur sechs kamen herein. Der siebente wandte der Pforte den Rücken und schritt hinaus ins freie Feld. Vorsichtig wählte er seinen Weg: vorsichtig vermied er die zahlreichen Fußangeln, Wolfsgruben, Selbstschüsse vergifteter Pfeile, die hier überall umhergestreut waren und manchem Goten bei den Angriffen auf die Stadt Verderben gebracht hatten. Der Mann schien sie alle zu kennen und wich ihnen leicht aus. Aber er vermied auch das Mondlicht sorgfältig, den Schatten der Mauervorsprünge suchend und oft von Baum zu Baum springend. Als er aus dem äußersten Graben auftauchte, sah er sich um und blieb im Schatten einer Zypresse stehen, deren Zweige die Ballistengeschosse zerschmettert hatten. Er entdeckte nichts Lebendes weit und breit: und er eilte nun mit raschen Schritten der Kirche zu. Hätte er nochmal umgeblickt, er hätte es wohl nicht getan. Denn sowie er den Baum verließ, tauchte aus dem Graben eine zweite Gestalt hervor, die in drei Sprüngen ihrerseits den Schatten der Zypresse erreicht hatte. «Gewonnen, Johannes! Du stolzer Bruder, diesmal war das Glück dem jüngeren Bruder hold. Jetzt ist Cethegus mein und sein Geheimnis.» Und vorsichtig folgte er dem rasch Voranschreitenden. Aber plötzlich war dieser vor seinen Augen verschwunden, als habe ihn die Erde verschlungen. Es war hart an der äußeren Mauer der Kirche, die doch dem Armenier, als er sie erreichte, keine Tür oder Öffnung zeigte. «Kein Zweifel», sagte der Lauscher, «das Stelldichein ist drinnen im Tempel: ich muß nach.» Allein an dieser Stelle war die Mauer unübersteiglich. Tastend und suchend bog der Späher um die Ecke derselben. Umsonst, die Mauer war überall gleich hoch. - Im Suchen verstrich ihm fast eine Viertelstunde. Endlich fand er eine Lücke in dem Gestein: mühsam zwängte er sich hindurch. Und er stand nun im Vorhofe des alten Tempels, in dem die dicken dorischen Säulen breite Schatten warfen, in deren Schutz er von der rechten Seite her bis an das Hauptgebäude gelangte. Er spähte durch einen Riß des Gemäuers, den ihm die Zugluft verraten hatte. Drinnen war alles finster. Aber plötzlich wurde sein Auge von einem grellen Lichtstrahl geblendet. Als er es wieder aufschlug, sah er einen hellen Streifen in der Dunkelheit: er rührte von einer Blendlaterne her, deren Licht sich plötzlich gezeigt hatte. Deutlich erkannte er, was in dem Bereich der Laterne stand, den Träger derselben aber nicht, wohl dagegen Cethegus, den Präfekten, der hart vor der Statue des Apostels stand und sich an diese zu lehnen schien. Vor ihm stand eine zweite Gestalt: ein schlankes Weib, auf dessen dunkelrotes Haar schimmernd das Licht der Laterne fiel. «Die schöne Gotenkönigin, bei Eros und Anteros!» dachte der Lauscher: «kein schlechtes Stelldichein, sei's nun Liebe, sei's Politik! Horch, sie spricht. Leider kam ich zu spät, auch den Anfang der Unterredung zu hören.» «Also: merk' es dir wohl! Übermorgen auf der Straße vor dem Tor von Tibur wird etwas Gefährliches geplant.» - «Gut: aber was?» fragte des Präfekten Stimme. - «Genaueres konnte ich nicht erkunden: und ich kann es dir auch nicht mehr mitteilen, wenn ich es noch erfahre. Ich wage nicht mehr, dich hier wiederzusehen: denn... -» Sie sprach nun leiser. Perseus drückte das Ohr hart an die Spalte: da klirrte seine Schwertscheide an das Gestein, und nun traf ihn ein Strahl des Lichts. «Horch!» rief eine dritte Stimme - es war eine Frauenstimme, die der Trägerin der Laterne, die sich jetzt in dem Strahl ihres eigenen Blendlichts gezeigt hatte, da sie sich rasch gegen die Richtung des Schalles gekehrt hatte. Perseus erkannte eine Sklavin in maurischer Tracht. Einen Augenblick schwieg alles in dem Tempel. Perseus hielt den Atem an. Er fühlte, es galt das Leben. Denn Cethegus griff ans Schwert. «Alles still», sagte die Sklavin. «Es fiel wohl nur ein Stein auf den Erzbeschlag draußen.» «Auch in das Grab vor dem portuensischen Tor geh' ich nicht mehr. Ich fürchte, man ist uns gefolgt.» - «Wer?» - «Einer, der niemals schläft, wie es scheint: Graf Teja.» Des Präfekten Lippe zuckte. «Und er ist auch bei einem rätselhaften Eidbund gegen Belisars Leben: der bloße Scheinangriff gilt dem Sankt-Pauls-Tor.» - «Gut!» sagte Cethegus nachdenklich. «Belisar würde nicht entrinnen, wenn nicht gewarnt. Sie liegen irgendwo, - aber ich weiß nicht wo - fürcht' ich, im Hinterhalt, mit Übermacht, Graf Totila führt sie.» «Ich will ihn schon warnen!» sagte Cethegus langsam. «Wenn es gelänge...!» - «Sorge nicht, Königin! Mir liegt an Rom nicht weniger denn dir. Und wenn der nächste Sturm fehlschlägt, - so müssen sie die Belagerung aufgeben, so zähe sie sind. Und das, Königin, ist dein Verdienst. Laß mich in dieser Nacht - vielleicht der letzten, da wir uns treffen, - dir mein ganzes staunendes Herz enthüllen. Cethegus staunt nicht leicht, und nicht leicht gesteht er's, wenn er staunen muß. Aber dich - bewundere ich, Königin. Mit welch todverachtender Kühnheit, mit welch dämonischer List hast du alle Pläne der Barbaren vereitelt! Wahrlich: viel tat Belisar, mehr tat Cethegus, - das meiste: Mataswintha.» «Sprächst du wahr!» sagte Mataswintha mit funkelnden Augen. «Und wenn die Krone diesem Frevler vom Haupte fällt... » «War es deine Hand, deren sich das Schicksal Roms bedient hat. Aber, Königin, nicht damit kannst du enden! Wie ich dich erkannte, in diesen Monaten - darfst du nicht als gefangene Gotenkönigin nach Byzanz. Diese Schönheit, dieser Geist, diese Kraft muß herrschen - nicht dienen, in Byzanz. Darum bedenke, wenn er nun gestürzt ist - dein Tyrann, - willst du nicht dann den Weg gehn, den ich dir gezeigt?» «Ich habe noch nie über seinen Fall hinaus gedacht», sagte sie düster. «Aber ich - für dich! Wahrlich, Mataswintha», - und sein Auge ruhte mit Bewunderung auf ihr, «du bist - wunderschön. Ich rechn' es mir zum größten Stolz, daß selbst du mich nicht in Liebe entzündet und von meinen Plänen abgebracht hast. Aber du bist zu schön, zu köstlich, nur der Rache und dem Haß zu leben. Wenn unser Ziel erreicht dann nach Byzanz! Als mehr denn Kaiserin: - als Überwinderin der Kaiserin!» «Wenn mein Ziel erreicht, ist mein Leben vollendet. Glaubst du, ich ertrüge den Gedanken, aus eitel Herrschsucht mein Volk zu verderben, um kluger Zwecke willen? Nein: ich konnt' es nur, weil ich mußte. Die Rache ist jetzt meine Liebe und mein Lebe und...-» Da scholl von der Fronte des Gebäudes her, aber noch innerhalb der Mauer, laut und schrillend der Ruf des Käuzchens, einmal - zweimal rasch nacheinander. Wie staunte Perseus, als er den Präfekten eilig an die Kehle der Bildsäule drücken sah, an der er lehnte, und wie sich diese geräuschlos in zwei Hälften auseinander schlug. Cethegus schlüpfte in die Öffnung: die Statue klappte wieder zusammen. Mataswintha aber und Aspa sanken wie betend auf die Stufen des Altars. «Also war's ein Zeichen! Es droht Gefahr!» dachte der Späher; «aber wo ist die Gefahr? und wo der Warner?» Und er wandte sich, trat vor und sah nach links, nach der Seite der Goten. Allein damit trat er in den Bereich des Mondlichts, und in den Blick des Mauren Syphax, der vor der Eingangstür des Hauptgebäudes in einer leeren Nische Schildwache stand und bisher scharf nach der linken, der gotischen Seite hin, gespäht hatte. Von dort, von links her, schritt langsam ein Mann heran. Seine Streitaxt blitzte im Mondlicht. Aber auch Perseus sah jetzt eine Waffe aufblitzen: es war der Maure, der leise sein Schwert aus der Scheide zog. «Ha», lachte Perseus, «bis die beiden miteinander fertig sind, bin ich in Rom mit meinem Geheimnis.» Und in raschen Sprüngen eilte er nach der Mauerlücke des Vorhofs, durch die er eingedrungen. Zweifelnd blickte Syphax einen Augenblick nach rechts und nach links. Zur Rechten sah er entweichen einen Lauscher, den er jetzt erst ganz entdeckte. Zur Linken schritt ein gotischer Krieger herein in den Tempelhof. Er konnte nicht hoffen, beide zu erreichen und zu töten. Da plötzlich schrie er laut: «Teja, Graf Teja! Hilfe! Zu Hilfe! Ein Römer, rettet die Königin! Dort rechts an der Mauer, ein Römer!» Im Fluge war Teja heran, bei Syphax. «Dort!» rief dieser: «ich schütze die Frauen in der Kirche!» Und er eilte in den Tempel. «Steh, Römer!» rief Teja und sprang dem fliehenden Perseus nach. Aber Perseus stand nicht. Er lief an die Mauer, er erreichte die Lücke, durch welche er hereingekommen war: doch er konnte sich in der Eile nicht wieder hindurchzwängen. So schwang er sich mit der Kraft der Verzweiflung auf die Mauerkrone: und schon hob er den Fuß, sich jenseits hinabzulassen: da traf ihn Tejas Axt im Wurf ans Haupt, und rücklings stürzte er nieder, samt seinem erlauschten Geheimnis. - Teja beugte sich über ihn: deutlich erkannte er die Züge des Toten. «Der Archon Perseus», sagte er, «der Bruder des Johannes.» Und sofort schritt er die Stufen hinan, die zur Kirche führten. An der Schwelle trat ihm Mataswintha entgegen, hinter ihr Syphax und Aspa mit der Blendlaterne. Einen Moment maßen sich beide schweigend mit mißtrauischen Blicken. «Ich habe dir zu danken, Graf Teja von Tarentum», sagte endlich die Fürstin. «Ich war bedroht in meiner einsamen Andacht.» «Seltsam wählst du Ort und Stunde für deine Gebete. Laß sehen, ob dieser Römer der einzige Feind war.» Er nahm aus Aspas Hand die Leuchte und ging in das Innere der Kapelle. Nach einer Weile kam er wieder, einen mit Gold eingelegten Lederschuh in der Hand. «Ich fand nichts als - diese Sandale am Altar, dicht vor dem Apostel. Es ist ein Mannesfuß.» «Eine Votivgabe von mir», sagte Syphax rasch. «Der Apostel heilte meinen Fuß, ich hatte mir einen Dorn eingetreten.» «Ich dachte, du verehrst nur den Schlangengott?» - «Ich verehre, was da hilft.» - «In welchem Fuße stak der Dorn?» Syphax schwankte einen Augenblick. «Im rechten», sagte er dann, rasch entschlossen. «Schade», sprach Teja, «die Sandale ist auf den linken geschnitten.» Und er steckte sie in den Gürtel. «Ich warne dich, Königin, vor solcher nächtlichen Andacht.» «Ich werde tun, was meine Pflicht», sagte Mataswintha herb. «Und ich, was meine.» Mit diesen Worten schritt Teja voran, zurück zum Lager: schweigend folgten die Königin und ihre Sklaven. * Vor Sonnenaufgang stand Teja vor Witichis und berichtete ihm alles. «Was du sagst, ist kein Beweis», sagte der König. - «Aber schwerer Verdacht. Und du sagtest selbst, die Königin sei dir unheimlich.» «Gerade deshalb hüt' ich mich, nach bloßem Verdacht zu handeln. Ich zweifle manchmal, ob wir an ihr nicht Unrecht getan. Fast so schwer wie an Rauthgundis.» - «Wohl, aber diese nächtlichen Gänge?» - «Werd' ich verhindern. Schon um ihretwillen.» «Und der Maure? Ich trau' ihm nicht. Ich weiß, daß er tagelang abwesend: dann taucht er wieder auf im Lager. Es ist ein Späher.» «Ja, Freund», lächelte Witichis. «Aber der meine. Er geht mit meinem Wissen in Rom ein und aus. Er ist es, der mir noch alle Gelegenheiten verraten.» «Und noch keine hat genützt! Und die falsche Sandale?» «Ist wirklich ein Votivopfer. Aber für Diebstahl; er hat mir, noch ehe du kamst, alles gebeichtet. Er hat, bei der Begleitung der Königin sich langweilend, in einem Gewölbe der Kirche herumgestöbert und da unten allerlei Priestergewänder und vergrabnen Schmuck gefunden und behalten. Aber später, den Zorn des Apostels fürchtend, wollt' er ihn beschwichtigen und opferte, in seinem Heidentum, diese Goldsandale aus seiner Beute. Er beschrieb sie mir ganz genau: mit goldnen Seitenstreifen und einem Achatknopf, oben mit einem C -. Du siehst, es trifft alles zu. Er kannte sie also: sie kann nicht von einem Flüchtenden verloren sein. Und er versprach, als Beweis die dazugehörige Sandale des rechten Fußes zu bringen. Aber vor allem: er hat mir einen neuen Plan verraten, der all unsrer Not ein Ende machen und Belisarius selbst in unsre Hände liefern soll.» Zehntes Kapitel Während der Gotenkönig diesen Plan seinem Freunde mitteilte, stand Cethegus, in frühester Stunde nach dem belisarischen Tor beschieden, vor Belisar und Johannes. «Präfekt von Rom», herrschte ihn der Feldherr beim Eintreten an, «wo warst du heute nacht?» «Auf meinem Posten. Wohin ich gehöre. Am Tor Sankt Pauls.» «Weißt du, daß in dieser Nacht einer der besten meiner Anführer, Perseus der Archon, des Johannes Bruder, die Stadt verlassen hat und seitdem verschwunden ist?» «Tut mir leid. Aber du weißt: es ist verboten, ohne Erlaubnis die Mauer zu überschreiten.» «Ich habe aber Grund zu glauben», fuhr Johannes auf, «daß du recht gut weißt, was aus meinem Bruder geworden, daß sein Blut an deinen Händen klebt.» - «Und beim Schlummer Justinians!» brauste Belisar auf, «das sollst du büßen. Nicht länger sollst du herrschen über des Kaisers Heer und Feldherrn. Die Stunde der Abrechnung ist gekommen. Die Barbaren sind so gut wie vernichtet. Und laß sehn, ob nicht mit deinem Haupt auch das Kapitol fällt.» «Steht es so?» dachte Cethegus, «jetzt sieh dich vor, Belisarius.» Doch er schwieg. «Rede!» rief Johannes. «Wo hast du meinen Bruder ermordet?» Ehe Cethegus antworten konnte, trat Artasines, ein persischer Leibwächter Belisars, herein. «Herr», sagte er, «draußen stehn sechs gotische Krieger. Sie bringen die Leiche Perseus', des Archonten. König Witichis läßt dir sagen: er sei heut' nacht vor den Mauern durch Graf Tejas Beil gefallen. Er sendet ihn zur ehrenden Bestattung.» «Der Himmel selbst», sprach Cethegus, stolz hinausschreitend, «straft eure Bosheit Lügen.» Aber langsam und nachdenklich ging der Präfekt über den Quirinal und das Forum Trajans nach seinem Wohnhaus. «Du drohst, Belisarius? Dank für den Wink! Laß sehn, ob wir dich nicht entbehren können.» In seiner Wohnung fand er Syphax, der ihn ungeduldig erwartet hatte und ihm raschen Bericht ablegte. «Vor allem, Herr», schloß er nun, «laß also deinen Sandalenbinder peitschen. Du siehst, wie schlecht du bedient bist, ist Syphax fern: und gib mir gütigst deinen rechten Schuh.» «Ich sollte dir ihn nicht geben und dich zappeln lassen für dein freches Lügen», lachte der Präfekt. «Dieses Stück Leder ist jetzt dein Leben wert, mein Panther. Womit willst du's lösen?» «Mit wichtiger Kunde. Ich weiß nun alles ganz genau von dem Plan gegen Belisars Leben: Ort und Zeit: und die Namen der Eidbrüder. Es sind: Teja, Totila und Hildebad.» «Jeder allein genug für den Magister Militum», murmelte Cethegus vergnüglich. «Ich denke, o Herr, du hast den Barbaren wohl wieder eine schöne Falle gestellt! Ich habe ihnen, auf deinen Befehl, entdeckt, daß Belisar selbst morgen zum tiburtinischen Tor hinausziehen will, um Vorräte aufzutreiben.» «Ja, er selbst geht mit, weil sich die oft aufgefangenen Hunnen nicht mehr allein hinauswagen; er führt nur vierhundert Mann.» «Es werden nun die drei Eidbrüder am Grab der Fulvier einen Hinterhalt von tausend Mann gegen Belisar legen.» - «Das verdient wirklich den Schuh!» sagte Cethegus und warf ihm denselben zu. «König Witichis wird indessen nur einen Scheinangriff machen lassen auf das Tor Sankt Pauls, die Gedanken der Unsern von Belisar abzulenken. Ich eile nun also zu Belisar, ihm zu sagen, wie du mir aufgetragen, daß er dreitausend mit sich nimmt und jene gegen ihn Verschwornen vernichtet.» «Halt!» sagte Cethegus ruhig, «nicht so eilfertig! Du meldest nichts.» «Wie?» fragte Syphax erstaunt. «Ungewarnt ist er verloren!» «Man muß dem Schutzgeist des Feldherrn nicht schon wieder, nicht immer ins Amt greifen. Belisar mag morgen seinen Stern erproben.» «Ei» sagte Syphax mit pfiffigem Lächeln, «solches gefällt dir? Dann bin ich lieber Syphax, der Sklave, als Belisarius, der Magister Militum. Arme Witwe Antonina!» Cethegus wollte sich auf das Lager strecken, da meldete Fidus, der Ostiarius: «Kallistratos von Korinth.» «Immer willkommen.» Der junge Grieche mit dem sanften Antlitz trat ein. Ein Hauch anmutiger Röte von Scham oder Freude färbte seine Wangen: es war ersichtlich, daß ihn ein besonderer Anlaß herführte. «Was bringst du des Schönen noch außer dich selbst?» so fragte Cethegus in griechischer Sprache. Der Jüngling schlug die leuchtenden Augen auf: «Ein Herz voll Bewunderung für dich: und den Wunsch, dir diese zu bewähren. Ich bitte um die Gunst, wie die beiden Licinier und Piso, für dich und Rom fechten zu dürfen.» «Mein Kallistratos! Was kümmern dich, unsern Friedensgast, den liebenswürdigsten der Hellenen, unsre blutigen Händel mit den Barbaren? Bleibe du von diesem schweren Ernst und pflege deines heitern Erbes: der Schönheit.» «Ich weiß wohl, die Tage von Salamis sind ferne wie ein Mythos: und ihr eisernen Römer habt uns niemals Kraft zugetraut. Das ist hart aber doch leichter zu tragen, weil ihr es seid, die unsre Welt, die Kunst und edle Sitte verteidigt gegen die dumpfen Barbaren. Ihr, das heißt Rom, und Rom heißt mir Cethegus. So fass' ich diesen Kampf, und so gefaßt, siehst du, so geht er wohl auch den Hellenen an.» Erfreut lächelte der Präfekt. «Nun, wenn dir Rom Cethegus ist, so nimmt Rom gern die Hilfe des Hellenen an: du bist fortan Tribun der Milites Romani wie Licinius.» «In Taten will ich dir danken! Aber eins noch muß ich dir gestehn - denn ich weiß: du liebst nicht überrascht zu sein. Oft hab' ich gesehen, wie teuer dir das Grabmal Hadrians und seine Zier von Götterstatuen ist. Neulich hab' ich diese marmornen Wächter gezählt und zweihundertachtundneunzig gefunden. Da macht' ich denn das dritte Hundert voll und habe meine beiden Letoiden, die du so hoch gelobt, den Apollon und die Artemis, dort aufgestellt, dir und Rom zu einem Weihgeschenk.» «Junger lieber Verschwender», sprach Cethegus, «was hast du da getan!» «Das Gute und Schöne», antwortete Kallistratos einfach. «Aber bedenke - das Grabmal ist jetzt eine Schanze» - «Wenn die Goten stürmen -» - «Die Letoiden stehen auf der zweiten, der innern Mauer. Und soll ich fürchten, daß je Barbaren wieder den Lieblingsplatz des Cethegus erreichen? Wo sind die schönen Götter sichrer als in deiner Burg? Deine Schanze ist mir ihr bester, weil ihr sicherster Tempel. Mein Weihgeschenk sei zugleich ein glücklich Omen.» «Das soll es sein», rief Cethegus lebhaft, «und ich glaube selber: dein Geschenk ist gut geborgen. Aber gestatte mir dagegen -» «Du hast mir schon dafür erlaubt, für dich zu kämpfen. Chaire!» lachte der Grieche und war hinaus. «Der Knabe hat mich sehr lieb», sagte Cethegus, ihm nachsehend. «Und mir geht's wie andern Menschentoren: - mir tut das wohl. Und nicht bloß, weil ich ihn dadurch beherrsche.» Da hallten feste Schritte auf dem Marmor des Vestibulums, und ein Tribun des Milites ward gemeldet. Es war ein junger Krieger mit edeln, aber über seine Jahre hinaus ernsten Zügen. In echt römischem Schnitt setzten die Wangenknochen, fast im rechten Winkel, an die gerade, strenge Stirn: in dem tief eingelassenen Auge lag römische Kraft und -in dieser Stunde - entschlossener Ernst und rücksichtsloser Wille. «Siehe da, Severinus, des Boethius Sohn, willkommen, mein junger Held und Philosoph. Viele Monate habe ich dich nicht gesehen - woher kommst du?» «Vom Grabe meiner Mutter», sagte Severinus mit festem Blick auf den Frager. Cethegus sprang auf. «Wie? Rusticiana? Meine Jugendfreundin! Meines Boethius Weib!» «Sie ist tot», sagte der Sohn kurz. Der Präfekt wollte seine Hand fassen. Severinus entzog sie. «Mein Sohn, mein armer Severinus! Und starb sie - ohne ein Wort für mich?» «Ich bringe dir ihr letztes Wort - es galt dir!» «Wie starb sie? An welchem Leiden?» - «An Schmerz und Reue.» - «Schmerz -» seufzte Cethegus, «das begreif ich. Aber was sollte sie bereuen! Und mir galt ihr letztes Wort! - sag' an, wie lautet es?» Da trat Severinus hart an den Präfekten, daß er sein Knie berührte, und blickte ihm bohrend ins Auge. «Fluch, Fluch über Cethegus, der meine Seele vergiftet und mein Kind.» Ruhig sah ihn Cethegus an. «Starb sie im Irrsinn?» fragte er kalt. «Nein, Mörder: sie lebte im Irrsinn, solang sie dir vertraute. In ihrer Todesstunde hat sie Cassiodor und mir gestanden, daß ihre Hand dem jungen Tyrannen das Gift gereicht, das du gebraut. Sie erzählte uns den Hergang. Der alte Corbulo und seine Tochter Daphnidion stützten sie. , schloß sie, Da rief der alte Corbulo erbleichend: - , antwortete meine Mutter. ich es ihm: «es ist geschehen.»' Corbulo verstummte vor Entsetzen; aber Daphnidion schrie in wildem Schmerz: - fragte meine Mutter mit einem Tone, der ewig durch mein Leben gellen wird. wiederholten der Freigelassene und sein Kind. Und sie fiel zurück und war tot.» Der Präfekt blieb unerschüttert stehen. Nur griff er leise an den Dolch unter den Brustfalten der Tunika. «Du aber» - fragte er nach einer Pause - «was tatest du?» «Ich aber kniete nieder an der Leiche und küßte ihre kalte Hand und schwor ihr's zu, ihr Sterbewort zu vollenden. Wehe dir, Präfekt von Rom: Giftmischer, Mörder meiner Schwester -du sollst nicht leben.» «Sohn des Boethius, willst du zum Mörder werden um die Wahnworte eines läppischen Sklaven und seiner Dirne? Würdig des Helden und Philosophen!» «Nichts von Mord. Wäre ich ein Germane, nach dem Brauche dieser Barbaren: - er dünkt mir heute sehr vortrefflich! - rief ich dich zum Zweikampf, du verhaßter Feind. Ich aber bin ein Römer und suche meine Rache auf dem Wege des Rechts. Hüte dich, Präfekt, noch gibt es Richter in Italien. Lange Monate hielt mich der Krieg, der Feind von diesen Mauern ab. - Erst heute habe ich Rom, von der See her, erreicht und morgen erheb' ich die Klage bei den Senatoren, die deine Richter sind - dort finden wir uns wieder.» Cethegus vertrat ihm plötzlich den Weg an die Türe. Aber Severinus rief: «Gemach, man sieht sich vor bei Mördern. Drei Freunde haben mich an dein Haus begleitet: - Sie werden mich mit den Liktoren suchen, komm' ich nicht wieder, noch in dieser Stunde.» «Ich wollte dich nur», sagte Cethegus wieder ganz ruhig, «vor dem Wege der Schande warnen. Willst du den ältesten Freund deines Hauses um der Fieberreden einer Sterbenden willen mit unbeweisbarer Mordklage verfolgen, - tu's: ich kann's nicht hindern. Aber noch einen Auftrag zuvor. Du bist mein Ankläger geworden, aber du bleibst Soldat und mein Tribun. Du wirst gehorchen, wenn dein Feldherr befiehlt.» «Ich werde gehorchen.» «Morgen steht ein Ausfall Belisars bevor und ein Sturm der Barbaren. Ich muß die Stadt beschirmen. Doch ahnt mir Gefahr für den löwenkühnen Mann: - ich muß ihn treu gehütet wissen. Du wirst morgen, - ich befehl' es, - den Feldherrn begleiten und sein Leben decken.» «Mit meinem eignen.» «Gut, Tribun, ich verlasse mich auf dein Wort.» «Bau' du auf meines. Auf Wiedersehn nach der Schlacht: vor dem Senat. Nach beiden Kämpfen lüstet mich gleich sehr. Auf Wiedersehn: - - vor dem Senat.» «Auf Nimmerwiedersehn», sprach Cethegus, als sein Schritt verhallte. «Syphax» rief er laut, «bringe Wein und das Hauptmahl. Wir müssen uns stärken: - auf morgen.» Elftes Kapitel Früh am andern Morgen wogte sowohl in Rom als in dem Lager der Goten geschäftige Bewegung. Mataswintha und Syphax hatten zwar einiges entdeckt und gemeldet: - - aber nicht alles. Sie hatten von dem Gelübde der drei Männer gegen Belisar erfahren und den früheren Plan eines bloßen Scheinangriffs gegen das Sankt-Pauls-Tor, um von dem Gedanken an Belisars Geschick abzulenken. Aber nicht hatten sie erfahren, daß der König, in Änderung jenes Planes eines bloßen Scheinangriffs, für diesen Tag der Abwesenheit des großen Feldherrn einen in tiefes Geheimnis gehüllten Beschluß gefaßt hatte: es sollte ein letzter Versuch gemacht werden, ob nicht gotisches Heldentum doch dem Genius Belisar und den Mauern des Präfekten überlegen sei. Man hatte sich im Kriegsrat des Königs nicht über die Wichtigkeit des Unternehmens getäuscht: wenn es wie alle früheren, vereinzelten Angriffe - achtundsechzig Schlachten, Ausfälle, Stürme und Gefechte hatte Prokop während der Belagerung bis dahin aufgezählt - scheiterte, so war von dem ermüdeten, stark gelichteten Heer keine weitere Anstrengung mehr zu erwarten. Deshalb hatte man sich auf Tejas Rat endlich verpflichtet, über den Plan gegen jedermann ohne Ausnahme zu schweigen. Daher hatte auch Mataswintha nichts vom König erfahren, und selbst ihres Mauren Spürnase konnte nur wittern, daß auf jenen Tag etwas Großes gerüstet werde; - die gotischen Krieger wußten selbst nicht was. Totila, Hildebad und Teja waren schon um Mitternacht mit ihren Reitern geräuschlos aufgebrochen und hatten sich südlich von der valerischen Straße bei dem Grabmal der Fulvier, an dem in einer Hügelfalte Belisar vorbeikommen mußte, in Hinterhalt gelegt; sie hofften, mit ihrer Aufgabe bald genug fertig zu sein, um noch wesentlich an den Dingen bei Rom teilnehmen zu können. Während der König mit Hildebrand, Guntharis und Markja die Scharen innerhalb der Lager ordnete, zog um Sonnenaufgang Belisar, von einem Teil seiner Leibwächter umgeben, zum tiburtinischen Tor hinaus. Prokop und Severinus ritten ihm zur Rechten und Linken: Aigan, der Massagete, trug sein Banner, das bei allen Gelegenheiten den Magister Militum zu begleiten hatte. Constantinus, dem er an seiner Statt die Sorge für den «belisarischen Teil» von Rom übertragen, besetzte alle Posten längs der Mauern doppelt und ließ die Truppen hart an den Wällen unter den Waffen bleiben. Er übersandte den gleichen Befehl dem Präfekten für die Byzantiner, die dieser führte. Der Bote traf ihn auf den Wällen zwischen dem paulinischen und dem appischen Tor. «Belisar meint also», höhnte Cethegus, während er gehorchte, «mein Rom ist nicht sicher, wenn er es nicht behütet. Ich aber meine: Er ist nicht sicher, wenn ihn mein Rom nicht beschirmt. Komm, Lucius Licinius», flüsterte er diesem zu, «wir müssen an den Fall denken, daß Belisar einmal nicht wiederkehrt von seinen Heldenfahrten: dann muß ein andrer sein Heer mit fester Hand ergreifen.» «Ich kenne die Hand.» «Vielleicht gibt es alsdann einen kurzen Kampf mit seinen in Rom belassenen Leibwächtern: in den Thermen des Diokletian oder am tiburtinischen Tore. Sie müssen dort in ihrem Lager erdrückt sein, ehe sie sich recht besinnen. Nimm dreitausend meiner Isaurier und verteile sie, ohne Aufsehen, rings um die Thermen her: auch besetze mir vor allem das tiburtinische Tor.» - «Von wo aber soll ich sie fortziehen?» - «Von dem Grabmal Hadrians», sagte Cethegus nach einigem Besinnen. «Und die Goten, Feldherr!» - «Bah! Das Grabmal ist fest, es schützt sich selbst. Erst müssen vom Süden her die Stürmenden über den Fluß: und dann diese eisglatten Wände von parischem Marmor hinan, meine und des Korinthers Freude. Und zudem», lächelte er, «sieh nur hinauf: da oben steht ein Heer von marmornen Göttern und Heroen: sie mögen selber ihren Tempel schirmen gegen die Barbaren. Siehst du, ich sagte es ja - es geht nur hier gegen das Sankt-Pauls-Tor», schloß er, auf das Lager der Goten deutend, aus welchem eben eine starke Abteilung in dieser Richtung aufbrach. Licinius gehorchte und führte alsbald dreitausend Isaurier, etwa die Hälfte der Deckung, ab: von dem Grabmal über den Fluß und den Viminalis hinab gegen die Thermen Diokletians. Belisars Armenier am tiburtinischen Tor löste er dann auch durch dreihundert Isaurier und Legionäre ab. Cethegus aber wandte sich nach dem salarischen Tor, wo jetzt Constantinus als Vertreter Belisars hielt. «Ich muß ihn aus dem Wege haben», dachte er, «wenn die Nachricht eintrifft.» «Sobald du die Barbaren zurückgeworfen», sprach er ihn an, «wirst du doch wohl einen Ausfall machen müssen? Welche Gelegenheit, Lorbeeren zu sammeln, während der Feldherr fern ist!» «Jawohl», rief Constantinus, «sie sollen's erfahren, daß wir sie auch ohne Belisarius schlagen können.» «Ihr müßt aber ruhiger zielen», sagte Cethegus, einem persischen Schützen den Bogen abnehmend. «Seht den Goten dort, den Führer zu Pferd! Er soll fallen.» Cethegus schoß; der Gote fiel vom Roß, durch den Hals geschossen. «Und meine Wallbogen, ihr braucht sie schlecht! Seht ihr dort die Eiche? Ein Tausendführer der Goten steht davor, gepanzert. Gebt acht!» Und er richtete den Wallbogen, zielte und schoß: durchbohrt war der gepanzerte Gote an den Baum genagelt. Da sprengte ein sarazenischer Reiter heran: «Archon», redete er Constantinus an, «Bessas läßt dich bitten, Verstärkungen an das Vivarium, das pränestinische Tor zu senden, die Goten rücken an.» Zweifelnd sah Constantinus auf Cethegus. «Possen» sagte dieser, «der einzige Angriff droht an meinem Tore von Sankt Paul, und das ist gut gehütet, ich weiß es gewiß. Laß Bessas sagen: er fürchte sich zu früh. Übrigens, im Vivarium habe ich noch sechs Löwen, zehn Tiger und zwölf Bären für mein nächstes Zirkusfest! Laßt sie einstweilen los auf die Barbaren! Es ist auch ein Schauspiel für die Römer dann!» Aber schon eilte ein Leibwächter den Mons Pincius herab: «Zu Hilfe, Herr, zu Hilfe! Constantinus, dein eignes, das flämische Tor! Unzählige Barbaren! Ursicinus bittet um Hilfe!» «Auch dort?» fragte Cethegus ungläubig. «Hilfe an die gebrochene Mauer, zwischen dem flämischen und dem pincianischen Tor!» rief ein zweiter Bote des Ursicinus. «Diese Strecke braucht ihr nicht zu decken! Ihr wißt, sie steht unter Sankt Peters besonderem Schutz, das reicht!» sprach, beruhigend Constantinus. Cethegus lächelte: «Ja, heute gewiß: denn sie wird gar nicht angegriffen.» Da jagte Marcius Licinius atemlos heran. «Präfekt, rasch aufs Kapitol, von wo ich eben komme. Alle sieben Lager der Feinde speien Barbaren zugleich aus allen Lagerpforten: es droht ein allgemeiner Sturm gegen alle Tore Roms.» «Schwerlich», lächelte Cethegus. «Aber ich will hinauf. Du aber, Marcus Licinius, stehst mir ein für das tiburtiner Tor. Mein muß es sein, nicht Belisars! Fort mit dir! Führe deine zweihundert Legionäre dorthin!» Er stieg zu Pferd und ritt zunächst gegen das Kapitol zu, um den Fuß des Viminal. Hier traf er auf Licinius und seine Isaurier. «Feldherr», sprach ihn dieser an, «es wird ernst da draußen, sehr ernst! Was ist's mit den Isauriern? Bleibt es bei deinem Befehl?» «Habe ich ihn zurückgenommen?» sagte Cethegus streng. «Lucius, du folgst mir und ihr andern Tribunen. Ihr Isaurier rückt unter eurem Häuptling Asgares zwischen die Thermen des Diokletian und das tiburtiner Tor.» Er glaubte an keine Gefahr für Rom. Meinte er doch zu wissen, was allein in diesem Augenblick die Goten wirklich beschäftigte. «Dieser Schein eines allgemeinen Angriffs soll», dachte er, «die Byzantiner nur abhalten, ihres bedrohten Feldherrn vor den Toren zu gedenken.» Bald hatte er einen Turm des Kapitols erreicht, von welchem er die ganze Ebene überschauen konnte. Sie war erfüllt von gotischen Waffen. Es war ein herrliches Schauspiel. Aus allen Lagertoren wogte die ganze Streitmacht des gotischen Heeres heran, die ganze Ausdehnung der Stadt umgürtend. Der Angriff sollte offenbar gegen alle Tore zugleich unternommen werden und war nach einem Gedanken entworfen. Voran in dem ganzen, zu drei Vierteln geschlossenen Kreise schritten Bogenschützen und Schleuderer, in leichten Plänklerschwärmen, die Zinnen und Brustwehren von Verteidigern zu säubern, Darauf folgten Sturmböcke, Widder, Mauerbrecher aus römischen Arsenalen entnommen oder römischen Mustern, wiewohl oft ungeschlacht genug, nachgebildet, mit Pferden und Rindern bespannt, bedient von Truppen, die, fast ohne Angriffswaffen, nur mit breiten Schilden sich und die Bespannung gegen die Geschosse der Belagerten decken sollten. Dicht hinter ihnen schritten die zum eigentlichen Angriff bestimmten Krieger: in tiefen Gliedern, mit voller Bewaffnung, zum Handgemeng mit Beilen und starken Messern gerüstet, und lange, schwere Sturmleitern schleppend. In großer Ordnung und Ruhe rückten diese drei Angriffslinien überall gleichmäßigen Schrittes vor: die Sonne glitzerte auf ihren Helmen: in gleichen Zwischenräumen erschollen die langgezogenen Rufe der gotischen Hörner. «Sie haben etwas von uns gelernt», rief Cethegus in kriegerischer Freude. «Der Mann, der diese Reihen geordnet hat, versteht den Krieg.» - «Wer ist das wohl?» fragte Kallistratos, der, in reicher Rüstung, neben Lucius Licinius hielt. «Ohne Zweifel Witichis, der König», sagte Cethegus. - «Das hätte ich dem schlichten Mann mit den bescheidnen Zügen nie zugetraut.» - «Die Barbaren haben manches Unergründliche.» Und vom Kapitol herab ritt er nun, über den Fluß nach der Umwallung am pankratischen Tor, wo der nächste Angriff zu drohen schien, und bestieg mit seinem Gefolge den dortigen Eckturm. «Wer ist der Alte dort, mit dem wehenden Bart, der mit dem Steinbeil den Seinen voranschreitet? Er sieht aus, als hätte ihn der Blitz des Zeus vergessen in der Gigantenschlacht», forschte der Grieche. «Es ist der alte Waffenmeister Theoderichs; er rückt gegen das pankratische Tor», antwortete der Präfekt. «Und wer ist der Reichgerüstete dort, auf dem Braunen, mit dem Wolfsrachen auf dem Helm? Er zieht gegen die Portuensis.» - «Das ist der Herzog Guntharis, der Wölsung», sprach Lucius Licinius. «Und sieh, auch drüben auf der Ostseite der Stadt, überm Fluß, soweit man schauen kann, gegen alle Tore, rücken Sturmreihen der Barbaren», sagte Piso. «Aber wo ist der König selbst?» fragte Kallistratos. «Siehe, dort in der Mitte ragt die gotische Hauptfahne: dort hält er, oberhalb des pankratischen Tors», erwiderte der Präfekt. «Er allein steht regungslos mit seiner starken Schar, weit, um dreihundert Schritt zurück, hinter der Linie», sprach Salvius Julianus, der junge Jurist. «Sollte er nicht mit kämpfen?» meinte Massurius. «Wäre gegen seine Weise. Aber laß uns vom Turm auf den Wall hinab: das Gefecht beginnt», schloß Cethegus. «Hildebrand hat den Graben erreicht.» - Dort stehen meine Byzantiner, unter Gregor. Die Gotenschützen zielen gut. Die Zinnen am pankratischen Tor werden leer. Auf, Massurius, schicke meine abaskischen Jäger und vor den römischen Legionären die besten Pfeilschützen dorthin: sie sollen auf die Rinder und Rosse der Sturmböcke zielen.» Bald war der Kampf auf allen Seiten entbrannt: und mit Verdruß bemerkte Cethegus, daß die Goten überall Fortschritte machten. Die Byzantiner schienen ihren Feldherren zu vermissen: sie schossen unsicher und wichen von den Wällen, indes die Goten heute mit besonderer Todesverachtung vordrangen. Schon hatten sie an mehreren Stellen den Graben überschritten, und Herzog Guntharis hatte sogar schon Leitern angelegt an den Wällen bei dem portuensischen Tore, während der alte Waffenmeister einen starken Widderkopf herangeschleppt und denselben durch ein Schirmdach gegen die Feuergeschosse von oben gesichert hatte. Bereits donnerten die ersten Stöße laut durch das Getümmel des Kampfes gegen die Balken des pankratischen Tors. Dieser wohlbekannte Ton erschütterte den Präfekten, der eben hier anlangte: «Offenbar», sagte er zu sich selbst, «machen sie jetzt bittern Ernst, nachdem der Scheinversuch so gut gelungen.» Und wieder ein dröhnender Stoß. Gregor, der Byzantiner, sah ihn fragend an. «Das darf nicht lange währen!» rief Cethegus zürnend, entriß dem nächsten Schützen Bogen und Köcher und eilte auf den Mauerkranz an dem Tore: «Hierher, ihr Schützen und Schleuderer! Mir nach!» rief er, «schafft schwere Steine bei. Wo ist der nächste Ballist? Wo die Skorpionen? Das Schirmdach muß entzwei.» Unter dem Schirmdach aber standen gotische Schützen, die eifrig durch die Schießscharten nach den Zacken der Mauerzinnen lugten. «Es ist umsonst, Haduswinth», schalt der junge Gunthamund, «zum drittenmal leg' ich vergeblich an! Es wagt ja keiner nur die Nase über die Brustwehr.» «Geduld», sagte der Alte, «halte den Bogen nur gespannt! Es kommt schon einer, den der Fürwitz plagt. Auch mir leg' einen Bogen bereit. Nur Geduld.» - «Die hat man leichter mit deinen siebzig als mit meinen zwanzig Jahren.» Inzwischen hatte Cethegus die Wallzinne hier erreicht, er warf einen Blick in die Ebene: da sah er den König, in der weiten Ferne, unbeweglich, im Zentrum der gotischen Scharen stehen, auf dem rechten Tiberufer. Das störte und beunruhigte ihn. «Was hat er vor? Sollte er gelernt haben, daß der Feldherr nicht fechten soll? Komm, Gajus», rief er dem jungen Schützen zu, der ihm kühn gefolgt war, «deine jungen Augen sehen scharf, blick' mit mir über die Zinne hier - was treibt der König dort?» Und er beugte sich über die Brustwehr, Gajus folgte, eifrig spähend, seinem Beispiel. «Jetzt, Gunthamund!» rief Haduswinth unten. Zwei Sehnen klangen, und die beiden Späher fuhren zurück. Gajus stürzte, in die Stirn geschossen, nieder: und unter des Präfekten Helmdach zersplitterte klirrend ein Pfeil. Cethegus strich mit der Hand über die Stirn. «Du lebst, mein Feldherr?» rief Piso, heranspringend. «Ja, Freund. Es war sehr gut gezielt. Aber die Götter brauchen mich noch: nur die Haut ist geritzt», sprach Cethegus und schob den Helm zurecht. Zwölftes Kapitel Da flog Syphax die Mauertreppe hinauf. Streng hatte ihm sein Herr verboten, sich am Kampf zu beteiligen: «Die Barbaren sollen dich nicht töten und auch dich nicht erkennen, - du bist unersetzlich als Sklave Mataswinthens und Kundschafter des Königs Witichis», hatte Cethegus gesagt. «Wehe, wehe», schrie er so überlaut, daß es seinem Herrn, auffiel, der des Mauren kluge Ruhe kannte, «welch ein Unglück!» - «Was ist geschehen?» - «Constantinus ist schwer verwundet. Er wollte einen Ausfall führen aus dem salarischen Tor und stieß sogleich auf die gotischen Sturmreihen. Ein Schleuderstein traf sein Gesicht. Mit Mühe rettete man ihn auf den Wall. Dort fing ich den Sinkenden auf: er ernannte den Präfekten zu seinem Vertreter. Hier ist sein Feldherrnstab.» «Das ist nicht möglich!» schrie Bessas, der auf Syphax' Ferse folgte. Er hatte in Person selbst neue Verstärkungen verlangen wollen und kam eben recht, die Nachricht zu hören. «Oder er war schon sinnlos, als er's tat.» «Hätte er dich bestellt, jedenfalls», sprach Cethegus, ruhig das Zepter ergreifend und dem schlauen Sklaven mit einem raschen Wink des Auges dankend. Mit einem wütenden Blicke sprang Bessas von der Brüstung und eilte davon. «Folg' ihm Syphax, und beacht' ihn wohl», flüsterte der Präfekt. Da eilte ein isaurischer Söldner herbei: «Verstärkung, Präfekt, ans portuensische Tor. Herzog Guntharis hat zahllose Leitern angelegt.» Da sprengte Cabaol, der Führer der maurischen berittnen Schützen heran: «Constantinus ist tot. Vertritt du Constantinus.» «Belisar vertret' ich», sprach Cethegus stolz: «fünfhundert Armenier ziehet ab vom appischen Tor und schickt sie ans portuensische Tor.» «Hilfe, Hilfe ans appische Tor! Alle Verteidiger auf den Zinnen sind erschossen!» meldete ein persischer Reiter, «die Vorschanze ist halb verloren, vielleicht ist sie noch zu halten: aber schwer! Aber unmöglich wär's, sie wieder zu nehmen!» Cethegus winkte seinem jungen Juriskonsulten, Salvius Julianus, jetzt seinem Kriegstribun: «Auf, mein Jurist: ! - Nimm hundert Legionäre und halte die Schanze um jeden Preis, bis weitere Hilfe kommt.» - Und er sah von der Mauerkrone wieder hinab. Unter seinen Füßen tobte das Gefecht, donnerte der Mauerbrecher Hildebrands. Aber ihn kümmerte mehr die rätselhafte Ruhe, in welcher der König im Hintergrund unbeweglich stand. «Was hat er nur vor?» Da dröhnte von unten ein furchtbar krachender Stoß und lauter Siegesjubel der Barbaren: Cethegus brauchte nicht zu fragen: in drei Sprüngen war er unten. «Das Tor ist eingestoßen!» riefen ihm entsetzt die Seinigen entgegen. «Ich weiß es: jetzt sind wir selbst der Riegel Roms.» Und den Schild fester andrückend, trat er hart an den rechten Torflügel, in dem in der Tat ein breiter Riß klaffte: und schon stieß der Widder an die splitternden Platten neben der Öffnung. «Noch ein solcher Stoß, und das Tor liegt ganz», sagte Gregor, der Byzantiner. «Richtig, deshalb darf es nicht mehr dazu kommen. Her zu mir, Gregor und Lucius: stellt euch, Milites! Die Speere gefällt! Fackeln und Brände! Zum Ausfall! Winke ich, so öffnet das Tor und werft Widder und Schirmdach und alles in den Graben.» «Du bist sehr kühn, mein Feldherr!» rief Lucius Licinius, entzückt neben ihn springend. «Ja, jetzt hat die Kühnheit Vernunft, mein Freund!» Schon war die Kolonne gestellt, schon wollte der Präfekt das Schwert zum Zeichen des Angriffs erheben -: da erscholl vom Rücken her ein Lärm, größer selbst als der der stürmenden Goten. Wehegeschrei und Pferdegetrappel, - und Bessas drängte sich heran: er faßte den Arm des Präfekten: seine Stimme versagte. «Was hemmst du mich in diesem Augenblick?» rief dieser und stieß ihn zurück. - «Belisars Truppen», stammelte entsetzt der Thraker, «stehen schwer geschlagen vor dem tiburtinischen Tor, - sie flehen um Einlaß, - wütende Goten hinter ihnen -Belisar ist in einen Hinterhalt gefallen: - er ist tot.» «Belisar ist gefangen!» schrie ein Türmer vom tiburtinischen Tor, atemlos heraneilend. «Die Goten! Die Goten sind da! Sie stehn vor dem nomentanischen und vor dem tiburtinischen Tor!» scholl's aus der Tiefe der Straße. «Belisars Fahne ist genommen! Prokop verteidigt seine Leiche!» - «Laß das tiburtinische Tor öffnen, Präfekt!» drängte Bessas, «deine Isaurier stehen plötzlich dort. Wer hat sie dorthin geschickt?» «Ich!» sagte Cethegus, überlegend. «Sie woll'n nicht öffnen ohne deinen Befehl! Rette doch seine - Belisars - Leiche!» Cethegus zauderte - er hielt das Schwert halb erhoben - er schwankte. «Die Leiche», dachte er,»rett' ich gern.«Da flog Syphax heran.»Nein, er lebt noch!» rief er seinem Herrn ins Ohr, «ich hab' ihn gesehen von der Zinne: er regt sich noch: aber er ist gleich gefangen: die gotischen Reiter brausen heran: -Totila, Teja, gleich sind sie bei ihm!» «Gib Befehl, laß das tiburtiner Tor öffnen!» mahnte Bessas. Aber des Präfekten Auge blitzte: sein Antlitz überflog jener Ausdruck stolzer, kühner Entschlossenheit, der es mit dämonischer Schönheit verklären konnte. Er schlug mit dem Schwert an den zertrümmerten Torflügel vor sich: «Auf, zum Ausfall. Erst Rom: dann Belisar! Rom und Triumph!» Das Tor flog auf. Die stürmenden Goten, schon des Sieges sicher, hätten alles eher erwartet als dies Wagnis der, wie sie wähnten, ganz verzagten Byzantiner. Sie waren ohne Fechtordnung um das Tor herum zerstreut, wurden völlig überrascht und durch den Anlauf der fest geschlossenen Reihe rasch in den hinter ihnen klaffenden Graben geworfen. Der alte Hildebrand wollte seinen Widder nicht lassen. Sich hoch aufrichtend, zerschmetterte er Gregor, dem Byzantiner, mit seinem Steinhammer den hochgeschweiften Helm und das Haupt. Aber gleichzeitig fast stieß ihn selber Lucius Licinius mit dem Schildstachel in den Graben. Cethegus zerhieb mit dem Schwert die Seile der Maschine, die krachend auf den Alten stürzte. «Jetzt Feuer in die Holzmaschinen, die noch stehen», befahl Cethegus. Rasch loderten deren Balken auf in Flammen. Sogleich kehrten die siegreichen Römer zurück in die Wälle. Da rief Syphax dem Präfekten entgegen: «Gewalt, Herr, Aufruhr und Empörung! Die Byzantiner gehorchen dir nicht mehr! Bessas rief sie auf, das tiburtinische Tor mit Gewalt zu öffnen. Seine Leibwächter drohen, Marcus Licinius anzugreifen und deine Legionäre und Isaurier zu schlachten durch die Hunnen.» «Das büßen sie!» rief Cethegus grimmig. «Wehe, Bessas! Ich will's ihm gedenken! Auf, Lucius Licinius, nimm den halben Rest der Isaurier! Nein, nimm sie alle! alle! du weißt, wo sie stehn: fasse die Leibwächer des Thrakers von Porta clausa her im Rücken. Und stehn sie nicht ab, - so hau' sie nieder, ohne Schonung, Hilf deinem Bruder! Ich folge gleich!» Lucius Licinius zauderte. «Und das tiburtinische Tor?» -«Bleibt geschlossen.» - «Und Belisar?» «Bleibt draußen.» - «Teja und Totila sind schon heran.» -«Desto weniger kann man öffnen. Erst Rom: dann alles andere. Gehorche, Tribun!» Cethegus blieb noch, die Ausflickung des pankratischen Tores anzuordnen. Das währte sehr geraume Zeit. «Wie ging es, Syphax?» fragte dieser leise. «Lebt er wirklich?» - «Er lebt noch. » «Tölpel, diese Goten!» Da kam ein Bote von Lucius. «Dein Tribun läßt melden: Bessas gibt nicht nach: - schon ist das Blut deiner Legionäre am tiburtiner Tor geflossen. Und Asgares und deine Isaurier zögern, einzuhauen. Sie zweifeln an deinem Ernst.» - «Ich will ihnen meinen Ernst zeigen!» rief Cethegus, warf sich aufs Pferd, verließ diesen Teil der Stadt und jagte wie der Sturmwind davon. Weit war sein Weg: über die Tiberbrücke des Janiculum, am Kapitol vorbei, über das Forum Romanum, durch die Sacra Via und den Bogen des Titus, die Thermen des Titus rechts lassend, über den Esquilin hinaus, endlich durch das esquilinische Tor an das tiburtinische Außentor: - ein Weg vom äußersten Westen an den äußersten Osten der weitgestreckten Stadt. Hier, hinter dem Tore, standen die Leibwächter von Bessas und Belisar mit gedoppelter Front. Die eine Schar schickte sich an, die Legionäre und Isaurier des Präfekten unter Marcus Licinius an der Torwache zu überwältigen und das Tor mit Gewalt zu öffnen, während die zweite Front mit gefällten Speeren der Masse der andern Isaurier gegenüberstand, die Lucius vergeblich zum Angriff befehligte. «Söldner», rief Cethegus, das schnaubende Roß dicht vor deren Linie anhaltend, «wem habt ihr geschworen: mir oder Belisar?» - «Dir, Herr», sprach Asgares, ein Anführer, vortretend, «aber ich dachte.» - Da blitzte das Schwert des Präfekten, und tödlich getroffen stürzte der Mann. «Zu gehorchen habt ihr, eidbrüchige Schurken, nicht zu denken!» Entsetzt standen die Söldner. Aber Cethegus befahl ruhig: «Die Speere gefällt! Zum Angriff! Mir nach!» Und die Isaurier gehorchten ihm und nun, - ein Augenblick noch, und es begann in Rom selbst der Kampf. Aber da erscholl von Westen, von der Richtung des aurelischen Tores her ein furchtbares, alles übertäubendes Geschrei: «Wehe, Wehe, alles verloren! Die Goten über uns! Die Stadt ist genommen!» Cethegus erbleichte und blickte zurück. Da sprengte Kallistratos heran, Blut floß ihm über Gesicht und Hals. «Cethegus», rief er, «es ist aus! Die Barbaren sind in Rom! Die Mauer ist erstiegen.» - «Wo?» fragte der Präfekt tonlos. «Am Grabmal Hadrians!» - «O mein Feldherr!» rief Lucius Licinius, «ich habe dich gewarnt.» «Das war Witichis!» sagte Cethegus, die Augen zusammendrückend. «Woher weißt du das?» staunte Kallistratos. «Genug, ich weiß es.» Es war ein furchtbarer Augenblick für den Präfekten. Er mußte sich sagen, daß er, rücksichtslos seinen Plan zum Verderben Belisars verfolgend, eine Spanne Zeit Rom übersehen hatte. Er biß die Zähne in die Unterlippe. «Cethegus hat das Grabmal Hadrians entblößt! Cethegus hat Rom ins Verberben gestürzt!» rief Bessas an der Spitze der Leibwächter. «Und Cethegus wird es retten!» rief dieser, sich hoch im Sattel aufrichtend. «Mir nach, alle Isaurier und Legionäre.» -«Und Belisar?» flüsterte Syphax. - «Laßt ihn herein. Erst Rom, dann alles andre! Folgt mir!» Und im Sturmflug sprengte er zurück, des Weges, den er gekommen. Nur wenige Berittene konnten ihm folgen: im Laufe eilte sein Fußvolk, Isaurier und Legionäre, nach. Dreizehntes Kapitel Draußen vor dem tiburtinischen Tor ward es zu gleicher Zeit stiller. Ein Bote hatte die gotischen Reiter von dem überflüssigen Gefechte abgerufen. Sie sollten hier innehalten und alle verfügbare Mannschaft um die Stadt und über den Fluß eilig an das aurelische Tor senden, durch welches man soeben in die Stadt eingedrungen sei: dort brauche man alle Kräfte. Die Reiter jagten, rechtsum schwenkend, nach jenem Tor, wo sich jetzt alles zusammendrängte. Aber ihr eigenes Fußvolk, stürmend an den zwischenliegenden fünf Toren: der Porta clausa, nomentana, salaria, pinciana und flaminia, versperrte ihnen den Weg so lange, daß sie zu der Entscheidung zu spät kamen, die am Grabmal des Hadrian gefallen war. Wir erinnern uns der Lage dieses Lieblingsplatzes des Präfekten: dem vatikanischen Hügel gegenüber, einen Steinwurf etwa vor dem aurelischen Tor gelegen, mit diesem durch Seitenmauern verbunden und überall, außer im Süden, wo der Fluß decken sollte, durch neue Wälle geschützt ragte die «moles Hadriani», ein gewaltiger, runder Turm von festestem Bau. Eine Art Hofraum umgab das eigentliche Gebäude: vor der ersten, äußeren Deckungsmauer im Süden floß der Tiber. Auf den Zinnen dieser Außenmauer, in dem Hofraum und auf den Zinnen der Innenmauer lagerten sonst die Isaurier, die der Präfekt zu übler Stunde hinweggezogen hatte, seinen Plan gegen Belisar durchzusetzen. Auf den Zinnen der Innenmauer aber standen die zahlreichen Statuen von Marmor und Erz, deren drittes Hundert das Geschenk des Kallistratos vervollständigt hatte. Der König der Goten hatte sich für heute in der Mitte des großen Halbkreises, den die Barbaren auch um die Westseite auf dem rechten Tiberufer, um die Stadt gezogen, auf dem Felde Neros zwischen dem pankratischen (alten aurelianischen) und dem (neuen) aurelianischen Tor, wo sonst nur Graf Markja von Mediolanum lagerte, eine zurückgenommene, abwartende Stellung gewählt. Er baute seinen Plan darauf, daß der allgemeine Sturm gegen alle Tore notwendig die Kräfte der Belagerten werde zersplittern müssen: und sowie an irgendeinem Punkt durch Hinwegziehung eine Blöße entstehen würde, gedachte er, sie sofort zu benützen. In dieser Absicht hielt er unbeweglich im zweiten Treffen weit hinter den Sturmkolonnen. Er hatte allen Anführern Auftrag gegeben, ihn schleunig herbeizurufen, wo sich eine Lücke der Verteidigung zeige. Lange, lange hatte er so gewartet. Manches Wort der Ungeduld hatte er von seinen Scharen zu tragen gehabt, die müßig stehen sollten, während die Genossen überall im frischen Vordringen waren: lange, lange harrten sie auf einen Boten, der sie abriefe zur Teilnahme am Kampf. Da bemerkte endlich des Königs scharfes Auge selbst zuerst, wie von den Zinnen der Außenmauer am Grabmal Hadrians die wohlbekannten Feldzeichen und die dichten Speere der Isaurier verschwanden. Aufmerksam blickte er hin: sie wurden nicht abgelöst, die Lücken nicht ersetzt. Da sprang er aus dem Sattel, gab seinem Rosse einen Schlag mit der flachen Hand auf den stolzen Bug, sprach: «Nach Hause, Boreas!» und das kluge Tier lief geradeaus in das Lager zurück. «Jetzt vorwärts, meine Goten! Vorwärts, Graf Markja!» rief der König, «dort über den Fluß - die Mauerbrecher laßt hier zurück: nur die Schilde und die Sturmleitern nehmt mit, und die Beile. Voran!» Und im Lauf erreichte er den steilen Uferhang an der südlichen Biegung des Flusses und eilte den Hügel hinab. «Keine Brücke, König, und kein Furt?» fragte ein Gote hinter ihm. «Nein, Freund Iffamer, schwimmen!» und der König sprang in die gelbe, schmutzige Flut, daß sie zischend hoch über seinem Helmbusch zusammenschlug. In wenigen Minuten hatte er das andere Ufer erreicht, die vordersten seiner Leute mit ihm. Bald standen die hart vor der hohen Außenmauer des Grabmals, und die Männer blickten fragend, besorgt hinauf. «Leitern her!» rief Witichis, «seht ihr nicht? Die Verteidiger fehlen ja! Fürchtet ihr euch vor hohen Steinen?» Rasch waren die Leitern angelegt, rasch die Außenwälle erstiegen, die wenigen Wachen hinabgestürzt, die Leitern nachgezogen und an der Innenseite der Außenmauer in den Hof hinabgelassen. Der König war der erste in dem Hofraum. Hier freilich wurde das Vordringen der Goten eine Weile gehemmt. Denn auf den Zinnen der Innenmauer standen, vom pankratischen Tore hierher geeilt, Quintus Piso und Kallistratos mit hundert Legionären und nur ein paar Isauriern, und diese schleuderten einen dichten Hagel von Speeren und Pfeilen auf die nur vereinzelt in den Hofraum hinabsteigenden Goten: auch ihre Ballisten und Katapulten wirkten verheerend. «Schickt um Hilfe, um Hilfe zu Cethegus!» rief oben auf der Mauer Piso. Und Kallistratos flog davon. Rechts und links fielen die Goten unten im Hof neben Witichis. «Was tun?» fragte Markja an seiner Seite. «Warten, bis sie sich verschossen haben», sagte dieser ruhig. «Es kann nicht lange mehr währen. Sie werfen und schießen viel zu hastig in ihrem Schrecken. Seht ihr: schon fliegen mehr Steine denn Pfeile. Und die Speere bleiben aus.» - «Aber die Ballisten, die Katapulten -» «Werden uns bald nicht mehr schaden. Ordnet euch zum Sturm. Seht, der Hagel wird sehr spärlich. So, nun die Leitern bereit und die Beile. - Jetzt, rasch mir nach.» Und in schnellem Anlauf rannten die Goten über den Hof. Nur wenige waren dabei gefallen. Und schon standen sie hart an der zweiten, der inneren Mauer, und hundert Leitern waren angelegt. Jetzt aber waren alle Ballisten und Katapulten Pisos nutzlos geworden, denn, zum Schuß in die Weite gespannt, konnten sie nicht ohne große Mühe und lange Zeit zu senkrechtem Schuß gerichtet werden. Piso bemerkte es wohl und erbleichte. «Wurfspeere her! Speere! Speere, oder alles ist hin!» - «Alle verschossen», keuchte trostlos neben ihm der dicke Balbus. «Dann ist's vorbei!» seufzte Piso, den rechten Arm todmüde senkend. «Komm, Massurius, laß uns fliehn», mahnte Balbus. «Nein, laßt uns hier sterben», rief Piso. Und schon tauchte der erste gotische Helm über den Rand der Mauer. Da scholl es die Mauertreppen von der Stadtseite herauf: «Cethegus! Cethegus, der Präfekt!» Und er war's; rasch sprang er auf die Zinne vor und hieb dem Goten, der eben die Hand auf die Brustwehr stützte, sich hinaufzuschwingen, die Hand samt dem Arme ab. Der Mann schrie und stürzte. «O Cethegus», sagte Piso, «du kommst zu rechter Zeit!» -«Ich hoffe es», sprach dieser und stieß die Leiter um, die vor ihm angelegt stand. Witichis war darauf gestanden - behend sprang er hinab. «Aber jetzt Geschosse her, Speere, Lanzen. Sonst hilft alles nichts», rief Cethegus. «Kein Geschoß mehr weit und breit», antwortete Balbus. «Du kommst, hofften wir, mit deinen Isauriern?» - «Die sind noch weit, weit hinter mir!» rief Kallistratos, der eben als der erste nach Cethegus wieder erschien. Und aufs neue wuchs die Zahl der Leitern und der aufsteigenden Helme. Und es wuchs die dringendste Gefahr. Wild blickte Cethegus um sich. «Geschosse», rief er, mit dem Fuße stampfend, «es müssen Geschosse herbei!» Da fiel sein Auge auf die riesige Marmorstatue Zeus', des Erretters, die zu seiner Linken auf der Zinne stand. Ein Gedanke durchzuckte ihn mit Blitzesschnelle, er sprang hinzu und schlug mit einem Handbeil den rechten Arm der Statue mitsamt dem Donnerkeil in ihrer Faust herab. «Zeus», rief er, «leih mir deinen Blitz! Was hältst du ihn so müßig? Auf! Zerschlagt die Statuen, und schleudert sie den Feinden auf die Köpfe.» Und rascher als er dies gesagt, ward sein Beispiel befolgt. Mit Äxten und Beilen fielen die geängstigten Verteidiger über die Götter und Heroen her, und im Augenblick waren all die herrlichen Gestalten zertrümmert. Es war ein grauenhafter Anblick: da barst ein erhabner Hadrian, eine Reiterstatue, Roß und Reiter mitten auseinander: da stürzte eine lächelnde Aphrodite in die Knie: da flog der schöne Marmorkopf eines Antinous vom Rumpfe und sauste, von zwei Händen geschleudert, auf einen gotischen Büffelschild. Und weithin spritzten, die Zinnen bedeckend, Splitter und Trümmer von Marmor und Erz, von Bronze und Gold. Krachend und dröhnend schlugen die gewaltigen Lasten von Stein und Metall von den Zinnen herab und zerschmetterten die Helme und Schilde, die Panzer und die Glieder der stürmenden Goten und die Leitern selber, die sie trugen. Mit Grauen blickte Cethegus auf das furchtbare Werk der Zerstörung, das sein Wort angerichtet. Aber es hatte gerettet. Zwölf, fünfzehn, zwanzig Leitern standen leer von den hart aufeinanderfolgenden Männern, die sie kurz zuvor ameisendicht besetzt hatten, ebenso viele lagen zerbrochen am Fuß der Mauer: überrascht von diesem unerwarteten Erz- und Marmorhagel wichen die Goten einen Augenblick. Aber gleich wieder rief sie das Horn Markjas zum Sturm: und wieder sausten die zentnerschweren Lasten hernieder. «Unseliger, was hast du getan?» jammerte Kallistratos und starrte auf die Trümmer. «Das Notwendige!» antwortete Cethegus und schleuderte den Rest von Zeus, dem Erretter, über den Wall. «Siehst du wie das traf? - zwei Barbaren auf einen Schlag» - und zufrieden blickte er hinab. Da hörte er den Korinther rufen: «Nein, nein. Nicht diesen! Nicht den Apoll!» Und Cethegus wandte sich und sah, wie ein riesiger Isaurier sein Beil gegen das Haupt des Latoniden schwang. «Narr, sollen die Goten herauf?» fragte der Barbar und holte wieder aus. «Nicht meinen Apollon!» wiederholte der Hellene und umschlang den Gott schützend mit beiden Armen, weit sich vorbeugend. Das ersah auf der nächsten Leiter Graf Markja, und glaubend, jener wolle die Statue auf ihn niederschleudern, kam er ihm zuvor: sein Wurfspeer flog und traf den Griechen mitten in die Brust. «Ach - Cethegus!» seufzte er und starb. Der Präfekt sah ihn fallen und preßte die Brauen zusammen. «Rettet die Leiche, und seine beiden Götter verschont!» sprach er kurz und stieß die Leiter um, auf der Markja gestanden, mehr konnte er nicht sagen und nicht tun, denn schon rief ihn eine neue, die drohendste Gefahr. Witichis, von seiner Leiter halb herabgeschleudert, halb herabgesprungen, war seither hart an der Mauer gestanden unter dem Hagel der Stein- und Metalltrümmer nach neuen Mitteln spähend. Denn seit der erste Versuch der Sturmleitern durch die unverhofften, neuen Geschosse, die Götter und Heroen, abgewiesen war, hoffte er kaum noch, den Wall zu gewinnen. Während er sann und spähte, schlug das schwere Marmorfußgestell eines Mars gradivus dicht neben ihm auf die Erde, prallte nochmal empor und traf dabei an eine Mauerplatte. Und siehe, diese Platte, die ein Quader von härtestem Stein geschienen hatte, zerprang zerbröckelnd in kleine Stücke von Mörtel und Lehm: und an ihrer Stelle wurde sichtbar eine schmale Holzpforte, die, von jener Masse nur locker verkleidet und verdeckt, den Maurern und Werkleuten zum Ausgang und Eingang gedient hatte, wenn sie an dem großen Gebäude arbeiteten und nachbesserten. Kaum ersah Witichis die Holztür, als er jubelnd ausrief: «Hierher, hierher, ihr Goten! Beile zur Hand!» Und schon schlug seine eigne Streitaxt donnernd an die dünnen Bretter, die nichts weniger als stark schienen. Verhängnisvoll drang der neue, seltsame Ton an des Präfekten Ohr! Er hielt oben inne in der Blutarbeit und lauschte. «Das ist Eisen gegen Holz! Bei Cäsar!» sagte er zu sich selbst und sprang die schmale Mauertreppe herab, die an der Innenseite der zweiten Mauer in den schwach durch Öllampen beleuchteten Innenraum des Grabmals führte. Da dröhnte ein Schlag lauter als alle früheren, ein dumpfes Krachen und helles Splittern folgte und jauchzendes Siegesgeschrei der Goten. Wie Cethegus auf die letzte Stufe der Treppe sprang, fiel die Pforte krachend nach innen in den Hof, und König Witichis ward sichtbar auf der Schwelle. «Mein ist Rom!» jubelte er, das Beil fallen lassend und das Schwert aus der Scheide ziehend. «Du lügst, Witichis: Zum erstenmal im Leben!» rief Cethegus grimmig und sprang vor, so gewaltig den starken Schildstachel stoßend gegen des Goten Brust, daß dieser überrascht einen Schritt zurücktrat. Diesen Schritt benutzte der Präfekt und stellte sich selbst auf die Schwelle, die ganze enge Pforte füllend. «Wo bleiben die Isaurier!» rief er. Aber nur einen Augenblick hatte ihm Witichis Zeit gelassen, bis er ihn erkannte. «So treffen wir uns doch im Zweikampf um Rom.» Und nun war das Anspringen an ihm. Cethegus, bemüht, die ganze Öffnung der Pforte zu verschließen, deckte mit dem Schild seine Linke; sein rechter Arm mit dem kurzen Römerschwert vermochte nicht genug, seine rechte Seite zu decken. Der Stoß des langen Schwertes des starken Goten drang, nicht stark genug von Cethegus abgewehrt, die Schuppenringe des Panzers durchschneidend, tief in seine rechte Brust. Der Präfekt wankte nach links, schon neigte er sich zu fallen: aber er fiel nicht. «Rom! Rom?» sagte er tonlos, und krampfhaft hielt er sich noch aufrecht. Witichis war einen Schritt zurückgetreten, um in neuem Ansprung dem gefährlichen Feind den Rest zu geben. Aber in diesem Augenblick erkannte ihn oben auf der Zinne Piso und schleuderte einen prachtvollen, schlafenden Faun, der bereits mit abgehauenen Füßen auf dem Walle lag, auf den König herab; er traf die Schulter, und Witichis stürzte nieder. Graf Markja, Iffamer und Aligern trugen ihn aus dem Gefecht. Cethegus sah ihn noch fallen. Dann brach er selbst auf der Schwelle der Pforte zusammen; schützende Arme eines Freundes fingen ihn auf: - aber er erkannte diesen nicht mehr, sein Bewußtsein schwand. Doch weckte ihn gleich wieder ein wohlbekannter Ton, der seine Seele entzückte: es war die Tuba seiner Legionäre, das Feldgeschrei seiner Isaurier, die jetzt - endlich - im Sturmschritt eintrafen und, von den Liciniern geführt, in dichten Scharen sich auf die durch den Fall ihres Königs erschütterten Goten stürzten. Sie drängten sie siegreich zu einer (einstweilen von den eingedrungenen Goten von innen hinausgebrochenen) Bresche der ersten Mauer unter großem Blutvergießen hinaus. Der Präfekt sah die letzten Barbaren flüchten, dann schlossen sich abermals seine Augen. «Cethegus!» rief der Freund, der ihn im Arme hielt, «Belisar im Sterben: und so bist auch du verloren?» Cethegus erkannte jetzt die Stimme Prokops. «Ich weiß nicht», sprach er mit letzter Kraft, «aber Rom - Rom ist gerettet!» Und damit vergingen ihm die Sinne. Vierzehntes Kapitel Nach der Anspannung aller Kräfte zu dem allgemeinen Sturm und seiner Abwehr, der mit dem Morgenrot begonnen und bei sinkender Sonne erst beendet war, trat bei Goten und Römern eine lange Pause der Erschlaffung ein. Die drei Führer Belisar, Cethegus und Witichis lagen wochenlang an ihren Wunden darnieder. Aber noch mehr wurde die tatsächliche Waffenruhe veranlaßt durch die tiefe Niedergeschlagenheit und Entmutigung, die das Heer der Germanen befallen hatte, nachdem der mit höchster Anstrengung angestrebte Sieg in dem Augenblick, da er bereits gewonnen schien, ihnen entrissen wurde. Sie hatten einen ganzen Tag lang ihr Bestes getan. Ihre Helden hatten an Tapferkeit gewetteifert: und doch waren beide Pläne, der gegen Belisar und der gegen die Stadt, im Gelingen selbst noch gescheitert. Und wenn auch König Witichis in seinem steten Mute die Gedrücktheit des Heeres nicht teilte, so erkannte er dafür desto klarer, daß er seit jenem blutigen Tage das ganze System der Belagerung ändern mußte. Der Verlust der Goten war ungeheuer; Prokop schätzte ihn auf dreißigtausend Tote und mehr als ebenso viele Verwundete: sie hatten sich im ganzen Umkreis der Stadt mit äußerster Todesverachtung den Geschossen der Belagerten ausgesetzt, und am pankratischen Tor und bei dem Grabmal Hadrians waren sie zu Tausenden gefallen. Da nun auch in den achtundsechzig früheren Gefechten die Angreifenden immer viel mehr als die hinter Mauer und Turm gedeckten Verteidiger gelitten hatten, so war das große Heer, das Witichis vor Monden gegen die ewige Stadt geführt, furchtbar zusammengeschmolzen. Dazu kam, daß schon seit geraumer Zeit Seuchen und Hunger in ihren Zelten wüteten. Bei dieser Entmutigung und Abnahme seiner Truppen mußte Witichis den Gedanken, die Stadt im Sturm zu nehmen, aufgeben, und seine letzte Hoffnung - er verhehlte sich ihre Schwäche nicht - bestand in der Möglichkeit, der Mangel werde den Feind zur Übergabe zwingen. Die Gegend um Rom war völlig ausgesogen: und es schien nun darauf anzukommen, welche Partei die Entbehrung länger würde ertragen oder welche sich aus der Ferne würde Vorräte verschaffen können. Schwer fehlte den Goten die an der Küste von Dalmatien beschäftigte Flotte. Der erste, der sich von seiner Wunde erholte, war der Präfekt. Von der Pforte, die er mit seinem Leibe verschlossen, bewußtlos weggetragen, lag er anderthalb Tage in einem Zustand, der halb Schlaf, halb Ohnmacht war. Als er am Abend des zweiten Tages die Augen aufschlug, traf sein erster Blick auf den treuen Mauren, der am Fußende des Lagers auf der Erde kauerte und kein Auge von ihm wandte. Die Schlange war um seinen Arm gerollt. «Die Holzpforte!» war des Präfekten erstes, noch schwach gehauchtes Wort, «die Holzpforte muß fort - ersetzt durch Marmorquadern... -» «Danke, danke dir, Schlangengott!» jubelte der Sklave, «jetzt ist der Mann gerettet. Und auch du selbst. Und ich, Herr, habe dich gerettet.» Und er warf sich mit gekreuzten Armen nieder und küßte das Lagergestell seines Herrn. - Er wagte nicht, dessen Füße zu berühren. «Du mich gerettet? - Wodurch?» «Als ich dich so todesbleich auf diese Decken gelegt, habe ich den Schlangengott herbeigeholt, dich ihm gezeigt und gesprochen: , und sprengte gegen die Angreifer zur Linken, ihre Reihen zu durchbrechen. Doch da kamen wir übel an: die Goten ritten besser und fochten besser als unsere mauretanischen Reiter: und ihre Führer, Totila und Hildebad, - jenen erkannte ich an den langflatternden gelben Haaren und diesen an der ungeschlachten Größe -, hielten sichtlich scharf auf den Feldherrn selbst. schrie der lange Hildebad vernehmlich durch das Klirren der Waffen. antwortete dieser unverzüglich: und ehe wir ihn abhalten konnten, hielt er schon dem Riesen gegenüber. Der war nicht faul und hieb ihm mit seinem wuchtigen Beil auf den Helm, daß der goldene Kamm mit dem weißen Roßhaarbüschel zerschmettert zur Erde rollte und Belisars Haupt bis auf den Kopf des Pferdes niederfuhr. Und schon holte jener zum zweiten, dem tödlichen Streiche aus: da war der junge Severinus, des Boethius Sohn, heran und fing den Hieb mit dem runden Schilde auf. Aber das Beil des Barbaren drang durch den Schild und flog noch tief in den Hals des edeln Jünglings. Er stürzte» - Prokop stockte in schmerzlichen Gedanken. «Tot?» fragte Cethegus ruhig. «Ein alter Freigelassener seines Vaters, der ihn begleitete, trug ihn aus dem Gefecht. Doch starb er schon, so hört' ich, eh' er das Dorf erreichte.» - «Ein schöner Tod!» sagte Cethegus. «Syphax, einen neuen Becher Wein!» «Belisar hatte sich aber inzwischen aufgerafft und stieß nun in großem Zorn mit seinem Speer den Goten so gewaltig auf die Brustplatte seines Harnischs,' daß er der Länge nach vom Pferde flog. Laut jubelten wir auf, aber der junge Totila» -«Nun?» «Sah kaum seinen Bruder fallen, als er sich grimmig durch die Lanzen der Leibwächter Bahn brach zu Belisar. Aigan, sein Bannerträger, wollte ihn decken, aber des Goten Schwert traf seinen linken Arm: er riß ihm die Fahne aus der erschlafften Hand und warf sie dem nächsten Goten zu. Laut auf schrie Belisar vor Zorn und wandte sich gegen ihn: aber der junge Totila ist rasch wie der Blitz, und zwei scharfe Hiebe trafen, eh' er sich's versah, des Feldherrn beide Schultern: der wankte im Sattel und sank langsam vom Pferd, das im selben Augenblick ein Wurfspeer traf und niederwarf. rief Totila. Der Feldherr hatte gerade noch die Kraft, das Haupt verneinend zu schütteln, da sank er vollends zur Erde. Rasch war ich abgesprungen, hatte ihn auf mein eigen Pferd gehoben und der Sorge des Johannes empfohlen, der fünfzig Leibwächter um sich scharte und ihn schnell aus dem Getümmel flüchtend nach der Stadt hin brachte.» - «Und du?» «Ich focht zu Fuß weiter. Und es gelang mir, da jetzt unsere Nachhut eintraf - die Vorräte in der Mitte hatten wir preisgegeben -, das Gefecht gegen Totila zu stellen. Aber nicht auf lange. Denn nun war auch die zweite Schar der gotischen Reiter heran; wie der Sturmwind sauste der schwarze Teja herzu, durchbrach unsern rechten Flügel, der ihm zunächst stand, von vorn, durchbrach dann meine eigene gegen Totila gerichtete Front von der Flanke und zersprengte unsern ganzen Schlachthaufen. Ich gab das Gefecht verloren, ergriff ein ledig Roß und eilte dem Feldherrn nach. Aber auch Teja hatte die Richtung von dessen Flucht erkannt und jagte uns wütend nach. An der fulvischen Brücke holte er die Bedeckung ein; Johannes und ich hatten mehr als die Hälfte der noch übrigen Leibwächter an der Brücke aufgestellt, den Übergang zu wehren, unter Principus, dem tapfern Pisidier, und Tarmuth, dem riesigen Isaurier. Dort fielen sie alle dreißig, zuletzt auch die beiden treuen Führer, von dem Schwerte des Teja allein, wie ich vernahm. Dort fiel die Blüte von Belisars Leibwächtern: darunter viele meiner nächsten Waffenfreunde, Alamundarus der Sarazene, Artasines der Perser, Zanter der Armenier, Longinus der Isaurier, Bucha und Chorsamantes die Massageten, Kutila der Thrakier, Hildeger der Vandale, Juphrut der Maure, Theodoritos und Georgios die Kappadokier. Aber ihr Tod erkaufte unsere Rettung. Wir holten hinter der Brücke unser hier zurückgelassenes Fußvolk ein, das dann noch die feindlichen Reiter so lang beschäftigte, bis das tiburtinische Tor sich - spät genug! - dem wunden Feldherrn öffnete. Dann eilt' ich, als wir ihn auf einer Sänfte Antoninens Pflege zugesandt, an das Grabmal Hadrians, wo, wie es hieß. die Stadt genommen sei, und fand dich dem Tode nah.» «Und was hat jetzt Belisar beschlossen?» «Seine Wunden sind nicht so schwer wie die deine und doch die Heilung langsamer. Er hat den Goten den Waffenstillstand gewährt, den sie verlangten, ihre vielen Toten zu bestatten.» Cethegus fuhr auf von den Kissen. «Er hätte ihn verweigern sollen! Keine unnütze Verzögerung der Entscheidung mehr! ich kenne diese gotischen Stiere; nun haben sie sich die Hörner stumpf gestürmt: jetzt sind sie müd und mürbe. Jetzt kam die Zeit für einen letzten Schlag, den ich schon lang ersonnen. Die Hitze draußen in der glühenden Ebene werden ihre großen Leiber schlecht ertragen, schlechter den Hunger: am schlechtesten den Durst. Denn der Germane muß saufen, wenn er nicht schnarcht oder prügelt. Nun braucht man nur ihren vorsichtigen König noch ein wenig einzuschüchtern. Sage Belisar meinen Gruß, und mein Dank für sein Schwert sei mein Rat: Er solle noch heute den gefürchteten Johannes mit achttausend Mann durch das Picenum gegen Ravenna schicken: die flaminische Straße ist frei und wird wenig gedeckt sein, denn Witichis hat die Besatzungen aller Festungen hierher gezogen, und leichter gewinnen wir jetzt Ravenna, als die Barbaren Rom. Sowie aber der König Ravenna, seinen allerletzten Hort, bedroht sieht, wird er eilen, ihn um jeden Preis zu retten. Er wird sein Heer hinwegziehen von diesen uneinnehmbaren Mauern und wieder der Verfolgte statt Verfolger sein.» - «Cethegus», sprach Prokop aufspringend, «du bist ein großer Feldherr.» «Nur nebenbei, Prokopus! Geh jetzt und grüße mir den großen Sieger Belisar.» Fünfzehntes Kapitel An dem letzten Tage des Waffenstillstands konnte Cethegus bereits wieder auf den Wällen des Grabmals Hadrians erscheinen, wo ihn seine Legionäre und Isaurier mit lautem Zuruf begrüßten. Sein erster Gang war zu dem Grabmal des Kallistratos; er legte auf die schwarze Marmorplatte einen Kranz von Lorbeeren und von Rosen nieder. Während er von hier aus die Verstärkung der Befestigungen anordnete, brachte ihm Syphax ein Schreiben von Mataswintha. Es lautete lakonisch genug: «Mach' bald ein Ende. Nicht länger kann ich den Jammer ansehn. Die Bestattung von vierzigtausend Männern meines Volks hat mir die Brust zerrissen. Die Klagelieder schienen alle mich anzuklagen. Währt das noch länger, so erlieg' ich. Der Hunger wütet furchtbar in dem Lager. Ihre letzte Hoffnung ist eine große Zufuhr von Getreide und Vieh, die aus Südgallien unter Segel ist. An den nächsten Kalenden wird sie auf der Höhe von Portus erwartet. Handle danach - aber mach' rasch ein Ende.» «Triumph», sprach der Präfekt, «die Belagerung ist aus. Unsre kleine Flotte lag bisher fast müßig zu Populonium. Jetzt soll sie Arbeit finden. Diese Königin ist die Erinnys der Barbaren.» Und er ging selbst zu Belisar, der ihn mit edler Großheit empfing. - In derselben Nacht, der letzten der Waffenruhe, zog Johannes zum pincianischen Tore hinaus, dann links nach der flaminischen Straße schwenkend. Ravenna war sein Ziel. Und eilende Boten flogen zur See mit raschen Segeln nach Populonium, wo sich ein kleines römisches Geschwader gesammelt hatte. Der Kampf um die Stadt ruhte, trotz Ablaufs des Waffenstillstands, fast ganz. Eine Woche darauf etwa machte der König, der sein Schmerzenslager zum erstenmal verließ, in Begleitung seiner Freunde den ersten Gang durch die Zelte. Drei von den sieben vormals menschenwimmelnden Lagern waren völlig verödet und aufgegeben: auch die übrigen vier waren nur noch spärlich bevölkert. Todmüde, ohne Klage, aber auch ohne Hoffnung, lagen die abgemagerten Gestalten, von Hunger und Fieber verzehrt, vor ihren Zelten. Kein Zuruf, kein Gruß erfreute den wackern König auf seinem schmerzensreichen Gang: kaum daß sie die müden Augen aufschlugen bei dem Schall der nahenden Schritte. Aus dem Innern der Zelte drang das laute Stöhnen der Kranken, der Sterbenden, die den Wunden, dem Mangel, den Seuchen erlagen. Kaum fand man die hinlängliche Zahl von Gesunden, die nötigsten Posten zu beziehen. Die Wachen schleppten die Speere hinter sich her, zu matt, sie aufrecht oder auf der Schulter zu tragen. Die Heerführer kamen an die Schanzen vor dem aurelischen Tor; im Wallgraben lag ein junger Schütz und kaute an dem bittern Gras. Hildebad rief ihm zu: «Beim Hammer! Gunthamund, was ist das? Deine Sehne ist ja gesprungen, was ziehst du keine andre auf?» - «Kann nicht, Herr, die Sehne sprang gestern bei meinem letzten Schuß. Und ich und die drei Burschen neben mir, haben die Kraft nicht, eine neue aufzuziehen.» Hildebad gab ihm einen Trunk aus seiner Lederflasche: «Hast du auf einen Römer geschossen?» - «O nein, Herr», sagte der Mann, «eine Ratte nagte dort an der Leiche. Ich traf sie glücklich, und wir teilten sie zu viert.» «Iffaswinth, wo ist dein Oheim Iffamer?» fragte der König. «Tot, Herr.» «Er fiel hinter dir, als er dich hinwegtrug. Vor dem verfluchten Marmorgrab.» «Und dein Vater Iffamut?» - «Auch tot. Er vertrug's nicht mehr, das giftige Wasser aus den Pfützen. Der Durst, König, brennt noch heißer als der Hunger. Und es will ja nicht regnen aus diesem bleiernen Himmel.» - «Ihr seid alle aus dem Athesistal?» - «Ja, Herr König, vom Iffinger-Berg. Oh, welch köstlich Quellwasser dort daheim!» Teja sah in einiger Entfernung einen andern Krieger aus einer Sturmhaube trinken. Seine Züge verfinsterten sich noch mehr. «He, du, Arnulf!» rief er ihm zu, «du scheinst nicht Durst zu leiden?» «Nein, ich trink oft», sprach der Mann. «Was trinkst du?» -«Das Blut von den Wunden der Frischgefallenen. Anfangs ekelt's sehr: aber man gewöhnt's in der Verzweiflung.» Schaudernd schritt Witichis weiter. «Schick all meinen Wein ins Lager, Hildebad. Die Wachen sollen ihn teilen.» - «All deinen Wein? O König, mein Schenkamt ist gar leicht geworden. Du hast noch anderthalb Krüge. Und Hildebrand, dein Arzt, sprach, du sollst dich stärken.» «Und wer stärkt diese, Hildebad? Die Not macht sie zu wilden Tieren!» «Komm mit nach Hause», mahnte Totila, des Königs Mantel ergreifend. «Hier ist nicht gut sein.» Im Zelt des Königs angelangt, setzten sich die Freunde schweigend um den schönen Marmortisch, der auf goldnen Gefäßen steinhartes verschimmeltes Brot aufwies und wenige Stücke Fleisch. «Es war das letzte Pferd aus den königlichen Ställen», sagte Hildebad, - «bis auf Boreas.» - «Boreas wird nicht geschlachtet! - mein Weib, mein Kind sind auf seinem Rücken gesessen.» Und er stützte das müde Haupt auf die beiden Hände: eine neue schwere Pause trat ein. «Freunde», hob er endlich an, «das geht nicht länger also. Unser Volk verdirbt vor diesen Mauern. Mein Entschluß ist schwer und schmerzlich gereift.» «Sprich's noch nicht aus, o König!» rief Hildebad. «In wenig Tagen trifft Graf Odiswinth von Cremona ein mit der Flotte, und wir schwelgen in allem Guten.» «Er ist noch nicht da!» sprach Teja. «Und unser Verlust an Menschen, so schwer er ist», ermutigte Totila, «wird er nicht durch frische Mannschaft ersetzt, wenn Graf Ulithis von Urbinum eintrifft, mit den Besatzungen, die der König aus den Festen von Ravenna bis Rom weggezogen hat, unsre leeren Zelte zu füllen?» «Auch Ulithis ist noch nicht da», sprach Teja. «Er soll noch in Picenum stehen. Und kommt er glücklich an, so wird der Mangel im Lager noch größer.» «Doch auch die Römerstadt muß fasten!» meinte Hildebad, das harte Brot mit der Faust auf dem Steintisch zerschlagend. «Laß sehn, wer's länger aushält!» «Oft hab' ich's überdacht in schweren Tagen und schlummerlosen Nächten», fuhr der König langsam fort. «Warum? Warum das alles so kommen mußte? Nach bestem Gewissen hab' ich immer wieder Recht und Unrecht abgewogen, zwischen diesen Feinden und uns: und ich kann's nicht anders finden, als daß Recht und Treue auf unsrer Seite stehen. Und wahrlich, an Kraft und Mut haben wir's nicht fehlen lassen.» «Du am wenigsten», sagte Totila. «Und an keinem schwersten Opfer!» seufzte der König. «Und wenn nun doch, wie wir alle sagen, ein Gott im Himmel waltet, gerecht und gut und allgewaltig, warum läßt er all dies ungeheure, unverdiente Elend zu? Warum müssen wir erliegen vor Byzanz?» «Wir dürfen aber nicht erliegen», schrie Hildebad. «Ich habe nie viel gegrübelt über unsern Herrgott. Aber wenn er das geschehen ließe, müßte man Sturm laufen gegen den Himmel und ihm seinen Thron mit Keulen zerschlagen.» «Lästre nicht, mein Bruder!» sprach Totila. «Und du, mein edler König, Mut und Vertrauen. Ja, es waltet ein gerechter Gott dort über den Sternen. Drum muß zuletzt die gute Sache siegen. Mut, mein Witichis, und Hoffnung, bis ans Ende.» Aber der Tiefgebeugte schüttelte das Haupt. «Ich gestehe es euch, ich habe aus diesem Irrsal, aus den schrecklichen Zweifeln an Gottes Gerechtigkeit, nur einen Ausweg gefunden. Es kann nicht sein, daß wir all dies schuldlos leiden. Und da unsres Volkes Sache zweifellos gerecht, so muß verborgne Schuld an mir, an eurem König haften. Wiederholt, erzählen unsre Lieder aus der Heidenzeit, hat sich ein König für sein Volk selbst den Göttern geopfert, wenn Unsieg, Seuche, Mißwachs jahrelang den Stamm verfolgte. Er hat die verborgne Schuld auf sich genommen, die auf den Volksgenossen zu lasten schien, und sie durch den Tod gebüßt, oder indem er ohne die Krone ins Elend ging, ein friedloser Landflüchtiger. - Laßt mich die Krone abtun von diesem Haupt ohne Glück noch Stern. Wählt einen andern, dem Gott nicht zürnt: wählt Totila, oder -» «Das Wundfieber faselt noch aus dir!» unterbrach ihn der alte Waffenmeister. «Du mit Schuld beladen! Du, der Treueste von uns allen! Nein, ich will's euch sagen, ihr Kinder allzujunger Tage, die ihr der Väter alte Kraft mit der Väter altem Glauben verloren habt und nun keinen Trost wißt für eure Herzen. Mich erbarmt eurer Reden ohne Zuversicht.» - Und seine grauen Augen leuchteten in seltnem Glanze über die Freunde hin. «Alles, was hier auf Erden erfreut und schmerzt, ist kaum der Freude noch des Schmerzes wert. Nur auf eines kommt es hier unten an: ein treuer Mann gewesen sein, kein Neiding, und den Schlachttod sterben, nicht den Strohtod. Den treuen Helden aber tragen die Walküren aus dem blutigen Feld auf roten Wolken hinauf in Odins Saal, wo die Einheriar mit vollen Bechern ihn begrüßen. Dann reitet er alltäglich mit ihnen hinaus zur Jagd und Waffenspiel beim Morgenlicht und wieder herein zu Trunk und Skaldensang in goldner Halle beim Abendlicht. Und schöne Schildjungfrauen kosen mit den Jungen: und weise Vorzeitrunen raunen wir Alten mit den alten Helden der Vorzeit. Und ich werde sie alle wiederfinden, die starken Gesellen meiner Jugend, den kühnen Winithar und Herrn Waltharis von Aquitanien und Guntharis, den Burgunden. Und schauen werd' ich auch ihn, dessen Anblick ich lange begehrt: Herrn Beowulf, den Geaten, und aus grauen Urtagen den Cherusken, der zuerst die Römer schlug, von dem noch die Sänger der Sachsen singen und sagen. Und wieder trag' ich Schild und Speer meinem Herrn, dem König mit den Adleraugen. Und so leben wir fort in alle Ewigkeit in Licht und heller Freude, vergessen der Erde hier unten und alles ihres Wehs.» «Ein schön Gedicht, alter Heide», lächelte Totila. «Wenn uns aber das nicht mehr tröstet für wirkliches, herznagendes Leid? Sprich du doch auch, Teja, du finstrer Gast. Was ist dein Gedanke bei diesen unsern Leiden? Nie fehlt uns dein Schwert: was versagst du dein Wort? Was schweigt dein tröstender Harfenschlag, du liederkundiger Sänger?» «Mein Wort», sagte Teja aufstehend, «mein Wort und Gedanke wäre euch vielleicht schwerer zu tragen als all dies Leid. Laß mich noch schweigen, mein sonnenheller Totila. Vielleicht kommt noch der Tag, da ich dir Antwort gebe. Vielleicht auch zur Harfe spiele, wenn dann noch eine Saite daran hält.» Und er schritt aus dem Zelte. Denn draußen in dem Lager hatte sich ein wirrer, rätselhafter Lärm von rufenden, fragenden Stimmen erhoben. Die Freunde sahen ihm schweigend nach. «Ich weiß wohl, was er denkt», sagte der alte Hildebrand endlich. «Denn ich kenne ihn vom Knaben auf: Er ist nicht wie andere. Auch im Nordland denken manche so, die nicht an Thor und Odin glauben, sondern nur an die Nort und ihre eigene Kraft und Stärke. Es ist fast zu schwer für ein Menschenherz. Und glücklich, glücklich macht es nicht, wie er zu denken. Mich wundert, daß er singt und Harfe schlägt dabei.» Da riß Teja, wieder eintretend, die Zeltvorhänge auf: sein Antlitz war noch bleicher als zuvor, seine dunkeln Augen blitzten, aber seine Stimme war ruhig wie sonst, da er sprach: «Brich das Lager ab, König Witichis. Unsere Schiffe sind bei Ostia in der Feinde Hand gefallen. Sie haben Graf Odoswinths Kopf ins Lager geschickt. Und sie lassen auf den Wällen Roms, vor den Augen unserer Wachen, von den gefangenen Goten die erbeuteten Rinder schlachten. Große Verstärkungen aus Byzanz unter Valerian und Euthalius: Hunnen, Sclavenen und Anten, hat eine segelreiche Flotte aus Byzanz in den Tiber geführt. Denn der blutige Johannes hat das Picenum durchzogen...» - «Und Graf Ulithis?» «Er hat Ulithis geschlagen und getötet, Ancona und Ariminum genommen. Und -» «Ist das noch nicht alles?» rief der König. «Nein, Witichis! Eile tut not! Er bedroht Ravenna: er steht nur noch wenige Meilen vor der Stadt.» Sechzehntes Kapitel Am Tage nach dem Eintreffen dieser für die Goten so verhängnisvollen Nachrichten hatte Witichis die Belagerung Roms aufgegeben und sein tief entmutigtes Heer aus den vier noch übrigen Lagern herausgezogen. Ein volles Jahr und neun Tage hatte die Einschließung gewährt. So viel Mut und Kraft, so viele Anstrengungen und Opfer waren vergeblich gewesen. Schweigend zogen die Goten an den stolzen Wällen vorüber, an denen ihr Glück und ihre Macht zerschellt waren. Schweigend trugen sie die höhnenden Worte, die Römer und «Romäer» (Byzantiner) ihnen von den sichern Zinnen herab zuriefen. Ihr Zorn und ihre Trauer waren zu groß, um durch solchen Spott getroffen zu werden. Aber als Belisars Reiterei, aus dem pincianischen Tore brechend, die Abziehenden verfolgen wollte, wurde sie grimmig zurückgewiesen. Denn Graf Teja führte die gotische Nachhut. So zog das Heer von Rom auf der flaminischen Straße durch Picenum in raschen Märschen (obwohl den von den Feinden besetzten Plätzen Narnia, Spoletium und Perusium ausgewichen werden mußte) nach Ravenna, wo Witichis zur rechten Zeit eintraf, die gefährliche Stimmung der Bevölkerung, die auf die Kunde von dem Unglück der Barbaren schon mit dem drohenden Johannes in geheime Verhandlungen getreten war, zu unterdrücken. Johannes zog sich bei Annäherung der Goten in seine letzte wichtige Eroberung Ariminum zurück. In Ancona lag Konon, der Nauarch Belisars, mit den thrakischen Speerträgern und mit Kriegsschiffen. Der König führte aber keineswegs sein ganzes, von der Belagerung Ro ms aufgebrochenes Heer nach Ravenna, sondern hatte unterwegs viele Mannschaften in Festungen verteilt. Eine Tausendschaft ließ er unter Gibimer in Clusium in Tuscien, eine andre in Urbs Vetus unter Albila, eine halbe in Tudertum unter Wulfgis: in Auximum vier Tausendschaften unter Graf Wisand, dem tapfern Bandalarius: in Urbinum zwei unter Morra: in Caesena und Monsferetrus je eine halbe. Hildebrand entsandte er nach Verona, Totila nach Tarvisium und Teja nach Ticinum, da auch der Nordosten der Halbinsel durch byzantinische, von Istrien aus drohende Truppen gefährdet wurde. Er tat dies übrigens noch aus andern Gründen. Einmal, um Belisar auf dem Wege nach Ravenna aufzuhalten. Dann, um im Fall einer Einschließung nicht wieder sobald durch die große Stärke des Heeres dem Mangel ausgesetzt zu sein. Und endlich, um für den nämlichen Fall die Belagerer auch vom Rücken, und zwar von mehreren Seiten her, beunruhigen zu können. Sein Plan war zunächst, die seinem Hauptstützpunkt Ravenna drohende Gefahr abzuwenden und sich mit seinen zerrütteten Streitkräften auf die Verteidigung zu beschränken, bis fremde Hilfstruppen, langobardische und fränkische, die er erwartete, ihn in den Stand setzen würden, wieder das offene Feld zu halten. Aber die Hoffnung, Belisar auf seinem Wege nach Ravenna durch diese gotischen Burgen hinzuhalten, erfüllte sich nicht. Er begnügte sich, sie durch beobachtende Truppen einzuschließen, und zog ohne weiteres gegen die Hauptstadt und den letzten bedeutenden Waffenplatz der Goten. «Habe ich das Herz zum Tode getroffen», sagte er, «werden sich die geballten Fäuste von selbst öffnen.» * Und so dehnten sich alsbald um die Königsstadt Theoderichs in weit gestrecktem Bogen die Zelte der Byzantiner, an allen drei Landseiten, von der Hafenstadt Classis an bis zu den Kanälen und Zweigarmen des Padus, die im Westen besonders die Verteidigung der Festungslinien bildeten. Zwar hatte die alte, vornehme Stadt damals schon viel verloren von dem Schimmer, in dem sie seit zwei Jahrhunderten fast strahlte als Residenz der Imperatoren: und auch das letzte Abendrot, das die glorreiche Regierung Theoderichs über sie gebreitet, war seit dem Ausbruch des Krieges verschwunden. Aber gleichwohl. Welch andern Eindruck muß damals die immer noch volkreiche, dem heutigen Venedig gleichende Wasserstadt gemacht haben als heute, wo es den Wandrer aus den ausgestorbenen Straßen, den leeren Plätzen, den einsam schweigenden Basiliken nicht minder melancholisch anhaucht als draußen, vor den Mauern der Stadt, wo sich weithin die öde Sumpflandschaft der Padusniederungen dehnt, bis sie in den Schlamm des weit zurückgetretenen Meeres auslaufen. Wo einst in der Hafenstadt Classis zu Wasser und zu Lande geschäftiges Leben wogte, wo die stolzen Trieren der kaiserlichen Adria-Flotte tief schaukelnd sich wiegten, da liegen jetzt sumpfige Wiesen, in deren hohem Schilf und Riedgras verwilderte Büffel grasen; versumpft die Straßen, versandet der Hafen, verschollen das Volk, das hier freudig geherrscht: - nur ein riesiger, runder Turm aus der Gotenzeit steht noch neben der allein erhaltnen, einsamen Basilika San Apollinare in Classe fuori, die, von Witichis begonnen, von Justinian vollendet, nun eine Stunde fern von aller Menschenwohnung auf der sumpfigen Ebene trauernd ragt. Die starke Seefestung galt für uneinnehmbar: darum hatten sie seit dem Sinken ihrer Macht, und der wachsenden Gefährdung Italiens durch die Barbaren, die Kaiser zur Residenz gewählt. Die Südost-Seite deckte das damals noch bis an und in ihre und der Hafenstadt Mauern spülende Meer. Und um alle drei Landseiten hatten Natur und Kunst ein labyrinthisches Netz von Kanälen, Gräben und Sümpfen des vielarmigen Padus gesponnen, in welchem sich der Belagerer rettungslos verstricken mußte. Und diese Mauern! Noch jetzt erfüllen ihre gewaltigen Reste mit Staunen: ihre ungeheure Dicke und - weniger ihre Höhe als - die Anzahl von starken Rundtürmen, die von ihren Zinnen noch heute aufsteigen, trotzten vor der Erfindung der Feuerwaffe jedem Sturm, jedem gewaltsamen Angriff. Nur durch die Aushungerung hatte nach fast vierjährigem Widerstand der große Theoderich diese letzte Zuflucht Odoakers bezwungen. Vergebens hatte Belisar versucht, gleich nach seiner Ankunft die Stadt mit Sturm zu nehmen. Kräftig ward sein Angriff abgewiesen, und die Belagerer mußten sich begnügen, die Festung enge zu umschließen und, wie einst der Gotenkönig, durch Mangel zur Übergabe zu nötigen. Dem aber konnte Witichis getrost entgegensehen. Denn er hatte mit der Vorsicht, die ihm eigen, in diesem seinem Haupt-Bollwerk, schon vor dem Aufbruch nach Rom, Vorräte aller Art, namentlich aber Getreide, in außerordentlicher Menge in besonders von ihm (mit Benutzung und in den Räumen des ungeheuren Marmorzirkus des Theodosius) erbauten Kornspeichern von Holzgezimmer aufgehäuft. Diese ausgedehnten Holzbauten, gerade gegenüber dem Palast und der Basilika Sancti Apollinaris, waren des Königs Stolz, Freude und Trost. Nur weniges von diesen Nahrungsmitteln hatte man durch das von den Feinden durchstreifte Land nach dem Lager vor Rom führen können: und bei einiger Sparsamkeit reichten diese Magazine ohne Zweifel für die Bevölkerung und das nicht mehr zahlreiche Heer leicht noch zwei und drei Monate aus. Bis dahin aber war das Eintreffen eines fränkischen Hilfsheeres infolge der aufs neue angeknüpften Verhandlungen sicher zu erwarten. Und dieser Entsatz mußte notwendig die Aufhebung der Belagerung herbeiführen. Dies wußten - oder ahnten doch - Belisar und Cethegus so gut wie Witichis: und rastlos spähten sie nach allen Seiten, ein Mittel zu finden, den Fall der Stadt zu beschleunigen. Der Präfekt suchte natürlich vor allem seine geheime Verbindung mit der Gotenkönigin zu diesem Zweck zu benutzen. Aber einmal war der Verkehr mit ihr jetzt sehr erschwert, da die Goten alle Ausgänge der Stadt sorgfältig überwachten. Und dann schien auch Mataswintha wesentlich verändert und keineswegs mehr so bereit und willfährig, sich als Werkzeug gebrauchen zu lassen, wie ehedem. Sie hatte eine rasche Vernichtung oder Demütigung des Königs erwartet. Das lange Hinzögern ermüdete sie: und zugleich hatten die großen Leiden ihres Volkes in Kampf und Hunger und Krankheit angefangen, sie zu erschüttern. Dazu kam endlich, daß die traurige Verwandlung in dem sonst so kräftigen und gesundfreudigen Wesen des Königs, der stille, aber tiefe und finstre Gram, der über seiner Seele lag, mächtig an ihrem Herzen rüttelte. Wenn sie auch mit der ganzen Ungerechtigkeit des Schmerzes, mit dem bittern Stolz gekränkter Liebe ihn verklagte, daß er ihr Herz verworfen und doch, um der Krone willen, mit Gewalt ihre Hand erzwungen hatte, und wenn sie ihn dafür auch mit der ganzen leidenschaftlichen Glut ihres Wesens zu hassen glaubte und zum Teil auch wirklich haßte, so war doch dieser Haß nur umgeschlagene Liebe. Und als sie ihn nun von dem schweren Unglück der gotischen Waffen, von dem Fehlschlagen all seiner Pläne - an dem ihr heimtückischer Verrat so großen Anteil trug, - tief, bis zur krankhaftschwermütigen Verfinsterung des Geistes, zu marternder Selbstpeinigung niedergebeugt sah, so wirkte dieser Anblick auf ihre aus Härte und Glut seltsam gemischte Natur. Sie hätte im Augenblick des schmerzlichen Zornes mit Entzücken sein Blut fließen sehen. Aber mondenlang ihn mit bohrendem Gram sich selbst zerstören sehen, - das ertrug sie nicht. Zu dieser weichern Stimmung trug aber endlich wesentlich bei, daß sie seit der Ankunft in Ravenna auch eine Veränderung in des Königs Benehmen gegen sie selbst bemerkt zu haben glaubte. Spuren der Reue, dachte sie, von Reue über die Gewaltsamkeit, mit welcher er in ihr Leben eingegriffen hatte. Und weil sich in diesem Glauben ihr hartes, schroffes Auftreten bei den selten und immer nur vor Dritten erfolgenden Begegnungen unwillkürlich gemildert hatte, erblickte Witichis hierin einen erfreulichen Schritt des Entgegenkommens, den er stillschweigend ebenfalls mit freundlicheren Formen anerkannte und lohnte. Grund genug für Mataswinthas beweglich flutende Gedanken, die Anträge des Präfekten, selbst wenn diese manchmal noch durch des klugen Mauren Vermittlung an sie gelangten, abzuweisen. Doch hatte der Präfekt aus dieser Quelle schon während des Zuges gegen Ravenna erfahren, was später auch sonst bekannt wurde, daß die Goten Hilfe von den Franken erwarteten. Unverzüglich hatte er deshalb seine alten Verbindungen mit den Vornehmen und Großen, die an den Höfen zu Mettis (Metz), Aurelianum (Orleans) und Suessianum (Soissons) im Namen der merowingischen Schattenkönige herrschten, wieder angeknüpft, um die Franken, deren damals sprichwörtlich gewordne Falschheit gute Aussicht auf Gelingen solcher Versuche gewährte, von dem gotischen Bündnis wieder abzuziehen. Und als die Sache durch diese Freunde gehörig vorbereitet war, hatte er an König Theudebald, der zu Mettis Hof hielt, selbst geschrieben und ihn dringend gewarnt, bei einer so verlorenen Sache, wie die gotische seit dem Scheitern der Belagerung Roms offenbar geworden, sich zu beteiligen. Diesen Brief hatten reiche Geschenke an seinen alten Freund, den Majordomus des schwachen Königs, begleitet. Und sehnlich erwartete der Präfekt von Tag zu Tag die Antwort auf denselben: um so sehnlicher, als das veränderte Benehmen Mataswinthens die Hoffnung auf raschere Überwältigung der Goten abgeschnitten hatte. Die Antwort kam, gleichzeitig mit einem kaiserlichen Schreiben aus Byzanz, an einem für die Helden in und außer Ravenna gleich verhängnisvollen Tage. Siebzehntes Kapitel Hildebad, ungeduldig über das lange Müßigliegen, hatte aus der ihm zu besonderer Obhut anvertrauten Porta Faventina mit Tagesanbruch einen heftigen Ausfall auf das byzantinische Lager gemacht, anfangs in ungestümem Anlauf rasche Vorteile errungen, einen Teil der Belagerungswerkzeuge verbrannt und ringsum Schrecken verbreitet. Er hätte unfehlbar noch viel größeren Schaden angerichtet, wenn nicht der rasch herbeieilende Belisar an diesem Tage all seine Feldherrnschaft und all sein Heldentum zugleich entfaltet hätte. Ohne Helm und Harnisch, wie er vom Lager aufgesprungen, hatte er sich zuerst seinen eigenen fliehenden Vorposten, dann den gotischen Verfolgern entgegengeworfen und durch äußerste persönliche Anstrengung und Aufopferung das Gefecht zum Stehen gebracht. Darauf aber hatte er seine beiden Flanken so geschickt verwendet, daß Hildebads Rückzug ernstlich bedroht war und die Goten, um nicht abgeschnitten zu werden, all ihre errungenen Vorteile aufgeben und schleunigst in die Stadt zurückeilen mußten. Cethegus, der mit seinen Isauriern vor der Porta Honoriana lag und zur Hilfe herbeikam, fand das Treffen schon beendet und konnte nicht umhin, nachher Belisar in seinem Zelte aufzusuchen und ihm, als Feldherrn wie als Krieger, seine Anerkennung auszusprechen, ein Lob, das Antonina begierig einsog. «Wirklich, Belisarius», schloß der Präfekt, «Kaiser Justinian kann dir das nicht vergelten.» «Da sprichst du wahr», antwortete Belisar stolz: «er vergilt mir nur durch seine Freundschaft. Für seinen Feldherrnstab könnte ich nicht tun, was ich für ihn schon getan habe und noch immer tue. Ich tu's, weil ich ihn wirklich liebe. Denn er ist ein großer Mann mit allen seinen Schwächen. Wenn er nur eins noch lernte: mir vertraun. Aber getrost: - er wird's noch lernen.» Da kam Prokop und brachte einen Brief von Byzanz, der soeben von einem kaiserlichen Gesandten überbracht worden. Mit freudestrahlendem Antlitz sprang Belisar, aller Müdigkeit vergessend, vom Polster auf, küßte die purpurne Schnüre, durchschnitt sie dann mit dem Dolch und öffnete das Schreiben mit den Worten: «Von meinem Herrn und Kaiser selbst! Ah, nun wird er mir die Leibwächter senden und den lang geschuldeten Sold, den ich erwarte, und das vorgeschossene Gold.» Und er begann zu lesen. Aufmerksam beobachteten ihn Antonina, Prokop und Cethegus: seine Züge verfinsterten sich mehr und mehr: seine breite Brust fing an, sich wie in schwerem Kampf zu heben: die beiden Hände, mit welchen er das Schreiben hielt, zitterten. Besorgt trat Antonina heran, aber ehe sie fragen konnte, stieß Belisar einen dumpfen Schrei der Wut aus, schleuderte das kaiserliche Schreiben auf die Erde und stürzte außer sich aus dem Gezelt, eilends folgte ihm seine Gattin. «Jetzt darf ihm nur Antonina vor die Augen», sagte Prokop, den Brief aufhebend. «Laß sehn: wohl wieder ein Stücklein kaiserlichen Dankes», und er las: «Der Eingang ist Redensart, wie gewöhnlich - aha, jetzt kommt es besser: in den Wüsten Ägyptens», sagte er zu sich selber. «Schwül überall - außen und innen. Auf wen wird sich der lang versparte Groll der Natur und Leidenschaft entladen?» Damit trat er in sein Zelt. Syphax sprach zu ihm: «Herr, wär' ich daheim, ich glaubte heute, der Gifthauch des Wüstengottes sei im Anzug» und er reichte ihm einen Brief. Es war die Antwort des Frankenkönigs! Hastig riß Cethegus das große, prunkende Siegel auf. «Wer hat ihn gebracht?» «Ein Gesandter, der, nachdem er den Präfekten nicht getroffen, sich zu Belisar hatte führen lassen. Er hatte den nächsten Weg - den durchs Lager - verlangt. Deshalb hatte ihn Cethegus verfehlt.» Er las begierig: «Theudebald, König der Franken, Cethegus dem Präfekten Roms. Kluge Worte hast du uns geschrieben. Noch klügere nicht der Schrift vertraut, sondern uns durch unsern Majordomus kundgetan Wir sind nicht übel geneigt, danach zu tun. Wir nehmen deinen Rat und die Geschenke, die ihn begleiten, an. Den Bund mit den Goten hat ihr Unglück gelöst. Dies, nicht unsere Wandelung, mögen sie verklagen. Wen der Himmel verläßt, von dem sollen auch die Menschen lassen, wenn sie fromm und klug. Zwar haben sie uns den Sold für das Hilfsheer in mehreren Zentenaren Goldes vorausbezahlt. Allein das bildet in unsern Augen kein Hindernis. Wir behalten diese Schätze als Pfand, bis sie uns die Städte in Südgallien abgetreten, welche in die von Gott und der Natur dem Reich der Franken vorgezeichnete Gebietsgrenze fallen. Da wir aber den Feldzug bereits vorbereitet und unser tapferes Heer, das schon den Kampf erwartet, nur mit gefährlichem Murren die Langeweile des Friedens tragen würde, sind wir gewillt, unsere siegreichen Scharen gleichwohl über die Alpen zu schicken. Nur anstatt für: gegen die Goten. Aber freilich, auch nicht für den Kaiser Justinianus, der uns fortwährend den Königstitel vorenthält, sich auf seinen Münzen Herrn von Gallien nennt, uns keine Goldmünzen mit eigenem Brustbild prägen lassen will und uns noch andere höchst unerträgliche Kränkungen unserer Ehre angetan. Wir gedenken vielmehr, unsre eigne Macht nach Italien auszudehnen. Da wir nun wohl wissen, daß des Kaisers ganze Stärke in diesem Lande auf seinem Feldherrn Belisar beruht, dieser aber eine große Zahl alter und neuer Beschwerden gegen seinen undankbaren Herrn zu führen hat - so werden wir diesem Helden antragen, sich zum Kaiser des Abendlandes aufzuwerfen, wobei wir ihm ein Heer von hunderttausend Franken-Helden zu Hilfe senden und uns dafür nur einen kleinen Teil Italiens von den Alpen bis Genua hin abtreten lassen werden. Wir halten für unmöglich, daß ein Sterblicher dieses Anerbieten ablehne. Falls du zu diesem Plane mitwirken willst, verheißen wir dir eine Summe von zwölf Zentenaren Goldes und werden, gegen eine Rückzahlung von zwei Zentenaren, deinen Namen in die Liste unserer Tischgenossen aufnehmen. Der Gesandte, der dir diesen Brief gebracht, Herzog Liuthari, hat unsern Antrag Belisar mitzuteilen.» Mit steigender Erregung hatte Cethegus zu Ende gelesen. Jetzt fuhr er auf. «Ein solcher Antrag zu dieser Stunde: - in dieser Stimmung: er nimmt ihn an! Kaiser des Abendlandes mit hunderttausend Frankenkriegern! Er darf nicht leben.» - Und er eilte an den Eingang seines Zeltes. Dort aber blieb er plötzlich stehen: «Tor, der ich war!» lächelte er kalt. «Heißblütig noch immer? Er ist ja Belisar und nicht Cethegus! Er nimmt nicht an. Das wäre, wie wenn der Mond sich gegen die Erde empören wollte, als ob der zahme Haushund plötzlich zum grimmigen Wolfe würde. Er nimmt nicht an! Aber nun laß sehen, wie wir die Niedertracht und Gier dieses Merowingen nutzen. Nein, Frankenkönig», und er lächelte bitter auf den zusammengeknitterten Brief, «solang Cethegus lebt, - nicht einen Fußbreit von Italiens Boden.» Und einen raschen, heftigen Gang durchs Zelt. Einen zweiten langsamem. Und einen dritten -: nun blieb er stehen - und über die mächtige Stirn zuckt' es hin: «Ich hab' es!» frohlockte er. «Auf, Syphax», rief er, «geh und rufe mir Prokop.» - Und bei einem neuen Durchschreiten des Gemachs fiel sein Blick auf den zur Erde gefallenen Brief des Merowingen. «Nein», lächelte er triumphierend, ihn aufhebend, «nein, Frankenkönig, nicht so viel Raum, als dieser Brief bedeckt, sollst du haben von Italiens heiliger Erde.» Bald erschien Prokop. Die beiden Männer pflogen über Nacht ernste, schwere Beratung. Prokop erschrak vor den schwindelkühnen Plänen des Präfekten und weigerte sich lange, darauf einzugehen. Aber mit überlegener Geistesmacht hatte ihn der gewaltige Mann umklammert und hielt ihn eisern fest mit zwingenden Gedanken, schlug jeden Einwand, noch eh' er ausgesprochen, mit siegender Überredung nieder und ließ nicht eher ab, seine unzerreißbaren und dichten Fäden um den Widerstrebenden zu ziehen, bis dem Eingesponnenen die Kraft des Widerstandes versagte. - Die Sterne erblichen, und das erste Tagesgrauen erhellte den Osten mit blassem Streif, als Prokopius von dem Freunde Abschied nahm. «Cethegus», sagte er aufstehend, «ich bewundere dich. Wär' ich nicht Belisars - ich möchte dein Geschichtsschreiber sein.» «Interessanter wäre es», sagte der Präfekt ruhig, «aber schwerer.» «Doch graut mir vor der ätzenden Schärfe deines Geistes. Sie ist ein Zeichen der Zeit, in der wir leben. Sie ist wie eine blendendfarbige Giftblume auf einem Sumpfe. Wenn ich denke, wie du den Gotenkönig durch sein eigen Weib zugrunde gerichtet... -» «Ich mußte dir das jetzt sagen. Leider hab' ich in letzter Zeit wenig von meiner schönen Verbündeten gehört.» «Deine Verbündete! Deine Mittel sind...» - «Immer zweckmäßig.» «Aber nicht immer... ! - Gleichviel, ich gehe mit dir: - noch eine Strecke Weges, weil ich meinen Helden aus Italien fort haben will, sobald als möglich. Er soll in Persien Lorbeeren sammeln, statt hier Dornen. Aber ich gehe nicht weiter mit dir als bis... -» «Zu deinem Ziel, das versteht sich.» «Genug. Ich spreche sofort mit Antoninen: ich zweifle nicht am Erfolg. Sie langweilt sich hier aufs tödlichste. Sie brennt vor Begierde, in Byzanz nicht nur so manchen Freund wiederzufinden, auch die Feinde ihres Gatten zu verderben.» «Eine gute schlechte Frau.» «Aber Witichis? Meinst du, er wird eine Empörung Belisars für möglich halten?» «König Witichis ist ein guter Soldat und schlechter Psychologe. Ich kenne einen viel schärferen Kopf, der's doch einen Augenblick für möglich hielt. Und du zeigst ihm ja alles schriftlich. Und jetzt gerade, da er von den Franken im Stich gelassen ist, geht ihm das Wasser an den Hals: - er greift nach jedem Strohhalm. Daran also zweifle ich nicht: - versichre dich nur Antoninens.» - «Das laß meine Sorge sein. Bis Mittag hoff ich als Gesandter in Ravenna einzuziehn.» «Wohl: - dann vergiß mir nicht, die schö ne Königin zu sprechen.» Neunzehntes Kapitel Und mittags ritt Prokop in Ravenna ein. Er trug vier Briefe bei sich: den Brief Justinians an Belisar, die Briefe des Frankenkönigs an Cethegus und an Belisar und einen Brief Belisars an Witichis. Diesen letzten hatte Prokop geschrieben, und Cethegus hatte ihn diktiert. Der Gesandte hatte keine Ahnung, in welcher Seelenverfassung er den König der Goten und seine Königin antraf. Der gesunde, aber einfache Sinn des Königs hatte schon seit geraumer Zeit begonnen, unter dem Druck unausgesetzten Unglücks zwar nicht zu verzagen, jedoch sich zu verdüstern. Die Ermordung seines einzigen Kindes, das herzzerfleischende Losreißen von seinem Weibe hatten ihn schwer erschüttert: -aber er hatte es getragen für den Sieg der Goten. Und nun war dieser Sieg hartnäckig ausgeblieben. Trotz allen Anstrengungen war die Sache seines Volkes mit jedem Monat seiner Regierung tiefer gefallen: mit einziger Ausnahme des Gefechts bei dem Zug nach Rom hatte ihm nie das Glück gelächelt. Die mit so stolzen Hoffnungen unternommene Belagerung von Rom hatte mit dem Verlust von drei Vierteln seines Heeres und traurigem Rückzug geendet. Neue Unglücksschläge, Nachrichten, die betäubend wie Keulenschläge auf den Helm in dichter Folge sich drängten, mehrten seine Niedergeschlagenheit und steigerten sie zu dumpfer Hoffnungslosigkeit. Fast ganz Italien, außerhalb Ravennas, schien Tag für Tag verlorenzugehen. Schon von Rom aus hatte Belisar eine Flotte gegen Genua gesendet, unter Mundila, dem Heruler, und Ennes, dem Isaurier: ohne Schwertstreich gewannen deren gelandete Truppen den seebeherrschenden Hafen und von da aus fast ganz Ligurien. Nach dem wichtigen Mediolanum lud sie Datius, der Bischof dieser Stadt, selbst; von dort aus gewannen sie Bergomum, Comum, Novaria. Andrerseits ergaben sich die entmutigten Goten in Clusium und dem halbverfallnen Dertona den Belagerern und wurden gefangen aus Italien geführt. Urbinum ward nach tapferm Widerstand von den Byzantinern erobert, ebenso Forum Cornelii und die ganze Landschaft Ämilia durch Johannes den Blutigen: die Versuche der Goten, Ancona, Ariminum und Mediolanum wiederzunehmen, scheiterten. Noch schlimmere Botschaften aber trafen bald des Königs weiches Gemüt. Denn inzwischen wütete der Hunger in den weiten Landschaften Ämilia, Picenum, Tuscien. Dem Pfluge fehlten Männer, Rinder und Rosse. Die Leute flüchteten in die Berge und Wälder, buken Brot aus Eicheln und verschlangen das Gras und Unkraut. Verheerende Krankheiten entstanden aus der mangelnden und ungesunden Nahrung. In Picenum allein erlagen fünfzigtausend Menschen, noch mehr jenseits des Ionischen Meerbusens in Dalmatien, dem Hunger und den Seuchen. Bleich und abgemagert wankten die noch Lebenden dem Grabe zu: wie Leder ward die Haut und schwarz, die glühenden Augen traten aus dem Kopf, die Eingeweide brannten. Die Aasvögel verschmähten die Leichen dieser Pestopfer: aber von Menschen ward das Menschenfleisch gierig gegessen. Mütter töteten und verzehrten ihre neugeborenen Kinder. In einem Gehöft bei Ariminum waren nur noch zwei römische Weiber übrig. Diese ermordeten und verzehrten nacheinander siebzehn Menschen, die vereinzelt bei ihnen Unterkunft gesucht. Erst der achtzehnte erwachte, bevor sie ihn im Schlaf zu erwürgen vermochten, tötete die werwölfischen Unholdinnen und brachte das Schicksal der früheren Opfer ans Licht. Endlich scheiterte auch die auf Langobarden und Franken gesetzte Hoffnung. Die letzteren, die große Summen für das zugesagte Hilfsheer empfangen hatten, verharrten in schweigender Ruhe. Die ungestüm zur Eile, zur Erfüllung der versprochenen und vorausbezahlten Leistungen mahnenden Boten des Königs wurden zu Mettis, Aurelianum und Paris festgehalten: keinerlei Antwort kam von diesen Höfen. Der Langobardenkönig Audoin aber ließ sagen, er wolle nichts entscheiden ohne seinen kriegsgewaltigen Sohn Alboin. Dieser jedoch sei mit großem Gefolge auf Abenteuer ausgezogen. Vielleicht komme derselbe selbst einmal nach Italien: - er sei mit Narses eng befreundet. Dann werde er das Land ansehn und seinem Vater und Volke raten, welche Beschlüsse sie über dies Land Italia fassen sollten. Tapfer widerstand zwar noch Auximum monatelang allen Anstrengungen des starken Belagerungsheeres, das Belisar selbst, begleitet von Prokop, vor die Mauern geführt hatte und während der Einschließung befehligte. Aber es zerriß dem König das Herz, als ihm durch einen Boten (der nur mit Mühe und verwundet sich durch die Reihen beider einschließenden Heere in das drei Tagreisen entfernte Ravenna schlich) der heldenmütige Graf Wisand, der Bandalarius, die folgenden Worte sandte: «Als du mir Auximum anvertrautest, sagtest du: ich sollte damit die Schlüssel Ravennas, ja des Gotenreichs hüten. Ich sollte männlich widerstehen, dann würdest du bald mit all deinem Heer zu unsrem Entsatz heranziehen. Wir haben männlich widerstanden Belisar und dem Hunger. Wo bleibt dein Entsatz? Wehe, wenn du recht gesprochen und mit unsrer Feste jene Schlüssel in der Feinde Hände fallen. Deshalb komm und hilf: - mehr um des Reichs als unsrer willen.» Diesem Boten folgte bald ein zweiter, ein mit vielem Golde bestochner Soldat der Belagerer, Burcentius: sein Auftrag lautete - mit Blut war der kurze Brief geschrieben -: «Wir haben nur mehr das Unkraut zu essen, das aus den Steinen wächst. Länger als fünf Tage können wir uns nicht mehr halten.» Der Bote fiel auf der Rückkehr mit der Antwort des Königs in die Hand der Belagerer, die ihn im Angesicht der Goten vor den Wällen von Auximum lebendig verbrannten. Ach, und der König konnte nicht helfen. Noch immer widerstand das Häuflein Goten in Auximum, obwohl ihnen Belisar durch Zerstörung der Wasserleitung das Wasser abschnitt und den letzten Brunnen, der ihnen geblieben und nicht abzugraben war, durch Leichen von Menschen und Tieren und Kalklösungen vergiftete. Sturmangriffe schlug Wisand immer noch blutig ab: nur durch Aufopferung eines Leibwächters entging einmal Belisar hierbei dem ganz nahen Tode. Endlich fiel zuerst Cäsena, die letzte gotische Stadt in der Ämilia, und dann Fäsulä, das Cyprianus und Justinus belagerten. «Mein Fäsulä!» rief der König, als er es erfuhr: - denn er war Graf dieser Stadt gewesen, und dicht dabei lag das Haus, das er mit Rauthgundis bewohnt hatte. «Die Hunnen hausen wohl an meinem zerstörten Herd!» Als aber die gefangene Besatzung von Fäsulä den Belagerten in Auximum in Ketten vor Augen geführt und von diesen Gefangnen selbst jeder Entsatz von Ravenna her als hoffnungslos bezeichnet wurde, da nötigten den Bandalarius seine verhungerten Scharen zur Übergabe. Er selbst bedang sich freies Geleit nach Ravenna aus. Seine Tausendschaften wurden gefangen aus Italien geführt. Ja, so tief gesunken war Mut und Volksgefühl der endlich Bezwungenen, daß sie unter Graf Sisifrid von Sarsina gegen die eigenen Volksgenossen Dienste nahmen unter Belisars Fahnen. Der Sieger hatte Auximum stark besetzt und alsbald die bisherigen Belagerer dieser Feste zurückgeführt in das Lager vor Ravenna, wo er Cethegus den bisher anvertrauten Oberbefehl wieder abnahm. Es war, als ob ein Fluch an dem Haupte des Gotenkönigs hafte, auf dem so schwer die Krone lastete. Da er nun den Grund seines Mißlingens keiner Schwäche, keinem Versehen auf seiner Seite zuschreiben, da er ebensowenig an dem guten Recht der Goten gegen die Byzantiner zweifeln und da seine einfache Gottesfurcht in diesem Ausgang nichts andres als das Walten des Himmels erblicken konnte, so kam er immer wieder auf den quälenden Gedanken, es sei um seiner unvergebenen Sündenschuld willen, daß Gott die Goten züchtige: eine Vorstellung, welche die Anschauungen des die Zeit beherrschenden alten Testaments ihm nicht minder nahelegten als viele Züge der alten germanischen Königssage. Diese Gedanken verfolgten unablässig den tüchtigen Mann und nagten Tag und Nacht an der Kraft seiner Seele. Bald suchte er im selbstquälerischen Grübeln jene seine geheime Schuld zu entdecken. Bald sann er nach, wie er den ihn verfolgenden Fluch wenigstens von seinem Volke wenden könne. Längst hätte er die Krone einem andern abgetreten, wenn ein solcher Schritt in diesem Augenblick nicht ihm und andern als Feigheit hätte erscheinen müssen. So war ihm auch dieser Ausweg - der nächste und liebste - aus seinen quälenden Gedanken verschlossen. Gebeugt saß jetzt oft der sonst so stattliche Mann, blickte lange starr und schweigend vor sich hin, nur manchmal das Haupt schüttelnd oder tief aufseufzend. Der tägliche Anblick dieses stillen, stolzen Leidens, dieses stummen und hilflosen Erduldens eines niederdrückenden Geschickes blieb, wie wir gesehen, nicht ohne Eindruck auf Mataswintha. Auch glaubte sie sich darin nicht getäuscht zu haben, daß seit geraumer Zeit sein Auge milder als sonst, mit Wehmut, ja mit Wohlwollen auf ihr geruht habe. Und so drängte sie teils uneingestandene Hoffnung, die so schwer erlischt im liebenden Herzen, teils Reue und Mitleid mächtiger als je zu dem leidenden König. Oft wurden sie jetzt auch durch ein gemeinsames Werk der Barmherzigkeit vereint. Die Bevölkerung von Ravenna hatte in den letzten Wochen angefangen, während die Belagerer von Ancona aus das Meer beherrschten und aus Calabrien und Sizilien reiche Vorräte bezogen, Mangel zu leiden. Nur die Reichen vermochten noch die hohen Preise des Getreides zu bezahlen. Des Königs mildes Herz nahm keinen Anstand, aus dem Überfluß seiner Magazine, die, wie gesagt, die doppelte Zeit bis zum Eintreffen der Franken auszureichen versprachen, auch an die Armen der Stadt wohltätige Verteilungen zu machen, nachdem er seine gotischen Tausendschaften versorgt hatte: auch hoffte er auf eine große Menge von Getreideschiffen, welche die Goten in den oberen Padus-Gegenden auf diesem Flusse zusammengebracht hatten und in die Stadt zu schaffen trachteten. Um aber jeden Mißbrauch und alles Übermaß bei jenen Spenden fernzuhalten, überwachte der König selbst diese Austeilungen: und Mataswintha, die ihn einmal mitten unter den bettelnden und dankenden Haufen angetroffen, hatte sich neben ihn auf die Marmorstufen der Basilika von Sankt Apollinaris gestellt und ihm geholfen, die Körbe mit Brot verteilen. Es war ein schöner Anblick, wie das Paar, er zur Rechten, die Königin zur Linken, vor der Kirchenpforte stand und über die Stufen hinab dem segenrufenden Volk die Spende reichte. Während sie so standen, bemerkte Mataswintha unter der drängenden, flutenden Volksmasse denn es war viel Landvolk ja auch von allen Seiten vor den Schrecken des Krieges in die rettenden Mauern zusammengeströmt - auf der untersten Stufe der Basilika seitwärts ein Weib in schlichtem, braunem, halb über den Kopf gezogenem Mantel. Dies Weib drängte nicht mit den andern die Stufen hinan, um auch Brot für sich zu fordern: sondern lehnte, vorgebeugt, den Kopf auf die linke Hand und diesen Arm auf einen hohen Sarkophag gestützt, hinter der Ecksäule der Basilika und blickte scharf und unverwandt auf die Königin. Mataswintha glaubte, das Weib sei etwa von Furcht oder Scham oder Stolz abgehalten, sich unter die keckern Bettler zu mischen, die auf den Stufen sich stießen und drängten: und sie gab Aspa einen besondern Korb mit Brot, hinabzugehen und ihn der Frau zu reichen. Sorglich bemüht häufte sie mit mildem Blick und mit den beiden weißen Händen tätig das duftende Gebäck. - Als sie aufsah, begegnete sie dem Auge des Königs, das, sanft und freundlich gerührt, wie noch nie, auf ihr geruht hatte. - Heiß schoß ihr das Blut in die Wangen, und sie zuckte leise und senkte die langen schönen Wimpern. Als sie wieder aufsah und nach dem Weib im braunen Mantel blickte, war dies verschwunden. Der Platz am Sarkophag war leer. Sie hatte, während sie den Korb füllte, nicht bemerkt, wie ein Mann mit einem Büffelfell und einer Sturmhaube, der hinter der Frau stand, sie beim Arme gefaßt und mit sanfter Gewalt hinweggeführt hatte. «Komm», hatte er gesagt, «hier ist kein guter Ort für dich.» Und wie im wachen Traum hatte das Weib geantwortet: «Bei Gott, sie ist wunderschön.» «Ich danke dir, Mataswintha!» sprach der König freundlich, als die für heute bestimmten Spenden verteilt waren. Der Blick, der Ton, das Wort drangen tief in ihr Herz. Nie hatte er sie bisher bei ihrem Namen genannt, immer nur die Königin in ihr gesehen und angesprochen. Wie beglückte sie das Wort aus seinem Munde und wie schwer lastete doch zugleich diese Milde auf ihrer schuldbewußten Seele! Offenbar hatte sie sich zum Teil seine wärmere Stimmung durch ihr werktätiges Mitleid mit den Armen erworben. «Oh, er ist gut», sagte sie, halb weinend vor Erregung, «ich will auch gut sein.» Als sie mit diesem Gedanken in den Vorhof des ihr angewiesenen linken Flügels des Palastes trat - Witichis bewohnte den rechten, eilte ihr Aspa geschäftig entgegen. «Ein Gesandter aus dem Lager», flüsterte sie der Herrin eifrig zu. «Er bringt geheime Botschaft vom Präfekten einen Brief, von Syphax' Hand, in unsrer Sprache - er harrt auf Antwort...» - «Laß», rief Mataswintha, die Stirne furchend, «ich will nichts hören, nichts lesen. Aber wer sind diese?» Und sie deutete auf die Treppe, die aus der Vorhalle in ihre Gemächer führte. Da kauerten auf den roten Steinplatten Weiber, Kinder, Kranke, Goten und Italier durcheinander, in Lumpen gehüllt - eine Gruppe des Elends. «Bettler, Arme, sie liegen hier schon den ganzen Morgen. Sie sind nicht zu verscheuchen. » «Man soll sie nicht verscheuchen!» sprach Mataswintha, nähertretend. «Brot, Königin! Brot, Tochter der Amalungen!» riefen mehrere Stimmen ihr entgegen. «Gib ihnen Gold, Aspa, alles, was du bei dir trägst, und hole... -» - «Brot! Brot! Königin, nicht Gold! Um Gold ist kein Brot mehr zu haben in der Stadt.» «Vor des Königs Speichern wird es umsonst verteilt. Ich komme gerade davon her, warum wart ihr nicht dort?» «Ach, Königin, wir können nicht durchdringen», jammerte eine hagere Frau. «Ich bin alt, und meine Tochter hier ist krank, und jener Greis dort ist blind. Die Gesunden, die Jungen stoßen uns zurück. Drei Tage haben wir's umsonst versucht: wir dringen nicht durch.» - «Nein, wir hungern», grollte der Alte. «O Theoderich, mein Herr und König, wo bist du? Unter deinem Zepter hatten wir vollauf. - Da kamen die Armen und Siechen nicht zu kurz. Aber dieser Unglückskönig... -» «Schweig», sprach Mataswintha, «der König, mein Gemahl», und hier flog ein wunderschönes Rot über ihre Wangen «tut mehr, als ihr verdient. Wartet hier, ich schaffe euch Brot. Folge mir, Aspa!» Und rasch schritt sie hinweg. «Wohin eilst du?» fragte die Sklavin staunend. Und Mataswintha schlug den Schleier über ihr Antlitz, als sie antwortete: «Zum König!» Als sie das Vorgemach des Witichis erreicht, bat sie der Türsteher, der sie mit Befremden erkannte, zu verweilen. «Ein Abgesandter Belisars habe geheime Audienz: er sei schon lange im Gemach und werde es bald verlassen.» Da öffnete sich die Türe: - und Prokop stand zögernd auf der Schwelle. «König der Goten», sprach er, sich nochmals wendend, «ist das dein letztes Wort?» - «Mein letztes, wie's mein erstes war», sprach der König voller Würde. - «Ich gönne dir noch Zeit: - ich bleibe noch bis morgen in Ravenna.» - «Von jetzt an bist du mir als Gast willkommen, nicht mehr als Gesandter.» - «Ich wiederhole: fällt die Stadt mit Sturm, so werden alle Goten, die höher als Belisars Schwert, getötet - er hat's geschworen! Weiber und Kinder als Sklaven verkauft - Du begreifst: Belisar kann keine Barbaren brauchen in seinem Italien - Dich mag der Tod des Helden locken: aber bedenke die Hilflosen - ihr Blut wird vor Gottes Thron -» - «Gesandter Belisars, ihr steht in Gottes Hand wie wir, leb' wohl.« Und so mächtig wurden diese Worte gesprochen, daß der Byzantiner gehen mußte, so ungern er es tat. Die schlichte Würde dieses Mannes wirkte stark auf ihn. Aber auch auf die Lauscherin. Als Prokop die Türe schloß, sah er Mataswintha vor sich stehn und trat bewundernd einen Schritt zurück, geblendet von so viel Schönheit. Ehrerbietig begrüßte er sie. «Du bist die Königin der Goten!» sagte er, sich fassend, «du mußt es sein.» «Ich bin's!» sagte Mataswintha, «hätt' ich das nie vergessen.» Und stolz rauschte sie an ihm vorüber. «Augen haben diese Germanen, Männer und Weiber», sagte Prokop im Hinausgehen, «wie ich sie nie gesehen.» Zwanzigstes Kapitel Mataswintha war inzwischen unangemeldet bei ihrem Gatten eingetreten. Witichis hatte alle Gemächer, welche die Amalungen Theoderich, Athalarich, Amalaswintha bewohnt (sie lagen im Mittelbau des weitläufigen Palastes), unberührt gelassen und einige auch früher schon von ihm, wenn er die Wache am Hofe hatte, bewohnte Räume im rechten Flügel bezogen. Er hatte die Gold- und Purpurabzeichen der Amaler nie angelegt und aus seinen Zimmern allen königlichen Pomp entfernt. Ein Feldbett auf niedern Eisenfüßen, auf welchem sein Helm, sein Schwert und mehrere Urkunden lagen, ein langer Eichentisch und wenig Holzgerät standen in dem einfachen Gelaß. Er hatte sich nach des Gesandten Entfernung, erschöpft, mit dem Rücken gegen die Tür in einen Stuhl geworfen und stützte das müde Haupt in beiden Händen auf den Tisch. So hatte er den leicht schwebenden Schritt der Eintretenden nicht bemerkt. Mataswintha blieb, wie gebannt, an der Schwelle stehen. Sie hatte ihn noch niemals aufgesucht. Ihr Herz pochte mächtig. Sie konnte ihn nicht ansprechen: sie konnte nicht nähertreten. Endlich stand Witichis mit Seufzen auf. Da sah er die regungslose Gestalt an der Tür stehen. «Du hier, Königin?» sprach er staunend und trat ihr einen Schritt entgegen. «Was kann dich zu mir führen?» «Die Pflicht - das Mitleid» sagte Mataswintha rasch. «Sonst hätte ich nicht - ich habe eine Bitte an dich.» «Es ist die erste», sagte Witichis. - «Sie betrifft nicht mich», fiel sie schnell ein. «Ich bitte dich um Brot für Arme, Kranke, welche -» Da reichte ihr der König schweigend die Rechte hin. Es war das erstemal: sie wagte nicht, sie zu fassen, und hätte es doch, o wie gerne, getan. So faßte er selbst ihre Hand und drückte sie leicht. «Ich danke dir, Mataswintha, und bitte dir ein Unrecht ab. Du hast dennoch ein Herz für dein Volk und seine Leiden. Ich hätte das nie geglaubt: ich habe hart von dir gedacht.» «Hättest du von jeher anders von mir gedacht: - es wäre vielleicht manches besser.» «Schwerlich! Das Unglück heftet sich an meine Fersen. Eben jetzt - du hast ein Recht es zu wissen - brach meine letzte Hoffnung: Die Franken, auf deren Hilfe ich hoffte, haben uns verraten. Entsatz ist unmöglich: die Übermacht der Feinde durch den Abfall der Italier allzu groß. Es bleibt nur noch ein letztes: ein freier Tod.» «Laß mich ihn mit dir teilen», rief Mataswintha, und ihre Augen leuchteten. - «Du? Nein; die Enkelin Theoderichs wird ehrenvolle Aufnahme finden am Hofe von Byzanz. Man weiß, daß du gegen deinen Willen meine Königin geworden... - Du kannst dich laut darauf berufen.» «Nimmermehr!» sprach Mataswintha begeistert. Witichis fuhr, ohne ihrer zu achten, in seinen Gedanken fort: «Aber die andern! Die Tausende! Die Hunderttausende von Weibern, von Kindern! Belisar hält, was er geschworen! Es ist nur eine Hoffnung noch für sie: - eine einzige! Denn - alle Mächte der Natur verschwören sich gegen mich. Der Padus ist plötzlich so seicht geworden, daß zweihundert Getreideschiffe, die ich erwartete, nicht rasch genug den Fluß herabgebracht werden konnten: die Byzantiner haben sie aufgefangen! Ich habe nun um Hilfe an den Westgotenkönig geschrieben: er soll seine Flotte senden. Die unsre ist ja in Feindes Hand! Dringt sie in den Hafen, so kann darauf entfliehen, was nicht fechten kann und nicht sterben soll. Auch du kannst dann, wenn du es vorziehst, nach Spanien entfliehen.» «Ich will mit dir - mit euch sterben.» «In wenigen Wochen können die westgotischen Segel vor der Stadt erscheinen. Bis dahin reichen meine Speicher - der letzte Trost. Doch, das mahnt mich an deinen Wunsch: - Hier ist der Schlüssel zu dem Haupttor der Speicher. Ich trag' ihn Tag und Nacht auf meiner Brust. Bewahre ihn wohl: - er verwahrt meine letzte Hoffnung. Er schließt das Leben von vielen Tausenden ein. Es war meine einzige Mühewaltung, die nicht fruchtlos blieb. Mich wundert», fügte er schmerzlich hinzu, «daß nicht die Erde sich aufgetan hat oder Feuer vom Himmel gefallen ist, diese meine Bauten zu verschlingen.» Und er nahm den schweren Schlüssel aus dem Brustlatz seines Wamses. «Hüt' ihn wohl, es ist mein letzter Schatz, Mataswintha.» «Ich danke dir, Witichis - König Witichis -», sagte sie, verbessernd, und griff nach dem Schlüssel, aber ihre Hand zitterte. Er fiel. «Was ist dir», fragte der König, den Schlüssel ihr in die Rechte drückend, - sie steckte ihn in den Gürtel ihres weißseidnen Unterkleides - «du zitterst? Bist du krank?» setzte er besorgt hinzu. «Nein - es ist nichts. - Aber sieh mich nicht an so - so wie jetzt und wie heute morgen... -» «Vergib mir, Königin», sagte Witichis, sich abwendend. «Meine Blicke sollten dich nicht kränken. Ich hatte viel, recht viel Gram in diesen Tagen. Und wenn ich nachsann, mit welcher Schuld ich all dies Unglück verdient haben könnte...» - seine Stimme wurde weich. «Dann? O rede?» bat Mataswintha hingerissen. Denn sie zweifelte nicht mehr an dem Sinn seines unausgesprochenen Gedankens. «Dann hab' ich, unter all den ringenden Zweifeln, oft auch gedacht, ob es nicht Strafe sei für eine harte, harte Tat, die ich an einem herrlichen Geschöpf begangen habe. An einem Weibe, das ich meinem Volk geopfert -.» Und unwillkürlich sah er im Eifer seiner Rede auf die Hörerin. Mataswinthens Wangen erglühten: sie faßte, sich aufrecht zu halten, nach der Lehne des Stuhles neben ihr. «Endlich - endlich erweicht sein Herz, und ich - was habe ich ihm getan!» dachte sie, «und er bereut -» «Ein Weib», fuhr er fort, «das unsäglich um mich gelitten, mehr als Worte es sagen können.» «Halt ein!» flüsterte sie so leise, daß er es nicht vernahm. «Und wenn ich dich in diesen Tagen um mich walten sah, weicher, milder, weiblicher als je zuvor - dann rührtest du mein Herz mit Macht: und Tränen drangen in meine Augen.» - «O Witichis!» hauchte Mataswintha. «Jeder Ton deiner Stimme sogar drang tief in meine Seele. Denn du mahnst mich dann so ganz, so herzerschütternd an -» «An wen?» fragte Mataswintha und wurde leichenblaß. «Ach, an sie, die ich geopfert! Die alles um mich gelitten, an mein Weib Rauthgundis, die Seele meiner Seele.» Wie lange hatte er den geliebten Namen nicht mehr laut gesprochen! Jetzt überwältigte ihn bei diesem Klang die Macht des Schmerzes und der Sehnsucht: und in den Stuhl sinkend bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen. Es war gut. Denn so bemerkte er nicht, wie es blitzähnlich durch die Gestalt der Königin zuckte, ihr schönes Antlitz sich medusenhaft verzerrte. Doch hörte er einen dumpfen Schlag und wandte sich. Mataswintha war zu Boden gesunken. Ihre linke Hand klammerte sich in die durchbrochene Rücklehne des Stuhls, an dem sie niedergeglitten war, während die Rechte sich fest auf den Mosaikboden stemmte. Ihr bleiches Haupt war vorgebeugt, das prachtvoll rote Haar flutete, losgerissen aus dem Scheitelband, über ihre Schultern: ihre scharf geschnittenen Nüstern flogen. «Königin!» rief er hinzueilend, sie aufzuheben, «was hat dich befallen?» Aber ehe er sie berühren konnte, schnellte sie wie eine Schlange empor und richtete sich hoch auf: «Es war eine Schwäche», sagte sie, «die jetzt vorbei: - leb' wohl!» Wankend erreichte sie die Tür und fiel draußen bewußtlos in Aspas Arme. * Unterdessen hatte sich das unheimliche, drohende Ansehen der ganzen Natur noch gesteigert. Die kleine, rundgeballte Wolke, die Cethegus am Tage zuvor bemerkt, war der Vorbote einer ungeheuren, schwarzen Wolkenwand gewesen, welche die Nacht über aus dem Osten aufgestiegen war, jedoch seit dem Morgen unbeweglich, wie Verderben brütend, über dem Meere stand und die Hälfte des Horizonts bedeckte. Aber im Süden brannte die Sonne mit unerträglich stechenden Strahlen aus dem unbewölkten Himmel. Die gotischen Wachen hatten Helm und Harnisch abgelegt: sie setzten sich lieber den Pfeilen der Feinde als dieser unleidlichen Hitze aus. Kein Lüftchen regte sich mehr. Der Ostwind, der jene Wolkenschicht heraufgeführt, war plötzlich gefallen. Unbeweglich, bleigrau lag das Meer: die Zitterpappeln im Schloßgarten standen regungslos. Allein in die tags zuvor ebenfalls verstummte Tierwelt war Angst und Unruhe geraten. An dem heißen Sand der Küste hin flatterten Schwalben, Möwen und Sumpfvögel unsicher, ziellos, hin und her, ganz nieder an der Erde hinstreichend manchmal schrille Rufe gellend. In der Stadt aber liefen die Hunde winselnd aus den Häusern: die Pferde rissen sich in den Ställen los und schlugen, ungeduldig schnaubend, dröhnenden Hufes um sich; kläglich schrien Katzen, Esel und Maultiere, und von den Dromedaren Belisars rasten und schäumten sich drei zu Tode, in wütenden Anstrengungen, zu entkommen. - Es neigte jetzt gegen Abend. Die Sonne drohte alsbald unter den Horizont zu sinken. Auf dem Forum des Herkules saß ein Bürger von Ravenna auf der Marmorstufe vor seinem Hause. Es war ein Winzer und schenkte, wie der verdorrte Rebenzweig über seiner Tür zeigte, in seinem Hause selbst von seinem Gewächs. Er blickte nach dem drohenden Wettergewölk. «Ich wollte, es käme Regen», seufzte er. «Kommt nicht Regen, so kommt Hagel und zerschlägt vollends, was an Wachstum draußen die Rosse der Feinde noch nicht zerstampft haben.» «Nennst du die Truppen unseres Kaisers Feinde?» flüsterte sein Sohn, ein römischer Patriot. Aber leise. Denn eben bog um die Ecke eine gotische Runde. «Ich wollte, der Orkus verschlänge sie alle miteinander, Griechen und Barbaren! Die Goten haben wenigstens immer Durst. Siehst du, da kommt der lange Hildebadus, der ist der Durstigsten einer. Sollte mich wundern, wenn er heute nicht trinken wollte da die Steine bersten möchten vor Trockenheit.» Hildebad hatte die nächste Wache abgelöst und schlenderte nun langsam heran, den Helm im linken Arm, die lange Lanze lässig über der Schulter. Er schritt an der Weinschenke vorbei, zum großen Befremden ihres Herrn, bog in die nächste Seitengasse und stand bald vor einem hohen und dicken Rundturm - er hieß Turm des Aetius -, in dessen Schatten oben auf dem Walle ein schöner, junger Gote auf und nieder schritt. Lange, hellblonde Locken rieselten auf seine Schultern: und das zarte Weiß und Rot seines Gesichts wie die milden, blauen Augen gaben ihm ein fast mädchenhaftes Ansehn. «He, Fridugern», rief ihm Hildebad hinauf, «huiweh! Blitzjunge, hältst du's noch immer aus auf diesem Bratrost da oben? Und mit Schild und Panzer - uf!» «Ich habe die Wache, Hildebad!» sagte der Jüngling sanft. «Ach, was Wache! Glaubst du, bei dieser Schmelzofenhitze wird Belisar stürmen? Ich sage dir, der ist froh, wenn er Luft hat, und verlangt heute kein Blut. Komm mit: ich kam dich zu holen - der dicke Ravennate auf dem Herkulesplatz hat alten Wein und junge Töchter: laß uns beide zu Munde führen.» Der junge Gote schüttelte die langen Locken, und seine Stirn faltete sich. «Ich habe Dienst und keinen Sinn für Mädchen. Durst habe ich freilich: - schicke mir einen Becher Wein herauf.» «Ach, richtig, bei Freia, Venus und Maria! Du hast ja eine Braut über den Bergen am Danubius! Und du glaubst, die merkt es gleich, und die Treue sei gebrochen, wenn du hier einer Römerdirne in die Kohlenaugen guckst. O lieber Freund, bist du noch jung! Nun, nun, nichts für ungut. Mir kann's ja recht sein. Bist sonst ein guter Gesell und wirst schon noch älter werden. Ich schicke dir vom roten Massiker heraus: - da kannst du dann allein Allgunthens Minne trinken.» Und er wandte sich und war rasch in der Schenke verschwunden. Bald brachte ein Sklave dem jungen Goten einen Becher Wein; dieser flüsterte: «All Heil, Allgunthis!» und leerte ihn auf einen Zug. Dann nahm er die Lanze wieder auf die Schulter und ging auf der Mauer auf und nieder, langsamen Schrittes. «Von ihr sinnen und träumen darf ich wenigstens», sagte er, «das wehrt kein Dienst. Wann werd' ich sie wohl wiedersehn?» Und er schritt weiter: und blieb dann gedankenvoll im Schatten des mächtigen Turmes stehn, der schwarz und drohend auf ihn niedersah. - Bald nach Hildebad zog eine Schar andrer Goten vorbei. Sie führten in der Mitte einen Mann mit verbundenen Augen und ließen ihn zur porta Honorii hinaus. Es war Prokop, der vergeblich noch die festgestellten drei Stunden gewartet hatte. Es war umsonst: keine Botschaft vom König kam, und mißmutig verließ der Gesandte die Stadt. Des Präfekten feiner Plan war, so schien es, an der schlichten Würde des Gotenkönigs gescheitert. Und noch eine Stunde verging. Es war dunkler, aber nicht kühler geworden. Da erhob sich vom Meere plötzlich ein starker Windstoß aus Süden: er schob die schwarzen Wolkenballen mit rasender Eile nach Norden. Sie lagerten jetzt dicht und schwer über der Stadt. Aber auch das Meer, der Südosten, ward dadurch nicht frei. Denn eine zweite, gleiche Wolkenmauer war dort emporgestiegen und hatte sich unmittelbar an die erste geschlossen. Der ganze Himmel über Meer und Land war jetzt ein schwarzes Gewölbe. Hildebad ging, weinmüde, nach seinem Nachtposten an der porta Honorii: «Noch immer auf Wache, Fridugern?» rief er dem jungen Goten hinauf. «Und noch immer kein Regen! Die arme Erde! Wie sie dürsten muß! Sie dauert mich! Gute Wache!» In den Häusern war es unleidlich schwül: denn der Wind kam aus den heißen Sandwüsten Afrikas. Die Leute drängten sich, geängstigt von dem drohenden Aussehen des Himmels, hinaus ins Freie, zogen in dichten Haufen durch die Straßen oder lagerten sich in Gruppen in den Vorhallen und Säulengängen der Basiliken. Auf den Stufen von Sankt Apollinaris drängte sich viel Volk zusammen. Und es ward, obwohl erst Sonnenuntergangszeit, doch völlig dunkle Nacht. Auf dem Ruhebett in ihrem Schlafgemach lag Mataswintha, die Königin, mit todesbleichen Wangen, in schwerer Betäubung. Aber ohne Schlaf. Die weitgeöffneten Augen starrten in die Dunkelheit. Nicht eine Silbe hatte sie auf Aspas ängstliche Frage gesprochen und zuletzt die Weinende mit einer Handbewegung entlassen. Unwillkürlich kehrten in ihrem eintönigen Denken die Worte wieder: Witichis - Rauthgundis Mataswintha! Mataswintha -Rauthgundis - Witichis! Lange, lange lag sie so, und nichts schien den unaufhörlichen Kreislauf dieser Worte unterbrechen zu können. Da plötzlich fuhr ein roter Strahl grell und blendend durch das Gemach, und im selben Augenblick schmetterte ein furchtbarer Donnerschlag, ein Donner, wie sie ihn nie vernommen, grollend, knatternd, prasselnd, krachend über die bebende Stadt. Der Angstschrei ihrer Frauen schlug an ihr Ohr: sie fuhr empor. Sie setzte sich aufrecht in dem Ruhebett. Aspa hatte ihr das Obergewand abgenommen. Sie trug nur noch das weißseidene Unterkleid: sie warf die wallenden Wogen ihres Haares über die Schultern und lauschte. Es war eine bange Stille. Und noch ein Blitz und noch ein Donnerschlag. Ein Windstoß riß heulend das Fenster von Milchglas auf, das nach dem Hofe führte. Mataswintha starrte in die Finsternis hinaus, die jetzt jeden Augenblick von grellen Blitzen unterbrochen wurde. Unaufhörlich rollte der Donner, selbst das furchtbare Geheul des Sturmes überdröhnend. Der Kampf der Elemente tat ihr wohl. Sie lauschte begierig, auf die Linke gestützt und mit der Rechten langsam über die Stirne streichend. Da eilte Aspa herein mit Licht. Es war eine Fackel, deren Flamme in einer geschlossenen Glaskugel brannte. «Königin, du... - Aber, bei allen Göttern, wie siehst du aus! Wie eine Lemure. Wie die Rachegöttin!» «Ich wollte, ich wäre es», sagte Mataswintha - es war das erste Wort seit langen Stunden ohne den Blick vom Fenster zu wenden. Und Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag. Aspa schloß das Fenster. «O Königin, die Frommen unter deinen Mägden sagen: das sei das Ende der Welt, das da komme, und der Sohn Gottes steige nieder auf feurigen Wolken, zu richten die Lebendigen und die Toten. Hu, welch ein Blitz! Und noch kein Tropfen Regen. Nie hab' ich solch ein Unwetter gesehen. Die Götter zürnen schwer.» «Wehe, wem sie zürnen. Oh, ich beneide sie, die Götter. Sie können hassen und lieben, wie's ihnen gefällt. Und zermalmen den, der sie nicht wieder liebt.» «Ach Herrin, ich war auf der Straße: ich komme gerade zurück. Alles Volk strömt in die Kirchen mit Beten und Singen, den Himmel zu versöhnen. Ich bete zu Kairu und Astarte -Herrin, betest du nicht auch?» «Ich fluche! Das ist auch gebetet.» «Oh, welch ein Donnerschlag!» schrie die Sklavin und stürzte zitternd in die Knie. Der dunkelblaue Mantel, den sie trug, glitt von ihren Schultern. Der Blitz und Donner war so stark gewesen, daß Mataswintha aus den Kissen gesprungen und ans Fester geeilt war. «Gnade, Gnade, ihr großen Götter! Erbarmt euch der Menschen!» flehte die Afrikanerin. «Nein, keine Gnade! Fluch und Verderben über die elende Menschheit! Ha das war schön! Hörst du, wie sie unten heulen vor Angst auf der Straße? Noch einer, und noch ein Strahl! Ha, ihr Götter, wenn ein Himmelsgott oder Himmelsgötter sind - nur um eins beneid' ich euch -: um die Macht eures Hasses, um euren raschen, geflügelten, tödlichen Blitz! Ihr schwingt ihn mit der ganzen Wut und Lust eures Herzens, und eure Feinde vergehn: und ihr lacht dazu: der Donner ist euer Gelächter! Ha, was war das?» Ein Blitz und ein Donner, der alle früheren übertraf, zuckte und krachte. Aspa fuhr vom Boden auf. «Was ist das für ein großes Haus, Aspa? Die dunkle Masse uns gegenüber? Der Blitz hat wohl gezündet: - brennt es?» «Nein, Dank den Göttern! Es brennt nicht! Der Blitz hat sie nur beleuchtet. Es sind die Kornspeicher des Königs.» «Ha, habt ihr fehl geblitzt, ihr Götter?» So schrie die Königin. «Auch die Sterblichen führen den Blitz der Rache.» Und sie sprang vom Fenster hinweg - und das Gemach war plötzlich dunkel. «Königin - Herrin - wo bist - wohin bist du verschwunden?» rief Aspa. Und sie tastete an den Wänden. Aber das Gemach war leer: und Aspa rief umsonst nach ihrer Herrin. * Unten auf der Straße wogte nach der Basilika von Sankt Apollinaris hin ein frommer Zug. Ravennaten und Goten, Kinder und Greise, sehr viele Frauen: Knaben mit Fackeln schritten voran, hinter ihnen Priester mit Kreuzstangen und Fahnen. Und durch das Brüllen des Donners und durch das Pfeifen des Sturmes scholl die äte, feierlich ergreifende Weise: dulce mihi cruciari, parva vis doloris est: malo mori quam foedari: major vis amoris est. Die Antwort aber des zweiten Halbchors lautete: parce, judex, contristatis, parce peccatoribus, qui descendis perflammatis ultor jam in nubibus. Und der Bittgang verschwand in der Kirche. Auch die nächsten Aufseher der Kornspeicher schlossen sich dem Zuge an. Auf den Stufen der Basilika, gerade der Tür der Speicher gegenüber, saß das Weib im braunen Mantel: still und furchtlos im Aufruhr der Elemente, die Hände nicht gefaltet, aber ruhig im Schoß liegend. Der Mann in der Sturmhaube stand neben ihr. Eine gotische Frau, die in die Kirche eilte, erkannte sie im Schein eines Blitzes. «Du wieder hier, Landsmännin? Ohne Obdach? Ich habe dir doch oft genug mein Haus angeboten. Du scheinst fremd hier in Ravenna?» «Ich bin fremd. Doch hab' ich Obdach.» - «Komm mit in die Kirche und bete mit uns.» «Ich bete hier.» - «Du betest? Du singst nicht und sprichst nicht?» «Gott hört mich doch.» - «Bete doch für die Stadt. Sie fürchten, es komme das Ende der Welt.» «Ich fürchte es nicht, wenn es kommt.» «Und bete für unsern guten König, der uns Brot gibt alle Tage.» - «Ich bete für ihn.» Da tönte der waffenklirrende Schritt von zwei gotischen Runden, die sich an der Basilika kreuzten. «Ei, so donnre, bis du springst», schalt der Führer der einen Schar, «aber brumme mir nicht in meinen Befehl. Haltet an. Wisand, du bist's? Wo ist der König? Auch in der Kirche?» «Nein, Hildebad, auf den Wällen.» «Recht so, da gehört er hin! Vorwärts, Heil dem König.» Und die Schritte verhalten. Da kam ein römischer Lehrer mit einigen seiner Schüler vorbei. «Aber Magister», mahnte der jüngste, «ich dachte, du wolltest in die Kirche? Warum führst du uns sonst aus dem Hause ins Freie bei diesem Unwetter?» «Da sagte ich nur, um euch und mich aus dem Hause zu bringen. Was Kirche! Ich sage dir, je weniger ich Dächer und Mauern um mich weiß, desto wohler ist mir. Ich führ' euch auf die große, freie Wiese in der Vorstadt. Ich wollte, wir hätten Regen. Wäre der Vesuvius nahe genug, wie in meiner Heimat, ich dächte, Ravenna werde heut' ein zweites Herculaneum. Ich kenne solche Luft, wie sie heute - ich traue nicht!» Und sie gingen vorüber. «Willst du nicht mit mir gehn, Frau?» sprach der Mann in der Sturmhaube zu der Gotin. «Ich muß sehen Dromon, unsern Gastfreund, jetzt zu treffen: sonst kommen wir diese Nacht wieder nicht unter Obdach. Ich kann dich nicht allein lassen im Dunkeln. Du hast kein Licht bei dir.» «Siehst du nicht, wie mir die Blitze leuchten? Geh' nur, ich komme nach. Ich muß noch was zu Ende denken -, zu Ende beten.» Und die Frau blieb allein. Sie preßte beide Hände fest gegen die Brust und sah gegen den schwarzen Himmel: leise nur bewegten sich ihre Lippen. Da war es ihr, als sähe sie in den Hochgängen, Galerien und Oberhallen des gewaltigen Holzbaues der Speicher, die in dunkeln Massen ihr gegenüber lagen, aus dem steinernen Rundbau des Zirkus ragend, ein Licht auftauchen und hin und wieder, auf und abwärts wandeln. Es mußte wohl eine Täuschung durch die Blitze sein. Denn jedes frei getragene Licht hätte der Wind in den nach außen offenen Galerien verlöscht. Aber nein: es war doch ein Licht. Denn in regelmäßigen Zwischenräumen wechselte sein Aufleuchten und sein Verschwinden, wie wenn es hastigen Schrittes entlang den Gängen mit ihren verdeckenden Pfeilern und Halbmauern getragen würde. Scharf sah die Frau nach dem wechselnden Licht und Schatten... - - Aber plötzlich - o Entsetzen - fuhr sie empor. Es war ihr: als sei die Marmorstufe, auf der sie gesessen, ein schlafend Tier gewesen, das jetzt erwachend, sich leise regte, lebendig wurde - und schwankte, stark, - von der Linken zur Rechten. - Blitz und Donner und Sturm ruhten auf einmal. Da scholl aus den Speichern ein schriller Schrei. Hell aufflammte das Licht und verschwand plötzlich. Aber auch die Frau auf der Straße stieß einen leisen Angstruf aus. Denn jetzt konnte sie nicht mehr zweifeln: die Erde bebte unter ihr! - Ein leises Zucken: und plötzlich zwei, drei starke Stöße, als hebe sich wellenförmig der Boden von der Linken zur Rechten. Aus der Stadt her tönte Angstgeschrei. Aus den Türen der Basilika stürzte in Todesangst die laut kreischende Schar der Beter. - Noch ein Stoß! - Die Frau hielt sich mit Mühe aufrecht. Und fernher, von der Außenseite der Stadt, scholl ein gewaltiges dumpfes Krachen, wie von massenhaft stürzenden, schweren Lasten. Ein furchtbares Erdbeben hatte Ravenna heimgesucht. Einundzwanzigstes Kapitel Während die Frau sich in der Richtung jenes dumpfen Schlages wandte, drehte sie einen Augenblick den Speichern den Rücken. Aber rasch wandte sie sich diesen wieder zu. Denn es war ihr, als sei eine schwere Türe zugefallen. Scharf blickte sie hin. Doch in der tiefen Finsternis konnte ihr Auge nichts wahrnehmen. Nur ihr Ohr hörte etwas sacht an der Außenmauer des Gebäudes dahin rascheln. Und sie glaubte, ein leises Seufzen zu vernehmen. «Halt», rief die Frau, «wer jammert da?» «Still, still», flüsterte eine seltsame Stimme, «die Erde hat darüber - vor Abscheu sich geschüttelt, gebebt. Die Erde bebt -die Toten stehen auf. - Es kommt der jüngste Tag, - der deckt alles auf. - Bald wird er's wissen. - Oh. -» Und ein tiefgezogener Klagelaut - und ein Rauschen von Gewändern - und Stille. «Wo bist du? Bist du wund?» rief die Frau tastend. Da zuckte ein heller Blitz, der erste seit dem Erdstoß - und zeigte vor ihren Füßen liegend, eine verhüllte Gestalt. Weiße und dunkelblaue Frauenkleider. Das Weib langte nach dem Arm der Liegenden. Aber rasch sprang diese bei der Berührung auf und war mit einem Schrei im Dunkel verschwunden. Das Ganze war so rasch und ungeheuerlich wie ein Traumgesicht: nur eine breite goldene Armspange mit einer grünen Schlange von Smaragden, die in ihrer Hand zurückgeblieben, war ein Pfand der Wirklichkeit dieser unheimlichen Erscheinung. Und wieder tönten die ehernen Schritte der gotischen Wachen. «Hildebad, Hildebad, zu Hilfe!» rief Wisand. «Hier bin ich: - was ist? Wohin soll ich?» fragte dieser, mit seiner Schar entgegenkommend. «An das Tor des Honorius! Dort ist die Mauer eingestürzt, und der dicke Turm des Aetius liegt in Trümmern. - Zu Hilfe, in die Lücke!» «Ich komme: - - armer Fridugern!» In dem gleichen Augenblick stürmte draußen im Lager der Byzantiner Cethegus, der Präfekt, in das Feldherrnzelt Belisars. Er war in voller Rüstung, der purpurdunkle Roßschweif flatterte um seinen Helm. Seine Gestalt war hoch aufgerichtet. Feuer leuchtete in seinen Augen. «Auf! Was säumst du, Feldherr Justinians? Die Mauern deiner Feinde stürzen von selber ein. Offen liegt vor dir des letzten Gotenkönigs letzte Burg. - Und du? Was tust du in deinem Zelt? - -» «Ich verehre die Größe des Allmächtigen!» sagte Belisar mit edler Ruhe. Antonina stand neben ihm, den Arm um seinen Nacken geschlungen. Ein Betschemel und ein hohes Kreuz zeigte, in welchem Tun die wilde Glut des Präfekten das Paar gestört. «Das tu' morgen. - Nach dem Sieg. Jetzt aber: stürme!» «Jetzt stürmen,» sprach Antonina, «welcher Frevel! Die Erde bebt in ihren Grundfesten, erschüttert und erschreckt. Denn Gott der Herr spricht in diesen Wettern.» «Laß ihn sprechen! Wir wollen handeln. Belisar, der Turm des Aetius und ein gutes Stück Mauer sind eingestürzt. Ich frage dich, willst du stürmen?» «Er hat nicht unrecht», meinte Belisar, in dem die Kampflust erwachte. - «Aber es ist finstere Nacht. -» «Im Finstern find' ich den Weg zum Sieg und in das Herz von Ravenna. Auch leuchten die Blitze.» «Du bist ja plötzlich sehr kampfeseifrig», zögerte Belisar. «Ja, denn jetzt hat's Vernunft zu kämpfen. Die Barbaren sind verblüfft. Sie fürchten Gott und vergessen darüber ihrer Feinde.» Im gleichen Augenblick eilten Prokop und Marcus Licinius in das Zelt. «Belisar», meldete der erste, «der Erdstoß hat deine Zelte am Nordgraben umgestürzt und eine halbe Kohorte Illyrier darunter begraben!» - «Hilfe, Hilfe! Meine armen Leute!» rief Belisar und eilte aus dem Zelte. «Cethegus», berichtete Marcus, «auch eine Kohorte deiner Isaurier liegt unter ihren Zelten verschüttet.» Aber ungeduldig, den Helm schüttelnd, fragte der Präfekt: «Was ist mit dem Wasser in dem gotischen Graben vor dem Aetiusturm? Hat der Erdspalt es nicht verringert?» - «Ja, das Wasser ist verschwunden - der Graben ist ganz trocken. Horch, das Wehegeschrei! Deine Isaurier sind's: sie stöhnen und wimmern unter der Verschüttung und schreien um Hilfe.» «Las sie schreien!» sprach Cethegus. - «Der Graben ist wirklich trocken? So laß zum Sturm blasen. Folge mir mit allen Söldnern, die noch leben.» Und unter Blitz und Donner, die jetzt wieder unaufhörlich rasten, eilte der Präfekt zu seinen Schanzen, wo seine römischen Legionäre und der Rest der Isaurier unter Waffen standen. Rasch übersah er sie: es waren viel zu wenige, um mit ihnen allein die Stadt zu nehmen. Aber er wußte, daß ein günstiger Erfolg alsbald Belisar mit fortreißen würde. «Lichter, Fackeln her!» rief er und trat mit einer Pechfackel in der Linken vor die Front seiner römischen Legionäre. «Vorwärts», befahl er, «die Schwerter heraus!» Aber kein Arm rührte sich. Sprachlos vor Staunen und mit Grauen blickten alle, auch die Führer, auch die Licinier, auf den dämonischen Mann, der im Aufruhr der ganzen Natur nur an sein Ziel dachte und die Elemente, die Schrecken Gottes, nur als Mittel ansah zu seinem Zweck. «Nun, habt ihr auf mich zu hören oder auf den Donner?» rief er. «Feldherr», mahnte ein Centurio vortretend, «sie beten, denn die Erde bebt.» «Glaubt ihr, Italia wird ihre Kinder verschlingen? Nein, ihr Römer, seht: der Boden selbst von Italien erhebt sich gegen die Barbaren. Er bäumt sich, sprengt ihr Joch, und ihre Mauern fallen. Roma! Roma aeterna!» Das zündete. Es war eines jener cäsarischen Worte, welche die Männer und die Waffen fortreißen. «Roma! Roma aeterna!» riefen zuerst die Licinier, dann die Tausende der römischen Jünglinge, und durch Nacht und durch Grauen, durch Blitz und Donner und Sturm folgten sie dem Präfekten, dessen dämonischer Schwung sie mit fortriß. Die Begeisterung lieh ihnen Flügel. Rasch waren sie über den breiten Graben hinweg, dem sie sonst kaum zu nahen gewagt. -Cethegus der erste am jenseitigen Rand. - Die Fackeln hatte der Sturm gelöscht. Im Finstern fand er den Weg. «Hierher, Licinius», rief er, «Mir nach! Hier muß die Lücke sein.» Und er sprang vorwärts, rannte aber gegen einen harten Körper und taumelte zurück. «Was ist das?» fragte Lucius Licinius hinter ihm, «eine zweite Mauer?» - «Nein», sprach eine ruhige Stimme von drüben, «aber gotische Schilde.» - «Das ist der König Witichis», sagte der Präfekt grimmig und maß mit bitterem Haß die dunkeln Gestalten. Er hatte auf Überraschung gezählt. Seine Hoffnung war getäuscht. «Hätt' ich ihn», sprach er grimmig in sich hinein, «er sollte nicht mehr schaden.» Da wurden von rückwärts viele Fackeln sichtbar, und die Trompeten schmetterten. Belisar führte sein Heer zum Sturm gegen den Mauersturz. Prokop erreichte den Präfekten: «Nun, was stockt ihr? Halten euch neue Wälle auf?» «Ja, lebendige Wälle. Da stehen sie», und der Präfekt deutete mit dem Schwert. «Unter den noch fallenden Trümmern, diese Goten!» - «Nun wahrlich!» rief Prokop: «si fractus illabatur orbis, impavidos ferient ruinae! Das sind mutige Männer.» Aber jetzt war Belisar mit seinen dichten, zum Angriff bereiten Scharen heran. Einen Augenblick, - nur die Führer eilten noch, Befehle erteilend hin und wieder, - einen Augenblick noch, und ein furchtbares Morden mußte beginnen. Da erglühte plötzlich der ganze Horizont über der Stadt. Eine Flammensäule schoß hoch empor, und zahllose Funken stoben nieder. Es schien Feuer vom Himmel zu regnen. Im roten Licht glänzte ganz Ravenna. Es war ein furchtbar herrlicher Anblick. Die beiden Heere, im Begriff handgemein zu werden, hielten inne. «Feuer! Feuer! Witichis! König Witichis», schrie jetzt ein Reiter, der von der Stadt herjagte, «es brennt.» «Das sehen wir. Laß brennen, Markja! Erst fechten, dann löschen.» «Nein, nein, Herr! Alle deine Speicher brennen! Dein Getreide fliegt in Myriaden Funken durch die Luft.» «Die Speicher brennen!» schrien Goten und Byzantiner. Witichis versagte die Stimme, zu fragen. «Der Blitz muß schon lange im Innern gezündet haben. Er hat von innen alles zusammengebrannt. Da sieh, sieh hin. - Ein stärkerer Stoß des Sturmwinds fuhr in die Lohe und entfachte sie riesengroß. Die Flammen flogen auf die nächsten Dächer. Zugleich schien der hölzerne Dachfirst des hohen Gebäudes jetzt hinabzustürzen. Denn nach einem schweren Schlag schossen abermals viele, viele Tausende von Funken empor. Es war ein Flammenmeer. Witichis wollte das Schwert erheben zum Befehl: - matt sank sein Arm herunter. Cethegus sah's: «Jetzt», rief er, «jetzt zum Sturm!» «Nein, haltet ein!» rief mit Löwenstimme Belisarius. «Der ist ein Feind des Kaisers, der ist des Todes, der das Schwert erhebt. Zurück ins Lager alle: jetzt ist Ravenna mein - und morgen fällt's von selbst.» Und seine Tausende folgten ihm und zogen zurück. Cethegus knirschte. Er allein war zu schwach. Er mußte nachgeben. Sein Plan war gescheitert. Er hatte die Stadt mit Sturm nehmen wollen, um, wie in Rom, sich in ihren Hauptwerken festzusetzen. Und er sah voraus, daß sie nun ganz in Belisars Hand werde geliefert werden. Grollend führte er die Seinen zurück. Aber es sollte anders kommen, als Belisar und als Cethegus dachten. Zweiundzwanzigstes Kapitel Der König hatte den Schutz der Mauerlücke am Turm des Aetius Hildebad übertragen und war sofort auf die Brandstätte geeilt. Als er dort eintraf, fand er das Feuer im Erlöschen: - aber nur aus Mangel an Nahrung. Der ganze Inhalt, der Speicher samt deren Brettergerüsten und dem Dach, alles, was durch Feuer zerstörbar, war bis auf den letzten Splitter und das letzte Korn verbrannt. Nur die nackten, ruß und rauchgeschwärzten Steinmauern des ursprünglichen Marmorbaus, des Zirkus des Theodosius, starrten noch gen Himmel. Ein Mal des Blitzstrahls war an ihnen nicht wahrzunehmen. Das Feuer mußte sehr lange Zeit von innen heraus, wo der Blitz den Holzbau entzündet haben mochte, unvermerkt fortgeglimmt sein und sich über alle Innenräume des Holzbaues schleichend verbreitet haben. Als Flammen und Rauch aber zu den Dachlücken herausschlugen, war alle Hilfe zu spät. Krachend war bald darauf der Rest des Holzbaues zusammengestürzt; die Einwohner hatten vollauf zu tun, die nächsten, teilweise schon vom Feuer ergriffenen Häuser zu retten. Dies gelang mit Hilfe des Regens, der kurz vor Tagesanbruch endlich einfiel und dem Sturm sowie dem Blitz und Donner ein Ende machte. Aber statt der Speicher beleuchtete die aufgehende Sonne, als sie das Gewölk zerstreute, nur einen trostlosen Haufen Schutt und Asche in der Mitte des Marmorrundbaus. Schweigend, mit tief gesenktem Haupt, lehnte der König lange Zeit diesen Ruinen gegenüber an einer Säule der Basilika. Ohne Regung, nur manchmal den Mantel auf der mächtig arbeitenden Brust zusammendrückend. Im Anblick dieser Trümmer war ein schwerer Entschluß in ihm gereift. Jetzt ward es grabesstill in seinem Innern. Jedoch um ihn her auf dem Platze wogte das Elend der verzweifelnden Armen von Ravenna betend, fluchend, weinend, scheltend. «Oh, was wird jetzt aus uns!» - «Oh, wie war das Brot so weiß, so gut, so duftend, das ich noch gestern hier erhielt.» - «Oh, was werden wir jetzt essen?» «Bah, der König muß aushelfen.» - «Ja, der König muß Rat schaffen.» - «Der König?» «Ach, der arme Mann, woher soll er's nehmen?» - «Hat er doch selbst nichts mehr.» - «Das ist seine Sache.» - «Er allein hat uns in all die Not gebracht.» - «Er ist an allem schuld.» -«Was hat er die Stadt nicht lang dem Kaiser übergeben.» -«Jawohl, ihrem rechtmäßigen Herrn!» - «Fluch den Barbaren!» -«Sie sind an allem schuld.» - «Nicht alle, nein, der König allein. Seht ihr's denn nicht? Es ist die Strafe Gottes!» - «Strafe? Wofür? Was hat er verbrochen? Er gab dem Volke von Ravenna Brot!» - «So wißt ihr's nicht? Wie kann der Eheschänder die Gnade Gottes haben? Der sünd'ge Mann hat ja zwei Weiber zugleich! Der schönen Mataswintha hat ihn gelüstet. Und er ruhte nicht, bis sie sein eigen war. - Sein ehelich Weib hat er verstoßen.» Da schritt Witichis unwillig die Stufen herab. Ihn ekelte des Volkes. Aber sie erkannten seinen Schritt. «Da ist der König! Wie finster er blickt», riefen sie durcheinander und wichen zur Seite. «Oh, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte den Hunger mehr als seinen Zorn. Schaff uns Brot, König Witichis. Hörst du's, wir hungern!» sprach ein zerlumpter Alter und faßte ihn am Mantel. «Brot, König!» - «Guter König, Brot!» - «Wir verzweifeln!» - «Hilf uns!» Und wild drängte sich die Menge um ihn. Ruhig, aber kräftig machte sich Witichis frei. «Geduldet euch», sprach er ernst. «Bis die Sonne sinkt, ist euch geholfen.» Und er eilte nach seinem Gemach. Dort warteten auf ihn mehrere Diener Mataswinthens und ein römischer Arzt. «Herr», sprach dieser mit besorgter Miene, «die Königin, deine Gemahlin, ist sehr krank. Die Schrecken dieser Nacht haben ihren Geist verwirrt. Sie spricht wirre Fieberreden. Willst du sie nicht sehen?» «Nicht jetzt, sorgt für sie.» - «Sie reichte mir», fuhr der Arzt fort, «mit größter Angst und Sorge diesen Schlüssel. Er schien sie in ihren Wahnreden am meisten zu beschäftigen. Sie holte ihn unter ihrem Kopfkissen hervor. Und sie ließ mich schwören, ihn nur in deine Hand zu geben, er sei von höchster Wichtigkeit.» Mit einem bittern Lächeln nahm der König den Schlüssel und warf ihn zur Seite. «Er ist es nicht mehr. - Geht, verlaßt mich und sendet meinen Schreiber.» * Eine Stunde später ließ Prokop den Präfekten in das Zelt des Feldherrn eintreten. Als er eintrat, rief ihm Belisar, der mit hastigen Schritten auf und nieder ging, entgegen: «Das kommt von deinen Plänen, Präfekt! Von deinen Künsten! Von deinen Lügen! Ich hab' es immer gesagt: vom Lügen kommt Verderben, und ich verstehe mich nicht drauf! Oh, warum bin ich dir gefolgt! Jetzt steck' ich in Not und Schande!» «Was bedeuten diese Tugendreden?» fragte Cethegus seinen Freund. Dieser reichte ihm einen Brief. «Lies. Diese Barbaren sind unergründlich in ihrer großartigen Einfalt. Sie schlagen den Teufel durch Kindessinn; lies.» Und Cethegus las mit Staunen: «Du hast mir gestern drei Dinge zu wissen getan: Daß die Franken mich verraten haben. Daß du im Bund mit den Franken das Westreich deinem undankbaren Kaiser entreißen willst. Daß du uns Goten freien Abzug über die Alpen ohne Waffen anbietest. Darauf habe ich dir gestern geantwortet, die Goten geben nie ihre Waffen ab und räumen nicht Italien, die Eroberung und Erbschaft ihres großen Königs: eher fall' ich hier mit meinem ganzen Heer. So habe ich gestern gesprochen. So spreche ich heute noch, obwohl sich Feuer, Wasser, Luft und Erde gegen uns empörten. Aber was ich immer dunkel gefühlt, hab' ich heut nacht unter den Flammen meiner Vorräte klar erkannt: es liegt ein Fluch auf mir. Um meinetwillen erliegen die Goten. Ich bin das Unglück meines Volkes. Das soll nicht länger also sein. Nur meine Krone versperrte einen ehrenvollen Ausweg: sie soll's nicht mehr. Du erhebst dich mit Recht gegen Justinian, den treulosen und undankbaren Mann. Er ist unser Feind wie der deine. Wohlan: stütze dich, statt auf ein Heer der falschen Franken, auf das ganze Volk der Goten, deren Kraft und Treue dir bekannt. Mit jenen sollst du Italien teilen: mit uns kannst du es ganz behalten. Laß mich den Ersten sein, der dich begrüßt wie als Kaiser des Abendlands so als König der Goten. Alle Rechte bleiben meinem Volk, du trittst einfach an meine Stelle. Ich selber setze dir meine Krone auf das Haupt, und wahrlich: kein Justinian soll sie dir entreißen. Verwirfst du diesen Antrag: so mache dich gefaßt auf einen Kampf, wie du noch keinen gekämpft. Ich breche dann mit fünfzigtausend Goten in dein Lager. Wir werden fallen. Aber auch dein ganzes Heer. Eins oder das andre. Ich hab's geschworen. Wähle. Witichis.» Einen Augenblick war der Präfekt aufs furchtbarste erschrocken. Rasch hatte er einen forschenden Blick auf Belisar geworfen. Aber dieser eine Blick beruhigte ihn wieder ganz. «Er ist ja Belisar», sagte er sich abermals. «Jedoch gefährlich ist es immer, mit dem Teufel zu spielen. Welche Versuchung! -» Er gab den Brief zurück und sagte lächelnd: «Welch ein Einfall! Wozu doch die Verzweiflung führt.» «Der Einfall», meinte Prokop, «wäre gar nicht so übel, wenn... » «Wenn Belisar nicht Belisar wäre», lächelte Cethegus. «Spart euer Lachen», schalt dieser. «Ich bewundre den Mann. Und es darf mich nicht mehr beleidigen, daß er mich der Empörung fähig hält. Hab' ich es ihm doch selber vorgelogen.» Und er stampfte mit dem Fuß. «Ratet jetzt und helft! Denn ihr habt mich in diese leidige Wahl geführt. Ja sagen kann ich nicht. Und sag' ich nein: darf ich des Kaisers Heer als vernichtet ansehn. Und muß obendrein bekennen, daß ich die Empörung erlogen.» Cethegus sann schweigend nach, das Kinn mit der Linken langsam streichend. Plötzlich durchblitzte ihn ein Gedanke. Ein Strahl der Freude flog verschönend über sein Gesicht: «So kann ich sie beide verderben!» Er war in diesem Augenblick sehr mit sich zufrieden. Aber erst wollte er Belisar ganz sicher machen. «Du kannst vernünftigerweise nur zwei Dinge tun», sagte er zaudernd. «Rede, ich sehe weder eins noch das andre.» «Entweder wirklich annehmen» «Präfekt», rief Belisar grimmig und fuhr ans Schwert. Prokop hemmte erschrocken seinen Arm. «Keinen solchen Scherz mehr. Cethegus, so lieb dir dein Leben.» «Oder», fuhr dieser ruhig fort, «zum Schein annehmen. Ohne Schwertstreich einziehn in Ravenna. Und - die Gotenkrone samt dem Gotenkönig nach Byzanz schicken.» «Das ist glänzend!» rief Prokop. «Das ist Verrat!» rief Belisar. «Es ist beides», sagte Cethegus ruhig. «Ich könnte dem Gotenvolk nicht mehr in die Augen sehen.» «Das ist auch nicht nötig. Du führst den gefangenen König nach Byzanz. Das entwaffnete Volk hört auf, ein Volk zu sein.» «Nein, nein, das tu' ich nicht.» «Gut. So laß dein ganzes Heer Testamente machen. Leb' wohl, Belisar. Ich gehe nach Rom. Ich habe durchaus nicht Lust, fünfzigtausend Goten in Verzweiflung kämpfen zu sehen. Und wie wird Kaiser Justinianus den Verderber seines besten Heeres loben!» «Es ist eine furchtbare Wahl», zürnte Belisar. Da trat Cethegus langsam auf den Feldherrn zu. «Belisar», sprach er mit gemütvoller, tief aus der Brust geschöpfter Stimme: «du hast mich oft für deinen Feind gehalten. Und ich bin zum Teil dein Gegner. Aber wer kann neben Belisar im Feld gestanden sein, ohne den Helden zu bewundern?» Und seine Weise war so feierlich und salbungsvoll, wie man sie nie an dem sarkastischen Präfekten sah. Belisar war ergriffen, und selbst Prokop erstaunte. «Ich bin dein Freund, wo ich es sein kann. Und will dir diese Freundschaft in diesem Augenblick durch meinen Rat bewähren. Glaubst du mir, Belisarius?» Und er legte die linke Hand auf des Helden Schulter, bot ihm treuherzig die Rechte, und sah ihm tief ins Auge. «Ja», sagte Belisar, «wer könnte solchem Blick mißtrauen.» «Siehe, Belisar, nie hat ein edler Mann einen mißtrauischeren Herrn gehabt als du. - Der letzte Brief des Kaisers ist die schwerste Kränkung deiner Treue.» «Das weiß der Himmel.» «Und nie hat ein Mann», - hier faßte er ihn an beiden Händen «herrlichere Gelegenheit gehabt, das schnödeste Mißtrauen zu beschämen, sich aufs glorreichste zu rächen, seine Treue sonnenklar zu zeigen. Du bist verleumdet, du trachtetest nach der Herrschaft des Abendlandes. Wohlan, bei Gott: du hast sie jetzt in Händen. Zieh in Ravenna ein, laß dir von Goten und Italiern huldigen und zwei Kronen auf dein Haupt setzen. Ravenna dein, dein blindergebenes Heer, die Goten, die Italier wahrlich, du bist unantastbar. Justinian muß zittern zu Byzanz, und sein stolzer Narses ist ein Strohhalm gegen deine Macht. Du aber, der du all dies in Händen hat, - du legst all die Macht und all die Herrlichkeit deinem Herrn zu Füßen und sprichst: . Aber du hörst mich nicht!» «Vergib, ich bemerkte dort im Gedränge, unter den eben Gelandeten, meinen jungen Freund Licinius.» «Salve Cethege!» rief dieser, sich Weg zum Präfekten bahnend. «Willkommen im befreiten Italien! Was bringst du von der Kaiserin?» fragte er flüsternd. «Das Abschiedswort: Nike (Viktoria)! und diesen Brief», flüsterte der Bote ebenso leise. «Aber», und seine Stirne furchte sich - «schicke mich nie mehr zu diesem Weibe.» - «Nein, nein, junger Hippolytos, ich denke, es wird nie mehr nötig sein.» Damit hatten sie die Steindämme des Hafens erreicht, dessen Stufen soeben der kaiserliche Prinz hinanstieg. Die edle Erscheinung, von einem reich geschmückten Gefolge umgeben, ward von den Truppen und dem rasch zusammenströmenden Volk mit Jubelruf und kaiserlichen Ehren empfangen. Cethegus faßte ihn scharf ins Auge. «Das bleiche Antlitz ist noch bleicher geworden», sagte er zu Licinius. «Ja, man sagt: die Kaiserin hat ihn vergiftet, weil sie ihn nicht verführen konnte.» Der Prinz, nach allen Seiten dankend, hatte jetzt Belisarius erreicht, der ihn ehrfurchtsvoll begrüßte. «Gegrüßt auch du, Belisarius», erwiderte er ernst. «Folge mir sogleich in den Palast. Wo ist Cethegus, der Präfekt? Wo Bessas? Ah, Cethegus», sagte er, dessen Hand ergreifend, «ich freue mich, den größten Mann Italiens wiederzusehen. Du wirst mich alsbald zu der Enkelin Theoderichs begleiten. Ihr gebührt mein erster Gang. Ich bringe ihr Geschenke Justinians und meine Huldigung. Sie war eine Gefangene in ihrem eigenen Reich. Sie soll eine Königin sein am Hofe zu Byzanz.» «Das soll sie», dachte Cethegus. Er verneigte sich tief und sprach: «Ich weiß: du kennst die Fürstin seit lange, ihre Hand war dir bestimmt.» Eine rasche Glut flog über des Prinzen Wange. «Leider nicht ihr Herz. Ich sah sie hier, vor Jahren, am Hof ihrer Mutter: und seitdem hat mein inneres Auge nichts mehr als ihr Bild gesehen.» - «Ja, sie ist das schönste Weib der Erde», sagte der Präfekt, ruhig vor sich hin sehend. «Nimm diesen Chrysopras zum Dank für dieses Wort», sagte Germanus und steckte einen Ring an des Präfekten Finger. Damit traten sie in das Portal des Palastes. «Jetzt, Mataswintha», sprach Cethegus zu sich selbst, «jetzt hebt dein zweites Leben an. Ich kenne kein römisch Weib - ein Mädchen vielleicht ausgenommen, das ich kannte! - das solcher Versuchung widerstehen könnte. Soll diese rohe Germanin widerstehen?» - Sowie sich der Prinz von den Mühen der Seefahrt einigermaßen erholt und die Reisekleider mit einem Staatsgewand vertauscht hatte, erschien er an der Seite des Präfekten in dem Thronsaal des großen Theoderichs im Mittelbau des Palastes. An den Wänden der stolz gewölbten Halle hingen noch die Trophäen gotischer Siege. Ein Säulengang lief an drei Seiten des Saales hin: in der Mitte des vierten erhob sich der Thron Theoderichs. Mit edlem Anstand stieg der Prinz die Stufen hinan. Cethegus blieb mit Belisar, Bessas, Demetrius, Johannes und zahlreichen andern Heerführern im Mittelgrund. «Im Namen meines kaiserlichen Herrn und Ohms nehme ich Besitz von dieser Stadt Ravenna und von dem abendländischen Römerreich. An dich, Magister Militum, dies Schreiben unseres Herrn, des Kaisers. Erbrich und lies es selbst der Versammlung vor. So befahl Justinianus.» Belisar trat vor, empfing kniend den kaiserlichen Brief, küßte das Siegel, erhob sich wieder, öffnete und las: «Justinianus, der Imperator der Römer, Herr des Morgen- und des Abendreichs, Besieger der Perser und Sarazenen, der Vandalen und Alanen, der Lazer und Sabiren, der Hunnen und Bulgaren, der Awaren und Sclavenen und zuletzt der Goten, an Belisar, den Consularen, ehemals Magister Militum. Wir sind durch Cethegus den Präfekten von den Vorgängen unterrichtet, die zum Fall von Ravenna geführt. Sein Bericht wird, auf seinen Wunsch, dir mitgeteilt werden. Wir aber können seine darin ausgesprochene gute Meinung von dir und deinen Erfolgen wie von deinen Mitteln mitnichten teilen: und wir entheben dich deiner Stelle als Befehlshaber unseres Heeres. Und wir befehlen dir angesichts dieses Briefes sofort nach Byzanz zurückzukehren, um dich vor unserem Throne zu verantworten. Einen Triumph wie nach dem Vandalenkrieg können wir dir um so weniger gewähren, als weder Rom noch Ravenna durch deine Tapferkeit gefallen: sondern Rom durch Übergabe, Ravenna durch Erdbeben, den Zorn Gottes über die Ketzer und höchst verdächtige Verhandlungen, deren Unschuld du, des Hochverrats angeklagt, vor unserem Thron erweisen wirst. Da wir, eingedenk früherer Verdienste, nicht ohne Gehör dich verurteilen wollen, denn Morgenland und Abendland sollen uns für ferne Zeiten feiern als den Kaiser der Gerechtigkeit -sehen wir von der Verhaftung ab, die deine Ankläger beantragt. Ohne Ketten - nur in den Fesseln deines dich selbst anklagenden Gewissens - wirst du vor unser kaiserliches Antlitz treten.» Da wankte Belisar. Er konnte nicht weiter lesen: er bedeckte das Gesicht mit den Händen: das Schreiben entfiel ihm. Bessas hob es auf, küßte es und las weiter: «Zu deinem Nachfolger im Heerbefehl ernennen wir den Strategen Bessas. Ravenna übertragen wir dem Archon Johannes. Die Steuerverwaltung bleibt, trotz der wider ihn von den Italiern erhobenen höchst ungerechten Klagen, dem in unserm Dienst so eifrigen Logotheten Alexandros. Zu unserm Statthalter aber in Italien ernennen wir den hochverdienten Präfekten von Rom, Cornelius Cethegus Cäsarius. Unser Neffe, Germanus, mit kaiserlicher Vollmacht ausgerüstet, haftet mit seinem Haupt dafür, dich unverweilt nach unsrer Flotte auf der Höhe Ariminum zu bringen, auf welcher dich Aerobindos nach Byzanz führen wird.» Germanus erhob sich und befahl allen, bis auf Belisar und Cethegus, den Saal zu verlassen. Darauf stieg er die Stufen des Thrones herab und schritt auf Belisar zu, der nicht mehr wahrnahm, was um ihn her geschah. Er stand unbeweglich, das Haupt und den linken Arm an eine Säule gelehnt, und starrte zur Erde. Der Prinz faßte seine Rechte. «Es schmerzt mich, Belisarius, der Träger solcher Botschaft zu sein. Ich übernahm den Auftrag, weil ihn ein Freund milder als einer der vielen Feinde, die sich dazu drängten, ausführen kann. Aber ich verhehle dir nicht: dieser dein letzter Sieg hebt die Ehre deiner früheren auf. Nie hätte ich von dem Helden Belisar solch Lügenspiel erwartet. Cethegus hat sich ausgebeten, daß sein Bericht an den Kaiser dir vorgelegt werde. Er ist deines Lobes voll: hier ist er. Ich glaube, es war die Kaiserin, die Justinians Ungnade gegen dich entzündet hat. Aber du hörst mich nicht -» Und er legte die Hand auf seine Schulter. Belisar schüttelte die Berührung ab. «Laß mich, Knabe - du bringst mir - du bringst mir den echten Dank der Kronen.» Vornehm richtete sich Germanus auf. «Belisar, du vergissest, wer ich bin und wer du bist.» «O nein, ic h bin ein Gefangener, und du bist mein Wächter. Ich gehe sofort auf dein Schiff erspare mir nur Ketten und Bande.» Erst spät konnte sich der Präfekt von dem Prinzen losmachen, der im vollsten Vertrauen die Angelegenheiten des Staates und seine persönlichen Wünsche mit ihm besprach. Er eilte, sowie er in seinen Gemächern, die er ebenfalls im Palaste bezogen, allein war, den ihm von Lucius Licinius mitgeteilten Brief der Kaiserin zu lesen. Er lautete: «Du hast gesiegt, Cethegus. Als ich dein Schreiben empfing, gedacht' ich alter Zeiten, da deine Brieflein in dieser Geheimschrift an Theodora nicht von Staaten und Kriegen handelten, sondern von Küssen und Rosen... -» «Daran müssen sie immer erinnern», unterbrach sich der Präfekt. «Aber auch in diesem trocknen Briefe erkannte ich die Unwiderstehlichkeit jenes Geistes, der einst die Frauen von Byzanz noch mehr als deine Jugendschönheit zwang. So gab ich denn auch diesmal den Wünschen des alten Freundes nach, wie einst denen des jungen. Ach, ich dachte gern unsrer Jugend, der süßen. Und ich erkannte wohl, daß Antoninens Gemahl allzu fest in Zukunft stehn würde, wenn er diesmal nicht fiel. So raunte ich denn wie du geschrieben dem Kaiser in die Ohren: Diese Worte wogen schwerer als alle Siege Belisars, und alle meine, d. h. deine Forderungen gingen durch. Denn Mißtraun ist die Seele Justinians. Er traut nur einer Treue auf Erden - der Theodoras. Dein Bote Licinius ist hübsch - unliebenswürdig: er hat nur Rom und Waffen in Gedanken. Ach, Cethegus, mein Freund, es lebt keine Jugend mehr wie die unsre war. - - weißt du noch den Abend, da ich dir diese Worte flüsterte? - Aber vergiß nicht, wem du den Sieg verdankst. Und merke dir, Theodora läßt sich nur solang sie selber will als Werkzeug brauchen. Vergiß das nie.» «Gewiß nicht«, sagte Cethegus, das Schreiben sorgfältig zerstörend, «du bist eine zu gefährliche Verbündete, Theodora, nein, Dämonodora! laß sehn, ob du unersetzbar bist. Geduld: In wenig Wochen ist Mataswintha in Byzanz. - Was bringst du?» fragte er den Eintretenden Syphax, der glänzende Waffen trug. «Herr, ein Abschiedsgeschenk Belisars. Nachdem er deinen Bericht an den Kaiser gelesen, sprach er zu Prokop: .» Sechsundzwanzigstes Kapitel Der Rundturm, in dessen tiefen Gewölben Witichis gefangen saß, lag an dem rechten Eckflügel des Palastes, desselben Querbaues, in dem er als König gewohnt und geherrscht hatte. Der Turm bildete mit seiner Eisentür den Abschluß eines langen Ganges, der von einem Hof aus zur Rechten lief und von diesem Hof wieder durch eine schwere Eisenpforte abgeschlossen war. Gerade dieser eisernen Hofpforte gegenüber lag im Erdgeschoß auf der linken Seite des Hofes die kleine Wohnung Dromons, des Carcerarius oder Kerkermeisters des Palastes. Sie bestand aus zwei kleinen Gemächern: das erste, von dem zweiten durch einen Vorhang getrennt, war ein bloßes Vorzimmer. Das zweite Gemach gewährte durch ein logenartiges Fenster den Ausblick auf den Hof und den Rundturm. Beide waren von einfachster Einrichtung: ein Strohlager im Innengemach und zwei Stühle und Tische im äußern nebst den Schlüsseln an den Wänden waren ihr ganzes Gerät. Und auf der Holzbank an jenem Fenster saß Tag und Nacht, unverwandt den Blick auf die Mauerlücke heftend, aus welcher allein Luft und Licht in des Königs Kerker fiel, schweigend und sinnend ein Weib. Es war Rauthgundis. Niemals ließ ihr Auge von jenem kleinen Spalt im Turm. «Denn dort», sagte sie sich, «dort hängt auch sein Blick, dorthin schwebt seine Sehnsucht.» Auch wenn sie mit Wachis, ihrem Begleiter, oder mit dem Kerkermeister, der sie beherbergte, sprach, wandte sie das Auge nicht von dem Turm. Es war, als ob der Bann ihres Blickes Unheil von dem Gefangenen abhalten könne. Lange, lange war sie heute wieder so gesessen. Es war dunkler Abend geworden. Drohend und finster ragte der gewaltige Turm und warf einen breiten Schatten über den Hof und diesen linken Flügel des Palastes. «Dank dir, gütiger Himmelsherr», sprach sie. «Auch deine schweren Schläge treiben zum Heil. Wär' ich in die Felsen der Skaranzia, auf den hohen Arn, zum Vater, wie ich mir ausgesonnen, nie hätte ich von dem Gang des Elends hier wahrgenommen. Oder doch viel zu spät. Aber mich zog die Sehnsucht nach der Todesstätte des Kindes in die Nähe unsres Ehehauses, - das zwar räumte ich -: wußte ich denn, ob nicht sie, seine Königin, dort einsprechen würde? So hausten wir in der Waldhütte nahe bei Fäsulä. Und als das Schreckliche kam und eine Nachricht des Mißlingens die andre jagte, und als die Sarazenen unser Haus verbrannten und ich die Flammen leuchten sah bis in mein Versteck, da war's zu spät, nach Norden zum Vater zu entrinnen; die Welschen sperrten alle Wege und lieferten, was flüchtete mit gelbem Haar, den Massageten aus. Kein Weg blieb offen als der Weg hierher nach der Rabenstadt - wohin ich als sein Weib nie hatte kommen wollen. Als flüchtige Bettlerin kam ich hier an, nur sein Roß Wallada und sein Knecht, nun sein Freigelassener, Wachis, noch mir eigen und treu. Aber ihm zum Heil, - von Gott hierher gezwungen, - ob ich schon nicht wollte - ihn zu retten, zu befreien von scheußlichem Verrat des eignen Weibes! Und aus seiner Feinde Bosheit. Dank dir, treuer Gott! Ich durfte nicht mehr mit ihm leben - aber - aber ich, - Rauthgundis! - darf ihn retten.» - Da rasselte ihr gegenüber die eiserne Hofpforte. Ein Mann mit Licht trat heraus, ging über den Hof und trat alsbald in das Vorzimmer. Es war der alte Kerkerwart. «Nun? Sprich!» rief Rauthgundis, ihren Sitz verlassend und ihm in das erste Gemach entgegeneilend. «Geduld - Geduld - laß mich erst die Lampe niederstellen. So! - Nun, also: er hat getrunken. Und es hat ihm wohlgetan.» Rauthgundis legte die Hand auf die pochende Brust. «Was tut er?» fragte sie dann. «Er sitzt immer schweigend in der nämlichen Stellung. Auf dem Holzschemel, den Rücken gegen die Tür gewandt, das Haupt in beide Hände gestützt. Er gibt mir keine Antwort, sooft ich ihn anspreche. Er pflegte sich sonst gar nicht zu regen. Ich glaube, der Gram und Schmerz hat ihm was angetan. Aber heute, wie ich ihm den Wein im Holzbecher hinreichte und sprach: : - da blickte er auf. So traurig, so zum Sterben traurig war der Blick und das ganze Antlitz. Und tat einen tiefen Zug und nickte dankend mit dem Haupt und seufzte tief, tief, daß es mir durch die Seele schnitt.» Rauthgundis bedeckte die Augen mit beiden Händen. «Weiß Gott, was er Böses mit ihm vorhat!» brummte der Alte leise vor sich hin. «Was sagst du?» «Ich sage, du mußt jetzt auch einmal tüchtig essen und trinken. Sonst verlassen dich die Kräfte. Und du wirst sie brauchen, arme Frau.» «Ich werde sie haben.» - «So nimm wenigstens einen Becher Wein.» - «Von diesem? Nein, der ist für ihn allein.» - Und sie trat in das innere Gemach zurück, wo sie ihren alten Platz einnahm. «Der Krug reicht ja noch lang», fuhr der alte Dromon für sich fort. «Und ich fürchte: wir müssen ihn bald retten, wenn er gerettet werden soll. Da kommt Wachis. Wenn er nur gute Nachricht bringt, sonst... -» Wachis trat ein. Er hatte seit dem Besuch bei der Königin die Sturmhaube und seinen Mantel mit Gewändern Dromons vertauscht. «Gute Botschaft bring' ich», sprach er im Eintreten. «Aber wo wart ihr vor einer Stunde? Ich pochte vergeblich.» «Wir waren beide ausgegangen, Wein zu kaufen.» «Ach ja, deshalb duftet das ganze Gemach so stark - was seh' ich? Das ist ja alter, köstlicher Falerner! Womit hast du den bezahlt?» «Womit?» wiederholte der Alte, «mit dem edelsten Golde der Welt!» Und seine Stimme bebte vor Rührung. «Ich erzählte ihr, daß der Präfekt ihn absichtlich Mangel leiden lasse, daß er elend werde. Seit vielen Tagen hat man mir gar keine Speise für ihn gegeben. Ich habe ihn, gegen mein Gewissen, nur dadurch erhalten, daß ich den andern Gefangenen an dem ihren abbrach. Das wollte sie nicht. Sie sann nach und fragte dann: Und ich, in meiner Einfalt nichts ahnend, sagte ja. Und sie geht hin und schneidet schweigend ihre reichen, schönen, goldbraunen Flechten und Zöpfe ab und bringt sie mir. Und damit ward der Wein bezahlt.» Da stürzte Wachis in das nächste Gemach, warf sich vor ihr nieder und bedeckte den Saum ihres Gewandes mit Küssen. «O Herrin» - rief er mit versagender Stimme - «goldne, goldtreue Frau!» «Was treibst du, Wachis? Steh auf und erzähle.» «Ja, erzähle», sprach Dromon hinzutretend, «was rät mein Sohn?» «Wozu brauchen wir seinen Rat?» sprach die Frau. «Ich, ich allein will es vollenden.» «Sehr nötig brauchen wir ihn. Der Präfekt hat aus allen jungen Ravennaten, nach dem Muster der römischen, neun Kohorten Legionäre gebildet und meinen Paulus auch eingereiht. Zum Glück hat er diesen Legionären die Bewachung der Stadttore anvertraut. Die Byzantiner liegen draußen im Hafen, seine Isaurier hier im Palast.» «Die Tore nun», fuhr Wachis fort, «werden zur Nacht sorgfältig gesperrt. Aber die Mauerlücke am Turm des Aetius ist immer noch nicht ausgebaut. Nur die Wachen stehen dort.» «Wann trifft meinen Sohn die Wache?» «In zwei Tagen: die dritte Nachtwache.» «Allen Heiligen sei Dank. Viel länger durft' es nicht währen: -ich fürchte... -» Und er stockte. «Was? Sprich», mahnte Rauthgundis entschlossen. «Ich kann alles hören.» «Es ist am Ende besser, du weißt es. Denn du bist klüger und findiger als wir beide. Und findest eher Rat als wir. Ich fürchte: sie haben's schlimm mit ihm vor. Solange Belisar hier befahl, ging es ihm noch gut. Aber seit der fortgebracht und der Präfekt, der schweigsam kalte Dämon, Herr im Palast ist, hat's ein gefährlich Ansehn. Alle Tage besucht er ihn selbst im Kerker. Und spricht lang und eifrig und drohend in ihn hinein. Ich habe oft im Gang gelauscht. Er muß aber wenig ausrichten. Denn der Herr gibt ihm, glaub' ich, gar keine Antwort. Und wenn der Präfekt herauskommt, blickt er so finster wie - wie der König der Schatten. Und seit sechs Tagen erhalte ich keinen Wein und keine Speisen für ihn als ein kleines Stück Brot. Und die Luft da unten ist so moderdumpf wie im Grabe.» Rauthgundis seufzte tief «Und gestern, als der Präfekt herauf kam - er sah grimmiger als je darein - da fragte er mich... -» «Nun? Sprich es aus, was es auch sei!» «Ob die Foltergeräte in Ordnung seien.» Rauthgundis erbleichte, aber sie schwieg. «Der Neiding!» rief Wachis, «was hast du» - «Sorget nicht, eine Weile hat's noch gute Wege. , antwortete ich - und es ist die reine Wahrheit -die Schrauben und die Zangen, die Gewichte und die Stacheln und das ganze saubere Qualzeug liegt in schönster Ordnung alles beisammen.' - fragte er. sprach er und riß mir die Schlüssel aus der Hand.» «Und du ließest es geschehen! Doch freilich! Was ist dir Witichis?» «O Herrin, du tust mir weh und unrecht! Was hättest du an meiner Stelle tun können? Nichts andres!» «Erwürgt hätt' ich ihn mit diesen Händen! Und nun? Was soll jetzt geschehn?» «Geschehn? Nichts! Nichts kann geschehn.» «Er muß frei werden. Hörst du, er muß!» «Aber Herrin! Ich weiß ja nicht wie.» Rauthgundis ergriff ein Beil, das an dem Herde lehnte. «Erbrechen wir die Türen mit Gewalt.» Dromon wollte ihr die Axt entwinden. «Unmöglich! Dicke Eisenplatten!» «So rufe den Unhold. Sage, Witichis verlange ihn zu sprechen. Und vor der Gangtür erschlag' ich ihn mit diesem Beil» «Und dann? Du rasest! Laß mich hinaus. Ich will Wachis abrufen von seiner nutzlosen Wacht.» «Nein, ich kann's nicht denken, daß es heut' nicht werden soll. Vielleicht kommt dieser Teufel von selbst wieder. Vielleicht» -sprach sie nachsinnend. «Ah», schrie sie plötzlich, «gewiß, das ist's. Er will ihn ermorden! Er will sich allein zu dem Wehrlosen schleichen. Aber weh ihm, wenn er kommt! Die Schwelle jener Gangtür will ich hüten wie ein Heiligtum, besser als meines Kindes Leben. Und weh ihm, wenn er sie beschreitet.» Und sie drückte sich hart an die Halbtür des Gemaches Dromons und wog das schwere Beil. Aber Rauthgundis irrte. Nicht um seinen Gefangenen zu töten hatte der Präfekt den Schlüssel an sich genommen. Er war mit demselben in den linken, den Südbau des Palastes geschritten. Spät am Nachmittag trat Cethegus - er kam aus dem Kerker des Königs -in das Gemach Mataswinthens. Die Ruhe des Todes und die Erregung des Fiebers wechselten in der seelisch Tieferkrankten so oft, so rasch, daß Aspa nur mit tränenerfüllten Augen noch auf ihre Herrin sah. «Zerstreue», sprach Cethegus, «schönste Tochter der Germanen, die Wolken, die auf deiner weißen Stirn lagern, und höre mich ruhig an.» «Wie steht es mit dem König? Du lässest mich ohne Nachricht. Du versprachst, ihn freizugeben nach der Entscheidung. Ihn über die Alpen führen zu lassen. Du hältst dein Wort nicht.» «Ich habe das versprochen: - unter zwei Bedingungen. Du kennst sie beide, und hast die deine noch nicht erfüllt. Morgen kommt der kaiserliche Neffe Germanus zurück von Ariminum - dich nach Byzanz zu führen: - du gibst ihm Hoffnung, seine Braut zu werden. Die Ehe mit Witichis war erzwungen, und nichtig.» «Ich sagte dir schon: nein, niemals!» «Das tut mir leid - um meinen Gefangenen. Denn eher nicht sieht er das Licht der Sonne, bis du mit Germanus auf dem Wege nach Byzanz.» «Niemals.» «Reize mich nicht, Mataswintha! Die Torheit des Mädchens, das so teuren Preis einst um einen Areskopf bezahlt, ist, denk' ich, überwunden. Dasselbe Geschöpf hat den Ares der Goten ja seinen Feinden verraten. Aber ehrst du noch wirklich den Mädchentraum, so rette den einst Geliebten.» Mataswintha schüttelte das Haupt. «Ich habe dich bisher als eine Freie, als Königin behandelt. Erinnere mich nicht, daß du so gut wie er in meiner Gewalt. Du wirst dieses edlen Prinzen Gemahlin - bald seine Witwe - und Justinian, Byzanz, die Welt liegt dir zu Füßen. Tochter Amalaswinthens - solltest du nicht die Herrschaft lieben?» «Ich liebe nur... -! Niemals!» «So muß ich dich zwingen!» Sie lachte: «Du? mich? zwingen?» «Ja, ich dich zwingen. (Sie liebt ihn noch immer, den sie zugrunde gerichtet!) Die zweite Bedingung nämlich ist: daß der Gefangene diesen leergelassenen Namen ausfüllt - er ist der Name des Schatzschlosses der Goten - und diese Erklärung unterschreibt. Er weigert sich mit einem Trotz, der anfängt mich zu erbittern. Siebenmal war ich bei ihm - ich, der Sieger, - er hatte noch kein Wort für mich. Nur das erstemal, da erhielt ich einen Blick für den er allein den stolzen Kopf verlieren müßte.» «Nie gibt er nach.» «Das fragt sich doch. Auch Felsen zermürbt beharrlicher Tropfenfall. Aber ich kann nicht lange mehr warten. Heute früh kam Nachricht, daß der tolle Hildebad in wütigem Ausfall Bessas so schwer geschlagen, daß er kaum die Einschließung noch aufrecht erhält. Überall flackern gotische Erhebungen empor. Ich muß fort und ein Ende machen und diese Funken auslöschen mit dem Wasser der Enttäuschung, besser als mit Blut. Dazu muß ich des gefangenen Königs Erklärung und Schatzgeheimnis haben. Ich sage dir also: wenn du bis morgen mittag nicht des Prinzen Begleiterin nach Byzanz bist und mir nicht vorher die Unterschrift des Gefangenen verschaffst, die Echtheit von dir selbst bezeugt, so werd' ich den Gefangenen - ich schwöre es dir beim Styx, - werd' ich den Gefangenen -» Entsetzt von seinem furchtbar drohenden Ausdruck fuhr Mataswintha von ihrem Sitz empor und legte ihre Hand auf seinen Arm. «Du wirst ihn doch nicht töten?» «Ja, das werd' ich. Ich werd' ihn erst foltern. Dann blenden. Und dann töten.» «Nein, nein!» schrie Mataswintha auf. «Ja, ich hab's beschlossen. Die Henker stehen bereit. Und du wirst ihm das sagen: dir, dieser händeringenden Verzweiflung wird er glauben, daß es ernst. Du vielleicht rührst ihn: mein Anblick härtet seinen Trotz. Er wähnt vielleicht noch, in Belisars, des Weichherzigen, Hand zu sein. Du wirst ihm sagen, in wessen Gewalt er ist. Hier die beiden Pergamente. Hier die Schlüssel - du sollst deine Stunde frei wählen zu seinem Kerker.» Ein Strahl freudiger Hoffnung blitzte aus Mataswinthas Seele durch ihr Auge. Cethegus bemerkte es wohl. Aber ruhig lächelnd schritt er hinaus. Achtundzwanzigstes Kapitel Bald, nachdem der Präfekt die Königin verlassen, war es dunkel geworden über Ravenna. Der Himmel war dicht mit zerrissenem Gewölk bedeckt, das heftiger Wind aus dem Neumond vorüberjagte, so daß kurzes, ungewisses Licht mit desto tieferem Dunkel wechselte. Dromon hatte seinen Abendrundgang in den Zellen der übrigen Gefangenen vollendet und kam müde und traurig in sein Vorgemach zurück. Er fand kein Licht brennend. Mit Mühe nur nahm er Rauthgundis wahr, die noch immer reglos an der Halbtür lehnte, das Beil in der Hand, den Blick auf die Gangtür geheftet. «Laß mich Licht schlagen, Frau, den Kienspan im Herdeisen entzünden: und teile das Nachtmahl mit mir. Komm, du harrest hier umsonst.» - «Nein, kein Licht, kein Feuer in dem Gemach! Ich sehe so besser, was draußen im Hof, im Mondlicht naht.» -«Nun so komm wenigstens hier herein und ruhe auf dem Dreifuß. Hier ist Brot und Fleisch.» - «Soll ich essen, während er Hunger leidet?» - «Du wirst erliegen! Was denkst, was sinnst du den ganzen Abend?» «Was ich denke?» wiederholte Rauthgundis, immer hinausblickend: «Ihn! Und wie wir so oft gesessen in dem Säulengang vor unserem schönen Hause, wann der Brunnen plätscherte in dem Garten und die Zikaden zirpten auf den Olivenbäumen. Und die kühle Nachtluft strich frei um sein liebes Haupt. Und ich schmiegte mich an seine Schulter. Und wir sprachen nicht. Und oben gingen die Sterne. Mit Schweigen. Und wir lauschten den vollen, tiefen Atemzügen des Kindes, das eingeschlafen war auf meinem Schoß, die Händchen, wie weiche Fesseln, um den Arm des Vaters geschlungen. Jetzt trägt sein Arm andre Fesseln. Eisenfesseln trägt er, - die schmerzen... - -» Und sie drückte die Stirn an das Eisengitter, fest und fester, bis sie selbst Schmerz empfand. «Herrin, was quälst du dich? Es ist doch nicht zu ändern!» «Ich will es aber ändern! Ich muß ihn retten und - Ah, Dromon, hierher! Was ist das?» flüsterte sie und wies in den Hof. Der Alte sprang geräuschlos an ihre Seite. In dem Hofe stand eine hohe, weiße Gestalt, die lautlos an der Mauer dahinglitt. Rasch nur, aber scharf, fiel das Mondlicht darauf. «Es ist eine Lemure! Ein Schatten der vielen hier Ermordeten», sprach der Alte bebend. «Gott und die Heiligen schützet mich!» Und er bekreuzte sich und verhüllte das Haupt. «Nein», sprach Rauthgundis, «die Toten kommen nicht wieder vom Jenseits. Jetzt ist's verschwunden - Dunkel ringsum - Sieh, da bricht der Mond durch - da ist es wieder! Es schwebt voran gegen die Gangtür. Was schimmert da rot im weißen Licht? Ah, das ist die Königin - ihr rotes Haar! Sie hält an der Gangtür. Sie schließt auf! Sie will ihn im Schlaf ermorden!» «Weiß Gott, es ist die Königin! Aber ihn ermorden! Wie könnte sie!» «Sie könnte es! Aber sie soll es nicht, so wahr Rauthgundis lebt. Ihr nach! Ein Wunder tut uns seinen Kerker auf! Doch aber leise! Leise!» Und da trat sie aus der Halbtür in den Hof, das Beil in der Rechten, vorsichtig den Schatten der Mauer suchend, langsam, auf den Zehen schleichend. Dromon folgte ihr auf dem Fuße. Inzwischen hatte Mataswintha die Gangtür aufgeschlossen und ihren Weg erst viele Stufen hinab, dann durch den schmalen Gang, mit den Händen tastend, zurückgelegt. Nun erreichte sie die Pforte des Kerkers. Sacht erschloß sie auch diese. Durch einen ausgehobenen Ziegelstein hoch oben im Turm fiel ein schmaler Streif des Mondlichts in das enge Quadrat. Es zeigte ihr den Gefangenen. Er saß, den Rücken gegen die Türe gewandt, das Haupt auf die Hände gestützt, reglos auf einem Steinblock. Zitternd lehnte sich Mataswintha an die Pfosten der Pforte. Eiskalte Luft schlug ihr entgegen. Sie fror. Sie fand keine Worte: vor Grauen. Da spürte Witichis an dem Windzug, daß die Pforte geöffnet worden. Er hob das Haupt. Aber er sah sich nicht um. «Witichis - König Witichis» - stammelte endlich Mataswintha - «ich bin's. Hörst du mich?» Aber der Gefragte rührte sich nicht. «Ich komme, dich zu retten - fliehe! Freiheit!» Aber der Gefangene senkte wieder das Haupt. «O sprich! - O sieh nur auf mich!» - Und sie trat ein. Gern hätte sie seinen Arm berührt, seine Hand gefaßt. Sie wagte es noch nicht. «Er will dich töten - quälen. Er wird es tun, - wenn du nicht fliehst.» Und nun gab ihr Verzweiflung den Mut, näher zu treten. «Du sollst aber fliehn! Du sollst nicht sterben! Du sollst gerettet sein - durch mich! Ich flehe dich an - fliehe! Du hörst mich nicht. Die Zeit drängt! Einst sollst du alles wissen! Nur jetzt flieh in Freiheit und Leben. Ich habe die Schlüssel der Kerkerpforte und der Gangtür! Flieh!» Und nun faßte sie seinen Arm, wollte ihn emporreißen. Da klirrten seine Ketten an den Armen, an den Füßen. - Er war an den Steinblock festgeschlossen. «Oh, was ist das?» rief sie und fiel in die Knie. «Stein und Eisen», sagte er tonlos. «Laßt mich. Ich gehöre dem Tode. Und hielten mich auch diese Bande nicht - ich folgte dir doch nicht! Zurück in die Welt? Die Welt ist eine große Lüge. Alles ist Lüge.» «Du hast recht! Sterben ist besser. Laß mich sterben mit dir. Und verzeih mir. Denn auch ich habe dir gelogen.» «Es mag wohl sein. Es wundert mich nicht.» «Aber du mußt mir noch vergeben, ehe wir sterben. Ich habe dich gehaßt - ich habe gejubelt über deinen Niedergang - ich habe - oh, es ist so schwer zu sagen! Ich habe die Kraft nicht, es zu gestehn. Und doch muß ich deine Verzeihung haben - und müßt' ich sie mir erstehlen. Vergib mir -reiche mir die Hand zum Zeichen, daß du mir verzeihst.» Aber Witichis war in sein Brüten zurückgesunken. «Oh, ich flehe dich an - verzeihe mir, was immer ich dir mag getan haben.» «Geh - warum soll ich dir nicht verzeihn? Du bist wie alle! Nicht besser, nicht schlimmer!» «Nein, ich bin böser als alle. Und doch besser. Wenigstens elender. Wisse denn: ich habe dich gehaßt, ja, aber nur, weil du mich von dir gestoßen! Du ließest mich nicht dein Leben teilen, verzeihe mir. - Gott, ich will ja nur mit dir sterben dürfen. Reich' mir einmal noch die Hand, zum Zeichen, daß du mir verzeihst.» Und sie streckte kniend, flehend, beide Hände zu ihm empor. Der König, erhob das Haupt. Der Grundzug seines Wesens, die tiefe Herzensgüte, regte sich in ihm und übertönte den eignen dumpfen Schmerz. «Mataswintha», sagte er und erhob die kettenklirrende Hand, «geh, es erbarmt mich dein. Laß mich allein sterben. Was immer du an mir getan - geh hin: - ich habe dir verziehn.» «O Witichis!» hauchte Mataswintha und wollte seine Hand ergreifen. Neunundzwanzigstes Kapitel Aber heftig fühlte sie sich hinweggerissen. «Nachtbrennerin, nie soll er dir vergeben! Komm Witichis, mein Witichis. Folge mir! Du bist frei.» Der König sprang auf, von dieser Stimme wie aus Betäubung geweckt. «Rauthgundis! Mein Weib! Ja du logst nie! Du bist getreu. Ich hab' dich wieder.» Und tief aufatmend, jauchzend aus voller Brust, breitete er die Arme aus. Sein Weib flog an seine Brust, und sie weinten beide süße Tränen der Liebe und der Freude. Mataswintha aber, die sich erhoben hatte, wankte gegen die Mauer. Sie strich sich langsam die roten, losgegangenen Haare aus der Stirn und blickte auf das Paar, das der Mondstrahl, der durch die Turmluke fiel, hell beleuchtete. «Wie er sie liebt! Ja, ihr würd' er folgen in Freiheit und Leben. Aber er muß ja bleiben! Und sterben - mit mir.» «Säumt nicht länger!» mahnte von der Kerkertüre her die Stimme Dromons. «Ja, rasch fort, mein Leben!» rief Rauthgundis. Sie zog einen kleinen Schlüssel aus dem Busen und tastete an den Ketten, des Schlosses kleine Öffnung suchend. «Wie? Soll ich wirklich noch mal hinaus?» fragte der Gefangene, halb in seine Betäubung zurücksinkend. «Ja, hinaus in die Luft und Freiheit», rief Rauthgundis und warf die losgeschlossenen Armfesseln zur Erde. «Hier Witichis, eine Waffe! Ein Beil! Nimm!» Begierig ergriff der gotische Mann die Axt und holte kräftig damit aus: «Ah! die Waffe tut dem Arm, der Seele wohl!» «Das wußte ich, mein tapfrer Witichis!» rief Rauthgundis, kniete nieder und schloß die Kette auf, die seinen linken Fuß an den Steinblock gefesselt hielt. «Nun schreite aus! Denn du bist frei.» Witichis tat, das Beil in der Rechten hebend, hoch sich reckend, einen Schritt gegen die Türe. «Und sie darf seine Ketten lösen!» flüsterte Mataswintha. «Ja, frei!» sprach Witichis, hoch aufatmend. «Ich will frei sein und mit dir gehen.» «Mit ihr will er gehen!» rief Mataswintha und warf sich dem Gatten in den Weg. «Witichis - leb' wohl - geh! - Nur sage mir nochmal - daß du mir vergibst.» «Dir vergeben?» rief Rauthgundis. «Nie! Niemals! Sie hat unser Reich zerstört. Sie hat dich verraten. Nicht der Blitz des Himmels - ihre Hand hat deine Speicher verbrannt!» «O so sei verflucht!» rief Witichis. «Hinweg von dieser Schlange der Hölle!» Und sie von der Pforte hinwegschleudernd, schritt er über die Schwelle, gefolgt von Rauthgundis. «Witichis!» rief Mataswintha, «höre mich noch einmal! Witichis!» «Schweig!» sprach Dromon, ihren Arm ergreifend. «Du wirst ihn verderben.» Aber Mataswintha, ihrer nicht mehr mächtig, riß sich los und folgte die Stufen hinauf in den Gang. «Halt!» rief sie, «Witichis! Du darfst nicht so hinweg. Du mußt mir verzeihn.» Da brach sie ohnmächtig zusammen. Dromon eilte an ihr vorbei, den Fliehenden nach. Aber schon hatte das gellende Rufen den Mann des leisesten Schlafes geweckt. Cethegus trat, das Schwert in der Hand, nur halb gegürtet, aus seinem Schlafgemach auf den Gang, dessen offne Bogen in den viereckigen Palasthof blickten. «Wachen», rief er, «unter die Speere!» Auch Soldaten waren merksam geworden. Kaum hatten Witichis, Rauthgundis und Dromon den Gang und die Gangtüre durchschritten und, gerade dieser gegenüber, die Gemächer Dromons erreicht, als sechs isaurische Söldner laut lärmend in den Gang hineinstürmten. Rasch sprang Rauthgundis aus der Halbtür, sprang auf die schwere eiserne Gangtür zu, warf sie klirrend ins Schloß, drehte den Schlüssel um und zog ihn heraus. «Die sind geborgen und unschädlich!» flüsterte sie. Schnell eilten nun die beiden Gatten von dem Gemache Dromons dem großen Ausgang zu, der aus dem Schloßhof auf die Straße führte. Mit gefälltem Speer trat hier der letzte Mann der Wache, der hier zurückgeblieben, ihnen entgegen. «Gebt die Losung», rief er. «Rom und? -» «Rache!» sprach Witichis und schlug ihn mit dem Beile nieder. Laut schreiend fiel der Söldner und warf noch den Speer den Flüchtigen nach: er durchbohrte den letzten der drei - Dromon. Über die Marmorstufen des Palastes auf die Straße hinabspringend, hörten die Gatten die eingesperrten Soldaten donnernd gegen die feste Eisentüre schlagen, auch einen lauten Befehlruf hörten sie noch. «Syphax! Mein Pferd!» Dann nahm sie Nacht und Dunkel auf. Wenige Minuten darauf schimmerte der Palasthof von Fackeln, und Reiter flogen nach allen Toren der Stadt. «Sechstausend Solidi wer ihn lebend, dreitausend wer ihn erschlagen bringt!» rief Cethegus sich in den Sattel seines schwarzen Hengstes schwingend. «Nun auf, ihr Söhne des Windes, Ellak und Mundzuch, Hunnen und Massageten. Jetzt reitet, wenn ihr je geritten!» «Aber wohin, Herr?» fragte Syphax, an seines Herrn Seite aus dem Palasttor sprengend. «Das ist schwer raten. Aber alle Tore sind geschlossen und besetzt. Sie können nur etwa zu den Mauerbreschen hinaus.» «Zwei große Mauerbreschen sind's.» «Sieh dort den Jupiter, der eben aus der Wolke tritt im Ost. Er winkt mir. Ist nicht dort -?» «Der Mauersturz am Turme des Aetius.» «Gut! Dort hinaus! Ich folge meinem Stern!» * Glücklich hatten inzwischen die Gatten, hindurchgelassen von Paulus, dem Sohn des Dromon, die nur halb ausgefüllte Mauerlücke durcheilt und in dem nahen Pinienhain der Diana Wachis, den Getreuen, und zwei Pferde gefunden. Wallada nahm die Gatten auf den Rücken. Der Freigelassene ritt rasch voran, dem Ufer des hier sehr breiten Flusses zu. Witichis hielt Rauthgundis vor sich, hinter dem Hals des Rosses. «Mein Weib! Mit dir hatte ich alles verloren! Leben und Lebensmut. Aber nun will ich's noch einmal wagen um das Reich. Oh, wie konnte ich dich von mir lassen, du Seele meiner Seele.» «Dein Arm ist wund vom Druck der Kette! So! Leg' ihn hier auf meinen Nacken, o du mein alles.» «Vorwärts, Wallada! Rasch! Es gilt das Leben.» Da bogen sie aus dem Dickicht des Hains ins Freie. Das Ufer des Flusses war erreicht. Wachis trieb sein bäumendes Pferd in die dunkle Flut. Das Tier scheute und widerstrebte. Der Freigelassene sprang ab. «Er geht sehr tief, sehr reißend. Es ist Hochwasser seit drei Tagen. Die Furt ist nicht zu brauchen. Die Gäule müssen schwimmen, und stark rechts abwärts wird's uns reißen. Und es sind Felsen im Fluß. Und das Mondlicht wechselt sooft und täuscht.» - Ratlos prüfte er am Ufer hin und her. «Horch, was war das?» fragte Rauthgundis. «Das war nicht der Wind in den Steineichen.» «Pferde sind's», sagte Witichis. «Sie nahen in Eile. Ja, wir sind verfolgt. Waffen klirren. Da Fackeln. Jetzt hinein in den Strom auf Leben und Sterben. Aber leise!» Und er führte sein Pferd am Zügel in die Flut. «Kein Bodengrund mehr. Die Gäule müssen schwimmen. Halte dich fest an der Mähne, Rauthgundis, Vorwärts, Wallada!» Schnaubend, zitternd, blickte das Tier in die schwarze Flut -die Mähne flog wirr kopfüber - die Vorderfüße vorgestreckt, den Hinterbug zurückgestemmt. «Vorwärts, Wallada!» Und leise rief Witichis dem treuen Roß ins Ohr: «Dietrich von Bern!» Da setzte das edle Tier in stolzem Sprung willfährig in die Flut. Schon jagten die verfolgenden Reiter aus dem Wald, voran Cethegus, ihm zur Seite Syphax, eine Fackel hebend. «Hier, im Ufersand, verschwindet die Spur, o Herr.» «Sie sind im Wasser! Vorwärts, ihr Hunnen!» Aber die Reiter zogen die Zügel an und rührten sich nicht. «Nun, Ellak? Was zögert ihr? Sofort in die Flut!» «Herr, das können wir nicht. Ehe wir zur Nachtzeit in fließend Wasser reiten, müssen wir Phug, den Wassergeist, um Verzeihung bitten. Wir müssen erst zu ihm beten.» «Betet nachher, wenn ihr drüben seid, solang ihr wollt, nun aber -» Da fuhr ein stärkerer Windstoß über den Fluß und verlöschte alle Fackeln. Hochauf rauschte die Flut. «Du siehst, o Herr, Phug zürnt.» «Still! Saht ihr nichts? Da unten, links?» Der Mond war aus dem jagenden Gewölk getaucht. Er zeigte Rauthgundis helles Untergewand; den braunen Mantel hatte sie verloren. «Zielt rasch dorthin.» «Nein, Herr! Erst ausbeten.» Da war es wieder dunkel am Himmel. Mit einem Fluch riß dem Hunnenhäuptling Cethegus Bogen und Köcher von der Schulter. «Nun rasch vorwärts!» rief leise Wachis, der schon fast das rechte Ufer gewonnen hatte, zurück - «ehe der Mond aus jener schmalen Wolke tritt.» «Halt, Wallada!» rief Witichis, abspringend, die Last zu erleichtern, und sich an der Mähne haltend. «Da ist ein Fels! Stoße dich nicht, Rauthgundis.» Roß, Mann und Weib stockten einen Augenblick an dem ragenden Stein, wo in gurgelndem, tiefem Wirbel das Wasser reißend zog. Da ward der Mond ganz frei. Hell beleuchtete er die Fläche des Stroms und die Gruppe am Felsen. «Sie sind es!» rief Cethegus, der schon den gespannten Langbogen bereit hielt, zielte und schoß. Schwirrend flog der lange, schwarzgefiederte Pfeil von der Sehne. «Rauthgundis!» rief Witichis entsetzt. Denn sie zuckte zusammen und sank nach vorwärts auf die Mähne des Rosses, aber sie klagte nicht. «Bist du getroffen?» - «Ich glaube. Laß mich hier. Und rette dich». - «Niemals! Laß dich stützen.» «Um Gott, Herr, duckt euch! Taucht! Sie zielen!» Die Hunnen hatten jetzt ausgebetet. Sie ritten bis hart an den Strom, bis in sein Uferwasser, bogenspannend und zielend. Laß mich, Witichis! Flieh, ich sterbe hier.» - «Nein, ich lasse dich nie mehr!» Er wollte sie aus dem Sattel heben und sie auf dem Stein bergen. In hellem Mondlicht stand die Gruppe. «Gib dich gefangen, Witichis!» rief Cethegus, sein Roß bis an den Bug in das Wasser spornend. «Fluch über dich, du Lügner und Neiding.» Da schwirrten zwölf Pfeile auf einmal. Hoch auf sprang das Roß Theoderichs und versank für immer in die Tiefe. Aber auch Witichis war auf den Tod getroffen. «Bei dir!» -hauchte noch Rauthgundis. Fest mit beiden Armen umfing sie Witichis. - «Mit dir!» Umschlungen verschwanden sie im Fluß. Jammernd rief drüben Wachis im Schilf des Ufers noch dreimal ihren Namen. Er erhielt keine Antwort. Da jagte er davon in die Nacht. «Schafft die Leichen ans Land!» befahl Cethegus düster, sein Roß wendend. Und die Hunnen ritten und schwammen bis an den Stein und suchten. Aber sie suchten vergebens. Der rasche Strom hatte sie mit fortgerissen und die wieder vereinten Gatten mit sich hinausgetragen ins tiefe, freie Meer. Am gleichen Tage war Prinz Germanus von Ariminum in den Hafen von Ravenna zurückgekehrt, bereit, demnächst Mataswintha nach Byzanz zu führen. Diese war aus ihrer Betäubung erst durch die Hammerschläge der Werkleute geweckt worden, die das Mauerwerk neben der Gangtür durchbrachen, die eingesperrten Söldner zu befreien. Man fand die Fürstin auf den Kerkerstufen zusammengebrochen. Sie ward in vollem Fieber in ihre Gemächer hinaufgetragen, wo sie auf den Purpurpolstern ohne Laut und Regung, aber mit starr geöffneten Augen lag. Gegen Mittag ließ sich Cethegus melden. Sein Blick war finster und drohend, sein Antlitz von eisiger Kälte. Er trat dicht an ihr Lager. Mataswintha sah ihm ins Auge. «Er ist tot!» sagte sie dann ruhig. «Er wollte es nicht anders. Er - und du. Dir Vorwürfe machen ist zwecklos. Aber du siehst, was das Ende wird, wenn du mir entgegen handelst. Das Geschrei von seinem Untergang wird unfehlbar die Barbaren in neue Wut treiben. Schwere Arbeit hast du mir geschaffen. Denn nur du hast ihm Flucht und Tod bereitet. Das mindeste, was du zur Sühne tun kannst, ist: meinen zweiten Wunsch erfüllen. Prinz Germanus ist gelandet, dich abzuholen. Du wirst ihm folgen.» «Wo ist die Leiche?» «Nicht gefunden. Der Strom hat ihn davongetragen. Ihn und -das Weib.» Mataswinthens Lippe zuckte. «Noch im Tode! Sie starb mit ihm?» «Laß diese Toten! In zwei Stunden werde ich mit dem Prinzen wieder kommen. Wirst du bis dahin bereit sein, ihn zu begrüßen?» «Ich werde bereit sein.» «Gut. Wir wollen pünktlich sein.» «Auch ich. Aspa, rufe alle Sklavinnen herbei. Sie sollen mich schmücken: Diadem, Purpur, Seide.» «Sie hat den Verstand verloren», sagte Cethegus im Hinausgehen. «Aber die Weiber sind zäh. Sie wird ihn wiederfinden. Sie können fortleben mit aus der Brust gerissenem Herzen.» Und er ging den ungeduldigen Prinzen zu vertrösten. Noch vor Ablauf der bedungenen Zeit kam eine Sklavin, beide Männer zur Königin zu entbieten. Germanus eilte mit raschem Fuße über die Schwelle ihres Gemaches. Aber gefesselt von Staunen blieb er stehen. So schön, so prachtvoll hatte er die Gotenfürstin nie gesehen. Sie hatte das hohe, goldne Diadem auf das leuchtende Haar gesetzt, das, gelöst, in zwei dichten Wellen auf ihre Schultern und von den Schultern bis über den Rücken floß. Das Unterkleid, von schwerster weißer Seide mit goldnen Blumen durchwirkt, war nur unterhalb der Knie sichtbar. Denn Brust und Schoß bedeckte der weite Purpurmantel. Ihr Antlitz war marmorweiß, ihr Auge loderte in geisterhaftem Glanz. «Prinz Germanus», rief sie dem Eintretenden entgegen, «du hast mir von Liebe geredet? Aber weißt du, was du geredet? Lieben ist sterben.» Germanus sah fragend auf Cethegus. Dieser trat vor. Er wollte sprechen. Aber Mataswintha hob mit heller Stimme wieder an: «Prinz Germanus, sie rühmen dich den Feinstgebildeten an einem weisen Hof, wo man sich übt in spitzer Rätsel Ratung. Auch ich will dir eine Rätselfrage stellen: sieh zu, ob du sie lösest. Laß dir nur helfen dabei von dem klugen Präfekten, der sich so ganz auf Menschengemüter versteht. Was ist das? Weib und doch Mädchen? Witwe und doch nie Weib? Vermagst es nicht zu deuten? Hast recht. Der Tod nur löst alle Rätsel.» Rasch zur Seite warf sie den Purpurmantel. Ein breites, starkes Schwert blitzte. Mit beiden Händen stieß sie sich's tief in die Brust. Aufschreiend sprangen Germanus von vorn, Aspa von rückwärts hinzu. Schweigend fing Cethegus die Sinkende auf Sie starb, sowie er das Schwert aus der Wunde zog. Er kannte das Schwert. Er hatte selbst ihr es einst gesendet. Es war das Schwert des Königs Witichis. 7. Buch Totila - Erste Abteilung "Heil, daß uns dieser Sonnen-Jüngling lebt" (Markgraf Rüdiger von Bechelaren) Erstes Kapitel Wenige Tage nach dem Tode Mataswinthens und der Abreise des tieferschütterten Prinzen kam eine Botschaft aus Castra nova, die den Aufbruch byzantinischer Truppen von Ravenna notwendig machte. Hildebad war durch flüchtige Goten, die sich durch die Linien der Belagerer geschlichen, von der verräterischen Gefangennehmung des Königs unterrichtet worden. Da ließ er durch Gefangene, die er freigab, Belisar und Cethegus, jeden einzeln oder beide zusammen, wie sie wollten, zum Zweikampf laden, «wenn sie eine Ader von Mut, einen Tropfen von Ehre im Leibe trügen». «Er glaubt Belisar noch im Lande und scheint ihn nicht eben zu fürchten», sagte Bessas. - «Hier läge ein Mittel» erwiderte Cethegus lauernd, «den ungestümen Raufbold zu verderben. Aber freilich, Mut gehört dazu. Mut, wie ihn Belisar gehabt.» «Du weißt, ich weiche ihm auch darin nicht.» «Gut», sprach Cethegus, «folge mir in mein Gemach. Ich will dir Rat und Mittel zeigen, den Riesen zu vernichten. Du sollst vollbringen, was Belisar mißlang.» Zu sich selber aber sprach er: «Bessas ist zwar ein löblich schlechter Feldherr, aber Demetrius kein besserer, und leichter zu leiten. Und Bessas schuld' ich noch Vergeltung für das tiburtinische Tor zu Rom.» Nicht ohne Grund hatte der Präfekt gefürchtet, der schon fast erloschene Widerstand der Goten werde sich neu beleben bei der Kunde von der hinterlistigen Vernichtung des Königs. Mit jedem Mittel hatte er daher jene Erklärung von Witichis erzwingen wollen, die jede Begeisterung der Rache erstickt haben würde. Noch war an den alten Hildebrand zu Verona, an Totila nach Tarvisium und an Teja zu Ticinum keine genauere Nachricht gelangt. Nur die Kunde, daß Ravenna gefallen, der König gefangen sei, hatte sie erreicht. Dunkel verlautete dabei der Verrat. Und der Schmerz und Zorn der Freunde ließen es sich nicht nehmen: mit rechten Dingen könne nicht die feste Stadt, der wackre König erlegen sein. Statt sie zu entmutigen, verstärkte das Unheil die Kraft ihres Widerstandes. In wiederholten glücklichen Ausfällen schwächten sie die Belagerer. Und diese sahen sich schon fast genötigt, die Einschließung aufzugeben. Denn die Anzeichen einer bedeutsamen Veränderung der Verhältnisse in ganz Italien strömten von allen Seiten auf sie ein. Diese Veränderung war ein sich rasch vollziehender Umschwung in Stimmung und Gesinnung der römischen Bevölkerung, wenigstens des gesamten Mittelstandes: der Kaufleute und Handwerker in den Städten, der Bauern und Colonen auf dem flachen Lande. Die Italier hatten überall die Byzantiner jubelnd als Befreier begrüßt. Aber nach kürzester Zeit legte sich dieser Jubel. Im Gefolge Belisars zogen ganze Scharen von Finanzbeamten aus Byzanz, von Justinian gesendet, sofort die Früchte des Kampfes zu ernten und die immer leeren Kassen des Ostreichs mit den Reichtümern Italiens zu füllen. Mitten in den Leiden des Krieges begannen und betrieben diese Eifrigen ihr Werk. Sowie Belisar eine Stadt besetzt hatte, so berief der mit eingerückte Logothetes (Kassenrechnungsführer) alle freien Bürger in die Kurie oder auf das Forum, ließ die Bürger sich selbst nach dem Vermögen in sechs Klassen teilen und forderte nun je die ärmere Klasse auf, die nächst höhere nach ihrem Vermögen zu schätzen. Auf Grund dieser Schätzung legten dann die kaiserlichen Beamten jeder Klasse eine möglichst hochgegriffene Steuer auf. Und da sie, schon durch die Vorenthaltung, Verkürzung, Verzögerung bei dem niemals pünktlich bezahlten Gehalte fast darauf angewiesen, stets neben den Kassen des Kaisers die eigne Tasche zu füllen bedacht waren, wurde der Druck unerträglich. Die Logotheten waren nicht zufrieden mit den hohen Steuersätzen, die der Kaiser für drei Jahre vorausbezahlt verlangten mit der besonderen, jeder befreiten Stadt Italiens auferlegten «Freiheits-, Dank- und Freudenschatzung» - neben den starken Beisteuern und Lieferungen, die Belisar und seine Heerführer zur Verpflegung des Heeres ausschreiben mußten -denn von Byzanz kam weder Geld noch Vorrat -, verlegten sich jene Finanzkünstler darauf, mit besonderen Mitteln den reicheren Bürgern noch besondere Zahlungen abzunötigen. Sie stellten überall Nachprüfungen der Steuerlisten an, entdeckten Rückstände aus der Zeit der Gotenkönige oder gar noch aus den Tagen Odoakers und ließen den Bürgern nur die Wahl zwischen ungeheuren Abfindungssummen oder ungeheuren Rechtsstreiten mit dem Fiskus Justinians, der noch nie einen Prozeß verloren. Waren aber die Steuerlisten unvollständig oder zerstört - was häufig genug in diesen Jahren der Kämpfe geschehen -, so stellten die Rechnungsführer sie nach eigner Willkür wieder her. Kurz, alle Finanzkünste, welche die Provinzen des Ostreichs zugrunde richteten, wurden seit Belisars Landung in ganz Italien geübt, soweit die kaiserlichen Waffen reichten. Ohne Rücksicht auf die Not des Krieges spannten die Steuerboten dem Bauer das pflügende Rind aus dem Pflug, nahmen dem Handwerker das Gerät aus der Werkstatt, dem Kaufmann die Waren aus der Halle. In manchen Städten erhob sich das Volk, die Steuerlisten verbrennend, in hellem Aufruhr gegen seine Peiniger, die freilich alsbald in größeren Scharen mit strengerer Härte wiederkehrten. Mit afrikanischen Bluthunden jagten die maurischen Reiter Justinians die verzweifelnden Bauern aus ihren Waldverstecken, wohin sie sich geflüchtet, den Steuererhebern zu entrinnen. Cethegus aber, der allein in der Stellung gewesen wäre, Abhilfe zu versuchen, sah dem allen zu mit berechnender Ruhe. Ihm war es erwünscht, daß Italien schon vor Beendigung des Krieges die Tyrannei von Byzanz fühlbar kennenlernte. Desto leichter würde er es mit fortreißen können, sich zu erheben mit eigner Kraft und nach den Goten auch die Byzantiner abzuschütteln. Mit Achselzucken hörte er die Klagen der Städtegesandten an, die seine Vermittlung anriefen, und gab die lakonische Antwort: «Das ist byzantisch Regiment ihr müßt euch dran gewöhnen.» - «Nein», hatten die Abgeordneten von Rom gerufen, «das Unerträgliche gewöhnt man nicht. Und der Kaiser könnte ein Unerhörtes erleben, das er sich nicht träumen läßt.» Dies Unerhörte konnte sich Cethegus nur als die Erhebung Italiens zur Selbständigkeit denken: er kannte kein Drittes. Aber er irrte. So klein er von seiner Zeit und seinen Landsleuten dachte - er hatte geglaubt, sie durch sein Beispiel gehoben zu haben. Jedoch den Gedanken: «Freiheit und Erneuerung Italiens», seinem Geist so geläufig, ja so notwendig wie der Brust das Atmen - dies Geschlecht vermochte ihn nicht mehr zu fassen. Nur zwischen verschiedenen Herren schwanken und wählen konnten die Entarteten. Und da das Joch von Byzanz sich als unertragbar erwies, fing man an, wieder der milden Gotenherrschaft zu gedenken: eine Möglichkeit, die dem Präfekten gar nicht in die Gedanken geriet. Und doch kam es so. Vor Tarvisium, Ticinum und Verona geschah schon jetzt im kleinen, auf dem flachen Lande, was sich im großen in den Städten wie Neapolis und Rom vorbereitete: die italische Landbevölkerung erhob sich gegen die byzantinischen Beamten und Soldaten, wie die Bewohner jener drei Städte in jeder Weise die gotischen Besatzungen unterstützten. So wurden die Belagerer von Tarvisium genötigt, ihre Angriffe aufzugeben und sich auf Verteidigung ihres Lagers zu beschränken, nachdem Totila in einem Ausfall, unterstützt von bewaffneten Colonen des Flachlands, ihre Werke zum großen Teil zerstört hatte. Aus der Landschaft zog er nun Vorräte und Streiter in seine Feste. Mit froherem Herzen als seit sehr langer Zeit hielt Totila seinen Abendrundgang auf den Wällen von Tarvisium. Die Sonne, die hinter den venetischen Bergen niedersank, vergoldete die Ebene vor ihm, und rote Wolken flogen freundlich an dem Himmel hin. Mit gerührtem Herzen sah er, wie die Bauern von der Umgegend von Tarvisium durch das geöffnete Tor strömten und seinen ausgehungerten Goten Brot, Fleisch, Käse, Wein zutrugen, während diese ins Freie eilten und nun Germanen und Italier, mit verschlungenen Armen, die jüngst gemeinsam über die verhaßten Feinde erfochtenen Vorteile gemeinsam feierten. «Und sollte es denn unmöglich sein», sagte der Sieger zu sich selbst, «diese Eintracht zu erhalten, zu erweitern über das ganze Land? Müssen denn die Völker beharren in unversöhnlichem Zwiespalt? Wie schön steht beiden diese Freundschaft! Haben nicht auch wir gefehlt, sie als Feinde, als Besiegte zu behandeln? Mit Argwohn ist man ihnen begegnet, statt mit ehrendem Vertrauen. Ihren Gehorsam haben wir verlangt, nicht ihre Liebe gesucht. Und diese wäre wohl des Suchens wert gewesen. War sie gewonnen - nie hätte Byzanz hier Fuß gefaßt. Die Lösung meines Gelübdes - Valeria! -, sie wäre nicht so unerreichbar fern. Wär' mir es noch vergönnt, auf meine Weise nach jenem Ziele zu ringen!» Da unterbrach sein Denken und Träumen ein Bote von den vorgeschobenen Wachen mit der Meldung, die Feinde hätten ihr Lager eilig abgeräumt und seien in vollem Abzug nach Süden, gegen Ravenna - auf der Straße von Westen her wirble Staub, ein starker Haufe Reiter nahte, vermutlich Goten. Erfreut, aber noch zweifelnd nahm Totila die Nachricht auf: er traf alle Vorkehrungen wider eine Kriegslist. Doch in der Nacht wurden seine Zweifel gelöst. Er wurde geweckt mit der Nachricht eines gotischen Sieges und des Eintreffens der Sieger. Er eilte in den Vorsaal und sah Hildebrand, Teja, Thorismut und Wachis. Mit dem Zuruf «Sieg! Sieg!» begrüßten ihn die Freunde; und Teja und Hildebrand meldeten, daß auch bei Ticinum und Verona das Landvolk sich gegen die Byzantiner erhoben und ihnen geholfen habe, die Belagerer zu überfallen und, nach Zerstörung ihrer Werke, zum Abzug zu zwingen. Aber bei diesem Bericht lag doch in Tejas Auge und Stimme noch tiefere, als die gewohnte Schwermut. «Was hast du neben dieser Freude Trauriges zu künden?» fragte Totila. «Des besten Mannes schmähliches Verderben!» und er winkte Wachis, welcher nun die Leiden und den Tod des Königs und seines Weibes erzählte. «Im Röhricht des Flusses», schloß er, «war ich den Pfeilen der Hunnen entgangen. So leb' ich noch. Aber nur zu dem einen Ende, meine n Herrn, meine Herrin zu rächen an ihrem Verräter und Mörder, dem Präfekten.» - «Nein, mir ist des Präfekten Haupt verfallen!» sprach Teja. - «Das nächste Recht auf ihn», sagte Hildebrand, «hast du, Totila. Denn einen Bruder hast du an ihm zu rächen.» «Mein Bruder Hildebad!» rief Totila, «was ist mit ihm?» -«Schändlich ermordet ist er, Herr», sprach Thorismut, «von dem Präfekten! Vor meinen Augen! Und ich konnt's nicht wenden.» «Mein starker Hildebad tot!» klagte Totila. «Rede!» «Der Held lag mit uns in der Burg Castra Nova bei Mantua. Das Gerücht vom empörenden Untergang des Königs hatte uns erreicht. Da forderte Hildebad beide, Belisar und Cethegus, zum Zweikampf. Bald darauf erschien ein Herold, meldend, Belisar habe die Forderung angenommen und erwarte deinen Bruder zum Kampf auf der Ebene zwischen unserem Wall und ihrem Lager. Frohlockend eilte dein Bruder hinaus, wir Reiter alle folgten. Wirklich ritt aus dem Zelte in seiner goldnen Rüstung, mit geschlossenem Helm und weißem Roßschweif, mit dem runden Buckelschild, uns allen wohlbekannt, Belisarius. Nur zwölf Reiter folgten ihm. Allen voran auf seinem Rappen Cethegus, der Präfekt. Die andern Byzantiner hielten vor ihrem Lager; Hildebad befahl mir, mit elf Reitern ihm in gleichem Abstand zu folgen. Die beiden Kämpfer begrüßten sich mit dem Speere: die Tuba tönte, und Hildebad sprengte auf seinen Gegner los. Im Augenblick flog dieser durchstoßen vom Pferd. Dein Bruder, völlig unverletzt, sprang ab, mit dem Ausruf: rief er und sah, ergrimmt über den Betrug, gegen die Feinde. Dann winkte der Präfekt. Die zwölf maurischen Reiter schleuderten ihre Speere - und schwer getroffen stürzte dein Bruder zusammen.» Totila verhüllte sein Haupt. Teja trat ihm teilnehmend näher. «Hör' zu Ende», sprach Thorismut. «Da ergriff uns, die wir den Mord mit angesehen, grimmiger Schmerz. Wütend warfen wir uns auf die Feinde, die, auf unsre Entmutigung hoffend, aus dem Lager gedrungen waren. Nach wildem, heißem Kampf schlug sie unser Ingrimm in die Flucht. Nur seines Höllenrappens Schnelligkeit hat den von meinem Wurfspeer an der Schulter verwundeten Präfekten gerettet. Mit leuchtenden Augen sah dein Bruder noch unsern Sieg. Er ließ sich die Truhe, die er aus Ravenna entführt, vom Schloß herabbringen, öffnete und sprach zu mir: Und mit letztem Atem sprach er: schreiend, ebenso, wie ich ihn rufen hörte, auf den Wolf, der nicht mehr entweichen konnte und sich mir stellte, mit dem Schwerte sprang: » «Heißt aber doch keiner unsrer Ahnen und Gesippen so, Bruder! Wir kennen doch ihre Namen alle.» Und nun hatten sie die Stallungen erreicht, die Tiere hineingetrieben und sich vor der Türe des Wohnhauses, vor dem offenen Fenster, auf die Holzbank gesetzt, welche die Vorderseite des Hauses auf beiden Seiten der Haustüre umzog. «Da ist», zählte das Mädchen nachdenkend auf, «Iffamer, unser Vater, Wargs der Ohm, den der Berg verschüttet hat, Iffa der Ahn, Iffamuth, der andre Ohm, Iffaswinth, dessen Sohn, unser Vetter, und Iffarich, der Großahn und wieder Iffa - aber kein Alarich.» «Und doch ist mir noch wie ein Dämmertraum aus der Zeit, da ich zuerst auf dem Berg umherzulaufen anfing, aus der Zeit vor dem großen Bergfall, der den starken Oheim Wargs begrub, als hätte ich den Namen oft gehört. Und er gefällt mir. Und der Ahn hat mir erzählt von einem Heldenkönig dieses Namens, der zuerst vor allen Helden die Romaburg bezwang: - du weißt, die Stadt, von welcher unser Vater und der Oheim Iffamuth und der Vetter Iffaswinth nicht wiedergekehrt sind, - und der dann früh verstarb, wie Siegfried, der Schlangentöter und Baldur, der Heidengott. Und sein Grab ist in einem tiefen Fluß. Da liegt er, auf goldenem Schild, unter seinen Schätzen: und hohes Schilf wogt darüber hin. Und nun hat sich ein andrer König aufgetan, der heißt Totila, wie die Heermänner, welche die Besatzung drüben in Schloß Teriolis ablösten, erzählten. Der soll sein wie jener Alarich und wie Siegfried und wie der lichte Sonnengott. Und ich, hat der Ahn gesagt, soll auch ein Kriegsmann werden, und einst hinabziehn zu König Totila und unter die Feinde stürmen mit dem Ruf Aber weiter geht es noch nicht. Und ich kann auch nicht allein weiter dichten. Ich brauche einen kundigen Meister für Wort und Harfe. Und auf den Speerschwinger Teja, den sie den schwarzen Grafen nennen, und der wunderbar die Harfe schlagen soll, möcht' ich auch ein halbfertiges Lied vollenden. Und ich wäre schon lang - aber das sag' ich nur dir -davongegangen, ohne den Ahn zu fragen, der immer noch sagt: ich bin zu jung. Wenn mich eins nicht hier hielte.» Und er sprang hastig auf. «Was denn, Bruder?» fragte Gotho, ruhig sitzen bleibend und ihn aus großen hellblauen Augen voll ansehend. «Ja, wenn du's nicht weißt», - sprach er fast zornig, «sagen kann ich's dir nicht. - Ich muß hinüber und neue Pfeilspitzen schmieden in der Schmiedhütte. Gib mir noch einen Kuß, so! Und laß nun dir noch einen auf jedes Auge legen! Und einen auf das lichte Haar! Fahr wohl, lieb Schwesterlein, bis zum Nachtmahl.» Und er eilte hinweg von ihr nach einem Nebengebäude, vor dessen Tür ein Schleifstein und allerlei Arbeitsgerät stand. Gotho stützte die Wange auf die Hand und sah vor sich hin, dann sagte sie laut: «Ich kann's nicht raten. Denn mich würd' er ja mitnehmen, natürlich. Wir könnten ja gar nicht leben ohne einander.» Sie stand mit einem leichten Seufzer auf und wandte sich dem Wiesgrund neben dem Hause zu, nach dem Linnen zu sehen, das dort zur Bleiche lag. Aber im Wohnhaus hinter dem offenen Fenster erhob sich jetzt der alte Iffa. Er hatte alles mit angehört. «Das tut kein gut mehr!» sprach er, sich lebhaft den Kopf reibend. «Hab's immer nicht über das Herz gebracht, die Kinder zu trennen. Waren ja Kinder! Hab' immer noch ein Weilchen gewartet. Und jetzt hätt' ich gar schon bald ein Weilchen zu lang gewartet. Fort mit dir, jung Adalgoth!» Und er trat aus dem Wohnhaus und schritt langsam hinüber in die Schmiede. Er fand den Knaben in eifriger Arbeit. Mit vollen Backen blies er in die Kohlenglut am Schmiedeherd und hielt dann die schon roh bearbeiteten Pfeilspitzen hinein, sie zu erweichen und hämmerbar zu glühen. Dann griff er mit der Zange die Spitze heraus, legte sie auf den Schmiedknecht, den Amboß, und hämmerte zierlich ihre Spitzen und Widerhaken zurecht. Er nickte nur stumm dem eintretenden Großvater zu, ohne sich in der Arbeit stören zu lassen. Tapfer hieb er auf den Amboß, daß die Funken sprühten. «Nun», dachte der Alte bei sich, «jetzt denkt er doch nur an Pfeil und Eisen.» Aber plötzlich schloß der junge Schmied mit einem sausenden Streich, warf den Hammer weg, strich sich über die glühende Stirn und fragte, rasch gegen Iffa sich wendend: «Ahn, woher kommen die Menschen?» «Jesus, Wodan und Maria!» rief der Alte und trat erschrocken einen Schritt zurück. «Bub, wie kommst du auf solche Gedanken?» «Die Gedanken kommen zu mir, nicht ich zu ihnen. Ich meine nämlich die ersten Menschen, die allerersten. Der lange Hermegisel da drüben in Teriolis, der aus der Arianerkirche zu Verona davongelaufen ist und schreiben und lesen kann, sagt: der Christengott habe in einem Baumgarten einen Mann aus Lehm gemacht und aus dessen Rippe, da er schlief, ein Weib. Das ist zum Lachen. Denn aus einer noch so langen Rippe kann man kein noch so kleines Mädchen machen.» «Ja, ich glaub's auch nicht!» gestand der Alte, nachdenklich. «'s ist schwer vorzustellen. Und ich erinnere mich: mein Vater hat einmal gesagt, an einem Abend am Herdfeuer, die ersten Menschen seien auf den Bäumen gewachsen. Der alte Hildebrand aber, der sein Freund war, obzwar tüchtig älter - und der von Tridentum her auf einem Streifzug gegen die wilden Bajuvaren hier eingekehrt war, und der zunächst am Herde saß, - denn es war noch früh im Jahr und sehr rauh und kalt -, der sagte: mit den Bäumen, das sei richtig. Aber nicht gewachsen seien die Menschen darauf, sondern zwei Heidengötter - nennt sie Hermegisel - haben einst am Meeresufer den Eschenbaum und die Erle liegend gefunden: und aus ihnen bildeten sie Mann und Weib. Es geht auch noch ein altes Lied davon. Hildebrand wußte noch ein paar Worte draus. Mein Vater schon nicht mehr.» «Das will ich schon lieber glauben! Aber jedenfalls waren da anfangs der Menschen sehr wenige?» - «Gewiß.» - «Und es gab nur eine Sippe anfangs?» - «Sicher!» - «Und die Alten starben meistens vor den Jungen?» - «Freilich.» - «Dann will ich dir was sagen, Ahn. Dann mußten die Menschen entweder aussterben. Oder, da sie noch da sind - und siehst du, da wollt' ich drauf hinaus -, mußten Bruder und Schwester sich oft heiraten, bis mehrere Sippen entstanden.» «Adalgoth, dich reiten die Elben, du redest wirr.» «Ganz und gar nicht. Und kurz und gut: wenn's früher geschehen konnte, kann's auch heute noch geschehen. Und ich will meine Schwester Gotho zum Weibe haben.» Der Alte sprang auf ihn zu und wollte ihm den Mund verhalten. Aber der Jüngling wich ihm aus. «Ich weiß schon alles, was du sagen willst. Hier kämen die Priester von Tridentum wohl bald dahinter. Und dann des Königs Graf. Aber ich kann ja mit ihr in ein fernes Land ziehen, wo uns niemand kennt. Und sie geht schon mit, das weiß ich.» «So, das weißt du auch schon?» «Ja, das weiß ich.» «Aber das weißt du noch nicht», sprach nun ernst und entscheidend der Alte, «daß diese Nacht die letzte ist, die du hier zubringst auf dem Berg der Iffinger. Auf, Adalgoth, ich gebiete dir: dein Ahn und dein Mundwalt. Du hast eine Ehrenpflicht, die Pflicht heiliger Rache, zu erfüllen am Hofe König Totilas und in seinem Heer: einen heiligen Auftrag des Oheim Wargs, der unterm Berg verschüttet liegt - einen Auftrag deines - Ahns. Du bist nun reif und stark genug, ihn zu erfüllen. Morgen, mit dem ersten Tagesgrauen, brichst du auf nach Süden, nach Italia, wo König Totila das Unrecht straft, dem Recht zum Siege hilft und den Neiding Cethegus niederkämpft. Folg' mir in meine Kammer. Dort hab' ich dir ein Kleinod einzuhändigen von Oheim Wargs und manches Wort noch auf den Weg zu geben. Manch Wort des Rates und der Rache. Vor Gotho aber schweige. Mach' ihr das Herz nicht schwer. Befolgst du meine und deines Oheims Worte, wirst du ein starker, freudiger Held werden an König Totilas Hof. Und dann, aber auch nur dann, wirst du auch Gotho - wiedersehen.» Tiefernst, bleich geworden folgte der Jüngling dem Ahn in das Haus. Lang sprachen sie dort leise in des Alten Kammer. Bei dem Nachtmal fehlte Adalgoth. Er habe sich, mehr müde als hungrig, schon schlafen gelegt, ließ er der Schwester sagen durch den Ahn. Aber nachts, da sie schlief, trat er auf leisen Zehen in ihr Gemach. Der Mond warf einen zarten Strahl auf ihr engelhaftes Angesicht. Auf der Schwelle blieb er stehen. Nur die Rechte streckte er nach ihr aus. «Ich seh' dich wieder», sprach er, «meine Gotho!» Und er überschritt bald die Schwelle des schlichten Alpenhauses. Noch begannen kaum die Sterne zu bleichen: frisch, stählend wehte die Nachtluft des Berges um seine Schläfe. Er sah in den schweigenden Himmel. Da schoß ein Stern in hohem Bogen über sein Haupt. Gen Süden flog er nieder. Da erhob der Jüngling den Hirtenstab in der Rechten: «Dorthin rufen mich die Sterne! Nun wahre dich, Neiding Cethegus!» Fünftes Kapitel Der Präfekt hatte nach der Schlacht an der Padusbrücke Boten seinen nachrückenden Scharen entgegengeschickt, die zunächst seine Söldner, dann auch die langsamer folgenden Bürger von Ravenna nach dieser Stadt zurückwiesen. Die flüchtenden Truppen des Demetrius überließ er ihrem Schicksal. Totila hatte alle Feldzeichen und Fahnen der zwölf Tausend erbeutet, «was den Römern nie zuvor geschah», schreibt Prokopius zürnend. Cethegus selbst eilte mit seinem geringen Gefolge quer durch die Ämilia an die Westküste von Italien, die er bei Populonium erreichte, bestieg ein rasches Kriegsschiff und ließ sich von einem starken Nordnordwest, den, wie er sagte, die alten Götter Latiums gesendet, nach dem Hafen von Rom, Portus, tragen. Auf dem Landweg hätte er nicht mehr durchdringen können: denn nach dem Sieg Totilas an der Padusbrücke fiel ganz Tuscia und ganz Valeria den Goten zu, das Flachland rückhaltlos, und auch die Städte, die nicht starke byzantinische Besatzung in Zaum hielt. Bei Mucella, einen Tagmarsch von Florenz, schlug der König nochmal ein starkes Heer der Byzantiner unter elf uneinigen Führern, welche die kaiserlichen Besatzungen der tuscischen Städte zusammengerafft hatten, ihm den Weg zu verlegen. Mit Mühe entkam der Oberfeldherr Justinus nach Florentia. Der König behandelte seine zahlreichen Gefangenen mit solcher Güte, daß sehr viele derselben, Italier und kaiserliche Söldner, in seine Dienste traten. Und nun waren alle Straßen von Mittelitalien bedeckt von neu zu den Waffen eilenden Goten und von Colonen, die, unter deren Anführung, Totilas Märschen gegen Rom folgten. In dieser Stadt angelangt, hatte Cethegus sofort alle Anstalten zur Verteidigung getroffen. Denn im Fluge nahte nun, nach dem zweiten Siege, bei Mucella, König Totila, aufgehalten fast nur noch durch die Huldigungen der Städte und Kastelle auf seinem Wege, die wetteifernd und jubelnd ihm die bei seinem Eintritt bekränzten Tore erschlossen. Die wenigen Burgen, die, von starken byzantinischen Besatzungen gehalten, widerstanden, wurden eingeschlossen von kleinen Abteilungen, die Totila aus Italiern bildete, durch wenige gotische Kerntruppen zusammengehalten. Er konnte dies, da seine Macht während des Zuges auf Rom von allen Seiten, einem Strome gleich, große und kleine Zuflüsse von Goten und Italiern erhielt. Zu Tausenden eilten die italischen Colonen, die er frei erklärt, zu seinen Fahnen. In kleinen Städten erhoben sich die Bürger gegen die byzantinische Besatzung, entwaffneten sie oder zwangen sie zum Abzug. Ja, sogar Söldner Belisars, die seit dessen Entfernung monatelang von den kaiserlichen Logotheten keinen Sold erhalten hatten, boten nun den Goten ihre Waffen an. So war es ein sehr ansehnliches Heer von Goten und Italiern, das Totila, wenige Tage nach dem Eintreffen des Präfekten, vor die Tore Roms führte. Mit lautem Jubel wurden bald darauf in dem gotischen Lager der tapfere Wölsung Herzog Guntharis, Wisand der Bandalarius, Graf Markja und der alte Grippa begrüßt, deren Auswechselung gegen den an der Padusbrücke gefangenen kaiserlichen Oberfeldherrn und mehrere seiner Heerführer Totila bei Constantianus und Johannes, den Befehlshabern von Ravenna, erwirkt hatte. Auf Cethegus aber fiel nun die fast unlösbare Aufgabe, seine großartig angelegten Befestigungen hinlänglich zu bemannen. Fehlte ihm doch nicht bloß das ganze Heer Belisars - auch der größte Teil der eignen Söldner, die erst allmählich auf dem Seeweg von Ravenna her in dem Hafen Portus eintrafen. Um den ganzen Kreis der weiten Umwallung auch nur notdürftig zu decken, mußte Cethegus den römischen Legionären nicht nur ungewohnte und unerwartete Anstrengungen unabgelösten Wachdienstes zumuten - er mußte auch deren Zahl durch Gewaltmaßregeln erhöhen. Vom sechzehnjährigen Knaben bis zum sechzigjährigen Greise rief er «alle Söhne des Romulus, Camillus und Cäsar zu den Waffen, die Heiligtümer der Väter zu schirmen wider die Barbaren». Aber sein Aufruf wurde kaum gelesen und verbreitet und führte ihm nur wenige Freiwillige zu, während er mit Ingrimm sah, wie das Manifest des Gotenkönigs, das jede Nacht an vielen Stellen über die Mauern flog, überall umlief und vor dichten Gruppen verlesen wurde: so daß er zornig befahl, jeden mit Einziehung des Vermögens oder Verknechtung zu strafen, der das Manifest aufhöbe, anschläge, vorlese, verbreite. Aber es lief doch überall um, und seine in allen «Regionen» der Stadt ausgelegten Listen der Freiwilligen blieben leer. Da schickte er seine Isaurier in alle Häuser und ließ Knaben und Greise mit Gewalt auf die Wälle schleppen: bald war er mehr gefürchtet, ja, gehaßt als geliebt. Nur seine eiserne Strenge und das allmähliche Eintreffen seiner isaurischen Söldner hielt noch die Unzufriedenheit der Römer nieder. In dem Gotenlager aber überholte eine Glücksbotschaft die andre. Teja und Hildebrand hatten die Byzantiner bis vor die Tore von Ravenna verfolgt. Diese Stadt verteidigten der wieder freigegebene Demetrius und Johannes der Blutige, und die Hafenstadt Constantianus gegen Hildebrand, der Ariminum im Vorüberziehen gewonnen, da die Bürger die armenischen Söldner des Artasires entwaffneten und die Tore öffneten. Teja aber schlug und tötete im Zweikampf den tapfern Byzantiner Feldherrn Verus, der mit auserlesenen pisidischen und kilikischen Söldnern ihm den Übergang des Santernus verwehren wollte, durchzog ganz Norditalien, den Aufruf Totilas in der Linken, das drohende Schwert in der Rechten: und in wenigen Wochen waren alle Städte und Burgen bis auf Mediolanum zur Unterwerfung gewonnen oder geschreckt. Totila, durch die Erfahrung der ersten Belagerung gewitzigt, wollte sein Heer einem Sturm auf die furchtbaren Werke des Präfekten nicht aussetzen und auch seine künftige Hauptstadt nicht den Zerstörungen stürmender Einnahme preisgeben. «Auf hölzernen Brücken, auf linnenen Flügeln gelang' ich nach Rom!» so rief er eines Tages Herzog Guntharis zu, überließ diesem die Einschließung der Stadt, brach auf mit der ganzen Reiterei und eilte nach Neapolis. In diesem Hafen lag, schwach bemannt, eine kaiserliche Flotte. Einem Triumphzug, nicht einem Feldzug, glich Totilas Marsch auf der appischen Straße durch Unteritalien. Diese Gegenden, die am längsten unter dem Joche der Byzantiner litten, waren am meisten bereit, nun die Goten als Befreier zu begrüßen. Mit Blumengebinden zogen die Jungfrauen von Terracina dem schönen Gotenkönig entgegen. Das Volk von Minturnä fuhr, ihm zum Empfang, einen vergoldeten Wagen hinaus, hob ihn vom weißen Roß und zog ihn auf dem Wagen jubelnd in die Tore. «Sehet hin» - scholl es in den Straßen von Casilinum, einer alten Kultstätte der campanischen Diana -, «Phöbus Apollo ist niedergestiegen vom Olymp und hält befreienden Einzug in der Stadt seiner Schwester.» Die Bürger von Capua aber baten ihn, die ersten Goldmünzen seines Königsnamens in ihrer Münze zu prägen mit der Umschrift: «Capua revindicata». So ging es fort bis Neapolis: dieselbe Straße, die er dereinst, ein Flüchtling, verwundet, in nächtlicher Hast zurückgelegt. Der Befehlshaber der armenischen Söldner in der Stadt, einer sehr tapfern, aber schwachen Schar, der Arsakide Phaza, wagte nicht, der Bevölkerung für den Fall einer Belagerung zu trauen. Er führte seine Lanzenträger und bewaffnete Bürger von Neapolis dem König zur offenen Feldschlacht entgegen. Da, vor dem Beginn des Gefechts, ritt ein Reiter auf weißem Roß aus der Schlachtreihe der Goten, nahm den Helm vom Haupt und rief: «Kennt ihr mich nicht mehr, ihr Männer der parthenopäischen Stadt? Ich bin Totila. Ihr habt mich geliebt, da ich der Seegraf eures Hafens war. Ihr sollt mich segnen als euren König. Gedenkt ihr nicht mehr, wie ich eure Weiber und Kinder auf meinen rettenden Schiffen geflüchtet vor den Hunnen Belisars? Vernehmt: diese eure Frauen und Töchter, sie sind abermals in meiner Hand; nicht als Schützlinge, als Gefangene. Nach Cumä habt ihr sie gebracht, in das feste Schloß, sie vor den Byzantinern zu schützen, vielleicht auch vor mir. Wisset aber: Cumä hat sich mir ergeben, und alle dorthin Geflüchteten sind in meine Gewalt gefallen. Man riet mir: sie als Geiseln zu behalten, euch und die andern Städte zur Ergebung zu zwingen. Das widerstrebt mir. Frei ließ ich sie alle - nach Rom hab' ich die Frauen der römischen Senatoren geleiten lassen. Nur eure Weiber und Kinder, ihr Männer von Neapolis, hab' ich in mein Lager kommen lassen, nicht als Geiseln, nicht als Gefangene: - als meine Gäste. Sehet hin: dort strömen sie aus meinen Zelten. Öffnet die Arme, sie zu empfangen, sie sind frei. Wollt ihr jetzt gegen mich kämpfen? Ich kann's nicht glauben! Wer ist der erste unter euch, der zielt auf diese Brust?» Und weit schlug er den weißen Mantel auseinander. «Heil König Totila dem Gütigen!» war die jubelnde Antwort. Und das heißblütige Völklein warf die Waffen nieder, strömte heran, begrüßte jubelnd die befreiten Frauen und Kinder und küßte dem jungen König den Saum des Mantels und die Füße. Der Führer der Söldner ritt zu ihm heran. «Meine Lanzen sind umringt und zu schwach, allein zu kämpfen. Hier, o König, nimm mein Schwert: ich bin dein Gefangener.» «Nicht also, tapfrer Arsakide! Du bist unbesiegt - deshalb auch ungefangen. Zieh ab, wohin du willst, mit deiner Schar.» «Ich bin besiegt und gefangen durch deines Herzens Hoheit und deiner Augen lichten Glanz: verstatte, daß wir fortan für deine Fahne fechten.» Eine auserlesene Kriegerschar war so Totila gewonnen, die fortan treu bei ihm aushielt. Unter einem Regen von Blumen hielt er seinen Einzug durch die Porta nolana. Noch bevor Aratius, der Befehlshaber der Flotte im Hafen, die Anker seiner Kriegsschiffe lichten konnte, war deren Bemannung von den zahlreichen Matrosen der vielen neben ihnen liegenden Handelsschiffe der Kaufleute - alter Bewunderer und dankbarer Schützlinge Totilas - überwältigt und die Führer gefangen. Ohne Blutvergießen hatte sich der Gotenkönig eine Flotte und die dritte Stadt des Reiches gewonnen. Aber von dem Festmahl, das ihm am Abend die jubelnde Stadt bereitete, stahl er leise sich hinweg. Mit Staunen sahen gotische Wachen in der Stille der Nacht ihren König, ohne Gefolge, im halb eingestürzten Turmgemäuer hart am capuanischen Tor neben einem uralten Olivenbaum verschwinden. - Am andern Tag erschien ein Erlaß Totilas, der die Frauen und Mädchen der Juden von Neapolis für immer von dem bisher entrichteten Kopfgeld befreite und, während ihnen sonst untersagt war, öffentlich Schmuck zu zeigen, verstattete, als Ehrenzeichen auf dem Brustgewand ein goldnes Herz zu tragen. In dem dicht verwachsenen Gärtchen aber, in welchem verwilderter Efeu und Rosen das hohe Steinkreuz und einen tief eingesunkenen Grabstein völlig überwachsen hatten, erhob sich in Bälde ein Gedenkstein von edelstem schwarzem Marmor mit der einfachen Aufschrift: «Miriam Valeria». - Und niemand lebte in Neapolis, der das zu deuten wußte. Sechstes Kapitel Von allen Seiten strömten nun aus Campanien und Samnium, Bruttien und Lucanien, Apulien und Calabrien Abgesandte der Städte nach Neapolis, den Gotenkönig als Befreier in ihre Mauern zu laden. Auch das wichtige und starke Benevent ergab sich und die benachbarten Festen Asculum, Canusia und Acheruntia. Nach Tausenden zählten die Fälle, in welchen in diesen Landschaften die Colonen in die Ländereien ihrer gefallenen, entflohenen, nach Byzanz oder Rom gewanderten Herren eingewiesen wurden. Außer Rom und Ravenna waren von großen Plätzen jetzt nur noch Florentia unter Justinus, Spoletium unter Bonus und Herodianus, Perusia unter dem Hunnen Uldugant in den Händen der Byzantiner. In wenigen Tagen hatte der seekundige König, durch viele Italier aus dem Süden der Halbinsel verstärkt, seine eroberte Flotte neu bemannt und führte sie, in vollem Schmuck der Segel und Flaggen, aus dem Hafen, indes die Reiterei seines Heeres auf dem Landweg (der Via appia) gegen Norden zog. Rom war das Ziel der Schiffe und der Reiter: während Teja, nachdem er alles Land zwischen Ravenna und dem Tiber gewonnen - die festen Burgen Petra und Cäsena fielen ohne Schwertstreich - oder unterworfen und gesichert: die Ämilia und beide Tuscien (das annonarische und suburbikarische), auf der Via flaminia mit einem dritten Gotenheer gegen die Stadt des Cethegus heranzog. Der Präfekt erkannte: nun ward es grimmiger Ernst. Und grimmig, gleich dem in seiner Höhle angegriffenen Drachen, wollte er sich wehren. Mit stolz zufriedenem Blick maß er die Schanzen und Wälle, sein ungeheures Werk: und zu den Waffenfreunden, welche die Annäherung der Goten beunruhigte, sprach er: «Getrost! An diesen Mauern sollen sie zum zweitenmal zerschellen.» Aber nicht so ruhig wie seine Reden und Mienen war im tiefsten Innern sein Geist. Nicht, daß er sein Tun jemals bereut, seinen Gedanken je als unausführbar erkannt hätte. Aber daß sein Werk, nach wiederholtem Scheitern der Vollendung so nahe geführt, nun nach Totilas Erhebung abermals so fern vom Ziele schien - diese Empfindung wirkte auf die eiserne Kraft auch des Cethegus. «Der Tropfen höhlt zuletzt den Fels!» antwortete er, als ihn Licinius einmal fragte, weshalb er so finster sehe. «Und dann - ich kann nicht mehr schlafen wie ehedem.» «Seit wann?» «Seit - Totila! Dieser blonde Königsknabe hat mir den Schlummer gestohlen.» So sicher und überlegen sich der Präfekt gegenüber all seinen Feinden und Gegnern gefühlt hatte - die leuchtende, offene Natur, die Siegfried-Natur dieses Jünglings und ihre spielend gewonnenen Erfolge reizten seinen Haß so schwer, daß ihm manchmal in heißer Leidenschaft die überlegene Eisesruhe schmolz - während Totila dem Allgefürchteten mit einer Siegeszuversicht entgegentrat, als könne es ihm gar nicht fehlen. «Er hat Glück, dieser Milchbart!» knirschte Cethegus, als er die spielende Eroberung von Neapolis erfuhr. «Glück wie Achilleus und Alexandros. Aber vortrefflicherweise werden sie nicht alt, diese ewigen Jünglinge! Das weiche Gold dieser Seelen zermürbt: - wir Klumpen von gediegenem Erz halten länger. Ich habe dieses Schwärmers Rosen und Lorbeern gesehen: mir st, bald seh' ich auch seine Zypressen. Es kann nicht sein, daß ich dieser mädchenhaften Seele erliege. Das Glück trug ihn rasch und schwindelhoch empor. Plötzlich und schwindelhoch wird er auch fallen. Trägt es ihn noch über die Zinnen meines Roms? - Fliege nur, junger Ikarus, mühelos, im wärmsten Sonnenschein. Ich klimme, Schritt für Schritt, durch Blut und Kampf, empor im Schatten. - Aber hoch aufatmend werd' ich oben stehn, wann dir der verräterische Sonnenkuß des Glücks das Wachs in den kühnen Fittichen geschmolzen hat. Wie ein fallender Stern wirst du unter mir erlöschen.» Allein es hatte nicht das Ansehen, als ob dies schon bald geschehen solle. Sehnlich erwartete Cethegus das Eintreffen einer starken Flotte aus Ravenna, die ihm den Rest seiner Söldner und alles, was selbst von Legionären und von dem Heere des Demetrius entbehrlich war, mit reichen Mundvorräten zuführen sollte. Waren diese Verstärkungen eingetroffen, konnte er das murrende letzte Aufgebot der Römer von seinem unterträglichen Dienst entlassen. Seit Wochen hatte er die immer drohender verbitterten Einwohner auf diese Flotte vertröstet. Endlich war sie von Ostia her durch einen vorausgeschickten Schnellsegler angemeldet worden. Cethegus ließ die Nachricht von Herolden unter Tubaschall durch alle Straßen rufen, ließ verkünden: an den nächsten Iden des Oktober würden achttausend Bürger von den Wällen an ihren Herd entlassen: er ließ doppelte Weinrationen auf den Mauern verteilen. An den Iden des Oktober deckte dichter Nebel Ostia und das Meer. Am Tage nach den Iden flog ein kleines Segelboot von Ostia nach Portus, in den Hafen von Rom. Seine zitternde Bemannung, Legionäre aus Ravenna, klagten: König Totila habe mit der Flotte aus Neapolis die ravennatischen Trieren im Schutz dichten Nebels überfallen, von den achtzig Schiffen zwanzig verbrannt oder in den Grund gebohrt, sechzig aber mit allem Seevolk und Mundvorrat genommen. Cethegus wollte es nicht glauben. Er sprang an Bord seines eigenen Schnellruderes «Sagitta» und flog den Tiber hinab. Aber mit Not entkam er den Schiffen des Königs, die bereits den Hafen Portus sperrten und kleine Kreuzer tiberaufwärts schickten. In höchster Eile ließ nun der Präfekt einen doppelten Stromriegel, den ersten aus gekappten Masten, den zweiten aus Eisenketten, einen Pfeilschuß weiter oben, wieder quer über den Tiber werfen, wie ihn Belisar bei der ersten Belagerung hatte fertigen lassen. Den Raum zwischen dem unteren, dem Balken-, und dem oberen, dem Eisenriegel, füllte er mit einer großen Zahl kleiner Boote aus. Schwer empfand Cethegus die volle Wucht jenes Schlages. Nicht nur waren seine heiß ersehnten Verstärkungen in Feindeshand gefallen: nicht nur mußte er den ihn verfluchenden Römern, statt der versprochenen Erleichterung, noch schwerere Lasten auflegen - denn auch die Flußseite mußte nun gegen die unablässigen Durchbruchsversuche der gotischen Schiffe gedeckt werden - mit leisem Grauen sah Cethegus unaufhaltsam näher und näher dringen den furchtbaren Feind: - den Hunger. Die Wasserstraße, auf welcher er, wie früher Belisar, alle Vorräte reichlich zugeführt hatte, war gesperrt. Italien hatte keine dritte Flotte mehr. Die von Neapolis und die von Ravenna sperrte unter gotischen Wimpeln Rom von der See ab. Die letzten Reiter aber, die Marcus Licinius auf Kundschaft und Fouragierung die flaminische Straße hinauf geschickt, jagten erschrocken zurück und meldeten: ein starkes Gotenheer, geführt von dem fürchterlichen Teja, rückte im Eilmarsch heran. Seine Vorhut stehe schon in Reate. Tags darauf war Rom auch von der letzten, der Nordseite her, eingeschlossen und beschränkt auf seine eigenen Kräfte: seine Bürger. Diese aber waren schwach genug, so stark auch die Mauern des Präfekten und sein Mut. Noch durch Wochen, noch durch Monate hielt des Cethegus eiserner Zwang die Verzagenden gegen ihren Willen aufrecht. Aber schon erwartete man nicht durch Sturm, durch Hunger den baldigen Fall. Da trat ein allen unerwartetes Ereignis ein, das die Hoffnungen der Belagerten neu belebte und des jungen Königs Genius und Glück auf harte Probe stellte: auf dem Kriegsschauplatz erschien nochmal - Belisarius. Siebentes Kapitel Als in dem goldenen Palaste der Cäsaren zu Byzanz nacheinander die schlimmen Nachrichten eintrafen von den Niederlagen an der Padusbrücke und bei Mucella, von der neuen Belagerung Roms, von dem Verlust von Neapolis und des größten Teils von Italien - da wurde Kaiser Justinian, der das Abendland schon wieder mit dem Osten vereinigt gesehen, furchtbar aus seinen Träumen geweckt. Leicht war es damals den Freunden Belisars, den Beweis zu führen: die Abberufung dieses Helden sei der Grund aller Mißerfolge. Klar lag es vor Augen: solang Belisarius in Italien -Sieg auf Sieg, sowie er den Rücken wandte - Schlag auf Schlag des Unheils. Die byzantinischen Heerführer in Italien selbst erkannten nun offen an, daß sie Belisar zu ersetzen nicht vermochten. «Ich vermag nicht», schrieb Demetrius aus Ravenna, «vor Totila das offene Feld zu halten, kaum diese Festung der Sümpfe zu behaupten. Neapolis ist gefallen. Rom kann fallen jeden Tag. Sende uns wieder den löwenkühnen Mann, den wir in eitler Überhebung ersetzen zu können wähnten, der Vandalen und Goten Besieger.» Und Belisar, obzwar er sich hoch verschworen, nie wieder diesem Kaiser des Undanks zu dienen, hatte alle Unbill Augenb licks vergessen, als Justinianus ihn wieder lächelnd anblickte. Und als er ihn vollends - nach dem Fall von Neapolis - umarmte und «sein treues Schwert» nannte - nie hatte er in Wahrheit an seine Untreue geglaubt, nur seine königgleiche Stellung nicht dulden wollen - da war Belisarius von Antonina und Prokop nicht mehr zurückzuhalten. Da aber der Kaiser die Kosten einer zweiten Unternehmung gegen Italien scheute neben denen des Perserkrieges, den Narses glücklich, aber kostspielig, in Asien führte, so gerieten Geldgeiz und Ehrgeiz in seiner Brust in einen Widerstreit, der vielleicht länger gedauert hätte, als der Widerstand von Rom und von Ravenna, wenn ihm nicht Prinz Germanus und Belisar durch einen gemeinschaftlichen Vorschlag einen Ausweg gewiesen. Den edlen Prinzen trug die Sehnsucht, Ravenna und das Grab Mataswinthens zu besuchen und die Unvergessene an dem rohen Barbarenvolk zu rächen. Denn Cethegus hatte ihm als Erklärung des tragischen Ausgangs der Unvergleichlichen angegeben: die erzwungene Ehe mit Witichis habe ihren Geist zerrüttet. Belisar aber fand es unerträglich, durch Totilas Erfolge all seine eigenen Siege in Frage gestellt zu sehen. Denn, war ein Volk wirklich überwunden - so fragten seine Neider am Hofe -, das binnen eines Jahres sich so glänzend wieder erhoben hatte? Er hatte sein Wort gegeben, die Goten vernichten zu können: -das wollte er einlösen. So machten Germanus und Belisar dem Kaiser den Vorschlag, Italien auf ihre Kosten für ihn erobern zu wollen. Der Prinz bot sein ganzes Vermögen zur Ausrüstung einer Flotte, Belisar alle seine neu verstärkten Leibwächter und Lanzenträger. «Das ist ein Vorschlag nach dem Herzen Justinians!» rief Prokop, als Belisar ihm davon sprach. «Keinen Solidus aus seiner Tasche und vielleicht eine Provinz nebst Lorbeeren für die Erde und gottgefällige Ketzervertilgung für Theodora und den Himmel, ohne Auslagen! Sei gewiß: er nimmt es an und gibt euch seinen väterlichen Segen. Sonst aber nichts. Ich weiß es: du bist so wenig zu halten wie Balan, dein Schecke, wenn die Trompete bläst. Ich aber werde nicht zusehen, wie du kläglich erliegst.» «Erliegen? Weshalb, du Rabe des Unheils?» «Diesmal hast du die Goten und Italien gegen dich. Du hast jene aber nicht vernichtet, da du Italien für dich hattest.» Aber Belisar schalt seine Feigheit und ging alsbald mit Germanus in See. Der Kaiser gab ihnen wirklich nichts mit als seinen Segen und den großen Zeh des heiligen Mazaspes. - Hoch auf atmeten die Byzantiner in Italien bei der Nachricht, daß eine kaiserliche Flotte bei Salona in Dalmatien gelandet sei. Und selbst Cethegus, zu welchem Kundschafter die Botschaft getragen, seufzte: «Besser Belisar in Rom als Totila.» Auch der Gotenkönig war schwer besorgt. Er mußte vor allem die Stärke von Belisars Heer zu erkunden suchen, um danach seine Beschlüsse einzurichten, - etwa gar die Einschließung Roms aufzugeben, um dem mächtigen Entsatzheer entgegenzuziehen. Von Salona segelte Belisar nach Pola, wo er Schiffe und Mannschaft musterte. Dort kamen zu ihm zwei Männer, die sich als herulische Söldner zu erkennen gaben, also gotisch, aber auch sehr gut lateinisch sprachen, und erklärten: sie seien Boten von Bonus, dem einen Befehlshaber von Spoletium. Glücklich hätten sie sich durch die gotischen Linien geschlichen, und sie drängten den Feldherrn zu raschem Entsatz. Sie baten um genaue Auskunft über seine Stärke, die Zahl seiner Segel, Reiter und Fußtruppen, um durch genaue Nachrichten den sinkenden Mut der Belagerten zu heben. «Ja, meine Freunde», sprach Belisar, «ihr müßt schon einiges hinzufügen in eurem Bericht. Denn die Wahrheit ist, daß mich der Kaiser ganz auf eigene Kraft angewiesen hat.» Einen Tag lang zeigte Belisar den beiden Boten Flotte, Lager und Heer. In der Nacht darauf waren sie verschwunden. Es waren Thorismut und Aligern gewesen, die König Totila, der sie ausgesendet hatte, getreulich die gewünschte Auskunft hinterbrachten. Das war übel von Anfang an. Und auch der ganze Verlauf des Feldzuges entsprach nicht dem Ruhm des tapfern Feldherrn. Zwar gelang es, in die Hafenstadt von Ravenna einzulaufen und diese Stadt mit neuen Vorräten zu versehen. Aber noch am Tage der Ankunft brach, in einem Anfall seines alten Leidens, Prinz Germanus an dem Sarkophage Mataswinthens zusammen. In den Gruftgewölben des Palastes, neben ihres jugendlichen Bruders, neben König Athalarichs Leiche, hatte man sie beigesetzt. Germanus starb: und er ward nach seinem letzten Wunsche bestattet an der schönen, nie erreichten Geliebten Seite. Aber in einer kleinen unscheinbaren Nische der Gruft ruhte noch ein Herz, das treu für die Königin Schönhaar geschlagen. Aspa, die Numiderin, hatte die geliebte Herrin nicht überlebt. «In meiner Heimat», hatte sie gesagt, «springen die Dienerinnen der Sonnengöttin oft freiwillig in den Scheiterhaufen, drin die Gottheit versinkt. Auch Aspas Sonnengöttin, die schöne, schimmernde, gütevolle ist versunken. Aspa lebt nicht verlassen und in kaltem Dunkel fort. Aspa folgt ihrer Sonne nach.» Hügelhoch hatte sie stark duftende Blumen in der Gebieterin Totengemach - höher noch, als da derselbe kleine Raum zu ihrem Brautgemach gedient hatte - gehäuft und unbekannten Räucherstoff aus afrikanischem Harz entzündet, dessen betäubender Geruch die andern Sklavinnen verscheuchte. Sie aber blieb die Nacht über in dem engen Totengemach. Am andern Morgen stahl sich Syphax, gelockt durch den alt vertrauten, aber gefährlichen Duft, in Erinnerung heimischer Opferbräuche, leis heran. Er drang endlich in das wie ein Grab schweigende Gemach. - Zu den Füßen Mataswinthens, das Haupt unter Blumen vergraben, fand er ihre Antilope tot. «Sie starb», sprach er zu Cethegus, «ihrer Göttin nach. Nun hab' ich nur noch dich auf Erden.» Nach der Bestattung des Germanus brach Belisar mit der ganzen Flotte von Ravenna auf. Aber gleich das nächste Unternehmen, ein Versuch, Pisaurum zu überfallen, scheiterte mit blutigen Verlusten. Vielmehr ließ König Totila, nun über die geringe Truppenzahl Belisars unterrichtet, fast unter dessen Augen, durch kühne entsendete Streifscharen unter Wisand zu Lande, die einige Segel unterstützten, an eben jenem Küstenstrich Firmum wegnehmen. Die Byzantiner Herodian und Bonus übergaben an Graf Grippa das wichtige Spoletium, nach Ablauf der Frist von dreißig Tagen, binnen welcher sie noch Entsatz von Belisar gehofft. In Assisium befehligte Sisifried, ein gotischer Überläufer, der in den Tagen von Witichis' Unstern sich Belisar angeschlossen hatte. Der Mann wußte, was ihm bevorstand, wenn er in Hildebrands Hände fiel, der ihn im Person belagerte: - der grimme Haß hatte den Alten von der Einschließung Ravennas zu dieser Aufgabe herangelockt. Der Gote verteidigte die Stadt hartnäckig. Aber als ihm bei einem Ausfall die Steinaxt des alten Waffenmeisters das Haupt zerschmettert hatte, zwangen die Bürger der Stadt die thrakische Besatzung zur Ergebung. Viele vornehme Italier, Glieder des alten Katakombenbundes, dreihundert illyrische Reiter und erlesene Leibwächter Belisars hatten die Besatzung gebildet. Grippa führte sie gefangen dem König zu. Gleich darauf fiel Placentia, die letzte Stadt der Ämilia, die noch die sarazenische Besatzung für den Kaiser gehalten hatte: sie ergab sich dem Grafen Markja, der das kleine Belagerungsheer befehligte. In Bruttien aber ergab sich das feste Ruscia, der wichtige Hafenort für Thurii, dem kühnen Aligern. Belisar verzweifelte nun daran, auf dem Landweg gegen Rom vorzudringen. Er versuchte jetzt, von der steigenden Not der Stadt vernehmend, ohne weiteren Verzug, Rom von der Seeseite her Entsatz zu bringen und die Einschließung durch die Gotenschiffe zu sprengen. Aber auf der Höhe von Hydrunt, bei Umseglung der Südspitze Calabriens, zerstreute ein furchtbarer Sturm seine Schiffe: er selbst wurde mit einigen Trieren tief südlich, bis nach Sizilien, verschlagen. Und der größte Teil seiner Segel, der in der Bucht bei Croton Zuflucht gesucht, wurde hier von einem gotischen Geschwader, das der König von Rom entgegengeschickt und bei Squillacium in Hinterhalt gelegt hatte, überfallen und genommen - eine sehr bedeutende Verstärkung der gotischen Seemacht, die, wie wir sehen werden, dadurch in den Stand gesetzt wurde, bald die Byzantiner in ihren Inseln und Küstenstädten angreifend aufzusuchen. Seit diesem Schlag war die von Anfang zu geringe Streitkraft Belisars völlig ohnmächtig. Alle Feldherrnkunst und Kühnheit vermochte nicht, die fehlenden Schiffe, Krieger, Rosse zu ersetzen. Die Hoffnung, daß sich Italien, wie bei dem ersten Feldzug, dem Feldherrn des Kaisers zuwenden werde, schlug völlig fehl. So mißlang das Unternehmen vollständig, wie uns Prokop in schonungslosen Worten überliefert hat. Auf die Bitten um Verstärkung antwortete der Kaiser gar nicht. Auf die dann dringend wiederholte Bitte Antoninens um Erlaubnis zur Rückkehr erwiderte die Kaiserin nur mit dem höhnischen Bescheid: man wage nicht, zum zweitenmal durch Abberufung den Helden in dem Laufe seiner Siege zu unterbrechen. So verbrachte Belisar bei Sizilien eine qualvolle Zeit der Tat- und Ratlosigkeit. Achtes Kapitel Inzwischen aber stieg in dem belagerten Rom die Not und die Erschöpfung der Bürger auf den höchsten Grad. Der Hunger lichtete die ohnehin so dünne Besatzung der weiten Wälle. Umsonst tat der Präfekt sein Äußerstes. Umsonst griff er zu allen Mitteln, bald der Überredung, bald der Gewalt. Umsonst verschwendete er sein Gold, neue Lebensmittel in die Stadt zu schaffen. Denn bis auf die letzten Körner fast waren die Getreidevorräte aufgezehrt, die er aus Sizilien hatte kommen und auf dem Kapitole bergen lassen. Unerhörte Belohnungen verhieß er jedem Schiff, dem es gelänge, sich mit Vorräten durch die Flotte des Königs zu stehlen, jedem Söldner, der es wagte, sich durch die Tore und die Zelte der Belagerer hinaus- und mit Mundvorrat zurückzuschleichen. Die Wachsamkeit Totilas war nicht zu täuschen. Anfangs hatten einzelne geldgierige Waghälse des Präfekten Lohn zur Nacht hinausgelockt. Als aber Graf Teja jeden Morgen darauf über die Wälle beim flaminischen Tor ihre Köpfe schleudern ließ, verging auch den Begehrlichsten die Lust. Teuer wurde das Aas der gefallenen Maultiere verkauft. Um das Unkraut und die Brennesseln, die sie gierig aus den Schutthaufen rupften, schlugen sich die hungernden Weiber. Der Hunger hatte längst gelehrt, das Uneßbare gierig zu verschlingen. Und nicht mehr zu zählen waren die Überläufer, die aus den Häusern, von den Mauern zu den Goten eilten. Teja zwar wollte diese mit Speerrechen zurückgetrieben wissen in die Stadt, sie desto früher zum Fall zu bringen. Totila aber befahl, sie alle aufzunehmen, zu speisen und nur darüber fürsorglich zu wachen, daß sie nicht durch plötzliche, maßlose Befriedigung des maßlosen Heißhungers, wie anfangs oft geschehen war, dem Tode verfielen. Cethegus verbrachte nun jede Nacht auf den Wällen. In wechselnden Stunden beging er selbst, mit Speer und Schild, musternd die Wachen, auch wohl eine Schildwache ablösend, der Schlaf und Hunger den Lanzenschaft aus der Hand zu lösen drohten. Solch Beispiel wirkte dann freilich wieder eine Weile ermannend auf die Tüchtigen: begeistert standen auch jetzt die Licinier, Piso und Salvius Julianus zu dem Präfekten und die blind ergebenen Isaurier. Nicht aber alle Römer: so nicht Balbus, der Schlemmer. «Nein, Piso», sagte dieser einst, «ich halte es nicht länger mehr aus. Es ist nicht in Menschenart. Wenigstens nicht in meiner. Heiliger Lucullus! Wer hätte das je von mir geglaubt! Ich gab neulich meinen allerletzten, größten Diamanten für einen halben Steinmarder hin» «Ich weiß die Zeit», lächelte Piso, «da du den Koch in Eisen schmieden ließest, hatte er den Meerkrebs eine Minute zu lang sieden lassen.» «O Meerkrebs! Bei der Barmherzigkeit des blassen Heilands! Wie kannst du dies Wort, dies Bild heraufbeschwören! Meine ganze unsterbliche Seele geb' ich für eine Schere, ja für den Schweif. Und niemals ausschlafen! Weckt nicht der Hunger, weckt das Wächterhorn.» «Sieh den Präfekten an! Seit vierzehn Tagen hat er nicht vierzehn Stunden geschlafen. Er liegt auf dem harten Schild und trinkt Regenwasser aus dem Helm.» «Der Präfekt! Der braucht nicht zu essen. Er zehrt von seinem Stolz, wie der Bär von seinem Fett, und saugt an seiner Galle. Ist ja nichts an ihm als Sehnen und Muskeln, Stolz und Haß! Ich aber, ach, ich hatte so lieblich weißes Fett angehäuft, daß mich im Schlaf die Mäuschen anbissen: sie hielten mich für einen spanischen Mastschinken. Weißt du das Neueste? Im Gotenlager ist heute eine ganze Herde feister Rinder eingetrieben worden -lauter apulische: Lieblinge der Götter und Menschen!» Am andern Morgen früh kam Piso mit Salvius Julianus, den Präfekten zu wecken, der auf dem Wall an der Porta portuensis lag, nahe dem gefährdetsten Punkt, dem Stromriegel. «Vergib, ich störe dich im seltnen Schlaf...» «Ich schlief nicht. Ich wachte. Melde, Tribun.» «Balbus ist mit zwanzig Bürgern heute nacht von seinem Posten entflohen. An Seilen haben sie sich herabgelassen an der Porta latina. Dort brüllten die ganze Nacht die apulischen Rinder. Ihr Ruf war, scheint's, unwiderstehlich.» Aber das Lächeln verging dem Satirenschreiber, als ihn der Blick des Cethegus traf. «Ein Kreuz, dreißig Fuß hoch, wird errichtet vor dem Hause des Balbus an der Via sacra. Jeder Überläufer, der wieder in unsre Hand fällt, wird darangeschlagen.» «Feldherr - Kaiser Constantinus hat die Kreuzigungsstrafe abgeschafft, zu Ehren des Heilands», warnte Salvius Julianus. «So führ' ich sie wieder ein, zu Ehren Roms. Jener Kaiser hielt wohl nicht für möglich, daß ein römischer Ritter und Tribun die Stadt Rom um einen Braten verraten werde.» «Aber noch mehr! Ich kann die Turmwache nicht mehr bestellen an der Porta pinciana. Von den sechzehn Legionären sind neun hungertot oder hungerkrank.» «Das gleiche fast meldet Marcus Licinius von der Porta tiburtina», fügte Julianus bei. «Wer soll wehren der überallher drohenden Gefahr?» «Ich! Und der Mut der Römer. Geh! Laß durch Herolde alle Bürger und alles, was noch in den Häusern ist, berufen an das Forum romanum.» «Herr, es sind nur noch Weiber, Kinder und Kranke...» «Gehorche, Tribun!» Und finstern Blickes stieg der Präfekt vom Wall, schwang sich auf Pluto, sein edles, schwarzes, spanisches Roß, und zog langsam, von einer Schar berittener Isaurier gefolgt, überall die Wachsamkeit der Posten, die Zahl der Truppen prüfend, auf den weitesten Wegen durch einen großen Teil der Stadt: zugleich dadurch den Herolden und den Bürgern Zeit verstattend, zu rufen und zu folgen. So ritt er auf langem Wege das rechte Tiberufer aufwärts. Aus den Häusern schlich nur spärlich zerlumptes Volk, die Reiter anstarrend in dumpfer Verzweiflung. An der Brücke des Cestius erst wurden die Haufen dichter. Cethegus hielt sein Pferd an, die dort ausgestellten Wachen zu mustern. Da eilte plötzlich aus der Tür eines niedrigen Hauses ein Weib, mit fliegenden Haaren, ein Kind auf dem Arm. Ein älteres zerrte an den Lumpen ihres Gewandes. «Brot! Brot!» schrie sie. «Ja, werden Steine zu Brot durch Tränen? O nein! Sie bleiben hart! Hart wie - ha, hart wie jener da! Seht, Kinder: das ist der Präfekt von Rom. Der dort, auf dem schwarzen, Roß, mit dem purpurnen Helmbusch, mit dem furchtbaren Blick! Aber ich fürchte ihn nicht mehr. Seht, Kinder: der hat euren Vater auf die Wälle gezwungen, Tag und Nacht, bis er umfiel, tot. Fluch dir, Präfekt von Rom!» Und sie ballte die Fäuste gegen den unbeweglich haltenden Reiter. «Brot, Mutter! Gib uns zu essen!» heulten die beiden Kinder. «Zu essen hab' ich nicht für euch, aber zu trinken vollauf! Hier!» schrie das Weib, umklammerte das ältere Kind mit der Rechten, drückte das kleinere mit der Linken fester an die Brust und schwang sich mit beiden Kindern über das Geländer in die Flut. Ein Schrei des Entsetzens, gefolgt von Flüchen, lief durch die Menge. «Sie war wahnsinnig!» sprach der Präfekt mit lauter Stimme und ritt weiter. «Nein, sie war die klügste von uns allen!» antwortete eine Stimme aus der Menge. «Schweigt! Ihr Legionäre, laßt die Tuba schmettern! Vorwärts! Auf das Forum!» befahl Cethegus, und sausend sprengte die Reiterschar davon. Und über die fabricische Brücke, durch das carmentalische Tor gelangte der Präfekt an den Fuß des kapitolinischen Hügels auf das Forum romanum. Leer sah der weite Raum aus: nicht gefüllt durch die paar tausend Menschen, die in elenden Kleidern auf den Stufen der Tempel und Hallen kauerten oder sich mühsam an Speeren und Stäben aufrecht hielten. «Was will der Präfekt?» - «Was kann er noch wollen?»- «Wir haben nichts mehr als unser Leben.» - «Gerade das will er -» -«Wißt ihr schon? Vorgestern hat sich auch Centumcellä an der Küste den Goten ergeben.» - «Ja, die Bürger haben die Isaurier des Präfekten überwältigt und die Tore geöffnet.» - «Oh, könnten wir's nachtun.» - «Bald müssen wir's tun, sonst ist es zu spät.» «Mein Bruder fiel gestern tot um, die gekochten Brennesseln noch im Munde: er konnte sie nicht mehr verschlingen.» - «Auf dem Forum Boarium ward gestern eine Maus in Gold aufgewogen. » «Ich bezog heimlich eine Woche gebratenes Fleisch von einem Metzger - roh wollte er's nicht liefern... -» - «Sei froh! Sie stürmen ja das Haus, wo sie Bratendunst riechen -» - «Aber vorgestern ward er zerrissen vom Volk auf der Straße. Er hatte bettelnde Kinder in sein Haus gelockt - ihr Fleisch hatte er uns verkauft.» - «Der Gotenkönig aber, wißt ihr, wie der mit seinen Kriegsgefangenen umgeht?» - «Wie ein Vater mit seinen hilflosen Kindern.» - «Die meisten treten sofort in seine Dienste.» - «Ja, aber die, welche es nicht wollen, versieht er mit Reisegeld -» - «Ja, und mit Kleidern und Schuhen und Lebensmitteln.» - «Die Wunden und Kranken werden gepflegt.» - «Und er läßt sie durch Wegkundige bis an die Küstenstädte geleiten.» - «Auch die Überfahrt ins Ostreich auf Kauffahrerschiffen hat er ihnen schon bezahlt.» «Seht, da steigt der Präfekt von dem schwarzen Roß.» - «Wie Pluto sieht er aus.» - «Nicht Princeps senatus mehr, Princeps inferorum.» «Seht - seinen Blick!» - «Kalt: und doch wie Flammenpfeile.» - «Ja, meine Muhme hat recht. So kann nur blicken, wer kein Herz mehr hat.» - «Das ist was Altes. Strigen und Lamien haben ihm nachts das Herz ausgefressen.» - «Was nicht gar! Es gibt gar keine Lamien. Aber den Teufel gibt es: denn der steht in der Bibel. Und er hat ein Bündnis mit ihm geschlossen. Der Numider, der dort sein schwarzes Roß am Zügel hält, ist der Bote der Hölle, der ihn überall begleitet. Keine Waffe kann dem Präfekten die Haut ritzen. Nicht Nachtwachen noch Hunger verspürt er. Aber er kann auch nie mehr lächeln. Denn er hat seine Seele der Hölle verpfändet.» - «Woher weißt du's?» «Der Diakon von Sankt Paul hat's uns neulich alles gedeutet. Und Sünde ist es, einem solchen länger zu dienen. Hat er doch auch unsern Bischof Silverius dem Kaiser verraten und in Ketten übers Meer geschickt.» «Und hat er doch neulich sechzig Priester, rechtgläubige und arianische, als des Verrats verdächtig aus der Stadt gewiesen.» -«Das ist wahr.» - «Er muß aber auch dem Teufel gelobt haben, alle Qualen über Rom und die Römer zu bringen.» - «Aber wir wollen's nicht mehr dulden.» - «Wir sind frei, er hat's uns oft gesagt. Ich will ihn fragen, mit welchem Recht...» Aber mitten im Wort verstummte der tapfere Redner: - ein Blick des Präfekten hatte ihn getroffen, der im Emporsteigen zur Rednerbühne die kleine murrende Gruppe streifte. «Quinten», hob er an, «ich rufe euch alle auf, Legionäre zu werden. Hunger und - schmählich zu sagen von römischen Männern! - Verrat lichten die Reihen unsrer Wachen. - Hört ihr die Hammerschläge? Ein Kreuz wird gezimmert für die Überläufer. - Noch größere Opfer fordert Rom von den Römern. Denn ihr habt keine Wahl. Bürger anderer Städte mochten schwanken zwischen Übergabe und Untergang. Wir, erwachsen im Schatten des Kapitols, haben diese Wahl nicht. Hier gehn die Schauer von mehr als tausendjährigem Heldentum. Hier kann kein feiger Gedanke laut werden. Ihr könnt nicht wieder die Barbaren ihre Rosse binden sehen an die Säulen des Trajan. Eine letzte Anstrengung gilt es. Früh reift das Heldenmark in den Knaben des Romulus und Cäsar; spät weicht die Kraft aus den tibertrinkenden Männern. Ich rufe die Knaben vom zwölften, die Männer bis zum achtzigsten Jahre auf die Wälle. Still! Murrt nicht! Ich werde meine Tribunen mit den Lanzenträgern von Haus zu Haus gehen lassen: nur um zu hindern, daß nicht allzu zarte Knaben, allzu müde Greise zu den Waffen greifen. Was murrt ihr da drüben? Weiß jemand bessern Rat der Verteidigung? Er gebe ihn: laut, von diesem Platz herab, den ich ihm dann räumen werde.» Da ward es still an der Stelle, wohin der Blick des Präfekten geblitzt. Aber hinter ihm erhob sich, bei denen, die sein Auge nicht bändigen konnte, grollendes Gemurmel. «Brot!» - «Übergabe!» - «Friede!» - «Brot!» Cethegus wandte sich. «Schämt ihr euch nicht? So viel habt ihr ertragen, eures Namens würdig. Und nun, da es noch kurze Zeit gilt, auszuharren, wollt ihr erlahmen? In wenigen Tagen bringt Belisar Entsatz.» «Das hast du uns schon siebenmal gesagt.» - «Und nach dem siebenten Male verlor Belisar fast alle Schiffe.» - «Die helfen jetzt mit, unsern Hafen sperren.» - «Du sollst uns eine Frist, ein Ende setzen dieses Elends. Denn mich erbarmt es dieses Volks.» «Wer bist du?» fragte Cethegus den unsichtbaren Redner. «Du kannst kein Römer sein.» «Ich bin Pelagius der Diakon, ein Christ und ein Priester des Herrn. Und ich fürchte nicht die Menschen, sondern Gott. Der König der Goten, obwohl ein Ketzer, soll versprochen haben, in allen Städten, die sich unterwerfen, die Kirchen, die seine Mitketzer, die Arianer, den Rechtgläubigen entrissen, zurückzugeben. Schon dreimal soll er Herolde an die Bürger Roms gesendet haben mit gütigsten Bedingungen - man hat sie nie zu uns sprechen lassen.» «Schweig, Priester. Du hast kein Vaterland als den Himmel, keinen Staat als das Reich Gottes, kein Volk als die Gemeinde der Heiligen, kein Heer als die Engel. Bestelle du dein himmlisch Reich. Männern überlaß das Reich der Römer.» «Aber der Mann Gottes hat recht.» - «Eine Frist!» - «Einen nahen Termin!» - «Bis dahin wollen wir noch ausharren.» -«Doch verläuft er ohne Entsatz -» - «Dann Übergabe!» - «Dann öffnen wir die Tore.» Aber diesen Gedanken scheute Cethegus. Wußte er doch, seit langen Wochen ohne alle Kunde von der Außenwelt, durchaus nicht, wann etwa Belisar vor der Tibermündung erscheinen konnte. «Wie?» rief er. «Soll ich euch eine Frist setzen, wie lang ihr noch Römer sein wollt und von wann ab Memmen und Sklaven? Die Ehre kennt keine Termine.» «So sprichst du, weil du selbst nicht mehr an Entsatz glaubst.» «So spreche ich, weil ich an Euch glaube.» «Aber wir wollen es so. Wir alle. Hörst du? Du sprachst ja immer von der römischen Freiheit. Wohlan, sind wir frei oder dir verfallen, wie deine Söldner? Hörst du? Wir fordern einen Termin. Wir wollen es!» - «Wir wollen es!» wiederholte der Chor. Da schollen, ehe Cethegus erwidern konnte, Tubarufe von der Südostecke des Forums her: von der sacra Via strömten Volk und Bewaffnete gemischt heran, in ihrer Mitte zwei Reiter in fremden Waffen. Neuntes Kapitel Lucius Licinius sprengte ihnen allen voraus, sprang ab und flog die Rednerbühne hinan. «Ein Herold der Goten! Ich kam zu spät, ihn wieder, wie sonst, abzuweisen. Die verhungernden Legionäre am tiburtinischen Tor ließen ihn herein.» «Nieder mit ihm! Er darf nicht reden», sprach Cethegus, sprang die Tribüne herab und zog das Schwert. Aber die Menge erriet ihn. Jubelnd, schützend umdrängte sie den Herold. «Friede! Heil! Brot!» - «Friede! Hört den Herold!» «Nein, hört ihn nicht», donnerte Cethegus. «Wer ist Präfekt von Rom? Wer verteidigt diese Stadt? Ich: Cornelius Cethegus Caesarius. Und ich sage: hört ihn nicht.» Und mit dem Schwert warf er sich vorwärts. Aber dicht, wie ein Bienenschwarm, geballt, hemmten Weiber und Greise seinen Weg, während die Bewaffneten den Herold schützend umwogten. «Sprich, Bote, was bringst du?» forschten sie. «Frieden und Erlösung», rief Thorismut und schwenkte seinen weißen Stab. «Totila, der Italier und der Goten König, entbietet euch Huld und Gruß und fordert freies Geleit, euch Wichtiges zu künden und den Frieden.» «Heil ihm!» - «Hört ihn!» - «Er soll kommen!» Cethegus war eilig zu Pferd gestiegen und ließ seine Tubabläser die Schlachtfanfare schmettern. Da wurde es still auf dem Forum. «Höre, Herold: ich, der Befehlshaber dieser Stadt, verweigere das Geleit. Jeden Goten, der die Stadt betritt, werd' ich als Feind behandeln.» Aber da erscholl tausendstimmiges Geschrei der Wut. Ein Bürger erklomm die Rednertribüne. «Cornelius Cethegus, bist du unser Tyrann oder unser Beamter? Wir sind frei. Und oft hast du's gerühmt: das Höchste ist in Rom des römischen Volkes Majestät. Wohlan, das römische Volk befiehlt, den König zu hören. Befiehlst du das nicht, Volk von Rom?» - «Wir wollen es!» - «Es ist Gesetz», brüllten die Quinten. «Hast du's vernommen? Willst du dem Volk von Rom gehorchen oder trotzen?» Cethegus stieß das Schwert in die Scheide. Thorismut sprengte davon, seinen König zu holen. Der Präfekt winkte die jungen Tribunen an sich heran. «Lucius Licinius», befahl er, «aufs Kapitol. Salvius Julianus, du deckst den untern, den Balkenstromriegel. Quintus Piso, du deckst den oberen, den Kettenriegel. Marcus Licinius, du hältst die Schanze, die den Aufgang vom Forum zum kapitolinischen Hügel und mein Haus beschützt. Der Rest der Söldner schart sich dicht hinter mir.» «Was willst du, Feldherr?» fragte Lucius Licinius, ehe er davoneilte. «Die Barbaren überfallen und verderben.» Es waren etwa noch fünfzig Reiter und hundert Lanzenträger, die nach Entsendung der Tribunen hinter dem Präfekten hielten. Nach kurzer banger Spannung schmetterte das gotische Heerhorn die heilige Straße herauf. Und von dorther bogen auf das Forum ein Thorismut und sechs Hornbläser, Wisand, der Bandalarius, mit der blauen Königsfahne der Goten, der König zwischen Herzog Guntharis und Graf Teja und noch etwa zehn Heerführer und Reiter, fast alle ohne Waffen: nur Teja zeigte deutlich das breite, gefürchtete Beil. Als eben der Zug sich aus dem Lager der Goten in Bewegung gesetzt hatte, durchs metronische Tor in die Stadt zu reiten, fühlte sich Herzog Guntharis am Mantel gefaßt: er sah neben seinem Pferd einen Knaben oder Jüngling mit kurzkrausem, goldbraunem Haar und blauen Augen und einen Hirtenstock in der Hand. «Bist du der König? Nein, du bist es nicht. Und jener dort? Das ist der tapfere Teja, der schwarze Graf, wie ihn die Lieder nennen.» «Was willst du, Bursche, von dem König?» «Ich will für ihn fechten unter seinen Heerleuten.» «Du bist noch zu jung und zart. Geh und komm nach zwei Sommern wieder: und hüte derweilen die Ziegen.» «Ich bin noch jung: aber nicht mehr schwach. Und Ziegen hab' ich mir genug gehütet. Ha, ich seh's: das ist der König.» Und er trat vor Totila, neigte sich zierlich und sprach: «Mit Gunst, Herr König.» Und er langte nach des Pferdes Zügel, es zu führen: als müßte das alles so sein. Und der König sah mit Wohlgefallen auf ihn herab und lächelte ihm zu. Und der Knabe führte sein Pferd am Zaum. Guntharis aber sprach vor sich hin: «Dieses Knaben Antlitz habe ich schon gesehen. Nein, er gleicht ihm nur, -: doch solche Ähnlichkeit sah ich noch nie: und wie adelig des jungen Hirten Haltung! » «Heil König Totila! Frieden und Heil», jauchzte dem Gotenkönig das Volk entgegen. Der junge Zügelführer aber sah empor in des Königs schimmervolles Antlitz und sang leise, doch mit silbertöniger Stimme, zu ihm hinauf: «Zittre und zage, Zäher Cethegus: Nicht taugt dir die Tücke! Es trümmert den Trotz dir Teja, der Tapfere: Und taghell empor taucht, Wie Maiglanz und Morgen Aus Nacht und aus Nebel, Der leuchtende Liebling Des Himmelsherrn: Der schimmernd schöne, Der kühne König. Ihm öffnen sich alle Die Türme, die Tore, Die Hallen und Herzen: Ihm weicht, überwunden, Wut, Winter und Weh.» Auf den Wink von des Königs Hand trat Stille ein. Aber diesen erwarteten Augenblick nutzte Cethegus. Er trieb seinen Rappen vorwärts in die Volksmenge und rief: «Was willst du, Gote, in dieser meiner Stadt?» Nach einem lodernden Blick wandte sich Totila von ihm ab: «Mit ihm red' ich nur mehr mit dem Schwert, dem sechsfachen Lügner, dem Mörder! Zu dir sprech' ich, unseliges, betörtes Volk von Rom. Der Schmerz um euch zerreißt mein Herz. Ich kam, euer Elend zu enden. Ohne Waffen bin ich gekommen. Denn besser als Schwert und Schild schützt mich des Römervolkes Ehre.» Er hielt inne. Cethegus unterbrach ihn nicht mehr. «Quiriten, wohl habt ihr selbst erkannt: längst konnt' ich mit meinen Tausenden euere Mauern stürmen. Denn ihr habt nur noch Steine, keine Männer mehr darauf. Aber fiel Rom durch Sturm, ging Rom in Flammen auf. Und ich gesteh's: lieber will ich niemals Rom betreten als Rom zerstören. Ich will euch nicht vorhalten, wie ihr Theoderichs und der Goten Güte vergolten. Habt ihr die Tage vergessen, da ihr dankbar Münzen schlugt mit der Umschrift: ? Wahrlich, ihr seid genug gestraft. Schwerer gestraft durch Hunger und Pest und Byzanz und jenen Dämon, als euch jemals unsere strengste Strafe getroffen hätte. Mehr als achttausend Männer von euch, Weiber und Kinder ungezählt, sind erlegen. Eure verödeten Häuser stürzen ein. Gierig rafft ihr das Gras, das in euren Tempeln wächst. Hohläugig schleicht durch eure Gassen die Verzweiflung. Menschenfleisch, der eignen Kinder Fleisch, haben hungernde Mütter, römische Mütter verspeist. Und bis heute konnte man euren Widerstand beklagen, aber bewundern. Von heut' ab ist es Wahnsinn. Eure letzte Hoffnung war Belisar. Wohlan: Belisar ist heimgefahren von Sizilien nach Byzanz. Er gibt euch auf.» Cethegus ließ die Trompeten schmettern, das Geheul des Volkes zu übertönen. Lang vergeblich. Endlich drangen die ehernen Tubastimmen durch. Als es stiller ward, rief der Präfekt: «Gelogen! Glaubt nicht so plumper Lüge!» «Haben euch je die Goten, hab' ich euch belogen, ihr Römer? Aber nur euren eignen Augen und Ohren sollt ihr glauben. Vorwärts mit dir, Mann, nun sprich. Kennt ihr ihn?» Ein Byzantiner, in reicher Rüstung, ward von den gotischen Reitern vorgeführt. «Kanon!» - «Belisars Nauarch!» - «Wir kennen ihn!» rief die Menge. Cethegus aber erbleichte. «Ihr Männer von Rom», sprach der Byzantiner, «Belisar, der Magister Militum, hat mich an König Totila geschickt. Heute traf ich ein. Belisar mußte von Sizilien nach Byzanz zurück. Er hat scheidend Rom und Italien der bekannten Güte König Totilas empfohlen. Das mein Auftrag an ihn und an euch.» «Wohlan», fiel Cethegus dröhnend ein, «und ist es so: dann ist der Tag gekommen, zu zeigen, ob ihr Römer seid oder Bastarde. Hört es und wißt es wohl! Cethegus, der Präfekt, ergibt sich und sein Rom nie, niemals den Barbaren. Oh, gedenkt der Zeiten nur noch einmal, da ich euch alles war. Da ihr meinen Namen neben Christus, von den Heiligen genannt. Wer hat euch jahrelang Arbeit, Brot und - was mehr ist - Waffen gegeben? Wer hat euch geschirmt - Belisar oder Cethegus? - als dieser Barbaren fünfzehn Myriaden vor euren Wällen lagen? Wer hat Rom mit seinem Herzblut gerettet vor König Witichis? Wohlan, zum letztenmal ruf ich euch zum Kampf. Hört mich, ihr Enkel des Camillus. Wie er die Gallier, die schon die Stadt gewonnen, vom Kapitol herab hinweggefegt, mit der Kraft des römischen Schwertes, so will ich diese Goten hinwegfegen. Schart euch um mich! Zum Ausfall! Und erprobt, was Römerkraft vermag, wenn sie Cethegus führt und die Verzweiflung. Wählt!» «Ja, wählt!» rief Totila, sich hoch erhebend in den Bügeln. «Wählt zwischen sicherem Untergang und sicherer Freiheit. Folgt ihr noch einmal diesem Wahnwitzigen, kann ich euch nicht mehr schützen. Hört hier Graf Teja von Tarent zu meiner Rechten, ihr kennt ihn, denk' ich. Ich kann euch nicht länger schützen.» «Nein», rief Teja, das mächtige Schlachtbeil erhebend, «dann keine allzu gnädige Gnade mehr, beim Gott des Hasses. Verwerft ihr diese allerletzte Gunst: kein Leben wird verschont in diesen Mauern. Ich hab's geschworen und Tausende mit mir!» «Ich biete euch volles Vergessen eurer Schuld und will euch ein milder König sein. Fragt in Neapolis, ob ich's verstehe. Wählt zwischen mir und dem Präfekten.» «Heil König Totila! Zum Tode den Präfekten!» scholl es einstimmig in der Runde. Und, wie auf ein gegebenes Zeichen, warfen sich die Weiber und Kinder, mit erhobenen Händen, wie anbetend, auf die Knie vor dem König, während alle die Tausende von Bewaffneten drohend, fluchend ihre Speere und Schwerter wider den Präfekten erhoben und mancher Wurfspieß gegen ihn flog: es waren die Waffen, die er ihnen selbst geschenkt. «Hunde sind es! Nicht Römer!» So sprach Cethegus im tiefsten Zornesdrang und riß sein Roß herum. «Aufs Kapitol!» Und in gewaltigem Satz, hochausgreifend, sprang sein edler Rappe über die Reihe der knienden, kreischenden Frauen hinweg, durch den Hagel von Geschossen, die ihm jetzt die Römer nachschleuderten, die wenigen Beherzten niedertretend, die mit Lanzen ihm den Weg verrennen wollten. Bald war sein roter Helmbusch verschwunden. Sausend folgten ihm seine Reiter. Die Lanzenträger wichen langsam, in guter Ordnung, manchmal wendend und die Speere fällend. So erreichten sie die hohe Schanze, die, besetzt von Marcus Licinius, den Aufgang auf das Kapitol und den Weg zu des Präfekten Hause sperrte. - «Was zunächst? Sollen wir folgen?» fragten die Römer den König. «Nein! Halt! Alle Tore reißt auf. Wagen mit Brot und Fleisch und Wein stehen bereit in unsern Lagern. Diese fahrt in alle Regionen der Stadt. Speiset und tränket drei Tage lang das Volk von Rom. Meine Goten überwachen euch und verhüten das Unmaß.» «Und der Präfekt?» fragte Herzog Guntharis. «Cethegus Cäsarius, der Ex-Präfekt von Rom, wird dem Gott der Rache nicht entgehn!» rief Totila sich wendend. «Und nicht mir!» rief der Hirtenknabe. «Und nicht mir!» sprach Teja, und sprengte davon. Zehntes Kapitel Die meisten Regionen von Rom waren durch die Entscheidung auf dem Forum romanum in die Hand der Goten gefallen. Was Cethegus noch besetzt hielt, war nur der Stadtteil auf dem rechten Tiberufer vom Grabmal Hadrians im Norden bis zur Porta portuensis im Süden, bei welcher über den Fluß der Riegel von Masten und dahinter der zweite von straffgespannten Ketten gezogen war. Auf dem linken Tiberufer hatte der Präfekt nur noch den kleinen, aber beherrschenden Abschnitt westlich vom Forum romanum inne, dessen Mittelpunkt das Kapitol bildete: abgegrenzt durch Mauern und hohe Schanzen, die sich von dem Tiberufer an den Fluß des kapitolinischen Hügels und um diesen östlich her bis an das Forum Trajans im Norden erstreckten, während sie im Rücken, im Westen des Kapitols, zwischen dem Circus flaminus und dem Theater des Marcellus, jenen preisgebend, dieses noch einschließend, bis an die fabricische Brücke und die Tiberinsel reichten. Der Rest des Tages verging den befreiten Römern in der Stadt mit jubelnden Festen bei Schmaus und Gelag. Auf den Hauptplätzen der ihm geöffneten Regionen ließ der König die achtzig vierspännigen Wagen voller Vorräte auffahren. Und um sie her lagerte sich auf den Steinen und rasch gezimmerten Bänken das hungernde Volk, Gott, den Heiligen und dem «besten König» dankend. Der Präfekt hatte sofort die Tore, die von jenem gotisch gewordenen Teil der Stadt durch die Mauern- und Schanzenreihen in sein Rom führten, zumal die Zugänge vom Forum romanum zum Kapitol, dann die porta flumentana, carmentalis und ratumena, sorgfältig verrammeln lassen und die geringe, ihm verbliebene Mannschaft mit raschem Feldherrnblick auf die wichtigsten Punkte verteilt: war es doch ungefähr derselbe Teil von Rom, den er schon früher, unter und gegen Belisar, besetzt gehalten hatte. «Salvius Julianus erhält noch hundert Isaurier für den Balkenriegel im Fluß! Die abasgischen Pfeilschützen eilen zu Piso an den Fluß an dem Kettenriegel. Marcus Licinius, der Rest der Schanze beim Forum.» Aber da meldete Lucius Licinius, der Rest der Legionäre, der an der Entscheidung auf dem Forum romanum nicht hatte teilnehmen können, weil er damals in dem nun abgesperrten Teil der Stadt auf Wache stand, werde sehr schwierig. «Ah», rief Cethegus, «der Dunst der Braten, um die ihre Vettern da unten die römische Ehre verkauft haben, steigt ihnen kitzelnd in die Nasen. Ich komme.» Und er ritt aufs Kapitol, wo diese Legionäre, etwa fünfhundert Mann, in Reih und Glied aufgestellt in finsterer, drohender Haltung standen. Langsam, prüfenden Auges ritt Cethegus die Front entlang. Endlich sprach er: «Euch wollte ich den Ruhm zuwenden, die Laren und Penaten des Kapitols gegen die Barbaren zu verteidigen. Ich hörte zwar, ihr zieht die Rinderkeulen da unten vor. Aber ich will's nicht glauben von euch. Ihr werdet den Mann nicht verlassen, der euch nach Jahrhunderten wieder kämpfen und siegen gelehrt hat. Wer's mit Cethegus hält und mit dem Kapitol, - der hebe das Schwert.» Aber keiner rührte sich. «Der Hunger ist ein stärkrer Gott, als der kapitolinische Jupiter», sagte er verächtlich. Da trat ein Centurio vor. «Es ist nicht das, Präfekt von Rom. Aber wir wollen nicht fechten gegen unsre Väter und Brüder, die nun auf Seite der Goten stehen.» «Als Geiseln sollte ich euch behalten für eure Väter und Brüder. Und ihnen, wenn sie stürmen, eure Köpfe entgegenwerfen. Aber ich besorge: es hielte sie nicht auf in ihrer Begeisterung, die aus dem Magen kommt. Geht! Ihr seid nicht würdig, Rom zu retten! Auf, Licinius, mit dem Tor! Laß sie dem Kapitol den Rücken wenden und der Ehre!» Und die Legionäre zogen ab: bis auf etwa hundert Mann, die unschlüssig stehen blieben, an ihre Speere gelehnt. «Nun? Was wollt ihr noch hier?» rief Cethegus, dicht an sie heranreitend. «Sterben mit dir, Präfekt von Rom!» rief einer. Und die andern wiederholten: «Sterben mit dir!» «Ich danke euch! Siehst du, Licinius, hundert Römer! Sind sie nicht genug, um neu ein Römerreich zu gründen? Euch geb' ich den Ehrenplatz: ihr schirmt die Schanze, die ich mit Julius Cäsars Namen geschmückt.» Er sprang vom Pferd, warf die Zügel Syphax zu, rief seine Tribunen näher an sich heran und sprach: «Nun hört meinen Plan!» «Du hast schon deinen Plan?» «Ja, wir greifen an! Wie ich die Barbaren kenne, sind wir heute nacht vor jedem Angriff sicher. Sie haben eine Stadt gewonnen zu drei Vierteln. Dieser Sieg muß erst in hunderttausend Räuschen gefeiert werden, ehe sie an das letzte Viertel denken. Um Mitternacht wird das ganze Heer von goldlockigen Helden und Säufern in Jubel, Wein und Schlaf begraben sein. Und die hungrigen Quinten da unten werden ihnen heute nicht nachstehen an Völlerei. Seht, wie sie schmausen und springen, mit Kränzen geschmückt. Und nur ein kleiner Teil der Barbaren erst ist in die Stadt gerückt. Das ist unsre Siegeshoffnung! Um Mitternacht brechen wir aus allen unsern Toren auf sie nieder - sie versehen sich keines Angriffs solcher Minderzahl - und schlachten sie im Schlaf.» «Dein Plan ist todeskühn», sprach Lucius Licinius. «Doch wenn wir fallen - das Kapitol wird unser Leichenstein.» «Du lernst von mir», lächelte Cethegus: - «die Worte, wie die Streiche. Mein Plan ist verzweifelt. Aber er ist der einzig mögliche. Jetzt - die Wachen sind bestellt? - gehe ich in mein Haus und schlafe zwei Stunden. Niemand wecke mich vorher. Nach zwei Stunden weckt mich.» «Du kannst jetzt schlafen, Feldherr?» «Ja, ich muß. Und ich hoffe: ich schlafe gut. Ich muß mich, wachend und schlafend, in mir selbst versammeln - nachdem ich das Forum romanum dem Barbarenkönig geräumt. Das war zuviel. Das heischt Erholung! Syphax, ich fragte schon gestern: ist kein Wein mehr aufzutreiben, rechts vom Tiber?» «Ich forschte, Herr: Nur in den Tempeln eures Gottes. Aber er ist, so sagten eure Priester, bereits geweiht, bestimmt zum Wunder des Altars.» «Das wird ihn nicht verdorben haben. Nehmt ihn den Priestern fort. Verteilt ihn unter die hundert Römer auf der Schanze des Cäsar. Es ist der einzige Dank, der mir zu spenden geblieben.» Und langsam ritt er, gefolgt von Syphax, seinem Hause zu. Vor dem Haupteingang hielt er an: auf Syphax' Ruf erschien der Roßwärter Thrax. Cethegus sprang ab und klopfte des edeln Rappen Bug. «Der nächste Ritt wird scharf, mein Pluto, ob zum Sieg oder in die Flucht. Gebt ihm das weiße Brot, das für mich gespart ward.» Das Pferd ward in die Ställe neben dem Hauptgebäude abgeführt. Die Marmorraufen waren leer. Pluto teilte den weiten Stall nur noch mit des Syphax Braunen. Alle andern Rosse des Präfekten waren geschlachtet und von den Söldnern verzehrt. Durch das prachtvolle Vestibulum und Atrium schritt der Hausherr in die Bibliothek. Der alte Ostiarius und Schreibsklave Fidus, der den Speer nicht mehr tragen konnte, war der einzige Diener im Hause. Alle andern Sklaven und Freigelassenen lagen auf den Wällen: - lebend oder tot. «Reiche mir die Rolle mit dem Cäsar Plutarchs! Und den großen, mit Amethysten besetzten Becher - freilich wird's kaum des Zaubers der Steine bedürfen - voll Wasser aus dem Springbrunnen.» Noch weilte der Präfekt in dem Büchersaal. Den Kandelaber, mit köstlichem Nardenöl gefüllt, hatte der Alte, wie in den Tagen des Friedens, entzündet. Cethegus warf einen langen Blick auf die Büsten, Hermen, kleinen Statuen, deren dunkle Schatten das Licht scharf auf den Estrich von kostbaren Mosaiken legte. Da prangten sie fast alle, die Helden Roms in Krieg und Frieden, in kleinen Marmorbüsten auf Sockeln und Fußgestellen mit kurzen Andeutungen der Namen. Von den mythischen Königen an durch die lange Reihe der Konsuln und Cäsaren bis auf Trajan, Hadrian und Constantin. Eine besondere dicht gedrängte Gruppe bildeten die eigenen Ahnen der «Cethegi». Schon war das leere Postament an die Wand gefestigt, das dereinst seine Büste aufnehmen sollte, die letzte an dieser Seite des Saales. Denn er war der letzte seines Stammes. Aber zur Linken zeigte sich noch, zur Fortsetzung bestimmt, ein ganzer Bogengang mit leeren Nischen. Nicht Ehe, aber Adoption sollte des Cethegus Namen weiterführen in glänzende Jahrhunderte. - Zu seinem Erstaunen sah er, an der Reihe der Büsten langsam, gedankenvoll vorüberschreitend, auf dem leeren Sockel, der dereinst seine Büste aufnehmen sollte, ein solches Brustbild heute stehen. «Was bedeutet das?» fragte er. «Hebe die Lampe hierher, Alter. Welche Büste steht an meinem Platz?» «Vergib, o Herr! Das Postament des einen, da oben, von den ganz alten, muß ausgebessert werden. Ich mußte es abnehmen. Und da hob ich die Büste, damit sie einstweilen nicht zu Schaden komme, auf diesen leeren Sockel.» «Leuchte! Noch höher! Wer mag es sein?» Und Cethegus las auf der Büste die kurzen Worte: «Tarquinius Superbus, Tyrann von Rom, starb, wegen unerträglicher Gewalt von den Bürgern vertrieben, ferne der Stadt im Exil. Zur Warnung späterer Geschlechter.» Cethegus selbst hatte - in seiner Jugend - diese Inschrift verfaßt und unter die Büste setzen lassen. Rasch hob er nun den Marmorkopf herab und stellte ihn abseits nieder. «Fort mit dem Omen», sprach er. In ernster Vertiefung trat er in das Studiergemach. Helm, Schild und Schwert lehnte er an das Lager. Der Sklave entzündete die auf dem Schildpatt-Tisch stehende Lampe, brachte den Becher und das verlangte Buch und ging. Cethegus ergriff die Rolle. Aber er legte sie wieder weg. Die Erzwingung der Ruhe versagte ihm diesmal doch. Sie war zu unnatürlich. Auf dem römischen Forum tranken die Quinten mit den Barbaren auf das Heil des Gotenkönigs, auf den Untergang des Präfekten von Rom, des princeps Senatus! In zwei Stunden wollte er den Versuch wagen, Rom den Germanen zu entreißen. Er konnte nicht die kurze Pause mit Wiederholung einer Lebensbeschreibung ausfüllen, die er halb auswendig wußte. Er trank heißdurstig Wasser aus dem Becher. Dann warf er sich auf das Lager. «War es ein Omen?» fragte er sich. «Aber es gibt kein Omen für den, der nicht daran glaubt. Ein Wahrzeichen nur gilt: für die Erde der Heimat zu kämpfen, sagt Homer. Freilich, Cethegus kämpft nicht nur für die Erde der Heimat. Er kämpft fast noch mehr für sich. Aber hat es nicht dieser Tag beschämend gezeigt? - Rom ist Cethegus: und Cethegus ist Rom. Nicht jene Namenvergessenen Römer. Rom ist heute noch viel mehr Cethegus als - damals Rom Cäsar gewesen. War er nicht auch ein Tyrann im Sinne der Toren?» Und er sprang unruhig wieder auf und trat an die Kolossalstatue des großen Ahnherrn heran. «Göttlicher Julius, könnte ich beten: - heute würd' ich beten -beten zu dir. Hilf, vollende deines Enkels Werk! Wie schwer, wie blutig, wie hart hab' ich gerungen seit jenem Tage, da mir zuerst aus deinem Marmorhaupt der Gedanke der Erneuerung deines Rom entgegensprang: fertig, in Waffen klirrend, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus! Wie hab' ich gekämpft mit dem Schwert und dem mehr ermüdenden Gedanken Tag und Nacht! Und war ich siebenmal zu Boden gerungen von der Übermacht zweier Völker, hab' ich mich siebenmal wieder emporgerafft: unbezwungen und unverzagt! Vor einem Jahr schien mir das Ziel so nahe. Und jetzt, heute nacht, muß ich um die letzten Häuser Roms, um mein Haus, um mein Leben kämpfen mit diesem Knaben im blonden Haar. Wär' es denkbar? Sollt' ich erliegen müssen? Nach soviel Arbeit? Nach solchen Taten? Vor dem Glücksstern eines Jünglings? Soll es denn wirklich unmöglich sein, auch für deinen Enkel unerzwingbar, daß ein Mann sein Volk ersetze, bis er es erneuern, bis es sich selbst erneuern kann? Daß ein Mann der Barbaren- und der Griechen-Welt obsiege? Soll nicht Cethegus das Rad der Dinge erst halten und dann rückwärts rollen können? Muß ich erliegen, weil ich allein stehe, ein Feldherr ohne Heer, ein Mann ohne Volk an seiner Schulter? Soll ich weichen müssen aus deinem, aus meinem Rom? Ich kann es, ich will es nicht denken! Hat nicht auch dein Stern sich verdunkelt kurz vor Pharsalus? Und schwammst du nicht blutend, das Leben zu retten, unter hundert Pfeilen über den Nil? Und doch hast du's vollbracht. Und zogst im Triumphe wieder ein in deinem Rom. Nicht schlimmer wird es mir, deinem Enkel, ergehen! Nein, ich werde mein Rom nicht verlieren. Nicht mein Haus, nicht dies dein göttergleiches Bild, das mir oft, wie den Christen ihres Kreuzes Anblick, Trost und Hoffnung gespendet. Und dem zum Wahrzeichen - bleibe dir anvertraut, was unter deinem Schild am sichersten geborgen: - wo auf Erden wäre Sicherheit, wenn nicht bei dir? Es war eine Stunde der Verzagtheit, da ich diese Geheimnisse und manchen Schatz Syphax zum Vergraben in der Erde anvertrauen wollte. Geht Rom, dies Haus, dies Heiligtum mir verloren, mögen auch diese Aufzeichnungen verloren sein. Und dann - wer wird die Geheimschrift entziffern? Nein, wie die Briefe, das Tagebuch, sollst du mir auch diese Schätze wahren.» Und er zog ein ziemlich großes Ledersäckchen, das er unter dem Panzer und der Tunika auf der Brust getragen, hervor. Kostbarste Perlen und edelste Edelsteine hatte er darin verborgen. Dann rührte er an die Feder an den linken Rippen der Statue, unterhalb des Schildrandes. Und er holte aus der schmalen Öffnung, die sich auftat, ein längliches Kästchen von Elfenbein mit kunstvoll geschnitzten Gestalten und mit goldenem Verschluß, das allerlei Aufzeichnungen in kleinen Papyrusrollen enthielt. Er legte das Säckchen in dies Kästchen. «Hier, großer Ahnherr: wahre mir Geheimnisse und Schätze. Bei wem sollten sie sicher sein, wenn nicht bei dir?» - Damit schloß er wieder die Klappe, welche nun nicht durch die schmalste Fuge eine Öffnung verriet. - «Unter deinem Schild! An deinem Herzen! Zum Pfande, daß ich dir vertraue und meinem cäsarischen Glück. - Daß ich nicht von dir, Rom, abzudrängen bin. - Wenigstens nicht auf die Dauer! Müßte ich selbst weichen, - ich kehre wieder. Und wer sucht meine Schätze und meine Geheimnisse bei dem toten Cäsar! Hüte sie mir.» Wäre das Wasser in dem Amethystkelch schwerster Wein gewesen, der Trunk hätte nicht berauschender erregen können als dieses ringende Gespräch: halb Selbstgespräch, halb Zwiegespräch mit der wie ein Dämon verehrten Statue. Die übermenschliche Anspannung aller Kräfte des Geistes und des Leibes in den letzten Wochen: das sieglose Ringen des heutigen Tages auf dem Forum: der sofort nach dem Erliegen neu gefaßte, fast verzweifelte Plan: die Spannung, mit der dessen Ausführung herbeigesehnt wurde, hatte in dem eisernen Mann die Erregung und zugleich die mühsam bekämpfte Erschöpfung aufs äußerste gesteigert. Er dachte, sprach und handelte wie im Fieber. Ermüdet warf er sich aufs Lager zu Füßen der Statue. Und fast im Augenblick befiel ihn Schlaf. Aber es war nicht der Schlaf, wie er ihn nach jeder Schuldtat, vor jeder drohenden Gefahr bisher gefunden: die Frucht seiner gewaltigen, allen Erregungen überlegenen Natur. Unruhig war dieser Schlaf. Qualvoll durch wechselnde Träume, die, hastig wie die Gedankenflucht des Fieberkranken, einander jagten. - Endlich kam Stete in die Gesichte des Träumenden. Er sah die Cäsarstatue, zu deren Füßen er lag, wachsen und wachsen. Immer höher ragte das majestätische Haupt. Schon hatte sie das Dach des Hauses durchdrungen. Das Haupt mit dem Lorbeerkranz verschwand jenseits des Nachtgewölks hoch in den Sternen. «Nimm mich mit dir!» bat Cethegus. Aber der Halbgott erwiderte: «Ich sehe dich kaum aus meiner Höhe. Du bist zu klein! Du kannst mir nicht nachfolgen.» Da schien dem Träumenden plötzlich krachend ein Donnerstreich das Dach des Hauses zu treffen. Und in schmetternden Schlägen fielen die Balken über ihm zusammen, unter den Trümmern dieses Gemaches ihn begrabend. Auch die Cäsarstatue schien zerschlagen zu stürzen. Noch immer hallten die Schläge: - auf sprang Cethegus und sah um sich. Elftes Kapitel Noch hallten die dröhnenden Schläge. Sie waren wirklich -nicht geträumt! Aber sie schmetterten gegen die Tore seines Hauses. Cethegus ergriff Helm und Schwert. Da flogen Syphax und Lucius Licinius in das Gemach. «Auf, Feldherr!» - «Auf, Cethegus!» «Es können noch nicht zwei Stunden sein. In zwei Stunden erst wollte ich angreifen -» «Ja, aber die Goten! Sie kamen uns zuvor! Sie stürmen!» «Verderben über sie! Wo stürmen sie?» Und schon war Cethegus an der Haustüre. «Wo stürmt der König?» «An der Hafenstadt. Am Stromriegel. Er hat Brander den Fluß hinaufgeschickt. Dromonen mit brennenden Türmen auf Deck, voll Harz, Pech und Schwefel. Der erste Riegel, der Balkenriegel, und alle Schiffe dahinter stehn in Flammen! Salvius Julianus ist verwundet und gefangen. Da, sieh die Lohe steigen im Südost.» «Der Kettenriegel - hält er noch?» «Noch hält er! Aber wenn er reißt?» - «Bin ich, wie einmal schon, der Riegel Roms! Vorwärts!» Syphax führte den schnaubenden Rappen vor. Cethegus schwang sich hinauf. «Da rechts hinab! Wo ist dein Bruder Marcus?» «An der Schanze beim Forum.» Da stießen sie auf die Söldner, Isaurier und Abasgen, die von der Hafenstadt her flüchteten. «Flieht!» riefen diese. «Rettet den Präfekten!» - «Wo ist Cethegus?» «Hier - um euch zu retten! Wendet euch! Zum Fluß!» Er sprengte voran. Der Flammenschein der brennenden Balken und Schiffe bezeichnete das Ziel. Am Ufer des Flusses angelangt, sprang er vom Pferd. Syphax barg es sorgfältig in einer leeren Warenhalle. «Fackeln her! In die Boote! Dort liegt ein Dutzend kleiner Nachen! Längst bereitet für solche Gefahr. Alle Pfeilschützen hinein! Mir nach! Licinius, du ins zweite Boot. Rudert bis an die Kette! Legt euch hart oberhalb an die Kette. Wer der Kette, den Fluß herauf, nahe kommt - ein Hagel von Pfeilen über ihn. Die turmhohen Wallmauern gehen links und rechts senkrecht in den Fluß. Sie müssen hierher, an die Kette!» Schon hatten sich einzelne kleine Kähne der Goten zu nahen versucht. Aber die einen wurden vom Feuer des Balkenriegels und der Boote ergriffen. Andere schlugen in dem Gedräng, in der Dunkelheit, um. Eines, das bis auf halbe Pfeilschußweite dem furchtbar besetzen Kettenriegel genaht war - trieb wieder steuerlos stromabwärts: alle Leute der Bemannung waren den Pfeilen der Abasgen erlegen. «Seht ihr? Da schwimmt ein Schiff der Toten! Harret aus! Nichts ist verloren! Aber schafft Fackeln, Brände herbei. Entzündet dort die Schiffswerft. Feuer gegen Feuer!» «Sieh dorthin, Herr!» warnte Syphax, der nicht von seiner Ferse wich. «Ja, da schwimmt die Entscheidung heran.» Es war ein herrlicher Anblick. Die Goten hatten erkannt, daß durch kleine Nachen die Riegelkette nicht zu überschreiten war. Da hatten sie von der brennenden Balkenkette mit Beilhieben so viel hinweggehauen, daß in der Mitte des Flusses knapp genügender Raum frei wurde, zwischen den brennenden Balkenenden ein großes, ein Kriegsschiff hindurchzusteuern. Aber mit der Kraft der Ruder allein durch die nahen Flammen langsam stromaufwärts dringen, dem Pfeilregen der Abasgen ausgesetzt - das konnte für das große Schiff noch schlimmer als für den «Nachen der Toten» enden. Zaudernd hielten die Goten unterhalb der brennenden Balken. Da plötzlich erhob sich ein starker Südwind, die Wellen des Flusses aufwärts kräuselnd. «Spürt ihr den Hauch? Das ist des Siegesgottes Atem. Die Segel gehißt! Nun folgt mir, meine Goten», so rief eine frohlockende Stimme. Die Segel flogen empor und spannten weit die Flügel des gewaltigen Kriegsschiffes der Goten, des «wilden Schwans». Und ein prachtvolles Schauspiel war es nun, als das mächtige Fahrzeug, mit aller Leinwand fliegend und von hundert Ruderern geschoben, den Strom heraufkam, von beiden Seiten schauerlich beleuchtet durch die brennenden Balken und Boote der Römer. Mit ungestümer, verderbendrohender Eile trieb das Schiff stromaufwärts. Zu beiden Seiten des Oberdecks, hoch über dem geschlossenen Unterdeck der Ruderknechte, knieten, dicht geschart, gotische Krieger, die Schilde dicht aneinander gedrängt: eine eherne Schirmwand wider die Pfeile. An dem Schiffsschnabel vorn erhob sich ein riesiger Schwan mit hochgewölbten Schwingen. Zwischen diesen Schwingen aber, auf des Schwanes Rücken, stand König Totila, das Schwert in der Rechten. «Vorwärts!» befahl er. «Zieht, ihr Ruderer! Mit aller Kraft! Haltet euch bereit, ihr Goten.» Cethegus erkannte die jugendliche hohe Gestalt. Er erkannte schon auch die Stimme. «Laßt das Schiff nur heran. Ganz nahe. Auf zwanzig Schritt. Dann erst schießt. Noch nicht. Jetzt. Jetzt! Pfeile los!» «Deckt euch, ihr Goten!» Ein Hagel von Pfeilen schlug gegen das Schiff. Aber an der Schildburg prallten sie machtlos ab. «Verflucht!» rief Piso hinter dem Präfekten. «Sie wollen die Kette sprengen durch des Schiffes Stoß. Und sie werden es sicher, fielen auch alle Mann auf Deck. Die Ruderer sind ja unerreichbar. Und unverwundbar ist dieser Südwind.» «Feuer in die Segel! Feuer auf das Schiff! Brände herbei!» befahl Cethegus. Immer näher rauschte der drohende Schwan. Immer näher drohte der verderbliche Prall gegen die straff gespannte Kette. Schon erreichten nun die geschleuderten Brände das Schiff. Einer flog in das Segel des Fockmastes: es brannte rasch auf, dann erlosch es. Ein zweiter - Cethegus hatte ihn selbst geschleudert - streifte des Gotenkönigs langes flatterndes Goldhaar. Neben ihm fiel der Brand nieder. Er hatte es nicht bemerkt. Da sprang ein Knabe hinzu, der, statt aller Schutz und Trutzwaffen, nur einen derben Hirtenstecken führte. Mit den Füßen trat er den Brand aus. Die anderen Brände prallten von den Schilden ins Wasser und erloschen. Nur acht Schritte noch war der Vorderstachel der Galeere von der Kette entfernt. Die Römer bebten vor dem Anprall. Da trat Cethegus ganz vor, an die Spitze seines Bootes, einen schweren Wurfspeer erhebend und sorgfältig zielend. «Gebt acht», sagte er. «Sowie der König der Barbaren stürzt -rasch neue Brände.» Nie hatte der waffenkundige Mann besser gezielt. Und noch einmal den Speer zurückziehend, schleuderte er ihn mit der ganzen Kraft seines Hasses und seines Arms. Atemlos harrte seine Umgebung. Aber der König stürzte nicht. Er hatte den Zielenden scharf erkannt. Gleichwohl warf er den langen, schmalen Schild nieder. Er sah der Spitze des Speeres entgegen mit zurückgehaltener schildloser Linker. Sausend kam der Speer geflogen, gerade in der Höhe, wo aus dem Panzer der nackte Hals sich hob. Hart am Leibe erst fing ihn der König mit der linken Hand und - warf ihn sofort mit der Rechten auf den Werfer zurück: er traf den Präfekten in den linken Arm, oberhalb des Schildes: Cethegus fiel ins Knie. Im gleichen Augenblick traf der Stoß des Schiffes die straffe Kette. Sie barst. Die Römerboote, die an derselben geruht, schlugen um, auch das des Cethegus, oder schossen meisterlos den Fluß herab. «Sieg!» jauchzte Totila. «Ergebt euch mir, ihr Söldner.» Cethegus erreichte schwimmend, blutend, das linke Tiberufer. Er sah, wie das Gotenschiff zwei kleine Boote herabließ, in deren eines der König sprang. Er sah, wie eine ganze Flotille leichter gotischer Fahrzeuge, unter dem Schutz der Königsgaleere heraufgesegelt, nun ebenfalls die Reihe der Boote seiner Pfeilschützen durchbrach und auf beiden Ufern Mannschaften landete. Er sah, wie seine Abasgen, für den Nahkampf weder gerüstet noch gestimmt, in Scharen sich einzelnen schwertschwingenden Goten ergaben. Er sah, wie von dem Königsschiff aus nun ein Pfeilregen die Verteidiger des linken Ufers traf. Er sah, wie das kleine Boot des Königs sich dem Ufer näherte wo er, wassertriefend, stand. Er hatte den Helm im Wasser verloren, den Schild fallenlassen, um rascher das Land zu gewinnen. Mit dem Schwert wollte er sich dem eben landenden König entgegenwerfen. Da streifte ein Gotenpfeil seinen Hals. «Getroffen, Haduswinth», jauchzte ein junger Schütze, «besser als damals am Marmorgrab.» «Brav, Gunthamund.» Cethegus wankte. Syphax fing ihn auf. Gleichzeitig legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er erkannte Marcus Licinius. «Du hier! Wo sind deine Krieger?» «Tot», sagte Marcus. «Die hundert Römer fielen auf der Schanze. Teja, der schreckliche Teja, hat sie gestürmt. Die Hälfte deiner Isaurier fiel auf dem Wege nach dem Kapitol. Der Rest hält noch die Pforte des Kapitols und die Halbschanze vor deinem Hause. Ich kann nicht mehr. Tejas Beil drang durch meinen Schild in die Rippen. Leb' wohl, o großer Cethegus! Rette das Kapitol. Aber: siehe hin. Teja ist rasch.» Und Marcus sank zu Boden. Flammen schlugen hoch in die Nacht vom kapitolinischen Berg. «Hier am Fluß ist nichts mehr zu retten», sprach der Präfekt mühsam. Denn sein Blutverlust war groß und schwächte ihn rasch. «Ich rette das Kapitol! Dir, Piso, befehl' ich den BarbarenKönig. Du hast schon einen Gotenkönig auf der Schwelle Roms getroffen. Triff einen zweiten! Und triff ihn tödlich! Du, räche deinen Bruder, Lucius. Folge mir nicht.» Cethegus warf noch einen grimmigen Blick auf den König, um dessen Füße sich flehend die Abasgen drängten. Tief seufzte er auf «Du wankest, o Herr?» fragte Syphax schmerzlich. «Rom wankt!» antwortete Cethegus. «Aufs Kapitol!» Lucius Licinius drückte seinem sterbenden Bruder noch einmal die Hand. «Ich folge ihm doch», sagte er dann. «Er ist wund.» Während Cethegus, Syphax, Lucius Licinius in der Nacht verschwanden, duckte sich Piso hinter die Säule einer Basilika, an welcher hart vorbei der Weg den Fluß aufwärts führte. Inzwischen hatte der König die sich ihm ergebenden Abasgen seinen Gefolgen überwiesen. Er machte einige Schritte stromaufwärts und wies mit dem Schwert nach den Flammen, die vom Kapitol aufstiegen. Dann wandte er sich, das Antlitz dem Fluß und den langsamer landenden Goten zugekehrt. «Vorwärts», mahnte er. «Eile. Es gilt löschen da oben. Der Kampf ist aus. Nun, ihr Goten, schirmt, erhaltet Rom. Denn es ist euer.» Diesen Augenblick ersah Piso. «Helfer Apollo», dachte er, «traf je mein Jambus, jetzt laß mein Schwert treffen.» Und hinter der Säule hervor sprang er mit gezücktem Schwert auf den König zu, der ihm den Rücken zuwandte. Aber wenige Zoll vor des Königs Leib ließ er, laut aufschreiend, die Klinge fallen. Ein derber Stockhieb hatte seine Hand gelähmt. Gleich darauf sprang ein junger Hirt an ihm empor und riß ihn nieder. Der Sieger kniete ihm auf der Brust. «Gib dich, römischer Wolf!» rief eine helle Knabenstimme. «Ei, Piso, der Jambenpoet...! Er ist dein Gefangener, Knabe», sprach der König, der nun herzugetreten war. «Und soll sich lösen mit schwerem Gold. Wer aber bist du, junger Hirt, mein Zügelführer?» «Dein Lebensretter ist er, o Herr», fiel der alte Haduswinth ein. «Wir sahen den Römer auf dich stürzen. Aber wir waren zu weit zurück, dir zu rufen oder zu helfen. Dem Knaben danken wir dein Leben.» «Wie heißt du, junger Held?» «Adalgoth.» «Was suchst du hier?» «Cethegus, den Neiding, den Präfekten von Rom! Wo ist er, Herr König? Das sage du mir. Hierher, auf das Schiff, ward ich gewiesen. Hier, hört' ich, werd' er deinem Ansturm wehren.» «Er war hier. Er ist entflohen. Wohl in sein Haus.» «Willst du mit diesem Stecken den Höllenkönig bezwingen?» fragte Haduswinth. «Nein», rief Adalgoth, «nun hab' ich ja ein Schwert.» Und er hob vom Boden seines Gefangenen Waffe, schwang sie empor und war in der Nacht verschwunden. Totila übergab Piso den Goten, die nun in dichten Scharen auf beiden Seiten des Flusses gelandet waren. «Eilt», wiederholte er. «Rettet das Kapitol, das die Römer verbrennen.» Zwölftes Kapitel Inzwischen hatte der Präfekt das Flußufer verlassen und den Weg nach dem Kapitol eingeschlagen. Durch die Porta trigemina gelangte er nach dem Forum boarium. An dem Janustempel traf er auf ein Volksgedränge, das ihn eine Weile aufhielt. Trotz seiner Verwundung war er so geeilt, daß ihm Licinius und Syphax kaum zu folgen vermochten. Wiederholt hatten sie ihn aus den Augen verloren. Erst jetzt holten sie ihn ein. Er wollte nun durch die Porta carmentalis eilen und so die Rückseite des Kapitols gewinnen. Aber er fand es schon dicht von Goten besetzt. Darunter war Wachis. Der erkannte ihn von fern. «Rache für Rauthgundis!» rief er. Ein schwerer Stein traf des Präfekten helmloses Haupt. Der wandte sich und floh. Nun erinnerte er sich einer Mauersenkung nordöstlich von jenem Tor. Dort wollte er versuchen, über den Wall zu steigen. Als er sich aber dem Mauerrand näherte, schlugen abermals die Flammen auf dem Kapitol empor. Drei Männer sprangen ihm gegenüber über die Mauersenkung. Es waren Isaurier. Sie erkannten ihn. «Flieh, o Herr! Das ganze Kapitol ist verloren! Der schwarze Gotenteufel!» «Hat er - hat Teja den Brand gestiftet?» «Nein: wir selbst zündeten eine Holzschanze an, darin sich die Barbaren festgesetzt. Die Goten löschen.» «Die Barbaren retten mein Kapitol.» Bittern Schmerzes voll stützte sich Cethegus auf den Speer, den ein Söldner dem Wankenden reichte. «Nun muß ich noch in mein Haus.» Und er wandte sich nach rechts, auf dem nächsten Weg den Haupteingang seines Hauses zu erreichen. «O Herr, das ist gefährlich!» warnte einer der Söldner. «Bald werden die Goten auch dort sein. Ich hörte, wie der schwarze Gotenfürst immer nach dir rief und fragte. Er suchte dich überall auf dem Kapitol. Bald wird er dich in deinem Hause suchen.» «Ich muß noch einmal in mein Haus!» Aber kaum hatte er ein paar Schritte vorwärts gemacht, als eine Schar Goten, mit Römern gemischt, mit Fackeln und Bränden, von der Stadt her, ihm gerade entgegenkam. Die vordersten, es waren Römer, erkannten ihn. «Der Präfekt!» - «Der Verderber Roms!» «Er hat das Kapitol anzünden lassen!» - «Nieder mit ihm!» Pfeile, Steine, Speere flogen ihm entgegen. Ein Söldner fiel, zwei entflohn. Cethegus traf ein Pfeil: er drang ihm nur leicht in die linke Schulter. Er riß ihn heraus. «Ein Römerpfeil! Mit meinem Stempel», lachte er auf. Mit Mühe entkam er ins Dunkel der nächsten schmalen Gasse. Vor seinem Hause lärmte nun der Haufe, vergeblich bemüht, die mächtige Haupttüre zu sprengen. Ihre Schwerter und Speere reichten dazu nicht aus. Cethegus vernahm es wohl und die Rufe des Zorns über das vergebliche Mühen. «Die Tür ist fest!» sagte er sich. «Bevor sie eindringen, bin ich lange wieder aus dem Hause.» Durch die enge Seitengasse gelangte er an den Hintereingang seines Hauses, drückte an eine geheime Feder, trat in den Hof und eilte, die Türe offen lassend, in das Gebäude. «Horch!» da donnerte von dem Haupttore her ein ganz andres, ein gewaltigeres Schlagen als bisher. «Eine Streitaxt!» sagte Cethegus. «Das ist Teja.» Cethegus eilte an eine schmale Mauerlücke, die von dem Eckgemach auf die Haup tstraße einen Blick gewährte. Es war Teja. Sein schwarzes, langes Haar flatterte um das unbehelmte Haupt. In der Linken trug er einen aus dem Feuer des Kapitols gerafften Brand, in der Rechten das gefürchtete Schlachtbeil. Über und über war es mit Blut bespritzt. «Cethegus!» rief er laut bei jedem Schlag seines Beils wider die ächzende Haustür. «Cornelius Cethegus Cäsarius! Wo bist du? Ich suche dich im Kapitol, Präfekt von Rom! Wo bist du? Muß Teja dich an deinem Hausherd suchen?» Da hörte der lauschende Cethegus eilende Schritte hinter sich. Syphax hatte das Haus erreicht und war durch die Hintertür ihm gefolgt. Er erblickte seinen Herrn. «Flieh, o Herr! Ich decke deine Schwelle mit meinem Leib.» Und er eilte an ihm vorüber, durch eine Reihe von Gemächern, an die Haupttüre. Cethegus wandte sich nach rechts. Kaum konnte er sich noch aufrecht halten. Er erreichte noch den Zeussaal. Hier sank er zusammen. Doch augenblicklich sprang er wieder auf. Denn krachend und schmetternd scholl es vom Haupteingang her. Das feste Tor war endlich eingeschlagen. Dröhnend fiel es nach innen: und Teja betrat das Haus seines Feindes. Auf der Schwelle sprang ihm, aus geduckt kauernder Stellung aufschnellend wie ein Panther, der Maure an den Hals, mit der Linken seine Gurgel umkrallend, in der Rechten blitzte das Messer. Aber der Gote ließ die Axt fallen: ein Ruck seiner Rechten, und wie eine fortgeschleuderte Kugel flog der Angreifer zur Seite, die Tür hinaus, und rollte die Stufen hinab auf die Straße. «Wo bist du, Cethegus?» scholl nun Tejas Stimme näher und näher dringend im Atrium, im Vestibulum. Einige Türen, die der Schreibsklave Fidus verriegelt hatte, sprengte rasch sein Beil. Nur wenige Schritte trennten die beiden Männer. Mühsam hatte sich Cethegus bis in die Mitte des Zeussaals geschleppt. Er hoffte immer noch das Schreibgemach erreichen und aus der Cäsarstatue die anvertrauten Schriften und Schätze nehmen zu können. Da krachte nochmals eine gesprengte Tür, und Cethegus hörte Tejas Stimme aus dem Schreibgemach: «Wo bist du, Cethegus, Hausherr?» Atemlos lauschte Cethegus. Er hörte, wie in der Bibliothek der Teja nachdringende Haufe die Ahnenbilder und die Büsten zerschlug. «Wo ist dein Herr, Alter?» rief Tejas Stimme. Der Sklave hatte sich in das Schreibgemach geflüchtet. «Ich weiß es nicht, bei meiner Seele.» «Auch hier nicht? Cethegus, Feigling! Wo steckst du?» Da hatte auch die Menge offenbar das Schreibgemach erreicht. Cethegus vermochte nicht mehr zu stehen. Er lehnte sich an den marmornen Jupiter. «Was wird mit dem Hause?» «Verbrannt wird es!» antwortete Teja. «Der König hat das Brennen verboten», mahnte Thorismut. «Ja! Dies Haus aber hab' ich mir vom König erbeten. Es wird verbrannt und der Erde gleichgemacht. Nieder mit dem Tempel des Teufels! Nieder mit seinem Allerheiligsten: - dem Götzen hier!» Und ein furchtbarer Schlag erscholl. Krachend, schmetternd stürzte die Cäsarstatue in vielen Trümmern auf den Mosaikboden. Goldstücke, Kästchen, Kapseln rollten umher. «Ah, der Barbar!» schrie Cethegus außer sich. Und alles vergessend wollte er mit dem Schwert in das Schreibgemach stürmen. Da fiel er bewußtlos auf das Antlitz nieder zu Füßen der Jupiterstatue. «Horch, was war das?» fragte eine Knabenstimme. «Die Stimme des Präfekten!» rief Teja und riß die Türe auf, die das Schreibgemach von dem Zeussaal trennte. Mit dem Brande vorleuchtend und hoch die Streitaxt schwingend sprang er in den Saal. Aber der Saal war leer. Eine Blutlache lag zu den Füßen des Jupiter, und eine breite Blutspur führte von da an das Fenster, das in den Hofraum blickte. Auch der Hof war leer. Nacheilende Goten aber fanden die kleine Hofpforte geschlossen, und zwar von außen. Der Schlüssel steckte auf der Straßenseite im Schloß. Als man mit Mühe - nach langer Arbeit - auch diese Tür gesprengt - gleichzeitig fast hatten andre Goten, aus dem Hauptausgang auf die Straße und um die Ecke des Hauses eilend, die schmale Seitengasse erreicht - und die Gasse mit deren Gebäuden absuchte, fand man nur an der Ecke das Schwert des Präfekten, das Fidus, der Schreibsklave, erkannte. Finster blickend nahm es Teja und kehrte in das Schreibgemach zurück. «Lest alles sorgsam auf, was des Präfekten Götzenstatue barg. Hört ihr, alles. Schreibereien zumal, und bringt sie dem König - wo ist der König?» «Aus dem Kapitol zog er mit Römern und Goten in die Kapelle Sankt Peters, dort mit allem Volk das Dankgebet zu sprechen.» «Gut, sucht ihn in der Kirche und bringt ihm alles. Dazu des Entflohenen Schwert. Sagt: Teja schickt ihm das.» «Soll geschehn. Du aber - gehst du nicht mit zum König und in die Kirche?» «Nein.» «Wo verbringst du die Siegesnacht und feierst den Dankgottesdienst?» «Auf den Trümmern dieses Hauses!» sprach Teja. Und er stieß den Brand in die Purpurteppiche des Lagers. 8. Buch Totila - Zweite Abteilung Erstes Kapitel Und fortan hielt König Totila Hof zu Rom herrlich und in Freuden. Des Krieges schwerste Aufgabe schien getan. Nach dem Falle von Rom öffneten die meisten kleinen Festungen an der Küste oder im Gebirge des Apennin die Tore, nur wenige mußten belagert und erobert werden. Dazu sandte der König seine Feldherrn aus: Teja, Guntharis, Grippa, Markja, Aligern, während er selbst zu Rom die schwere, die staatsmännische Aufgabe übernahm, das durch langjährigen Krieg und Aufstand zerrüttete Reich zu beruhigen, neu zu ordnen, beinahe neu zu gründen. In alle Landschaften und Städte schickte er seine Herzoge und Grafen, in allen Gebieten des Staatslebens des Königs Gedanken auszuführen: zumal auch die Italier zu schützen wider die Rachsucht der siegreichen Goten. Denn er hatte eine allumfassende Verzeihung vom Kapitol herab verkündet, mit Ausnahme eines einzigen Hauptes: des Expräfekten Cornelius Cethegus Cäsarius. Überall ließ er die zerstörten Kirchen, der Katholiken wie der Arianer, wieder herstellen, überall die Grundbesitzverhältnisse prüfen, die Steuern neu verteilen und herabsetzen. Die segensreichen Früchte dieser Mühen blieben nicht aus. Schon seitdem Totila die Krone aufgesetzt und seinen ersten Aufruf erlassen, hatten die Italier in allen Landschaften die lang versäumte Feldarbeit wieder aufgenommen. Überall waren die gotischen Krieger angewiesen, sich jeder Störung hierin zu enthalten, Störungen durch die Byzantiner nach Kräften abzuwehren. Und eine wundersame Fruchtbarkeit der Gefilde, ein Herbstsegen an Getreide, Wein und Ö1, wie seit Menschenaltern unerhört, schien sichtbarlich die Gnade des Himmels für den jungen König zu bezeugen. Die Kunde von der Einnahme von Neapolis und Rom durchflog das staunende Abendland, das bereits das Gotenreich in Italien als erloschen betrachtet hatte. Mit dankbarer Bewunderung erzählten die Kaufleute, die der kräftige Rechtsschutz, die Sicherung der Landstraßen durch umherziehende Sajonen und Reitergeschwader, der See durch die immer wachsame Flotte der Goten wieder in die verödeten Städte und Häfen der Halbinsel zog, von der Gerechtigkeit und Milde des königlichen Jünglings, von dem Flor seines Reiches, von dem Glanz seines Hofes zu Rom, wo er die aus Flucht und Empörung zurückkehrenden Senatoren um sich versammelte und dem Volke reiche Spendungen und schimmervolle Zirkusfeste gab. Die Könige der Franken erkannten den Umschlag der Dinge, sie schickten Geschenke: - Totila wies sie zurück, sie schickten Gesandte: Totila ließ sie nicht vor. Der König der Westgoten bot ihm offen Waffenbündnis gegen Byzanz und die Hand seiner Tochter; die awarischen und sclavenischen Räuber an der Ostgrenze wurden gezüchtigt: mit Ausnahme der wenigen noch belagerten Plätze, Ravenna, Perusium und einigen kleinen Kastellen, waltete Friede und Ruhe im ganzen Gotenreich, wie nur in den goldensten Tagen von Theoderichs Regiment. Dabei verlor aber der König die Weisheit der Mäßigung nicht. Er erkannte, trotz seiner Siege, die drohende Überlegenheit des oströmischen Reiches und suchte ernstlich Frieden mit dem Kaiser. Er beschloß, eine Gesandtschaft nach Byzanz zu schicken, die den Frieden auf Grund von Anerkennung des gotischen Besitzstandes in Italien anbieten sollte; auf Sizilien, wo kein Gote mehr weilte, - nie waren die gotischen Siedlungen auf dem Eiland zahlreich gewesen - wollte er verzichten; ebenso auf die von den Byzantinern besetzten Teile von Dalmatien, dagegen sollte der Kaiser vor allem Ravenna räumen, das keine Kunst oder Ausdauer der gotischen Belagerer zu gewinnen vermocht hatte. Als den geeignetsten Träger dieser Sendung des Friedens und der Versöhnung faßte der König den Mann ins Auge, der durch Ansehen und Würde der Person, durch hohen Ruhm der Weisheit auch im Ostreich getragen, durch Liebe zu Italien und den Goten ausgezeichnet war - den ehrwürdigen Cassiodor. Obwohl sich der fromme Greis seit Jahren von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte, gelang es der Beredsamkeit des jungen Königs, ihn zu bewegen, für jenen hohen, gottgefälligen Zweck die Einsamkeit seiner Klosterstiftung zu verlassen und die Mühen und Gefahren einer Reise nach Byzanz zu unternehmen. Jedoch unmöglich konnte er dem alten Mann die Last einer solchen Sendung allein aufbürden: er suchte nach einem jugendkräftigen Gefährten von ähnlicher Milde christlicher Gesinnung, nach einem zweiten Apostel des Friedens. - Wenige Wochen nach der Einnahme von Rom trug ein königlicher Bote folgendes Schreiben über die cottischen Alpen in die Provence: «An Julius Manilius Montanus, Totila, den sie der Goten und Italier König nennen. Komm, mein geliebter Freund, komm zurück an meine Brust! Jahre sind verstrichen: viel Blut, viele Tränen sind geflossen: in Schreck und in Freude hat sich mehr als einmal alles um mich her verwandelt, seit ich dir zum letztenmal die Hand gedrückt. Alles hat sich verwandelt um mich her: aber nichts in mir, nichts zwischen dir und mir. Noch verehre ich alle die Götter, an deren Altären wir gemeinsam in den ersten Träumen der Jugend geopfert, sind auch diese Götter mit mir selbst gereift. Du wichest vom italienischen Boden, als Bosheit, Gewalt, Verrat, als alle dunkeln Mächte darauf wüteten. Siehe: sie sind verschwunden, hinweggefegt, hinweggesonnt: fernab ziehen grollend die besiegten Dämonen, ein Regenbogen wölbt sich schimmernd über diesem Reich. Mich aber hat, nachdem bessere Kräfte glücklos, sieglos erlegen, mich hat der Himmel begnadigt, das Ende des furchtbaren Gewittersturmes zu schauen und die Saat zu streuen einer neuen Zeit. Komm nun, mein Julius: hilf mir jene Träume erfüllen, die du dereinst als Träume belächelt. Hilf mir, aus Goten und Italiern ein neues Mischvolk schaffen, das beider Vorzüge vereint, das beider Fehler ausschließt. Hilf mir erbauen ein Reich des Rechts und des Friedens, der Freiheit und der Schönheit, geadelt durch italische Anmut, getragen durch germanische Kraft. Du hast, mein Julius, der Kirche ein Kloster gebaut - hilf mir nun, der Menschheit einen Tempel zu bauen. Einsam bin ich, Freund, auf der Höhe des Glücks. Einsam harrt die Braut der vollen Lösung des Gelübdes entgegen. Den treuen Bruder hat mir der Krieg geraubt. Willst du nicht kommen, mein dioskurischer Bruder? In zwei Monaten warte ich dein im Kloster zu Taginä mit Valeria. Und Julius las, und mit gerührter Seele sprach er vor sich hin: «Mein Freund, ich komme.» * Ehe König Totila von Rom nach Taginä aufbrach, beschloß er, eine Schuld tiefen Dankes abzutragen und ein Verhältnis würdig, das heißt schön, zu gestalten, das bisher seiner nach Harmonie verlangenden Seele nicht entsprach: sein Verhältnis zu dem ersten Helden seines Volkes, zu Teja. Sie waren seit früher Knabenzeit befreundet. Obwohl Teja um mehrere Jahre älter, hatte er doch die Tiefe des Jüngern unter der glänzenden Hülle des Frohsinns von je erkannt und geehrt. Und ein gemeinsamer Zug zum Schwungvollen und Idealen, ja ein gewisser Stolz und Hochsinn hatte sie früh zueinander gezogen. Später freilich hatte entgegengesetztes Geschick die von Anfang verschieden angelegten Naturen weit auseinander geführt. Die sonnenhelle Art des einen war wie blendende Verletzung grell in das nächtige Dunkel des andern gefallen. Und Totila hatte in rascher Jugendlust das Düster des Schweigsamen, das er in seinem Wesen nicht begriff, in seinen Ursachen nicht kannte, nach wiederholten warmen Versuchen der Umstimmung als krankhaft von sich ferngehalten. Des milderen Julius, obzwar auch ernste, aber sanftere Weise, dann die Liebe, hatte den Freund aus der Knabenzeit zurückgedrängt. Aber die letzten reifenden Jahre seit dem mächtigen Blut- und Bruderbund, die Leiden und Gefahren seit dem Tod des Valerius und Miriams, dem Brand von Neapolis, der Not vor Rom, dem Frevel zu Ravenna und Castra Nova und zuletzt die Pflichten und Sorgen des Königtums hatten den Jüngling, den ungeduldig fröhlichen, so voll gereift, daß er dem dunklen Freunde voll gerecht werden konnte. Und was hatte dieser Freund geleistet, seit jener Bundesnacht! Wenn die andern alle müde erlahmten: Hildebads Ungestüm, Totilas Schwung, Witichis' ruhige Stete, selbst des alten Hildebrands eisige Ruhe - zu Regeta, vor Rom, nach Ravennas Fall und wieder vor Rom: was hatte er nicht geleistet! Was schuldete ihm das Reich! Und er nahm keinen Dank. Wie eine Kränkung hatte er es abgewiesen, als ihm schon Witichis die Herzogwürde, Gold und Land bot. Einsam, schweigend schritt er schwermütig durch die Straßen Roms, im Sonnenschein von Totilas Nähe der letzte Schatten. Die schwarzen Augen tief gesenkt, stand er zunächst an des Königs Thron. Wortlos stahl er sich von des Königs Festen. Nie kamen Rüstung und Waffen von seinem Leibe. Nur im Kampfe lachte er manchmal, wann er mit den Tod verachtender oder den Tod suchender Kühnheit in die Speere der Byzantiner sprang, dann schien ihm wohl zu sein, dann war alles an ihm Leben, Raschheit und Feuer. Man wußte im Gotenvolk, zumal Totila wußte es noch aus frühester Jünglingszeit, daß die Gabe des Gesanges in Lied und Wort dem trauervollen Helden eigen war. Aber seit er aus seiner Gefangenschaft in Griechenland zurückgekehrt war, hatte man nie ihn bewegen können, eines seiner glühenden, tief verhaltenen Lieder anzustimmen vor andern. Doch wußte man, daß die kleine dreieckige Harfe seine Begleiterin in Krieg und Frieden war, unzertrennlich wie sein Schwert an ihn gebunden. Und in der Schlacht im Ansturm hörte man ihn wohl manchmal wilde abgerissene Zeilen singen zu dem Takt der gotischen Hörner. Und wer ihn in der Nacht beschlich, die er gern im Freien, zwischen der Wildnis von weißem Marmor und dunklem Gebüsch, in den römischen Ruinen verbrachte, der mochte wohl manchmal eine verlorene Weise seiner Harfe erlauschen, zu der er träumerische Worte sang. Fragte ihn aber einer - was selten gewagt wurde -, was ihm fehle, so wandte er sich schweigend ab. Einmal nach der Einnahme Roms antwortete er Herzog Guntharis auf die gleiche Frage: «Der Kopf des Präfekten.» Der einzige, mit dem er häufiger verkehrte, war Adalgoth, dessen er sich in jüngerer Zeit angenommen. Der junge Hirt war vom König zu seinem Herold und zum Mundschenk erhöht worden, zum Dank für seine kühnen und rettenden Taten bei der Erstürmung des Tiberufers. Er hatte eine starke Anlage zum Singen und Sagen mitgebracht, obzwar mit geringerer Schulung. Teja hatte Freude an seiner Gabe gefunden: und man sagte, er lehre ihn geheim seine überlegne Kunst, obwohl sie zueinander stimmten wie Nacht und Morgenglanz. «Eben drum», hatte Teja gesagt, als ihm sein tapferer Vetter Aligern dies vorhielt. «Und es muß doch noch was übrigbleiben, wenn die Nacht versank.» - Der König fühlte: das einzige, was diesem Mann zu bieten war, hatte er zu bieten, aber nicht Gold, Land und Würden. Eines Abends - schon traten die Sterne aus dem rasch dunkelnden Himmel - machte sich der König auf von dem Abendgelag in seinem Palast (dem Haus der Pincier, in welchem Belisarius gewohnt hatte), ohne Begleitung den scheuen Helden zu suchen in der Wildnis von Gestein und Lorbeer, welche die Gärten des Sallust erfüllten, und wo Teja, wenn er in Rom war, zu hausen pflegte. Adalgoth, der Mundschenk, hatte sich für den Abend Urlaub von des Königs Tafel erbeten: dieser erriet, daß er die dunkelnden Stunden, wie so oft, bei dem dunklen Harfenmeister verbringen werde. Der König wußte daher, er werde Teja in seiner Gartenwildnis finden. Wirklich weilten Lehrer und Schüler diese Nacht unter dem Schatten uralter römischer Pinien und Zypressen, gotische Harfenkunst pflegend. «Nun horch' einmal, Graf Teja», hob der Jüngling an, «was ich da aus deinen neulich angefangenen Zeilen weiter ersonnen habe. Bei dir ist wieder alles so traurig! Das Ende, der hoffnungslose Sprung in den Strom! Ich habe das viel lustiger gewendet.» «Wenn's nur auch so wahr ist.» «Ei, wenn's nur schön ist! Und wahr! Ist denn nur das wahr, was traurig ist?» «Leider: ja.» «Gibt's keine Freude in der Welt?» «O ja! Aber sie währt nicht lang. Der Ausgang ist immer -Untergang.» «Nun, aber doch oft erst recht spät. Und was zwischen Aufgang und Untergang liegt - hat das keinen Wert? Ist's nicht auch ein Gang?» «Ja, es soll sein: Heldengang.» «Nun, so höre nur. Ich habe deinen Aufgang beibehalten: in der Mitte Trauergang: dann Siegesgang. - Aber deinen Untergang hab' ich weggelassen. Bei dir springen sie hoffnungslos in den Iserstrom. Ich aber habe unsern alten Waffenmeister Hildebrand... » - «Wenn er doch endlich Ravenna hätte!» «Und unseren großen König Dietrich als Kind, als geretteten Erben, habe ich ihn hineingebracht. Und das Ganze will ich nächstens bei einem großen Königsfest dem lieben Herrn vorspielen. Aber wohlverstanden: ich hab' es in der neuen Klingweise gesetzt, die du mich gelehrt hast, und die viel mehr das Ohr gewinnt und die Seele befängt, als der alte Stabreim, nach dem unsere Heldengesänge und die Vorzeitsprüche gesetzt sind. Woher hast du nur die Klingweise am Schluß der Zeilen genommen?» «Die Mönche singen so die lateinischen Lieder und die Priester in der Kirche: ich hörte es einmal, abends, im Dämmerlicht in der Basilika Sankt Peters. Die Vorhänge der Kirche waren zurückgeschlagen, das Abendlicht flutete träumerisch herein, die Kerzen am Altar gaben ihren roten Schein dazu, Weihrauchwolken zogen duftend dazwischen, und unsichtbare Priesterknaben sangen mit hellen Stimmen aus der Krypta, wo sie einen Toten bargen. Da zuerst hörte ich den Klang, der gleich ist und doch wieder nicht ganz gleich, und zauberhaft umfing der Wohlklang mein Gehör, und ich versuchte in unsrer Sprache das gleiche nachzubilden, und siehe da: wunderbar gelang es.» «Ja, es passen die Schlußklänge zusammen wie - wie der Helm auf das Haupt - wie das Schwert in die Scheide. Wie Lippe auf Lippe im Kuß.» «Ei, weißt du auch davon schon? Das ist früh!» «Ich habe nur meine schöne Schwester Gotho geküßt», sagte der Jüngling errötend. «Nun, aber der Gleichklang! Für vieles ist er wohl lieblich. Aber du mußt der Väter Weise nicht ganz versäumen: den runenheiligen Stabreim.» «Ja, für manches ist er wie angeboren und viel kräftiger geeignet als der hinschmelzende Klangreim. Weißt du, wenn die Stäbe, die starken, stolz anstimmen, so mahnt es mich mächtig des wehenden Windes, der im Walde durch die Wipfel dahinwogt, beugend und biegend Baum nach Baum.» «Dir, lieber Knabe, hat der Gott des Gesangs wirklich die Lippen berührt. Auch wenn du's nicht weißt und willst, überkommt dich der Schrittgang des Wohllauts, wie die Rede ihn heischt und der Sinn ihn ersehnt. Nun sage: wie lautet mein Lied von der Gotentreue in deiner Verjüngung?» «Ich fange an wie du: Und so fort. Aber wenn sie dann alle verzweifeln und hoffnungslos in den Strom springen wollen, dann kommt bei mir die Hoffnung, die Erlösung, der Blick in die gerettete Zukunft. Nämlich so: - - Soviel vernahm ich von dem Totengesang. - Da weckte mich das Heerhorn der gotischen Wache, die der sorgsame König nachts durch die Straßen ziehen läßt. Du aber merke dir diesen Anfang: vielleicht kommt der Tag, da du's zu Ende singst. Du hast ja in kurzer Zeit soviel gelernt, daß du bald harfenkund'ger und liedkund'ger bist denn ich.» «Wenn du mich nur auch lehren könntest, solche Streiche zu führen wie du.» «Das wächst mit den Jahren, ja mit den Wochen. Du hast genug getan für deine siebzehn Jahre. Wäre dem wackern Witichis ein Helfer zur Seite gesprungen, ehe der römische Dichter den Stein auf ihn warf im Grab Hadrians, wie du dem Maienkönig Totila den von dem gleichen Mann drohenden Stoß hast abgewehrt, so hätten wir damals schon Rom gewonnen und den Präfekten verjagt, der uns leider entkam.» «Ja, leider! Weißt du: das Abenteuer, das mir in jener Nacht aufgestoßen, in des Präfekten Hause, das schwebt mir schon lang in Gedanken. Das gäbe ein wunderbares Lied - fehlt leider nur der Schluß.» «Warte nur. Vielleicht erlebst du ihn. Dann brauchst du ihn nicht zu erdichten. Übrigens zog ich schon am Morgen nach jener Siegesnacht in des Präfekten Haus zur Verfolgung der flüchtigen Legionäre aus. Ich weiß daher gar nicht, wie alles kam. Erzähle mir.» Zweites Kapitel «Nun, so höre. Nachdem ich den Präfekten nicht am Tiber und nicht am Kapitol gefunden, suchte ich ihn mit dir an seinem Herd. Und fand nur seines Blutes Spur und sein Schwert. Als du aber seinen Götzen zertrümmert und sein Haus verbrannt und alles zusammenbrach, bis in die Kellergewölbe, da fand ich, nachspürend, in dem Gebälk unter dem Sockel der Marmorstatue abermals einen hohlen Raum: mit Gold, Gestein und allerlei Geschreibsel angefüllt. Ich brachte das Ganze auf einem breiten Schild dem König. Und der ließ seine Buchleser darin forschen und wühlen und las selbst darin. Und rief plötzlich: Und wie ich zogen die Königsherolde durch alle Straßen und Städte Italiens, rufend und forschend nach Herzog Alarich, dem Balten, und seinem echten Erben. Und weißt du: es wäre doch wunderschön, wenn sie den verschollnen, landflüchtigen, alten Mann irgendwo fänden und wir ihn wieder mit Glanz und Ehren einführten in sein schönes Herzogtum.» «Und da er dem Hirtenknaben die Rettung seiner Ehre, seines Rechts verdankt, - dürfte er ihm wohl schenken ein schönes Schloß, etwa am blauen Meer, am Berge Carganus, nicht wahr, unter Lorbeer und Myrten?» «Nein, daran hab' ich noch nicht gedacht.» «Aber schwerlich lebt er noch, der alte Herzog.» «Nun, dann finden wir vielleicht den jungen. Herzog Guntharis sagte mir, er habe den hohen Baltenhelden noch wohl gekannt: der sei mit einem Knäblein in das Elend gegangen. Und obwohl sein Haus, die Wölsungen, mit den Balten erblichen Hader hegte, müsse er doch sagen: er habe nie an die Schuld des stolzen Mannes geglaubt, der ein Hauptfeind der Welschen war und ihnen lang ein Dorn im Auge. Und nie habe er ein schöner Kind gesehen, als jenes vierjährige Knäblein. Ich muß nun immer nachdenken: wo der wohl hingekommen sein mag? Und wie der staunende Augen machen wird, wenn er, der vielleicht in irgendeiner kleinen Stadt sich verborgen hält, unter falschem Namen, - denn die Verbannung traf bei Todesstrafe das ganze Geschlecht - wenn der den Königsherold durch die Straßen seine Berufung zum goldnen Reif des Herzogs von Apulien künden hört. Das gäbe gar einen schönen Schluß zu einer oder . Was meinst du? : es klingt nicht übel!» «Bei dir klingen alle Lieder glücklich aus!» «Nun aber sage mir noch den Anfang des andren Gesanges, den du selbst, erwacht von jenem Traumgesicht, gesetzt.» «Ja, denn das Totenlied, das hab' ich nur im Traum gehört, nicht selbst ersonnen. Aber nach dem Erwachen führte ich mir jene wohlbekannte Landschaft vor Augen am Vesuvius, gerade gegenüber dem Mons Lactarius, dem Milchberg: eine wunderbare Felsenschlucht, gebildet von dem Auswurf des Feuerbergs: kaltgewordnes schwarzes Feuer. Steil ragen die Schroffen: nur ein schmaler Zugang, den ein Mann mit einem Schilde leicht versperren und stundenlang verteidigen könnte wider jede Übermacht... » «Du denkst bei jedem Berg und Tal gleich, wie man sie stürmen und verteidigen mag.» «Und da kamen mir von selbst die Worte: » - - Und er griff auf der Harfe langsam einige Akkorde: -Adalgoth antwortete, leise, wie das Echo. Diese Töne waren es, die König Totila als unsichtbare Wegführer heranleiteten. In dicht verwachsenen Pfaden folgte der König nun den Klängen, die aus dem Dunkel einer Zypressengruppe her, leise in unregelmäßigen Zwischenräumen, unterbrochen von halb gesungenen, halb gesprochnen Worten, von zwei deutlich unterscheidbaren Saiteninstrumenten ausklingend, vom Nachtwind ihm zugetragen wurden. Unbemerkt war Totila, auch von dem sanften Mondlicht nicht verraten, durch die zerfallnen Mauern, welche die weitläufigen Anlagen umgeben, in die halb verwilderten Lorbeer- und Zypressengänge gelangt, die in das Innere der Gärten führten. Teja vernahm die Schritte des Nahenden und legte die Harfe nieder. «Es ist der König», sagte er: «ich kenne seinen Gang. Was suchst du hier, mein König?» «Ich suche dich, Teja», antwortete dieser. Teja sprang auf von der gefallnen Säule, darauf er saß. «So geht's zum Kampf?» «Nein», sagte Totila, «doch verdien' ich diesen Vorwurf.» Er faßte ihn bei der Rechten und zog ihn liebevoll wieder auf den Marmorsitz, sich neben ihn niederlassend. «Ich suche nicht dein Schwert, ich suche dich. Ich brauche dich, aber nicht deinen Arm: - dein Herz. Nein, bleibe nur, Adalgoth: du darfst und sollst es hören, wie man den stolzen Mann, lieben muß.» «Das weiß ich, seit ich ihn gesehen. Er ist wie der Dunkelwald, durch dessen Wipfel geheimnisvolles Rauschen geht: voll Schauer und voll Reiz zugleich.» Teja heftete einen langen Blick auf den König aus seinen großen, traurigen Augen. «Sieh, mein Freund, soviel ist mir geworden, so Reiches hat der gnädige Himmelsgott mir zugewendet! Ein halbverlornes Reich hab' ich zurückgewonnen: - soll ich nicht auch zurückgewinnen können des Freundes halbverlornes Herz? Freilich: der Freund hat das Beste getan bei der Wiedergewinnung des Reichs: - er muß auch hier das Beste tun. Was hat mir dein Herz entfremdet? Verzeih mir, wenn ich, wenn mein strahlendes Glück dich gekränkt. Ich weiß, wem ich die Krone danke: und ich kann sie nicht mit Freude tragen, wenn nur dein Schwert, nicht auch dein Herz mein eigen. Wir waren Freunde, Teja, ehedem - o laß uns wieder Freunde sein, denn ich kann dich nicht entbehren.» Und er wollte den Arm um seinen Nacken schlingen. Aber Teja faßte seine beiden Hände und drückte sie. «Dieser nächtige Gang ehrt dich mehr als dein Siegesgang durch Italien. Die Träne, die ich in deinem Auge zittern sah, ist mehr wert als die edelste Perle deiner Krone. Vergib du mir: ich hatte dir Unrecht getan. Das Glück und dein helles fröhliches Blut haben doch deinem Herzen nicht geschadet. Ich habe dir nie gezürnt: ich habe dich stets geliebt, und mit Schmerzen hab' ich's empfunden, wie unsere Wege immer weiter auseinander gingen. Denn im Grunde gehörst du doch zu mir: näher als zu dem wackeren Witichis: näher als zu dem leiblichen Bruder.» «Ja, ihr gehört zusammen», sprach Adalgoth, «wie Licht und Schatte.» «Wir empfinden gleich rasch, gleich feurig», sagte der König. «Wenn Witichis und Hildebad», fuhr Teja fort, «den geraden Heerweg gingen mit stetem Schritt - uns beide will der ungeduldige Schwung stets wie mit Flügeln durch die Lüfte tragen. Und weil wir so zusammengehören, darum schmerzte es mich, daß du in deinem sonnigen Glück zu glauben schienst: jeder, der nicht lachen könne wie du, sei ein kranker Tor. O mein König und mein Freund, es gibt Geschicke, Schmerzen und Gedanken - wer die einmal getragen, empfunden und gedacht, der hat des Lächelns holde Kunst für immerdar verloren.» Totila sprach voll ernster Achtung: «Wer so heldenstark wie du jeder höchsten Lebenspflicht genügt, den darf man beklagen, aber nicht schelten, wenn er des Lebens Freuden stolz verschmäht.» «Und du hast geglaubt, ich grolle deinem Glück oder deiner heiteren Art? O Totila, nicht Groll, ach Wehmut ist's, mit der ich dich und deine Art betrachte. Wie uns ein Kind zu Wehmut rühren kann, das da wähnt, Sonne, Lenz und Leben währen ewig, und Winter, Nacht und Tod nicht kennt. Du vertraust dem Sieg und Glück des Freud'gen in der Welt. Ich aber höre stets den Flügelschlag des Schicksals, das, erbarmungslos und taub für Fluch, Gebet und Dank, dahinrauscht über die Scheitel der Menschen und ihre Werke.» Und er blickte vor sich hin in die Nacht, als erspähe er den Schatten der heran schreitenden Zukunft. «Ja, ja», sagte der junge Mundschenk, «ähnlich lautete ein alter Spruch, den Iffa auf dem Berge sang, er hatte ihn vom Oheim Wargs gelernt: «Aber», fragte der Jüngling nachdenklich, «wenn wir mit bester Kraft das Unvermeidliche nicht wenden mögen, warum regen wir denn überhaupt die Hände? Warum erwarten wir dann nicht in dumpfem Brüten, was da kommt? Worin ist dann der Unterschied gelegen zwischen Held und Feigling?» «Nicht im Sieg ist er gelegen, mein Adalgoth! In der Art des Ringens und Tragens! Nicht die Gerechtigkeit entscheidet die Geschicke der Männer und Völker, sondern die Notwendigkeit. Oft schon ist der bessere Mann, das edlere Geschlecht dem Gemeineren erlegen. Wohl ist auch Edelsinn und Edelart eine Gewalt. Aber sie sind nicht immer stark genug gegen die Übermacht anderer dumpfer Gewalten. Edelsinn und Edelart und Heldentum kann immer den Untergang weihen, verherrlichen, nicht aber immer ihn wenden. Und nur das ist der letzte Trost: nicht was wir tragen, wie wir's tragen verleiht die höchste Ehre, und oft gebührt der Lorbeer nicht dem Sieger, mehr dem besiegten Helden.» Der König stützte sich nachdenklich auf sein Schwert und sah zur Erde. «Wieviel mußt du gelitten haben, Freund», sprach er dann innig, «bis du zu solch schwarzem Irrtum gelangt bist! Du hast ja deinen Gott im Himmel verloren! Mir wäre das viel ärger, als hätte ich die Sonne am Himmel eingebüßt, - als wäre ich erblindet. Ich könnte nicht mehr atmen, ich könnte nicht mehr glauben an den gerechten Gott, der vom Himmelstore aus herabschaut auf die Taten der Menschen, und der die reine, gute Sache zum Siege führt.» «Und König Witichis, was hatte er verbrochen, der Mann sonder Mal und Makel? Und ich selbst und»... er schwieg. «Dein Leben ist mir verhüllt seit unserer Trennung in frühester Jünglingszeit» - «Genug davon für heut'», sprach Teja, «Mehr hab' ich diese Nacht von tief Innerem aufgedeckt als sonst in Jahren. Es kommt wohl noch die Stunde, aufzudecken, was ich erlebt und gedacht. Ich möchte», sagte er, über Adalgoths Locken streichend, «dem jüngsten und besten Sänger unseres Volkes nicht zu früh den hellen Ton seiner Saiten verdüstern.» «Wohl», sprach der König, aufstehend. «Dein Schmerz ist mir heilig. Aber ich bitte, laß uns die erneute Freundschaft pflegen. Ich gehe morgen nach Taginä zu meiner Braut. Begleite mich -: wenn dich's nicht kränkt, mich glücklich zu sehn mit einer Römerin.» «O nein - es rührt mich - es mahnt mich an... - Ich gehe mit dir.» - Drittes Kapitel Bald darauf traf der König mit Graf Teja, Adalgoth und zahlreichem Gefolge in dem Städtlein Taginä ein, oberhalb dessen sich auf steiler, dichtbewaldeter Felshöhe das Kloster der Valerier erhob, in welchem Valeria noch immer ihren Aufenthalt fortsetzte. Der Ort hatte seine Schauer für sie verloren, nicht nur durch äußere, durch innere Gewöhnung: ihre Seele geriet widerstrebend, aber sicher, unter die Einflüsse der ernsten Mächte dieser Stätte. Als sie dem König bei dessen Eintritt in den Klostergarten entgegenkam, schien ihm ihre Farbe viel bleicher, ihr Gang viel langsamer als sonst. «Was ist mit dir?» schalt er zärtlich. «Als unser Gelübde fast nicht mehr erfüllbar schien, da hieltest du Mut und Hoffnung hoch. Und nun, da der Geliebte die Krone dieses Reiches trägt und fast nur in einer Stadt noch der Feind den Boden Italiens tritt, jetzt willst du sinken und verzagen?» «Nicht verzagen, Freund», sprach Valeria ernst. «Aber entsagen. Nein, höre mich nur in Geduld. Weshalb verschwiegst du mir, was ganz Italien von seinem König weiß und wünscht? Der König der Westgoten zu Toledum hat dir sein Waffenbündnis gegen Byzanz und seiner Tochter Hand geboten. Das Reich wünscht und erwartet, daß du beides annimmst. Ich will nicht selbstischer sein, denn jene hochgesinnte Tochter eures Volks, Rauthgundis, des Bergbauern Kind, von der schon eure Sänger singen und sagen auf den Straßen. Und ich weiß: auch du kannst Opfer bringen, wie jener schlichte Mann, der euer glückloser König war.» «Ich hoffe, daß ich's könnte, müßt' es sein. Zum Glück aber muß es nicht sein. Ich brauche fremde Hilfe nicht. Blick' um dich. Oder vielmehr blick' einmal hinaus über diese Klostermauern. Nie hat das Reich geblüht wie jetzt. Noch einmal biete ich dem Kaiser die Hand zum Frieden. Weist er sie abermals zurück, dann entbrennt ein Kampf, wie er ihn noch nicht gesehn. Bald muß Ravenna fallen: - wahrlich, meine Macht und mein Mut sind nicht zum Entsagen angetan. Die Luft in diesen Mauern hat endlich deine feste Kraft erweicht. Du sollst mir fort von hier: - wähle dir die schönste Stadt Italiens zum Aufenthalt: - laß uns dein Vaterhaus in Neapolis erneuern.» «Nein. Laß mich hier. Ich liebe nun diesen Ort und seine Ruhe.» «Es ist die Ruhe des Grabes! Und weißt du wohl, daß dir entsagen dem Gedanken meines Lebens entsagen hieße? Du bist mir das lebendige Sinnbild all meiner Pläne, du bist mir Italia selbst. Du sollst des Gotenkönigs eigen werden: völlig, unentreißbar. Und Goten und Italier sollen sich ihren König und ihre Königin zum Vorbild nehmen: sie sollen eins und glücklich werden wie wir. Nein - keinen Einwand - keinen Zweifel mehr! So erstick' ich ihn.» Und er umarmte und küßte sie. * Einige Tage darauf traf Julius Montanus, von Genua und Urbinum her, ein. Der König ging ihm mit seinem Gefolge vor dem Klostergarten entgegen. Lange hielten sich die Freunde sprachlos umfangen. Teja stand an ihrer Seite und betrachtete sie mit ernstem Blicke. «Herr», flüsterte Adalgoth, «wer ist der Mann mit den tiefliegenden Augen. Ein Mönch?» «Innerlich, nicht von außen!» «Ein so junger Mann mit dem Blick des Alters. Weißt du, wem er gleich sieht? Dem Bilde dort auf Goldgrund in dem Klostergang.» «Jawohl: dem sanften, traurigen Haupte dort, dem Apostel Johannes.» «Dein Brief», sprach Julius, «fand mich schon entschlossen, hierher zu kommen.» «Du wolltest mich - Valeria - suchen?» «Nein, Totila: ich kam, mich prüfen und weihen zu lassen von Cassiodor. Der fromme und heilige Mann, der unser Jahrhundert mit seinen Wundern erfüllt, Benedikt von Nursia, hat ein Kloster gegründet, das mich mächtig anzieht.» «Julius, das darfst du nicht! Welch ein Geist der Flucht aus der Welt hat meine Nächsten ergriffen. Valeria: - du: und Teja.» «Ich fliehe nichts», sagte dieser, «nicht einmal die Welt.» «Wie kommst du», fuhr der König fort, den Freund am Arme gegen den Eingang des Klosters führend, «In der Blüte der Jahre zu diesem Gedanken des Selbstmords? Siehe, dort naht Valeria. Sie muß mir helfen, dich bekehren. O hättest du je die Liebe gekannt - du würdest nicht der Welt den Rücken wenden.» Julius lächelte und schwieg. Ruhig faßte er Valerias freudig gebotene Hand und schritt mit ihr in die Klostertür, wo ihnen Cassiodor entgegenkam. - Nur mit Mühe gewann die Beredsamkeit des Königs dem Freunde das Versprechen ab, nach einigen Tagen den greisen Cassiodor nach Byzanz zu begleiten. Julius scheute den Glanz, den Lärm, die Sünde des Kaiserhofs, bis endlich das Beispiel Cassiodors ihn überwand. «Ich meine», schloß der König, «man kann in der Welt mehr gottgefällige Werke tun als im Kloster. Ein solches frommes Werk ist diese Gesandtschaft, die zwei Reichen neuen Krieg ersparen soll.» «Gewiß», sagte Julius. «Der König und Held kann Gott dienen wie der Mönch. Ich tadle deine Art des Dienstes nicht: -laß mir die meine. Und mir ist: diese unsre Zeit, da eine alte Welt unter schweren Schauern versinkt und eine neue unter rauhen Stürmen aufsteigt, da alle Laster des verfaulten Heidentums mit aller Wildheit der Barbaren sich vermischen, da Üppigkeit, Fleischeslust und blut'ge Gewalt das Morgen- und das Abendland erfüllen, da ist es wohlgetan, weltferne Stätten zu gründen, wo Armut, Reinheit und Demut wohnen dürfen.» «Mir aber scheinen Pracht, Liebesglück und freudiger Stolz keine Sünde vor dem Himmelsgott. Was meinst du von unsrem Streit, Freund Teja?» «Er hat keinen Sinn für mich», sprach dieser ruhig. «Denn euer Gott ist nicht der meine.» * Am Abend vor der Abreise der beiden Gesandten nach Firmum, wo sie sich nach Byzanz einschiffen sollten, führte Cassiodor die Freunde noch nach einer Kapelle, die er, dicht bei dem Kloster, auf der gerade gegenüber ragenden hohen Felskuppe des nämlichen Berges erbaut hatte. «Es wird dir dort gefallen, mein Totila», hatte Valeria gesagt. Vor Sonnenuntergang gerade erreichten die Freunde den Gipfel des einsam ragenden, runden Felskopfes. Dieser, mitten in dem Hügelgrund zu steiler Höhe aufsteigend, gewährte den freiesten Anblick über das blühende picentinische Land. Im Norden und Osten begrenzten den Blick die prachtvollen Terrassen des Apennins mit jenen klassischen, stilvollen, großartig ruhigen Formen, wie sie nur der italischen Landschaft eigen. Im Westen schimmerte im Glanz der sinkenden Sonne, wie ein kostbarer goldner Gürtel, durch das Grün der Gefilde der Fluß Clasius, in welchen hier die beiden kleineren, Sibola und Rasina, münden. Im Süden glänzte aus den Bergen von Nuceria her der Tiniafluß durch üppiges Gelände. Denn unter diesem lachenden Himmel hatte eine reiche Ernte - das Wunderjahr Totilas - die Spuren der früheren Verwüstung und Verödung rasch und völlig verwischt: viele Hunderte von weißen Marmorvillen, von Schlössern, von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden lauschten aus dem Dunkelgrün des Lorbeers, aus dem Silbergrau der Oliven, aus dem endlosen Gerank der Reben. Ein uralter Wartturm, vielleicht aus römischer Zeit, ragte an dem Südabfall des Hangs: dessen Gemäuer sowie der ganze Hügelrücken war von Efeu, Feigen, Wein, Kastanien in reizender Verwilderung überzogen. Die Sonne aber, die nun rasch versank, warf ein glühendes, dunkelrotes Licht, warf einen Purpurmantel über die weite Ebene, indes auf den fernen Höhenzügen, den plastisch klaren, dem Terrassenbau der italischen Natur, eine violette Duftschicht lag. Überrascht, geblendet standen alle. Niemand fand Worte für so viel Schönheit. «So was dergleichen ahnte ich in Italia», flüsterte Adalgoth zu Graf Teja, «wann ich vom Iffinger oder gar von der Mentula gen Südwesten sah. Aber es ist doch viel schöner, als ich geträumt.» Der König aber rief: «Und hab' ich nun nicht recht, Teja, daß ich dies Land liebe wie eine Braut? Daß ich es unserm Volk erhalten will um jeden Preis? Wahrlich, dieser Ort ist die beste Rechtfertigung meines Trachtens! Himmlische Lüfte! Goldenes Licht umschweben die Stätte! - -» Und mit lebhaftem, gerührtem Blick fuhr er fort: «Ja hier, ihr Freunde, hier Cassiodor, will ich dereinst begraben sein!» Und er legte die Rechte auf einen uralten mächtigen Sarkophag von verwittertem, dunklem Marmor, der Deckel desselben lag zerbrochen daneben auf der Erde: wild wuchernder Efeu hatte das Innere des Sarges ganz erfüllt. «Welch schönes Zusammentreffen», sprach Cassiodorus ernsthaft. «Weißt du, wie dieser Ort seit alters heißt? Spes bonorum, . Und weißt du, wer, der Sage nach, in diesem Sarge geruht? Ein anderer weiser, mildseliger Friedensfürst: ursprünglich wohl ein uralter tuskischer König, später hat die Sage des Landvolks Numa Pompilius, den Gütigen, daraus gemacht. Ein uraltes Heiligtum des Friedens, eine Stätte des Segens und der Zuflucht haben schon die Heiden hier verehrt: Meine neugebaute Kapelle habe ich bei dem Ausbruch des Krieges Emanuel dem Friedensgott geweiht. Höchste Ehre würde es meiner kleinen Kapelle, wolltest du, Friedenskönig, sie zu deiner Ruhestätte wählen.» «Nein», rief Totila, «vergib mir, ehrwürdiger Vater! Nicht in der dumpfen Krypta deines Baues, - hier, unter dem blauen Dach des ausonischen Himmels, hier will ich ruhn», - und er schlug auf den Sarkophag. «Auf dieser lichten Höhe, umspült vom goldnen Licht, überragt von nickendem Lorbeer, unter der Vögel süßem Gesang. Ich werde mich wohl vertragen mit den Mannen des Friedenskönigs. Hört, ihr meine Freunde, das ist mein Wille. Höre du zumal: dessen Jugend uns alle überleben muß, Adalgoth, mein Liebling!» «Wer denkt an die Nacht bei heller Mittagssonne!» rief Adalgoth. «Die Ahnungsvollen», sagte Teja. «Seht, wie rasch die Sonne verschwand und ihr warmes, freudiges Goldlicht. Eine Purpurdecke, wie ein rotes, blutiges Leichentuch, deckt schon das Tal von Taginä. Und die veilchenblauen Schatten sind schon kaltes Schwarz geworden und fallen plötzlich herein! So rasch! Und rascher noch, als in diesem Land die Nacht, bricht ein, in allen Ländern, das Schicksal und der Tod.» Viertes Kapitel An dem gleichen Abend, da Adalgoth im Gefolge des Königs die Sonne sinken sah über das mittelitalische Land auf der Spes bonorum, stand auch in schimmervollem Sonnenuntergang auf dem Südabhang des Iffingerberges auf ihren Stab gelehnt Gotho, die Hirtin. - Um sie her hüpften und weideten die Schafe und drängten sich allmählich müde zusammen um die Hüterin, der Heimkehr nach dem Sennhaus gewärtig und begierig. Aber sie harrten und blökten umsonst. Denn das schöne Kind beugte sich von moosigem Stein an dem Rand des silberklaren Gebirgsquells emsig vor: in ihrer Lederschürze lagen gehäuft die schönen, würzig duftenden Blumen der Berghalde: der Thymian, die Wegrose, die Minze, die am feuchten Saume des Rinnsals sprießt, und der tiefblaue Enzian. Und sie sann und sprach mit sich selbst und mit ihren Blumen und den hurtig enteilenden Wellen. Und sie warf die Blumen in den rinnenden Quell: bald einzeln, bald kleine Sträuße und halbfertige Kränze. - - «Wie viele», sagte das Kind vor sich hin in die Wellen und warf die langen, gelben Zöpfe über die Schultern, «wie viele von euch hab' ich schon ausgesendet, ihn zu grüßen! Denn nach Süden ist er gezogen, und nach Süden hinab rinnen diese schnellen Wasser. Aber ich weiß nicht, ob ihr's bestellt: - denn er ist immer noch nicht heimgekommen. Ihr aber, wie ihr euch hebt und senkt im Tanz der Wellen, ihr winket mir, euch zu folgen. Ja, wer euch folgen könnte! Oder den Fischlein, die da hinabschießen wie dunkle Pfeile! Oder den flinken Bergschwalben, die durch die Luft schwirren, frei wie die Gedanken! Oder den rotbeschwingten Abendwolken, wenn sie der Bergwind rasch gen Süden trägt! Aber am sichersten fände ihn freilich das Herz der Sucherin selber, dürft' ich, die Halde verlassend, ihm folgen ins ferne, ins sonnige Land. - - Jedoch was sollte ich da unten? Die Hirtin unter den Männern des Krieges, unter den klugen Frauen des Hofs! Und ich seh' ihn ja doch wieder! So sicher ich die Sonne doch wiedersehe, ob sie verschwand hinter jenen Bergen. Man weiß, man sieht sie wieder. Und dennoch: - Sehnsucht füllt die Zeit von ihrem Scheidestrahl bis zu ihrem Wiedergruß.» Da tönte vom Sennhaus her ein weit vernehmlicher, rauher Schall: ein Stoß in das gewundne Widderhorn. Gotho sah auf: es war dunkler geworden, sie sah schon durch die offne Tür das rote Herdfeuer glühn. Die Schafe erwiderten das wohlbekannte Zeichen mit lauterem Blöken, die Köpfe gegen das Sennhaus und die Ställe reckend. Der braune, zottige Hund sprang bellend, mahnend an ihr hinauf. «Ich gehe schon», lächelte sie, die Mahner beschwichtigend. «Ach, eher werden die Schafe der Weide satt, als die Schäferin ihrer Gedanken. Nun vorwärts, Weiß-Elbchen! Jetzt bist du schon stattlich!» Und sie schritt den Hang hinab, der Talmulde zwischen den beiden Berghäuptern zu, in der das Haus und die Ställe Schutz fanden vor Wind und Lawinen. Hier blendete nicht mehr der Glanz der Sonne. Schon wurden die Sterne sichtbar. Sie sah innig zu ihnen hinauf. «Sie sind so schön, weil er so oft sie anblickt.» Da schoß ein Stern und fiel rasch gegen Süden. «Er ruft mich! Dorthin», sprach Gotho zusammenbebend. «Wie gern würd' ich ihm folgen!» Und rascher trieb sie die Schafe an, versorgte sie in dem Stalle und schritt in das große, einzige Gemach des Erdgeschosses im Wohnhaus. Da fand sie den Großvater Iffa ausgestreckt auf dem Steinsims nahe an dem Herdfeuer, die Füße zugedeckt mit zwei großen Bärenfellen. Er sah bleicher und älter als sonst aus. «Setze dich hier neben mich, Gotho», sagte er, «und trink, hier ist Milch mit Honig gemischt, und höre mir zu. Die Zeit ist nun gekommen, von der ich dir lange gesagt. Wir müssen scheiden. Ich fahre heim. Vor meinen müden, alten Augen flimmert kaum noch trüb dein liebes Angesicht. Und als ich gestern noch selbst zum Quell hinuntersteigen wollte, Wasser zu schöpfen, brachen mir die Knie. - Da spürte ich: es ist nahe. Und ich schickte den Gaisbuben hinüber nach Teriolis mit Botschaft. Du aber sollst nicht zugegen sein, wann die Seele aus des alten Iffa Munde fährt. Es ist nicht schön, das Menschensterben - ich meine den Strohtod. Und du hast noch nichts Trauriges gesehn. Der Schatten soll nicht fallen auf dein junges Leben. Morgen vor Hahnenkraht kommt der tapfre Hunibad herüber von Teriolis, dich abzuholen er hat mir's zugesagt. Zwar noch nicht sind seine Wunden ausgeheilt: - er ist noch schwach - aber er sagt, es läßt ihn nicht mehr in Muße liegen, da, wie es heißt, der Kampf bald wieder losgeht mit den Feinden. Er will zu König Totila nach Rom. Und dahin mußt auch du mit wichtiger Botschaft. Und er soll dein Wegschirmer und Wegführer sein. Binde feste Sohlen aus Buchenrinde unter deine Füße: denn weit ist dein Weg. Und Brun, der Hund, mag euch beide begleiten. Und nimm die Tasche dort aus starkem Ziegenleder, darin sind sechs Goldstücke noch von Adalgoths - von eurem Vater. Sie sind Adalgoths, - aber du darfst schon davon gebrauchen - sie werden reichen bis Rom. Und nimm dir ein Bündel duftigen Bergheus vom Iffinger-Hang mit und lege nachts den Kopf darauf, so wirst du besser schlafen. Und hast du nun Rom gefunden und das goldene Haus des Königs darin, und trittst du ein in seinen Saal, so siehe, welcher der Männer einen goldnen Reif um die Stirne trägt und von wessen Brauen es milde niederglänzt wie Morgenlicht von den Berghöhen: - der ist dann König Totila. Und dann beuge das Haupt vor ihm, - aber nur ein wenig, und nicht die Knie: denn du bist eines freien Goten freies Kind. Und dann übergibst du dem König diese Rolle, die ich hier seit vielen Sommern getreulich verwahrt: - sie ist von Oheim Wargs, den der Berg begraben hat.» Und der Alte hob einen Ziegel aus dem steinernen Unterbau, der den Herdsockel mit dem hart gestampften Erdboden verband, und holte aus dem dunkeln Raum eine Papyrusrolle hervor, die, sorgfältig verschnürt und versiegelt, in ein gleichfalls beschriebenes und mit seltsamen Siegeln darüber gefestigtes Pergament geschlagen war. «Hier», sagte er, «dies Geschreibsel wahre gut. Dies Äußere, was da auf der Eselhaut steht, das hab' ich dem langen Hermegisel drüben in Majä, der schreiben kann, vorgesprochen, zu schreiben. Er hat mir geschworen, davon zu schweigen, und er hat's gehalten. Nun kann er gar nicht mehr reden unter dem Kirchengang hervor, wo sie ihn begraben. Du aber und Hunibad - ihr könnt nicht lesen. Und das ist gut. Denn gefährlich könnt' es werden für dich und - einen andern, wenn früher, bevor der milde und gerechte König Totila davon erfährt, die Leute erführen, was die Rolle da weiß. Zumal vor den Welschen birg die Rolle. Und frage in jeder Stadt, wo du einziehst, ob sie berge Cornelius Cethegus Cäsarius, den Präfekten von Rom. Und sagen die Torwächter ja, - dann wende dich auf dem Absatz und, wie müde du bist und so spät schon die Nachtstunde oder so glühheiß der Mittag, - wandre davon, bis du drei Wasser zwischen dir hast und dem Mann Cethegus. Und nicht minder als dies Geschreibsel - du siehst, ich drückte statt des Siegels Baumharz darauf, wie es aus den Tannen träuft, und unsre Hausmarke ritzt' ich drein, wie sie unser Vieh und unsre Fahrnis trägt - nicht minder wahre dies alte, teure Gold.» Und er langte aus dem Hohlraum die Hälfte eines breiten Goldreifs, wie sie die Gotenhelden um die nackten Arme trugen. Ehrfurchtsvoll küßte er das Gold und die unvollständige Runenschrift darauf. «Das stammt noch von Theoderich, dem großen König, und von ihm - meinem teuren Sohne Wargs. Merke: - das gehört Adalgoth. Und ist sein allerbestes Erbe. Die andre Hälfte des Ringes - und des Spruches darauf - hab' ich dem Knaben mitgegeben, da ich ihn fortgesandt. Und hat der König das Geschreibsel gelesen, und ist Adalgoth in der Nähe, -wie er sein muß, wenn er meine Gebote befolgt - dann rufe, Adalgoth herbei, und füget Halbring an Halbring und heischet des Königs Spruch. Er soll klug und klar und mild und alldurchschauend sein, wie der Sonnenschein. Er wird den rechten Spruch finden. Findet er ihn nicht, dann findet ihn keiner. Nun lege mir noch einen Kuß auf jedes meiner sehemüden Augen. Und nun gehe bald zum Frühschlaf. Und der Himmelsfürst und alle seine lichten Augen, Sonne, Mond und Sterne, mögen schauen auf deinen Weg. Und hast du Adalgoth gefunden, und lebst du mit ihm in den kleinen Gemächern der dumpfen Häuser, in den engen Städtestraßen, und wird es euch dort unten zu klein und zu dumpf und zu eng, - dann denkt an eure Kindertage hier auf dem hohen Iffing. Und es wird euch anwehn wie frische Bergluft.» Schweigend, ohne Widerrede, ohne Furcht, ohne Frage hörte und gehorchte das Hirtenkind. «Fahr wohl, Großvater!» sagte sie, ihn auf die Augen küssend. «Dank für viel Lieb' und Treue.» Aber sie weinte nicht. Sie wußte nicht, was Sterben ist. Und sie trat von ihm weg auf die Schwelle des Sennhauses: und sie blickte hinaus in die nun tiefernst gewordne Berglandschaft. Klar war der Himmel, die Gipfel der Berge ringsum glänzten im Mondlicht. «Lebt wohl», sprach sie, «du Iffinger und du, Wolfshaupt! Und du, alter Riesenkopf! Und du da drunten, hell aufschimmernde Passara! Wißt ihr's schon? Morgen gehe ich von euch allen. Aber ich gehe gern. Denn ich gehe zu ihm!» Fünftes Kapitel Und nach vielen Wochen kamen Cassiodor und Julius zurück von Byzanz und brachten - keinen Frieden. Cassiodor ging sogleich nach der Landung zu Brundisium, welt- und wegemüde, in sein apulisch Kloster, Julius allein die Berichterstattung an den König in Rom überlassend. Totila empfing ihn auf dem Kapitol, im Beisein der ersten Heerführer. «Anfangs», erzählte dieser, «waren die Aussichten günstig genug. Der Kaiser, der früher gotische Gesandte von Witichis gar nicht vor sein Angesicht gelassen, konnte dem größten Gelehrten des Abendlandes, konnte Cassiodors Weisheit, Frömmigkeit und Milde seinen Palast nicht verschließen. Wir wurden ehrenvoll und freundlich empfangen. Gewichtige Stimmen, so Tribonianus und Prokopius, sprachen für den Frieden im Rate des Imperators, der selbst dazu geneigt schien. Seine beiden großen Feldherrn, Narses und Belisar, beschäftigten zugleich an verschiedenen Punkten der stets bedrohten Ostgrenze des Reichs die Kämpfe mit Persern und mit Sarazenen. Die Unternehmungen in Italien und Dalmatien aber hatten so große Opfer gekostet, und so lange Zeit gewährt, daß dem Kaiser der Gotenkrieg verleidet war. Zwar gab er den Gedanken der Wiedergewinnung Italiens wohl schwerlich ganz auf. Aber er erkannte die Unmöglichkeit der Durchführung für die nächste Zukunft. Er ging daher gern auf die Friedensverhandlungen ein und nahm unsere Vorschläge zur Erwägung entgegen: ihm schwebte zunächst freilich noch, wie er uns sagte, eine vorläufige Teilung der Halbinsel bis an den Padus vor: das weitaus größte Stück des Landes im Süden dieses Flusses sollte dem Kaiser, das Gebiet im Norden den Goten zufallen. Mit guten Aussichten hatten wir eines Mittags den Kaiser und den Palast verlassen. Die Audienz war günstiger ausgefallen als alle früheren. Aber am Abend des gleichen Tages wurden wir überrascht durch den Curopalata Marcellus, der uns von den Palastsklaven die üblichen Abschiedsgeschenke überreichen ließ: - das unverkennbare Zeichen des Abbruchs der Verhandlungen. Bestürzt über diese plötzliche Wendung», fuhr Julius in seinem Bericht fort, «beschloß Cassiodor gleichwohl, um des Friedenswerkes willen, das Äußerste zu wagen: nämlich, nach Überreichung der Abschiedsgeschenke, nochmal Gehör bei dem Kaiser zu suchen. Der hochangesehene Tribonianus, von jeher ein Gegner dieses Kriegs und Cassiodors verehrungsvoller Freund, ließ sich bewegen, für uns um diese unerhörte Gnade nachzusuchen. Die Antwort war die höchst ungnädige Drohung der Verbannung, wenn er noch einmal gegen den klar angedeuteten kaiserlichen Willen etwas erbitten werde. Nie, niemals werde der Kaiser mit den Barbaren Frieden schließen, bis sie nicht jede Scholle des Reiches verlassen. Nie werde er die Goten in Italien anders denn als Feinde betrachten. Vergebens bemühten wir uns», schloß Julius seine Erzählung, «eine Ursache des plötzlichen Umschwungs zu entdecken. Nur das erfuhren wir, daß nach unserer Mittags-Audienz die Kaiserin, die jetzt vielfach leidend sein soll, ihren Gemahl zur Tafel in ihre Gemächer geladen. Aber es steht fest, daß die Kaiserin, früher bekanntlich die eifrigste Schürerin des Krieges, seit geraumer Zeit nicht mehr für den Kampf, sondern für den Frieden sprach.» «Und was», fragte der König, der ernst, aber eher drohend als besorgt, der Erzählung zugehört hatte - «was verschafft mir die Ehre einer solchen Umstimmung der Zirkusdirne?» «Man flüstert, für ihr Seelenheil immer mehr besorgt, will sie alle Geldmittel nicht mehr auf den Krieg verwendet wissen, dessen Ausgang sie kaum noch zu erleben hofft, sondern auf Kirchenbauten, zumal auf Vollendung der Sophienkirche - mit deren Grundriß auf der Brust will sie begraben sein.» «Wohl als mit ihrem Schild gegen den Zorn des Herrn bei der Auferstehung der Toten! Die Dirne will den lieben Gott mit den hundert Kirchen entwaffnen und mit den bezahlten Kostenrechnungen bestechen. Welchen Wahnsinn brütet dieser Glaube aus», sprach finster für sich Teja. «Und so fanden wir keinerlei Spur. Denn keine Spur darf ich es nennen, was nur wie ein Schatten, obendrein vielleicht eines Irrtums Schatten, an mir vorüberhuschte.» «Was war das?» forschte Teja aufmerksam. «Als ich spät abends den Palast verließ, Tribonians ungünstigen Bescheid bei mir erwägend, ward eine vergoldete Sänfte der Kaiserin von deren kappadokischen Sklaven rasch von dem Viereck der Gärten her - das ist Theodoras Palast - an mir vorübergetragen. Der vergitterte Laden ward etwas in die Höhe geschoben von dem Getragenen - ich sah hin, und es war mir, als erkenne ich... -» «Nun?» fragte Teja. «Meinen unsel'gen väterlichen Freund, den verschollnen Cethegus», schloß Julius traurig. «Schwerlich», meinte der König. «Er ist gefallen. Es war wohl Täuschung, daß Teja in seinem Hause noch seine Stimme zu vernehmen glaubte.» «Ich diese Stimme mißkennen! Und sein Schwert, das Adalgoth an der Straßenecke fand?» «Kann früher, kann bei dem Forteilen des Mannes nach dem Tiber aus seinem Hause verloren sein. Deutlich sah ich ihn dort auf seinem Schiff die Verteidigung leiten. Der Speerwurf gegen meinen Hals war mit des Hasses bester Kunst und Kraft geführt. Ich traf ihn, ich sah's, mit dem zurückgeschleuderten Speer. Auch sagte mir Gundhamund, der treffliche Schütz, er sei gewiß, ihn getroffen zu haben am Halse. Man fand am Fluß seinen purpurgesäumten Mantel, von vielen Pfeilen durchlöchert und von Blut ganz überströmt.» «Er ist wohl dort gestorben», sprach Julius tiefernst. «Seid ihr so gute Christen», fragte Teja, «und wißt nicht, daß der Teufel unsterblich ist?» «Mag sein», sprach der König, «aber auch das Licht!» Und mit drohenden Brauen fuhr er fort: «Auf, mein tapfrer Teja, jetzt gibt es neue Arbeit für dein Schwert. Hört, Herzog Guntharis, Wisand, Grippa, Markja, Aligern, Thorismut, Adalgoth: bald hab' ich vollauf zu schaffen für euch alle. Ihr habt's vernommen: Kaiser Justinian verweigert uns den Frieden und Italiens ruhigen Besitz. Offenbar darum, weil er uns für zu friedlich hält. Er meint, es könne ihm nie schaden, uns zu Feinden zu haben. Schlimmstenfalls säßen wir ruhig, seine Angriffe abwartend, in Italien. Und Byzanz könne jederzeit den Augenblick wählen, uns anzugreifen, sooft den Versuch wiederholend, bis er gelingt. Wohlan: zeigen wir ihm, daß wir als unversöhnliche Feinde gefährlich werden können, daß es wohl geraten sein mag, uns Italien friedlich zu belassen, um uns nicht zum Angriff zu reizen. Er will uns nicht in Italien leben lassen? Wohlan, er soll die Goten wieder, wie unter Alarich und Theoderich, im eignen Lande sehen. Einstweilen nur dies: denn das Geheimnis ist der Mutterschoß des Siegs: auf linnenen Flügeln, auf hölzernen Brücken dringen wir, wie in Rom, in das Herz des Ostreichs ein. Jetzt, Justinianus, schirm' den eignen Herd!» Sechstes Kapitel Geraume Zeit, nachdem die Abweisung der Friedensvorschläge nach Rom gelangt war, finden wir in dem Speisegemach eines einfach, aber geschmackvoll gebauten und eingerichteten Hauses auf dem Forum Strategii zu Byzanz, das, nahe gelegen dem unvergleichlichen Küstensaum des «goldnen Horns», den Blick über die Meerenge hin und auf die jenseitige, prachtvoll angelegte Neustadt «Justiniana» gewährte, zwei Männer in vertrautem Gespräch. Der Herr des Hauses war unser alter - und hoffentlich nicht unlieber - Bekannter Prokopius, der nunmehr in hohem Ansehen als Senator zu Byzanz lebte. Er schenkte seinem Gast eifrig ein, aber er bediente sich dabei der linken Hand. Der rechte Arm verlief in einen verhüllten Stumpf. «Ja», sagte er, «bei jeder Bewegung mahnt mich der fehlende rechte Vorderarm an eine Torheit. Zwar bereue ich die Torheit nicht: ich folgte ihr abermals, und kostete es die Augen aus dem Kopf. Sie war eine Torheit des Herzens. Und eine solche zu haben ist des Menschen größtes Glück. Zu Frauenliebe hab' ich's nie recht gebracht. Meine Liebe heißt und hieß: Belisarius! Ich erkenne recht gut - du brauchst nicht so höhnisch den Mund zu verziehn, Freund - ich durchschaue recht gut die Schwächen und Unvollkommenheiten meines Helden. Aber das ist gerade das Süße an der Herzenstorheit: sie liebt die Fehler des Geliebten mit, ja mehr als andrer Leute Vorzüge. Und so denn - um's kurz zu machen - warnte ich bei dem letzten Perserkrieg den Mann mit dem Löwenmut und mit dem Kindesherzen wieder einmal, mit geringer Bedeckung durch einen unsichren Wald zu reiten. Bei Dara war's. Natürlich tat er's nun erst recht, der dumme, liebe Tor. Und natürlich ritt Prokopius, der kluge Tor, nun auch mit. Und es kam alles, wie ich vorausgesehen und gesagt. Der ganze Wald ward auf einmal lebendig von lauter Persern. Es war, als schüttelte der Wind sein dürres Laub von den Wipfeln. Aber alle Blätter waren Pfeile und Speere. Es ging wieder ganz wie vor dem tiburtinischen Tor. Balan, der treue Scheck, tat dort seinen letzten Sprung. Gespickt von Speeren brach er tot zusammen. Ich hob den Helden auf mein eigen Roß. Dabei hieb aber ein Perserfürst, der fast so lang war wie sein Name - Adrastaransalanes hieß der liebe Mann - auf den Magister Militum einen Hieb, den ich in der Eile nur mit dem rechten Arm auffangen konnte -: denn mein Schild deckte den Feldherrn gegen einen Sarazenen. Der Hieb war gut: traf er Belisars helmloses Haupt - es wäre gespalten gewesen wie eine Klaffmuschel. So schnitt er mir nur den Vorderarm so haarscharf ab, als wär' er nie angewachsen gewesen.» «Belisarius natürlich entkam, und Prokopius natürlich ward gefangen», sagte der Gast kopfschüttelnd. «Beides richtig, o du Gebietiger des Scharfsinns, wie dich mein Freund Adrastaransalanes nennen würde. Aber derselbe Mann mit dem langen Leibe, Säbel und Namen - auf dessen Wiederholung du nicht bestehen wirst - war so gerührt von meiner schreiben. Aber nun ist das Erzählen an dir. Ich weiß den Gang der Dinge durch Briefe und mündlichen Bericht der aus Rom Entflohenen oder von Totila freigegebenen Legionäre bis zu der Stunde, da du zuletzt in deinem Hause gesehen, ja, wie man sagt, in deinem Hause gehört wardst. Erzähle nun, du Stadtpräfekt ohne Stadt.» «Sogleich», sprach Cethegus. «Sage mir nur noch: wie ging es mit Belisarius weiter in dem letzten Perserfeldzug?» «Nun, wie gewöhnlich. Das solltest du gar nicht mehr fragen müssen! Belisar hatte die Feinde wirklich geschlagen und war eben daran, den Perserkönig Chosroes, des Kabades Sohn, zu dauerndem Frieden zu nötigen. Da erschien in seinem Lager Areobindos, der Schneckenprinz, mit einem hinter Belisars Rücken zu Byzanz bewilligten Waffenstillstand auf ein halbes Jahr. Justinian hatte längst Verhandlungen mit Chosroes angeknüpft. Er brauchte gerade Geld; er stellte sich wieder, als ob er Belisarius nicht traue, und ließ für fünfhundert Zentner Gold den Perserkönig entschlüpfen, als wir eben das Netz über ihn zusammenschlagen wollten. Narses war klüger. Als der Schneckenprinz zu ihm kam, auf den sarazenischen Teil des Kriegsschauplatzes, erklärte er: der Bote müsse ein Fälscher oder verrückt sein, nahm ihn gefangen und führte den Krieg fort, bis er die Sarazenen völlig geschlagen hatte. Dann schickte er den kaiserlichen Boten mit einer Entschuldigung nach Byzanz. Die beste Entschuldigung aber waren die Schlüssel und Schätze von siebzig Burgen und Städten, die er dem Feind während des von Belisar befolgten Waffenstillstands entrissen hatte.» «Dieser Narses ist... -» «Der größte Mensch der Zeit», sagte Prokop. «Auch den Präfekten von Rom nicht ausgenommen. Denn er will nicht, wie dieser, das Unmögliche. - Wir aber, das heißt Belisar und der Krüppel Prokop, wir kehrten, immer grollend und scheltend und immer pudeltreu und nie gewitzigt, den Waffenstillstand mit Zähneknirschen einhaltend, nach Byzanz zurück. Und harren nun hier neuer Aufträge, Lorbeern und Fußtritte. Glücklicherweise hat Antonina ihre Neigungen für Blumen und Verse anderer Männer aufgegeben, und so lebt denn das Ehepaar, der Löwe und die Taube, ganz glücklich hier in Byzanz. Belisar natürlich Tag und Nacht nur sinnend, wann er wieder seinem Kaiserlichen Herrn seine Treue und Heldenschaft bewähren darf - Justinian ist seine Torheit wie die meine Belisar. Nun aber endlich erzähle du.» Siebentes Kapitel Cethegus tat einen tiefen Zug aus dem vor ihm stehenden Becher, der in getriebenem Golde einen Turm darstellte. Er war wesentlich verändert seit jener Nacht zu Rom. Schärfer waren die Furchen an den Schläfen, noch fester geschlossen der Mund, die Unterlippe herb emporgehoben, seltener spielte jenes ironische Lächeln um die Mundwinkel, das ihn verjüngte und verschönte. Die Augen waren nun gewöhnlich halb geschlossen. Nur manchmal öffneten sie sich voll, den gefürchteten Blick zu sprühen, der noch grimmiger durchbohrend traf. Nicht älter, aber eiserner, schärfer, schonungsloser noch schien er geworden. «Du kennst», hob er an, «den Lauf der Dinge bis zum Fall von Rom. Ich sah in jener Nacht fallen die Stadt, das Kapitol, mein Haus, meinen Cäsar. Der krachende Sturz dieses Bildes schmerzte brennender als die Pfeile der Goten und selbst der Römer. Die Sinne schwanden mir vor Schmerz und Zorn, als ich den Mörder meines Cäsar strafen wollte. Ich brach in der Bibliothek an der Statue des Zeus zusammen. Ich erwachte wieder durch den kühlen Hauch der Nachtluft und des Tiberstromes, der schon einmal, - vor zwanzig Jahren! -den Todwunden neu belebt.» Eine finstre Wolke zog über die mächtige Stirn. «Davon ein andermal vielleicht - vielleicht auch nie», sprach er, eine Frage seines Wirtes abschneidend. «Diesmal hatten mich gerettet Lucius Licinius - sein Bruder ist für Rom und mich gefallen - und der treue Maure, der wie durch ein Wunder dem schwarzen Wüterich Teja entgangen war. Zur Vordertüre von diesem hinausgeschleudert - in seiner Gier, den Herrn zu erreichen, nahm sich der Barbar nicht die Zeit, den Diener zu morden - eilte er an die Hintertüre. Dort traf er auf Lucius Licinius, der, von mir getrennt durch die Volkshaufen, erst jetzt mein Haus von der Seitengasse her erreichte. Beide eilten nun durch die geöffneten Türen auf der Spur meines Blutes bis in den Zeussaal mir nach. Dort fanden sie mich bewußtlos: und hatten gerade noch Zeit, mich in meinem Mantel wie eine leblose Ware zum Fenster hinaus in den Hof hinabzulassen. Syphax war zuerst hinabgesprungen und fing mich im Herabgeiten auf aus den Händen des Tribuns. Dieser sprang nach, und rasch trugen sie mich in meinem Mantel aus der Hintertür des brennenden Hauses hinab an den Fluß. Dort war es nun ziemlich leer. Denn alle Goten und die gotenfreundlichen Römer waren dem König auf das Kapitol gefolgt, dort den Brand zu löschen. Er hatte ausdrücklich befohlen - ich hoffe zu seinem blutigen Verderben! - alle Nichtkämpfenden zu verschonen und nicht zu behelligen. So ließ man denn auch meine beiden Träger überall durch mit ihrer Last. Man glaubte, sie trügen einen Toten. Und sie glaubten es selbst eine Zeitlang. Im Fluß fanden sie einen leeren Fischerkahn voller Netze. Sie legten mich hinein, Syphax warf meinen blutigen Mantel mit dem purpurnen Abzeichen des auf das Ufer, die Feinde zu täuschen, bedeckten mich mit Segeltüchern und Netzen und ruderten den Fluß hinab, durch die noch immer brennenden Nachen hindurch. Hinter diesen erwachte ich: Syphax wusch mir die Stirn mit Tiberwasser. Mein erster Blick fiel auf das brennende Kapitol. Sie sagen, mein erster Ruf war: Und mit Gewalt mußten sie den Fieberwirren halten. Mein erster klarer Gedanke natürlich war: Im Hafen Portus trafen wir ein italisches Getreideschiff. Darauf waren sieben Ruderer. Meine Retter hielten an dem Schiff, sich Brot und Wein zu erbitten. Denn beide waren auch verwundet. Da erkannten mich die Ruderer. Einer wollte mich gefangen den Goten ausliefern, hoher Belohnung gewiß. - Aber die andern sechs waren alte Schanzarbeiter von mir an dem Grabmal Hadrians, ich hatte sie jahrelang genährt. Sie erschlugen den siebenten, der laut die Goten heranrief, und sie versprachen Lucius, mich zu retten, wenn sie irgend vermochten. In hohen Getreidehaufen bargen sie mich vor den gotischen Wachtschiffen, welche die Ausfahrt des Hafens hüteten. Lucius und Syphax ruderten mit in Schiffertracht. So entkamen wir. Aber an Bord dieses Schiffes war ich dem Tode nahe durch meine Wunden. Nur des Mauren Pflege und die Seeluft haben mich gerettet. Tagelang, sagen sie, sprach ich nur die Worte: Gelandet auf Sizilien bei Panormos im Schutz der Byzantiner, genas ich rasch. Mein alter Freund Cyprianus, der mich einst zu Ravenna in den Palast Theoderichs eingelassen, da ich Präfekt von Rom werden sollte, empfing mich dort als Hafenarchon. Kaum genesen, ging ich von Sizilien nach Kleinasien oder, wie ihr sagt, Asiana, auf meine Güter - du weißt, ich hatte herrliche Latifundien bei Sardes, Philadelphia und Tralles...» - «Du hast sie nicht mehr, - die säulenreichen Villen?» «Ich verkaufte sie alle. Denn ich mußte doch sofort aufs neue Söldner werben, Rom und Italien zu befreien.» «Tenax propositi!» rief staunend Prokopius. «Du hast die Hoffnung noch nicht aufgegeben?» «Kann ich mich selbst aufgeben? Mit dem Erlös - er war nicht klein: die Villen an der Küste bei Ephesos und Jassos ließ Furius Ahalla kaufen - ging ich zu meinen alten Gastfreunden im Lande der Isaurier, Armenier und Abasgen. Einen Isaurerfürsten mußte ich totschlagen, weil er nachts mein Zelt überfiel und mein Gold ohne andere Gegenleistung als einen Dolchstoß gewinnen wollte. Darauf warb ich der Söldner eine gute Zahl. Aber freilich: Narses hat sie teuer gemacht, er verwöhnt sie und verdirbt das Geschäft. Sie sterben nicht mehr so billig wie früher. Er hat viele tapfre Häuptlinge für sich gewonnen. Ich mußte mich noch nach andern Völkern umtun. Nun sitzt da unten in Pannonien ein nicht gar volkreicher, aber sehr wilder und tapfrer Germanenstamm, den ich durch deine Schilderungen, o Vortrefflicher, erst recht entdeckt - durch seine blutigen Kriege mit den Gepiden bekannt.» «Ah», rief Prokop, «die wilden Langobarden! Gott gnade deinem Italien, wenn die je einen Fuß hineinsetzen. Der Langobarde ist wie der Wolf im Vergleich mit dem Schäferhund, dem Goten, gegen das goldvließige Schaf Italien.» «Rom soll aber selber wieder die alte Wölfin werden. Ich würde sie schon wieder hinausschaffen aus meinem Vaterland, die Barbaren des Alboin! Zu diesen Langbärten -denn das soll des Namens Sinn sein - hab' ich Licinius auf Werbung geschickt. Mich freut es ganz besonders», schloß er grimmig, «Germanen durch Germanen zu verderben. Rom gewinnt bei jeder Wunde, die sich Langobarde und Gote hauen.» «Du hast die Weisheit des Tiberius aus deinem Tacitus gelernt. Aber laß den Tacitus stehn - er ist zu herbe. Hier ist ein ausgezeichnetes Getränk: Ammianus Marcellinus! Wirklich ein geistreicher Gesell!» «Wie wird man dereinst beim Trinken beurteilen?» «Bauwerke», sagte dieser «.» «Perser- und Vandalenkrieg: », sprach Cethegus. «Gotenkrieg - », meinte dessen Verfasser, den Mund verziehend. «Aber Geheimgeschichte», lächelte Cethegus ««prickelnd -am Schluß der Mahlzeit nur tropfenweise zu schlürfen>.» «Bah, ein Brechmittel», sagte Prokop, sich schüttelnd. «Ich selbst aber», fuhr Cethegus fort, «eilte hierher in die Höhle eures - soll ich sagen: Löwen?» «Das wäre zuviel gesagt», meinte Prokop: «selbst in den Bauwerken soll keine solche Lüge stehn.» «Nun also: eures Fuchses oder Hamsters. Denn ich bin nicht so kühn wie der große Belisarius, mir einzubilden, mit Söldnerhaufen allein die Goten zu besiegen. Diese Barbaren haben das unverschämte Glück, ein Volk zu sein. Ihr König ist ihres Volkstums lebendiges Symbol. Es ist aber sehr schwer, ein Volk zu besiegen. Auch ein so plumpes, törichtes, dumpfes Volk wie diese Barbaren.» - «Namentlich», sprach Prokop beipflichtend, «ein Volk zu besiegen - ohne ein Volk.» «Aber Byzanz ist, wenn kein Volk, ein Staat. Dieser Staat ohne Volk kann das Volk ohne Staat vernichten. Denn das ist ja kein Staat, was diese Goten ihr nennen. Es ist nur die seßhaft gewordene Horde. Haben sie nicht unter jenem Witichis drei Heere in Waffen gegeneinander gehabt! Solcher Torheit, Unreife, Barbarei ist auch das Byzanz deiner Geheimgeschichte noch überlegen. Kaiser Justinian hat ja sein Wort verpfändet, Italien zu befreien. Wohlan, er soll gemahnt werden, es zu lösen. Ich will ihn mahnen, so lange, bis er's tut.» «Da wirst du lang noch mahnen müssen.» «So scheint's. Religion, Ruhm, Gold - nichts scheint ihn mehr zu rühren. Laß sehn, ob nicht die Furcht ihn rührt.» «Die Furcht? Vor wem?» «Vor Cethegus - und vor dem Unbekannten. Ungenanntes Grauen ist stets das stärkste. Natürlich hoffte ich lebhaft auf die Kaiserin. Wir kannten uns in der Jugendzeit. - Und wir wußten unsre Vorzüge zu schätzen schon damals. - Sie war das schönste Weib, das ich - bis damals gesehn. Und ich - nun: ich... -» «War Cethegus», sagte Prokop. «Aber bei aller alten Neigung, die sie nicht verleugnete, als ich nun wieder vor sie trat: die Kaiserin war nicht für meinen Krieg. Ich verstehe sie darin nicht recht. Sie hält es plötzlich für christlicher, Kirchen zu bauen als Städte zu verbrennen. - Woher diese Wandlung? Sie ist doch noch zu jung für die allgemeine Wanderung ihresgleichen von - nun, sagen wir, von Kypros nach Golgatha.» «So weißt du nicht», fiel Prokop ein, «was außer Justinian und dir - verzeih: Rom geht vor Byzanz: was außer dir und Justinian - das ganze Ostreich weiß?» Die schöne Kaiserin ist krank, ist innerlich verzehrt von einem furchtbaren Leiden. Du staunst? Ja, sie erträgt nicht nur, sie verbirgt es auch mit unerreichter Willenskraft vor Justinian. Denn dieser größte und kleinste aller Selbstlinge haßt die Kranken: er kann nichts in seiner Nähe haben, was an Leiden und Sterben mahnt. So gewaltig ihn die Kaiserin beherrscht, - ich bin gewiß, entdeckte er ihr Leiden, er schickte sie, zärtlich besorgt, zur Heilung in die fernste Stadt der Reiches. Hat er es doch mit Germanus ähnlich gemacht, den er aufrichtig geliebt. Darum trägt die Kaiserin Höllenqualen mit lächelndem Munde. Furchtbar sollen ihre Nächte sein. Aber bei Tage, in der Nähe des Kaisers, an der Tafel, in der Kirche, bei den Zirkusfesten birgt sie ihre Schmerzen mit übermenschlicher Kraft. Auch ihre Schönheit hat kaum merklich gelitten. Denn unerschöpflich ist das Arsenal ihrer Schönheitskünste. Nur noch zarter ist sie geworden. Aber fast noch gewaltiger an beherrschendem Geist.» «Ein wunderbares Weib.» «Ja, und so sehr sie im kleinen ihre Listen und Ränke pflegt: in großen Dingen, in Fragen des Staats läßt sie nie von hrer Überzeugung.» «Nie. Oder doch nur schwer. Schon wollte der Kaiser die Friedensvorschläge der Goten annehmen: Cassiodor und - ein andrer sollten siegen über mich. - Theodora sprach nicht für den Krieg - und alles schien für mich verloren. Da fiel mir noch im letzten Augenblick ein, auf ihre Frömmigkeit zu wirken. Ich erfuhr durch sie selbst, daß Justinian die beiden Gesandten zu günstigem Bescheid in den Palast berufen. Am gleichen Mittag eilte ich zu ihr und sprach: Das wirkte. Erschrocken sprang sie von dem Lager auf und rief: Und sie lud ihren Gemahl zu sich zur Tafel: und unter ihren Blumen, Gebeten und Küssen entbrannte Justinianus aufs neue für die Sache Christi, verwarf die Friedensvorschläge, und der weise Cassiodor zog unverrichteter Dinge ab. Der Friede ist verhütet. Den Krieg sofort zu erzwingen hab' ich noch kein Mittel. Aber ich werde es finden. Denn Rom muß frei werden von den Barbaren.» Und ruhig hielt Cethegus inne, ergriff den Becher und trank: aber in ihm loderte tief verhaltne Leidenschaft. Achtes Kapitel Prokopius legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach: «Höre, Cethegus, ich staune. Ich staune, daß in unsrer Zeit des Niedergangs in einer Männerbrust noch solche Kraft wohnt. Und solches Feuer glüht für ein hohes, uneigennütziges Ziel, wie die Freiheit Roms. Sei dieses Ziel immerhin, wie ich glaube, ein glänzendes Traumbild. Und weil dies Ziel nicht ein selbstisches: darum verzeihe ich dir die mancherlei krummen, dunkeln Pfade, auf denen du gewandelt bist. Und andre Leute, wie zum Beispiel Belisar und mich, hast wandeln lassen, durch Arglist und Frevel hindurch. Von dem Tage an, da ich dein Ziel als ein selbstisches erkennen müßte - bei aller Bewunderung deines Geistes, deiner Kraft - ich müßte dir die alte Freundschaft kündigen.» Cethegus aber lachte. «Hör' ich noch immer aus deinem Mund die halb platonische, halb christliche Ethik, wie in der Schule zu Athen! Alter Zögling du des Kaiserhofes und des Feldlagers? -Hast du noch immer diese Mädchen-Moral? Selbstisch - Unselbstisch? - Was, wer ist denn unselbstisch? Wer kann es sein? Jeder will in jedem Augenblick, was er wollen muß. Ob ich der Befreier Roms werden will oder etwa sein Tyrann -: beides ist gleich selbstisch. Denn die Liebe ist die größte, weil die süßeste Selbstsucht.» «Und Christus? Starb er vielleicht auch aus Selbstsucht?» «Gewiß: aus einer edeln Schwärmerei! Sein Egoismus galt der Menschheit! Sie hat ihm danach vergolten: gekreuzigt haben sie ihn für seine Liebe. Wie Justinian Belisar, wie Rom Cethegus vergilt. Die Selbstsucht der Schwächlinge ist erbärmlich: die der Starken großartig. Das ist der einzige Unterschied der Menschen.» «Nein, Freund! Das ist die Sophistik einer starken Leidenschaft. Das Höchste ist: das Gute nur durch gute Mittel anstreben. Zu diesem Höchsten ist Prokop zu klein, die Zeit zu schwach. Aber laß uns wenigstens durch böse Mittel nur dem Guten dienen: nicht dem Bösen, nicht der Selbstsucht. Wehe mir, wenn ich einst an dir irre werden müßte. Ich glaube an den Schwerthelden Belisar, an den Geisteshelden Cethegus. Wehe, wenn mir aus meinem Heros Cethegus einst ein Dämon würde. Ich begreife, daß die Menschen dich scheuen, dich fürchten wie Luzifer, den gefallnen Engel des Morgensterns. , sagte mir einst Antonina, die dich abergläubisch fürchtet. Und sie hat recht. Gothelindis, Petros, unser pfiffiger Schulkamerad, der jetzt Marmor sägt und Steine klopft bei den Hunnen, Papst Silverius, den der Kaiser immer noch auf Sizilien gefangen hält, wie Scävola und Albinus: - dem hat er seine Seele, d. h. sein Geld genommen.» «Ich könnte die Beispiele noch mehren», sagte Cethegus, die Brauen zusammenziehend. «Aber ich will die zürnenden Schatten nicht heraufbeschwören aus ihrer Grabesruhe. Nur den dicken Balbus», lachte er, «will ich erwähnen. Ich hatte ihm die Ehre zugedacht, wie Gottes Sohn zu sterben. Aber er hat sich seinem Gott, d. h. seinem Bauch freiwillig geopfert. Von Quintus Piso, den der Barbarenkönig aus der Gefangenschaft ohne Lösegeld entließ, wie Marcus Massurius und Salvius Julianus, erfuhr ich sein Ende. Er bestach die gotischen Wachen, die das Unmaß des Fressens der Heißhungrigen verhüten sollten, mit seinen letzten Goldstücken, ihn essen zu lassen, solang er wollte. Er aß drei Stunden. In der vierten war er tot. Er starb im Dienst! Aber was hilft all das Verderben meiner kleinen Feinde? Solang in Rom ein Feind triumphierend thront, der wahrlich groß ist» - und er hielt inne, dann fuhr er grimmig fort - «aber nur an sinnlosem, maßlosem Glück.» «Bist du nicht ungerecht gegen diesen König Totila? Wird nicht dereinst sein Geschichtsschreiber anders... -» «Ich aber bin nicht dereinst sein Geschichtsschreiber. Ich bin jetzt sein Feind bis zum Tode. Ha, der Tag, da dieses Knaben Herzblut mir von des Speeres Spitze träuft - ich muß ihn noch erleben. Begreifen kann ich Achilleus, der die Leiche des erschlagnen Hektor dreimal um die Wälle schleift. Seit ich kämpfe um mein Rom, steht immer und immer wieder, und meistens sieghaft, dieser Blondkopf mit dem Mädchenantlitz mir entgegen. Er hat mir meinen Liebling und mein Rom und zuletzt noch meinen edeln Pluto genommen. Wie Piso erzählt, fanden sie, den Reiter verfolgend, das Roß, wo es Syphax geborgen am Tiber: und der Barbar hat von aller römischen Beute nur das Roß des Präfekten für sich genommen. Schleudre ihn doch, mein Pluto, kopfüber und zerstampfe ihm mit den Hufen das Hirn.» «Du hassest heiß!» «Ja, diesen hass' ich nicht nur aus Vernunft: aus angebornen Feindschaft der Natur. Als ich ihm das Forum romanum räumen mußte, habe ich's ihm gelobt: er stirbt von meiner Hand. Aber», schloß er, sich beruhigend, «wann? wann? Wann find' ich das Mittel, diesen trägen Koloß, den man Justinianus, den Kaiser der Romäer nennt, auf das Gotenreich zu stürzen? Wann ruft das Schicksal wieder mit ehernem Tubaton mich auf mein großes Schlachtfeld Italien?» Da drängte sich eilfertig Syphax durch die Vorhänge des Gemachs. «Herr», sprach er, sich neigend, «ich heische Botenlohn. Es hat irgendwo gewittert: - es zieht wohl rasch gegen diese Stadt. Es braut und spinnt was in der Luft. Im goldnen Palast ist geschäftige, unheimliche Bewegung. Wachen sind an alle Tore geschickt, eintreffende Boten sogleich in geschlossenen Sänften zum Kaiser zu führen. Die Boten sollen mit niemand sprechen. Und soeben gab in deinem Hause ein goldgleißender Sklave diesen Brief ab - von der Kaiserin.» Hastig riß Cethegus die Purpurschnüre hinweg von dem Siegel, der Taube - war es die von Kypros oder die vom Pfingstfest? - und las: «An den Jupiter des Kapitols. Verlasse morgen dein Haus nicht, bis ich dich entbiete. Morgen rufen dich dein Schicksal und - Kypris.» Neuntes Kapitel Am andern Morgen stand Kaiser Justinian in tiefem Nachdenken vor dem hohen, heiligen Goldkreuz in seinem Gemach. Sein Ausdruck war sehr ernst, aber nicht bestürzt und nicht zweifelig. Entschlossene Ruhe lag heute auf seinen Zügen, die, sonst nicht schön oder edel, in diesem Augenblick Geistesschärfe und Überlegenheit verrieten. Er erhob Stirn und Augen fast drohend gegen das Goldkreuz und sprach: «Auf harte Proben, Gott des Kreuzes, stellst du deinen treuen Knecht! Mir ist, Herr Christus, ich hätte Besseres um dich, von dir verdient! Du weißt ja doch, was alles ich getan, zu deines Namens Ehre! Warum triffst du mit deinen Schlägen nicht deine Feinde, die Heiden, die Ketzer? Warum mich? Aber da du's nun einmal so gewollt, sollst du erfahren: Justinianus kann noch mehr als Kirchen baun und Bilder weihn.» Und er schritt durch das Gemach: sein Blick fiel auf die Büsten der Kaiser, welche hier an den Wänden auf kleinen Sockeln prangten. «Großer Constantinus, Gründer dieses Ostreichs, Schirmherr des rechten Glaubens! Bangst du für dein Werk? Bange nicht: getrost! du hast's gebaut, und Justinianus wird's erhalten. Ihr andern alle hattet's leicht, groß sein, Großes schaffen: -Augustus - die Antonine - Trajanus - Hadrianus: ihr alle wart noch im Anfang oder auf den Höhen. Ich aber soll das Rad aufhalten, das von dem Gipfel niederrollt. Und ich will's aufhalten. Und ich hab' es schon aufgehalten. Und hab' es mühevoll auch wieder ein gut Stück emporgehoben. Ich sehe euch getrost ins Antlitz: ich schäme mich nicht vor euch. Wo ist der wilden, ketzerischen Vandalen Reich? Der Enkel Geiserichs, des gefürchteten Seekönigs, kniete vor mir im Hippodrom. Laß sehen, ob Justinian nicht wie Karthago auch Rom zurückgewinnt. Sie wollen den Frieden ertrotzen, die Barbaren, in Italien: sie sollen ihn finden, den Frieden des Grabes!» Da meldete der Velarius: «Herr, der Senat ist versammelt im Saale von Jerusalem. Die Kaiserin betritt soeben die Löwentreppe.» «Gut», sagte Justinian, «geh. Die Stunde der Prüfung ist gekommen für Theodora. Und für sie alle, die sich meine Räte nennen. Sie sind nie verlegen, wenn es kleine Mittel gilt für kleine Ziele. Wenn sie, behaglich auf den Seidenpolstern sitzend, Verbannung und Konfiskation über ihre Amtsgenossen rechtfertigen sollen, wie scharfsinnig, wie erfinderisch sind sie! Des Reiches und des Kaisers Majestät ist das Alpha und Omega dieser Sklavenlippen. Laß sehen, ob sie auch heute dran gedenken. Nur heute versage mir nicht, du höchste Kunst des Herrschers: undurchschaubare, tief ausholende Verstellung. Heute gilt es, eure Kraft erproben, ihr Staatsmänner von Byzanz. Ich ahne, wie ihr bestehn werdet. Und mich freut's. Eure Erbärmlichkeit ist die beste Stütze meines Throns. Und die beste Rechtfertigung meines Regiments. Klar soll euch werden in eure erschrockenen Herzen hinein, daß ihr einen Zwingherrn braucht, ihr feigen, ehrlosen, ratlosen Sklaven!» - Da erschienen die Kämmerer, das Ankleidepersonal. Justinian vertauschte nun das Morgengewand mit der kaiserlichen Staatstracht. Kniend halfen ihm dabei die Vestiarii. Er legte die weiße, bis an die Knie reichende Tunika an von weißer Seide, an beiden Seiten mit Gold besetzt und durch einen purpurfarbenen Gürtel gehalten: auch die ganz eng anschließenden Beinkleider waren von Seidenstoff und Purpurfarbe. Über die Schulter warf ihm der Mantelsklave den prachtvollen Kaisermantel von hellerer Purpurfarbe mit breitem Clavus (Saum) von Gold, in welchem rote Kreise und in grüner Seide gestickte symbolische Tiergestalten, zumal Vögel, wechselten; aber die verschwenderisch darübergestreuten Perlen und Edelsteine machten die Zeichnung kaum erkennbar und den ganzen Mantel so schwer, daß die Hilfe der Schleppträger nicht unerwünscht sein mußte. Jeden Unterarm bedeckten drei breite goldne Armringe. Das Diadem, links und rechts breit vom Kopf abstehend, von massivem schwerem Golde, war von zwei Perlenbogen überwölkt. Den Mantel hielt auf der rechten Schulter eine kostbare Spange mit großen Edelsteinen. In die Hand gab ihm der Zepterverwahrer den über mannslangen goldnen Herrscherstab, der oben die Weltkugel aus einem einzigen Smaragd und darauf das Goldkreuz trug. Fest ergriff ihn der Kaiser und sprang von der Kline auf. «Noch die Sandalen, Herr, die Kothurn-Sandalen», mahnte ein kniender Kämmerer. «Nein, heute brauch' ich keine Kothurn», sprach Justinian und schritt aus dem Gemach. Über die Löwentreppe, benannt von vierundzwanzig aus Karthago von Belisar eingebrachten hohen Marmorlöwen, welche die zwölf Stufen von beiden Seiten bewachten, stieg der Kaiser in ein tieferes Geschoß und in den großen Beratungssaal des Palastes, den «Saal von Jerusalem». Dieser trug seinen Namen von den Porphyrsäulen, Onyxschalen, Goldtischen und zahllosen Goldgeräten, die an den Wänden und auf Halbsäulen angebracht, der Überlieferung nach dereinst den Tempel von Jerusalem geschmückt. Von dort hatte Titus nach der Eroberung der Stadt diese Schätze nach Rom entführt. Aus Rom hatte sie der Meerkönig Geiserich auf seinen vandalischen Drachenschiffen, gleichzeitig mit der Kaiserin Eudoxia, nach seiner Hauptstadt Karthago getragen. Und nun hatte sie Belisar aus Afrika dem Kaiser des Ostreichs zugeführt. Die Kuppel des Saales war dem Himmelsgewölbe nachgebildet, aus kostbaren blauen Halbedelsteinen zusammengefügt: und außer der Sonne, dem Mond, dem Auge Gottes, dem Lamm, dem Fisch, den Vögeln, der Palme, der Rebe, dem Einhorn und andern christlichen Sinnbildern war der ganze Zodiakus, und waren zahllose Sterne aus massivem Golde in die Mosaikarbeit eingelassen. Die Kosten dieser Kuppel allein schlug man in Byzanz so hoch an als das Gesamterträgnis der Grundsteuer des ganzen Reiches für fünfundvierzig Jahre. Gegenüber den drei hohen Eingangsbogen, die von Vorhängen geschlossen und außerhalb des Saales - er war der einzige Eingang - von der kaiserlichen Leibwache der «Goldschildner» in dreifacher Kette gehütet waren, erhoben sich in der Tiefe des halbrunden Saales der Thron des Kaisers und, links von diesem, etwas niedrer, der der Kaiserin. Als Justinian den Saal betrat mit großem Gefolge der Palastdiener, warfen sich alle Versammelten, die höchsten Würdenträger des Reiches, auf das Antlitz zu demütiger Proskynese. Auch die Kaiserin erhob sich, beugte tief das Haupt und kreuzte die Arme auf der Brust. Ihre Kleidung war der des Gemahls ganz ähnlich: auch ihre weiße Stola überwallte der Purpurmantel, dem jedoch der kaiserliche Clavus fehlte. Auch sie trug ein Zepter, aber nur ein ganz kurzes, aus Elfenbein. Einen matten, aber verachtungsvollen Blick warf die Herrscherin über die Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Patrizier und Senatoren, welche, über dreißig an der Zahl, die im Halbkreis ausgestellten goldnen Stühle mit den Seidenpolstern füllten. Durch den in der Mitte den Saal teilenden Gang schritt nun Justinianus und bestieg mit raschem, sicherem Schritt seinen Thron, das Zepter schwingend. Zwölf der ersten Palastbeamten standen auf den Stufen der beiden Throne, weiße Stäbe in den Händen. Trompetenschall gab nun den auf das Antlitz Gesunkenen das Zeichen, sich zu erheben. «Wir haben auch berufen», hob der Kaiser an, «heilige Bischöfe und erlauchte Senatoren, in schwerer Sache euren Rat zu hören. Aber warum fehlt unser Magister Militum per Orientem, Narses?» «Er ist gestern erst aus Persien eingetroffen - er liegt schwer krank zu Bett», meldete der Proto-Keryx. «Unser Quästor sacri palatii Tribonianus?» «Ist noch nicht zurück von deiner Sendung nach Berytus um die Codices.» «Warum fehlt Belisarius, unser Magister Militum per Orientem extra Ordinem?» «Er wohnt nicht in Byzanz, sondern drüben in Asien, in Sycae, im roten Hause.» «Er hält sich sehr abseits im roten Hause. Das mißfällt uns. Was entzieht er sich unserem Blick?» «Er war dort nicht zu finden.» «Auch nicht im Hause seines Freigelassenen Photius, im Muschelhaus?» «Er war auf die Jagd geritten, die persischen Jagd-Leoparden zu erproben», sagte Leo, der comes spathariorum. «Er ist nie da, wenn man ihn braucht. Und immer, wenn man ihn nicht braucht. Ich bin nicht zufrieden mit Belisarius. - -Vernehmt nun, was geschehen, was uns in den letzten Tagen durch viele Briefe zuging: zuletzt sollt ihr auch mündlichen Bericht der Boten hören. - Ihr wißt: wir haben den Krieg in Italien einschlafen lassen, weil wir andre Aufgaben hatten für unsre Feldherrn. Ihr wißt: der Barbarenkönig bat um Frieden, um Überlassung Italiens. Wir wiesen das damals ab, gelegene Zeit erwartend. Antwort hat der Gote nicht in Worten, in sehr verwegnen Taten gegeben. Ihr wißt noch nicht davon: - niemand in Byzanz - wir behielten die Nachricht für uns, sie unmöglich, oder doch übertrieben erachtend. Aber wahr ist alles, was gemeldet ward: vernehmt, und dann erteilet Rat. Eine Flotte und ein Heer hatte der Barbarenkönig nach Dalmatien geschickt in aller Heimlichkeit und Eile. Die Flotte lief in den Hafen von Muicurum bei Salona, und das gelandete Heer nahm die feste Stadt mit Sturm. Ebenso überraschte die Flotte die Seestadt Laureata. Claudianus, unser Befehlshaber zu Salona, schickte zahlreiche und stark bemannte Dromonen, den Goten die Stadt wieder zu entreißen. Aber in einer großen Seeschlacht schlug ein Gotenherzog - Guntharis - diese unsere Flotte dermaßen, daß er alle Dromonen ohne Ausnahme eroberte und siegreich in den Hafen von Laureata einführte. Eine zweite Flotte von vierhundert großen Schiffen rüstete der König bei Centumcellä aus. Sie war meistenteils gebildet aus unsern Dromonen, die, vom Orient aus nach Sizilien für Belisar gesendet, in Unkenntnis, daß die italischen Häfen wieder in der Hand der Goten, mit aller Bemannung und Ladung waren weggenommen worden von einem Gotengrafen - Grippa. Das Ziel auch dieser neu geschaffenen Flotte war unbekannt. Plötzlich erschien der Barbarenkönig selbst mit dieser Flotte vor Regium, der festen Hafenstadt an der äußersten Südspitze Bruttiens, die wir gleich bei der ersten Landung gewonnen und seither nicht wieder verloren hatten. Nach tapferm Widerstand ergaben sich die Heruler und Massageten unserer Besatzung. Der Tyrann Totila aber wandte sich nun rasch nach Sizilien, diese früheste Eroberung Belisars uns wieder zu entreißen. Er schlug den Römer Comes Dommentiolus, der ihm ins offene Feld entgegentrat, und gewann rasch das ganze Eiland. Nur Messana, Panormos und Syracusä schützten noch ihre festen Mauern. Eine Flotte, die wir zum Schutze, zur Wiedergewinnung von Sizilien aussandten, zerstreute der Sturm. Eine zweite blies der Nordwest in den Peloponnes zurück. Gleichzeitig segelte eine dritte Trierenflotte dieses unerschöpflichen Königs unter einem Grafen Haduswinth gegen Corsica und Sardinia. Die erstere Insel fiel alsbald den Goten zu, nachdem die kaiserliche Besatzung ihrer Hauptstadt Aleria in offener Schlacht geschlagen war. Der reiche Corse Furius Ahalla, dem der größte Teil des Eilands gehörte, war zwar fern in Indien. Aber seine Institoren und Colonen waren angewiesen, im Fall einer Landung der Goten diesen keinen Widerstand, sondern beste Förderung zu leisten. Von Corsica wandten sich die Barbaren nach der Insel Sardinia. Hier schlugen sie bei Karalis die Truppen, die unser Magister Militum von Afrika zur Beschützung der Insel herübergeschickt. Und sie nahmen diese Stadt, wie Sulci, Castra Trajani und Turres in Besitz. Auf beiden Eilanden aber, auf Corsica und auf Sardinia, richten sich die Goten häuslich ein. Sie behandeln dieselben als dauernd erworbene Zubehörden ihres Reiches in Italien. Sie setzen Gotengrafen in allen Städten ein. Und sie erheben nach gotischem Verfassungsrecht die Steuern. Diese sind -unbegreiflich -! - viel geringer als die unseren. Und die Untertanen dort erklären schamlos: sie zahlen lieber den Barbaren fünfzig als uns neunzig. Aber nicht genug. Nordöstlich heraufsegelnd von Sizilien vereinte der Tyrann Totila sein Geschwader mit einer vierten Flotte unter Graf Teja auf der Höhe von Hydrus. Eine dieser vereinten Flotten, unter Graf Thorismut, landete auf Corcyra, nahm die Insel in Besitz und gewann von dort aus alle umliegenden Eilande, zumal die Sybotischen Inseln. Aber noch nicht genug. Der Tyrann Totila und sein Graf Teja griffen bereits das Festland unseres Reiches an.» Ein Murmeln des Schreckens unterbrach hier den kaiserlichen Redner. Finster und grimmig fuhr dieser fort: «Sie landeten in dem Hafen von Epirus vetus, eroberten die Städte Nikopolis und Anchisus, südwestlich von dem alten Dodona, und nahmen eine Menge unserer Schiffe in jenen Küstengewässern weg. Das bisher Mitgeteilte mochte nur euren Unwillen erregen über die Verwegenheit der Barbaren. Aber nun vernehmt, was euch anders ergreifen mag. Kurz gesagt und klar, - nach den gestern hier eingetroffenen Boten ist es gewiß: Die Goten sind in vollem Anzug auf Byzanz.» Da sprangen einzelne der Senatoren von ihren Stühlen. «In doppeltem Angriff. Ihre versammelten Geschwader, von Herzog Guntharis, den Grafen Markja, Grippa und Thorismut geführt, haben in zweitägiger Seeschlacht unsre Flotte der Inselprovinz geschlagen und in die Meerenge von Sestos und Abydos getrieben. Ihr Landheer aber, unter Totila und Teja, zieht quer durch Thessalien über Dodona gegen Makedonien: schon ist Thessalonike bedroht. Die , die wir dort gebaut, hat dieser Graf Teja gestürmt und geschleift. Die Straße nach Byzanz liegt ihnen offen. Und kein Heer steht mehr zwischen uns und den Barbaren. All unsere Truppen liegen an der Persergrenze. Und nun vernehmt, was uns der Barbarenkönig bietet. Glücklicherweise hat ihn ein Gott betört und unsre Schwäche ihm verhüllt. Hört es: er bietet uns abermals den Frieden unter den gleichen Bedingungen wie vor Monaten. Nur Sizilien verlangt er jetzt dazu. Aber alle andern Eroberungen will er ohne Schwertstreich räumen, wenn wir ihn nur in Italien anerkennen. Da ich gar kein Mittel, weder Segel noch Kohorte, hatte, ihn aufzuhalten, rückte er vor, so habe ich einstweilen Waffenstillstand gefordert. Diesen nahm er an, unter der Voraussetzung, daß der Friede unter jenen Bedingungen geschlossen werde. Das sagte ich zu.»--- Hier warf er einen prüfenden Blick auf die Versammlung, auch einen Seitenblick auf seine Kaiserin. Die Versammelten atmeten sichtlich auf. Die Kaiserin schloß die Augen, deren Ausdruck zu verbergen. Sie drückte die kleine Hand krampfhaft auf die goldne Lehne ihres Throns. «Nur unter dem Vorbehalt, noch meiner Gemahlin, die zuletzt nur noch für den Frieden sprach, und meines weisen Senates Meinung zu vernehmen. Ich fügte bei, ich sei dem Frieden geneigt.» Da glätteten sich die Gesichter bedeutend. «Und ich glaubte, das Urteil meiner Räte voraussagen zu können. Daraufhin machten die vordringenden Reiter Graf Tejas auf Befehl des Königs widerwillig halt vor Thessalonike: leider nahmen sie noch vorher den Bischof der Stadt gefangen. Aber sie sandten ihn mit andern Gefangnen, mit Boten und Briefen hierher, vernehmt sie selbst. Dann fasset euren Entschluß. Bedenkt aber dabei, daß die Barbaren in wenigen Tagen vor unsern Toren stehen, verwerfen wir den Frieden. Und daß wir nur abtreten sollen, was das Reich seit vielen Jahrzehnten aufgegeben hatte, und was zwei Feldzüge Belisars nicht wiedergewinnen konnten: Italien. Führt nun die Boten ein.» Durch die Eingangsbogen wurden nun von den Leibwachen hereingeleitet Männer in geistlicher, in Amts- und Kriegertracht. Sie warfen sich vor Justinians Thron nieder unter Zittern und Seufzen, auch Tränen fehlten nicht. Auf einen Wink erhoben sie sich wieder und stellten sich vor den Stufen des Thrones auf. «Eure Bittbriefe und Klageberichte», sprach der Kaiser, «hab' ich gestern schon durchlesen. Protonotarius, verlies nur den einen, den gemeinsamen des gefangenen Bischofs von Nikopolis und des verwundeten Comes von Illyricum, - der ist seither seinen Wunden erlegen. -» «An Justinianus, den unbesiegbaren Kaiser der Romäer. Dorotheos, Bischof von Nikopolis, und Nazares, comes per Illyricum. Der Ort, wo wir dies schreiben, ist der beste Beweis für den Ernst unsrer Worte. Wir schreiben dies an Bord des Königsschiffs des Gotenfürsten, mit Namen. Bekannt ist dir wohl, wann du diese Worte liesest, der Flotten Niederlage, der Inseln Verlust, der Erstürmung, des Landheeres von Illyricum Zerstreuung. Rascher als die Boten, rascher als die Flüchtlinge von diesen großen Schlachten haben uns die gotischen Verfolger erreicht. Nikopolis hat der Gotenkönig erobert und verschont. Anchius hat Graf Teja erobert und verbrannt. Ich, Nazares, diene dreißig Jahre in Waffen: nie hab' ich solchen Angriff gesehen, wie den, bei welchem Graf Teja mich im Tore von Anchisus niederschlug. - Er ist unbezwingbar! Seine Reiter fegen durch alles Land von Thessalonike bis Philippi. Die Goten im Herzen von Illyricum! Seit sechzig Jahren ist es unerhört! Und der König hat geschworen, alle Jahre wiederzukehren, bis er den Frieden hat oder - Byzanz. Seit er Corcyra hat und die Syboten, steht er auf der Brücke in dein Reich. Und da Gott das Herz dieses Königs gerührt hat, daß er dir Frieden bietet um billigen Preis - ja nur um den Preis, den er schon hat flehen wir dich an, im Namen deiner zitternden Untertanen, deiner rauchenden Städte: schließe Frieden. Rette uns und rette Byzanz! Denn eher werden deine Feldherrn Belisar und Narses die Morgensonne und den Nordsturm aufhalten auf ihren Bahnen als den König Totila und diesen fürchterlichen Teja.» «Beide Briefschreiber waren gefangen», unterbrach der Kaiser. «Sie reden vielleicht aus Furcht vor der Barbaren Todesbedrohung. Sprecht nun ihr: du, ehrwürdiger Bischof Theophilos von Thessalonike, du, Logothetes von Dodona, Anatolius, du, Parmenio, tapfrer Führer der makedonischen Lanzen, ihr seid hier sicher in unsrem kaiserlichen Palast, aber ihr habt die Barbarenführer gesehn: - was ratet ihr?» Da warf sich der greise Bischof von Thessalonike abermals auf die Knie und sprach:«O Kaiser der Romäer: der Barbarenkönig Totila ist ein Ketzer. Und ewig verdammt. Das könnte mich irre machen an den Grundlehren der Kirche. Denn nie sah ich einen Mann so reich geschmückt mit allen christlichen Tugenden. Ringe nicht mit ihm! Im Jenseits ist er verworfen auf ewig. Aber - ich kann es nicht fassen - auf Erden segnet die Gnade Gottes alle seine Schritte: er ist unwiderstehlich.» «Ich fass' es wohl», fiel Anatolius, der Logothetes, ein, «Schlauheit gewinnt ihm die Herzen: tiefste Heuchelei, Verstellung, die all unsre viel gerühmte und gescholtene Griechenklugheit übertrifft. Der Barbar spielt die Rolle des erbarmenden Menschenfreundes so unübertrefflich täuschend, daß er beinahe auch mich getäuscht hätte, bis ich mir sagte, daß es dergleichen in der Welt nicht geben könne, was dieser Gote spielt wie ein Mime. Er tut, als ob er wirklich Erbarmen habe mit besiegten Feinden! Er speist die Hungernden, er läßt das erbeutete Geld deiner Steuerkassen, o Kaiser, unter die Landleute verteilen, deren Felder durch den Krieg gelitten. Er gibt den Männern die Weiber unversehrt zurück, die diese in die Wälder geflüchtet und seine Reiter, die allgegenwärtigen, gefunden haben. Er reitet unter Harfenspiel eines schönen Knaben, der ihm des Rosses Zügel führt, in die Dörfer ein. Weißt du, was die Folge ist? Deine eignen Untertanen, o Kaiser der Romäer, fallen ihm zu, tragen ihm Kundschaft, liefern ihm deine Beamten, die deinen strengen Steuergeboten gehorchten, in Ketten aus. So mich selber die Bauern und Colonen von Dodona. Dieser Barbar ist der größte Schauspieler des Jahrhunderts. Denn Wahrheit kann's nicht sein. Dieser kluge Heuchler hat aber zu noch viel mehr Dingen Verstand als zum Zuschlagen. Er hat mit den fernen Persern, mit deinem Erzfeind Choroes, Verbindungen angeknüpft zu gegenseitiger Waffenhilfe wider dich. Wir haben selbst die persischen Gesandten gesehen, die aus seinem Lager wieder ostwärts ritten.» Der Makedonen-Hauptmann aber sprach: «Beherrscher der Romäer: seit Graf Teja die Heerstraße von Thessalonike gewonnen hat, steht nichts mehr zwischen deinem Thron und seiner schrecklichen Streitaxt als die Mauer dieser Stadt. Wer die dort achtmal nacheinander bestürmt und aufs neuntemal erstiegen hat, der ersteigt aufs zehntemal die Wälle von Byzanz. Nur mit siebenfacher Übermacht hältst du die Goten auf. Hast du die nicht, dann schließe Friede.» «Friede! Friede! Wir flehen dich an im Namen deiner zitternden Provinzen Epirus, Thessalien, Makedonien.» «Schaff uns die Goten aus dem Lande!» «Laß nicht Alarichs, Theoderichs Tage sich schrecklicher erneuern.» «Friede mit den Goten! Friede! Friede!» Und alle die Gesandten, Bischöfe, Beamten, Krieger sanken auf die Knie mit dem flehenden Rufe: «Friede!» Denn furchtbar war der Eindruck dieser Nachrichten auf die Versammlung. Wohl kam es oft vor, daß an den äußersten Marken des Reiches Perser und Sarazenen im Osten, Mauern im Süden, Bulgaren und Slawen im Nordwesten plündernd über die Grenze brache n, auch wohl die nächsten Truppen schlugen und mit ihrem Raub ungestraft wieder entkamen. Aber, daß auf die Dauer griechische Inseln von den Feinden besetzt, daß griechische Küstenstädte von Barbaren gewonnen und verwaltet, daß die Straßen von Byzanz von Germanen beherrscht wurden, - das war seit acht Jahrzehnten unerhört. Mit Entsetzen gedachten die Senatoren der Tage, da gotische Schiffe und gotische Heere alle griechischen Inseln überzogen und wiederholt die Wälle von Byzanz bestürmten, nur durch Erfüllung aller ihrer Forderungen von der Erstürmung abzubringen: schon hörten sie die Beilschläge des schwarzen Teja an die Tore pochen. So lag der Ausdruck hilfloser Furcht auf allen Gesichtern. Ruhig prüfend blickte Justinian zur Rechten und zur Linken auf die Reihen. «Ihr habt gehört», begann er dann, «was Kirche, Staat und Heer verlangen. Ich fordre nun euren Rat. Waffenstillstand haben wir schon erreicht. Soll neuer Krieg, soll Friede daraus werden? Ein Wort erkauft den Frieden: Abtretung des doch verlornen Italiens. Wer von euch für den Krieg, erhebe seinen Arm.» Kein Arm erhob sich. Denn die Senatoren bangten für Byzanz; und sie hatten an der Friedensneigung des Kaisers keinen Zweifel. «Einstimmig wählt mein Senat den Frieden. Ich sah's voraus», sagte Justinian mit einem seltsamen Lächeln. «Ich bin gewohnt, stets meinen weisen Räten zu folgen. Und meine Kaiserin?» Da sprang Theodora wie eine bäumende Schlange von ihrem Sitz und schleuderte ihr elfenbeinernes kurzes Zepter so heftig von sich, daß es weit in den Saal hinabflog. Schreck malte sich in den Zügen der Senatoren. «So fahre hin», rief sie mit aller Anstrengung, «was mein Stolz gewesen, jahrelang: mein Glaube an Justinian und seine Kaiserhoheit! So fahre hin jeder Anteil an der Sorge für das Reich und seine Ehre. Wehe, Justinianus, wehe mir und dir, daß ich solche Worte hören mußte aus deinem Mund!» Und sie verhüllte das Haupt in ihren Purpurmantel, die Schmerzen bergend, welche die Erregung ihr verursacht. Der Kaiser wandte sich zu ihr: «Wie, die Augusta, unsre Gemahlin, die seit Belisars zweiter Heimkehr immer zum Frieden riet - mit kurzer Ausnahme -, sie rät, jetzt, in solchen Gefahren...?» «Krieg!» rief Theodora, den Purpur fallenlassend. Und ihr Angesicht wurde schön in hohem Ernst, wie es nie war in spielendem Scherz. «Muß ich, dein Weib, dich mahnen an deine Ehre? Du willst es dulden, daß Barbaren in deinem Reiche sich festsetzen, dich durch Bedrohung zu ihrem Willen zwingen? Du, der geträumt von Wiederherstellung des Reiches Constantins? Du, Justinianus, der du die Namen Persicus, Vandalicus, Alanicus und Goticus dir zugelegt, willst dulden, daß dieser gotische Jüngling dich am Barte dahin zerrt, wohin er will? Dann bist du nicht der Justinianus, den seit Jahren die Welt, Byzanz, Theodora bewundert. Ein Irrtum war unsere Verehrung.» Da ermannte sich der Patriarch von Byzanz - er glaubte immer noch, der Kaiser habe den Frieden bereits unwiderruflich beschlossen - zum Widerstand gegen die Kaiserin, die leider nicht immer haarscharf die von ihm gerade vertretene, feine Schattierung der Rechtgläubigkeit traf. «Wie», sprach er, «die erhabne Frau rät zum blutigen Krieg? Wahrlich, die heil'ge Kirche hat nicht Ursache, für die Ketzer zu sprechen. Indessen: der neue König ist wunderbar mild gegen die Katholiken in Italien, und man kann ja gelegnere Zeit abwarten, bis... » «Nein, Priester», unterbrach Theodora, «die beschimpfte Ehre dieses Reiches kann nicht warten. O Justinianus» dieser schwieg immer noch beharrlich und schloß die Augen, auf daß deren Ausdruck nicht seine Stimmung verrate. «O Justinianus, laß mich, laß die Welt nicht irre an dir werden. Du darfst dir nicht schimpflich abtrotzen lassen, was du der Bitte verweigert! Muß ich dich mahnen, wie schon einmal deines Weibes Rat und Kraft und Mut dich, deine Ehre, deinen Thron gerettet hat? Hast du vergessen den furchtbaren Aufstand der Nika? Vergessen, wie die vereinten Parteien des Zirkus, die Grünen und die Blauen, der rasende Pöbel von Byzanz heranwogte gegen dieses Haus? Die Flammen und die Rufe: schlugen zusammen über diesem Dach. Flucht oder Nachgeben rieten dir alle deine Räte, alle diese heiligen Bischöfe und weisen Senatoren, auch deine Heerführer. Denn Narses war fern in Asien. Und Belisar war schon eingeschlossen von den Rebellen im Meerpalast. Alle verzagten sie, die Männer. Da war dein Weib, Theodora, der einzige Held an deiner Seite. Gabst du nach oder flohest du, so war dein Thron, dein Leben, ganz gewiß aber deine Ehre verloren. Du schwanktest, du neigtest zur Flucht. , sagte ich damals, Justinian, Und du bliebest, und dein Mut hat dich gerettet. Du harrtest aus, den Tod auf dem Thron erwartend mit mir - aber - Gott sandte Belisar zum Entsatz und Sieg. So spreche ich auch jetzt. Weiche nicht, Kaiser der Romäer, gib nicht nach den Barbaren. Bleibe fest: laß dich von den Trümmern des goldnen Tors begraben, sprengt es jenes wütigen Goten Beil. Aber stirb als Kaiser! Befleckt ist dieser Purpur von maßloser Frechheit der Germanen. Hier werf' ich ihn von mir, und ich schwör's, bei der heiligen Weisheit Gottes: nicht eher wieder leg' ich ihn an, bis kein Gote mehr auf dieses Reiches Boden steht.» Und sie riß den Purpurmantel ab und schleuderte ihn auf die Stufen des Thrones: dann aber, tief erschöpft, war sie im Begriff, auf den Sitz zurückzusinken. Allein Justinianus fing sie auf in seinen Armen und drückte sie an seine Brust. «Theodora», rief er mit leuchtenden Augen, «mein herrlich Weib! Du brauchst keinen Purpur um die Schultern: dein Geist ist in Purpur gekleidet. Du allein verstehst Justinianus. Krieg und Verderben den Barbaren!» Schrecken und Staunen befiel die bebenden Senatoren bei diesem Schauspiel. «Ja», sprach der Kaiser, zu diesen gewendet, «weise Väter, diesmal waret ihr allzuklug, um weise, um Männer zu sein. Wohl ist es eine Ehre, der Nachfolger Constantins zu heißen. Aber keine Ehre ist es, euer Herr zu sein. Recht haben, fürcht' ich, unsre Feinde: nur den Namen, die tote Mumie Romas hat Constantin hierher verpflanzt, die Seele Romas war bereits entflohn. Weh um dies Reich! Wär' es frei, wär' es Republik: - es wäre heute versunken in Schande. Einen Herrn muß es haben, der es, wie ein faules Roß, aus dem Sumpf, darin es zu versinken droht, emporreißt, ein scharfer Reiter mit Peitsche, Zügel und Sporn.» Da drängte sich durch die Eingangstüren ein kleiner, gebückter Mann, auf eine Krücke gestützt, und hinkte durch den Saal bis vor den Thron. «Kaiser der Romäer», hob er an, von seiner Proskynese sich erhebend, «auf meinem Schmerzenslager erreichte mich dunkle Kunde, von dem, was die Barbaren gewagt, von dem, was hier entschieden werden soll in dieser Stunde. Da rafft' ich mich empor und schleppte mich mühsam hierher: denn ich muß es erfahren, durch ein Wort deines Mundes, ob ich von jeher ein Narr gewesen, daß ich dich, trotz vieler Kleinheiten, für einen großen Herrscher hielt, ob ich deinen Feldherrnstab in den tiefsten Brunnen werfen muß, oder ob ich ihn noch tragen kann mit Ehren? Sprich nur ein Wort. Krieg oder Friede?» «Krieg, Magister Militum!» sagte Justinian, und sein hehres Antlitz strahlte. «Sieg, Justinianus», rief der Feldherr und warf die Krücke weg. «Oh, laß mich deine Hand küssen, Imperator.» Und er hinkte die Stufen des Thrones hinauf. «Aber Patricius», höhnte Theodora, «du bist ja auf einmal ein Mann? Du warst doch immer gegen den Gotenkrieg! Hast du plötzlich Sinn für Ehre?» «Was Ehre!» rief Narses. «Dieser bunten Seifenblase mag Belisarius, das große Kind, nachlaufen. Nicht die Ehre: das Reich steht auf dem Spiel. Solang ernste Gefahr vom Osten drohte, riet ich zum Perserkrieg. Von den Goten drohte nichts. Nun aber haben deine Frömmigkeit, o Kaiserin, und des Belisarius Heldenschwert so lang in dies Hornissennest gestochen, bis uns der Schwarm gefährlich um das Antlitz fliegt. Jetzt droht die Gefahr dringend, brennend von dort: und Narses rät zum Gotenkrieg. Die Goten stehen näher bei Byzanz, als Chosroe unsrer Ostgrenze steht. Wer, wie dieser Totila, ein Reich aus dem Abgrund zieht, kann viel leichter ein andres in den Abgrund stürzen. Dieser junge König ist ein Wundertäter, dem man beizeiten die Mirakel legen muß.» «Diesmal erlebe ich», sprach Justinian, «die seltene Freude, daß meine Kaiserin und Narses eines Sinnes sind.» Und er war im Begriff, die Versammlung zu entlassen. Da ergriff die Kaiserin seinen Arm: «Halt», sprach sie, «mein Gemahl, ich habe mir heute zum zweitenmal die Ehre erworben, dein bester Berater zu sein. Nicht wahr? Wohlan, so höre mich weiter und folge auch meinem weitern Rat. Halte diese ganze weise Versammlung außer Narses bis morgen im Palast gefangen. Zittert nicht, ihr Illustrissimi: es gilt diesmal nicht das Leben. Aber ihr könnt nicht schweigen, ausgenommen mit abgeschnittenen Zungen. Dieses Mittel mag für diesmal durch Einsperrung ersetzt werden. Höre, Justinianus: es besteht eine Verschwörung wider dein Leben oder doch wider deine freien Entschlüsse. Man wollte dich zum Kriege mit den Goten zwingen. Dieser ist nun zwar beschlossen. Aber heute in der Nacht oder morgen früh schon bricht die Verschwörung los: es gilt, die Verschwornen gewähren zu lassen. Man darf sie nicht durch die Mitteilung, daß ihr Zweck ohnehin erreicht sei, abhalten von ihrem Tun. Gefährliche, längst verdächtige und - o Justinianus - sehr, sehr reiche Leute sind darunter. Es wäre schade, wenn sie meinem aufgestellten Netz entgingen.» Justinianus war nicht erschrocken bei dem Wort Verschwörung. «Auch ich wußte davon», sagte er. «Aber schon so weit gediehn? Morgen früh schon? Theodora», rief er, «du bist mehr für das Reich als Belisar und Narses. Auf, Archon der Goldschildner, du hältst alle hier Versammelten gefangen, bis Narses kommt, sie abzuholen. Denkt nach indessen über diese Stunde, fromme und weise Väter, und ihre Lehren. Narses, folge uns und der Kaiserin.» Und er schritt die Stufen des Thrones hinab. Die Eingangsbogen wurden von starrenden Speeren erfüllt. Zehntes Kapitel Der Kaiser beschied seine Kaiserin und Narses mit sich in sein Gemach. Dort angelangt, umarmte er abermals, ohne des Zeugen Gegenwart zu scheuen, innig und herzlich seine Gemahlin. «Wie freut, wie erhebt mich die Begeisterung! Ich bin stolz auf ein solches Weib! Wie schön stand dir, o Theodora, der edle Zorn. Wie kann ich dir lohnen! Wähle dir jede Gunst, jedes Zeichen meines Dankes, du meine beste Beraterin, ja meine Mitregentin!» «Soll ich, das schwache Weib, wirklich glauben dürfen, daß ich Anteil nehmen darf an deinen Plänen und Gedanken, an diesem Kriege, so vertraue mir, wie du ihn zu leiten gedenkst.» «Jedenfalls sende ich zwei Feldherren nach Italien, nie mehr einen, seit Belisarius in jenem Land mit einer Krone gespielt. Aber ihn sende ich wieder, das steht mir fest.» «So erbitte ich mir die Gnade», sprach Theodora, «den andere Feldherrn vorschlagen zu dürfen. - Narses», fuhr sie fort, ehe Justinian antworten konnte, «willst du der andere sein?» Sie wollte ihn rasch unmöglich machen. - «Ich danke», sagte dieser bitter. - «Du weißt: ich bin ein störrig unverträglich Roß, ich tauge nicht, mit einem andern zusammen zu ziehn. Den Feldherrnstab und ein Weib, Justinianus, muß man in gleicher Weise haben.» «Nämlich wie?» «Allein oder gar nicht.» «Dann du gar nicht», sagte Justinianus herb. «Du mußt nicht wähnen, unentbehrlich zu sein, Magister Militum.» «Das ist niemand auf Erden, Justinianus. Sende nur wieder den großen Belisar! Er mag sein Glück zum drittenmal versuchen in jenem Lande, wo die Lorbeern so dicht wachsen. Meine Stunde kommt schon noch. Als Zeuge eures Eheglückes bin ich wohl überflüssig hier. Und zu Hause, meinem Krankenbett gegenüber, ist die Straßenkarte von Italien angeheftet: vergönne, daß ich in meinem Studium derselben fortfahre: sie ist jetzt interessanter als die Karte unsrer Persergrenze. Nur noch einen Rat. Zuletzt mußt du doch Narses nach Italien senden. Je früher du ihn sendest, desto mehr ersparst du an Niederlagen, Verdruß und - Geld. Und wenn nun die Gicht oder jene niederträchtige Epilepsis Narses hinraffen sollte, ehe dieser König Totila auf seinem Schilde liegt, wer wird dir dann den König Totila besiegen? Du glaubst ja an Prophezeiungen. Wohlan, in Italien geht schon lange der Spruch: » «Soll das vielleicht heißen: Theodora schlug Belisar, Narses schlägt Theodora?» höhnte die Kaiserin. «Das war nicht meine Lösung des Rätselspruchs. Es war die deine. Aber wohlan, auch diese Lösung nehm' ich an. Weißt du, welches das weiseste deiner vielen Gesetze war, o Justinianus?» «Nun?» «Jenes, das den Tod auf jede Anklage gegen deine Kaiserin setzte: denn er war das einzige Mittel, sie dir zu erhalten.» Und er ging. «Der Unverschämte», sprach Theodora, ihm einen giftigen Blick nachsendend. «Er wagt zu drohn! Wenn erst einmal Belisar unschädlich ist, dann muß rasch Narses folgen.» «Einstweilen aber brauchen wir noch beide», meinte Justinian. «Und du schlägst - in Wahrheit! vermutlich zum andern Feldherrn für Italien wieder denselben Namen vor wie bei Cassiodors Abweisung?» «Denselben.» «Aber die Gründe meines Mißtrauens gegen jenen Ehrgeizigen sind seither noch verstärkt.» «Hast du vergessen, wer dir Silverius entlarvt und entwaffnet, wer vor Belisars gefährlichem Kronenspiel geheim und zuerst gewarnt hat?» «Aber er verkehrt hier mit denselben Männern, welche die Verschwörung gegen mich betreiben.» «Ja: aber, o Justinianus, auf mein Geheiß, als ihr Verderber.» «Das wäre! Wenn er aber auch dich täuscht?» «Wirst du ihm glauben und mir und ihn nach Italien senden, wenn er dir morgen die Verschwörer in Ketten zuführt und darunter ihr geheimes, auch dir noch unbekanntes Haupt?» «Ich weiß: es ist Photius, Belisars Freigelassener.» «Nein, o Justinianus: - Er ist es, den du wieder nach Italien senden wolltest, wenn ich nicht warnte, Belisarius selbst.» Da erbleichte der Kaiser, wankte und griff nach der Armlehne des Thrones. «Wirst du dann an des wunderbaren Römers Ergebenheit glauben und, statt des Verräters Belisar, ihn nach Italien senden mit deinem Heer?» «Alles, alles», sprach Justinianus, «gewiß! Belisarius also doch ein Verräter? Dann tut Eile not. Handeln wir.» «Ich habe schon gehandelt, Justinian. Mein Netz ist unentrinnbar schon gestellt. Gib mir die Vollmacht, es zusammenzuziehn.» Der Kaiser winkte Gewährung. Und Theodora befahl, indem sie aus den Vorhängen schritt, dem Velarius: «Hole sogleich aus seinem Hause in mein Gemach Cethegus, den Präfekten von Rom.» Elftes Kapitel Und alsbald stand Cethegus vor seiner noch immer verführerisch schönen Jugendfreundin, die in dem uns wohlbekannten Gemach auf ihrem Pfühl ausgestreckt lag. Galatea reichte ihr manchmal in kleiner Onyxschale die Tropfen, die ihr der persische Arzt griechische reichten nicht mehr aus - verordnet hatte. «Ich danke, dir, Theodora», sagte Cethegus. «Und muß ich's doch einem andern - nicht mir selber - danken - einem Weibe! -dank' ich's am liebsten doch der Jugendgenossin.» «Höre, Präfekt», sprach Theodora, ihn ernsthaft betrachtend, «du wärest ganz der Mann - soll ich sagen der Barbar oder der Römer? - eine Kleopatra, der Cäsar und Antonius gehuldigt, erst zu küssen und dann doch im Triumph nach dem Kapitol zu führen zur Erdrosselung, wie Octavian vielleicht geplant. Wenn ihm nicht jene Schlangenkönigin zuvorkam. Kleopatra war immer mein Vorbild. Einen Cäsar hab' ich nicht gefunden. Aber die Schlange - bleibt vielleicht nicht aus. - Du hast mir nicht zu danken. Ich habe aus voller Überzeugung gesprochen und gehandelt. Diese gotische Gefahr und Beschimpfung muß in Blut erstickt werden. Ich war vielleicht nicht immer so treu als Gattin, wie Justinian geglaubt. Aber ich war sein bester, treuster Senator von jeher. Belisar und Narses sind nicht wohl zusammen und noch weniger jeder allein nach Italien zu senden. Du sollst gehen: du bist ein Held, ein Feldherr, ein Staatsmann, und du bist doch zu ohnmächtig, Justinian zu schaden.» «Ich danke für die gute Meinung», sagte Cethegus. «Freund, du bist ein Feldherr ohne Heer, ein Kaiser ohne Reich, ein Steuermann ohne Schiff. Doch lassen wir's -: du willst mir nicht glauben. Ich sende dich nach Italien aus tiefster Überzeugung: - du hassest grimmig die Barbaren. Der zweite Feldherr, den unvermeidlich dir kaiserliches Mißtrauen nachsendet, soll Areobindos sein, der Schneckenprinz: er wird dich nicht viel stören. Aber Freude macht mir's, daß ich zugleich den Jugendgenossen dabei fördern kann wie das Reich. Ach Cethegus, die Jugend! Euch Männern ist sie goldne Hoffnung oder goldne Erinnerung: dem Weib ist sie -: das Leben. Ah, nur noch einen Tag aus jener Zeit, da ich dir Rosen schenkte und du mir Verse.» «Deine Rosen waren schön, Theodora, aber meine Verse waren nicht schön.» «Mir schienen sie schön: - sie waren an mich! Aber wie alte Liebe versüßt auch alter und neuer Haß mir die Wahl, die ohnehin des Reiches Wohl erheischt. Belisar soll nicht mehr zu neuen Ehren steigen. Nein, fallen soll er, diesmal tief und für immerdar. So wahr ich herrsche in Byzanz.» «Und Narses? Mir wäre lieber und begreiflicher, du stürztest diesen Kopf ohne Arm als jenen Arm ohne Kopf.» «Geduld - einer nach dem andern.» «Was hat dir der gutherzige Held getan?» «Er? Nichts, aber sein Weib! Diese plumpe Antonina, deren ganzer Triumph in ihrem gesunden Blute liegt.» Und grimmig ballte die zierliche Kaiserin die kleine, weiße Hand, die noch durchsichtiger geworden. «Ha, wie ich sie hasse! Ja, beneide! Dumme Leute bleiben immer gesund. Aber sie soll nicht frohlocken, während ich leide.» «Und an solchem Weiberhaß hängt das Schicksal des Kapitols», sagte Cethegus zu sich selbst. «Nieder mit Kleopatra! Die Närrin ist vernarrt in Ruhm und Größe ihres Mannes: -hier kann ich sie am tödlichsten treffen! Warte!» Ein Zucken durch ihr feines Gesicht verriet einen Anfall heftiger Schmerzen: sie warf sich in die Kissen zurück. «Aber Täubchen», mahnte Galatea, «laß doch den Ärger! Du weißt, was der Perser sagt. Jede Erregung von Liebe, von Haß» -- «Ha, Hassen und Lieben ist Leben. Und der Haß wird im Alter fast noch süßer denn die Liebe. Liebe ist treulos, Haß ist treu.» «Ich bin in beiden», sprach Cethegus, «ein Stümper gegen dich. hab' ich dich stets genannt. Man ist nie sicher, ob du nicht unter dem Kuß plötzlich dein Opfer zerreißest - aus Liebe oder Haß. Und was hat deine Liebe zu Antoninen plötzlich in Haß verkehrt?» «Tugendhaft ist sie geworden, die Heuchlerin! Oder ist sie wirklich so schwachköpfig? Auch möglich! Ihr Fischblut hat sich nie in Wallung bringen lassen: für eine starke Leidenschaft und für ein starkmütiges Verbrechen war sie stets zu feig. Sie ist zu eitel, die Huldigung der Liebe entbehren, zu armselig, sie erwidern zu können. Seit sie ihren Gatten in seine Kriege begleitet, ist sie wieder ganz tugendsam geworden. Ha, ha, ha, aus Not: wie der Teufel fastet, wenn er nichts zu essen hat. Weil ich ihren Verehrer hier eingesperrt behalten!» «Anicius, den Sohn des Boethius? Ich hörte davon.» «Ja, in Italien hat sie sich wieder ganz ihrem Mann angeschlossen, seinen Ruhm und sein Unglück geteilt. Und sie ist seitdem ganz Penelope, ganz die gute Ehefrau. Und hierher zurückgekehrt, was tut sie, die Gans? Macht mir Vorwürfe, daß ich sie vom Pfad der Tugend abgelockt! Und schwört, sie werde Anicius aus meinen Banden lösen. Und es gelingt ihr, der Schlange. Sie weckt dem Toren das Gewissen, reißt ihn täglich mehr von mir los, meinen ungetreuen Kämmerer natürlich, um ihn für sich zu behalten!» «Du kannst dir also nicht vorstellen», fragte Cethegus, «daß ein Weib eine Seele für den Himmel wirbt ohne: -?» «Ohne Prozente Bergelohn zu erheben? Nein! - Dabei täuscht sie aber sich und ihn mit frommen Reden. Und o wie gern läßt sich der Jüngling retten von der jugendlich blühenden Erretterin aus meinen Armen, der Verwelkenden, der Krankenden - der vor der Zeit Verzehrten. Ah», rief sie leidenschaftlich und sprang von dem Pfühl, «daß der Leib ermüdet erliegen muß, ehe noch die Seele sich zum tausendsten Teil ihres Dursts nach Leben ersättigt hat. Leben aber ist Herrschen, Hassen, Lieben.» «Du scheinst unersättlich in diesen Künsten und Genüssen.» «Ja, und ich rühme mich dessen. Und ich soll fort von des Daseins reichbesetzter Tafel, herab von diesem Kaiserthron, mit dem brennenden Heißhunger nach Freude und Macht! Und nur wenige Tropfen noch soll ich schlürfen! Oh, die Natur ist eine elende, schmähliche Pfuscherin! Alle Äonen einmal zeugt sie, neben Myriaden von Krüppeln, häßlich an Leib und ohnmächtig an Geist, einmal zeugt sie einen Leib, eine Seele wie Theodoras, schön und stark und verlangend, die Ewigkeit hindurch zu leben und zu genießen. Und nach drei Jahrzehnten, nachdem ich kaum genippt am vollen Becher, versagt die Natur dem lechzenden Lebensdrang! Fluch über den Neid der Götter! Aber auch Menschen können beneiden: und der Neid macht sie zu Dämonen. Nicht sollen andre genießen, wo ich nicht mehr genießen kann. Nicht sollen andre lachen, wenn ich mich in Schmerzen winde Nächte durch! Nicht frohlocken soll die strotzend Gesunde mit dem Treulosen, der Theodoras war und dabei noch einer andern denken konnte, oder der Tugend, oder des Himmels. Erst heute hat er mir gesagt, er trage nicht länger dies ruhmund ehrlose Leben in meinen Frauengemächern: - Himmel und Erde riefen ihn hinweg. Er soll es büßen - mit ihr -! Komm, Cethegus», sprach sie grimmig, seinen Arm ergreifend, «wir wollen sie beide verderben.» «Du vergißt», sagte Cethegus kalt, «ich habe keinen Grund, sie oder ihn zu hassen. Was ich also hierin tue, tue ich um deinetwillen.» «Doch nicht, du kluger, eisiger Römer. Glaubst du, ich durchschaue dich nicht?» «Hoffentlich nicht», dachte Cethegus. «Du willst Belisar fernhalten von Italien. Allein willst du dort kriegen und siegen. Höchstens einen Schatten neben dir haben, wie Bessas war und Areobindos sein wird. Meinst du, ich habe das nicht durchschaut, als du damals vor Ravenna die Abberufung Belisars so meisterhaft eingefädelt hast? Sorge um Justinian! Was liegt dir an Justinian!» Cethegus pochte das Herz. «Freiheit Roms! Zum Lachen! Du weißt, daß nur starke, einfache Männer die Freiheit ertragen. Du kennst deine Quiriten. Nein, dein Ziel liegt höher.» «Sollte dies Weib durchschauen, was alle meine Feinde und Freunde nicht geahnt?» bangte Cethegus. «Du willst Italien allein befreit haben und allein als Justinians Statthalter Italien regieren, der nächste an seinem Thron, hoch über Belisar und Narses, der nächste nach Theodora: und, gäb es Höheres, du wärst der Geist, danach zu fliegen.» Cethegus atmete auf. «Das wäre doch nicht all der Mühe wert», dachte er. «Oh, es ist ein stolzes Gefühl, der erste Diener Justinians zu sein.» «Natürlich, über ihren Mann hinaus, ob sie ihn täglich verrät, vermag sie nicht zu denken.» «Und, als der Gehilfe Theodoras, ihn, den Kaiser, - zu regieren.» «Die Schmeichelluft dieses Hofes betäubt zuletzt auch den hellsten Verstand», dachte Cethegus. «Das ist der Wahnsinn des Purpurs. Sie kann sich selber nur als Allbeherrscherin denken.» «Ja, Cethegus, keinem andern gönnt' ich es, solches nur zu denken. Dir will ich's erringen helfen: - mit dir will ich die Herrschaft der Welt teilen: - Vielleicht nur um törichter Jugenderinnerungen willen: weißt du noch, wie wir vor Jahren zwei Kissen verteilten in meiner kleinen Villa? Wir nannten sie Orient und Okzident. Das war ein Omen. So laß uns jetzt Orient und Okzident verteilen. Durch meinen Justinian beherrsch' ich den Orient. Durch meinen Cethegus will ich den Okzident beherrschen.» «Hochmütig, unersättlich Weib!» dachte Cethegus. «Wäre mir nur Mataswintha nicht gestorben, die jungfräuliche. Sie an diesem Hof - und du versankst.» «Aber dazu», fuhr Theodora fort, «muß erst Belisar für immer aus dem Wege. Justinian war entschlossen, ihn abermals, und zwar als deinen Oberfeldherrn, zu senden.» Cethegus furchte die Brauen. - «Er vertraut immer wieder seiner hündischen Treue. Er muß von seiner Untreue greifbar überzeugt werden.» «Das wird schwerhalten», meinte Cethegus. «Eher lernt Theodora die Treue, als Belisar die Untreue.» Ein Schlag der kleinen Hand auf den Mund war seine Strafe. «Dir bin ich, törichterweise, treu geblieben, - d. h. im Wohlwollen. Willst du Belisar wieder in Italien haben?» «Um keinen Preis.» «Dann hilf, ihn verderben samt dem Sohn des Boethius.» -«Sei's», sagte der Präfekt. «Ich habe keinen Grund, den Bruder des Severinus zu schonen. Aber wie? Wie willst du den Beweis von Belisars Untreue führen? Darauf bin ich gespannt. Wenn du das vermagst, erkläre ich mich, wie im Lieben und Hassen, so im Planen einen Stümper gegen Theodora.» «Das bist du auch, schwerfälliger Sohn von Latium. Nun höre: aber das ist so gefährlich, daß ich selbst dich, Galatea, bitten muß, Wache zu stehen, daß niemand kommt und lauscht. Nein, Goldmütterchen, nicht innerhalb, - ich bitte recht schön: außerhalb der Türe. - Laß mich nur allein mit dem Präfekten - es gilt - leider! - nur ein Geheimnis des Hasses.» Als nach geraumer Zeit der Präfekt das Gemach verließ, sagte er zu sich selber: «Wenn dieses Weib ein Mann wäre, - der müßte mir sterben. - Er wäre gefährlicher als die Barbaren, samt Byzanz. Aber dann freilich, dann wäre die Bosheit nicht so unergründlich teuflisch.» Zwölftes Kapitel Bald nachdem der Präfekt nach Haus gekommen, meldete Syphax den Sohn des Boethius: die Kaiserin sende ihn. «Laß ihn ein und niemand sonst, bis er fort ist. Einstweilen aber schicke schleunigst nach Piso, dem Tribun.» Der junge Anicius, einstweilen zum Mann herangereift, trat ein. Er trug einfache Kleidung, und sein Haar, sonst künstlich gelockt und gesalbt, hing heute schlicht herab. Seine weichen Züge - sie erinnerten den Präfekten lebhaft an Kamilla -gewannen sehr durch den Ausdruck von Entschlossenheit, der heute darauf ruhte. «Du mahnst mich an deine schöne Schwester, Anicius», mit diesen Worten empfing ihn der Präfekt. «Ihretwegen, Cethegus, bin ich gekommen», sprach der Jüngling ernst. «Du bist der älteste Freund meines Vaters, meines Hauses. Du hast mich und Severinus in deinem eignen Hause geborgen gehalten und, mit Gefahr für dich selbst, geflüchtet, als man nach uns forschte. Du bist der einzige in Byzanz, von dem ich väterliche n Rat in einer dunkeln Pflicht erbitten kann. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich diesen rätselhaften Brief.» «Anicius, dem Sohne meines Patronus, Corbulo, der Freigelassene... -» «Corbulo? Ich kenne den Namen.» «Der Freigelassene meines Vaters, bei welchem meine Mutter und Schwester Zuflucht gefunden, und der... -» «Mit deinem Bruder vor Rom gefallen ist.» «Ja, aber er starb erst im gotischen Lager, wohin er, selbst schwerverwundet, mit meinem sterbenden Bruder aus dem Dorf ad aras Bacchi, gefangen gebracht wurde. So erzählt mir ein mitgefangener armenischer Söldner Belisars, Sutas, der mir den Brief überbrachte, den Corbulo nicht mehr vollenden konnte. Lies selbst.» Und Cethegus nahm das kleine Wachstäfelchen mit den kaum leserlichen Zügen und las: «Das letzte Wort, das Vermächtnis deines sterbenden Bruders war: Anicius soll nun rächen die Mutter, die Schwester, mich: uns alle hat derselbe Dämon unseres Hauses... - -» «Hier endet leider der Brief», sagte Cethegus, Anicius die Tafel zurückgebend. «Ja, dem treuen Corbulo vergingen die Sinne, und er erwachte nicht mehr aus seiner Ohnmacht, sagt der Söldner.» «Damit ist nicht viel zu machen», meinte achselzuckend Cethegus. «Gewiß, aber der Söldner Sutas hörte noch ein Wort meines sterbenden Bruders zu Corbulo sie lagen in einem Zelte -: das kann ein Schlüssel werden.» «Nun?» fragte Cethegus, teilnehmend gespannt. «Severinus sagte: Ich ahn' es. Er wußte von diesem Hinterhalt. - Er hat uns in den Tod geschickt.'» - «Wer?» fragte Cethegus ruhig. «Ja, das eben fragt sich.» - «Du hast keine Ahnung?» -«Nein, aber es kann nicht unmöglich sein, den Gemeinten zu entdecken.» - «Wie willst du das anfangen?» «In den Tod geschickt?: - das kann nur einen Anführer, einen Feldherrn meinen, der meinen Bruder veranlaßte, an jenem Morgenritt Belisars aus dem tiburtinischen Tor sich zu beteiligen. Denn Severinus gehörte damals nicht zu dem Gefolge Belisars. Er war Tribun deiner Legionäre. Es muß gelingen, wenn du, Belisar, Prokop ernstlich nachspüren, den zu ermitteln, der ihn veranlaßte. Denn er ging nicht etwa auf deinen Befehl mit andern Legionären: keiner deiner Legionäre und Reiter war sonst dabei.» «Das ist richtig», sagte Cethegus, «soviel ich mich entsinne.» «Nein, nicht einer. Prokop - leider ist er nun verreist, Bauwerke Justinians in Asien kennenzulernen - war ja selbst dabei: oft zählte er mir die Namen aller auf. Wenn er wiederkehrt, werde ich sorgfältig forschen, mit wem etwa mein Bruder vor dem Ausfall zuletzt verkehrt, in wessen Haus oder Zelt er war: - ich werde nicht ruhen und rasten -, ich werde Severins noch lebende Kameraden befragen, wo sie ihn zuletzt, vor dem Ausritt, gesehn.» «Du bist scharfsinnig für deine Jahre», sagte der Präfekt mit seltsamem Lächeln. «Wenn solche Klugheit erst zu Reife kommt! Aber freilich: du lebst in guter Schule für die Schlauheit. Weiß die Kaiserin von deinem Rätselbrief?» «Nein, und sie soll nie davon erfahren. Nenne mir ihren Namen nicht! Diese Rachepflicht sendet mir Gott als letzten Mahnruf, mich von ihr zu reißen.» «Aber sie sendet dich zu mir?» «In einer andern Sache - die aber sehr gegen ihre Meinung enden soll. Vor kurzem ließ sie mich heute rufen: noch einmal fragte sie mich lächelnd, ob es denn gar so schwer im goldigsten Käfig auszuhalten sei? Mich aber ekelt des Weibes. Und mich reut schmerzlich der Monate, die ich bei ihr verloren, indes mein Bruder für das Vaterland gefochten und gefallen. Ich gab ihr so herbe Antwort, daß ich einen Sturm des Zorns erwartete. Aber zu meinem Staunen blieb sie ganz ruhig und sprach lächelnd: Und ich kam zu dir: aber nicht, um zu fliehen: um dich und meine römischen Waffenbrüder zu warnen. Ich werde auch die Versammlung besuchen - heute droht noch keine Gefahr, versicherte die Kaiserin -, sie alle zu warnen, ihnen zu sagen, daß die Verschwörung entdeckt ist. Du darfst nicht hin, Präfekt, du darfst dich nicht weiter bloßstellen: Justinian mißtraut dir bereits. Die Unsinnigen wollen warten, bis sie Belisar gewonnen haben! Und vielleicht morgen schon sind sie alle gefangen, wenn man sie nicht warnt. Ich eile heute, die Freunde zu warnen. Dann aber ruhe und raste ich nicht, bis ich den Mörder meines Bruders herausgefunden.» «Beides sehr löblich», sprach Cethegus. - «Nebenbei gesagt, wo birgst du die Briefe der Verschworenen?» «Wo ich», sprach der Jüngling errötend, «alle Geheimnisse, andre, heiligere barg - mir unendlich teure Briefe und auch diese Tafel bergen will -, du sollst darum wissen: denn du, der älteste Freund unsres Hauses, du sollst mein Rachewerk mit vollenden helfen. Auch die Aussagen des Söldners Sutas über kaum verständliche Reden der beiden Sterbenden habe ich am gleichen Ort geborgen. Sie lauteten von , von dem , von einer also muß der Feind römischer Senator gewesen sein, - vom , vom .» «Und so weiter», unterbrach Cethegus. «Wo ist der Versteck? Du kannst einmal wirklich rasch entfliehen müssen, denn ich rate dir doch sehr, der Kaiserin nicht zu traun, du erreichst vielleicht einmal dein Haus nicht mehr.» «Und dann ist es notwendig, daß du mein Werk aufnehmest. Ich wollte dir schon selbst sagen: in der Zisterne im Hof meines Wohnhauses - der dritte Ziegel links vom Schöpfrad ist hohl. Auch schon deshalb», fuhr er finsterer fort, «sollst du davon wissen... Wenn die Freunde, die Verschwornen nicht zu retten sein sollten - wenn meine eigne Freiheit bedroht wird - denn du hast recht mit deiner Warnung: ich bemerke schon lange, daß mir Späher nachschleichen - des Kaisers oder der Kaiserin? -dann mach' ich rasch ein blutig Ende -: Was liegt dann an meinem Leben? Wenn ich den Auftrag Severins doch nicht mehr erfüllen kann - dann - ich habe dem Kaiser jeden Morgen zu melden, wie die Kaiserin geruht - stoß' ich den Tyrannen nieder in Mitten seiner Sklaven.» «Wahnsinniger!» rief Cethegus in aufrichtigem Schreck -denn nun wollte er Justinian am Leben und in Herrschaft erhalten - «wohin reißt dich die Reue und ein planlos zerfahrenes Leben? Nein, der Sohn des Boethius darf nicht als Mörder enden. Willst du in Blut deine ruhmlose Vergangenheit sühnen, - wohlan, so kämpfe unter meinen Legionären: im Blut der Barbaren reinige dich, mit dem Schwerte des Helden, nicht mit dem Dolch des Meuchlers.» «Du sprichst groß und wahr. Und du willst mich, den Unerprobten, deinen Rittern beigesellen! Wie kann ich dir danken?» «Spare den Dank, bis alles vollendet -: bis wir uns wiedergesehn. Einstweilen warne heute abend die Verschwornen. Das ist schon eine Probe des Mutes. Denn ich halte es nicht für ungefährlich, da man dir nachschleicht. Wenn du die Gefahr scheust - sag' es offen.» «Ich soll die erste Probe des Mutes scheuen? Ich komme, zu warnen: und ob mich drum der sichre Tod erwarte.» Und er drückte des Präfekten Hand und eilte hinweg. Sowie er entfernt war, - nur einen Blick warf ihm der Präfekt nach - führte Syphax den Tribun Piso aus einem andern Eingang in das Gemach. «Tribun der Jamben», rief ihm Cethegus zu, «jetzt heißt es raschfüßig sein, wie deine Verse. Genug der Verschwörungen und der Katzentritte hier in Byzanz! Augenblicklich suchst du alle jungen Römer auf, die im Hause des Photius verkehrten. Keinen von euch darf die Abendsonne mehr in diesen Mauern finden. Es gilt das Leben. Keiner darf zu dem des Photius kommen. Einzeln, n Gruppen, geht auf die Jagd: fahrt Segel um die Wette, auf dem Bosporus: aber eilt hinweg. Die Verschwörung ist überflüssig. Bald ruft wieder schmetternd die Tuba zum Kampf gegen die Barbaren in Latium. Fort mit euch allen! Harret meiner zu Epidamnus. Von da hol ich euch mit meinen Isauriern ab: zum dritten Kampf um Rom. Fort mit dir! Syphax», forschte er, mit diesem jetzt im Gemach allein, «hast du nachgefragt in des großen Feldherrn Hause? Bis wann wird er zurückerwartet?» «Bis Sonnenuntergang.» «Die treue Gattin harret in seinem Hause? Gut. Eine Sänfte, -nicht die meine -: miete die nächste vor dem Hippodrom, deren Läden ganz verschließbar sind. Führe sie in die Hafenstadt, in die Hinterstraße der Trödler.» «Herr, dort wohnt das ärgste Gesindel dieser gesindelreichen Bettlerstadt. Was willst du dort?» «Einsteigen in die Sänfte. Dann nach dem roten Hause.» Dreizehntes Kapitel In dem roten Hause, dem Palaste Belisars, in der Neustadt «Justinina» (Sycä) saß Antonina in dem Frauengemach, emsig in Arbeit vertieft. Sie stickte an einem mit goldnen Lorbeeren verbrämten Mantel für den Helden Belisarius. Auf dem Citrustischlein neben ihr lag, in kostbarem Umschlag, mit Edelsteinen besetzt, ein mit Purpurtinte geschriebenes Prachtexemplar von Prokops «Vandalenkrieg», dem kürzlich erschienenen Werke, das den glänzendsten Feldzug ihres Gemahls beschrieb. Zu ihren Füßen lag ein herrlich Tier, einer aus dem Doppelpaar der zahmen Jagdleoparden, die der Perserkönig nach dem letzten Frieden dem Sieger Belisar geschenkt -: eine höchst kostbare Gabe, da nur selten die Zähmung völlig sicher gelang und viele hundert der jung eingefangenen oder auch in der Gefangenschaft geworfenen Jungen nach jahrelanger Ablichtung als unzähmbar getötet werden mußten. Das wunderschöne, große und starke Tier - es verwilderte zu leicht auf der Jagd durch Genuß warmen Blutes und war deshalb zu Hause gelassen worden - streckte sich behaglich, wie eine Hauskatze, auf Antoninens Gewand, spielte mit dem Knäuel von Goldfaden, ringelte den Schweif und rieb den runden, klugen Kopf und den Bug an der Gebieterin Füßen. Da meldete die Sklavin einen fremden Mann, - in unscheinbarer Mietsänfte sei er angekommen und in schlechtem Mantel - : man habe ihn abweisen wollen, da der Hausherr fern und Antonina in seiner Abwesenheit keinen Besuch mehr empfange. «Aber man kann ihm nicht widerstehn! Er befahl: » «Cethegus!» rief Antonina: sie erbleichte und zitterte. «Laßt ihn schleunigst ein.» Die Überlegenheit, die der gewaltige Geist in jener ersten Stunde ihrer Begegnung über sie gewonnen und nie wieder verloren hatte, die Erinnerung, wie dieser Mann, als ihr Gatte und der kluge Prokop und all die Heerführer vor dem Priester widerstandslos erlegen waren, den Überwinder überwunden und gedemütigt hatte, wie er dann, bei dem Einzug in Rom, in der Schlacht an der Aniobrücke, in Roms Verteidigung gegen Witichis, in dem Lager vor Ravenna, bei der Gewinnung dieser Stadt, immer und überall seine Obmacht bewährt und sie doch nie feindlich gegen Belisar gebraucht hatte - wie Unheil nur aus dem Widerstreben gegen seine Warnungen gefolgt - wie jeder seiner Ratschläge an sich siegreich gewesen war - all diese Erinnerungen schossen nun verwirrend und betäubend in ihrem Haupte zusammen. Die Schritte des Präfekten nahten. Sie stand hastig auf. Der Leopard, unsanft weggeschoben und um des Eindringlings willen aus seinem behaglichen Spiel aufgestört, richtete sich leise knurrend auf, drohend gegen den Eingang blickend, und die gelben Zähne fletschend. Ungestüm schlug der Eintretende die Vorhänge zurück und steckte das halb von der Kapuze bedeckte Haupt herein. Das erschreckte oder reizte den Leopard: - bei der ersten Bändigung bedienten sich die persischen Löwen- und Tigerzüchter langer Wollteppiche und Gesicht und Hals schirmender Vermummungen: - Erinnerung an einen alten Feind mochte in dem grimmen, nie ganz gebändigten Tier erwacht sein: mit furchtbarem Wutgeschrei duckte es sich zum tödlichen Ansprung, den Boden mit der langen Rute peitschend und Geifer spuckend -: das sichere Anzeichen grimmigster Wut. Entsetzt erkannte das Antonina. «Flieh, flieh, o Cethegus», schrie sie. Tat er das, wandte er den Rücken, so war er verloren -, so saß ihm das Untier festgebissen auf dem Nacken. Denn keine verschließbare Tür, nur Vorhänge sperrten den Rückweg. Er trat rasch vor, warf die Kapuze zurück, blickte scharf in des Leoparden Augen, den Zeigefinger der Linken gebietend erhoben und ein breites, blitzendes Dolchmesser gerade vor sich hin streckend. «Nieder! Nieder! Heiß Eisen sonst droht!» So rief er in persischer Sprache dem knurrenden Untier entgegen, noch einen Schritt vortretend. Da brach der Leopard in ein winselndes Heulen der Furcht aus: die zum Sprung gekrümmten Muskeln erschlafften: winselnd kroch er, auf allen vieren sich vorschiebend, heran und leckte, zitternd vor Furcht, dem Manne die Sandale des linken Fußes, indes ihm dieser den rechten Fuß fest auf den Nacken setzte. Antonina war vor Entsetzen auf die Knie gesunken: starr blickte sie jetzt auf das furchtbar schöne Bild. «Das Tier - die Proskynese!» stammelte sie. «Dareios hatte sie immer verweigert: - er wurde wütend, wann Belisar sie erzwingen wollte: - Wo hast du, Cethegus, das gelernt?» «In Persien natürlich», sagte dieser. Und er stieß dem ganz gebrochenen Tier so heftig den Fuß in die Rippen, daß dieses, laut aufschreiend vor Schmerz, hinwegfuhr und in der fernsten Ecke des Zimmers Schutz suchte, wo es zitternd, die Augen ängstlich auf den Mann gerichtet, liegen blieb. «Belisarius hat nur die Burgen, nie die Sprache der Perser bemeistert», sagte Cethegus: «diese Bestien aber verstehen nicht griechisch. Du bist ja grimm gehütet, wenn Belisar fern ist», fuhr er fort, den Dolch wieder in den Brustfalten bergend. «Was führt dich in sein Haus?» fragte, noch bebend, Antonina. «Die oft verkannte Freundschaft. Es gilt, deinen Gatten zu retten, der den Mut des Löwen, aber nicht die Geschicklichkeit der Maus besitzt! Prokop ist leider fern. Sonst hätt' ich diesen ihm vertrauteren Berater gesendet. Ich weiß, daß Belisar von dem Kaiser ein schwerer Schlag droht. Es gilt ihn abzuwenden. Des Kaisers Gunst... -» «Ist wankelhaft, ich weiß es. Aber die Verdienste Belisars -» «Gerade diese sind sein Verderben. Einen Unbedeutenden würde Justinian nicht fürchten. Aber er fürchtet Belisarius.» «Das haben wir oft erfahren», seufzte Antonina. «Wisse denn - du zuerst von allen, was niemand außerhalb des Palastes ahnt -: des Kaisers Schwanken ist seit heut' entschieden -: für den Gotenkrieg.» «Endlich!» rief Antonina, und ihr Antlitz hellte sich auf. - «Ja, aber - bedenke die Schmach! -: nicht Belisar ist zum Feldherrn bestimmt.» - «Wer sonst?» fragte Antonina zornig. «Ich bin der eine Feldherr... -» Mißtrauisch blickte sie auf ihn. «Ja, das war mein Streben schon lang: ich gestehe es. Aber der zweite soll Areobindos sein. Ich kann mit diesem Schattenmann nichts anfangen. Ich kann nicht neben ihm, mit ihm, gehemmt durch seinen Unverstand, die Goten besiegen. Die Goten besiegt niemand als Belisarius. Deshalb muß ich ihn wieder neben mir, meinetwegen über mir, als Oberfeldherrn, mit mir haben. Sieh, Antonina, ich halte mich für den größeren Staatsmann -» «Mein Belisar ist ein Held, kein Staatsmann», sagte die stolze Gattin. «Aber lächerlich wäre es, mich als Feldherrn mit dem Vandalen-, Perser- und Goten-Besieger zu vergleichen. Sieh, ich gestehe dir ja ganz offen: nicht bloß Wohlwollen für Belisarius, auch Selbstsucht leitet mich dabei. Ich muß Belisar zum Waffengenossen haben.» - «Das leuchtet mir ein», sagte sie wohlgefällig. «Justinian ist aber nicht zu bewegen, Belisarius zu ernennen. Noch mehr: er mißtraut ihm aufs neue: und zwar mehr denn je.» «Weshalb aber, bei allen Heiligen?» «Belisarius ist zwar unschuldig, aber sehr unvorsichtig. Seit Monden erhält er heimlich Briefe, Zettel, Mahnungen zugesendet, in den Mantel im Bade gesteckt, in den Garten geworfen, - die ihn zur Teilnahme an einer Verschwörung auffordern.» «Himmel, du weißt davon?» stammelte Antonina. «Leider nicht nur ich, auch andre Leute -: der Kaiser selbst!» -«Es gilt aber nicht des Kaisers Leben oder Thron», beschwichtigte Antonina. «Nein, nur seiner Freiheit, seiner Selbstbestimmung: - - - So und ähnlich lauteten die Zettelchen, nicht wahr? Nun, Belisar hat zwar nicht Folge geleistet. Aber er hat auch, der Unkluge, nicht gleich den ersten Wink von diesen Aufforderungen dem Kaiser angezeigt! Das kann Belisars Kopf kosten!» «O alle Heiligen!» rief Antonina händeringend, «er unterließ es auf meinen Rat, auf mein Bitten. Prokop riet ihm - wie du jetzt - gleich alles dem Kaiser zu melden. Aber ich zitterte vor des Kaisers Mißtrauen, das schon in der Aufforderung an Belisar einen Schein der Schuld erblicken konnte.» «Das war es wohl nicht allein», sprach Cethegus vorsichtig, erst nach Lauschern sich umblickend, «was deinen Rat bestimmte, dem Belisar, wie immer, folgte.» «Was sonst? Was kannst du meinen?» forschte Antonina leise. Sie errötete über und über. «Du wußtest, daß gute Freunde eures Hauses beteiligt waren: - diese wolltest du erst warnen, erst lösen von den Schuldigen, ehe sie angezeigt würden.» - «Ja», stammelte sie, «Photius, sein Freigelassener -» «Und noch ein andrer», flüsterte Cethegus, «der doch nicht, aus Theodoras goldnem Kerker kaum befreit, gleich in die Gewölbe des Bosporus wandern sollte.» Antonina schlug beide Hände vor das Antlitz. «Ich weiß alles, Antonina: - die geringe Schuld von früher -die starken guten Vorsätze späterer Zeit. Aber hier hat dich die alte Neigung bestrickt. Statt nur an Belisar zu denken, hast du auch an sein Wohl gedacht. Und wenn nun darüber Belisar untergeht - wes ist die Schuld?» «O halt ein, erbarme dich», flehte Antonina. «Verzage nicht», fuhr Cethegus fort. «Dir bleibt ja eine starke Stütze - eine Fürsprecherin bei Justinian. Wenn auch vielleicht Verbannung droht - das Äußerste wird doch die Fürbitte deiner Freundin abwenden, der Allmächtigen.» «Die Kaiserin! Weh uns!» rief Antonina entsetzt. «Wie wird sie alles darstellen! Ach, sie hat uns den Untergang geschworen.» «Dann ist's schlimm», sprach Cethegus, «sehr schlimm. Denn auch die Kaiserin weiß von der Verschwörung und von den Ladungen an Belisar. Und du weißt: viel geringere Schuld als die, zu einer Verschwörung aufgefordert zu sein, genügt...» «Die Kaiserin weiß es? Dann sind wir verloren! O du, der du Auswege zu finden weißt, wo kein Auge sonst sie sieht: - hilf, rette.» Und die stolze Gestalt sank flehend vor dem Präfekten nieder. Aus der Zimmerecke erscholl ein klägliches Geheul, bei diesem Anblick schüttelte den Leoparden aufs neue die Furcht. Einen raschen Blick warf der Präfekt auf den heulenden Gegner - dann erhob er sanft die Kniende. «Auf, Gattin Belisars, verzage nicht. Ja, es gibt ein Mittel, Belisar zu retten. Aber nur eines.» «Soll er jetzt die Anzeige machen, sobald er heimkehrt?» «Das ist zu spät. Und zu wenig. Man würde ihm nicht glauben, daß es ihm Ernst mit bloßen Worten. Nein, er muß in Taten seine Treue beweisen. Er muß die Verschworenen alle zusammen fassen und alle zusammen dem Kaiser ausliefern.» «Wie kann er sie zusammen fassen?» «Sie laden ihn ja selbst. Heute nacht, in des Photius, seines Freigelassenen, Hause versammeln sie sich. Wohlan: er sage zu, ihr Haupt zu werden. Er erscheine und nehme sie dort alle gefangen. Anicius», fügte er rasch bei, «ist von der Kaiserin selbst gewarnt für heute nacht - er war bei mir.» «Oh, und müßt' er sterben: - es gilt ja, Belisar zu retten. Er muß es tun! Ich seh' es ein. Und es ist kühn, gefährlich - es wird ihn reizen.» «Wird er seinen Freigelassenen opfern?» - «Siebenmal haben wir den Toren vergebens gewarnt. Was liegt an Photius, wenn es Belisar gilt. Wenn ich je Gewalt über ihn gehabt: - heute werd' ich ihn überzeugen. Schon früher riet ihm Prokop, einmal einen solchen, wie er sagte, brutalen Beweis seiner Treue zu führen, nachdem er nicht gleich die erste Aufforderung dem Kaiser mitgeteilt. Ich werde ihn dieses Rats Prokops erinnern. Sei gewiß: er folgt meinem, unsrem übereinstimmenden Rat.» «Gut, er soll vor Mitternacht dort sein. Wann der Wächter auf den Mauern die zwölfte Stunde ausruft, breche ich in den Saal: und, auf daß er ganz sicher geht, soll er nur eintreten, wenn er meinen Mauren Syphax in der Nische des Hauses hinter der Petrus-Statue sieht. Auch kann er einige seiner Leibwächter vor das Haus stellen: sie sollen ihn decken für den Notfall und Zeugnis ablegen für ihn. Große Verstellungskunst wird ihm nicht zugemutet. Er soll erst kurz vor Mitternacht eintreten: er braucht dann nur zu hören, nicht zu reden. Unsere Wachen harren im Hain des Constantinus vor der Hintertür des Muschelhauses des Photius: mit dem Ausruf der Mitternacht -die Tuba bläst die Ablösung der Wachen, du weißt, man hört es deutlich - brechen wir ein. Er braucht also gar nicht das Wagnis zu übernehmen, ein Zeichen zu geben.» «Und du, - du kommst gewiß?» «Ich werde nicht fehlen. Leb' wohl, Antonina.» Und rasch war er, rückwärts schreitend, das Antlitz dem gebändigten Tiere zugekehrt, das Messer zückend, an dem Ausgang. Der Leopard hatte auf den Moment gewartet: er regte sich leise in der Ecke, sich aufrichtend. Da aber, zwischen den Vorhängen, erhob Cethegus nochmal den Stahl und drohte. «Nieder, Dareios! Heiß Eisen sonst droht.» Und er war hinaus. Der Leopard duckte den Kopf auf den Mosaikestrich und stieß ein kläglich Geheul ohnmächtiger Wut aus. Vierzehntes Kapitel König Totila war mit Flotte und Heer nach Rom zurückgekehrt, in den eroberten Städten nur kleine Besatzungen lassend, nachdem der Kaiser auf Grund seiner Forderungen Friedensverhandlungen eröffnet und einen Waffenstillstand von sechs Monaten erbeten hatte, vor dessen Ablauf der Friede durch byzantinische Gesandte geschlossen werden sollte, die er in Bälde nach Rom zu schicken versprach. Das Glück Totilas und der Glanz seiner Herrschaft standen nun auf der Höhe des Ruhmes. Der siegreiche Angriff auf das byzantinische Reich hatte seinem Namen weithin leuchtenden Schimmer verliehen. Auch auf Italien warf er wirkungsvolle Strahlen. Die beiden letzten, von den Byzantinern behaupteten Städte waren Perusia in Tuscien und Ravenna, das unbezwingbare. Perusia ergab sich nun nach langer, zäher Verteidigung dem Grafen Grippa: und selbst von Ravenna fiel der wichtigste Teil, die Hafenstadt Classis, endlich in die Hand des alten Hildebrand, der nun seit mehr als achtzehn Monden die Feste umschlossen hielt. Da jetzt die Verpflegung der Stadt von der See her abgeschnitten werden konnte, - der König hatte den Auftrag gegeben, alle bisher vereinzelten Geschwader zu einer starken Flotte bei Ancona zu sammeln und den Hafen Classis zu sperren - war ihr baldiger Fall durch Aushungerung zu erwarten. So war denn nur noch ein einziger Schritt zu tun zur vollen Lösung des Gelübdes, das Totila dereinst dem sterbenden Vater Valerias geleistet. Nur in der Landseite von Ravenna noch standen Byzantiner auf italischem Boden: in wenigen Wochen mußte die Stadt die Tore öffnen, und nichts stand mehr der Vermählung des Gotenkönigs mit der schönsten Tochter Italiens im Wege. Totila beschloß, diesen Schritt vorzubereiten durch eine öffentliche, feierliche Verlobung mit seiner Braut, durch ein glanzvolles Siegesfest, das die errungenen Erfolge verherrlichen, die Geliebte dem ihm nicht wohlgefälligen Einfluß des Klosters entziehen und sie, die künftige Königin, dem Hofe, dem Reiche zeigen sollte: denn bisher hatten ja nur Graf Teja und die vertrautesten Freunde Totilas Brautschaft und Braut gekannt. Cassiodor und Julius hatten als hohe Ehre den Auftrag angenommen, die Verlobte des Königs aus Taginä abzuholen und nach Rom zu führen. Südwestlich vom jetzigen Monte Testaccio, wo der Tiber längs der aurelianischen Umwallung hinläuft und die Stadt verläßt, ragte auf sanftem Hügel eine alte kaiserliche Villa aus der Zeit der Antonine. Totila liebte den Ort, der von der Höhe einen wundervollen Ausblick den Fluß hinab und in die Campania gewährte: den Fluß, den jetzt wieder zahlreiche kleine Handelsschiffe bevölkerten, die von dem Hafen Portus herauf die Frachten der großen Seeschiffe in die Stadt führten: die Campania mit ihren wieder aus dem Schutt und der Zerstörung von zwei Belagerungen emporsteigenden Landhäusern. Mit geringer Nachhilfe hatte der König den alten Cäsarenpalast wieder wohnlich herstellen lassen, auf der prachtvollen, breiten Terrasse vor der Villa, welche die Krone der bis an den Fluß hinabsteigenden Marmortreppe bildete, sollte die Festfeier ihre reich geschmückte Stätte finden. Totila hatte von Neapolis den alten Bildhauer Xenarchos, der zuerst die Dioskuren zusammengefügt, entboten und ihn beauftragt, aus der Fülle von verfügbaren Statuen in Rom und den nächsten Städten die vorzüglichsten zu wählen und sie auf den leeren Postamenten zu beiden Seiten der Marmortreppe aufzustellen. Mit liebevollem Eifer hatte sich der Alte seines Auftrags entledigt: und eine herrliche Doppelreihe von Göttern, Göttinnen und Heroen schloß bald von beiden Seiten die Mamorstufen ein. Die Terrasse war überwölbt von einem weiten Purpurzelt, wie man sie über die Räume des Amphitheaters spannte, zum Schutz gegen die Sonne, geöffnet aber gegen den kühlenden Wind vom Flusse her: nach rückwärts verlief die Terrasse in das säulengetragene Vestibulum der Villa. Das Königszelt, die Treppe, das Vestibulum, die ganze Villa waren aber umschlungen von zahllosen Gewinden des immergrünen Laubes, das im Winter und Sommer den Garten Italias schmückt. Von der Spitze des Königszeltes wallte stolz durch die römischen Lüfte das neue, prachtvolle Banner Totilas, das Valeria und ihre Genossinnen zu Taginä kunstvoll mit Gold und Silber in hellblaue Seide gestickt: den goldnen Schwan zeigend, der gegen den blauen, von silbernen Sternen besäten Himmel mit ausgespannten Schwingen auffliegt. Höher noch ragte zur Rechten das alte, ruhmvolle Amalungenbanner Dietrichs von Bern, mit dem steigenden goldnen Löwen. Niedriger, zur Linken, eine Trophäe: das Banner Belisars, das Totila vor dem tiburtinischen Tor erbeutet hatte, das war als Siegeszeichen mit gesenkter Spitze aufgesteckt. Fünfzehntes Kapitel Es war der Tag der Juni-Kalenden, auf den das Siegesfest angesetzt war. Die Bevölkerung Roms wogte von den frühesten Morgenstunden an durch die geschmückten Straßen und Plätze der Stadt gegen den aventinischen Hügel und den Fluß, der von zahllosen Gondeln belebt war: rings um die Villa hin waren Zelte, Laubhütten, Tische aufgeschlagen, an denen das Volk von Rom gespeist wurde. Nachdem Cassiodor in der Sankt Peterskirche unter den Gebeten eines arianischen und eines katholischen Priesters - der letztere war Julius - die Tochter seines alten Freundes dem König verlobt und sie die Ringe getauscht hatten, schritt das Paar in glänzendem, feierlichem Aufzug über den Janiculus gegen das rechte Tiberufer, überschritt den Fluß auf der festlich geschmückten, von Laubbogen überwölbten Brücke des Theodosius und Valentinian und erreichte dann, dem Laufe des Stromes folgend, unterhalb des Emporiums die Festhalle der Villa. Hier, im Angesicht des versammelten Volksheeres, unter dem an seinem Speer aufgehängten Goldschild des Königs, trat die Römerin in den linken Schuh des gotischen Bräutigams, und er legte die gepanzerte Rechte auf ihr dunkles, von durchsichtigem Schleier bedecktes Haar. So war die Verlobung nach kirchlichem, nach römischem und nach germanischem Brauch geschlossen. Nun nahm das Brautpaar an dem Mitteltisch der Terrasse Platz, Valeria von edeln Römerinnen und Gotinnen, Totila von Herzogen und Grafen seines Heeres umgeben; abwechselnd spielten und sangen griechische und römische Flötenspieler: und römische Tänze wechselten mit dem Schwertersprung gotischer Jünglinge, indessen auf dem Fluß, an beiden Ufern desselben und rings um die Villa her die römischen und gotischen Gäste des Königs gemeinsam schmausten, tranken und den milden Herrn und seine schöne Braut um die Wette feierten. Ernst sinnend blickte Valeria in die Ferne, sie öffnete leise die Lippen. «Welchen Namen nanntest du?» fragte sie der König, ihr seinen Becher zum Vortrinken reichend. Sie tat Bescheid und sprach, die goldne Schale zurückgebend: «Miriam!» -«Miriam Dank und Ehre!» sagte der König, ernst den Becher hebend. Aber da klang es goldhell von Harfensaiten: und in ganz weißem, goldgesäumtem Festgewand, einen Kranz von Lorbeern und Eichenblättern um die Schläfe, trat Adalgoth vor das Paar, warf noch einen fragenden Blick auf seinen Harfen-und Waffenlehrer, Graf Teja, der dem König zur Rechten saß, und sang mit heller Stimme zu den Akkorden seiner Harfe: «Hört, alle Völker, fern und nah, Byzanz, vernimm es wohl: Der Gotenkönig Totila Thront hoch im Kapitol! Wie weit ist doch vom Tiberstrom Held Belisar verschreckt: Vom Orkus ist, nicht mehr von Rom, Cethegus nun Präfekt. Aus welchen Blättern ziemt ein Kranz Dem König Totila? An seiner Brust in Rosen Glanz Erglüht Valeria. Den Frieden schirmet und das Recht Sein Schwert, sein Schild, sein Stern: Olive, leih dein fromm Geflecht Mir für den Friedensherrn! Wer trug den Schreck des Rachekriegs Gewaltig bis Byzanz? Komm, Lorbeer, welsches Kraut des Siegs Komm reich in meinen Kranz! Doch nicht wuchs ihm die Siegeskraft Aus Romas Moderstaub: Frisch kröne seine Heldenschaft Germanisch Eichenlaub. Hört, alle Völker, fern und nah, Byzanz, vernimm es wohl: Der Gotenkönig Totila Thront hoch im Kapitol!» Rauschender Beifall folgte seinem Lied, indes ein römischer Knabe und ein gotisches Mädchen, vor dem Brautpaare kniend, je einen Kranz von Rosen, Oliven, Lorbeern und Eichenblättern überreichten. «Auch unsere Sänger, Valeria», lächelte Totila, «sind nicht ganz ohne Wohllaut. Und nicht ohne Kraft und Treue. Mein Leben dank' ich dem Sänger da.» Und er legte die Hand auf Adalgoths Haupt. - «Gar unsanft schlug er deinem Landsmann Piso, seinem Kollegen in Apollo, auf die geschickt skandierenden Finger: - zur Strafe, daß er an meine Valeria mit diesen Fingern wohl manchen Vers geschrieben und in derselben Hand nun das tödliche Eisen gegen mich schwang.» «Nur eins hätt' ich noch lieber gehört, mein Adalgoth», sagte Teja leise zu diesem, «als dein Jubellied.» «Was, mein Schwert- und Harfen-Graf?» «Den Todesschrei des Präfekten, den du leider nur im Gesang in die Hölle geschickt hast.» Aber Adalgoth ward von einer Menge von gotischen Kriegern die Treppe hinabgerufen und lange nicht wieder freigegeben: denn seinen gotischen Hörern, welche die Siege Totilas mit erfochten, gefiel sein Lied viel besser als es vielleicht dir, liebe Leserin, gefällt. Herzog Guntharis umarmte und küßte ihn und sprach, indem er ihn zur Seite führte: «Mein junger Held! Das ist ein Ähnlichkeit! So oft ich dich sehe, ist mein erster Ausruf, Alarich.» «Ei, das ist mein Schlachtruf», sagte Adalgoth, und im Gespräch verschwanden sie unter der Menge. Sechzehntes Kapitel Gleichzeitig blickte der König nach der Säulenhalle der Villa zurück, da plötzlich das Spiel der dort aufgestellten Flötenbläser abbrach. Er erkannte den Grund wohl: und er selbst sprang, mit einem Rufe des Staunens, von seinem Sitz. Denn zwischen den beiden kranzumwundenen Mittelsäulen des Eingangs stand eine Gestalt, die nicht irdisch schien. Ein wunderholdes Mädchen in ganz weißem Gewand, einen Stab in der Hand und einen Kranz von weißen Sternblumen um das Haupt. «Ah, was ist das? Lebt dies reizvolle Bild?» fragte erstaunt der König. Und alle Gäste, all' die Frauen und Männer umher, folgten dem Blick seines Auges, der Bewegung seiner Hand mit Staunen. Denn was an der schmalen Öffnung die Blumengewinde übriggelassen, war ausgefüllt von einer lieblichen Erscheinung, derengleichen sie nie geschaut. Das Kind - oder Mädchen - hatte das glänzend weiße Linnenkleid auf der linken Schulter mit einer Saphirspange geheftet: den breiten, goldnen Gürtel schmückte ein großer Kreis von Saphiren: wie zwei weiße Flügel fielen die langen weißen Zipfelärmel von ihren Schultern: Efeuranken umwoben die ganze Gestalt, die Rechte hielt, auf der Brust ruhend, den blumenumwundenen, gekrümmten Hirtenstab: die Linke hielt einen wundervollen Kranz von Waldblumen und ruhte auf dem mächtigen Haupt eines großen, braunzottigen Hundes, der um den Hals auch einen Blumenkranz trug. Ohne Furcht, sinnig, forschend fiel ihr Blick über die glänzende Versammlung. Staunend harrten eine Weile die Gäste, regungslos stand das Mädchen. Da stand der König auf von seinem Thron, schritt auf sie zu und sprach: «Willkommen in der Goten Königssaal, bist du ein irdisch Wesen», lächelte er. «Bist du aber, - was ich fast lieber glauben möchte - der Licht-Elben wundervolle Königin, - nun, so sei uns auch willkommen: dann muß dir ein Thron hoch über des Königs Sitz gerüstet werden.» Und anmutig begrüßend lud er sie, mit beiden Armen winkend, näher. Sie aber trat nun, schwebenden Schrittes, über die Schwelle der Säulenhalle auf die Terrasse, errötete und sprach: «Wie sprichst du doch liebliche Torheit, Herr König! Ich bin keine Königin. Ich bin ja Gotho, die Hirtin. Du aber bist - ich seh's mehr an deiner lichten Stirn als an dem Goldreif - du bist Totila, der Gotenkönig, den sie den Freudenkönig nennen. Da hast du Blumen, du und deine schöne Braut - ich hörte: eurer Verlobung gilt dies Fest Gotho hat nichts andres zu spenden: ich pflückte und wand sie, wie ich des Weges durch die letzten Haine kam. Und nun, König, der Waisen Schirmherr und des Rechtes Schutz, nun höre mich und hilf mit deinem Schutz.» Der König nahm wieder neben Valeria Platz: das Mädchen stand zwischen beiden: die Braut faßte ihre Hand: der König legte ihr die Hand aufs Haupt und sprach: «Bei deinem eignen wundersamen Haupte schwör' ich dir Schutz und Recht. Wer bist du? und was ist dein Begehr?» «Herr, ich bin eines Bergbauern Enkelin und Kind. Ich bin erwachsen auf dem Iffaberg unter Blumen und Einsamkeit. Ich hatte nichts Herzliebes auf Erden als einen Bruder. Der ist mir davon gezogen, dich zu suchen. Und als der Großvater zu sterben kam, schickte er mich zu dir: bei dir soll ich den Bruder, Recht und Schicksalslösung finden. Und er gab mir zu Begleitung den alten Hunibad mit von Teriolis: aber dessen Wunden waren nicht ausgeheilt, und sie brachen bald wieder auf, und schon in Verona blieb er liegen. Und lange Zeit hatt' ich ihn zu pflegen, bis auch er starb. Und dann zog ich ganz allein, nur mit Brun, dem treuen Hunde, quer durch all dies weite, heiße Land, bis ich endlich Romaburg und dich gefunden. Und gute Ordnung hältst du, Herr König, in deinem Land: -man muß dich loben. Deine Königsstraßen sind Tag und Nacht bewacht von deinen Sajonen und Lanzenreitern. Und gar freundlich und gut waren sie mit dem einsam wandernden Kinde. Und wiesen mich jede Nacht zu einem Hause guter Goten, wo die Hauswirtin mein pflegte. Und sie sagen ja: solchen Rechtsfrieden schirmst du im Lande, daß man goldne Spangen auf deine Königsstraßen legen und sie nach vielen, vielen Nächten dort sicher wieder finden kann. Und in einer Stadt, Mantua glaub' ich, hieß sie, war, gerade als ich über den Markt schritt, groß Gedräng, und alles Volk lief zusammen. Und deine Sajonen führten einen Römer in ihrer Mitte zum Tode und riefen: Und sie schlugen ihm den Kopf ab auf offnem Markt, und alles Volk erschrak vor König Totilas Gerechtigkeit. Nun, treuer Brun, hier darfst du schon rasten, hier tut mir niemand was zuleide. Auch seinen Hals hatt' ich, euch zu Ehren, heut' mit Blumen bekränzt.» Und sie schlug dem gewaltigen Hund leise auf sein zottiges Haupt: mit einem klugen Blick trat er vor an des Königs Thron und legte die linke Vorderpranke zutraulich auf dessen Knie. Und der König gab ihm Quellwasser zu trinken aus flacher, goldner Schale. «Für goldne Treue», sprach er, «goldnen Becher. Wer aber ist dein Bruder?» «Ja», sagte sie nachdenklich, «nach vielem, was mir Hunibad unterwegs und auf dem Krankenbett erzählt, glaub' ich, daß sein Name nicht der rechte. Aber er ist leicht zu kennen», fuhr sie errötend fort. «Goldbraun wogt sein Gelock: und sein Auge ist blau wie dieser lichte Stein: und seine Stimme ist hell wie die der Lerche: und wenn er Harfe schlägt, blickt er nach oben, als sähe er den Himmel offen... -» - «Adalgoth», rief der König! - «Adalgoth!» wiederholten alle Goten. «Ja, Adalgoth heißt er», sprach sie. Da flog dieser - sein Name schlug, laut gerufen, an sein Ohr -die Stufen herauf: «Meine Gotho!» jubelte er. Und sie hielten sich umschlungen. «Die gehören zusammen», sagte Herzog Guntharis, der dem Jüngling gefolgt war. «Wie Morgenrot und Morgensonne», sprach Teja. «Nun aber laß mich», sprach das Mädchen, sich losmachend, «meinen Auftrag erfüllen: des sterbenden Großvaters Gebot. Hier, Herr König, nimm diese Rollen und lies sie: Da soll alles Schicksal drin stehen für Adalgoth und Gotho: Vergangenheit und Zukunft sprach der Ahn.» Siebzehntes Kapitel Und der König entsiegelte die äußeren Schnüre und las: «Dies hat geschrieben Hildegisel, des Hildemut Sohn, den sie den Langen nennen, ehemals Priester, dermalen Burgmann zu Teriolis. Geschrieben auf Vorsprechen des alten Iffa: und ist alles wahrhaftig aufgeschrieben. Also: nun kommt's. Das Latein ist wohl oft nicht, wie es in der Kirche gesungen wird. Aber Ihr werdet's schon verstehn, Herr König. Denn wo's schlecht Latein, da ist's gut Gotisch. Also nun kommt's aber wirklich. So spricht Iffa, der Alte: » Ein Ruf des Staunens ging durch die Versammlung der Goten. Der König hielt inne. Herzog Guntharis aber sprach: «Dann ist Adalgoth, der sich den Sohn des Wargs nannte, der Sohn des Balten Alarich, den er selber als des Königs Herold, umreitend in allen Städten auf weißem Roß, mit lautem Heroldspruch gesucht. Und niemals sah ich größere Ähnlichkeit als die zwischen Vater Alarich und Sohn Adalgoth.» «Heil dir, Herr Herzog von Apulien!» rief lächelnd Totila und schloß den Knaben in die Arme. Sprachlos vor Staunen sank Gotho nieder in die Knie, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und zu Adalgoth aufblickend seufzte sie: «Also nicht mein Bruder? O Gott! - Heil dir, Herr Herzog von Apulien. Leb' wohl, auf immer!» und sie stand auf und wandte sich, zu gehen. «Nicht meine Schwester?» jubelte Adalgoth. «Das ist das Beste an dem ganzen Herzogtum Apulien! Halt da» - und er fing sie auf, drückte ihr Köpfchen an die Brust, küßte sie herzhaft auf den Mund und sprach zum König: «Herr König Totila, nun gebt uns zusammen. Hier ist meine Braut - hier steht meine Herzogin.» Totila aber, welcher einstweilen beide Urkunden durchflogen hatte, lächelte: «Ja, da braucht's nicht Salomons Königsweisheit dazu, hier das Rechte zu finden. - Junger Herzog von Apulien, so verlob' ich dir die Braut.» Und er legte das weinende, lachende Kind in seine Arme. Zu den Goten umher aber sprach er: «Vergönnt, daß ich euch aus dem etwas ungeschlachten Latein von Hildemuts Sohn - ich kannte ihn: besser war er mit dem Speer als mit der Feder zu brauchen - und dem Testament des Herzogs die Wunder kurz erkläre, die wir hier sehen. Herzog Alarich beteuert hier seine Unschuld.» «Die ist jetzt erwiesen: durch seinen Sohn», rief Herzog Guntharis, «und ich hatte nie an seine Schuld geglaubt.» «Er erfuhr erst spät den geheimen Ankläger. Unser Adalgoth hat dessen Namen aus der zertrümmerten Cäsarstatue ans Licht gebracht. Cethegus der Präfekt hatte eine Art Tagebuch geführt, in geheimer Schrift: aber Cassiodorus hat sie, mit Staunen und Entsetzen über die Frevel des so lang von ihm bewunderten Mannes, entziffert. Da fand sich ein Eintrag folgenden Inhalts in dem vor etwa zwölf Jahren geschriebenen Anfang: » «Ja, dir fehlte die andre Hälfte, Adalgoth», sprach die Hirtin und holte aus dem Busentuch das zweite Stück. «Sieh, hier lauten die Runen: » «» So las, nun beide Halbringe zusammenhaltend, Teja. Totila aber fuhr fort: «Endlich aber hatte mich der König nicht mehr schützen können, als ihm Briefe vorgelegt wurden, so meisterhaft gefälscht und meiner Handschrift nachgebildet, daß ich selbst, als mir zuerst ein harmloser Satz aus dem Inhalt, auf einem herausgeschnittenen Pergamentstreifen, vorgelegt wurde, ohne weiteres anerkannte Und an seinem Blick erriet ich es: er und kein andrer war der falsche Ankläger. Als letzte Gnade gewährte mir der König die Mittel, aus dem Kerker zu entfliehen. Aber ich ward geächtet, friedlos gehetzt mit meinem ganzen Haus; mein Erbe eingezogen. Lang zog ich unstet in den Nordbergen umher, bis ich mich entsann, daß auf dem Berg der Iffinger bei Teriolis altgetreue Gefolgen meines Geschlechts siedelten: dorthin wanderte ich mit meinem Knaben und wenigen Schatzstücken des Baltenhauses. Und die Getreuen nahmen mich auf und meinen Knaben und bargen mich unter dem Namen Wargs - - und gaben mich für den Sohn des alten Iffa aus und entfernten alle unverlässigen Knechte, die mich hätten verraten können. Und so leb' ich im Verborgnen manches Jahr. Meinen Sohn aber will ich und sollen nach mir die Iffinger erziehen zur Rache an Cethegus, dem Verräter. Ich hoffe, einst kommt der Tag, der meine Unschuld aufdeckt. Bleibt er aber allzulang aus, dann soll mein Sohn, wann er schwertreif geworden, hinunterziehen vom Iffaberg gen Italien, den Vater zu rächen an Cethegus Cäsarius. Dies ist mein letztes Wort an meinen Sohn.» «Bald aber, nachdem der Herzog dies geschrieben hatte», las der König aus der andern Rolle weiter, «verschüttete ihn mit einigen meiner Gesippen der Berg in einem Felsenrutsch. Ich aber, Iffa der Alte, habe den Knaben als meinen Enkel auferzogen und als Gothos Bruder, weil immer noch die Friedlosigkeit lastete auf dem Geschlecht des Herzogs Alarich und ich nicht auch auf ihn die Rache des Höllenmannes lenken wollte. Und auf daß der Junge andern ganz gewiß nichts von seiner gefährlichen Abkunft sagen könne, habe ich ihm selber nichts davon gesagt. Als er aber nun schwertreif geworden und ich vernahm, daß in Romaburg ein milder und gerechter König walte, der den höllischen Präfekten niederkämpfe wie der Morgengott den Nachtriesen, da sandte ich jung Adalgoth zur Rache aus und erzählte ihm, daß er ein edles Adelshaupt, den Schutzherrn unsres Geschlechts, nach seines Vaters Auftrag an Cethegus, dem grimmen Verfolger und Verderber, zu rächen habe. Aber daß er Alarichs, des Baltenherzogs Sohn, verschwieg ich ihm, denn ich scheute die Acht, die noch auf ihm lag. Seines Vaters Name konnte ihm, solang die Schuld darauf haftete, nichts nützen, nur schaden. Ganz eilfertig aber schickte ich ihn fort, seit ich erkannte, daß ihn selbst die geglaubte Schwesterschaft nicht abgehalten, meine Enkelin Gotho gar unbrüderlich lieb zu gewinnen. Ich hätte ihm nun zwar wenigstens sagen können, daß Gotho nicht seine Schwester. Das aber soll mir fern sein, daß ich meines alten Herrn-Hauses altadligen Sproß, gleichsam durch Betrug, mit meinem Blut, mit dem schlichten Hirtenkind, verbände. Nein: er wird, wenn Recht auf Erden lebt, dereinst der Herzog von Apulien, wie sein Vater vor ihm. - Und da ich fürchte, daß ich zu sterben komme und Adalgoth noch keine Kunde von des Präfekten Untergang geschickt hat, habe ich den langen Hildegisel gebeten, dies alles aufzuschreiben. (Und ich, Hildegisel, habe für die Schreibung zwanzig Pfund besten Käse erhalten und zwölf Krüge Honig, was ich dankbar bekenne, und beide waren sehr gut.) Und mit alle dem und mit den Schatzstücken, mit den blauen Steinen und feinen Gewändern aus dem Balten-Erbe, und den Goldsolidi sende ich das Kind Gotho an den gerechten König Totila: ihm soll sie alles aufdecken. Er wird die Acht, die Friedlosigkeit nehmen von dem unschuldigen Sohn des unschuldigen Mannes. Und wenn Adalgoth weiß, daß er der edeln Balten Sproß und daß Gotho nicht seine Schwester - dann mag er tun nach seinem Willen: er soll dann frei die Hirtin wählen oder meiden. Nur das wisset, daß der Iffinger Geschlecht nie unfrei war, sondern vollfrei von jeher, wenn auch in des Baltenhauses Schutz. König Totila, du entscheide über sie.» Achtzehntes Kapitel «Nun», lächelte der König, «diese Mühe hast du mir schon abgenommen, Herr Herzog von Apulien.» - «Und die junge Herzogin», schaltete Valeria ein, «hat sich gleich, als hätte sie's geahnt, bräutlich für diesen Tag geschmückt.» «Für euer Brautfest», erwiderte die Hirtin. «Als ich vor den Toren der Romaburg erfuhr von dieser Feier, da öffnete ich, wie der Ahn befohlen, das Bündel und schmückte mich für euch.» - «Unser Verlöbnis», sprach Adalgoth zu seiner Braut, «fiel auf den Verlobungstag des Königspaars - soll auch unser Hochzeitstag der des Königspaares sein?» «Nein, nein», fiel Valeria hastig, fast ängstlich ein. «Nicht noch ein Gelübde, geknüpft an ein älteres, noch ungelöstes! Ihr Kinder des Glückes: seid weise. Heute habt ihr euch gefunden, haltet das Heute fest, das Morgen gehört den ungewissen Göttern.» «Recht sprichst du», jubelte Adalgoth, «heute noch soll Hochzeit sein», und er hob Gotho hoch auf seinen linken Arm, sie allem Volke zeigend, «seht hier, ihr guten Goten, meine kleine Frau Herzogin.» «Mit Vergunst», sprach da eine bescheidene Stimme, «wo so viel Glück und Sonnenschein auf die Gipfel und Höhen des Volkes fällt, da möchte sich auch niederes Gewächs dran laben.» Vor den König trat ein schlichter Mann, an der Hand ein hübsches Mädchen. «Du bist es, wackrer Wachis», rief Graf Teja, zu ihm tretend, «und nicht mehr Knecht, im langen Haar der Freien?» «Ja, Herr: König Witichis, mein armer Herr, hat mich freigelassen, als er mich mit Frau Rauthgundis und Wallada entließ. Seither ließ ich das Haar als Freier wachsen. Und Frau Rauthgundis wollte - ich weiß es ganz gewiß - ihre Magd Liuta hier auch freilassen: und wir sollten nach Volksrecht Ehe schließen als Freie: aber sie kam ja nicht mehr zurück in das Haus bei Fäsulä. Wohl aber ich aus unsrer Waldhütte: und gerade zur rechten Zeit noch flüchtete ich meine Liuta aus der Villa. Tags drauf kamen die Sarazenen Belisars und brannten und mordeten die Stätte aus. Nach Frau Rauthgundis erblosem Tode - denn ihrem Vater Athalwin hatte schon vor ihrem Untergang der Südsturm eine Lawine über Haus und Haupt geworfen - ist nun Liuta dem König als Eigentum zugefallen: und ich möchte daher den König bitten, daß er auch mich wieder zum unfreien Knecht aufnehme, auf daß wir nicht gestraft werden, wenn wir uns freien - und -» Totila ließ ihn nicht aussprechen: «Wachis, du bist treu», rief er gerührt. «Nein, nach Vo lksrecht sollt ihr die Freien-Ehe schließen. Reicht mir ein Goldstück.» «Hier, Herr König», rief eifrig Gotho, aus ihrer Hirtentasche eins hervorholend - «es ist mein letztes, von den sechsen.» Der König nahm es lächelnd, legte es auf Liutas rechte, offne Handfläche und schlug es dann, von unten nach oben, aus ihrer Hand, daß es klingend auf das Mosaikgetäfel sprang und sprach: «Frei und frank Laß ich dich, Liuta, Ledig und lastlos! Freie du fröhlich In Königsfrieden.» Da trat Graf Teja vor und sprach: «Wachis, du trugst schon einmal glücklosem Herrn den Schild. Willst du nun mein Schildträger werden?» Feuchten Auges ergriff der Treue des Grafen Rechte mit beiden Händen. Und nun erhob Teja den Goldpokal und sprach feierlich: «Ihr glänzet im Glück: Schön scheint euch der Schimmer Der seligen Sonne: Doch denket drum doch Treu traurig der Toten! Ohne Glanz, ohne Glück, Doch treu, tapfer und trefflich Rang ruhmvoll der Recke: Witichis, Waltharis wehrlicher Sohn Feiert ihr festfroh, Lichte Lieblinge Gütiger Götter, Goldne Gelage, Ehre doch immer Der Goten Geschlecht Der glücklosen Gatten Geweihtes Gedächtnis. Ich mahne euch, Minne Traurig zu trinken Des mutigen Mannes, Des wackersten Weibes: Witichis' und Rauthgundens Minne trink ich.» Und alle taten, schweigend, freiervoll und trauervoll, Bescheid. Dann hob König Totila nochmal den Becher und sprach laut vor allem Volk: «Er hatte es verdient - ich habe es erreicht: ihm bleibt unvergessene Ehre!» Als er sich niedergelassen - die beiden andern Paare wurden mit an des Königs Tisch gesetzt -, stieg Graf Thorismut von Thurii (seine treue Tapferkeit war durch die Grafenwürde belohnt, aber das Amt des Herolds und Waffenträgers ihm auf seinen Wunsch belassen worden) die Stufen herauf, neigte vor dem König seinen Heroldstab und sprach: «Fremde, fernher gesegelte Gäste meld' ich, König der Goten. Jene große Flotte, die, leicht hundert Segel stark, schon seit mehreren Tagen von deinen Seewarten und Hafentürmen gemeldet wurde, ist nun in Portus eingelaufen. Nordleute sind es: wogenkundig, kühnes Volk, aus fernstem Thule-Land. Hochbordig ragen ihre Drachenschiffe, und Schreck verbreiten deren ungetüme Bugsprietbilder. Aber zu dir kommen sie friedlich. Und das Königsschiff hatte gestern schon Boote ausgesetzt, und hohe Gäste segeln den Fluß herauf. Ich rief sie an und erhielt zur Antwort: Da warf aber mein Vater, König Frode, seinen Stab zürnend zur Erde und rief: , sprach ich, , und ergriff seine Hand. , fuhr mein Vater fort, Und wir hörten nun freilich schon, wie wir einfuhren in das Meer von Midilgardh, von den Seefahrern, daß eure Not gewendet sei durch einen neuen König, den sie schilderten wie den Gott Baldur, daß ihr Romaburg und alles Land von Gardarike wiedergewonnen und siegreich in Grekaland selbst geheert habt. Und wir sehen ja jetzt mit Augen, daß ihr unsre Waffenhilfe nicht braucht. Ihr lebt herrlich und in Freuden in dieser Methalle: und alles ist voll roten Goldes und weißen Gesteins. Aber doch muß ich wiederholen meines Vaters Wort und Rat: folgt ihm! Er ist weise! Noch jeder hat's bereut, der König Frodes Rat verschmäht.» Allein Totila schüttelte lächelnd das Haupt und sprach: «Großen Dank sagen wir König Frode und euch für edle, seltne Treue. Unvergessen soll in der Goten Gesänge solche Brudertreue sein der Nordland-Helden. Aber, o König Harald, folge mir und blick' um dich her.» - Und er stand auf, nahm den Gast an der Hand und führte ihn an den Eingang des Zeltes, die Vorhänge zurückschlagend: da lagen Strom und Land und Stadt in glühendem Licht des Sonnenuntergangs: «Sieh dies Land, unvergleichlich an Herrlichkeit des Himmels und des Bodens und der Kunst: -siehe diesen Tiberstrom von glücklichen, jubelnden, schönen Menschen bedeckt, schau' diese Büsche von Lorbeer und Myrten: blicke hin auf die Säulenpaläste, die dort von Rom her im Abendstrahl schimmern, auf die hohen Marmorbilder auf diesen Stufen -: und sage du selbst, würdest du dies Land räumen, wenn es dein wäre? Würdest du diese Herrlichkeit vertauschen mit Nordes Fichten und Föhren und frühlingslosem Eise, mit den rauchgeschwärzten Holzhütten auf nebliger Heide?» «Ja, das würd' ich, beim Hammer Thors! Dies Land hier ist gut, drin zu heeren, drin zu schwelgen, drin zu siegen: jedoch dann schleunig auf und davon gefahren mit der Siegesbeute nach Hause! Ihr aber seid hier hereingeworfen wie Wassertropfen auf heißes Eisen. Und wenn jemals wir Odins-Söhne dieses Südland beherrschen, dann werden das doch nur solche von uns, die einen breiten Rückhalt haben an andern Odins-Söhnen. Ihr aber -: ihr seid ja selbst schon ganz anders geworden als wir. Welsche Frauen haben eure Großväter, eure Väter, ihr selbst gefreit: in wenigen Geschlechtern, wenn das so fortgeht, seid ihr verwelscht: schon seid ihr kleiner, dunkler an Haut und Augen und Haar geworden als wir, wenigstens viele von euch. Ich sehne mich aus dieser schwülen, weichen Luft nach dem Nordwind, der über unsre Wälder und Wogen braust. Ja, und auch nach der rauchgeschwärzten Holzhalle, wo die Götterrunen eingebrannt sind in die Firstbalken und die Harfen der Skalden an den Holzpfeilern hangen und das heilige Herdfeuer immer gastlich lodert. Ich sehne mich nach unsrem Nord zurück: - denn er ist unsre Heimat.» «So vergönne, daß auch wir unsre Heimat lieben, dies Land Italia!» «Nie wird's eure Heimat, nur vielleicht euer Grab. Fremd seid ihr, und fremd bleibt ihr. Oder ihr verwelscht. Aber eures Bleibens, als Odins-Söhnen, ist nicht in diesem Land.» «Mein Bruder Harald, laß es uns doch versuchen», lächelte Totila. «Ja, wir sind verändert seit den zwei Menschenaltern, die unser Volk nun unter Lorbeern lebt. Aber sind wir verschlechtert? Muß man notwendig ein Bärenfell tragen, um ein Held zu sein? Muß man Goldbilder rauben, Marmorbilder zerschlagen, um sich an ihnen zu erfreuen? Kann man nur Barbar sein oder Welscher? Können wir nicht der Germanen Vorzüge behalten, ihre Fehler ablegen, der Welschen Vorzüge uns aneignen, ohne ihre Fehler?» Aber Harald schüttelte das mähnenumwallte Haupt. «Mich soll's freuen, wenn's euch gelingt. Aber ich glaub's nicht. Die Pflanze nimmt die Art des Bodens und des Himmels an, darauf und darunter sie wächst. Und ich möcht' es gar nicht, selbst wenn's mir und den Meinen gelänge. Mir sind unsre Fehler lieber als der Welschen Vorzüge: wenn sie welche haben.» Totila mußte der Worte gedenken, die er einst selber Julius entgegnet. - - «Vom Nordland geht alle Kraft aus - dem Nordvolk gehört die Welt.» «Sag's ihnen doch», fiel seine Schwester ein, «in deines Lieblingsliedes Worten.» Und sie reichte ihm die Harfe hin: Harald aber spielte und sang eine Stabreim-Weise, die Adalgoth, in Schlußreime übertragen, Valeria folgendermaßen verdolmetschte: «Thor stand am Mitternachts-Ende der Welt: Die Streitaxt warf er, die schwere: Und es flog der Hammer aus seiner Hand, Flog über die ganze Erde, Fiel nieder an fernsten Südens Rand, Daß alles sein eigen werde. Seitdem ist's freudig Germanenrecht, Mit dem Hammer Land zu erwerben: Wir sind von des Hammer-Gottes Geschlecht Und wollen sein Weltreich erben!» Lauter Beifall der gotischen Hörer dankte dem königlichen Sänger, der ganz danach aussah, das stolze Lied verwirklichen zu wollen und zu können. Harald leerte nochmals den tiefen Goldbecher. Dann rief er: «Nun wohlauf, klein Schwesterlein Haralda, auf, ihr meine Segelbrüder da drüben. Nun brechen wir auf. Auf Deck der Midgardschlange müssen wir sein, bevor der Mond drauf scheint. Wie lautet der Wikingabalk? Lange Freundschaft - kurzer Abschied, so ist's NordlandBrauch.» Totila legte die Hand auf seines Gastes Arm. «Eilt's dir so sehr? Du fürchtest wohl, mit zu verwelschen? Bleibe nur noch: so rasch geht's nicht: und bei dir hat's damit gute Wege.» «Ja, da hast du recht, Romkönig», lachte der Riese, «und beim Hammer Thors: ich rühme mich dessen. Aber wir müssen fort. Drei Dinge hatten wir hier zu tun nach König Frodes Gebot: Euch zu helfen im Kampf. Ihr braucht uns nicht. Oder braucht ihr uns noch? Sollen wir bleiben, bis neuer Kampf entbrannt?» «Nein», lächelte Totila, «Friede, nicht neuer Kampf steht bevor. Und käm' es wirklich abermals zum Krieg - soll ich dir dann recht geben, Bruder Harald, daß wir Goten zu schwach, uns allein in Italia zu halten? Haben wir nicht die Feinde geschlagen ohne eure Hilfe? Können wir sie nicht wieder schlagen, wir Goten allein?» «Ich dachte mir's wohl», entgegnete der Wiking. - «Zum zweiten kamen wir, euch zurückzuholen ins Nordland: Ihr wollt es nicht. Und zum dritten: zu heeren auf des Kaisers von Grekaland Inseln. Das ist ein lustig Geschäft und noch lange nicht genug geübt. Kommt mit: helft dabei, rächt euch.» -«Nein, ein Königswort ist heilig. Wir haben Waffenstillstand noch auf Monde. Und höre, Freund Harald. Verwechsle mir ja nicht aus Versehen unsre Inseln mit denen des Kaisers. Unlieb wäre mir, wenn -» «Nein, nein», lächelte Harald, «sorge nicht. Wir haben's schon gemerkt. Vortrefflich gehütet sind eure Häfen und Küsten. Und hier und da hast du ja hohe Galgen aufrichten lassen und Tafeln daran in römischen Runenzeichen - dein Seegraf zu Panormus hat sie uns gedolmetscht: Da haben meine Segelbrüder einen heftigen Abscheu bekommen vor deinen Stangen und Tafeln und Runen. Leb' wohl nun, Romkönig der Goten: möge dein Glück dauern: leb' wohl, schöne Schwarzkönigin. Lebt wohl, all ihr Helden: wenn nicht früher - in Walhall treffen wir uns wieder.» Und rasch sich verabschiedend schritten die Nordleute hinweg. Haralda warf ihren Falken in die Luft. «Flieg voraus, Snotr, auf Deck!» und pfeilschnell schoß der kluge Vogel hinweg, gerade über den Fluß hinabfliegend. Der König und Valeria geleiteten die Gäste bis auf die vorletzte Stufe der Treppe: dort tauschten sie den letzten Händedruck. Noch einen raschen Blick warf die Jungfrau auf Totila. Harald bemerkte es, und er flüsterte ihr zu, als sie allein die letzte Stufe herabstiegen: «Klein Schwesterlein, deinetwegen scheid' ich so rasch. Gräme dich nicht um diesen schönen König. Du weißt, ich habe vom Vater die Gabe geerbt, todverfallne Männer zu erkennen. Ich sage dir: auf dieses Königs sonnigen Brauen sitzt der Speertod. Er wird den Mond nicht mehr wechseln sehn.» Da zerdrückte die Kriegerin eine Träne in den stolzen Augen. Graf Teja, Herzog Guntharis und Herzog Adalgoth geleiteten die Gäste bis an ihre Boote im Tiber und verweilten, bis sie abgestoßen. Mit ernstem Blick sah ihnen Teja nach. «Ja, König Frode ist weise», sagte er. «Aber oft ist die Torheit süßer als die Wahrheit. Und großartiger. - Geh nur voran zum Zelt zurück, Herzog Guntharis. Ich sehe da den Fluß herauf das Botenschiff des Königs eilen. Ich will sehen, welche Nachricht es bringt.» «Ich bleibe bei dir, mein Meister», sprach Adalgoth besorgt, «du siehst so furchtbar ernst. Was hast du?» «Eine Ahnung, mein Adalgoth», sprach Teja, den Arm um des Jünglings Nacken schlingend. «Sieh, wie rasch die Sonne sinkt. Mich schauert. - Laß uns dem Botenschiff entgegengehen - da unten wird es landen, wo die alten, gestürzten Marmorsäulen liegen.» Totila und Valeria waren nach dem Zelte zurückgewandelt. «Hat dich bewegt», fragte die Römerin erschüttert, «mein Geliebter, was jener Fremdling sprach? Es war - Guntharis und Teja haben mir's erklärt -, es war sehr ernst.» Aber Totila erhob rasch das nachdenklich gesenkte Haupt. «Nein, Valeria, es hat mich nicht erschüttert. Des großen Theoderichs großes Werk hab' ich auf meine Schultern genommen. Der Traum meiner Jugend, der Gedanke meines Königtums: - ich will für ihn leben und sterben. Komm: - wo bleibt Adalgoth, mein Mundschenk? - Komm, noch einmal tu Bescheid mit dem Becher, Valeria - laß mich trinken auf das Glück des Gotenreichs.» Und hoch erhob er den Pokal. Aber er vermochte nicht, ihn zu Munde zu führen, denn Adalgoth eilte, laut rufend, die Stufen hinan, gefolgt von Teja. «König Totila», rief jetzt Adalgoth atemlos, «bereite dich, ein Furchtbares zu hören, fasse dich... » Totila setzte den Pokal nieder und fragte erbleichend: «Was ist geschehn?» «Dein Botenschiff brachte die Kunde von Ancona her: Der Kaiser hat den Waffenstillstand gebrochen - er hat... » Da war Teja heran: sein langes, schwarzes Haar flatterte im Winde. Geisterblaß war sein Antlitz, und sein Auge sprühte: «Auf, König Totila», rief er, «den Kranz aus dem Haar, und den Helm auf das Haupt! Auf der Höhe von Senogallia, nahe bei Ancona, hat eine Flotte des Kaisers die unsere, die im Schutz des Waffenstillstandes lag, plötzlich feindlich überfallen. Unsere Flotte ist nicht mehr. Von unsern vierhundertsiebzig Segeln sind nur elf gerettet. Ein starkes Heer des Kaisers ist gelandet. Und Feldherr ist -: Cethegus, der Präfekt.» Zwanzigstes Kapitel In dem Lager Cethegus' des Präfekten bei Setinum, am Fuß des Apenninus, wenige Meilen nördlich von Taginä, schritt Lucius Licinius, der soeben von Epidamnus her zur See eingetroffen war, in eifrigem Gespräch mit Syphax vor dem Zelt des Feldherrn auf und nieder. «Mit Schmerzen erwartet dich mein Herr, o Kriegstribun. Schon seit mehreren Tagen. Hoch erfreut wird er sein, dich zu finden im Lager», sprach der Numider. «Er muß bald zurückkehren von einem Ritt der Kundschaftung.» «Wohin ritt er?» «Mit Piso und den andern Kriegstribunen gegen Taginä.» «Ja, das ist die nächste, feste Stadt der Goten nach Süden zu. Nun aber erzähle mir, kluger Maure, von den letzten Dingen, die zu Byzanz geschahen. Du weißt: mich hatte dein Herr zu den Langobarden auf Werbung geschickt, lange bevor in Byzanz eine Entscheidung erreicht war. Als ich nun, nach gefahrvoller Reise durch das Land der Langobarden und der Gepiden, bei Novä über den reißenden Ister wieder glücklich in das Reich Justinians gelangt war und bei dem Gastfreund in Nikopolis die verabredete Weisung des Präfekten abholte, die meine weiteren Schritte lenken sollte, fand ich nur den lakonischen Befehl: ihn in Senogallia zu treffen. Ich staunte. Denn daß er, an der Spitze von Flotte und Heer des Kaisers, als Sieger, den Boden Italiens wieder beschreiten würde, wagte ich kaum zu hoffen. Von Senogallia her eilte ich eurem Marsche bis hierher nach. Die Heerführer, die ich bisher im Lager getroffen, haben mir nun zwar den Lauf der Dinge ungefähr erzählt bis kurz vor Belisars Verhaftung. Aber von dem Hergang bei dieser und von den späteren Dingen haben sie offenbar keine genauere Kunde. Du aber... -» «Ja, ich weiß diese Sachen: so gut fast wie mein Herr. Denn ich war selbst dabei.» «Ist's möglich? Belisar wirklich ein Verschwörer gegen Justinian? Nie hätt' ich's geglaubt.» Syphax lächelte schlau: «Darüber hat Syphax kein Recht, zu urteilen: ich kann nur genau sagen, was geschah. Nun höre, aber tritt ins Zelt und labe dich, mein Herr würde schelten, ließ ich dich hier draußen, unverpflegt, und es spricht sich auch sichrer drinnen», fuhr er fort, den Zeltvorhang hinter dem Eintretenden schließend. Während er nun den Gast seines Herrn auf den Feldstuhl nötigte und mit Früchten und Wein versah und bediente, hub er an zu erzählen: «Bei Einbruch der Nacht jenes Schicksalstages kauerte ich in einer Nische des Muschelhauses des Photius, des Freigelassenen Belisars, hinter der hohen Statue eines Christenheiligen, dessen Namen ich nicht weiß, der aber einen sehr löblich breiten Rücken hat. Zugedeckt von seinen Schultern konnte ich durch eine Lücke oben in der Mauer spähen, die dem Saale frische Luft zuführen soll. Bei schwacher Beleuchtung erkannte ich Photius und eine Anzahl vornehmer Männer, die ich oft in dem Kaiserpalast oder in Belisars Haus oder bei Prokopius hatte aus- und eingehen sehen. Das erste, was ich verstand - denn mein Herr hat mich die Sprache der Griechen, die sich nennen, lernen lassen -war das Wort des Hausherrn an einen Eintretenden: Freue dich: Belisarius kommt. Nachdem er mich gestern früh kaum eines Blickes gewürdigt, als ich ihn erwartungsvoll in der Ringschule des Zenon anhielt, sprach er mich heute abend selber an, da ich an der offnen Türe seines Hauses lauernd langsam vorüberschritt. Denn ich wußte, daß er gegen Abend wiederkommen werde von der Jagd mit den persischen Leoparden. Vorsichtig drückte er mir dies Wachstäfelchen in die Hand, umspähend, ob ihn niemand sehe. Hier aber steht: fragte Photius. , sprach der Eintretende. Da trat Belisarius ein. Er trug einen weiten, seine Gestalt verhüllenden Mantel. Der Hausherr eilte ihm entgegen, alle drängten sich ehrfurchtsvoll um ihn. , sprach der Freigelassene, Und er drängte ihm den kleinen Elfenbeinstab auf, den der Leiter der Versammlungen führt, und geleitete ihn an den erhöhten Sitz des Vorstehers der Gesellschaft, den er selbst eben verlassen. , sprach finster Belisarius und ließ sich auf dem Ehrensitz nieder. Da eilte verwirrten Haares und fliegenden Gewandes der junge Anicius in das Gemach, ein Schwert in der Hand. , rief er, Belisar erhob sich gespannt. Die Verschwornen stoben nach den Türen. Nur Belisarius blieb ruhig stehen vor dem Ehrensitz. , mahnte der Hausherr, Aber da scholl vor der großen Haustüre der Ruf der Tuba: für mich das Zeichen, meinen Späherposten zu verlassen und mich meinem Herrn anzuschließen, der an der Spitze der kaiserlichen Lanzenträger und Goldschildner mit dem Präfekten von Byzanz und mit Leo, dem Archon der Palastwache, in das Haus stürmte, dessen Fenster und Türen alle umstellt wurden. Prachtvoll sah er aus, mein Gebieter», rief Syphax begeistert, «als er, vom purpurnen Helmbusch umflattert, die rotschimmernde Fackel in der Linken, das Schwert in der Rechten, in das Gemach stürmte: so mag der Feuerdämon aussehn, wenn er in Afrika aus dem flammenden Berge taucht. Ich zog das Schwert und sprang an seine linke Seite, den fehlenden Schild zu ersetzen. Und er hatte mir geboten, den jungen Anicius gleich unschädlich zu machen. , gebot Cethegus, Sein Schwert war über und über rot, denn mit eigner Hand hatte er die Leibwächter niederstoßen helfen, die Belisar am Ausgang des Hains aufgestellt hatte. , rief er den Erschrockenen zu, schrie der junge Anicius und sprang mit dem Schwerte gegen meinen Herrn. Aber schon lag er schwer getroffen zu unsern Füßen, ich riß mein Schwert aus seiner Brust und entwaffnete Photius, der allein noch Widerstand wagte. Die andern ließen sich greifen wie vom Gewitter betäubte Hammel. fragte mein Herr. Der Archon hatte scheu vor Belisar haltgemacht, der in seiner Ruhe verharrte. zweifelte er jetzt, , schrie nun Belisarius, , rief Belisar, warf das Schwert weg und hielt die starken Arme dem Archonten hin, der ihn fesselte. , er hob das Schwert des Belisar vom Boden, Schon am andern Morgen begannen die Verhöre in dem Hochverratsprozeß. Viele Zeugen wurden vernommen: auch ich. Ich beschwor, daß ich Belisar als Haupt der Verschwörung hatte begrüßt werden und handeln sehn. Das Wachstäfelchen hatte ich selbst aus des Photius Kleidern gezogen. Belisar wollte sich auf das Zeugnis seiner Leibwächter berufen: aber sie lagen alle tot. Auf der Folter gestanden Photius und andere Gefangene, daß Belisar endlich eingewilligt habe, das Haupt der Verschwörung zu werden. Antonina wurde streng in dem roten Hause bewacht. Die Kaiserin weigerte ihr die stürmisch verlangte Unterredung. Sehr schwer belastete es sie selbst wie Belisar, daß Späher der Kaiserin beschworen, sie hätten den jungen Anicius, in dessen Zisterne man die Waffen und Urkunden der Verschwörer gefunden, und der mit Gewalt hatte gebändigt werden müssen, wochenlang viele Nächte heimlich in Belisars Haus schleichen sehen: und daß dies Anicius selbst, Antonina und Belisar hartnäckig und unverschämt leugneten, während es ganz zweifellos bewiesen war, empörte die Richter aufs äußerste. Ich mußte Antonina gleich nach der Verhaftung Belisars von meinem Herrn melden, daß dieser im höchsten Grade überrascht gewesen, Belisar wirklich als Haupt der Verschworenen anzutreffen, und ihr zugleich sagen, nicht bloß Briefe des Hasses habe Cethegus in der Zisterne des Anicius gefunden. Bei diesem meinem Wort, das ich selber nicht verstand, sank die schöne Frau ohnmächtig zusammen. Übrigens brachen wir von Byzanz auf, ehe noch das Urteil über Belisar gefällt war. Nur Photius und die meisten Verschworenen waren bereits zum Tode verurteilt, als wir uns mit der kaiserlichen Flotte einschifften nach Epidamnus, wo meines Herrn Kriegstribunen und Söldner und starke, ursprünglich für den Perserkrieg bestimmte Streitkräfte des Kaisers auf uns harrten. Denn meinem Herrn war die neu geschaffene Würde eines Magister Militum per Italiam verliehen und der Befehl über das . Das soll uns Prinz Areobindos nachführen, wenn er das leichte Geschäft vollbracht hat, mit fünffacher Übermacht die kleinen gotischen Besatzungen in den paar Städten von Epirus und den Inseln zu bezwingen. Die sind verloren, wie Sandkörner, die in das Meer gefallen.» «Was verlautet von der Belisar drohenden Strafe? Ich hätte es nie geglaubt, daß dieser Mann... -» «Die Richter werden ihn gewiß zum Tode verurteilen: denn er ist schlagend überführt. Und man streitet, ob in dem Kaiser der Romäer die alte Gnade siegen werde oder der neue Zorn. Man meint: er werde die Todesstrafe in Blendung und Verbannung umwandeln. Sehr schlimm für Belisar, sagt mein Herr, dies unsinnige Leugnen. Und ihm fehlt als Rechtsbeistand und kluger Helfer sein Freund Prokopius, der fern in Asien die Bauwerke des Kaisers aufsucht. Cethegus aber betrieb die Einschiffung des Heeres zu Epidamnus so geheim, daß die dummen Goten hier bei Ancona kaum davon vernahmen. Auch bauten sie auf den Waffenstillstand und erwarteten den bevorstehenden Friedensschluß. Den Vorwand für die Flottenrüstung gewährten Verheerungen, die fremde Schiffe aus Thuleland auf den Inseln des Kaisers anrichteten. So überfiel mein Herr die gotische Flotte in der Nacht, während die Bemannung auf dem festen Lande schlief: und fast ohne Blutvergießen nahm, verbrannte, versenkte er über vierhundert ihrer Kiele. Aber horch: - das ist mein Herr -: ich kenne seinen Gang -: so schreitet nur noch in meiner Heimat der Löwe von Auras.» Einundzwanzigstes Kapitel «Willkommen, Licinius, in Italien und im Siege», rief Cethegus im Eintreten. «Wo hast du die Langobarden?» «Salve, Flottenzerstörer», antwortete der Tribun. «Die Langobarden kommen zwanzigtausend Mann.» «Das sind sehr viel!» sprach Cethegus, plötzlich sehr ernst. «Ich hatte nur siebentausend gewünscht: - ich weiß kaum, woher das Gold für die fast dreifache Zahl aufzubringen. Denn wohl gemerkt: in meinem, nicht in des Kaisers Sold, will ich sie haben.» Freudestrahlend, stolzen Auges aber sprach der junge Ritter: «Ich hoffe auf deine Zufriedenheit, Magister Militum. Unentgeltlich kommen die Langobarden nach Italien.» «Wie das? Und so viele?» «Ja: der Sohn ihres Königs Audoin, - Alboin ist sein Name, den schon weithin das Heldenlied der Germanen preist bis zu den Bajuvaren am Önus und den Saxonen an dem Wisurgis, -ein sehr tapfrer und für einen Germanen erstaunlich kluger Jüngling... -» «Ich weiß von ihm - er diente lang unter Narses», meinte Cethegus mißtrauisch «Dieser kühne und schlaue Barbar hat sich im vorigen Jahre, als Roßhändler verkleidet, nach Italien geschlichen und unerkannt das ganze Land bis Rom und Neapolis durchwandert, die Wege erforscht und die Waffenplätze der Goten. Er wäre noch länger geblieben, hätte ihn nicht derselbe Gote, der meinen armen Bruder erschlagen... -» «Der schwarze Teja?» «Derselbe - mit Argwohn verfolgt und ihn zuletzt als Späher festzunehmen gedroht. Da floh Alboin zurück nach Pannonien. Aber Wein und köstliche Edelfrüchte unseres Landes brachte er mit nach Hause und zeigte sie seinem Vater und seinem Volk: und seither brennen alle Langobarden, dieses Wunderland zu betreten. Alboin verlangt nur alle Beute, die seine Langobarden machen werden, und verzichtet auf Sold: es sind prachtvolle Barbaren, diese Langbärte, viel wilder und rauher als die Goten. , meinte Alboin lachend, als ich ihm dies sagte, Er trinkt aus dem Schädel des Gepidenkönigs, den er im Kampf erschlug. Du wirst deine Freude haben an ihm und seinen Reitern - die sind mehr wert als Isaurier und Abasgen.» «Ich danke deinem Eifer», sagte Cethegus zögernd, «er ist mir fast allzugroß. Es sind so viele.» «Ja, auf geringere Zahl ließ sich Alboin nicht ein: lachte er.» «Nun», schloß Cethegus, «ich vertraue: an der Spitze von zwei kaiserlichen Heeren und von Italien halt' ich auch diese große Zahl von Raubtieren in Gehorsam. Zu den Goten werden sie sich doch nicht schlagen?» «Nein, mein Feld herr. Es geht ein alter Haß durch die Geschichte beider Völker: aus einem jener unfaßlichen Gründe, die nur diese Germanen zum Hasse finden. In grauer Vorzeit hat einmal eine langobardische Königin einen Gotenfürsten ermorden lassen oder umgekehrt: - wer kann sich diese Dinge merken! - und seither ist es Ehrenpflicht von Geschlecht zu Geschlecht, sich zu hassen und zu morden. , sagte mir Alboin.» «Wohl: ihr Unglück sollen sie erben», drohte Cethegus, «sonst haben die Goten nichts zu hinterlassen: sie sterben in der Fremde auf italischer Scholle! Und wann kommen sie, diese pannonischen Wölfe? Ich brauche sie bald.» «Das hat Alboin noch nicht bestimmen können. Sie haben einen Bund mit den noch wilderen Awaren - das sind keine Germanen! - geschlossen, gemeinsam das arme Volk der germanischen Gepiden noch vollends auszumorden und deren Land zu teilen.» «Ein grimmiges, gefährliches Geschlecht», sprach Cethegus kopfschüttelnd. «, lachte Alboin, » «Er kennt sie so gut», sagte Cethegus halb zu sich, «daß man diesen Wolfs-Jüngling sie gar nicht mehr zurückschreiten lassen darf. Licinius, ich brauche rasche und starke Verstärkung. Der Angang war gut: aber nun gehts nicht recht vorwärts. Die Italier, schmählich zu sagen, stehn nicht auf: sie halten zu den Barbaren», lächelte er zornig, «aus ähnlichen Gründen wie mein zu Tod gefressener Freund Balbus. Gewiß rückt der Gotenkönig schon vor Rom heran, mit starkem Heer, seine Flotte zu rächen. Ich kenne ihn: er greift an! So schicke ich denn Eilboten nach Eilboten an Areobindos, der wirklich ein Prinz der Schnecken ist, rasch das heranzuführen: er soll die versprengten Goten in Epirus an der eignen Tollkühnheit ihrer Stellung zugrunde gehen lassen. Aber kein Areobindos kommt. Und mit meinen Byzantinern kann ich im offenen Feld diesen Totila nicht schlagen, wenn er die Übermacht hat.» «Und Ravenna? Wird es sich noch halten können, wenn du nicht eilig Entsatz bringst?» «Ravenna ist befreit. Nach Zerstörung der gotischen Flotte schickte ich auf die Reede von Classis dreißig meiner Trieren unter dem Nauarchen Justinus: sie drangen in den Hafen Classis und versahen die Stadt mit neuen Vorräten. Und vor einigen Tagen vernehme ich, daß der alte Hildebrand die Belagerung auch auf der Landseite aufgehoben und sich in Eilmärschen, westlich um uns herum, mit seinen wenigen Tausendschaften nach Florentina und Perusia gezogen hat. Angeblich, aber das ist eine handgreifliche Unmöglichkeit! weil ein ungeheures Heer des Kaisers auf dem Landweg von Dalmatien, von Salona her, durch Venetien in Eilmärschen gegen Ravenna heranrücke. Wäre dem doch so! Aber leider weiß ich besser, daß das , das übrigens kleiner als das meine, nicht in Dalmatien steht und nicht in Salona, welche Stadt die Goten haben und nicht der Kaiser, sondern drüben in Epidamnus sich sammelt, unglaublich langsam. Denn Prinz Areobindos, dem man sehr mit Unrecht Eilmärsche zutraut, pflückt lieber noch wohlfeile Lorbeern in Epirus. Und deine schöne Gönnerin, mein Licinius, die Kaiserin, ist mir zwar gewogen: aber mich sehr geschwinde siegen zu sehen ist weder ihr noch dem Kaiser der Romäer erwünscht. So muß ich denn harren und harren, bis der Schneckenprinz heranschleicht. Aber da oben bei Senogallia war unseres Bleibens nicht. Mich zog's gen Rom! Auch sind die Stellungen da oben zu schwach, sie gegen Übermacht zu halten. Diese treffliche Stellung hier bei Setinum, Caprä und Taginä habe ich mir schon lang einmal ausgewählt. Und so eilte ich hierher - schnell! Aber doch nicht schnell genug. Denn Setinum zwar gelang es noch zu erreichen. Aber nicht mehr Caprä und Taginä, die notwendige Deckung. Und doch ist Taginä der Schlüssel der Stellung: - ohne Caprä und Taginä ist mein Lager eine Festung zwar mit Wall, aber ohne Graben: die drei Flüßchen bei Caprä und Taginä sind deren natürliche Gräben. Sofort sprengte ich selbst von Setinum aus gegen Taginä mit den sarazenischen Reitern: aber zu spät. Graf Teja - er muß auf den Schwingen des Sturmwindes von Rom herangebraust sein! - Graf Teja hatte Taginä kurz vor mir erreicht mit einer fliegenden, dem Hauptheer vorangeworfenen Schar: und obwohl die Sarazenen sieben gegen drei waren, hat er sie mit seinen gotischen Beilreitern blutig zurückgeworfen: es war kein Halten mehr, nachdem er den Sarazenenkönig Abocharabus den Jüngeren mit dem Beil vom Turban bis zum Gurt durchspalten, heulend rissen meine Sarazenen die Renner herum und jagten davon, über Caprä zurück, mich mit fortreißend. Heute suchte ich nun die Stärke der Besatzung von Taginä zu erkunden - denn gern möchte ich den Verhaßten erdrücken, ehe das gotische Hauptheer eintrifft - aber die Stellung von Caprä war heute schon nicht mehr zu durchdringen. Und bereits soll der Barbarenkönig selbst im Anzug sein: die Nachhut führe der Herzog Guntharis heran. Und wo bleibt, wann kommt mein ?» Zweiundzwanzigstes Kapitel Am Tage darauf traf König Totila mit einem Teil des Heeres wirklich in Taginä ein: Valeria, die jetzt am sichersten geborgen war im Lager des Königs, begleitete ihn: auch Julius, der sich wieder in seine Klosterstiftung nach Avenio in Gallien begeben wollte, und Cassiodor, der diese prüfen sollte. Die Hauptmacht des Heeres sollten Herzog Guntharis und Wisand, der Bandalarius, auf der flaminischen Straße von Süden heranführen, während von Westen, von Florentia her, der alte Hildebrand im Anzug war. Erst nach dem Eintreffen dieser Truppen konnte der Angriff auf die sehr feste Stellung des Präfekten unternommen werden. Und auch Cethegus wies das Drängen der jungen Ritter zum Angriff ab. «Ich bin nicht gekommen, Schlachten zu gewinnen, sondern Italien. Demnächst haben wir die Übermacht: - dann hat es Sinn, zu schlagen.» Eines Morgens trat Julius in des Königs Zelt und reichte ihm schweigend einen Brief. Totila furchte die Stirn, da er die Handschrift erkannte und las: «An Julius Manilius Cethegus, der Präfekt von Rom und Magister Militum per Italiam. Ich höre, du weilst im Lager der Barbaren. Licinius sah dich reiten neben dem Tyrannen. Soll das Unerhörte geschehen, daß Julius gegen Cethegus die Waffen führt, der Sohn gegen den Vater? Gewähre mir heute, um Sonnenuntergang, eine Unterredung bei dem zerfallenen Tempel des Silvanus, der zwischen unsern und der Barbaren Vorposten liegt. Der Tyrann hat mir Italien, Rom und deine Seele geraubt. Ich werde ihm alle drei wieder entreißen - und dich zuerst. Komm: ich befehle es als dein Vater und Erzieher.» «Ich muß ihm gehorchen - ich verdanke ihm so viel.» «Ja», sagte Totila, ihm den Brief zurückgebend. «Aber die Stelldichein des Präfekten sind gefährlich. Du hast mich gebeten, nie mehr über deinen .» «Cethegus», rief Julius jammernd, «hast du das geschrieben?» «Ich dächte, du kennst den Stil. Aber oh, er wird leugnen. -Alles leugnen, was ich weiß oder ahne. Leugnen wird er, daß er den Baltenherzog Alarich mit Fälschungen verleumdet, daß er für Athalarich und Kamilla Gift gemischt, daß er durch Amalaswintha die drei andern Baltenherzöge gemordet, daß er Mörder gegen mich geschickt, daß er Amalaswintha an Petros, Petros an die Kaiserin, Witichis an Belisar, Belisar an Justinian verraten: leugnen, daß er den Sohn des Boethius in den Tod geschickt, daß er meinen Bruder gemordet, daß er im Waffenstillstand unsre Schiffe friedschändend überfallen: er wird all dies leugnen - denn Lüge ist der Hauch seines Mundes.» «Cethegus», flehte Julius, «sprich , und ich glaube dir.» Aber der Präfekt, der anfangs die Worte Totilas mit halb geschlossenen Augen wie Keulenschläge schweigend hingenommen, stieß jetzt das Schwert in die Scheide, richtete sich hoch auf, kreuzte die Arme über die Brust und sprach: «Ja, ich habe das getan. Und andres mehr. Ich habe hinweggeräumt, was mir den Weg versperrte, mit Kraft und Klugheit. Denn der Weg führt zum höchsten Ziel, zum Heil des Römerreichs. Und zugleich zum Thron der Welt. Aber mein Erbe in dieser Weltherrschaft - solltest du sein, Julius. Für Rom und für dich -am wenigsten für mich selber! - hab' ich meine Taten getan. Warum für dich? Weil ich dich liebe, dich allein auf Erden. Nicht mit deiner christlichen Nächstenliebe, welche die ganze Menschheit gleichmäßig umspannen soll. Diese lauwarme Schwäche habe ich immer verachtet. Nein, heiß, mit Schmerz und Leidenschaft. Statt der Menschheit lieb' ich dich. Ja, mein Herz ist versteint in Verachtung der Kleinheit der Menschen. Nur ein Gefühl sprießt noch aus diesem Granitfels: die Liebe zu dir. Du hast sie nie verdient, diese Liebe. Aber ein Wesen, dessen Züge du trägst, dessen Bild mir dein Anblick emporführt aus dem Grabe, aus der Jugendvergangenheit, webt ein geheimnisvoll zwingendes Band zwischen mir und dir. Erfahre denn jetzt vor meinem Feinde das heilige Geheimnis, das du erst zu der Stunde erfahren solltest, da du ganz mein Sohn geworden. Es gab eine Zeit, da des jungen Cethegus Cäsarius Herz weich war und zart, wie das deine. Und darin lebte eine Liebe, heilig und rein wie die Sterne, zu einem, ach, unvergleichlichen Geschöpf Und sie liebte mich wie ich sie. Aber alter Haß trennte das Geschlecht der Cethegi und der Manilier seit Jahrhunderten.» Da erbleichte Julius; Totila warf das Schwert in die Scheide und hörte, mit beiden Armen auf den Griff gestützt, nun aufmerksamer zu. «Sie mit dem Senat - wir mit den Gracchen. Sie mit Sulla -wir mit Marius. Sie mit Cicero - wir mit Catilina. Sie mit Pompejus, wir mit Cäsar. Und doch war mir's endlich gelungen, den harten Sinn des Vaters zu erweichen: er schien bereit, zögernd sein Ja zu sprechen. Denn er sah, wie wir uns liebten. Sie folgte mir willenlos, wie Eisen dem Magnet, und ich fühlte, daß sie mein guter Genius war. Da kam ein Gotenherzog, dessen Seele den Furien geweiht sei, der mich langher kannte und haßte. Er warnte Manilius, der anvertrauend zu ihm aufblickte, weil er bei dem ersten Andrang der Barbaren in Italien ihn und sein Haus vor Bedrückung beschützt. Er warnte den Vater vor dem Mann Cethegus mit dem bösen Blick, wie er sagte, und er weckte den alten Groll: und er ruhte nicht, bis der Vater sein Kind, das widerstrebende, einem gallischen Senator, einem Freunde des Baltenherzogs, verlobte. Umsonst flehte Manilia um Erbarmen. Da beschlossen wir die Flucht. Im Landhaus am Tiber vor der Porta Aurelia wohnten sie. Jedoch argwöhnisch beschleunigte der Vater die Vermählung. Als ich zur verabredeten Nacht die Gartenmauer überstieg und in ihr Schlafgemach schlich, fand ich es leer. Aber vorn im Atrium scholl Hymenäen-Gesang und Flötenspiel. Atemlos schleiche ich an die Vorhänge und spähe hinein. Da ruht meine Manilia, in der Neuvermählten Tracht, an ihres Vaters Seite, der Bräutigam bei ihr - und ungezählte Gäste, Manilias bleiches Antlitz, ihre tränenfeuchten Augen seh' ich -ich sehe, wie Montanus den Arm um ihren Nacken spannt. - Da ergreift mich wahnsinnige Verzweiflung: ich stürme in den Saal und umschlinge sie und reiße sie mit mir mit hochgeschwungenem Schwert. Aber sie waren zu neunzig, die Tapfern: lang erwehrte ich mich ihrer, da traf mich des Balten Alarich Schwert -: und sie rissen mir die Schreiende aus dem Arm und warfen mich blutend, für tot, über die Gartenmauer nah an den Tiber. Allein damals, vor bald sechs Lustra - wie vor Jahr und Tag! -hat mich der Hauch des Flußgottes aus der Betäubung des Todes geweckt. Fischer fanden mich, pflegten mich: ich genas. Aber das Herz war mir aus der Brust gerissen worden jene Nacht. Und viele, viele Jahre vergingen. Ich haßte die Welt und ihren Gott, wenn einer lebte. Und das Geschlecht der Manilier und der Balte Alarich haben es verspürt, daß ich nicht tot war. Geächtet flohen sie alle aus dem Lande, schwer getroffen von meiner Rache. Nur ein Bild blieb unvergleichlich, rührend schön in meiner Seele. - Und abermals nach Jahren kam ich reisend nach Gallien an den Rhodanus. Da war Krieg entbrannt zwischen den Barbaren. Franken und Burgunden waren eingefallen in das Gallien der Goten und hatten eine Villa am Rhodanus zerstört. Und als ich die gestürzten Säulen des Atriums und den zertretenen Garten betrachtete, lief ein kleiner Knabe aus dem Innenhause und weinte und rief mich an: Und ich versprach es ihr in die erkältende Hand. Und küßte sie und schloß ihr die gebrochenen Augen. Und ob ich mein Wort gehalten an dem Knaben: - du magst entscheiden.» Und der eiserne Mann drückte mit Gewalt die Brust, die mächtig atmende, zusammen. Julius brach in einen Strom von Tränen aus: «O meine Mutter!» rief er. Totila aber schritt bewegt in der Rotunde auf und nieder. Cethegus fuhr fort: «Und nun: - wähle! Wähle zwischen mir und deinem Freund. Aber wisse: die Taten, die dir nicht gefallen, hab' ich zumeist für dich getan. Laß mich denn einsam - wende dich von mir: -geh' zu ihm, ich halte dich nicht mehr. Jedoch wenn mich Manilias Schatte nach dir fragt, werde ich wahrheitstreu antworten: .» Julius verhüllte sein Haupt im Mantel. Totila aber machte halt vor dem Präfekten und sprach: «Unväterlich zerfleischest du sein Herz. Du siehst ihn hin und her gezerrt von widerstreitenden Gefühlen. Auf, ich weiß ein Mittel, die Wahl ihm zu sparen. Auf, Cethegus, enden wir allein den drohenden Krieg. Ein zweiter Gotenkönig ladet dich zum Zweikampf. Hier, im Antlitz deines Lieblings, schelt' ich dich: Lügner, Fälscher, Verräter, Mörder, ehrloser Neiding. Des Bruders Blut bluträchend heisch' ich von dir. Heraus dein Schwert, wenn du ein Mann. Laß uns, um Leben, Rom und Julius fechtend, in kurzem Kampf den langen Haß vollenden. Verteidige dich!» Und in wild aufloderndem Haß rissen beide die Schwerter aus den Scheiden: zum zweitenmal kreuzten sich die Klingen. Und abermals warf sich Julius zwischen die Ergrimmten mit ausgebreiteten Armen. «Haltet ein, ihr grausamen Männer der Hasses und der Welt. Jeder Streich trifft in mein blutend Herz. Hört mich an: gefaßt ist mein Entschluß. Ich fühl's: der Geist meiner Mutter gab ihn mir ein.» Grollend senkten die beiden Feinde die Schwerter, ohne sie einzustecken. «Cethegus, ein Vater bist du mir gewesen mehr als zwei Jahrzehnte. Was du gefrevelt und getan, - nicht dem Sohne ziemt zu richten. Ich fasse deine Hand liebevoll: - und wäre sie noch tiefer in Mord getaucht meine Tränen, mein Gebet sollen sie reinigen.» Totila trat zürnend einen Schritt zurück, und des Präfekten Auge leuchtete auf in Siegesfreude. «Aber nicht ertragen kann ich», fuhr der Mönch fort, «dein furchtbares Wort: um meinetwillen, für mich habest du getan, was du verbrochen. Wisse, nie, niemals, selbst wenn es sonst mich lockte, - mich aber lockt die Dornenkrone von Golgatha, nicht die blutbefleckte Krone Roms könnt' ich dein Erbe antreten, an welchem solche Flüche hangen. Ich bin dein: - aber sei du auch meines Gottes: sei mein, nicht der Welt und der Hölle eigen. Wenn du mich wirklich liebst, entsage deinen verbrecherischen Plänen. Aber mehr - mehr: du mußt bereuen. Ohne Reue und Buße keine Erlösung. Und ich will mit Gott ringen im Gebet, bis er dir vergibt. Widerrufe in Gedanken deine Taten.» «Halt an», sprach Cethegus, sich hoch aufrichtend. «Was sprichst du da von Reue, der Knabe zum Mann, zum Vater der Sohn? Laß du ruhig meine Taten auf meinem Haupt: ich habe sie zu tragen, nicht du.» «Nein, Cethegus, nimmermehr. Wenn du beharrst, kann ich dir nicht folgen. Bereue, - beuge dich, - nicht vor mir, wahrlich: vor Gott dem Herrn.» «Ha», lachte Cethegus, «sprichst du zu einem Kinde? Alles, was ich getan, - wär's ungeschehn: - ich würd' es alles, alles noch mal tun.» «Cethegus», rief Julius entsetzt, «welch schrecklich Wort! Glaubst du denn wirklich nicht an einen Gott?» Aber gereizt fuhr Cethegus fort: «Bereuen! Bereut das Feuer, daß es brennt? Du kannst es nur ersticken: nicht hemmen, daß es brennt, solang es lebt. Lob' es, schilt es, wie du willst: doch laß es Feuer sein! So muß Cethegus den Gedanken folgen, die wie der Lauf des Blutes durch sein Haupt rinnen. Ich will nicht, ich muß wollen. Und, wie der Gießbach niederschäumt von Bergeshöhn, bald durch blumige Wiesen, bald durch schroffes Gezack, bald segnend befruchtend, bald tödlich zerstörend, ohne Wahl, ohne Vorwurf, ohne Dankrecht: - so reißt mich das Geschick dahin den Weg, den Eigenart und die gegebene Zeit und Welt um mich her vorzeichnen. Soll ich bereuen, was ich auf meinem Weg zerstört, zerstören mußte? Ich tät' es immer wieder.» «Entsetzlicher! In diesen Worten weht der Hauch der Hölle! Wie kannst du erlöst werden, wenn du nicht erkennst, daß du gesündigt? Des Menschen Wille ist frei.» «Ja, so frei wie der geworfene Stein, der sich einbildet, er könne fliegen.» «O fürchte, Cethegus, fürchte den lebendigen Gott!» Aber, grimmiger als zuvor, lachte Cethegus. «Ha, wo ist er denn, dieser lebendige Gott? Ich habe, den Himmel entlang, den Gang der Gestirne, ich habe die grausame Natur, ich habe die grausamere Geschichte der Menschen durchforscht und keinen Gott gefunden als das Recht des Stärkeren, die Notwendigkeit, die furchtbar erhabene Göttin, deren Anblick versteint wie der der Meduse. Du birgst dich, Knabe, in die Mantelfalten deines geträumten Gottes, du steckst dein Haupt in seinen Vaterschoß, starrt dich des Schicksals Walten mit den Gorgonenblicken an. Wohl, es sei: aber schilt nicht den Mann, der, den Blick erwidernd, spricht: und würd' er drob zu Stein. Ja, das Lächeln und das Weinen sind zwei holde Genüsse. Prometheus aber hat nicht gelächelt, als ihm Pandora die betörende Büchse bot. Aber er hat auch nicht geweint, als ihm Gewalt und Kraft die Glieder an die Felsen schmiedeten. Und an den Geier, der ihm das Herz zerfleischt - nun, an den Geier - hat er sich gewöhnt. Und eher ermüdete das Schicksal, den Titanen zu quälen, als daß sich der Titane gebeugt.» «Cethegus», flehte Julius, «sprich nicht so! Ich sage dir: es ist ein Gott.» «So? wo war er denn, als man Manilia mit Gewalt zu verhaßter Ehe zwang, als man für ewig des Cethegus Herz vergiftete? Wo war er denn, als ihr der blinde Zufall einen Frankenpfeil in das Herz gejagt? Ha, auch ich habe an ihn geglaubt: genauso lang war ich der Spielball der andern. Später aber hab' ich gehandelt unter der Voraussetzung, die mich mein eignes Schicksal gelehrt: . Und siehe da: seither treffen alle meine Schlüsse zu! Wo war er denn, dein gerechter, allmächtiger, allweiser, allgütiger Gott, als die schuldlose Kamilla den nicht für sie gemischten Becher trank? Wo blieben da seine Wunder und Engel? Als Calpurnius den Knaben des Witichis von den Felsen warf, warum haben die Engel Gottes nicht das Kind aufgefangen - fällt ja doch kein Sperling vom Dache ohne Gottes Wille! -und den Mörder zerrissen? Wo war er denn, dein rettender Gott, als ich den Massagetenpfeil auf jene wackre Rauthgundis entsandte? Ha, lebte ein Gott im Himmel: - rückprallen mußte der Pfeil von dem treuen Weibe und des Cethegus Brust durchbohren! Aber der Pfeil war scharf und gut gezielt: und darum starb Rauthgundis, wie wenn sie die Möwe des Padus gewesen. Drum rede mir nicht vom lebendigen Gott, du lallender Knabe.» «Cethegus!» sprach Julius, «mir graut. Das ist die furchtbarste Gotteslästerung, die ich je gehört.» Totila wandte sich schaudernd ab und warf das Schwert in die Scheide. «Wer so denkt», rief er, «ist genug bestraft. Doch, Präfekt von Rom: - du kennst noch das Ende deiner Taten nicht. Erwarte es: vielleicht glaubst du dann an den rächenden Gott.» «Das Ende meiner Taten», lachte Cethegus, «ist mein Tod. Das weiß ich längst. Ob ich ihn nun finde auf dem Throne nur des Okzidents oder des Weltkreises, ob in verlorner, ob in siegreicher Schlacht, ob durch Beil oder Schwert: - das ist für unsre Gottesfrage gleich. Und wenn es eine Hölle gäbe -wohlan: auch an den Kaukasus geschmiedet blieb Prometheus er selbst. Aber genug der Worte und übergenug. Hierher zu mir, an meine Brust, Julius, denn du bist mein.» «Ich bin Gottes des Herrn, nicht dein!» sprach Julius, bekreuzigte sich und trat einen Schritt von ihm zurück. «Du bist mein Sohn - gehorche mir.» «Du aber bist Gottes Sohn gleich mir. Du verleugnest - ich bekenne unsern Vater. Für immer sag' ich mich los von dir. Denn wenn, wie unser Glaube lehrt, ein Luzifer lebt, der Dämonen Oberster, der lichte Morgenstern, der stärkste, der herrlichste der Geister Gottes, der aus Stolz und Gottesleugnung herabgesunken ist zur Hölle - dann bist du es, entsetzlicher Mann.» «Ha, aber Luzifer ward aus einem Diener des Himmels ein Kaiser: ob zwar ein Kaiser der Hölle. Lieber als im Himmel der Zweite, in der Hölle der Erste. Folge mir.» Und hingerissen von Leidenschaft, zog er den Mönch am Arm auf seine Seite herüber. Da blitzten zum drittenmal Totilas Schwert und das Schwert des Präfekten. Und diesmal ward es Ernst: nicht gelang es Julius mehr, die Grimmen zu scheiden. Totila schlug gegen des Präfekten Stirn: der Hieb war zu stark, ganz abgewehrt zu werden: der Helm flog dem Römer rücklings vom Haupt und Blut schoß aus seiner Wange. Der Gegenstoß des Präfekten drang durch Totilas Mantel: zwar hielt der Ringpanzer die Spitze auf, aber von der Kraft des Stoßes flog Totila einen halben Schritt zurück. Tödlich drohte der nächste Zusammenstoß zu werden: -Schilde fehlten ja beiden. Und nochmals prallten sie zusammen: ein Weheschrei des Mönches, der sich zwischen sie warf, hätte sie kaum noch getrennt - des Präfekten Schwert hatte ihm die hemmende linke Hand gestreift -: aber nun wurden beide Kämpfer auseinandergerissen von Männern, die, unbeachtet von den drei im leidenschaftlichen Ringen Wogenden, die Tempelstufen in den letzten Augenblicken emporgeeilt waren. Totila von Thorismut und Wisand, Cethegus von Licinius und Syphax. «Die Verstärkungen sind da und wichtige Kunde aus dem Süden», rief Graf Thorismut. «Graf Wisand kam als Bote von Guntharis. Komm rasch zurück: die Schlacht steht bevor.» «Komm rasch zurück ins Lager!» rief Licinius Cethegus zu, «das ist da.» «Mit Areobindos?» «Nein, Herr», rief Syphax: «die Kaiserin Theodora ist plötzlich gestorben: Narses ist der gesendete Feldherr: und er kommt mit hunderttausend Mann.» «Narses?» frug Cethegus erbleichend, «ich komme! Auf Wiedersehn, Julius, mein Sohn!» «Ich bin Gottes Sohn!» «Er ist mein!» rief Totila, ihn umschlingend. «Wohlan: der Kampf um Rom wird auch diesen Kampf entscheiden. Aus der Barbaren Lager hol' ich dich heraus.» Und er eilte die Stufen hinab. Gleich darauf sprengte Cethegus mit den Seinen nach Norden, Totila und Julius mit den Ihrigen nach Süden in ihre Lager. Dreiundzwanzigstes Kapitel Der Präfekt fand in seinen Zelten noch nicht Narses selbst, auch keine Boten dieses Feldherrn, was ihn erstaunte: Piso und Salvius Julianus, die er mit dringender Mahnung an Areobindos nach Ancona entsendet hatte, waren schon bei Cale auf die Vorhut des Narses - germanische Reiter, wie sie sagten -gestoßen und hatten von diesen und einem byzantinischen Archon Basiliskos Dinge erfahren, die sie zur schleunigsten Umkehr bewogen, Cethegus zu warnen. «Ja, er hat mich offenbar überraschen wollen», sprach Cethegus nachsinnend: «aber warte nur, Narses», schloß er grimmig. «Auch Belisar stand mit Übermacht bei Capua: und ich hab' ihn doch gemeistert, solang er im Lande war und zuletzt hinausgeschoben aus meinem Italien. Laß sehn, ob der Krüppel stärker ist als der löwenherzige Held.» «Sei vorsichtig, mein Feldherr», warnte Piso. «Es liegen schlimme Dinge in der Luft: - es wird schwül über deinem Haupte. Dieser Basiliskos, des Narses Vertrauter - ich kenne ihn von Byzanz her - war mir höchst unheimlich.» - «Ja», fügte Salvius Julianus bei, «er war so einsilbig: nichts war aus ihm herauszuforschen, als was er selbst mitzuteilen wünschte.» - «Mehr, als wir von ihm, erkundeten unsere Sklaven von den seinen.» - «Aber als der Führer der Germanenreiter dazukam, wie sie plauderten, schlug er einen Diener des Basiliskos tot auf dem Fleck.» - «Da wurden die Lebendigen so stumm wie ihr toter Kamerad.» -«Zusammenhanglos, widerspruchsvoll, verworren ist, was wir so erkundeten.» «Fest steht nur: in Byzanz muß ein plötzlicher Umschwung aller Dinge eingetreten sein.» - «Und zwar noch am Tage deines Abgangs aus der Stadt.» - «Die Kaiserin, flüsterten die einen, habe sich selbst in Kohlendunst erstickt.» - «Der Prozeß gegen Belisar», schaltete der Jurist ein, «ist in ein neues Stadium getreten, auf Antrag Tribonians, sagt man, oder Prokops habe der Kaiser das Urteil des Senates vernichtet.» - «Man nannte die Namen: Narses, Antonina, Anicius, Prokopius in unklarem Zusammenhang.» - «Der Prinz Areobindos soll erkrankt und deshalb durch Narses ersetzt sein.» - «Aber ich besorge: an dieser Krankheit sterben eher andre Leute als der Statthalter über die Schnecken.» «Und meine vierzehn Boten an das zweite Heer?» forschte Cethegus, die Stirn furchend. «Ich glaube», argwöhnte Licinius, «Narses hat sie festnehmen lassen, sowie sie eintrafen.» «Die Germanenreiter lachten so höhnisch, als ich nach ihnen fragte», bestätigte Julianus. «Narses ist wirklich mit einem Heere, wie es noch niemals der Kaiser des Geizes gespendet hat, aus den Toren von Byzanz gezogen.» - «Und wahr ist alles, was du als unmöglich verworfen, o Feldherr.» - «Nicht nach Epidamnus ging Narses: - die dort stehenden und die übrigen Truppen des Areobindos, unbedeutend im Vergleich mit seinem kolossalen Heer, hat er zur See den jonischen Busen hinauf nach Pola in Istrien beordert. Er selbst zog auf dem Landweg, in Eilmärschen, in das gotische Dalmatien, rollte vor sich her, wie der Sturm die dürren Blätter, die wenigen Tausendschaften der Barbaren dort im Lande auf, nahm Salona, Scardona, Jardera.» -«Ja, und ein furchtbares System befolgt er dabei. Er läßt, wohin er kommt, nicht einen Goten: alle, auch Weiber und Kinder, läßt er greifen und zu Schiff sofort nach Byzanz in die Sklaverei führen. So geht er, wie eine zermalmende, eiserne Walze, dahin über das Gotenvolk, und wo Narses vorübergezogen, lebt kein Gote mehr in Stadt und Land.» «Das ist gut», sagte Cethegus, «das ist groß.» «Er hat geschworen bei dem Zepter Justinians, sagt man, nicht zu rasten, bis kein freier Gote mehr im Orbis Romanus lebt. Und in der Schlacht macht er keine Gefangenen.» «Das ist gut», sagte Cethegus. «In Pola mit dem vereinigt, brach er in das gotische Venetien ein und durchzog das Land mit breitester Stirn, mit dem rechten Flügel umschwenkend - der linke diente als Drehpunkt: von der See im Süden bis an die Berge im Norden: wie eine wandelnde Mauer von Erz alles vor sich niederwerfend oder aus dem flachen Lande in die Städte drängend, die, eine nach der andern, rasch fielen. , sprach Basiliskos, der diese kriegerischen Ereignisse ohne Rückhalt erzählte. , lächelte er boshaft, Narses sprach: Denn die Flotte hat er ihnen ja schon genommen -gestohlen freilich mehr als geraubt! - der vortreflliche , so schloß Basiliskos.» «Man flüstert», schaltete Julianus ein, «diese Würde sei schon längst wieder aufgehoben.» «Davon müßte doch ich, dieser Würde Träger, auch wissen.» «Wer weiß: man raunt, du seist abgesetzt. Narses habe geheime Aufträge vom Kaiser versiegelt - mitbekommen, die er erst nach Vernichtung des Königs Totila zu öffnen und zu vollziehen habe.» «Wer sagte das?» frug Cethegus rasch. «Basiliskos selbst?» «O nein: der spricht nur vom Krieg. Nein, der eine Sklave. Und gerade, da der Germanenführer dies vernommen, schlug er ihm mit seiner Keule den Schädel ein.» «Das ist schade», sagte Cethegus nachsinnend, «das heißt, er schlug zu früh.» «, fuhr Basiliskos fort uns zu erzählen, -» «Das glaub' ich nicht», unterbrach Cethegus. «Johannes ist der eifrigste Anhänger Belisars. Er haßt Narses mehr als Belisar selbst diesen anfeindet.» «Ja, so zweifelten auch wir: , lächelte Basiliskos: Und richtig ist, daß Johannes unter Narses dient, wie früher unter Belisar: er befehligt seine Leibwache und die Hunnen.» Cethegus schüttelte staunend den Kopf. « - so erzählte Basiliskos uns weiter», fuhr Piso fort - «» «Was?» frug Cethegus staunend. «Auch Martinus, das Werkzeug, das Geschöpf, der Rechenmeister Belisars diente unter Narses? - Hier liegt, ihr habt recht, ein sehr großes Geheimnis.» - «, berichtete uns Basiliskos, » «Rätselhaft!» sagte Cethegus. «Kennt man die Erfindung?» «Nein, er hat sie mit ins Grab genommen. Er sagt ja: er war noch nicht ganz mit ihr fertig. In seinem Zelte fand man ein Häufchen kleiner Körnchen, wie schwarzes Salz, welches Narses eifrig ihm noch in der Nacht zu bringen befahl. Aber auf dem Wege fiel ein Funke von der Pechfackel des Trägers auf die offene Schale: und hell auflodernd puffte und flammte das Gift in die Höhe: doch diesmal ohne Knall und ohne Schaden.» «Hätt' ich doch dieses schwarze Salz», seufzte Cethegus. «Dann wehe Narses und Byzanz.» «Ja: ähnlich mag Narses gedacht haben», lächelte Piso. «Denn nach des Basiliskos Bericht durchsuchte und durchstöberte er alle Schalen und Schreibereien des Verunglückten. Aber ohne Erfolg.» «, fuhr Basiliskos fort zu erzählen», so berichtete Salvius Julianus. « , fragte er endlich, - , erwiderte dieser, es war der Weg meiner schönsten Siege unter Belisar. - , frohlockte Narses, fragte Basiliskos staunend. » «Darauf bin ich gespannt», unterbrach Cethegus. «, schloß Basiliskos seinen Bericht, » «Daß aber deine Boten festgehalten wurden zu Epidamnus... -» fuhr Piso fort. «Allerdings, es kam keiner zurück, auch die nicht, denen ich schleunige Umkehr befohlen», sprach Cethegus nachsinnend. «Das schließe ich daraus, daß auch uns der schlaue Byzantiner, unter höflichsten Formen, das gleiche tun wollte. Er wollte uns durchaus zu Narses, weiter von dir fort, geleiten lassen. Vor unsre Zelte setzte er uns Germanen als , und als wir, die Absicht erkennend, zur Nacht aus unsern Zelten eilten und aus dem Lager, da schossen unsre Ehrenwachen uns, zum Ehrenabschied, noch ihre Pfeile nach, töteten zwei unsrer Sklaven und verwundeten mein Pferd.» «Ich sollte also durchaus überrascht werden von dem großen Epileptiker: - ferngehalten werden von ihm bis zum letzten möglichen Augenblick. - Gut. Syphax, mein Pferd: Wir reiten noch heut' nacht Narses entgegen.» «O Herr», flüsterte leise der Maure, der die Unterredung mit angehört, «hättest du mich, wie ich dich bat, nach Epidamnus geschickt!» «Dann hätten sie auch dich eingesperrt, wie die andern Boten.» «Herr, in Afrika haben wir ein gutes, altes Sprichwort: wenn das Feuer aus dem Berge nicht zu dir kommt, sei froh: und gehe nicht der Lava entgegen.» «Das könnte man ins Christliche übertragen», lächelte Piso: «wenn der Teufel dich nicht holen soll, such' ihn nicht auf. Wer reitet von selber in die Hölle?» «Ich! Und zwar schon seit ziemlich langer Zeit», sprach Cethegus, «lebt wohl, ihr römischen Kriegstribunen. Licinius vertritt mich hier im Lager bis zu meiner Rückkehr. Auch der Barbarenkönig weiß jetzt wohl schon von Narses' Nähe und Macht. Er greift in der Nacht heute nicht an, wie damals in Rom.» Als die römischen Ritter das Zelt verlassen, sprach Cethegus zu Syphax: «Schnalle mir den Harnisch ab.» «Wie, Herr? Du reitest nicht in Belisars, in Narses' Lager reitest du.» «Ebendeshalb! Fort mit dem äußern Brustharnisch. Reiche mir das Schuppenhemd, das ich unter der Tunica trage.» Syphax seufzte tief auf. «Jetzt wird es Ernst. Jetzt, Hiempsals Sohn, sei wachsam!» Vierundzwanzigstes Kapitel Die Nacht über ritt Cethegus mit geringer Begleitung, in tiefes Sinnen versunken, Narses entgegen. Auf der Tribunen Mahnung, das Gefolge zu vermehren, hatte er erwidert: «Hunderttausend kann ich doch nicht mitnehmen!» Bei grauendem Morgen stieß er bei Fossa nova auf den Vortrab des anrückenden Heeres. Es waren wild aussehende Reiter, von deren spitz zulaufenden Helmen schwarze Roßschweife auf die Wolfsfelle über ihren Rücken flatterten: sie führten Ringpanzer, breite Schlachtschwerter und lange Lanzen: Arme und Beine nackt, nur an dem linken Fuß, an Riemen befestigt, einen Sporn: ohne Sattel saßen sie sehr sicher auf ihren starken Pferden. Der Führer der Reiter - er trug einen reich vergoldeten Plattenpanzer und statt des Roßschweifs zwei Geierflügel auf dem Helm - jagte pfeilschnell auf seinem roten Roß heran und hielt erst dicht vor Cethegus, der an seines kleinen Zuges Spitze ritt: lange, rote Haare, auf der Stirn gescheitelt, flogen um seine Wangen, und der Schnurrbart hing, in zwei schmalen Streifen, von dem Munde auf die Brünne: aus dem hellgrauen Auge blitzte Kühnheit und Verschlagenheit. Eine Weile maßen sich die beiden Reiter mit forschenden Blicken. Endlich rief der mit dem Geier-Helm: «Das muß Cethegus sein! - der Beschirmer Italiens.» «Der bin ich.» Und der andere riß sein Pferd herum und jagte davon, noch schneller als er gekommen, über die Stellung seiner Reiter hinaus auf ein Waldstück zu, aus dessen Rändern man nun Fußvolk in dichten Reihen heranrücken sah. «Und wer seid ihr? und wer ist euer Führer?» fragte Cethegus in gotischer Sprache die Reiter, welche er nun erreichte. «Wir sind Langobarden, Cethegus, in Narses' Dienst», antwortete auf Lateinisch der Gefragte, «und jener dort ist Alboin, unseres Königs Sohn.» «Also darum, Licinius, hast du deine Mühe verloren!» Schon sah Cethegus von ferne des Narses offne Sänfte herannahen. Sie war vom einfachsten Holz, ohne Zierat: nur eine Wolldecke, statt der üblichen Purpurpolster, lag darin. Nicht von Sklaven, von erlesenen Soldaten, denen diese Ehre abwechselnd zur Belohnung eingeräumt wurde, ließ sich der Krüppel tragen. An seiner Seite ritt mit gezogenem Schwerte Alboin und flüsterte ihm zu: «Also du willst wirklich nicht, Narses? Der Mann scheint mir gefährlich, sehr. Du brauchst nicht zu sprechen - ein Zucken deiner Wimper und es ist geschehen.» «Laß ab zu drängen, du Zukunft der Langobarden. Ich könnte sonst glauben: du willst den Mann nicht mir, sondern dir selber aus dem Wege räumen.» «Wir Söhne der Cambara haben ein Sprichwort: Erschlagner Feind hat noch selten gereut.» «Und wir Romäer haben ein anderes», sagte Narses: «Wirf die Leiter erst um, wann erstiegen der Wall. Erst, mein eifriger, junger Freund, laß uns Totila durch Cethegus vernichten. Der kennt Rom, Italien und die Goten doch noch besser als Alboin, der Roßhändler. Was diesen Exmagister militum per Italiam selber anlangt, so ist sein Geschick besiegelt... -» Alboin sah ihn fragend an. «Aber auch noch versiegelt. Zur rechten Stunde werd' ich es ihm eröffnen und vollenden.» Gleich darauf hielt Cethegus neben der Sänfte. «Willkommen, Narses», sprach er: «Italien begrüßt den größten Feldherrn des Jahrhunderts als seinen Befreier.» «Laß das gut sein. Mein Kommen hat dich wohl überrascht?» «Wer einen Areobindos als Helfer erwartet und einen Narses statt dessen findet, kann nur erfreut sein. Aber, allerdings», fügte er lauernd bei, «da Belisarius begnadigt ist, hätte auch er, seinem Wunsche gemäß, nach Italien gesendet werden können.» «Belisar ist nicht begnadigt», sagte Narses kurz. «Und meine Gönnerin, die Kaiserin... - wie starb sie so plötzlich?» «Das weiß genau nur sie selber. Und jetzt vermutlich die Hölle.» «Hier liegt ein Geheimnis», sagte Cethegus. «Ja: - doch lassen wir's liegen. Kein Geheimnis aber mehr ist dir, daß jetzt Narses in Italien steht. Bekannt ist dir wohl von früher, daß Narses niemals geteilten Heerbefehl führt. Der Kaiser hat dich mir unterstellt mit dem . Willst du unter mir in meinem Lager dienen, so soll mich's freuen: denn du verstehst den Krieg, Italien und die Goten. Willst du nicht, so entlasse deine Söldner: - ich brauche sie nicht. Ich befehlige einhundertzwanzigtausend Mann.» «Du trittst mit großen Mitteln auf» «Ja: denn ich habe große Zwecke. Und nicht kleine Feinde.» «Du bist den Goten stark überlegen- wenn sie nicht auch ihr Südheer aus Regium hierher ziehen.» «Das können sie nicht. Denn ich habe auch vor dem Hafen von Rom und auf der Höhe von Regium zwei Geschwader mit zwanzigtausend kreuzen lassen, die das gotische Südheer vollauf beschäftigen.» Cethegus staunte. Das war wieder eine Überraschung. «Du aber wähle», sprach Narses, «bist du mein Gast oder mein Unterfeldherr? Ein Drittes gibt es nicht in meinem Lager.» Cethegus übersah klar die Lage. Er war Unterfeldherr oder -Gefangener. «Es ehrt mich, unter dir zu dienen, nie besiegter Perser-Überwinder.» - «Warte nur», dachte er: «auch Belisar trat auf als mein Herr, zu Rom ward ich der seinige.» «Wohlan», befahl Narses, dessen Sänfte während der Unterredung auf die hohen, stelzengleichen Tragestangen war niedergestellt worden: «so ziehen wir gemeinsam gegen die Barbaren. Tragt euren Vater wieder, liebe Kinder.» Und die Krieger traten wieder an die Sänfte. Cethegus wollte bei dem Aufbruch sein Pferd an die rechte Seite des Feldherrn lenken. Aber in sehr gutem Latein rief ihm Alboin zu: «Nichts da, Herr Römer. Mich nennt man die rechte Hand des Narses. Der Ehrenplatz ist mein: - die linke, die Unheilseite, ist noch frei. Wir haben sie für dich aufgehoben.» Schweigend ritt Cethegus auf die linke Seite. «Ich weiß nicht», sagte er zu sich selbst, «ob diese rechte Hand vor ihrem Haupte oder nach ihm fallen muß! Am besten zugleich.» Am Abend dieses Tages noch erreichte das Heer des Narses die Stellungen zwischen den Bergen von Helvillum und von Taginä. Fünfundzwanzigstes Kapitel Und gewaltig wahrlich war dieses Heer des Narses. Der zähe, geizige Sparer Justinian hatte diesmal nicht gespart: mit vollen Händen hatte er gespendet. Seine aus Kleinlichem und Großartigem seltsam gemischte Natur schien für dies Unternehmen das Kleinliche völlig abgestreift zu haben. Die großen Erschütterungen in der Hauptstadt, an seinem Hofe, hatten ihn wachgerüttelt. Klar hatte sein heller, diplomatischer Kopf, viel mehr für die äußere Politik als für die Verwaltung angelegt, die ganze Bedeutung der gotischen Gefahr erkannt. Der Vorwurf, daß er durch unnötige Angriffe diese brennende Gefahr erst heraufbeschworen, machte ihm die Unterdrückung zur Pflicht. «Er haßte den Namen der Goten und gelobte, sie auszutilgen aus dem Reich», schrieb damals Prokop. In schonungslosen herben Worten hatte ihm Narses diese Pflicht eingeschärft, und zugleich die klügsten Ratschläge zu ihrer Erfüllung beigefügt. «Nur Germanen schlagen diese Germanen», hatte er gerufen. «Ich brauche zu den Söldnern aus Asien die germanische Waldeskraft, die Goten zu brechen. Lange hab' ich gewarnt, diese friedlichen Männer aufzustören, die uns nicht bedrohten: die Perser, die wahrhaft gefährlichen abzuwehren. Du hast nicht gehört. Jetzt, da sie zum Angriff übergegangen, jetzt sind sie die gefährlichsten: - gefährlicher als die Perser, mit welchen sie übrigens schon im Bunde stehen. Jetzt müssen sie vernichtet werden um jeden Preis, denn sie haben die Schwäche deines Reiches entdeckt. Jetzt also: Germanenkraft herbei, Germanenkraft zu brechen. Ich habe ein tapfres Volk an der Hand mit einem Königssohn, heißhungrig der Eroberung.» «Wer ist's?» «Das ist mein Geheimnis. Wildkühne Scharen aus ihnen werb' ich selbst als meine Leibwächter. Aber das reicht nicht. Franken, Heruler, Gepiden müssen helfen. Den Franken bestätigst du, was du ihnen doch nicht entreißen kannst: ihre neuen Erwerbungen in Südgallien, Massilia und Arelate.» «Ich gebe ihnen dazu das Recht, Geldmünzen mit dem Bilde ihrer Könige zu schlagen, das schmeichelt ihrer kindischen Eitelkeit: der Fürsten und des Volks. König Theudebert zu Mettis, den, wie Childebert von Paris, dieser Totila gewonnen, ist gestorben: sein junger Erbe Theudebald bedarf unserer Gnade.» «Den Herulern, diesen immer hungrigen Soldläufern, gib ein Stück Dacien bei Singidunum: haufenweise schicken sie dir dafür ihre bösen Buben zu. Mit den Gepiden, so viele ihrer die Langobarden noch übriggelassen, schließe Frieden. Gib ihnen Sirmium zurück, dann helfen sie dir schon aus altem Haß gegen die Landsleute von Theoderich und Witichis.» «So viele Zugeständnisse... -» «Wir nehmen ihnen ja bald alles wieder ab, unsern Hunden, mit denen wir den gotischen Löwen jagen: aber erst muß er nieder mit ihrer Hilfe.» Und er hatte den Beherrscher der Romäer vollständig gewonnen und überzeugt. Alle Mittel des kaiserlichen Thesaurus, den der kaiserliche Geizhals immer, jammernd, als völlig leer hingestellt hatte, wurden verschwenderisch an Narses gespendet. Und dieser nicht bescheidne Heischer staunte nun selbst über die Fülle der bisher sorgfältig geheimgehaltnen Schätze. Der große Krieg mit Persien, der kleine mit allen Nachbarvölkern wurde sofort, mit Opfern, beendet. Die erprobten Veteranen, die seit Jahrzehnten unter Belisar und Narses in Asien und Europa gedient, wurden so verfügbar gege n die Goten. Und die nämlichen Feinde, die sie bis dahin bekämpft: Perser, Sarazenen, Mauren, Hunnen, Sclavenen, Gepiden, Heruler, Franken, Bulgaren, Awaren, stellten plötzlich Söldner gegen hohe Jahrgelder. Aus Thrakien und Illyrien wurden alle Waffenfähigen ausgehoben: dreitausend herulische Reiter unter Vulkaris und Wilmuth, siebentausend Perser, eine Gefolgschaft erlesenster Gepiden hundertundfünfzig wilde Abenteurer unter Asbad, -wurden geworben, zehntausend Mann Fußvolk aus allen Provinzen des fränkischen Reichs, Franken, Burgunden, Alamannen, stellten die Merowinger von Parissi, Mettis und Aurelianum. Ferner konnte Narses, außer seinen eignen vorzüglich von ihm geschulten Unterfeldherren, diesmal auch die besten Heerführer Belisars verwenden, die früher nie unter Narses gedient: die rätselhafte Aussöhnung der beiden großen Nebenbuhler und der an allen Grenzen gesicherte Friede machte die Vereinigung wie der besten Truppen so der erfahrensten Führer in Italien möglich. So befehligten unter Narses die beiden ausgezeichneten und innig befreundeten Archonten Orestes und Liberius, die man in Byzanz wegen dieser zärtlichen Freundschaft Orestes und Pylades zu nennen pflegte, ihr eifriges Zusammenwirken in allen Aufgaben machte die Freundschaft auch militärisch wichtig: - aber freilich, in der Schlacht von Taginä sollte sich diese Liebe einmal als übelwirkend erweisen. Ferner Cabades, des vorletzten gleichnamigen Perserkönigs Neffe, der längst mit vielen Persern sich dem Kaiser unterworfen, Johannes, Basiliskos, Valerianus, Vitalianus, Justinus, Paulus, Dagisthäos, Anzalas der Armenier: - lauter hervorragende Führer. Das vor Portus kreuzende, Rom beobachtende Geschwader und Heer führte Armatus, das zwischen Sizilien und Neapolis wachende Dorotheos. So waren es hunderttausend Mann, die unter Narses und Cethegus bei Caprä den Goten gegenüberstanden, während Rom und Neapolis durch weitere zwanzigtausend bedroht wurden. Sechsundzwanzigstes Kapitel Diesen Zahlen aber hatte König Totila entfernt nicht mehr die Streitkräfte entgegenzustellen, die dereinst Witichis, im ganzen hundertundsechzig Tausendschaften, aufgebracht. Die Lücken, die der Krieg, die großen allein siebzig Tausendschaften betragenden Verluste vor Rom, dann die Seuchen, der Hunger, die Gefangennehmungen zu Ravenna und zu Senogallia in das gotische Volksheer gerissen hatten, waren nicht wieder ersetzt worden durch die italischen Colonen, die Totila nur dann einreihte, wenn sie es forderten. So betrug die ganze Macht des Königs etwa siebzig Tausendschaften, von welchen zehn unterhalb Roms zur Abwehr der beiden drohenden Landungen belassen werden mußten unter Herzog Guntharis und Graf Grippa: ungefähr zehn andre Tausendschaften aber wurden durch die verlornen -Besatzungen in Griechenland und auf den Inseln sowie in den Städten und Burgen Italiens und Dalmatiens abgezogen, die zum Teil schon in des Narses Hand gefallen, getötet oder außer Land geschafft waren. Es waren also nicht mehr als etwa fünfzig Tausendschaften, die König Totila der doppelt starken Macht der Feinde bei Taginä entgegenführte. Als Cethegus dies Zahlenverhältnis dem Oberfeldherrn verrechnete, sagte dieser: «Mein großer Freund Belisar hat oft mit der Minderzahl gesiegt, ist aber noch öfter von der Mehrzahl - wie billig - geschlagen worden. Ich, Narses, habe meinen Ruhm nur darin gesucht, jedesmal zu siegen, obzwar nicht mit der Minderzahl. Und diesen bescheidneren, aber zweckmäßigeren Ruhm hab' ich erreicht. Er wird mir auch diesmal nicht entgehn.» Auch in dem Lager der Goten erkannte man die Überlegenheit der Byzantiner: es fehlte nicht an Stimmen in des Königs Kriegsrat, welche die offne Feldschlacht zu vermeiden und den Rückzug in die noch von den Goten besetzten Städte, ein Hinschleppen des Kampfes durch zähe Verteidigung rieten. Aber der König verwarf diesen Rat aus guten Gründen und beschloß, bei Taginä zu schlagen. Mit banger Ahnung hatte Valeria allmählich erraten, daß die Entscheidung gerade hier fallen werde, in dem Tal ihrer Sorgen und Schmerzen. Der König hatte auch den übrigen, das Volksheer begleitenden Frauen, darunter den Neuvermählten Gotho und Liuta, das Kloster und die Kapelle auf den beiden Hügeln im Rücken des Heeres bei «spes bonorum» als den angemessensten und sichersten Aufenthalt angewiesen: selbst im Fall des Sieges der Feinde gewährten diese katholischen Kultstätten gegenüber den katholischen Überwindern noch am ehesten Schutz. Das Lager des Königs und die durch dasselbe gedeckten Gebiete wurden aber täglich mehr angefüllt von Angehörigen des Gotenvolks jedes Alters und Geschlechts, die aus den von Narses bedrohten oder durchzogenen Gegenden nach Süden flüchteten: denn das furchtbare System der Ausrottung alles gotischen Lebens, das der Gewaltige verfolgte, war alsbald schrecklich bekannt geworden und jagte die entsetzten Goten in banger Verzweiflung auf, bevor auch über sie hin der eherne Wagen der Austilgung rollte. Sie erkannten, daß ein Vernichtungskrieg gegen ihr gesamtes Volkstum, nicht nur ein politischer Streit hier geführt werde. Nicht nur die gotischen Krieger, alle Tropfen gotischen Blutes waren die von Narses bedrohten Feinde. Dazu kam, daß nun auch die Italier diese Natur und Absicht des jetzt erneuten Kampfes erkannten: und nun brach auch in ihnen der alte Barbarenhaß, der Gegensatz des Blutes und des Glaubens, wieder aus: die Versöhnung nach der Kriegsnot und durch die Milde des Friedenskönigs war erzwungen und künstlich - die Ausnahme - gewesen: nun kehrte das Natürliche, die Regel, der Haß wieder. Überall, wo sie sich durch die «Romäer» gesichert glaubten, zeigten diesen die Italier die Wohnstätten oder Verstecke der gotischen Familien an oder lieferten sie gleich selbst in die Gefangenschaft. So also war es nicht mehr möglich, wie in dem belisarischen Feldzug, daß die Goten-Siedlungen sich vor der vorüberbrausenden Woge des Krieges duckend verbargen, und, nachdem sie weitergestürmt, wieder emporrichteten, wie Halme nach dem Gewitterwind: - nein, so weit Narses kam, kam der Gotenuntergang, und war er weitergezogen, war hinter ihm ausgetilgt das Gotentum. Daher wurde denn, was noch flüchten konnte, was entronnen war vor der wandelnden Mauer der Vernichtung, von Norden nach Süden in des Königs Lager gedrängt: es nahm der Krieg den Charakter der alten Kämpfe eines Wandervolkes an, dessen Geschick an Schlacht und Lager gebunden war: die Wagenburg der ineinandergeschobenen Karren, welche die Zelte trugen, die einzige Heimat: es war nicht mehr die Verteidigung eines vom Feinde bedrohten Landes und der friedlichen Einwohner durch ein Heer: denn außer dem Lager des Königs und dem von diesem gedeckten Lande gab es fast keine Goten mehr in Italien. Totila ließ, schon um der Hungergefahr zu steuern, welche die Anhäufung solcher Massen Volkes in und hinter dem Lager herbeiführen mußte, die unwehrhafte Menge weiter nach dem Süden führen und verteilen. Als den König auf einem Erkundungsritt über die Höhen dicht an der «Spes bonorum» vorüber der junge Herzog Adalgoth jenes Abends erinnerte, da sie zuerst die Kapelle besuchten, lächelte jener: «Jawohl - da ich mir die Grabesstätte wählte bei Numa Pompilius. Nun gut: falle ich hier, habt ihr mich nicht weit zu tragen.» Aber im Grunde seines Herzens war der König nicht ohne Sorge über den Ausgang der hier sich langsam vorbereitenden Schlacht. Ihn beunruhigte der Mangel an Reiterei: der größere Teil seiner Berittenen stand bei den Truppen von Guntharis und Grippa. Den tapfern Langobarden auf ihren starken Gäulen im Lager des Narses hatte der König keine an Zahl entsprechende Waffe entgegenzustellen. Aber gerade diesem Mangel schien das alte Glück des Königs abhelfen zu wollen. Siebenundzwanzigstes Kapitel In den Gotenzelten gingen schon seit mehreren Tagen dunkle Gerüchte von der Annäherung neuer Hilfsscharen von Osten her, die zugewanderte Goten meldeten. Der König wußte von keinem Zuzug aus jener Richtung und sandte deshalb vorsichtig, einem etwaigen Flankenangriff der Byzantiner zu begegnen, Graf Thorismut, Wisand, den Bandalarius, und den jungen Adalgoth mit einigen berittenen Sajonen auf Kundschaft aus. Aber am Tage darauf schon kamen diese zurück, und Graf Thorismut sprach frohen Angesichts, da er mit Adalgoth in das Zelt des Königs trat: «Ich bringe dir, o König, einen alten Freund zur rechten Stunde.» - «Er gleicht ganz dem Königstiger», fiel Adalgoth ein, «den du in den letzten Zirkusspielen dem Volke zu Rom gezeigt. Nie sah ich solche Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier.» - «Er wird dir hochwillkommen sein - da ist er schon.» Und vor dem König stand - Furius Ahalla, der Korse. Er neigte das stolze, noch tiefer gebräunte Antlitz und legte die linke Hand auf die Brust «Ich grüße dich, König der Goten.» «Willkommen, Weltumsegler, in Italien. Woher kommst du?» - «Von Tyrus.» - «Und was führt dich zurück?» - «Das, o König, kann ich nur dir vertraun.» Auf einen Wink Totilas verließen die andern das Zelt: da faßte der Korse in fiebernder Erregung seine beiden Hände. «O sage ja, sage ja: mein Leben, - mehr als mein Leben hängt daran!» «Was meinst du?» fragte der König, mit unwilligen Staunen zurücktretend. Die heiße, wilde, hastige Art des Mannes war seiner Natur sehr entgegen. «Sage ja: du bist mit des Westgotenkönigs Agila Tochter verlobt? - Valeria ist frei?» Der König furchte die Stirn und schüttelte zürnend das Haupt. Aber ehe er sprechen konnte, fuhr der Korse in heftiger Erregung fort: «Staune nicht - frage nicht! Ja: ich liebe Valeria mit aller Glut, fast hass' ich sie: - so lieb' ich sie. Ich warb um sie vor Jahren. Ich erfuhr, sie sei dein: - vor dir trat ich zurück: -erwürgt hätt' ich jeden andern mit diesen Händen. Ich eilte fort, ich stürzte mich in Indien, in Ägypten in neue Gefahren, Abenteuer, Schrecknisse, Genüsse. Umsonst. Ihr Bild blieb unvermischt in meiner Seele. Höllenqualen der Entbehrung erlitt ich um sie. Ich dürstete nach ihr wie der Panther nach Blut. Und ich verfluchte sie, dich und mich. Und ich wähnte, längst sei sie dein geworden. Da traf ich im Hafen von Alexandria auf westgotische Schiffe aus Spanien, und die Männer, alte Handelsfreunde von Valerius und mir, erzählten von deiner Erhebung zum König: und als ich nach Valeria, deiner Königin, forschte, beteuerten sie, du seist unvermählt, und sie fügten bei, ihr König Agila habe dir seine Tochter und ein Waffenbündnis angetragen gegen Byzanz: du habest das angenommen. Aber vor allem, wiederholten sie - ja, sie beschworen es, da ich zweifelnd in sie drang - du seiest unvermählt, und deine frühere Braut Valeria, die ihnen sehr wohl bekannt, lebe einsam zu Taginä. jauchzte alles in mir auf. Noch dieselbe Nacht lichtete ich die Anker meiner Schiffe, nach Italien zu eilen. Auf der Höhe vor Kreta stieß ich auf ein stattliches Geschwader. Es waren persische Reiter, die Justinian geworben und auf Kauffahrteischiffen nach Italien gegen dich senden wollte unter ihrem Häuptling Isdigerdes, meinen alten Bekannten. Von ihnen erfuhr ich, mit welch' gewaltiger Macht Narses dich bedrohe. Und nun, König Totila, beschloß ich, die alte Dankesschuld zu zahlen. Es gelang mir, indem ich das Doppelte bot, Isdigerd und seine Reiter - es sind ganz auserlesene Scharen, - in meinen Sold zu gewinnen, und ich führe sie dir zu: wie ich von deinen Grafen höre, zu höchst erwünschter Verstärkung. Es sind mehr als zweitausend Pferde.» «Sie sind sehr willkommen», sprach Totila erfreut, «ich danke dir.» «Daß du noch unvermählt, ward mir bestätigt», fuhrt der Korse fort - «aber - sie sagen - Valeria sei nicht frei - sie sei noch immer -: ich wollt' es, konnt' es, kann es nicht glauben -kann nicht die Hoffnung - nein, nein, schüttle nicht das Haupt. -Ich beschwöre dich: sage ja, sie ist frei.» - Und wieder griff er nach des Königs Händen. Aber dieser machte sich los, nicht ohne Zeichen des Zornes. «Noch immer die alte, verderbliche, unbändige Glut! Wann erkaltet die Lava? Noch immer - ja, der Sänger hat recht: die unheimliche Art des Tigers - man kann jeden Augenblick den Sprung im Nacken spüren.» «Predige nicht, Gote», zürnte der Korse, «sage ja oder nein -ist Valeria... -?» «Mein ist Valeria», rief heftig der König, «mein jetzt und ewig.» Da stieß der Korse einen Schrei des Schmerzes, des Ingrimms aus und schlug sich beide Fäuste mörderisch an die Stirn. Dann warf er sich auf das Feldbett des Zeltes, schüttelte den Kopf auf den Kissen hin und her und stieß ein dumpfes Stöhnen aus. Eine Weile sah ihm Totila mit schweigendem Staunen zu: endlich trat er zu ihm und hielt seine Rechte fest, die seine Brust zerhämmerte. «Fasse dich doch! Bist du ein Mann oder ein pfeilwunder Eber? Ist das manneswürdig, menschenwürdig? Ich dächte: du hast es mit Schmerzen gelernt, wohin sie führt, deine sinnlose Wut.» Laut schreiend fuhr Ahalla auf, die Hand am Dolch. «Ah, du bist es, der so sprach - der mich mahnt. Du allein darfst es: du allein kannst es! Aber ich sage dir: - tu's doch nicht wieder. Ich kann es auch von dir nicht tragen. Oh, du solltest nicht schelten, beklagen solltest du mich. Was wißt ihr Nordlandherzen von der Glut in diesen Adern! Was ihr lieben nennt, ist mattes Sterngeflimmer. Mein Lieben ist brennendes Feuer - ja Lava, du hast recht: - wie mein Haß. Wüßtest du, wie ich um sie gelitten, wie ich aufgeglüht in Hoffnung, wie ich dich segnete und liebte und nun - alles dahin.» Und abermals begann er zu toben. «Ich fasse dich nicht», sprach Totila streng, im Zelte auf und nieder schreitend und den Tobenden sich selbst überlassend. «Du hast eine niedere Art, vom Weib zu denken.» «Totila!».drohte der Korse. «Ja, eine niedere, gemeine Art. Wie von einer Ware, einem Roß etwa, das der zweite haben kann, wenn es der erste nicht festhält. Hat ein Weib keine Seele, nicht Willen und Wahl? Und wähnst du denn, wenn ich wirklich mit einer andern vermählt oder gestorben wäre, glaubst du denn, Valeria würde dann ohne weiteres dein? Wir sind doch sehr verschieden von Art, Korse. Und ein Weib, das Totila geliebt, wird schwerlich sich trösten mit Furius Ahalla.» Wie vom Blitz getroffen fuhr der Korse empor. «Gote, du bist ja sehr stolz. Solcher Hochmut war dir früher fremd. Hat dich der goldne Reif so hochfahrend gemacht? Du wagst es, auf mich herabzusehn? Das trage ich von keinem Mann: auch nicht von dir. Nimm zurück, was du da gesagt.» Aber Totila zuckte die Achseln. «Die Eifersucht, die blinde Wut verwirrt dich. Ich habe gesagt: wer mich liebt, wird nicht nach mir dich lieben. Und das ist so wahr, daß selbst deine Wildheit es einsehen muß. Denke dir Valeria, die streng verhaltene, marmorne, vestalische: - und deine maßlos ungezähmte Art. Valeria ist kein weiches Syrerkind wie jene Zoe.» «Nenne den Namen nicht», stöhnte der Korse. «Valeria scheut deine Wildheit: - sie hat mir selbst einmal gesagt Grauen flößest du ihr ein.» Da sprang Furius hinzu und faßte des Königs beide Schultern mit den Händen. «Mensch - du hast ihr gesagt? Hast ihr jenes Unheil aufgedeckt? Du hast? - Dann sollst du nicht... -» Aber Totila stieß ihn jetzt unsanft zurück. «Genug dieses unwürdigen Tobens. Nein, ich habe es ihr nicht gesagt - bis jetzt. Aber wohl hättest du's verdient. Noch immer, nach solcher Erfahrung» - - «Schweige davon», drohte der Korse. «Ohne Gewalt über dich in Liebe, Haß und Zorn. Du packst deinen Freund an wie ein Rasender, wie ein Raubtier. Wahrlich, kennte ich nicht den edlen Kern in dir, diese Wildheit hätte mich längst von dir abgewendet. Mäßige dich oder verlasse mich.» Und der König heftete seinen leuchtenden Blick streng, nicht ohne den Ausdruck überlegener Hoheit, auf den Korsen. Diesen Blick ertrug der Leidenschaftliche nicht. Er bedeckte die Augen mit der Hand und sprach nach einer Pause mit gebrochener Stimme: «Verzeih mir, Totila. Es ist vorbei. Aber wiederhole nicht jenen Ton, diesen Blick. Er hatte mich in jener Schreckensnacht mehr gebändigt als dein Arm. Ich scheue und hasse ihn durcheinander. Zur Sühne, wenn ich dich verletzt, will ich morgen selbst deine Schlacht mit kämpfen, an deiner Seite, wie meine Reiter.» «Sieh, das ist dein edler Kern, Furius», sprach der König, «daß du - trotz deiner Enttäuschung dein Geschenk erfüllen willst. Ich danke dir nochmal. Deine Hilfe, deine Reiterschar macht mir die Durchführung eines trefflichen Schlachtplans möglich, auf den ich seufzend hatte verzichten müssen, aus Mangel an Rossen.» «Deine Feldherren, die du zum Kriegsrat entboten», meldete ein Sajo, «harren vor dem Zelt.» - - «Führe sie ein! Nein, Furius: du bleibst und hörst alles mit an - deine Aufgabe ist die wichtigste nach der meinen.» «Ich bin stolz darauf und werde sie lösen, daß du zufrieden sein sollst mit dem .» Achtundzwanzigstes Kapitel Es versammelten sich nun um den König der alte Hildebrand, Graf Teja, Graf Wisand, Graf Thorismut, Graf Markja, Aligern und der junge Herzog von Apulien. Totila wies auf die Wand des Zeltes: dort hing die von ihm selbst mit kundiger Hand gezeichnete Übersicht der Gegend von Taginä: die Grundlage bildete die römische Straßenkarte des Picenums, zumal der Via flamina: auf dieser hatte er die wichtigsten Örtlichkeiten eingetragen. «Gern, meine Helden», hob er an, «würde ich, nach alter Goten Weise, einfach im Keil auf den Feind losstürmen und sein Herz zu durchstoßen suchen. Aber den größten Feldherrn des Jahrhunderts, an der Spitze eines doppelt starken Heeres, in einer selbst gewählten, vortrefflichen Stellung, schlagen wir nicht mit unsrer von Odin stammenden einfältigen Weisheit», lächelte er. «Erzürne nicht den Siegesgott durch Spott am Tage vor der Schlacht», warnte der alte Hildebrand. Aber Totila fuhr fort: «Wohlan denn: laß sehen, ob der große Stratege, der Germanen durch Germanen schlagen will, nicht durch seine eignen Mittel zu verderben ist. Die Entscheidung des Tages fällt hier, im Herzen der beiden Stellungen bei Taginä. Die beiden Flügel haben nur hinzuhalten. Du, Hildebrand, übernimmst unsern linken, gegenüber Eugubium. Ich gebe dir zehn Tausendschaften, dort der Wald und das Flüßchen Sibola, das da in den größeren, den Clasius mündet, geben dir gute Deckung. Desgleichen dir, Teja» - er stand hart an seiner Schulter - «auf dem rechten Flügel, mit fünfzehn Tausendschaften, der Berg rechts hinter Caprä, der fast bis an den Klosterberg der Valerier und an das Grab des Numa stößt.» «O laß mich, mein König, morgen hart in deiner Nähe, an deiner Schildseite, fechten. Ich hatte einen finstern Traum», fügte er leiser bei. «Nein, mein Teja», erwiderte Totila, «nicht nach Träumen wollen wir unsern Schlachtplan ordnen. Ihr sollt beide zu fechten genug bekommen, sobald die Entscheidung hier, im Herzen, gefallen. Denn hier» - und er deutete mit dem Finger auf den Raum zwischen Caprä und Taginä «ich sag' es nochmal: hier liegt die Entscheidung. Deshalb habe ich die volle Hälfte unsres Heeres, fast fünfundzwanzig Tausendschaften, hier in das Mitteltreffen gestellt. Im Herzen von Narses' Aufstellung stehen die Heruler und -seine beste Schar - die Langobarden. Er ändert das nicht mehr: denn früher wohl, als ich, der , hat der große Schlachtenmeister es erkannt, daß dieser Tag durch das Gefecht der Mitten entschieden wird. Nun habt wohl acht. Ich kenne die Langobarden, ihre Kampfgier, ihren ReiterUngestüm. Darauf bau' ich meinen Plan: wenn Narses uns durch Germanenkraft vernichten will, so soll er durch Germanenfehler erliegen. Mit meinen wenigen gotischen Reitern schwärme ich von Caprä aus gegen die Langobarden, die vor Helvillum stehn, des Narses starkes Mittellager. Sie werden nicht säumen, sich mit ihrer Übermacht auf mich zu stürzen. Sofort, durch ihren Anprall scheinbar geworfen, jage ich in ordnungsloser Flucht zurück auf Caprä zum Nordtor herein. Das Nordtor lass' ich zwar hinter uns schließen. Sonst schöpfen sie Verdacht. Aber nicht verteidigen. Und schlecht kenne ich die Langobarden, wenn sie nicht, in übermütiger Verfolgungslust des Reiters, die lustige Hetze fortsetzen, weit voran dem langsam folgenden Fußvolk. Ich weiß gewiß, sie reißen die Tore auf und jagen uns durch Caprä hindurch, noch zum Südtor hinaus, auf das freie Feld zwischen Caprä und Taginä: - hier. Aber kurz vor Taginä wird die flaminische Straße zu beiden Seiten von zwei waldigen Hügeln überragt, dem Collis nucerius rechts, dem Collis clasius links: - seht ihr? da. Auf diesen Hügelkronen, im dichten Wald versteckt, liegen unseres vortrefflichen Korsen treffliche Reiter im Hinterhalt, und sowie die Langobarden heran sind, zwischen den beiden Hügeln, - dann wend' ich mich aus der versteckten Flucht zu ernstem Angriff auf der flaminischen Straße selbst. Das Heerhorn bläst zum Reiterstoß. Auf dieses Zeichen brechen deine Reiter, Furius, zugleich von beiden Seiten auf die Langobarden, und -» «Sie sind verloren!» jubelte Wisand, der Bandalarius. «Aber das ist nur die erste Hälfte meines Planes», fuhr Totila fort. «Narses muß entweder seines Heeres Blüte verloren geben... » «Das tut er nicht», sagte Teja ruhig. «Oder mit seinem Fußvolk nachrücken. In den Häusern von Caprä aber halte ich unsere Bogenschützen, in denen von Taginä unsere Speerträger verborgen, und wenn des Narses Armenier zwischen den beiden Städten in den Reiterkampf eingreifen wollen, werden sie von hinten und von vorn zugleich von dem aus den Toren brechenden Fußvolk angegriffen: du, Wisand, befehligst in Caprä, du, Thorismut, in Taginä.» «Ich möchte morgen kein Langobarde sein», meinte der Korse. «Lange Bärte und kurze Freuden werden sie haben», lachte Adalgoth. «Kein Mann von den Armeniern entkommt», sprach Markja. «Ja: - wenn der Plan gelingt», schloß Teja. «Ihr aber, Hildebrand und Teja, sowie ihr das Fußvolk des Narses aus Helvillum gegen Caprä vorbrechen seht, zieht euch mit euren der Mitte nächsten Scharen ebenfalls gegen Caprä: -nur soviel zur Verteidigung eurer Flügel erforderlich, laßt dort stehen - ihr helft uns so, das Mitteltreffen zermalmen. Dann wenden wir uns gegen die beiden Flügel, und leicht sind sie nach links und rechts hin auseinander gerissen: denn ohne Helvillum haben sie keinen Halt: ihre große Zahl selbst wird ihnen hinderlich in jenen Engen, wenn wir sie von Helvillum her in der Flanke fassen.» Der alte Hildebrand schüttelte dem König die Rechte. «Du bist Odins Liebling», flüsterte er ihm ins Ohr. «Schlimm!» antwortete der König, ebenso leise, mit Lächeln. «Du weißt: zuletzt versagt der von Odin geschenkte Speer, und der Siegesgott nimmt seinen Liebling hinauf nach Walhall. - Nun lebt wohl, meine Helden!» Nachdem die Feldherrn das Zelt verlassen, zögerte der Korse noch an der Türe. «Um eine Gunst noch hab' ich dich zu bitten, König. Wann morgen deine Schlacht geschlagen und gewonnen, geh' ich in See - auf Nimmerwiederkehr. Laß mich zuvor noch Abschied von... von ihr nehmen, ein letztes Mal ihr Bild mir in die Seele prägen.» Aber der König furchte die Stirn. «Wozu das? Es kann nur dich quälen und sie.» «Mich beglückt es. Und du - bist du zu neidisch oder am Ende gar zu ängstlich, andern auch nur zu zeigen, was du besitzest? Bist du eifersüchtig, König der Goten?» «Furius!» rief der König verletzt und im Innern erbittert über des Korsen ganzes Wesen. «Geh, suche sie auf: und überzeuge dich, wie fern du stehst ihrer Art.» Neunundzwanzigstes Kapitel Fast zur gleichen Zeit, da der gotische Kriegsrat seine verhängnisvollen Beschlüsse faßte, ließ sich Narses, der wieder schwer an epileptischen Anfällen gelitten hatte in diesen Tagen, in seiner offenen Sänfte, umgeben von seinen Heerführern, von seinem Zeit in Helvillum aus auf einen Hügel tragen vor seinem Mitteltreffen, von wo das gesamte Gefilde, das heute Gualdo Tadino heißt, zu überschauen war. «Hier», sagte er, mit seiner Krücke aus der Sänfte deutend, «hier, zwischen Caprä und Taginä fällt die Entscheidung. Hättest du doch Taginä - oder selbst nur Caprä - noch besetzt, Cethegus.» «Der schwarze Teja kam mir um drei Stunden zuvor», sagte dieser grollend. «Es gibt keine solche Verteidigungsstellung gegen Übermacht auf der ganzen flaminischen Straße mehr bis Rom», fuhr Narses fort. «Meisterhaft haben die Barbaren diese Stellung gewählt. Gewannen sie jene Hügel nicht, so ergoß sich unser Heer unaufhaltsam fort bis Rom. Nun habt acht auf jedes meiner Worte, - das Sprechen wird mir nicht leicht: - Narses sagt nichts zweimal. Nun, Langobarde, was sinnest du?» Und er rührte mit der Krücke an Alboins Schulter, der wie verzückt in die Landschaft hinausgeblickt hatte. «Ich?» sagte dieser, auffahrend aus seinen Träumen, «ich sinne, wie wunderbar reich und schön dies Land, welcher Segen ringsum! Es ist das Weinland unsrer Lieder.» «Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines Nächsten Italien und allem, was sein ist», sagte Narses, mit der Krücke drohend. «Die Traube Italia, Fuchs Alboin, hängt sehr hoch.» «Ja: solang du lebst, ist sie sauer», sprach der Langobarde. «Einstweilen lebt er noch, der Gotenkönig, dessen Erbe du antreten willst», mahnte Narses. «Also, mein Plan. Du, Orestes, nimmst mit Zeuxippos den linken Flügel bei den (busta Gallorum), gegenüber dem hohen Waldberg mit den weißschimmernden Klostergebäuden.» «Woher rührt der Name?» fragte Alboin. «Hier schlug», antwortete Cethegus, «der Römerkonsul Decius, sich dem Tode weihend für das Vaterland, der Gallier ungeheure Übermacht. Der Boden ist heilig und von guter Vorbedeutung für Rom und», schloß er bitter, «gegen alle Arten von Barbaren.» «Wann war das?» forschte Alboin weiter. «Im Jahre vierhundertachtundfünfzig der Stadt.» «Das ist lange her», meinte der Langobarde. Narses aber fuhr fort: «Du, Johannes, übernimmst mit Valerianus und Dagisthäos den rechten Flügel bei Eugubium gegenüber dem Fluß Clasius und dem Flüßchen Sibola. Ihr haltet euch ganz ruhig, bis hier in der Mitte die Entscheidung gefallen: alsdann, - denn wer Übermacht hat und sie nicht zur Überflügelung braucht, verdient nicht, sie zu haben - dann schwenkt ihr von beiden Seiten ein - ihr reicht ja weit über die schmale Stirnlinie der Barbaren hinaus - und ihr schneidet ihnen mit zusammenschlagendem Netz den Rückzug nach Rom ab: euer Zusammentreffen ist auf der flaminischen Straße östlich hinter Taginä, in der Nähe von Nuceria Camellaria. Gelingt das, so ist der Krieg zu Ende mit einem Schlag.» «Schade», meinte Alboin. «Ja, dir blutet das Herz nicht, mein Wölflein, wenn du des Kaisers Italien recht lange zerfleischen kannst. Aber mir, nicht viele Schlachten gewinnen, - das ist Freund Belisars Vergnügen! - viele Feldzüge mit einem Schlag beenden, das ist meine Art, Erst aber, eh' ihr überflügeln könnt auf den Flanken, muß hier, in der Mitte, in der Ebene die Blutarbeit getan sein. Ich muß Caprä und Taginä stürmen; wenn sie klug sind, die Barbaren, zeigen sie sich nicht auf dem freien Feld vor Caprä: dort würden meine Wölfe sie niederrennen. Nicht wahr, mein Wolfskönig?» «Ein prächtiger Wiesenplan für die Reiterschlacht!» rief Alboin, «ich sehe sie schon zurückfliehen nach den Toren von Caprä.» «Sie werden dir den Gefallen nicht tun, sich hierher zu wagen, mein Wölflein. Keinesfalls aber unterstehst du dich, mit deinen Reitern Caprä anzugreifen.» «Oh», meinte Alboin, «wir sind gewöhnt, abzuspringen und zu Fuß zu kämpfen, wenn's vonnöten. Die Rößlein bleiben lammfromm stehen und kommen auf den Pfiff im Trabe nach.» Ein heftiger Krampf schüttelte Narses: seine Züge verzerrten sich. «Langbart», sprach er, als er wieder seiner mächtig geworden, «ärgere mich nicht. Ärger und Schreck bringen mir das böse Schütteln. Wenn du dir einfallen läßt, Caprä anzugreifen, ehe mein Fußvolk ganz heran ist, schicke ich dich nach der Schlacht nach Hause.» - «Das wäre allerdings die härteste Strafe.» «Du, Anzalas, führst das armenische Fußvolk und du, Cethegus, das illyrische, samt deinen trefflichen isaurischen Söldnern, zum Sturm auf Caprä und Taginä. Ich folge mit der Masse der Makedonen und der Epiroten nach.» Abermals rüttelte den Feldherrn ein Schauer. «Ich fürchte, morgen kehrt das Übel stärker wieder. Du, Liberius, vertrittst dann meine Stelle, bis ich wieder sprechen und befehlen kann.» Cethegus furchte die Stirn. «Ich hätte dir, Präfekt», fügte Narses, dies bemerkend, bei, «die Vertretung übertragen. Aber du wirst nicht müßig in Helvillum zusehn wollen. Ich brauche dich und dein gefürchtet Schwert beim blutig schweren Sturm auf die beiden Städte.» «Und wenn ich dabei falle», lächelte Cethegus, «wird des Kaisers Feldherr den Verlust überleben.» «Wir sind alle sterblich», sprach Narses, «o Präfekt: unsterblich sind nur wenige von uns - nach ihrem Tod.» Dreißigstes Kapitel An dem Abend desselben Tages erging sich Valeria in dem ummauerten Garten des Klosters unter Thuien und Zypressen. Sie wußte oder ahnte, daß die lang erwartete Schlacht morgen bevorstand. Und ihr Herz war bang. Sie bestieg ein Türmchen an der Ecke der Gartenmauer, zu welchem eine gewundene, schmale Marmortreppe emporführte. Von hier aus konnte sie das ganze Talgefilde überschauen, in welchem morgen die Entscheidung über Italiens, über ihr eignes Geschick fallen sollte. Im Westen, ihr gegenüber gerade, weit hinter dem Clasiusflusse, versank die Sonne in blutroten Wolken. Im Norden lag das langgestreckte, tiefe Lager des Narses mit seinen zahllosen Zelten aus dunklen Fellen und Häuten und geschwärztem grobem Segeltuch. Es zog sich unabsehbar weit, den Horizont umspannend, von busta Gallorum im Osten bis Eugubium (das alte Iguvium) im Westen: es ruhte schon in schwarzen, kalten Schatten: drohend und still, wie die Notwendigkeit. Unmittelbar zu ihren Füßen schlossen sich die gotischen Zelte dicht hinter dem kleinen Ort Taginä. Die geringe Zahl erschreckte das Auge der Jungfrau: doch hatte ihr Totila beschwichtigend gesagt, seine Leute lägen größtenteils in den Häusern von Caprä und Taginä. Auch diese Niederung ruhte schon im Schatten. Nur auf sie selbst, ihre weiße Gestalt, die sich von den Zinnen der Türme scharf abhob, auf die Höhe, wo das Kloster ragte und seine Mauern, sowie auf die noch etwas höher und östlicher gelegene Kapelle bei dem Grab des Numa Pompilius, die Spes bonorum, fiel noch voll und leuchtend der Widerschein der sinkenden Sonne. Lange blickte Valeria, schwerer Ahnungen voll, hinaus in die heute noch friedlich ruhende Landschaft. Welches Ansehen würde sie wohl morgen um diese Stunde zeigen? Wie viele Herzen, die heute noch trotzig, freudig, heißblutig pochten, waren bis dahin still und kalt. - So träumte sie hinaus in den Himmel und in das Gefilde. - Sie beachtete es kaum, daß die Sonne längst gesunken, daß es rasch dunkelte, schon brannten einzelne Wachtfeuer in beiden Lagern. «Wundersames Geschick», sprach die Jungfrau zu sich selbst. «Fröhlich, fast vergessen des Gelübdes, das mich an diesen Ort knüpft, lebe ich jahrelang. Da ergreift mich plötzlich eine Hand aus den Wolken und führt mich, wie mit zwingender Gewalt, hierher an den Ort meiner Bestimmung, nicht meiner Wahl. Und nach bangem, trübem Harren folge ich, wieder hoffend, wieder diesen Mauern entrinnend, dem lockenden Ruf des Freundes hinaus in die Freude, in die Welt der Glücklichen. Ich vertausche diese Grabesstille mit dem rauschenden Brautfest in seiner Königsburg. Und abermal faßt mich, an der Schwelle der Ehefeier, plötzlich die Hand des Geschickes, reißt uns alle aus Freude und Jubel und führt mich und den Geliebten zur Entscheidung -gerade hierher, an den Ort meines Verhängnisses. Ist das eine Mahnung, eine Vorverkündung? Soll auch den Freund, der sein Geschick an meines gebunden, hier der auf mir lastende, unheimliche Bann ergreifen? Kann ich ihn davon lösen, wenn ich ihm entsage? Soll er mit dafür büßen, daß wir das Gelübde nicht erfüllt? Ach, der Himmel bleibt taub für die Fragen des geängsteten Menschenherzens. Er öffnet sich nur, um zu strafen; seine furchtbare Sprache ist der Donner und seine Schicksalsleuchte sein zugleich zermalmender Blitz. Bist du versöhnt, du strenger Gott des Kreuzes? Oder forderst du unerbittlich die dir verfallene Seele ein?» Aus diesem Träumen und Sinnen weckte sie - schon war es ganz dunkel geworden, und der eben aufsteigende Mond warf noch wenig Licht in den hochgelegenen, ummauerten Garten -der rasche Schritt eines Mannes, der hastig nahte von dem Garten her; der Sand der Gartenwege knisterte unter seinen Füßen. Das war nicht Totilas schwebender Gang. Die Jungfrau stieg die Marmortreppe herab und wollte sich auf dem schmalen Gang, der zwischen den Zypressen an der Mauer hinführte, nach dem Hause zu wenden, - da vertrat ihr der Nahende, der ihre weiße Gestalt erkannt hatte, plötzlich den Weg, er selbst im dunkeln Mantel kaum kenntlich -, es war der Korse. Sie erschrak über den plötzlichen Anblick. Wohl hatte sie von je des Mannes Leidenschaft erkannt, aber mit Grauen, mit seltsamer Furcht. «Du hier, Furius Ahalla! Was führt dich in diese frommen Mauern?» Eine Weile schwieg der Fremde. Er atmete schwer und schien, ringend, nach Worten zu suchen. Allmählich stieg das Licht des Mondes über die Mauer. Hell zeigte er bald der schönen Römerin edle Züge und Gestalt. Endlich sprach Furius abgerissen, mühsam. «Das Verlangen führt mich her... - Abschied zu nehmen, Valeria. Abschied für immer. Wir schlagen morgen eine blutige Schlacht. Dein - -König hat mir verstattet, noch einmal zu sehen die... Dasjenige, was ich unter allen Männern nur ihm gönne. Oder», fügte er leidenschaftlich hinzu, auf ihre Gestalt blickend und den Arm leise hebend, «gönnen soll, und doch nicht - gönnen kann.» «Furius Ahalla», sprach Valeria mit Hoheit zurücktretend, -denn sie hatte jene Armbewegung wohl bemerkt - «Ich bin deines Freundes Braut.» «O ich weiß es - nur zu gut weiß ich es.» Und er trat, ihr folgend, einen Schritt vor. «In meinem Herzen steht es eingeschrieben mit der brennenden Schrift der Qualen. O ich könnte ihn grimmig hassen. Weshalb schritt er - gerade er! -zwischen dich, du schönheitsschimmerndes Weib, und meine rasende Leidenschaft? Jeden andern würde ich zerreißen. Es ist sehr schwer, ihn nicht zu hassen.» «Du irrst», sprach Valeria - «und nur um dir dies zu sagen -hörte ich solche Sprache zu Ende. Hätte ich Totila nie gesehen -ich wäre doch nie die Deinige geworden.» «Warum?» fragte der Korse gereizt. «Weil wir nicht zusammen taugen. Weil, was mich zu Totila hinzieht, mich von dir hinwegreißt.» «O du irrst! Es muß jedes Weib gewinnen, sich so rasend, so wütend geliebt zu sehn, wie ich dich liebe.» «Deine Liebe hätte mir Grauen eingeflößt - und nun laß mich in das Haus.» Aber Furius versperrte den schmalen Pfad mit seiner Gestalt. «Grauen - das schadet nicht. Süßes Grauen st die Mutter der Liebe. Es gibt verschiedne Art zu lieben, zu werben. Mir hat von je zumeist des Löwen Werbe-Brauch gefallen. Er läßt der Braut nur die Wahl zwischen Liebe und Tod.» «Genug dieser Worte, die dir zu sprechen, mir zu hören gleich unziemlich ist. Laß mich vorbei.» «Ha, fürchtest du dich, Vestalin?» Und er trat noch einen Schritt näher. Jedoch hoheitsvoll maß ihn Valeria mit kaltem Blick der Verachtung. «Vor dir? Nein.» «Dann bist du allzukühn, Valeria: denn du hättest allen Grund. Und wüßtest du, was in mir lodert seit Jahren, kenntest du die Folterqualen meiner Nächte, - du würdest zittern. Ah, und könntest du mich nicht lieben, - auch dich zittern sehen - wie jetzt - dich zittern machen, wäre Wollust.» «Schweig!» rief Valeria und wollte sich an ihm vorüber durch die Bäume drängen. Allein nun vertrat er ihr hier den Weg und griff nach ihrem Mantel - seiner Sinne kaum mehr mächtig. «Nein, ich will nicht schweigen», flüsterte er heiß. «Du sollst es wenigstens wissen und in dir nachglühen fühlen, solang du atmest. Schon fühle ich Schauer des Grauens durch deine stolzen Glieder rieseln. Nicht abkürzen will ich mir die Wonne, dich erbeben zu sehen. Ah, wie würdest du erst zittern in diesen Armen, wie würde diese stolze Gestalt hinschmelzen unter dem heißen Hauch meines Mundes... - Wie solltest du mir...» - Und er griff die Widerstrebende an beiden Schultern. «Hilfe, Licht! Hilfe!» rief Valeria. Und schon eilte man mit Licht aus der Tür des Hauses. Jedoch der Korse, der Türe den Rücken wendend, ließ nicht von ihr. «Laß meinen Arm los.» «Nein, einmal sollst du mir -» Aber in diesem Augenblick ward er mit zorniger Gewalt zurückgerissen, daß er Valeria losließ und gegen die Mauer taumelte. Totila leuchtete ihm mit der Fackel in das glühende Antlitz. Furchtbarer, aber heiliger Zorn loderte aus des Königs Augen. «Tiger!» rief er, «willst du meine Braut ermorden wie die deine?» Mit einem gellenden Schrei der Wut sprang der Korse, beide Fäuste ballend, gegen ihn an. Allein ruhig blieb Totila stehen und durchbohrte ihn mit den Blicken. Furius faßte sich. Da flog Valeria an Totilas Brust. «O laß von ihm, rasch fort! Er ist rasend! - - Seine Braut hat er ermordet?» Diese Frage aus Valerias Mund ertrug der Korse nicht: - er warf noch einen Blick auf Totila, sah, wie dieser, bejahend, Valeria zunickte... und sofort war er hinter den Zypressen im Schatten verschwunden. «Ja», sagte Totila, «so ist es. Hat dich der Wahnsinnige recht erschreckt?» «Es ist vorüber, - du bist ja bei mir.» «Mich reute, daß ich ihm verstattet, dich aufzusuchen. Und ich eilte hierher, von Liebe und Beunruhigung getrieben.» «Gut, daß du kamst und nicht die Leute aus dem Hause. Wie tief hätte es ihn beschämt! Ich rief erst, als ich wirklich glaubte, er rase. Und was ist das für eine grausige Tat? Seine Braut?» «Ja», wiederholte Totila, den Arm um sie schlingend, die Fackel einer Sklavin reichend, die nun aus dem Hause trat, «aber laß uns noch im Mondlicht wandeln.» Und er schritt mit der Geliebten wieder tiefer in den Garten, auf und ab wandelnd. «Es ist mir nicht lieb, daß mir es der gerechte Zorn entrissen. Es war das Geheimnis, durch das ich über diesen schwarzen Panther wundersame Gewalt gewonnen. Vor vielen Jahren traf ich ihn - ich hatte lybische Seeräuber verfolgt mit meinen Schiff - im Hafen von Beronike an der Küste der Pentapolis. Er war im Begriff, sich zu vermählen mit Zoe, der Tochter eines syrischen Kaufherrn, der sich, des Elfenbeinhandels wegen, dort in Afrika niedergelassen. Der Korse hatte von jeher Neigung zu mir gezeigt - ich hatte ihm auch bei seinem Seehandel oft genützt - und er bat mich, der Hochzeitsfeier auf seinem reich geschmückten Fahrzeug beizuwohnen. Ich erschien, und das Fest verlief ganz fröhlich, nur war der Bräutigam in einer Stimmung, die mehr von Grausamkeit als von Zärtlichkeit an sich trug. Endlich wollten die Eltern der Braut - nur sehr widerstrebend hatten sie dem Fremden, dessen unbändige Wildheit bekannt und auch bei der Werbung selbst hervorgetreten war, das weiche, zarte Kind zugesagt, - auf kleinem Boot mit mir das Schiff verlassen, welches die Brautleute nach Korsika tragen sollte. In sehr begreiflicher Rührung des Abschieds warf sich Zoe weinend immer wieder in die Arme ihrer Eltern. Ich bemerkte, daß der Bräutigam hierüber in eine mir ganz unfaßliche Wut geriet. Laut rief er Zoe an, ob sie ihren Vater ihm vorziehe? Ob sie denn ihn nicht mehr liebe? Das sähe ja aus wie Reue. Er drohte, schalt, und das arme Kind weinte immer mehr. Zuletzt schrie er ihr wütend zu, sie solle augenblicklich aufhören zu weinen und, um nach altem Seemannsbrauch bei Schiffshochzeiten, mit dem Beil, das er in der Hand hielt, das Ankertau zu kappen, auf seine Seite des Schiffes treten. Zoe gehorchte, riß sich von dem Vater los -, da traf sie auf der Mutter banges, tränenerfülltes Auge - und, anstatt zu Furius zu schreiten, wandte sie sich, wieder laut aufschluchzend, ihrer Mutter zu, diese nochmal zu umarmen. Rasend aber sprang Furius herzu, sein Beil blitzte, sie streifend, über des Mädchens Haupt, und er hätte sie auf dem Fleck erschlagen... » - «Entsetzlich», rief Valeria. «Fiel ich ihm nicht in den Arm und entriß ihm das Beil mit einem Blick, der ihn plötzlich bändigte. Lysikrates aber trug sein blutendes Kind aus dem Schiff nach Hause und versagte dem gefährlichen Bräutigam die Ehe.» «Was ward aus ihr?» «Sie starb bald darauf. Nicht gerade an der Wunde, aber an den Folgen des Schreckens und widerstreitender Aufregungen. Du solltest sie dem Vereinsamten ersetzen.» Valeria schauderte. «Er ist mir unheimlich. Dem halbgezähmten Raubtier gleicht er, das unberechenbar und unverlässig bleibt. Jeden Augenblick mag seine tödliche Wildheit erwachen.» «Laß ihn. Sein Kern ist edel. Er tobt sich jetzt aus, - hörtest du den donnernden Hufschlag seines Rosses den Berg hinab? - und morgen - in der Schlacht - macht er alles gut. Ich will ihm gern verzeihn, - er war nicht bei Sinnen. Aber nun laß uns zurückkehren zu uns selbst, zu unsrem Glück und unsrer Liebe.» «Ist unsre Liebe dein Glück geworden?» fragte Valeria nachdenklich. «Wie viel stärker stündest du morgen im Kampf, wenn des Westgotenkönigs Tochter, wenn jene Haralda, der du gar sehr gefielst... -» Aber Totila drückte sie an die Brust. «Wer ersetzt Valeria?» «Dein Glück?» wiederholte diese bang. «Werden wir je vereinigt werden? Man sagt, die Feinde sind euch doppelt überlegen. Die Schlacht morgen, - hast du keine Besorgnis?» «Nie in meinem Leben habe ich einem Kampf so freudig entgegengesehen. Das wird mein Ehrentag in der Geschichte! Mein Plan ist gut, mich freut's, den großen Schlachtenlenker Narses mit seiner eignen Kunst zu überwinden. Wie in ein Festspiel reite ich in diese Schlacht. Du sollst mir deshalb Helm und Roß und Speer mit Blumenkränzen und mit Bändern schmücken.» - «Mit Blumen und Bändern! - Opfer schmückt man so.» «Und Sieger, Valeria.» «Morgen mit Sonnenaufgang sende ich dir die Waffen hinab ins Lager, geschmückt mit Blumen, die im Frühtau glänzen.» «Ja, geschmückt will ich reiten in meine schönste Siegesschlacht - denn morgen ist der Tag, da ich in einem Schlag die Braut mir und Italia erkämpfen - ihr seid eins in meinem Herzen, stets hab' ich in dir, du Marmor-Schöne, das Bild Italiens geliebt.» Einunddreißigstes Kapitel Als der König beim Schein der Sterne das kleine Haus von Taginä erreichte, wo er sein Quartier aufgeschlagen, traf er im Hofe, auf dem Rand der Zisterne, einen Mann in dunklem Mantel sitzen, die Harfe auf den Knien, sie blitzte im Mondlicht; leise Akkorde griff er darauf. «Du bist es, Teja? Hast du nichts zu tun auf deinem Flügel?» «Ich habe dort alles geordnet. Hier hab' ich zu tun - mit dir.» «Tritt mit mir ins Haus. Ist Julius nicht darinnen?» «Er ging noch in die Basilika Sankt Pauls, für deinen Sieg zu beten. Er kommt wohl bald zurück. Ich habe dir eine Rüstung mitgebracht, die ich dich bitte, morgen in der Schlacht - mir zuliebe - zu tragen, sie ist fest und sehr sicher.» Totila blieb gerührt stehen: «Welche Sorgfalt echter Freundschaft!» Hand in Hand schritten sie nun in das Mittelgemach des Hauses. Da lag, auf dem Marmortisch aufgerichtet, eine vollständige Rüstung, vom Helm bis zu den geschuppten Schuhen, von dem besten hispanischen Stahl, leicht und doch undurchdringlich; meisterhaft gearbeitet, aber ohne allen Schmuck, ohne Helmzier, mit dicht geschlossenem Visier, -alles von dunkelblauem Stahl. «Welcher zauberkund'ge Schmied hat dieses Wunderwerk geschaffen?» frug Totila bewundernd. «Ich», sagte Teja. «Du weißt: ich habe von jeher Gefallen an Waffenarbeit gehabt. Und ich habe - ich schlafe wenig nachts -diese Schuppen für dich gefertigt. Du mußt sie annehmen.» «Ja», lächelte Totila - «für meine Bestattung, darin will ich meinen Leichenzug begleiten. Aber morgen, mein Teja, reit' ich in vollem Königsschmuck ins Treffen. Italia soll nicht sagen, ihr König und Bräutigam habe sich an seinem Ehrentag versteckt. Nein, wer morgen den Gotenkönig sucht, soll nicht viel Mühe haben, ihn zu finden.» «Ich hab' es gefürchtet», seufzte Teja. «So laß mich wenigstens morgen an deiner Seite fechten: nimm mir den Befehl des rechten Flügels ab.» «Nein, er ist hochwichtig. Mich beschützen kann ich selbst. Die Berge aber mußt du mir decken und den Weg nach Rom. Im Fall eines Unglücks liegt auf deinem Flügel die einzige Rettung für den Abzug.» Da trat Julius ein mit Graf Thorismut und Herzog Adalgoth und die Diener, - darunter auch Wachis, der nun Teja als Schildträger begleitet hatte - brachten das Nachtmahl: Fleisch, Früchte, Brot und Wein. «Denke, Julius», lächelte Totila diesem entgegen, «der kühnste Held im Gotenheer ist ängstlich geworden.» «Nicht für mich», sagte dieser. «Aber meine Träume treffen meistens ein. Und sie sind immer schwarz.» «Eure Träume», lächelte Totila dem jungen Adalgoth, der sich neben ihm niederließ, und Wachis zu, der dem König den Becher fällte - «eure Träume, ihr Frischvermählten, sind wohl nicht schwarz!» «Kann nicht klagen darüber, Herr König», schmunzelte Wachis. «Doch ich wünschte -» «Was hast du noch zu wünschen außer Liuta?» meinte Totila. «Ich wünschte, der Lange wäre da.» «Welcher Lange?» «Nun: der gar Lange: der noch deinen tapfern Bruder Hildebad um eines Hauptes Länge überragt haben würde, der mit dem Bärenfell und mit der Falken-Werferin: - wie hieß er doch?» «Harald», sagte Teja ernst. «Ja, den meine ich. Der wäre gut mit seinen starken Riesen morgen.» «Wir werden ihn nicht brauchen.» «Aber besser ist immer besser, Herr König. Und wenn ich der Herr König gewesen wäre: - den hätt' ich wieder kommen lassen, als der Krieg losbrach.» «Wir brauchen ihn nicht», wiederholte der König schärfer. «Ich dachte wie mein Schildmann, o König», sagte Teja, «und habe auf eigne Faust - an deiner Einwilligung zweifelnd -gesendet nach ihm: fortgeschickt hättest du ihn doch nicht, hätte ich ihn zur Stelle schaffen können. Auch mir hat dieser treue Nordlandsheld gefallen -: seine Leute wären gut gewesen wider die Langbärte -: leider war die Flotte von meinem kleinen Schiff nicht einzuholen.» «Dank, Teja, das war wieder ganz deine Art. Aber mich freut, daß du ihn nicht beischaffen konntest. Wir schlagen und siegen allein. Mein Plan ist ganz unfehlbar, wenn nur... -» Hier flog eine Wolke über des Königs Stirn. «Wenn der Korse seine Schuldigkeit tut», sprach Teja. «Sage, Thorismut - ich sandte dich noch vom Kloster aus, wo ich einen kleinen Streit mit ihm hatte, an Furius - ich fragte, ob alles beim alten bleibe zwischen uns: - was antwortete er?» «Er gab mir diesen offenen Brief an dich.» «Wo trafst du ihn?» forschte der König, die Wachstafel nehmend. «Vor Taginä. Er wies seinen Reitern bereits die Stellung im Hinterhalt an. Er hat alles auf das genaueste erfüllt, was du vorschriebst.» Totila las: «Morgen werd' ich erfüllen, was du von mir erwartest. Du wirst mir nach der Schlacht nichts mehr vorwerfen.» «Er fügte bei», ergänzte Thorismut, «ein paar Hundert seiner Rosse, die, von der Seereise angegriffen, langsamer marschiert, kämen morgen früh sicher an. Sie sind auch schon gemeldet von Septempeda her: du möchtest, womöglich, die Entscheidung hinausziehen, bis zu ihrem Eintreffen.» «Warum kommt er nicht selbst hierher?» zürnte Teja. «Er bemüht sich auf das eifrigste», sprach Thorismut - «ich hab' es selbst gesehen - seinen Reitern genau die Örtlichkeit zu zeigen, wo die Entscheidung fällt. Er hat noch im Mondlicht Gefechtsübungen von den Hügeln herab auf die Straße gemacht.» Totila aber schloß: «Ich weiß, warum er nicht zu meinem Nachtmahl kommt. Es hat nichts auf sich.» Und sie setzten sich nun auf die Feldstühle und Truhen, die um den Tisch standen, und begannen das einfache Mahl. «Der König», hob Teja an, «läßt mich morgen nicht an seiner Seite fechten. So befehl' ich ihn dir, mein tapferer Thorismut: behüte du sein Leben.» «Das wird er nicht immer können», lächelte Totila, trinkend. «Thorismut muß mir die Speerträger in Taginä befehligen.» «Solang ich an des Königs Seite halte, geschieht ihm nichts», sagte Thorismut ruhig. «Ich gehe, nochmal zu den Vorposten bei Caprä zu reiten.» Und er schritt aus dem Gemach. «Ja», rief Totila, «bei Neapolis, am capuanischen Tor, war er mein Retter.» «Und zu Rom am Tiber der junge Harfenherzog hier», sprach Teja, «wo ist er morgen? Er soll dich wieder decken.» «Nein!» rief dieser: «Ich habe mir ausgebeten, in dem Reiterangriff voranzureiten und Domna Valerias neue Fahne zu tragen.» «Nun, frommer Julius», sprach Teja - «du sollst nicht fechten: - aber schirme du des Königs Leben. - Ich weiß, du liebst ihn, auf deine Art: und das wird wohl keine Sünde sein.» «Ich will um ihn bleiben. Aber besser noch als mein schwacher Arm oder dein starker, Graf von Tarentum, wird mein Gebet zu Gott ihn schützen.» «Gebet!» sagte Teja. «Noch ist kein Gebet durch die Wolken gedrungen. Und wenn es durchdrang, fand es den Himmel leer.» Zweiunddreißigstes Kapitel «Wie», rief der Mönch, «du leugnest, finstrer Mann, wie - wie Cethegus, den Gott der Liebe aus seiner Welt hinaus? Den Gott, der allweise, allmächtig und alliebend vom Himmel aus der Menschen Pfade lenkt, den leugnest du?» «Ja», rief Teja und ließ die Hand an den Schwertgriff gleiten. «Den leugne ich! Und wäre ein Wesen da oben, lebendig und wissend, was es tut oder geschehen läßt -, man müßte, wie die Riesen unsrer Göttersage, Berg auf Berg und Fels auf Felsen türmen und seinen Himmel stürmen, und nicht ruhen und rasten, bis man das teuflisch grausame Gespenst von seinem blutigen Schädelthron gestoßen hätte oder selbst gefallen wäre von seinem Blitz.» Entsetzt sprang Julius auf: «Hat denn der Geist der Gottesleugnung, der Gotteslästerung die gewaltigsten Männer der Welt ergriffen? Ich kann solche Worte nicht anhören.» «Dann frag' mich nicht!» Mit Staunen sah auch der König auf den sonst so schweigsamen Freund, aus dessen tief verschlossener Brust plötzlich lang verhaltener, grimmiger Schmerz glühend hervorbrach. «Ihr staunt», fuhr dieser fort, «daß der grabesstille Teja noch so heiß empfindet. Ich staune selbst zuweilen darüber. Aber morgen ist der Tag der Sommersonnenwende; der Tag, da dereinst meine Sonne für immer sich gewandt. An jeder Wiederkehr des Tages bricht mir die alte Wunde schmerzend auf.» «Ich begreife deine Düstre jetzt, unsel'ger Mann», sprach Julius nach einer Pause. «Ja, ich fasse nicht, wie du leben kannst - ich könnte nicht atmen: ohne Gott.» «Wer sagt dir, Mönch, Teja hat keinen Gott? Weil ich ihn nicht nach deinem Glauben sehe, nicht, wie du, vermenschlicht, von Liebe, Haß, Zorn, Eifersucht entstellt? Weil ich nicht denken kann, daß er, der Vorschauende, Wesen schafft, sich und andern zur Qual, sie zu verdammen und sie hintendrein, durch ein Mirakel, durch schuldloses Blut des Edelsten, wieder zu erlösen? Weil ich ihn nicht denken kann wie einen ungeschickten Zimmerer, der seine Baute schlecht gemacht hat und nun immer daran nachflicken muß mit mirakelnder Hand? Ich sage dir: die Majestät meines Gottes ist so furchtbar, daß dein armseliger Engelkönig vor seiner Größe verschwindet, vor seiner unerbittlichen Furchtbarkeit, wie das Gewölbe deiner Kirchen gegen das Gewölbe des Weltalls. Nein, wäre wirklich ein Allvater in den Wolken, und könnte er dem grausamen Gang der Geschicke nicht steuern: - ihn selber müßte der Gram ergreifen. Er müßte furchtbar leiden unter diesen Schmerzen seiner Kinder wie euer sanfter Jesus litt - das hat mich immer tief gerührt! als er auf dem Ölberg der Menschheit ganzen Jammer trug. Und weil ich dir, mein Totila, versprochen, dir noch einmal von meiner Harfen- und Liedkunst zu vernehmen zu geben: - so höre den Gesang, den ich dem Allvater Odin in den Mund gelegt.» Und er griff in die Saiten der kleinen Harfe, die neben ihm bei seinen Waffen lag, und sang dazu mit tiefernster Stimme: Allvaters Gesang «Es seufzt meine Seele in unsäglichem Jammer Um des Schmerzengeschlechts, um der Menschen Geschick. Denn was in der Welt von wechselndem Wehe Brandend sich bricht in jeglicher Brust, Mitempfinden, mitdurchkämpfen, Mitdurchklagen muß ich es alles, Alles, alles: - denn geheißen Bin ich : Bald des besiegten, bessern Mannes, Den ein Böser bezwungen, Bitter beißenden Seelenbrand, Wie er grollend in Todesgram Flucht dem grausamen Schicksal: Bald des Liebenden tödlich Leid. Der in leere Luft mit den Armen langt, Dem langsam das Leben verlodert An nie verlöschender Sehnsucht Licht: Und der Witwe Wehklage, der Weisen Weinen Und der versinkenden Seele Letzten schrillen Verzweiflungsschrei All dies Elend, öd' und endlos, Es empfindet's mit Allvater Und wie wenig wollen dawider Ach die winzigen Wonnen wiegen, Die, wie verwehte Rosenblätter, Wogen auf weiten, weiten Wellen, Auf des Wehs unendlichem Ozean. Traum, ein Trost nur tröstet die Trauer: Ein Ziel ist gezeichnet den zahllosen Zähren, Eine Endzeit. Ich segne den Tag, da der sengende Surtur Erbarmend der letzten Menschen Gebilde Zugleich mit der müden Erde zermalmt, Da endlich der Quell unerschöpflicher Qualen Verquillt: das letzte menschliche Herz. Willkommen der Tag! - und wären sie weise, Noch wärmer wünschten sie selbst ihn herbei.» «So empfand ich früher in die Seele eines gütigen Gottes hinein. Aber seither -, ich habe viel gegrübelt und gesonnen -habe ich einen andern, meinen furchtbaren Gott gefunden. Doch freilich, diesen meinen Gott muß man erlebt haben in den Todesschmerzen des zuckenden Herzens.» Dreiunddreißigstes Kapitel Julius schwieg kopfschüttelnd. Der König aber fragte: «Und wie hast du ihn erlebt, diesen furchtbaren Gott?» «Die Stunde ist gekommen, Totila, mein König und mein Freund, da du vernehmen magst, was ich so lange auch dir verschwiegen; mein Schicksalsgeheimnis, den Schatten, der über mein Leben fiel, es verfinsternd für immerdar. Nein, bleibe nur, Christ. Auch du magst es hören und dir es dann zurechtlegen mit der Unerforschlichkeit der Wege Gottes, mit der Züchtigung dessen, den er liebt, und anderer Weisheit der Mönche. Solches magst du bei dir denken. Aber sprich es nicht aus; ich ertrage nicht - heute nicht - es zu hören. - Du kennst, Totila, meiner Eltern fluchbeladenes Geschick: denn wir beide wurden ja zusammen in König Theoderichs Waffenschule zu Regium von dem alten Hildebrand erzogen.» «Ja, und wir liebten uns wie Brüder», sprach der König. «Anfangs scheu, verschlossen, niedergedrückt durch das Geschick meiner Eltern, lebte ich in deiner sonnigen Nähe allmählich wieder auf. Da überfielen, mitten im Frieden, Kriegsschiffe des Kaisers - er zürnte mit dem König wegen des Grenzstreits bei Sirmium - feindlich Regium und führten, außer andern Gefangenen, auch uns vierzig Jünglinge, auf ihre Trieren uns verteilend, fort, nur du warst ihnen entgangen, denn der König hatte dich tags zuvor als seinen Becherwart nach Ravenna in das Palatium entboten. Der alte Hildebrand und Graf Uliaris setzten, sobald sie es erfuhren, mit der sizilischen Flotte den Griechen nach, holten ihre Schiffe ein auf der Höhe von Catana, nahmen sie und befreiten alle Gefangenen. Nur ein Schiff entkam den Befreiern mit raschen Segeln: - die Triere , in welcher ich mit zwei Genossen gebunden lag. Der Trierarch Lykos, anstatt uns Kriegsgefangene nach Byzanz zu führen, zog es vor, uns als Sklaven zu verkaufen und den Kaufpreis einzustecken. Er lief ein in den Hafen der Insel Paros. Dort verschacherte er uns an seinen Gastfreund Dresos, den reichsten Kaufmann jener Eilande. So war denn Teja, des Grafen Tagila Sohn, ein freier Gote -Sklave eines Griechen. - Ich beschloß, sobald ich meiner Ketten entledigt und meiner Glieder Herr würde, mich zu töten. Aber als wir, in kleinen Booten ausgeschifft, ans Land gebracht wurden, da - o mein Freund - da... Und er hielt inne und fegte die Hand vor die Augen. «Mein Teja», sprach der König, die Hand auf des Seufzenden Schulter legend. «Da fiel mein Blick auf die reichvergoldete, offene Sänfte, die neben Dresos hielt - und auf ein Mädchen - wunderbar schön! Bald kamen wir auf des Dresos Villa, nahe bei der Stadt, an. Dresos mißhandelte alle seine Sklaven mit Schlägen und übermäßiger Arbeit, ja er mißhandelte selbst seine Mündel Myrtia, das zarte, wundersame Bild. Mich traf ein milderes Los. Als er von mir erfuhr, daß ich Waffen zu schmieden und edles Geschmeide wohl verstand, - ich hatte es vom Knaben an geübt - da behandelte er mich besser, baute nahe seiner Villa mir eine Werkstätte und machte mich zum Vorstand der hier beschäftigten Sklaven. Auch die Ketten nahm er mir - bei Tage - ab. Nur bei Nacht ward ich mit meinen zwei gotischen Mitsklaven zusammengekettet an den Amboß in der Werkstatt. Ich hätte die Flucht bei Tage wohl wagen können. Aber ach - ich floh nicht! Myrtia hielt mich gefesselt! Sie sehen - sie sprechen: denn oft kam sie in die Werkstatt, Geschmeide, Schmuck zu bestellen, bessern zu lassen, bald auch, mir bei der Arbeit zuzuschauen oder meinem Gesang und Harfenspiel zu lauschen. Und, o ihr ewigen Sterne, welche Wonne! Was anfangs nur Mitleid gewesen in des schönen Griechenkindes Brust, - ich sah es, ich konnte nicht mehr zweifeln, - sie gestand es in seligem Kuß, - das ward Liebe, volle, seltene Liebe. Ich kann sie nicht schildern: golden ihr Haar, golden ihr Auge, golden ihr Herz. - - Und auch Teja war einmal glücklich und glaubte an Glück und einen gütigen Gott über den Sternen. Da kam die Geliebte eines Abends, verstört, in Verzweiflung, zu der leisen Zwiesprache in die Werkstätte. Ihr Vormund hatte sie verlobt: verschachert an denselben Trierarchen Lykos, der uns in die Sklaverei verkauft hatte. Bitten, Tränen, kniefälliges Flehen blieben umsonst; auf ihren sechzehnten Geburtstag ward ihr die Hochzeit angesagt. Das war in wenigen Wochen. Der längst gehegte Plan zu gemeinsamer Flucht ward nun rasch gereift. Ich hatte mir schon lange eine Feile zur Lösung unserer Ketten gefertigt: nun schmiedete ich noch einen Schlüssel zur Öffnung der Werkhaustür. Meine Mitgefangenen waren eingeweiht. Auf der kleinen Insel konnten wir uns nicht verborgen halten. Wir mußten zur See entfliehen. Nahe dem Garten und der Werkstätte lag, in der Meeresbucht seitab von der Villa, ein kleines Segelschiff des Dresos, immer gerüstet für Lustfahrten, vor Anker. Dies wollten wir benutzen, darauf nach Italien zu fliehen: Mundvorrat hatten wir an unseren Tagesrationen abgespart, Waffen fehlten ja nicht. Der Geburtstag war - und die Hochzeit wurde anberaumt - an den Kalenden des Julius. In der Nacht vorher sollte ich, nachdem die Kette durchfeilt, die Tür geöffnet, die Genossen nach rechts von dem Hauptgebäude der Villa in die Bucht und auf das Schiff geeilt, mich nach den links von der Villa gelegenen Frauengemächern schleichen, in welchen Myrtia schlief: eine kleine Strickleiter reichte aus, sie von den niederen Gelassen in meine Arme zu führen. Und ich sollte dann mit ihr auf das einstweilen segelfertig gestellte Fahrzeug eilen. Alles war sorgfältig bedacht und bereitet. Vierunddreißigstes Kapitel Aber schon zwei Wochen vor dem Hochzeitstag traf Lykos, der tief Verhaßte, ein; derselbe Mann, der mich als Sklaven verkauft, und der mir nun die Geliebte rauben wollte. Mein Haß gegen ihn war grimmig. Kaum hielt ich mich zurück, ihn zu erschlagen, als er mit Dresos und andern Hochzeitsgästen an meinen Amboß trat und ich ihm meine Kunstfertigkeit zeigen mußte. Doch ich bezwang mich - um Myrtias willen. Diese aber klagte, der verhaßte Bräutigam dränge immer ungestümer zur Hochzeit: kaum könne sie noch den Vormund abhalten, schon sofort sie ihm zu übergeben. Ihre Freiheit, ihr Kommen und Gehen werde immer strenger überwacht. Da beschlossen wir, schon früher zu fliehen. Wir wählten die Nacht der Sommersonnenwende, wann, wie wir wußten, in der Villa mit großem Trinkgelage der Männer, das Lichterfest gefeiert werden sollte. Wir hofften, wann die Zecher in Wein und Schlaf versunken lägen, am sichersten zu entkommen. Sowie die Sterne in der Mitternacht standen, sollte ich Myrtia aus dem Frauengemach entführen. Am Tag der Sonnenwende kam Lykos wieder in die Werkstatt mit Dresos und kaufte einen kostbaren Goldschmuck, den ci h gefertigt. lachte er. Und er schlug mir mit dem Schaft des Speeres, den er in der Hand hielt, in das Antlitz. Ich schrie auf und griff nach dem schweren Schmiedehammer: - aber Aligern, mein mitgefangener Vetter, fiel mir warnend in den Arm. Und mit einem Fluche schritt der Trierarch hinaus. Mit welchem Hasse blickte ich dem geschweiften Helm, mit dem silbernen Wolf auf dem Kamm, und dem gelben Mantel nach! Endlich kam die Nacht, die Dunkelheit. Wir hörten bis in unsere Werkstätte herab den wüsten Lärm des Trinkgelages aus der Villa dringen. Wir sahen die Lichter des Lichterfestes oben schimmern. Offenbar lagen Dresos, Lykos und die andern Gäste in taumelndem Schwelgen. Noch war es nicht ganz Mitternacht -, aber ich hatte bereits die Genossen befreit -. Sie waren glücklich an das Schiff zur Rechten des Gartens gelangt -, der Schrei des wilden Schwans, das mit Aligern verabredete Zeichen, war dreimal erklungen -, und eben trat ich leise aus der Türe, nun nach links hin, nach dem Frauenhause, zu eilen -, da hörte ich deutlich die eiserne Gittertüre gehen, die von oben, von der Villa her, in den Garten führte. Argwöhnisch blieb ich stehen und spähte nach oben. Wirklich: da schlich durch die Taxusbüsche, vorsichtig, tastend und lautlos auf den Zehen gleitend, ein Mann in Kriegertracht. Lykos war es -: deutlich erkannte ich im Mondlicht seinen silbernen Wolf auf dem visiergeschlossenen Helm, und den gelben Mantel, in der Rechten den Speer. Lauernd, lauschend kam er näher, - sah sich um, ob ihm niemand folge, und schritt dann wieder gerade auf unsere Werkstätte zu, in deren Schatten ich versteckt stand. Kein Zweifel: er hatte Verdacht geschöpft. Er wollte mich überwachen die Nacht: der Fluchtplan war verraten. Grimmig sprang ich ihm entgegen und stieß ihm das Schwert in die Brust. Da tönte ein Aufschrei - mein Name -: das war nicht Lykos! Ich öffnete entsetzt das Helmvisier - Myrtia lag sterbend vor mir.» Er schwieg und verhüllte das Haupt im Mantel. «Armer, unseliger Freund», sprach Totila, nach seiner Rechten langend. Julius aber sprach leise, unhörbar für beide: «Mein ist die Rache, ich will dir vergelten: spricht der Herr.» Teja erhob das Haupt und fuhr fort: «Ich fiel sinnlos, bewußtlos neben ihr nieder. Als ich zu mir kam, fühlte ich den frischen Hauch der Seeluft um mich wehen. Die Genossen, Aligern voran, waren besorgt über unser langes Ausbleiben, in den Garten nach der Werkstätte zurückgekehrt: dort fanden sie uns beide. Bevor sie starb, erzählte die Geliebte kurz, wie Dresos und Lykos, beide berauscht, im Taumel des Festgelages plötzlich beschlossen, noch in dieser Nacht die Hochzeit zu vollziehen. Kurz vor Mitternacht hatte man die Widerstrebende aus dem Frauengemach geholt und in die Villa, in das wilde Zechgelage, geschleppt. Sogleich sollte die Hochzeitsfeier gehalten werden. Dresos legte ihre zitternde Hand in die des Lykos. Nur so viel Zeit sollte gelassen werden, daß dieser sich zu der auf seinem Schiff zu haltenden Feier umkleiden, Befehle dorthin entsenden konnte, das Brautgemach zu schmücken. So ließ man die Vermählte - für kurze Zeit - allein. Diese Zeit benutze sie, eilte in die Vorhalle, wo sie des Lykos Helm und Mantel hatte liegen sehen. Sie hüllte sich rasch in diese Verkleidung, schloß das Visier, barg ihr Frauengewand in dem langen, gelben Mantel und eilte an einigen der berauschten Gäste, unerkannt, vorüber, geradewegs zu mir in die Werkstätte, - denn im Frauenhause waren nun alle Sklaven und Sklavinnen wach von dort aus mit uns zu fliehen. Und ihr letztes Wort war ein Segenswunsch für mich gewesen. Sie mußten mich halten -, ich wollte mich ins Meer werfen. Ich verfiel in ein hitziges, schweres Fieber. Ich erwachte erst an Bord eines gotischen Kriegsschiffes, unter Herzog Thulun, das uns bei Kreta aufnahm. Da entdeckte Aligern plötzlich, daß uns die Triere des Lykos, die entflohenen Sklaven verfolgend, nachgesetzt war und eben um die Spitze von Kydonia bog, als wir an Bord des Kriegsschiffes waren. Sofort setzte der Grieche alle Leinwand auf, zu entkommen, als er die gotische Kriegsflagge erkannte: aber Herzog Thulun und Aligern jagten nach, holten den Griechen ein, enterten und erschlugen Lykos, Dresos und die dreißig Mann des Schiffsvolks. Ich aber war, da ich erwachte, der Teja, der ich bin. Und glaubte nicht mehr an den Gott der Gnade und Liebe: und wie ein Hohn auf Myrtia klingt jedes Wort, das davon faselt. Was hatte sie, was hatte ich verschuldet? Weshalb ließ Gott, wenn er lebt, dies Grauenhafte zu?» Fünfunddreißigstes Kapitel «Und weil diese eine Rose geknickt, leugnest du den Sommer und den Sonnenschein?» fragte Totila, «und glaubst, ein blindes Ungefähr beherrscht die Welt?» «Das glaub' ich nicht. Ewige Notwendigkeit seh' ich im Gang der Sterne da oben; und das gleiche, ewige Gesetz lenkt unsre Erde und die Geschicke des Menschen.» «Aber dies Gesetz ist ohne Sinn?» fragte Julius. «Nicht ohne Sinn, nur hat es nicht den Sinn und Zweck unsres Glückes. Sich selbst zu erfüllen ist sein einziger, hoher, geheimnisvoller Zweck. Und wehe den Toren, die da wähnen, ihre Tränen werden gezählt jenseits der Wolken. Oder auch vielleicht wohl ihnen - : ihr Wahn beglückt sie!» «Und dein Denken», sprach Julius, «beglückt nicht. Ich sehe nicht ein, wofür, wozu du lebst, bei solcher Anschauung.» «Das will ich dir sagen, Christ. Das Rechte tun, was Pflicht und Ehre heischen, ohne dabei auf tausendfache Verzinsung jeder Edeltat im Jenseits hinüber zu schielen: Volk und Vaterland, die Freunde männlich lieben und solche Liebe mit dem Blut besiegeln. Das Schlechte in den Staub treten, wo du es findest: - denn daß es schlecht sein muß, macht es nicht minder häßlich. Du tilgst auch Natter und Nessel, obwohl sie nicht dafür können, daß sie nicht Nachtigall und Rose - und dabei allem Glück entsagen, nur jenen tiefen Frieden suchen, der da unendlich ernst und hoch ist wie der prächtige Himmel, und wie leuchtende Sterne gehen darin auf und nieder traurige, stolze Gedanken -, und dem Pulsschlag des Weltgesetzes lauschen, der in der eignen Brust wie in dem Sterngetriebe geht, - auch das, Christ, ist ein Leben - des Lebens wert.» «Aber schwer», seufzte Totila, «unendlich schwer; zu schwer für Menschenkraft. Nein, Teja, und kann ich nicht mit meinem frommen Freund in allen Stücken des Glaubens teilen, der die Zeit beherrscht, das ist doch ewig wahr, weil es meine Seele nicht entbehren kann; es lebt ein güt'ger Gott, der das Gute beschirmt und das Böse bestraft. In dieses gerechten Gottes Hand befehl' ich auch mich und unsres Volkes gerechte Sache. Und in diesem Glauben seh' ch morgen unsrem Sieg getrost entgegen. Das Recht ist mit mir -, das Recht kann nicht erliegen.» «Das Recht erliegt oft vor dem Unrecht: Witichis vor Cethegus!» «Ja, auf Erden», fiel Julius ein: «denn nicht hier ist unsre Heimat. Es gibt ein Jenseits, in welchem alles sich gerecht erfüllt.» «Das müßte sein, und klug ist die Vertröstung», sprach Teja, sich erhebend, einen bittern Zug um den schön und edel geschnittenen Mund. «Nur kann man das nicht denken - nur träumen. Und ich für mein Teil, ich habe genug. Ich wünsche nicht zu erwachen zu neuem Leben, wann mir dereinst der Speer im Herzen steckt.» Da trat Graf Thorismut, von seinem Ritt zurückgekehrt, ins Gemach und sprach: «Getrost, Herr König, ich habe selbst noch einmal nachgesehen. Die Reiter des Korsen stehen auf dem rechten Fleck bereit. Schon sind auch die ersten seiner nachrückenden Hunderte eingetroffen. Aber dreihundert der Tapfersten erwartet er noch; du mögest morgen den Angriff der Langobarden hinhalten, bis er ihr Eintreffen dir melden lasse: .» «Wohlan», rief heiter lächelnd Totila, den Goldpokal erhebend, «das will ich wohl durch Reiterkunst erreichen; und nun den letzten Becher! Suchen wir das Lager. Willst du, Teja? Die Schlacht von Taginä morgen entscheide unsern Streit. Ein wahres Gottesurteil! Ein Urteil Gottes selber, ob er lebt! Ich sage: es lebt ein Gott - drum siegt die gute Sache.» «Haltet ein», rief Julius bewegt, «ihr sollt nicht Gott versuchen!» «Siehst du», sagte Teja aufstehend und den Schild auf den Rücken werfend - «ihm bangt für seinen Gott.» Sechsunddreißigstes Kapitel Leuchtend stieg am andern Morgen die Sonne am Himmel empor, und ihre ersten Strahlen fanden das Lager der Goten schon in kriegerischer Bewegung. Als der König aus seinem Hause auf den Marktplatz von Taginä trat, eilten ihm Herzog Adalgoth, Graf Thorismut und Phaza, der Arsakide, der treu ergebene Gefangene von Neapolis, entgegen: «Heil, Herr, und Sieg. Hier sendet dir deine Braut dein milchweißes Schlachtroß und deine Waffen, reich geschmückt zum Siege.» Und der König setzte auf das lang wallende Goldhaar den blitzenden, offenen, visierlosen Helm mit dem hoch ragenden Silberschwan, um dessen Hals und gewölbte Flügel Valeria ein Geflecht von roten Rosen gewunden. Und er streichelte Hveitfulas glänzenden Bug, dem Valeria Mähne und Schweif mit hochroten Bändern und goldenen Borten durchflochten hatte. Klirrend schwang er sich in den Sattel. Ein Mariskalk führte noch zwei Ersatzpferde für den König: darunter Pluto, des Präfekten unwillig schnaubenden Rappen. Von seinen Schultern floß der weit wehende weiße Mantel, von einer breiten, schweren, mit Edelsteinen besetzten Riegelspange unter der Kehle zusammengehalten. Sein Panzer war von glänzendem Silber, reich mit Gold eingelegt, den fliegenden Schwan darstellend; die Enden des Harnisches, an den Armen, dem Halse und um den Gürtel, waren mit Purpurseide eingefaßt. Die Arme und Beine zeigten den Wappenrock von silberweißer Seide, der auch die Hüften bedeckte. Breite, goldne Ringe und Kampfhandschuhe schützten die Arme, Beinschienen die Knie und die Vorderseite der Füße. Der schmale, zierlich geschweifte, längliche Schild zeigte in drei Feldern Silber, Gold, Purpur und den fliegenden Schwan von weißer Lasur in dem Goldfeld. Purpurfarben und mit Silber besetzt waren Behäng und Riemenzeug des Rosses. In der Rechten schwang er den Speer, an dessen Spitze Valeria vier langflatternde Wimpel von purpurnen und weißen Bändern angebracht hatte, - fröhlich flatterten sie im Morgenwind. So geschmückt und schimmerstrahlend ritt der König durch die Straßen von Taginä an der Spitze seiner Reiter: Graf Thorismut, Phaza, der Armenier, und Herzog Adalgoth, auch Julius beritten in seinem Gefolge; dieser ohne Trutzwaffen, aber mit dem Schilde von Tejas Waffengeschenk. Niemals hatte er so herrlich in Schönheit geleuchtet. Und alles Volk begrüßte ihn auf seinem Ritt mit jubelndem Zuruf. An dem Nordtor von Taginä ritt ihm Aligern entgegen. «Du solltest ja auf dem rechten Flügel fechten», fragte der König. «Was führt dich zu mir?» «Mein Vetter Teja hat befohlen», sprach Aligern, «ich sollte in deiner Nähe bleiben und dein Leben hüten.» «Der unermüdlich Treubesorgte!» rief der König. Aligern schloß sich an sein Gefolge. Graf Thorismut übernahm nun in dem Städtlein den Befehl über das in den Häusern verborgene Fußvolk. Vor dem Nordtor von Taginä ritt der König die Stirn seiner nicht starken Reiterschar ab und enthüllte jetzt den Reiterführern seinen Plan. «Ich mute euch das Schwerste zu, Waffenbrüder: Flucht. Aber die Flucht ist nur Schein, die Wahrheit ist euer Mut: - und der Feinde Verderben.» Und nun ritt das kleine Geschwader auf der flaminischen Straße über die Stelle des Hinterhalts zwischen den beiden Hügeln vorbei. Der König überzeugte sich, daß des Korsen Perserreiter wachsam in beiden Hügelwäldern lauerten; zur Rechten von Furius selbst, zur Linken von ihrem Häuptling Isdigerd geführt. In Caprä durchs Südtor eingeritten, schärfte Totila dem hier verteilten Fußvolk der Bogenschützen unter Graf Wisand, dem Bandalarius, nochmal ein, erst wann die persischen Reiter ihren Angriff auf die Langobarden gemacht, aus den Häusern, wo sie bis dahin verborgen lagen, wie aus dem Südtor vorzubrechen und Alboin im Rücken zu fassen, indes aus Taginäs Nordtor das speertragende Fußvolk entgegenstürme. «So werden die Langobarden und was etwa von des Narses Fußvolk nachdringt, zwischen Caprä und Taginä von allen vier Seiten zugleich umfaßt und erdrückt, von mir und Thorismut von vorn, von Furius und Isdigerd aus den Flanken, von Wisand im Rücken. Sie sind verloren.» «Sieht er nicht aus wie der Sonnengott?» fragte Adalgoth entzückt den Mönch. «Still! keinen Götzendienst mit Sonne oder Menschen. Und heut' ist Sonnenwende!» antwortete dieser. Nun erreichte der König das Nordtor von Caprä, ließ es öffnen und sprengte mit seiner dünnen Schar auf das weite Blachfeld vor Caprä gegenüber Helvillum. Hier hielt das Mitteltreffen des Narses gerade gegenüber. In erster Reihe Alboin mit seinen langobardischen Reitern: hinter diesen, in weitem Zwischenraum, Narses in seiner Sänfte, umgeben von Cethegus, Liberius, Anzalas und andern Führern. Narses hatte eine böse Nacht, mit leichten Krampfanfällen, hinter sich: er war schwach und konnte sich nicht lange stehend erhalten in seiner zu Boden gestellten, offenen Sänfte. Er hatte Alboin noch einmal eingeschärft, nicht anzugreifen ohne ausdrücklichen Befehl. König Totila gab nun seinen Reitern das Zeichen: und im Trabe ging die schmale Reihe gegen die gewaltige Übermacht der Langobarden vor. «Sie werden uns doch nicht den Schimpf antun, mit den paar Lanzen uns anzugreifen!» rief Alboin. Angriff schien zunächst nicht des Königs Zweck. Er war den Seinen, die plötzlich halt gemacht, weit vorangeritten und zog nun aller Augen durch seine Reiter- und Fechterkunst auf sich. Den Byzantinern war das Schauspiel, das er gewährte, so wundersam, daß die Augenzeugen es mit Staunen Prokop berichteten, der, selber staunend, uns davon erzählt. «An diesem Tage», schreibt er, «wollte König Totila seinen Feinden zeigen, welch ein Mann er sei. Seine Waffen, sein Roß schimmerten von Gold. Von der Spitze seines Speers flatterten der schimmernden Purpurwimpel so viele, daß schon dieser Schmuck von fern den König verkündete. So pflog er, auf herrlichem Roß, in der Mitte zwischen beiden Schlachtreihen, kunstvollen Waffenspiels. Er ritt bald Kreise, bald zierliche Halbkreise zur Rechten und Linken, warf im Galopp den bänderreichen Speer hoch über sein Haupt in die Luft und fing ihn, ehe der zitternde niederfiel, geschickt in der Mitte des Schaftes, bald mit der Rechten, bald mit der Linken: und er zeigte so vor den staunenden Heeren seine Reit- und Waffenkunst.» Nach der Schlacht erfuhren übrigens auch die Byzantiner, daß die Absicht, Zeit zu gewinnen, bis eine erwartete Schar Reiter einträfe, der ernste Grund des heitern Spiels gewesen. Eine Weile sah sich Alboin dies mit an. Dann rief er dem neben ihm haltenden Langobardenführer zu: «Der reitet in die Schlacht, wie zur Hochzeit geschmückt. Welch kostbares Rüstzeug! Das sieht man nicht bei uns daheim, o Vetter Gisulf! Und noch immer nicht angreifen dürfen! Schläft denn Narses wieder?» Siebenunddreißigstes Kapitel Endlich sprengte ein persischer Reiter, durch die Reihe der Goten sich Bahn brechend, an den König heran: er brachte eine Meldung und jagte spornstreichs zurück. «Nun endlich!» sprach Totila, «jetzt ist's genug des Spiels! -Tapfrer Alboin, Audoins Sohn», rief er laut hinüber, «so willst du wirklich für die Griechen fechten, gegen uns? Wohlan, so komm, Königssohn -: dich ruft ein König!» Da hielt sich Alboin nicht länger: «Mein muß er werden mit Panzer und Roß», schrie er und sprengte mit eingelegter Lanze wütend heran. Totila brachte, mit leisestem Schenkeldruck, sein tänzelndes Pferd plötzlich zum Stehen: er schien den Stoß erwarten zu wollen. Schon war Alboin heran. Da: - abermals ein leiser Schenkeldruck und ein feiner Seitensprung des Pferdes: - und an Totila vorbei sauste der Langobarde. Im Augenblick aber war Totila in seinem Rücken - und ohne Mühe hätte er ihn mit dem gezückten Schwert von hinten durchbohrt. Laut auf schrien die Langobarden und eilten ihrem Königssohn zu Hilfe. Aber Totila schwenkte die Lanze in seiner Hand herum und begnügte sich, mit dem stumpfen Schaftende dem Gegner einen solchen Stoß in die linke Seite zu geben, daß er auf der rechten Seite aus dem Sattel zur Erde flog. Ruhig ritt darauf Totila zu seiner Reihe zurück, den Speer über dem Haupte schwenkend. Alboin war wieder zu Pferd gestiegen und führte nun den Angriff seiner Geschwader auf die schwache gotische Reihe. Aber bevor der Anprall erfolgte, rief der König: «Flieht! Flieht in die Stadt!» warf sein Roß herum und jagte davon, auf Caprä zu. Eilfertig folgten ihm seine Reiter. Einen Augenblick stutzte Alboin verblüfft. Aber gleich darauf rief er: «Es ist nicht anders. Es ist eitel Flucht! Da rennen sie schon in das Tor. Ja, Reiterkunststücke und Kampf sind zweierlei. Nach, meine Wölflein! Hinein in die Stadt.» Und sie sprengten auf Caprä los, rissen das von den Fliehe nden nur zugeworfene, nicht verriegelte Nordtor auf und jagten durch die lange Hauptstraße auf das Südtor zu, durch welches eben die letzten Goten verschwanden. Narses hatte sich in seiner Sänfte mühsam aufrecht erhalten bis jetzt und alles mit angesehen. «Halt», rief er nun heftig. «Halt! Blast die Tuba! Blast zum Halten! Zum Rückzug! Es ist die plumpste Falle der Welt! Aber dieser Alboin meint, es muß Ernst sein, wenn einer vor ihm läuft.» Aber die Trompeter hatten gut blasen. Das Siegesgeschrei der verfolgenden Langobarden übertönte das Signal: oder die es hörten, verachteten es. Stöhnend sah Narses die letzten Reihen der Langobarden in dem Tore von Caprä verschwinden. «Ach», seufzte er, «so muß ich sehenden Auges eine Torheit begehen. Ich kann sie nicht untergehen lassen für ihre Dummheit, wie sie es verdienten. Ich brauche sie noch. Also vorwärts, im Namen des Unsinns! Bis wir sie einholen, können sie schon halb zerhauen sein. Vorwärts, Cethegus, Anzalas und Liberius, mit den Isauriern, Armeniern und Illyriern. Hinein nach Caprä. Aber bedenkt, die Stadt kann nicht leer sein! Es ist eine Falle, in die wir jenen Stieren nachspringen, mit sehenden Augen. Meine Sänfte folgt euch. Aber ich kann nicht mehr stehen.» Und er lehnte sich müde zurück: ein leiser Schauer, wie er ihn oft in der Aufregung ergriff, schüttelte ihn. Im Sturmschritt eilte des Cethegus und Liberius Fußvolk gegen die Stadt: beide Führer ritten voraus. Inzwischen hatten Fliehende und Verfolger das schmale Städtlein durchflogen, auch die letzten Langobarden Caprä durcheilt und die ersten derselben mit Alboin die Stelle der flaminischen Straße halbwegs vor Taginä erreicht, wo die beiden Waldhügel links und rechts die Straße einengten. Noch eine Pferdelänge floh der König : dann hielt er, wandte sich und winkte. Adalgoth an seiner Seite stieß ins Horn -: da brach aus dem Nordtor von Taginä Thorismut mit den Speerträgern: und aus dem Doppelhinterhalt stürzten von links und rechts, mit gellendem Zinkengeschmetter, die persischen Reiter des Korsen. «Jetzt kehrt, meine Goten, vorwärts zum Angriff! Jetzt wehe den Getäuschten.» Ratlos blickte Alboin nach allen drei Seiten. «So übel sind wir noch nirgends reingetrabt, meine Wölflein!» sagte er. Er wollte zurück. Aber aus dem Südtor von Caprä, den Rückweg sperrend, brach nun gotisches Fußvolk. «Jetzt heißt's nur noch lustig sterben, Gisulf. Grüße mir Rosimunda, wenn du davonkommen solltest.» Und so wandte er sich gegen einen der Reiterführer mit reichem, offnem Goldhelm, der nun die Straße erreicht hatte und gerade auf ihn einsprengte. Schon waren sie ganz nahe aneinander: da rief der mit dem Goldhelm: «Wende, Langobarde! Dort stehen unsre gemeinsamen Feinde. Nieder mit den Goten.» Und schon durchrannte er einen gotischen Reiter, der Alboin bedrohte. Und schon hieben auf beiden Seiten die persischen Reiter, an den Langobarden vorüberjagend, auf die entsetzten Goten ein. Einen Augenblick noch hielten diese, überrascht, inne. Aber als sie sahen, daß es kein Mißverständnis war - daß der Hinterhalt ihnen, nicht den Langobarden galt -, da riefen sie: «Verrat! Verloren!» und stoben, diesmal in unverstellter Flucht, zurück gegen Taginä, alles mit sich fortreißend, ihr eigenes, eben aus dem Tore rückendes Fußvolk niederreitend. Auch aus des Königs Antlitz wich die Farbe, als er den Korsen an der Seite Alboins auf die Goten einhauen sah. «Ja, das ist Verrat!» rief er. «Ah, der Tiger! Nieder mit ihm!» Und er sprengte auf den Korsen los. Aber bevor er ihn erreichen konnte, war von der linken Seite her Isdigerd, der Perser, mit seiner Schar, zwischen dem König und dem Korsen, auf die Straße gestürmt. «Auf den König!» rief er den Seinigen zu. «Alle Wurfspeere auf den König! Der dort, der Weiße! mit dem Schwanenhelm! Alle auf den.» Ein Hagel von Wurfspeeren sauste durch die Luft. Im Nu starrte des Königs Schild von Geschossen. Da erkannte auch der Korse von weitem die hohe, die leuchtende Gestalt. «Er ist's! Mein muß sein Herzblut werden.» Und er bahnte sich einen Weg durch seine und Isdigerds Reiter. Nur einige Pferdelängen trennten noch die ergrimmten Feinde. Vorher traf noch Totila auf Isdigerd. Augenblicks flog dieser, vom König durch Hals und Genick gestoßen, tot vom Pferd. Alsbald mußten nun Totila und Furius sich begegnen. Schon hob der Korse zielend den Wurfspeer: er zielte auf das offene, ungedeckte Antlitz des Königs. Aber plötzlich war der leuchtende Schwanhelm verschwunden und der helle Mantel. Zwei Wurfspeere hatten des Königs weißes Roß niedergestreckt und gleichzeitig ein dritter seinen Schild durchbohrt und seinen Schildarm schwer getroffen. Roß und Reiter stürzten. Wild jauchzten die Perser Isdigerds und drangen ein: auch Furius und Alboin spornten ihre Rosse vor. «Schont des Königs Leben! Nehmt ihn gefangen! Er hat auch mich verschont!» rief Alboin. Denn tief gerührt hatte ihn, was ihm Gisulf erzählt, der Totila deutlich die Lanzenspitze mit dem Schaftende vertauschen gesehn. «Nein! Nieder mit dem König!» rief Furius. Und schon war er heran und warf den Speer auf den Verwundeten, den eben Aligern auf des Präfekten Rappe hob und aus dem Gefecht führen wollte. Jenen ersten Wurfspeer des Korsen fing Julius mit dem trefflichen Schilde Tejas auf. Furius ließ sich einen zweiten Wurfspeer reichen und zielte auf das Gedränge um den König: Phaza, der Arsakide, wollte den Speer mit dem Schilde fangen, aber durch Schild und Panzer flog er, der wutbeflügelte, ihm ins Herz. Da schwang Furius, der sein Roß nun ganz nahe herangespornt hatte, den langen, krummen Säbel gegen den König. Jedoch ehe der Streich fiel, flog der Korse rücklings aus dem Sattel. Der junge Herzog von Apulien hatte ihm den Fahnenspeer mit aller Kraft gegen die Brust gerammt, daß der Schaft brach. Allein nun geriet Totilas Banner - das kunstvolle und kostbare Werk Valerias und ihrer frommen Schar - in äußerste Gefahr in Adalgoths Hand. Denn alle Reiter drängten jetzt auf den kühnen, jungen Fahnenträger ein: - der Beilhieb des Langobarden Gisulf traf den Schaft, der nochmal splitterte. Rasch entschlossen riß Adalgoth das Seidentuch von der gebrochenen Fahnenstange und barg es fest im Schwertgurt. Nun war Alboin heran und rief dem König zu: «Gib dich gefangen, Gotenkönig: mir, dem Königssohn.» Da war Aligern mit seiner Arbeit, den König auf des Präfekten Rappen zu heben, fertig: er wandte sich gegen den Langobarden. Dieser wollte des Königs Flucht hemmen und doch den König nicht töten; er führte, sich tief vorbeugend, einen Speerstoß gegen den Rappen, der dessen Hinterbug traf. Aber im gleichen Moment schlug ihn Aligern durch den geiergeflügelten Helm: betäubt wankte er im Sattel. So gewannen, nachdem die Führer der Verfolgung für den Augenblick gelähmt, Adalgoth, Aligern und Julius Zeit, den König aus dem Getümmel zu führen bis an das Nordtor von Taginä. Hier hatte Graf Thorismut seine Speerträger wieder geordnet. Der König wollte daselbst den Kampf leiten, aber er vermochte kaum, sich im Sattel zu halten. «Thorismut», befahl er, «du hältst Taginä; Caprä wird einstweilen verloren sein. Ein Eilbote holt Hildebrands ganzen Flügel zurück hierher: es muß die Straße nach Rom um jeden Preis gehalten werden. Teja ist, wie ich erfahren, schon mit seinem Flügel im Gefecht -: Deckung des Abzugs nach Süden -: das ist die letzte Hoffnung.» Und das Bewußtsein verging ihm. Graf Thorismut aber sprach: «Ich halte Taginä mit meinen Speerträgern bis auf den letzten Mann. Reiter kommen mir nicht herein: die Perser nicht und die Langobarden nicht: ich decke dem König Leben und Rücken, solang ich eine Hand heben mag. Schafft ihn weiter zurück -: auf die Berge dort, ins Kloster - aber rasch! -: Denn schon naht dort, aus dem Südtor von Caprä, die Entscheidung -: des Narses Fußvolk, und seht dort -: Cethegus der Präfekt mit den Isauriern. Caprä und unsere Schützen sind verloren.» Und so war es. Wisand hatte, dem Befehle gemäß, Caprä nicht verteidigt, sondern Cethegus und Liberius eindringen lassen: erst als sie darin waren, begann der Straßenkampf und bedrohte zugleich die Langobarden-Reiter auf der Straße, indem er eine Tausendschaft gegen sie aus dem Südtore schickte. Aber da der Angriff der Perser auf dem Hinterhalt die Goten traf, nicht die Langobarden, da jene, Alboin und Furius vereint, die wenigen Gotenreiter vernichteten oder zerstreuten und der Angriff der Speerträger von Taginä her ausblieb, wurden die gotischen Schützen zuerst in Caprä selbst, dann auf der flaminischen Straße zwischen Caprä und Taginä von der furchtbaren Übermacht rasch erdrückt. Verwundet entkam, wie durch ein Wunder, Wisand nach Taginä und meldete dort die Vernichtung der Seinen. Des Narses Sänfte wurde nach Caprä eingetragen: und der Sturm der Illyrier auf Taginä begann. Graf Thorismut widerstand heldenhaft: er focht, den Goten den letzten Ausweg zu decken. Bald wurde er durch Tausendschaften von Hildebrands in Eile herangezogenem Flügel verstärkt, während den größten Teil seiner Truppen der alte Waffenmeister südlich hinter Taginä herum auf die Straße nach Rom führte. Eben als der Sturm auf Taginä beginnen sollte, traf Cethegus auf Furius und Alboin, die sich von ihren Stößen erholt hatten. Cethegus hatte das allentscheidende Eingreifen des Korsen erfahren. Er schüttelte ihm die Hand. «Siehe da, Freund Furius: endlich doch auf der rechten Seite -gegen den Barbarenkönig.» «Er darf nicht lebend entkommen», knirschte der Korse. «Was? Wie? Er lebt noch? Ich denke - er fiel?» forschte Cethegus hastig. «Nein, sie haben ihn noch herausgehauen, den Wunden.» «Er darf nicht leben», rief Cethegus, «du hast recht! Das ist wichtiger, als Taginä erobern. Diese Heldentat kann Narses von der Sänfte aus vollbringen. Sie sind siebzig gegen sieben. Auf, Furius: wozu stehen deine Reiter hier müßig?» «Die Gäule können nicht die Mauern hinaufreiten.» «Nein, aber schwimmen können sie. Auf, nimm du dreihundert, gib mir dreihundert. Zwei Wege führen links und rechts vom Städtlein über - nein! die Brücken haben sie abgebrochen - also: durch den Clasius und durch die Sibola - laß ihn uns verfolgen. - Gewiß ist der wunde König... - kann er noch kämpfen?» «Schwerlich.» «Dann ist er über Taginä geflüchtet worden - nach Rom oder - » «Nein, zu seiner Braut!» rief Furius: «Gewiß zu Valeria ins Kloster. Ha, in ihren Armen will ich ihn erdolchen! Auf, ihr Perser, folgt mir. Dank, Präfekt! Nimm Reiter, soviel du willst. Und reite du rechts. Ich reite links um die Stadt: denn zwei Wege führen nach dem Kloster.» Und schon war er, links abschwenkend, verschwunden. Cethegus redete den Rest der Reiter persisch an und befahl ihnen, ihm zu folgen. Dann ritt er zu Liberius heran und sprach: «Ich fange den Gotenkönig.» - «Wie? Er lebt noch? Dann eile.» «Nimm du einstweilen dies Taginä», fuhr Cethegus fort: «ich lasse dir meine Isaurier.» Und er sprengte mit Syphax und dreihundert Persern, rechts umschwenkend, davon. Einstweilen hatten den wunden König die Freunde durch Taginä hinaus in ein kleines Piniengehölz an der Straße gebracht, wo er aus einer Quelle trank und sich etwas erholte. «Julius», mahnte er, «reite hinauf zu Valeria. Sag' ihr, diese Schlacht sei verloren: aber nicht das Reich, nicht ich, nicht die Hoffnung. Ich reite, sowie ich mich gekräftigt, hinauf nach der Spes bonorum: in jene feste hohe Stellung habe ich Teja und Hildebrand beschieden nach Lösung ihrer Aufgaben. Geh, ich bitte, tröste die Geliebte und bringe sie selbst aus dem Kloster dorthin. Du willst nicht? Dann reit' ich selbst den steilen Weg ins Kloster: nimm mir das doch ab.» Nicht gern schied Julius von dem Wunden. «O hebe mir Helm und Mantel ab: sie sind so schwer», bat dieser, Julius löste ihm beide. Achtunddreißigstes Kapitel Da durchzuckte den Mönch ein Gedanke: hatten sie nicht schon einmal die Gewande getauscht, die Dioskuren? Und hatte er nicht schon einmal den Mordstahl dadurch von Totila auf sich gezogen? Und nun kam ihm blitzschnell: - wenn sie verfolgt wurden? - denn ihm war, als höre er Rosse eilend nahen, und Aligern - Adalgoth hielt des Königs Haupt in seinem Schoß -war an den Waldeingang geeilt, zu spähen. «Ja: sie sind's», rief dieser jetzt zurück: «persische Reiter nahen von zwei Seiten dem Wald.» «Dann eile, Julius», bat Totila, «rette Valeria auf das feste Grab zu Teja.» «Ja, ich eile, mein Freund! Auf Wiedersehn!» Und er drückte ihm nochmal die Hand. Dann bestieg er den Rappen Pluto: - er wählte das verwundete Roß, dem Freund das eigne, noch unversehrte überlassend. Rasch setzte er, ungesehen von Totila, den Schwanenhelm aufs Haupt, warf den weißen, blutbespritzten Mantel um und sprengte aus dem Walde gegen die Klosterhöhe. «Dieser Weg», sagte er sich, «ist ganz offen und ungedeckt, dagegen der des Königs nach dem Grab geht durch Wald und Weinberge. Vielleicht gelingt es, die Verfolgung auf mich und von ihm abzuziehen.» Und in der Tat, kaum war er aus dem Gehölz ins Freie gelangt und begann, bergan zu reiten, als er sah, wie die Reiter, die um Taginä herumgeschwenkt waren, ihm eifrig folgten. Um so lang als möglich die Verfolger von dem König abzulenken, so spät als möglich erst die Erkennung des Irrtums herbeizuführen, trieb er sein Roß zu höchster Eile. Aber der Rappe war wund: und es ging sehr steil einen steinigen Hang hinan. Näher und näher brausten die Verfolger. «Ist er's?» - «Ja, er ist's.» - «Nein, er ist's nicht. Er ist zu klein», sagte der Führer, der als der vorderste ritt. «Und sollte er ganz allein fliehen?» - «Das wäre freilich das klügste, was er tun könnte, zu entkommen», meinte der Führer. «Freilich ist er's, der Schwanenhelm» - «Der weiße Mantel!» - «Aber er ritt ein weißes Roß?» fragte der Führer. - «Ja, zuerst», antwortete einer der Reiter. «Aber als das fiel von meinem Speer - da hoben sie ihn - ich stand ja dabei - auf diesen Rappen.» «Gut», rief der Führer, «genug, dann hast du freilich recht. Und ich kenne den Rappen.» «Ein edles Tier! Wie es aushält, bergan, obwohl es blutet.» «Ja, er ist edel! Und er soll stehen, der Rappe, gebt acht: Halt, Pluto! auf die Knie.» Und zitternd, schnaubend hielt das kluge, treue Roß, trotz Sporn und Schlag, und senkte langsam die Vorderfüße in den Sand. «Verderben bringt's, Barbar, des Präfekten Roß zu reiten! Da! Nimm das für's Forum! und das für's Kapitol! und das für Julius!» Und wütend schleuderte der Führer drei Wurfspeere nacheinander, den eigenen und zwei von Syphax, die er diesem entriß, in den Rücken, daß sie vorn herausdrangen, sprang vom Roß, zog das Schwert heraus und riß des zur Erde Gestürzten Haupt an dem Helm empor. «Julius!» schrie er entsetzt. «Du, o Cethegus?» «Julius! Du darfst nicht sterben.» Und leidenschaftlich suchte er das Blut zu hemmen, das dem aus drei Wunden floß. «Wenn du mich liebst», sprach der Sterbende - «rette ihn: -rette Totila!» Und die sanften Augen schlossen sich für immer. Cethegus tastete nach dem Herzen: er legte ihm das Ohr auf die entblößte Brust. «Es ist aus», sagte er dann tonlos. «O Manilia! Julius - dich hab' ich geliebt. Und er starb, seinen Namen auf den Lippen! Es ist vorbei», sprach er dann grimmig. «Das letzte Band, das mich an Menschenliebe fesselte, - ich mußt' es selbst zerhaun, durch höhnisch äffenden Zufall. Es war die letzte Schwäche. Jetzt, Menschheit, bist du mir tot. Hebet ihn auf das edle Pferd: das, mein Pluto, sei dein letzter Dienst im Leben: und bringt ihn... -dort oben ragt eine Kapelle: dorthin bringt ihn: und laßt ihn durch Priester feierlich bestatten. Sagt da oben nur: er hat als Mönch geendet - er starb für seinen Freund. Er verdient ein christlich Begräbnis. Ich aber», schloß er furchtbar, «ich gehe, nochmal seinen Freund zu suchen: ich will sie rasch vereinigen -auf ewig.» Und er stieg wieder zu Pferd. «Wohin?» fragte Syphax, «zurück nach Taginä?» «Nein! Dort hinab in jenen Wald. Da wird er geborgen sein. Denn daher kam Julius.» * Während dieser Vorfälle hatte sich der König erholt und erkräftigt und ritt auf dem Pferde des Julius mit Adalgoth, Aligern und einigen Reitern geradeaus durch den Wald, an dessen östlichem Saum der Weg zu dem Kapellenhügel emporstieg: schon sahen sie die weißen Mauern deutlich schimmern, als sie aus dem Waldweg bogen. Aber da erscholl vom Süden, von ihrer rechten Seite her, gellendes Geschrei: und über das offene Blachfeld sprengte, von dem Calsius her, eine starke Schar von Reiten gegen sie an. Der König erkannte den Führer. Und ehe seine Begleiter ihm zuvorkommen konnten, spornte er sein Roß, fällte den Speer und schoß dem Feind entgegen. Wie zwei Blitze, aus sich entgegengrollenden Gewittern, trafen die beiden Reiter zusammen. «Übermütiger Barbar!» «Elender Verräter!» Und beide sanken vom Roß. Mit solcher Wucht waren sie aufeinandergeprallt, daß keiner der Deckung, jeder nur des Stoßes gedacht hatte. Furius Ahalla war tot vom Roß gestürzt, denn der König hatte ihm den Speer mit solcher Kraft durch den Goldschild und den Panzer in das Herz gestoßen, daß der Schaft in der Wunde brach. Aber auch der König sank sterbend in Adalgoths Arme: der Lanzenstoß hatte ihn gerade unter der Kehlgrube in Hals und Brust getroffen. Adalgoth riß Valerias blaues Bannertuch hervor aus dem Gürtel und suchte das strömende Blut zu hemmen -, umsonst -: das helle Blau war sofort tief gesättigt vom Rot. «Gotia!» hauchte er noch, «Italia - Valeria!» In diesem Augenblick, ehe das ungleiche Gefecht beginnen konnte, erreichte Alboin mit seinen Langobarden-Reitern die Stelle: er war dem Korsen gefolgt, ungewillt, müßig zu bleiben, während des Mauerkampfes um Taginä. Schweigend, ernst, gerührt sah der Langobardenfürst auf die Leiche des Königs. «Er hat mir das Leben geschenkt - ich konnte seins nicht retten», sprach er ernst. Einer seiner Reiter wies auf die reiche Rüstung des Toten. «Nein», sprach Alboin: «dieser königliche Held muß bestattet werden in allen Ehren königlicher Waffen.» «Dort oben, auf der Felshöhe, Alboin», sprach Adalgoth traurig, «harret seiner längst die Braut und - selbstgewählt, das Grab.» «Bringt ihn hinauf: ich gebe frei Geleit der edeln Leiche und den edeln Trägern. Ihr Reiter, folgt mir zurück in die Schlacht.» Neununddreißigstes Kapitel Aber die Schlacht war aus: wie Alboin und auch der Präfekt zu ihrem größten Staunen und Verdruß erfuhren, als sie wieder bei Taginä eintrafen. Den Präfekten hatte, als er eben in den Pinienwald von Norden her eingebogen war und hier des Königs Spur verfolgen wollte, ein Eilbote des Liberius erreicht, der ihm gebot, augenblicklich zurückzukehren: Narses sei bewußtlos: und höchste Gefahr verlange augenblicklich Entscheidung. Narses bewußtlos, - Liberius ratlos, - der schon sicher geglaubte Sieg gefährdet: - das wog doch schwerer als die zweifelhafte Aussicht, dem halbtoten König den Todesstoß zu geben. Eilig sprengte Cethegus zurück des Weges, den er gekommen, nach Taginä. Hier rief ihm Liberius entgegen: «Zu spät: ich habe alles schon abgeschlossen und bewilligt. Waffenstillstand. Der Rest der Goten zieht ab.» «Was?» donnerte Cethegus, - er hätte gern alles gotische Blut als Grabopfer auf seines Lieblings Grab geschüttet «Abzug? Waffenstillstand? Wo ist Narses?» «Bewußtlos liegt er in seiner Sänfte: in argen Krämpfen. Der Schreck, die Überraschung - es warf ihn nieder - und kein Wunder!» «Welche Überraschung? Rede, Mensch!» Und kurz erzählte Liberius, daß sie unter furchtbarem Blutvergießen, «denn diese Speer-Goten standen wie die Mauern» - in Taginä eingedrungen waren und im Straßenkampf Haus für Haus, ja Gemach für Gemach, erstürmen mußten -«Zoll für Zoll mußte man zerhacken einen Führer, der, den einstürmenden Anzalas durchrennend, in die Mauerbresche gesprungen war, bis man, über ihn hinweg, in die Stadt drang.» «Wie hieß er?» forschte Cethegus eifrig, «hoffentlich Graf Teja?» «Nein, Graf Thorismut. - Als wir halbwegs fertig waren mit der Blutarbeit und Narses sich in die Stadt tragen lassen wollte, da traf ihn, im Tore von Taginä, als Bote von unserem linken Flügel der nicht mehr besteht! - gotische Herolde ritten mit ihm - der verwundete Zeuxippos.» «Wer hat -?» «Er, den du vorhin nanntest: - Graf Teja! Er übersah oder erfuhr, daß der Seinen Mitteltreffen schwer bedroht, der König verwundet sei: da, erkennend wohl, daß er viel zu spät kommen würde, die Entscheidung bei Taginä zu wenden, faßte er einen kühnen, einen verzweifelten Entschluß. Er warf sich plötzlich aus seiner abwartenden Ruhe von den Bergen auf unsern linken, ihm entgegenstehenden Flügel, der langsam gegen ihn bergan rückte, schlug ihn im ersten Anlauf, verfolgte die Fliehenden ins Lager und nahm dort Zehntausend der Unsern, darunter meinen Orestes, Zeuxippos und alle Führer gefangen. Er schickte Zeuxippos, gebunden, mit gotischen Herolden, die Wahrheit zu bestätigen, und forderte sofortigen Waffenstillstand auf vierundzwanzig Stunden.» «Unmöglich!» rief Cethegus. «Sonst habe er geschworen, alle zehntausend Gefangenen, -samt den Feldherren! - zu töten.» «Gleichviel», meinte der Präfekt. «Dir mag es gleichviel sein, Römer: was liegt dir an einer Myriade unserer Truppen? Aber nicht so Narses. Die furchtbare Überraschung, die schrecklichere Notwendigkeit der Wahl erschütterte ihn bis ins Mark: ein arger Anfall seiner Krankheit warf ihn nieder, mir reichte er sinkend noch den Feldherrnstab, und ich, natürlich, nahm den Vorschlag an» «Natürlich: Pylades muß den Orestes retten», zürnte Cethegus. «Und zehntausend Mann des kaiserlichen Heeres.» «Mich bindet der Vertrag nicht», rief Cethegus, «ich greife wieder an». - «Das darfst du nicht! Teja hat seine Gefangenen größtenteils und alle Feldherren als Geiseln mitgeführt: - er schlachtet sie, fliegt noch ein Pfeil.» «Er schlachte sie! Ich greife an.» «Sieh zu, ob dir die Byzantiner folgen. Sofort habe ich deinen Scharen des Narses Befehl mitgeteilt. Denn ich bin jetzt Narses.» «Des Todes bist du, sowie Narses zu sich kommt.» Aber Cethegus erkannte, daß er mit seinen Söldnern allein den Goten nichts anhaben konnte, die nun (nachdem sich Teja mit seinen Gefangenen auf den Kloster- und den Kapellenhügel und die flaminische Straße zurückgezogen und auch Hildebrands Flügel mit nicht allzu schweren Verlusten diese Straße erreicht: - anfangs hatten die beiden Flüsse, dann der verkündete Waffenstillstand die Verfolgung durch Johannes gehemmt -) die Reste ihrer Truppen, die beiden Flügel, in eine feste Stellung versammelt hatten. Sehnsüchtig harrte Cethegus auf die Herstellung des Narses, der, so hoffte er, den von seinem Stellvertreter geschlossenen Vertrag nicht anerkennen würde. Vierzigstes Kapitel Inzwischen hatten Teja und Hildebrand von beiden Flügeln her den Kapellenhügel des Numa erreicht, wohin, wie ihnen gemeldet war, der verwundete König gebracht worden. Nachricht von den späteren Vorgängen hatte sie noch nicht erreicht. Noch außerhalb der Umwallung des Kapellenbaus hatten sich beide Führer über den Plan geeinigt, den sie dem König vorschlagen wollten: gab es doch keinen andern Ausweg als schleunigen Rückzug gen Süden unter dem Schutz des Waffenstillstands. Aber als sie nun in das Innere des ummauerten Haines traten -welcher Anblick bot sich ihnen dar! Laut aufschluchzend eilte Adalgoth Teja entgegen und führte ihn an der Hand an den efeuumgrünten Sarkophag des Numa. In diesem lag auf seinem Schilde König Totila: die ernste Majestät des Todes verlieh den edeln Zügen eine Weihe, die schöner war, als je der Schimmer der hellen Freude auf diesem herrlichen Antlitz gestrahlt hatte. Links von ihm ruhte, in der längst von dem Sarkophag gelösten, gewölbten Deckelplatte, Julius: - die Ähnlichkeit der Dioskuren trat nun, unter dem gemeinsamen Schatten des Todes, wieder ergreifend hervor. In der Mitte aber der beiden Freunde war auf des Königs blutüberströmtem weißen Mantel von Gotho und Liuta eine dritte Gestalt gebettet worden: auf einem sanft erhöhten Hügel, das edle Haupt an der Zisterne Rand gelehnt, lag Valeria, die Römerin. Entboten von dem nahe gelegenen Kloster, den verwundeten Geliebten in Empfang zu nehmen, hatte sie sich, ohne Seufzer, ohne Wehegeschrei, über den breiten Schild geworfen, auf welchem Adalgoth und Aligern ihn langsam, feierlichen Schrittes, durch die Mauerpforte trugen. Ehe noch einer der beiden gesprochen, rief sie: «Ich weiß es: -er ist tot.» Sie hatte noch geholfen, die schöne Leiche in dem Sarkophag des Numa beizusetzen. Dazu hatte sie, ohne Träne, mit leiser Stimme, vor sich hingesprochen: «Siehest du nicht, wie schön von Gestalt, wie schimmernd Achilleus? Dennoch harret auch seiner der Tod und das dunkle Verhängnis, Wenn auch ihm in des Kampfes Gewühl das Leben entschwindet, Ob ihn ein Pfeil von der Sehne dahinstreckt oder ein Wurfspeer. Doch mir sei dann vergönnt, in die Schatten zu tauchen des Todes.» Dann zog sie ruhig, langsam, ohne Hast, den Dolch aus seinem Gürtel, und mit den Worten: «Hier, strenger Christengott, nimm meine Seele hin! So lös' ich das Gelübde», stieß sich die Römerin den scharfen Stahl ins Herz. Cassiodor, ein kleines Kreuz von geweihtem Zedernholz in der Hand, schritt betend, tief erschüttert - Tränen rieselten über das ehrwürdige Antlitz in den weißen Bart - von einer der drei Leichen zu der andern. Und leise stimmten die frommen Frauen des Klosters, die Valeria begleitet hatten, zu feierlicher, einfacher Weise den Choral an: Vis ac splendor seculorum, Belli laus et flos amorum Labefacta mox marcescunt: - Dei laus et gratia sine Aevi termino vel fine In eternum perflorescunt. (Bald in Asche muß vergehen, Was wir stark, was lieblich sehen, Aller Stolz und Schmuck der Zeit: - Gottes Gnade sonder Wanken, Gottes Liebe sonder Schranken Walten fort in Ewigkeit.) Allmählich hatte sich der Hain mit Kriegern gefüllt, die den Führern, darunter den Grafen Wisand und Markja, vermöge der Waffenruhe unbehindert, gefolgt waren. Schweigend hatte Teja des weinenden Adalgoth Bericht mit angehört. Nun trat er an des Königs Leiche dicht heran. Schweigend, ohne Träne, legte er die gepanzerte Rechte auf des Königs Wunde, beugte sich über ihn und flüsterte dem Toten zu: «Ich will's vollenden.» Dann trat er zurück unter einen hochragenden Baum, der sich über einem vergessenen Grabhügel erhob, und sprach zu der kleinen Schar, die ehrfurchtsvoll, schicksalergriffen, schweigend, diese Stätte des Todes umgab: «Gotische Männer: die Schlacht ist verloren. Und das Reich dazu. Wer unter euch zu Narses gehen, sich dem Kaiser unterwerfen will - ich halte keinen. Ich aber bin gewillt, fortzukämpfen bis ans Ende. Nicht um den Sieg: um freien Heldentod. Wer den mit mir teilen will, der bleibe. Ihr alle wollt es? Alle? Gut.» Da fiel Hildebrand ein: «Der König ist gefallen. Die Goten können nicht, auch um zu sterben nicht, kämpfen ohne König. Athalarich: - Witichis: - Totila: - nur einer kann der vierte sein, der dieser edeln Dreizahl folgen darf - du Teja, unser größter Held.» «Ja», sprach Teja, «ich will euer König sein. Nicht freudig leben, nur herrlich sterben sollt ihr unter mir. Still! Kein froher Ruf - kein Waffenlärm begrüße mich. Wer mich zum König will - der tue mir nach.» Und er brach von dem Baum, unter dem er stand, einen schmalen Zweig und wand ihn um den Helm. Und schweigend folgten alle seinem Beispiel. Adalgoth, der ihm zunächst stand, flüsterte ihm zu: «O König Teja! Es sind Zypressenzweige -: geweihte Opfer kränzt man so!» «Ja, mein Adalgoth, du sprichst Weissagung» - und er schwang das Schwert im Kreis über sein Haupt - «dem Tode geweiht». 9. Buch Teja "Nun hab' ich die denkwürdigste Schlacht zu schildern und das hohe Heldentum des Mannes der keinem der Heroen nachsieht: - des Teja." (Prokop, Gotenkrieg IV. 35) Erstes Kapitel Und rasch vollendeten sich nun des Gotenvolkes Geschicke. Der rollende Stein rollte dem Abgrund zu. - Als Narses die Besinnung wiedergefunden und das inzwischen Beschlossene und Geschehene erfahren, befahl er sofort, Liberius zu verhaften und zur Verantwortung nach Byzanz zu schicken. «Ich will nicht sagen», sprach er zu seinem Vertrauten, Basiliskos, «daß er die falsche Entscheidung getroffen. Ich selbst hätte sie nicht anders getroffen. Aber aus andern Gründen. Er hat vor allem seinen Freund und dann auch jene Zehntausend retten wollen. Das war ein Fehler: man mußte sie opfern, wenn man Liberius war. Denn Liberius übersah nicht die Lage des Kriegs. Liberius wußte nicht, wie Narses es weiß, daß, nach dieser Schlacht, das Gotenreich verloren ist - ob es schon hier bei Taginä oder etwa erst bei Neapolis vollends vernichtet wird, ist gleich: und nur deshalb konnte, mußte man jene Zehntausend retten.» «Bei Neapolis? Aber warum nicht bei Rom? Gedenkst du der furchtbaren Wälle des Präfekten nicht? Warum werden sich die Goten nicht nach Rom werfen zu mondenlangem Widerstand?» «Warum? Weil... weil es mit Rom eine eigene Bewandtnis hat - aber das wissen sowenig die Goten wie Liberius. Und das darf noch lange nicht wissen - Cethegus. Also schweige. Wo ist der Stadtpräfekt von Rom?» «Vorausgeeilt, um sofort, nach Ablauf des Waffenstillstandes, als der erste, die Verfolgung zu leiten.» «Du hast doch gesorgt -?» «Zweifle nicht! Er wollte mit seinen Isauriern allein aufbrechen: ich - d. h. Liberius auf meinen Rat - hab' ihm Alboin und die Langobarden beigegeben, und du weißt...» «Ja», lächelte Narses, «meine Wölfe lassen ihn nicht aus den Augen.» «Aber wie lange noch soll er -?» «Solang ich ihn brauche. Nicht eine Stunde länger. Also der junge königliche Wundertäter liegt auf seinem Schild? Nun mag Justinianus sich mit Recht nennen und wieder ruhig schlafen. Aber freilich, der schläft wohl nie mehr ruhig der enttäuschte Witwer Theodoras.» Die beiden Führer Teja und Narses hatten also das gleiche Urteil über das Gotenreich. Es war verloren. Bei Caprä und Taginä war die Blüte des Fußvolks gefallen, fünfundzwanzig Tausendschaften hatte Totila hier aufgestellt: nicht eine volle derselben ward gerettet, auch die beiden Flügel hatten Verluste gehabt, so waren es kaum zwanzig Tausendschaften, mit welchen König Teja eilig, zunächst auf der flaminischen Straße, nach Süden abzog. Ihn mahnte zum Aufbruch auch der Hilferuf des kleinen Heeres von Herzog Guntharis und Graf Grippa, das von der zwiefachen Übermacht der zwischen Rom und Neapolis unter Armatus und Dorotheos gelandeten Byzantiner bedrängt war. Und ihn zwang zur Eile die furchtbare Verfolgung, mit welcher Narses, nach Ablauf des Waffenstillstandes, gemäß seinem schrecklichen System der «wandelnden Mauer» drängte. Während die Langobarden und Cethegus rastlos nachsetzten, langsam gefolgt von Narses, breitete dieser nach links und rechts zwei furchtbare Flügel aus, die im Südwesten über das suburbicarische Tuscien hinaus bis an das tyrrhenische Meer, im Nordosten durch das Picenum bis an den jonischen Meerbusen langten und, wie sie von Norden nach Süden und von Westen nach Osten vordrangen, alles gotische Leben hinter sich ausgelöscht zurückließen. Wesentlich erleichtert wurde dies Verfahren durch den nun ganz allgemeinen Abfall der Italier von der verlorenen gotischen Sache: der milde König, der sie dereinst gewonnen, war ersetzt worden durch einen düsteren Helden gefürchteten Namens; nicht Neigung zu dem Regiment von Byzanz, aber Furcht vor des Narses und des Kaisers Strenge, die jeden Italier, der es noch mit den Barbaren hielt, mit dem Tode bedrohten, zog rasch die Schwankenden herüber. Die Italier, die noch in König Tejas Heere dienten, verließen ihn und eilten zu Narses. Noch viel häufiger als vor der Schlacht von Taginä wurden jetzt die Fälle, in welchen gotische Siedlungen von ihren italischen Nachbarn, oft von dem Hospes, der ein Drittel seines Gutes dem Goten hatte abtreten müssen, den «Romäern» verraten oder, wo die Italier in großer Überzahl waren, von diesen selbst ausgemordet, gefangen an die beiden Flotten des Narses, die «tyrrhenische» und die «jonische», abgeliefert wurden, die langsam im tyrrhenischen und im jonischen Meer an der Küste hinfuhren, den Vormarsch der Landheere begleitend und alle gefangenen Goten, Männer, Weiber und Kinder, mit sich schleppend. Die Burgen und Städte, schwach besetzt, denn Totila hatte sein kleines Heer durch deren herangezogene Mannschaften verstärken müssen, fielen meist durch die Bevölkerung, die, wie nach Totilas Erhebung die kaiserlichen, so nun die gotischen Besatzungen überwältigten; so im späteren Verlauf des Krieges Naria, Spoletium, Perusium; - die wenigen, die widerstanden, wurden eingeschlossen. So glich Narses einem gewaltigen Manne, der mit ausgebreiteten Armen durch einen engen Gang schreitet und alles, was sich hier bergen wollte, vor sich her schiebt; oder einem Fischer, der mit dem sperrenden Sacknetz bachaufwärts watet, hinter ihm bleibt kein Leben mehr. Geängstet flüchteten alle Goten, die sich noch retten konnten, mit Weib und Kind vor der «eisernen Walze» des Narses, wenn sie heranrollte, von allen Seiten nach dem Heere des Königs, das bald eine größere Zahl von Unwehrfähigen als von Kriegern in seinem wandernden Lager barg. Wieder waren die Ostgoten auf der «Völkerwanderung» begriffen, wie vor hundert Jahren; aber hinter ihnen nahte jetzt das eherne Netz des Narses, vor ihnen und der immer schmaler zulaufenden Halbinsel lag das Meer - und keine Schiffe zu rettender Flucht. Zweites Kapitel Und noch dazu verringerte eine unabweisbare Notwendigkeit die Zahl der wehrfähigen Goten in König Tejas Heer auf das furchtbarste. Seit dem ersten Augenblick der begonnenen Verfolgung hatte sich Cethegus mit den Isauriern, mit seinen byzantinischen Truppen - sarazenischen und herulischen Reitern - und Alboin mit seinen Lanzenreitern an die Fersen der Abziehenden geheftet, sollte nicht die ohnehin langsame Bewegung des durch so viele Frauen, Kinder, Greise gehemmten Rückzugs völlig gehemmt werden, so mußte fast jede Nacht eine kleine Heldenschar geopfert werden, die an günstig gelegener Stelle halt machte und hier durch zähen, todeskühnen, hoffnungslosen Widerstand die Verfolger so lange hinhielt, bis das Hauptheer wieder großen Vorsprung gewonnen. Dieses grausame, aber einzig ergreifbare Mittel mußte bald mit Aufopferung einer halben Tausendschaft, bald, wo die Verteidigungsstellung breitere Stirn hatte, mit noch größeren Opfern angewendet werden. König Teja hatte es vor dem Aufbruch von «Spes bonorum» laut dem ganzen Heer verkündet: schweigend hatten die Männer das furchtbare Mittel gebilligt. Und so ungestüm bewarben sich die «Todgeweihten» jeden Abend um diesen Ehrenposten, daß König Teja - feuchten Auges - das Los entscheiden ließ; er wollte keinen kränken durch Bevorzugung anderer. Denn die Goten, den sichern Untergang von Volk und Reich vor Augen, sehr viele Weib und Kind dem Narses verfallen wissend, drängten sich um die Wette zum Tode. So wurde dieser Rückzug eine Ehrenstraße gotischen Heldentums; jede Haltstelle fast ein Markstein todesmutiger Aufopferung. So fielen als Führer dieser «Nachhut des Untergangs» der alte Haduswinth bei Nuceria Camellaria, der junge, pfeilkundige Gunthamund bei ad Fontes, der rasche Reiter Gudila bei ad Martis. Aber es sollte diese Aufopferung und des Königs Feldherrnschaft nicht ohne Frucht bleiben für die Geschicke des Volkes. Bei Fossatum, zwischen Tudera und Narnia, kam es zu einem Nachtgefecht mit der Nachhut unter dem tapfern Grafen Markja, das vom Nachmittag, da sie die Reiter des Cethegus erreicht hatten, angefangen bis zum Sonnenaufgang währte. Als endlich das wiederkehrende Licht die rasch aufgeworfenen Erdschanzen der Goten beleuchtete, war es auf diesen grabesstill. Die Verfolger rückten mit äußerster Vorsicht an: endlich sprang Cethegus vom Pferd und auf die Brüstung der Schanze, hinter ihm Syphax. Da winkte Cethegus hinab. «Kommt nach, es hat keine Gefahr! Ihr habt nur hinwegzuschreiten über die Feinde; denn hier liegen sie tot: alle tausend, dort auch Graf Markja, ich kenne ihn.» Als aber nun die Reiter, nachdem die Schanzen hinweggeräumt waren, dem abgezogenen Hauptheer, das sehr großen, weiteren Vorsprung gewonnen, nachjagten - Cethegus führte sie -, erfuhren sie alsbald von den Bauern, daß das gotische Hauptheer hier, auf der flaminischen Straße, nicht vorübergezogen war. Durch das edelste Opfer war es erkauft, daß König Teja seines Rückzugs weitere Richtung von hier ab auf geraume Zeit verschleiert hatte: die Verfolger hatten alle Fühlung mit ihm verloren. Cethegus riet Johannes, einen Teil der Seinen zur Rechten nach Südosten, Alboin dagegen zur Linken der flaminischen Straße nach Nordosten verfolgen zu lassen, um die Spur wieder aufzufinden. Ihn selbst aber zog es gewaltig nach Rom: er hoffte die Stadt vor Narses, ohne Narses zu erreichen, zu gewinnen und dann, vom Kapitol herab, ihm wie Belisar Schach zu bieten. Nach der Entdeckung, daß sich König Teja der Verfolgung entzogen habe, berief Cethegus seine vertrauten Tribunen und eröffnete ihnen, er sei entschlossen, nun, nötigenfalls mit Gewalt, der steten Beaufsichtigung durch Alboin und Johannes sich zu entziehen, die er durch die angeratenen Entsendungen geschwächt wußte, und mit seinen Isauriern allein nach Rom zu eilen, geradewegs auf der Flaminia, die ja nun von den Goten nicht gesperrt war. Aber während er sprach, führte Syphax eilfertig einen römischen Bürger ins Zelt, den er mit Mühe aus den Händen der Langobarden gelöst: jener hatte nach dem Präfekten gefragt, und sie hatten ihn «behandeln wollen wie gewöhnlich», hatten sie gelacht. «Vom Rücken her aber», fügte Syphax bei, «naht ein großer Zug - ich spähe danach und berichte dir wieder.» «Ich kenne dich, Tullus Faber», sprach der Präfekt, «du warst immer Rom und mir getreu. Was bringst du?» «O Präfekt», klagte der Mann, «weil du nur noch lebst! Wir alle glaubten, du seiest tot, da du auf acht Botschaften uns keinen Bescheid gabst.» «Ich habe nicht eine erhalten.» «So weißt du nicht, was in Rom geschehen? Papst Silverius ist auf Sizilien in Verbannung gestorben. Der neue Papst ist Pelagius, dein Feind.» «Nichts weiß ich. Rede!» «O so wirst auch du nicht raten noch helfen können. Rom hat... » Da trat Syphax ein, aber ehe er noch sprechen konnte, erschien im Zelt des Präfekten Narses, gestützt auf des Basiliskos Arm. «Ihr habt euch ja so lange hier aufhalten lassen von tausend gotischen Speeren», zürnte der Feldherr, «bis euch die Gesunden entkommen sind und die Kranken euch einholen konnten. Dieser König Teja kann mehr als Schilde brechen: er kann Schleier weben vor des Präfekten scharfen Augen. Aber ich sehe durch viele Schleier, auch durch diesen. Johannes, rufe deine Leute zurück: er kann nicht nach Süden, er muß nach Norden ausgewichen sein. Denn er weißt jetzt wohl schon lang, was den Präfekten von Rom zumeist angeht: Rom ist den Goten entrissen.» Des Cethegus Auge leuchtete. «Ich habe einige kluge Leute hineingeschmuggelt gehabt. Sie trieben die Bewohner zu rascher, mächtiger Erhebung: alle Goten in der Stadt wurden erschlagen: nur fünfhundert Mann entkamen in das Grabmal Hadrians und halten es besetzt.» «Wir haben acht Boten an dich gesandt, Präfekt», fand Faber Mut, einzuwerfen. «Hinaus mit diesem Menschen», winkte Narses. «Ja, die Bürger Roms erinnerten sich in Liebe wieder des Präfekten, dem sie so viel verdanken: zwei Belagerungen, Hunger, Pest und Brand des Kapitols! Aber die an dich gesendeten Boten verirrten sich immer zu meinen Wölflein, und diese haben sie wohl zerrissen. An mich jedoch gelangte die Gesandtschaft, die der heilige Vater Pelagius abgeordnet hat; und ich habe mit ihm einen Vertrag geschlossen, den du, o Stadtpräfekt von Rom, gewiß gutheißen wirst.» «Ich werde ihn nicht auflösen können.» «Die guten Bürger Roms scheuen nichts so sehr als eine dritte Belagerung; sie haben sich erbeten, wir möchten nichts unternehmen, was zu einem neuen Kampf um ihre Stadt führen könnte, die Goten im Grabmal Hadrians müßten, schreiben sie, bald dem Hunger erliegen, und ihre Wälle wollten sie selbst decken, und sie haben geschworen, nach jener Gotenschar Untergang die Stadt nur zu übergeben ihrem natürlichen Beschützer und Haupt: dem Stadtpräfekten von Rom. Bist du damit zufrieden, Cethegus? Lies den Vertrag - gib ihn ihm, Basiliskos.» Cethegus las in tiefer, freudiger Erregung; so hatten sie ihn doch nicht vergessen, seine Römer! So riefen sie doch nun, da alles zur Entscheidung drängte, nicht die gehaßten Byzantiner, sondern ihn, ihren Schirmherrn, zurück aufs Kapitol. Schon sah er sich wieder auf dem Gipfel der Macht. «Ich bin's zufrieden», sagte er, die Rolle zurückgebend. «Ich habe gelobt», sprach Narses, «keinen Versuch zu machen, die Stadt mit Gewalt in meine Hand zu bringen: erst muß König Teja dem König Totila nachgefolgt sein. Dann Rom und - manches andre. Folge mir, Präfekt, in den Kriegsrat.» Als Cethegus die Beratung in dem Zelt des Narses verließ und nach Tullus Faber forschte, war jede Spur von diesem verschwunden. Drittes Kapitel Scharf hatte der große Feldherr Narses die Wegrichtung erkannt, auf welcher König Teja von der flaminischen Straße abgebogen war. Nach Norden zunächst, nach der Küste des jonischen Busens, war er ausgewichen und führte hier, mit seltner Wegeskunde, auf vielfach gewundenen Pfaden, sein flüchtendes Volk und Heer unbehelligt, unerreicht von den Verfolgern, über Hadria, Aternum, Ortona nach Samnium: daß Rom für ihn verloren, erfuhr er durch einzelne aus der Stadt geflohene Goten schon hinter Nuceria Camellaria. Nicht unerwünscht kam des Königs rasch zum Ende drängendem und schonungslosem Sinn die Nötigung, sich seiner Gefangenen zu entledigen: diese, an Zahl fast halb so stark als ihre Besieger, hatten die Überwachung so schwierig gemacht, daß Teja jeden Befreiungsversuch mit dem Tode bedrohen mußte. Hinter Fossatum bei der Nordschwenkung machten sie trotzdem einen Versuch, massenhaft mit Gewalt loszubrechen. Sehr viele wurden bei dem Unternehmen getötet: alle, die übriggeblieben waren, mit Orestes und sämtlichen Führern, ließ der König bei dem Übergang über den Aternus mit gebundenen Händen in den Fluß werfen und ertränken. Auf Adalgoths Fürbitte hatte er finster erwidert: «Zu vielen Tausenden haben sie wehrlose Goten-Weiber und -Kinder an ihren Herdfeuern überfallen und geschlachtet: das ist kein Krieg der Krieger mehr: das ist ein Mordkampf der Völker. Laß uns darin - halbwegs - auch das unsre tun.» Aus Samnium eilte der König, das unwehrhafte Volk langsam unter schwacher Bedeckung nach sich führend - denn hier drohte keine Verfolgung - mit den besten Truppen rasch nach Campanien. So unerwartet traf er hier ein, daß er das kleine, durch die bisherigen Gefechte mit der Überzahl zusammengeschmolzene Heer von Herzog Guntharis und Graf Grippa - er traf sie in fester Stellung zwischen Neapolis und Beneventum - fast ebenso überraschte, wie bald darauf die siegessichern Gegner. Er erfuhr, daß die «Romäer», von Capua aus, Cumä bedrohten. «Nein», rief er, «diese Burg sollen sie nicht vor mir erreichen. Dort hab' ich noch ein wichtig Werk zu vollenden.» Und verstärkt durch die Besatzung aus seiner eignen Grafenstadt Tarentum, unter dem tapfern Ragnaris, griff er die Übermacht der Byzantiner, die auf geheimem Marsche von Capua aus Cumä überrumpeln wollten, sie selbst aufs höchste überraschend, an und schlug sie unter blutigen Verlusten grimmig aufs Haupt; er spaltete mit der Streitaxt dem Archonten Armatus die Stirn; an seiner Seite durchrannte der junge Herzog von Apulien den Dorotheos mit dem Speer. Entsetzt flohen die Byzantiner gen Norden bis nach Terracina. Es war der letzte Sonnenkuß, den der Siegesgott auf die blaue Gotenfahne legte. Tags darauf zog König Teja in Cumä ein. Totila hatte, auf sein ernstes Andringen, sich entschlossen, bei dem diesmaligen allentscheidenden Auszug von Rom, gegen seine Gewohnheit, für die Treue der Stadt Rom Geiseln zu nehmen. Niemand wußte, wohin diese gebracht worden. Am Abend seines Einzugs ließ König Teja den zugemauerten Garten des Kastells zu Cumä aufbrechen; hier waren, hinter turmhohen Wällen, die Geiseln Roms geborgen: Patrizier, Senatoren - darunter Maximus, Cyprianus, Opilio, Rusticus, Fidelius: die angesehensten Männer des Senats im ganzen dreihundert an der Zahl. Sie waren alle Glieder des alten Bundes der Katakomben wider die Goten. Teja ließ ihnen von den aus Rom entwichenen Goten berichten, wie die Römer, verführt von Sendlingen des Narses, sich in einer Nacht plötzlich erhoben, alle Goten, auch Weiber und Kinder, deren sie habhaft werden konnten, ermordet und den Rest in die Moles Hadriani zusammengedrängt hatten. So furchtbar war der Blick des Königs, den er auf den zitternden Geiseln während dieser Erzählung ruhen ließ, daß zwei derselben das Ende abzuwarten nicht ertrugen, sondern sich sofort an den harten Felswällen die Köpfe einrannten. Nachdem die Boten eidlich ihre Erzählung bekräftigt hatten, wandte sich der König schweigend und schritt aus dem Garten. Eine Stunde darauf starrten die Köpfe der dreihundert Geiseln gräßlich von den Mauerzinnen herab. «Aber nicht bloß dies furchtbare Richteramt zog mich nach Cumä», sprach Teja zu Adalgoth. «Es gilt, hier noch ein heiliges Geheimnis zu erheben.» Und er lud ihn, sowie die anderen Führer des Heeres, zum fest- und freudelosen Nachtmal. Als das traurige Gelage zu Ende, winkte der König dem alten Hildebrand. Dieser nickte, hob eine düster brennende Pechfackel aus dem Eisenring der Mittelsäule der gewölbten Halle und sprach: «Folgt mir nach, ihr Kinder junger Tage, nehmt eure Schilde und eure Schwerter mit.» Es war die dritte Stunde der Julinacht, die Sterne standen in der Mitternacht. Da schritten aus der Halle, schweigend dem König und dem urgrauen Waffenmeister folgend, Guntharis und Adalgoth, Aligern, Grippa, Ragnaris und Wisand, der Bandalarius: Wachis, des Königs Schildträger, schloß den Zug mit einer zweiten Fackel. Gegenüber dem Schloßgarten erhob sich ein riesiger Rundturm, «der Turm Theoderichs» genannt, weil ihn dieser große König neu verstärkt hatte. In dieses Turmgebäude leuchtete und schritt voran der alte Hildebrand. Aber anstatt nun von dem Erdgeschoß aus, das nur die leere Turmstube zeigte, die hohe Treppe emporzusteigen, machte der Alte halt. Er kniete nieder, und vorsichtig messend spannte er mit der gewaltigen Hand auf dem Boden von der sorgfältig wieder geschlossenen Türe an nach der Mitte fünfzehn Handspannen - der ganze Boden schien aus drei kolossalen Granitplatten zusammengelegt -. Auf der fünfzehnten Spanne hielt er den linken Daumen an und schlug mit der Steinaxt auf die Platte: da klang es hohl: und in eine schmale, kaum sichtbare Ritze des Gesteins die Spitze der Axt bohrend hieß er alle Mann hinter sich zur Linken treten. Als dies geschehn, schob er die Steinplatte nach rechts vor; schwarz, turmhoch, wie das Gebäude über dem Erdgeschoß sich erhob, senkte es sich hier hügeltief in die Erde. Nur um einen Mann knapp hindurchzulassen, gewährte die Öffnung Raum; sie führte auf eine schmale, in den Fels gehauene Treppe von mehr als zweihundert Stufen. Schweigend stiegen die Männer hinab. Unten angelangt fanden sie den entsprechenden Kreisraum durch eine Steinmauer in zwei Halbkreise geteilt. Der von ihnen betretene Halbkreis war leer. Und nun maß König Teja von der Erde auf zehn Handbreiten an der Mauer. Hier drückte er an einen Stein: eine schmale Pforte tat sich nach innen auf. Der alte Hildebrand atmete tief, trat vorleuchtend ein, und der König und jener entzündeten zwei in die Wand eingesteckte große Fackeln. Da fuhren die übrigen glanzgeblendet zurück und bedeckten die Augen. Als sie wieder aufblickten, gewahrten sie - sofort erkannten die gotischen Männer das Geheimnis - den ganzen reichen Amalungenhort Dietrichs von Bern. Da lagen, teils zierlich gehäuft, teils ordnungslos nebeneinander geschüttet, Waffen, Gerät und Schmuck aller Art. Die Sturmhaube von Bronze aus altetruskischer Zeit, in grauen Vorzeittagen durch den Handel den Goten bis an die Ostsee oder an den Pruth und Dniester zugeführt und nun von dem nach Süden ziehenden Wandervolk wieder zurückgebracht, nahe an die Stätte vielleicht, wo sie gehämmert worden; daneben das Fell des Seehunds und der Rachen des Eisbären über einen flachen Kopfschirm von Holz gespannt: keltische Spitzhelme; stolzgeschweifte römische und byzantinische Helmkämme, Halsringe von Bronze und von Eisen, von Silber und von Gold; Schilde, von dem ungefügen, mannshohen Holzschild, der, aufgestellt wie eine Mauer, den Pfeilschützen barg, bis zu dem zierlichen, mit Edelsteinen und Perlen übersäten, runden, kleinen Reiterschild der Parther; neben altertümlichen Kettenringen von erdrückender Schwere, leichte Harnische von purpurfarbenem Linnengewebe, dazu Frameen, Schwerter, Dolche von Stein, von Bronze und von Eisen; Beile und Keulen, zum Teil noch aus dem Knochen des Mammut, roh, mit Bast umwunden und in ein Hirschgeweih gesteckt, bis zu der fränkischen Franziska und dem zierlich durchbrochenen, kleinen, vergoldeten Wurfbeil, mit welchem ein aufgesteckter Apfel von römischen Zirkusreitern im Galopp gespalten werden mußte; Speere, Lanzen, Wurfspieße aller Art: von dem kaum behauenen Stoßzahn des Narwal bis zu dem goldeingelegten Ebenholzschaft der asdingischen Vandalenkönige in Karthago und dem massiv goldnen Wurfpfeil dieser Fürsten mit dem Purpurgefieder des Flamingo am Schaft und der fußlangen Stahlspitze: Kriegsmäntel aus dem Pelz des blauen Fuchses bis zu dem Fell des numidischen Löwen und dem kostbarsten Purpur von Sidon; Schuhe, von den langen, schaufelähnliche Schneeschuhen der Skritofinnen bis zu den Goldsandalen von Byzanz; Wämser von friesischer Wolle und Tuniken von chinesischer Seide, dazu ungezähltes Gerät und Tafelgeschirr: hohe Krüge, flache Schalen, runde Becher, bauchige Urnen, von Bernstein, von Gold, von Silber, von Schildpatt, Armringe und Schulterspangen, Schnüre von Bergkristallen und von Perlen, und noch sonst unerschöpflich mannigfaltiges Geschirr für Speise und Trank, Gerät für Kleidung und Schmuck, für Spiel und Kampf. «Ja», sprach König Teja, «diese geheime Höhle, nur uns, den Blutsbrüdern bekannt - der Waffenmeister hatte sie in den Fels hauen lassen, als er vor vierzig Jahren Graf von Cumä war - sie war das Schatzgewölbe, das den Hort der Goten barg. Deshalb fand Belisarius so wenig vor, als er den Schatz zu Ravenna erbeutete. Die edelsten und kostbarsten Stücke der Beute und der Geschenke, die Sammlung der Amalungenehren in Krieg und Frieden, die weit über Theoderich hinauf zu Winithar, Ermanarich, Athal, Ostrogotho, Isarna bis Amala emporsteigen - sie haben wir hier geborgen. Nur das gemünzte Gold hatten wir in Ravenna behalten und solches Gerät, das reicher an Goldwert als an Ehren schien. Monatelang sind die Feinde über diese Schätze hingeschritten, doch es schwieg die treue Tiefe des Abgrunds. Nun aber tragen wir sie alle mit uns - in eure breiten Schilde schöpfet sie und reichet sie, die Staffeln herauf, einer dem andern - in das letzte Schlachtfeld, darauf ein ostgotisches Volksheer kämpfen wird - nein, bange nicht, jung Adalgoth, auch wenn ich gefallen bin und alles verloren ist -: nicht sollen die heiligen Schätze der Ehre die Feinde nach Byzanz schleppen. Denn wunderbar ist das letzte Schlachtfeld, das ich uns erkoren. Es soll die letzten Goten und ihre Schätze und ihren Rum verschlingen und verbergen.» «Ja, auch ihren höchsten Schatz und Ruhm», sprach der alte Hildebrand, «nicht nur Gold und Silber und edle Steine. Sehet her, meine Goten!» Und er leuchtete in den von einem Vorhang abgesperrten Schlußraum des Halbkreises und schob den Vorhang zur Seite. Da fielen alle andern ehrfürchtig auf die Knie. Denn sie erkannten den großen Toten, der da hoch aufgerichtet auf dem goldnen Throne saß, den Speer noch in der Rechten, vom Purpurmantel umwallt. Es war der große Theoderich. Und die von den Ägyptern zu den Römern gewanderte Kunst, die Leichen wundersam zu wahren, hatte den Heldenkönig in schauerlicher Leibhaftigkeit erhalten. Tiefste Erschütterung band den Männern die Rede. «Schon seit langer Zeit», hob endlich Hildebrand an, «mißtrauten Teja und ich dem Stern der Goten. Und ich, der ich vor Ausbruch des Krieges die Ehrenwache an dem MarmorRundhaus zu Ravenna hatte, in welchem Amalaswintha ihren toten Vater beigesetzt - ich liebte das ganze Gebäude wenig, und weniger noch die weihrauchqualmenden Priester, die dort so oft für des Gewalt'gen große Seele beten wollten. Und ich dachte: wenn unsere Spur dereinst getilgt wird aus diesem Südland, sollen nicht Welsche und Griechlein ihr Gespött treiben mit den Gebeinen des teuren Helden. Nein, wie jener erste Bezwinger der Romaburg, wie der Westgote Alarich im heiligen Strombett sein von keinem gekanntes, von keinem zu schändendes Grab gefunden, - so soll auch mein großer König entrückt sein der Nachspürung der Menschen. Und mit Tejas Hilfe schaffte ich, in dunkler Nacht, die edle Leiche hinweg aus dem Marmorhaus und aus der winselnden Priester Umgebung, und wir brachten sie, als ein Stück des Königsschatzes, in verschlossener Truhe hierher. Hier war er sicher geborgen, und fand ihn nach Jahrhunderten ein Zufall, wer konnte dann noch ihn erkennen, den König mit dem Adlerauge? Und so ist der Steinsarkophag zu Ravenna leer, und die Mönche singen und beten dort umsonst. Hier, bei allen seinen Schätzen und Ehren, in Heldenherrlichkeit, aufrecht thronend, sollte er ruhen -: das wird seiner Seele, die von Walhall niederschaut, lieber sein, als ausgestreckt, unter schwerem Stein, unter Weihrauchwolken, sich liegen zu sehen.» «Nun aber», schloß Teja, «ist auch für ihn, wie für den Amalungenhort die Stunde gekommen, noch einmal aufzusteigen aus der Tiefe; wenn ihr die Schätze gehoben, heben wir sorgsam auch den teuren Heldenleib empor. Und morgen früh brechen wir alle auf aus dieser Stadt, - schon wird des Narses und des Präfekten Anrücken gemeldet - und ziehen mit Königshort und Königsleiche auf jenes letzte Schlachtfeld der Goten, wohin ich auch schon die Weiber und Kinder entboten habe: jenes Schlachtfeld - seit lange habe ich's geschaut in schlummerlosem Traumgesicht - jenes Schlachtfeld, das uns und unser Volk sieht glorreich untergehen; jenes Schlachtfeld, das, auch nachdem der letzte Speer gebrochen, alle TodEntschlossenen rettend, bergend aufnehmen kann in seinen glühenden Schoß: - das Schlachtfeld, das Teja sich und euch erkoren.» «Ich ahne», fiel Adalgoth ein. «Dies, unser Schlachtfeld heißt... » «Mons Vesuvius!» sprach Teja. «Ans Werk!» Viertes Kapitel So rasch, als es sein furchtbares Umklafterungssystem verstattete, war Narses nach jenem Kriegsrat bei Fossatum mit seiner ganzen Macht und in breitester Stirnlinie nach Süden hinabgezogen, die Reste gotischen Lebens zu erdrücken oder ins Meer zu werfen. Nach Tuscien nur entsandte er, um die dort noch widerstrebenden Burgen zu brechen, dann Lucca im annonarischen Tuscien, mit geringer Macht seine Heerführer Vitalianus und den Heruler Wilmuth, und noch weiter hinauf gen Norden wider das immer noch unbezwungene Verona, dessen Ausdauer den Goten das Entkommen durch das Tal der Athesis hinauf bis an die Passara wesentlich erleichtert hatte, Valerianus, welcher einstweilen auch Petra pertusa, das oberhalb Helvillum die flaminische Straße gesperrt, bezwungen hatte. Mit allen andern Truppen eilte er nach Süden, er selbst auf der flaminischen Straße an Rom vorbei, indes Johannes an dem tyrrhenischen Meere hin, der Heruler Vulkaris an der Küste des jonischen Busens die Goten vor sich her drängen sollten. Beide fanden aber wenig Arbeit und Aufenthalt mehr; denn im Norden waren die gotischen Familien ohnehin von dem vorauseilenden Heere des Königs aufgenommen worden, das Vulkaris nicht mehr einzuholen vermochte; und aus dem Süden waren ebenfalls die Goten längst aufgescheucht über Rom hinaus gen Neapolis geströmt, wohin sie eilende Sajonen, fliegende Boten des Königs, beschieden. «Mons Vesuvius!» bildete das ausgegebene Sammelwort für alle diese gotischen Flüchtlinge. Narses hatte seinen beiden Flügeln Anagnia als Ort der Wiedervereinigung vorgeschrieben. Gern folge Cethegus der Einladung des Narses, bei ihm und dem Hauptheer zu bleiben; auf beiden Flügeln waren keine großen Ereignisse zu erwarten. Und der Weg des Narses führte ja über Rom! Für den Fall, daß Narses, trotz seinem Versprechen, einen Versuch machen sollte, im Vorüberziehen sich Eingang in Rom zu verschaffen, war dann auch Cethegus an Ort und Stelle. Aber fast zu des Präfekten Erstaunen hielt Narses Wort. Er zog mit seinem Heer ruhig an Rom vorüber. Und er forderte Cethegus auf, Zeuge seiner Unterredung mit dem Papst Pelagius und den übrigen beherrschenden Personen in Rom zu sein, welche Zwiesprache er die Wälle hinan, zwischen dem flaminischen und dem salarischen Tor, an der Porta belisaria (pinciana) hielt. Noch einmal versicherten der Papst und die Römer unter feierlichen Eiden auf die Gebeine der Heiligen Kosma und Damian (nach der Legende arabische Ärzte, Zwillingsbrüder, die unter Diokletian als Märtyrer gestorben sein sollten), die sie in elfenbeinernen Truhen und Silbersärgen auf die Wälle gebracht hatten, daß sie unweigerlich nach Vernichtung der Goten in der Moles Hadriani, dem Präfekten von Rom allein ihre Tore erschließen, jeden Versuch aber, gewaltsam in die Stadt zu dringen, mit Gewalt abwehren würden; denn sie wollten sich keinem der Kämpfe aussetzen, die etwa noch um Rom entbrennen könnten. Das Anerbieten des Narses, ihnen jetzt schon ein paar tausend Mann zur rascheren Bewältigung der Moles Hadriani zu überlassen, wiesen die Römer höflich aber bestimmt ab: zur hohen Freude des Präfekten. «Sie haben doch schon zwei Dinge gelernt in diesen Jahren», sagte er im Abreiten zu Lucius Licinius, «sich die fern vom Leibe halten und Cethegus mit dem Heile Roms verknüpfen. Das ist schon viel.» «Mein Feldherr», warnte Licinius, «ich kann deine Freude, deine Zuversicht nicht teilen» - «Ich auch nicht», stimmte Salvius Julianus bei. «Ich fürchte Narses. Ich mißtraue ihm.» -«Ach, ihr Allklugen», spottete Piso. «Man muß nichts übertreiben, auch die Vorsicht nicht und den Zweifel. Hat sich nicht alles gewendet, wie wir's kaum zu hoffen gewagt, seit jener Nacht, da ein grober Hirtenjunge dem besten Dichter Roms über die unsterbliche Jambenhand schlug? Da der gewaltige Präfekt von Rom in einem Getreidehaufen tiberabwärts schwamm? Da Massurius Sabinus in den coischen Gewändern seiner Hetäre, in denen er entrinnen wollte, von Graf Markja erkannt und gefangen und da der große Rechtskenner Salvius Julianus blutend von dem unsanften Herzog Guntharis aus dem Schlamm des Flusses hervorgefischt wurde? Wer hätte damals gedacht, daß wir noch mal die Tage an den Fingern abzählen würden, da noch ein Gote zwei Beine auf italischen Erdgrund stellt?» «Du hast recht, Poet», lächelte Cethegus. «Jene beiden leiden an dem Narses-Fieber, wie ihr Heros an der Epilepsie. Seine Feinde überschätzen ist auch ein Fehler. Die Gebeine, auf die jene Priester schworen, sind ihnen wirklich heilig; sie brechen solche Eide nicht.» «Wenn ich nur», erwiderte Licinius besorgt, «neben den Priestern und Handwerkern noch irgendeinen deiner, unserer Freunde auf den Wällen gesehen hätte! Aber lauter Walker, Fleischer und Zimmerleute! Wo ist der Adel Roms, wo die Männer der Katakomben?» «Als Geiseln fortgeführt», sprach Cethegus. «Und recht geschah ihnen, sie kehrten ja noch Rom zurück und huldigten dem blonden Goten. Wenn ihnen nun der schwarze Gote die Köpfe abschlägt, müssen sie's haben. Getrost, ihr habt zu düster gesehen, alle! Des Narses erdrückende Übermacht hat euch eingeschüchtert. Er ist ein großer Feldherr, aber, daß er diesen Vertrag mit Rom geschlossen - mich und ja keinen andern einzulassen! - und daß er ihn hält - das zeigt, daß er als Staatsmann ungefährlich ist. Laßt uns nur erst wieder die Luft des Kapitols atmen, Epileptiker vertragen sie nicht.» Und als am andern Morgen die jungen Tribunen den Präfekten von seinem Zelt abholten zum allgemeinen Aufbruch gegen Teja, empfing sie ihr Führer mit strahlenden Augen. «Nun», sprach er, «wer kennt nun die Römer, ihr oder der Stadtpräfekt von Rom? Hört - aber schweigt. - Heute Nacht stahl sich aus Rom in mein Zelt ein Centurio der neu errichteten Stadtkohorten, Publius Macer: ihm ist die Porta Latina, seinem Bruder Marcus das Kapitol anvertraut vom Papst. Er zeigte beide Bestallungen, ich kenne des Pelagius Schrift - sie sind echt. Sie sind längst der Priesterherrschaft müde. Sie wollen mich und euch und meine Isaurier gern wieder schreiten sehen auf den Mauern Aurelians und des Präfekten. Er ließ mir seinen Neffen Aulus, zugleich als Pfand und als Geisel zurück: dieser wird uns, von ihm in verabredetem, harmlosem Briefwort gemahnt, die Nacht bezeichnen, da jene uns das Tor und das Kapitol erschließen. Narses kann sich nicht beklagen, wenn uns die Römer selbst freiwillig einlassen: - ich versuche ja nicht Gewalt. Nun, Licinius, sprich Julianus, wer kennt nun Rom und die Römer?» Fünftes Kapitel Narses zog jetzt auf Anagnia. Zwei Tage nach seiner Ankunft trafen, wie ihnen vorgeschrieben war, die beiden Flügelheere daselbst ein. Nach einigen Tagen der gemeinsamen Erholung, Musterung und Neugliederung seiner ungeheuren Massen zog der Feldherr nach Terracina, wo die Reste der Truppen des Armatus und Dorotheos sich anschlossen, und alsbald wälzte sich nun das vereinigte Heer gegen die Goten, die, südlich von Neapolis, auf dem Vesuvius (bei Nuceria) gegenüberliegenden Mons Lactarius, dem Milchberg, an beiden Ufern des kleinen Flusses Draco (der sich nördlich von Stabiä ins Meer ergießt), eine ausgezeichnet feste Stellung innehatten. Seit dem Abmarsch von Cumä, an Neapolis vorbei (- die Bürger dieser Stadt schlossen ihre von Totila vortrefflich wieder hergestellten Tore, überwältigten die drei gotischen Hundertschaften der Besatzung und erklärten: sie würden dem Beispiel Roms folgend, ihre Feste vorläufig beiden Parteien verschlossen halten -) und seit der Erreichung des längst gewählten Schlachtfeldes hatte König Teja alles aufgeboten, die von Natur aus so starke Stellung noch mehr zu verstärken. Und überall hatte er Lebensmittel aus der strotzend reichen Landschaft nach dem Berge schaffen lassen, ausreichend, um sein Volk so lang zu nähren, bis der letzte Tag der Goten leuchten sollte. Es ist ein vergebliches Bemühen gelehrter Untersuchungen geblieben, an dem Mons Lactarius oder an dem Vesuvius eine Örtlichkeit zu finden, die ganz genau der Beschreibung Prokops entspräche. Für keine der zahlreichen aufgestellten Schluchten oder Pässe kann man sich entscheiden. Gleichwohl darf man um deswillen keineswegs den auf die Aussagen der Augenzeugen, der Heerführer und Doryphoren des Narses, gestützten Bericht des byzantinischen Geschichtsschreibers bezweifeln. Vielmehr erklärt sich diese Nichtübereinstimmung sehr einfach aus den plötzlichen großen, gewaltsamen und aus den noch viel zahlreicheren allmählichen, kleineren durch Lavafluß, Felssturz, Zermürbung und Auswaschung bewirkten Veränderungen, die eine Zeit von mehr als dreizehn Jahrhunderten an jenem niemals ruhenden Berge vorgenommen. Lassen sich doch glaubhafte Angaben viel späterer italienischer Schriftsteller über die Örtlichkeiten und Maßverhältnisse viel jüngerer Zeiten am Vesuvius mit der dermaligen Wirklichkeit oft nicht mehr vereinbaren. Der Boden, der Herzblut aufgesogen, ist wohl lange schon von tiefen Lavaschichten befriedend überdeckt. Selbst Narses bewunderte die Umsicht, mit welcher sein barbarischer Gegner diese Verteidigungsstellung gewählt. «Er will fallen wie der Bär in der Höhle!» sprach er, als er, von Nuceria aus, vom Norden her, in seiner Sänfte die ganze gotische Umwallung betrachtete. «Und mancher von euch, liebe Wölflein», lächelte er Alboin zu, «wird von dem Schlag seiner Pranke umtaumeln, wann sie in jenen schmalen Höhleneingang eintraben.» «Ei, es müssen gleich so viele auf einmal hineinrennen, daß er aufs erstemal beide Pranken voll bekommt und nicht nochmal ausholen kann.» «Nur gemach, ich weiß an jenem Vesuv einen Paß - früher, da ich noch auf diesen elenden Leib mit Heilungshoffnungen Pflege wandte, habe ich 'mal wochenlang auf dem Mons Lactarius die gebraucht und dabei den Paß mir sehr wohl eingeprägt - wenn sie darinnen stecken treibt sie nur der Hunger heraus.» «Das wird langweilig.» «Geht aber nicht anders. Ich habe nicht Lust, nochmal eine Myriade kaiserlicher Truppen zu opfern, diese letzten Funken auszutreten.» - Und so geschah's. Sechzig Tage noch standen sich seit dem Eintreffen des Narses beide Heere einander gegenüber. Ganz allmählich, mit blutigen Verlusten jeden Schritt erkämpfend, schnürte Narses sein erwürgendes Netz enger und enger. Er deckte im Halbkreis alle Punkte im Westen, Norden und Osten der gotischen Stellung; nur den Süden, das Meer, an dessen Strand er selbst lagerte, konnte er, neben seinen Zelten, offen lassen, da die Feinde keine Schiffe hatten, zu fliehen oder sich Vorräte zu schaffen: die «tyrrhenische» Flotte des Narses war schon beschäftigt, die gefangenen Goten nach Byzanz zu tragen. Die «jonische» wurde demnächst erwartet. Einige ihrer Schiffe waren früher schon abgeordnet worden, in der Bucht von Bajä bis Surrentum zu kreuzen; gotische Segel gab es nicht mehr, nachdem die letzten von ihren Führern den Feinden übergeben waren. So besetzte Narses, mit zäher Geduld, trotz seiner Übermacht, nichts übersehend, allmählich Piscinula, Cimiterium, Nola, Summa, Melane, Nuceria, Stabiä, Cumä, Bajä, Misenum, Puteoli, Nesis. Alsbald aber erschrak nun auch Neapolis vor der Macht der Narses und öffnete ihm freiwillig die Tore. Von allen Seiten rückten die Byzantiner gegen die rings Umschlossenen vor. Nach heftigen Kämpfen gelang es, diese von dem Mons Lactarius hinweg auf die rechte Seite des Flusses Draco zu drängen, wo der Rest des Volkes hinter dem unvergleichlichen, von Narses gepriesenen Engpaß auf einem Hochfeld nahe einem der zahlreichen damaligen Nebenkrater der Mittelhöhe lagerte, nur selten, bei der Windrichtung aus Südost, unter dem Rauch und den Dünsten des Berges leidend. Hier, in den zahlreichen Klüften, Höhlungen, Einsenkungen des Berges, lagerten in der warmen Luft des August unter freiem Himmel oder luftigen Zelten die Unwehrhaften auf den mitgeführten Wagen. Den einzigen Zugang aber zu dieser Lagerung bildete ein enger Felsenpaß, an seiner Südöffnung so schmal, daß ihn ein Mann mit dem Schilde bequem ausfüllen konnte. Diesen Zugang, bewachten, abwechselnd, je eine Stunde, Tag und Nacht, König Teja selbst, Herzog Guntharis, Herzog Adalgoth, Graf Grippa, Graf Wisand, Aligern, Ragnaris und Wachis: hinter ihnen füllte den Engpaß, ebenfalls wechselnd, eine gotische Hundertschaft. Und so hatte sich denn der ganze furchtbare Krieg, der Kampf um Rom und Italien, dem System des Narses gemäß, mit dramatischer Folgerichtigkeit zugeschärft zu dem Kampf um eine mannesbreite Kluft an der Südspitze der so warm geliebten, so zäh verteidigten Halbinsel. Auch in der geschichtlichen Darstellung Prokops erscheint die Vollendung der gotischen Geschicke wie der letzte Akt einer großartigen Tragödie der Geschichte. - Am Strand, vor dem Hügel, von welchem man zu jenem Paß emporstieg, hatte nun Narses mit den Langobarden sein Lager aufgeschlagen, ihm zur Rechten Johannes, ihm zur Linken Cethegus. Der Präfekt hob es seinen Tribunen hervor, daß Narses durch Überlassung dieses Platzes Cethegus hatte ihn selbst gewählt -entweder einen Beweis großer Unvorsichtigkeit oder voller Harmlosigkeit gegeben hatte. «Denn», sagte er, «damit ließ er mir den Weg nach Rom, den er mir durch Zuteilung des rechten Flügels oder des Mitteltreffens verlegt hätte. Haltet euch bereit, sowie der Wink aus der Stadt eintrifft, mit allen Isauriern nachts heimlich nach Rom zu eilen.» «Und du?» fragte Licinius besorgt. «Ich bleibe hier, bei dem Gefürchteten! Hätte er mich morden wollen, längst hätte er es gekonnt. Er will es offenbar nicht. Er will nicht ohne Rechtsgrund gegen mich handeln. Und folge ich dem Ruf der Römer, so erfülle ich, breche nicht unsere Übereinkunft.» Sechstes Kapitel Oberhalb des Engpasses am Vesuv, den wir die Gotenschlucht nennen mögen, wölbte sich eine schmale Höhlung in den schwarzen Lavafels, in ihren Tiefen hatte König Teja die heiligen Schätze des Volkes - den Königsleichnam und den Königshort - geborgen. Theoderichs Banner war vor der Mündung aufgesteckt. Ein purpurner Königsmantel, an vier Speeren aufgespannt, bildete den dunkelglühenden Vorhang des Felsgemachs, wo der letzte Gotenkönig seine Königshalle errichtet hatte: ein Lavablock, von dem Felle des schwarzen Panthers bedeckt, war sein letzter Thron. Hier weilte König Teja, wann ihn nicht seine eifersüchtig gewahrte Wachtstunde vornhin an die Südmündung der Gotenschlucht rief, auf die unaufhörlich, bald von fern mit Pfeilen, Schleudern und Wurfspeeren, bald aus der Nähe in kühnem, plötzlichem Anlauf die Vorposten des Narses Angriffe unternahmen. Keiner der heldenhaften Wächter kehrte abgelöst heim, der nicht an Schild und Harnisch Spuren solcher Angriffe mitbrachte oder sie zurückließ vor dem Eingang in Gestalt erschlagener Feinde. So häufig begegnete dies, daß die Verwesung der Erschlagenen - denn diese fortzutragen wagte niemand - den Aufenthalt an dem Paßeingang unmöglich zu machen drohte. Narses schien hierauf gezählt zu haben. Als Basiliskos diese nutzlosen Opfer beklagte, hatte er entgegnet: «Sie nützen vielleicht nach ihrem Tode mehr als in ihrem Leben.» Aber König Teja befahl, zur Nacht die Leichen über das schroffe Lavageklippe zu werfen, so daß sie, grauenhaft zerrissen, von der Nachfolge hinwegzuschrecken schienen. Da erbat Narses eilfertig die Gunst, die Erschlagenen durch Unbewaffnete abholen lassen zu dürfen, was der König gewährte. Seit dem Rückzug in diese Schlucht hatten die Goten noch nicht einen Mann im Kampf verloren, denn nur der vorderste im Engpaß war den Feinden erreichbar; und dieser Wächter, unterstützt von den hinter ihm stehenden Genossen, war noch nie erlegt worden. Eines Abends, nach Sonnenuntergang - es war nun September und die Spuren des Kampfe s von Taginä schon fast getilgt; die Blumen, welche Cassiodor und die Religiosä des Klosters neben den drei Sarkophagen seiner Braut und seines Freundes angepflanzt, hatten schon frische Keime getrieben - schritt König Teja, abgelöst von Wisand, dem Bandalarius, den Speer auf der Schulter, nach seiner Lavahalle. Vor dem Vorhang schon empfing ihn Adalgoth, ihm, wehmütig lächelnd, kniend den hohen Goldpokal kredenzend. «Laß mich immerhin noch meines Mundschenkamtes warten: -wer weiß, wie lang's noch währt.» «Nicht lange mehr!» sprach Teja ernst, sich niederlassend. «Wir wollen hier außen bleiben, vor dem Vorhang. Sieh, wie prachtvoll die ganze Bucht von Bajä bis Surrentum im Schimmer der eben versunkenen Sonne glüht: - das blaue Meer ward purpurfarben Blut. Wahrlich, keinen schöneren Rahmen konnte das Südland gewähren, die letzte Schlacht der Goten drein zu fassen. Wohlan, das Bildnis sei des Rahmens wert. Es drängt zum Ende. Wie sich nun alles erfüllt hat, was ich geahnt geträumt - gedichtet». Und der König stützt das Haupt auf beide Hände. Er sah erst wieder auf, als ein silberner Harfenklang ihn weckte. Adalgoth hatte verstohlen des Königs kleine Harfe hinter dem Vorhang herausgelangt. «Horch, Herr König», sagte er, «wie ich - oder wie sich selbst - dein Lied von der Lavaschlucht vollendet hat. Gedenkst du noch der Nacht zu Rom in der Wildnis von Efeu, Marmor und Lorbeer? Nicht eine vergangene Schlacht, aus Vorzeittagen: -deinen, unsern eignen letzten Heldenkampf hast du, vorschauend, an diesem Ort geahnt.» »Wo die Lavaklippen ragen An dem Fuße des Vesuvs, Durch die Nachtluft hört man klagen Töne tiefen Weherufs, Denn ein Fluch von tapfern Toten Lastet auf dem Felsenring: Und es ist das Volk der Goten, Das hier glorreich unterging.» «Ja, glorreich, mein Liebling. Das soll uns kein Schicksal und kein Narses rauben. Das fürchterliche Gottesurteil, das unser teurer Totila heraufgefordert - es ist grauenvoll ergangen über den Mann, sein Volk und seinen Gott. Kein Gott im Himmel hat, wie jener Edle wähnte, in gerechter Waage unser Schicksal gewogen. Wir fallen durch tausendfachen Verrat der Welschen, der Byzantiner und durch die dumpfe Übermacht der Zahl. Aber wie wir fallen, unerschüttert, stolz noch im Untergang: - das konnte kein Schicksal, nur der eigne Wert entscheiden. Und nach uns? Wer wird nach uns herrschen in diesen Landen? Nicht lange dieser Griechen Tücke -, und nicht der Welschen eigne Kraft -: noch hausen viele der Germanenstämme jenseits der Berge - sie setz' ich ein zu unsern Erben und Rächern.» Und leise nahm er die Harfe auf, die Adalgoth niedergelegt, und sang leise, hinabschauend in das rasch nächtig gewordene Meer. Und die Sterne standen schon über seinem Haupt. Und nur manchmal griff er in die Saiten: «Erloschen ist der helle Stern Der hohen Amelungen. O Dietrich teurer Held von Bern, Dein Heerschild ist gesprungen. Das Feige siegt - das Edle fällt Und Treu und Mut verderben: Die Schurken sind die Herrn der Welt: Auf, Goten, laßt uns sterben! O schöner Süd, o schlimmes Rom, O süße Himmelsbläue O blutgetränkter Tiberstrom O falsche, welsche Treue. Noch hegt der Nord manch kühnen Sohn Als unsers Hasses Erben: Der Rache Donner grollen schon: - Auf, Goten, laßt uns sterben!» «Die Weise gefällt mir», rief Adalgoth - «aber ist sie schon zu Ende, der Schluß?» «Den Schluß kann man nur zum Takt der Schwerterstreiche singen», sprach Teja, «Du hörst, dünkt mir, bald auch den Schluß.» Und er stand auf. «Geh, mein Adalgoth», sagte er, «laß mich allein. Allzulange schon habe ich dich ferngehalten von» - da lächelte er durch seine Trauer - «von der lieblichsten aller Herzoginnen. Wenige solche Abendstunden habt ihr noch zusammen, arme Kinder. Euch, wenn ich retten könnte, ihr junges, zukunftknospendes Leben... -» Er strich mit der Hand über die Stirn. «Torheit», sprach er dann. «Ihr seid auch nur ein Stück von dem todverfallnen Volk: - freilich das holdeste.» Adalgoths Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, da der König seines jungen Weibes gedacht. Nun trat er dicht an Teja heran und legte ihm fragend die Hand auf die Schulter. «Ist keine Hoffnung? Sie ist so jung!» «Keine», sprach Teja: «denn es steigen keine Engel rettend vom Himmel. Noch wenige Tage, bis der Mangel anhebt. Dann mach' ich ein rasches Ende. Die Männer brechen hervor und fallen im Kampf.» «Und die Weiber, die Kinder - die Tausende?» «Ich kann ihnen nicht helfen. Ich bin nicht der allmächtige Gott der Christen. Aber in die Byzantiner Sklaverei soll kein gotisch Weib und Mädchen fallen, das nicht die Schande wählt statt freien Todes. Sieh hin - mein Adalgoth - schon zeigt die dunkle Nacht die Bergglut voll. - Siehst du: - dort hundert Schritte rechts von hier - ha, wie herrlich die Flammen aus der dunkeln Mündung steigen! - wann des Passes letzter Wächter fiel - ein Sprung dahinab -: und keines Römers freche Hand rührt an unsere reinen Frauen. Ihrer gedenk' -: noch mehr als unsrer, denn wir können fallen allüberall -. Der Goten Frauen eingedenk, kor ich zur letzten Walstatt: - - den Vesuvius!» Und begeistert, nicht mehr weinend, warf sich Adalgoth an seines Königs Brust. Siebentes Kapitel Wenige Tage, nachdem Cethegus mit seinen Söldnern die von ihm gewählte Stellung eingenommen zur Linken des Narses, kam in das Lager der Byzantiner die Kunde von der Bezwingung der Goten in dem Grabmal Hadrians. So war nun ganz Rom den Römern wiedergegeben: kein Gote und, fügte Cethegus frohlockend in Gedanken bei, kein Byzantiner wartete mehr in seinem Rom. Gelang es nun, die Isaurier unter Führung der Tribunen in die Stadt zu werfen, so stand der Präfekt Narses noch viel günstiger gegenüber als je Belisar, mit welchem er sich in den Besitz der Stadt hatte teilen müssen. Einer der Boten, welche die Nachricht aus Rom überbrachten, gab zugleich dem als Geisel behaltenen Aulus einen Brief der beiden Centurionen, der Brüder Macer, der besagte: «die Braut ist der langen Krankheit genesen, sobald der Bräutigam kommen will, steht der Hochzeit nichts mehr entgegen von den nächsten Ide an: komm, Aulus.» Es waren die verabredeten Worte. Cethegus teilte sie seinen römischen Rittern mit. «Wohlan», sagte Licinius entschlossen, «so werd' ich denn die Stätte mit einem Denkstein schmücken können, wo mein Bruder für Rom und für Cethegus fiel.» - «Ja, unverjährbar ist der Römer Recht auf Rom», fiel Salvius Julianus ein. «Nur sorge, Präfekt», mahnte Piso, «daß dem größten Krüppel aller Zeiten unser Abmarsch so lang verborgen bleibt, bis er uns nicht mehr einholen kann, wenn wir heimlich, gegen seinen Willen, aufbrechen sollen.» «Nein», sprach Cethegus, «das sollt ihr nicht. Ich habe mich überzeugt, daß weit über unsere Stellungen auf dem linken Flügel hinaus der vorsichtigste aller Helden noch Vorposten aufgestellt: seine langobardischen Wölflein, die er überall verteilt hat: was wir für unsere Vorposten hielten, ist umsäumt von seinen Vorposten. Weder mit Gewalt noch mit Täuschung könnt ihr euren Abzug ohne seinen Willen bewirken. Es ist auch weit klüger, offen zu handeln. Wenn er will, kann er es vereiteln, und er erfährt es doch. Aber er wird nichts dagegen haben - ihr werdet es erfahren -. Ich künde ihm meinen Entschluß an, und ihr werdet sehen: er heißt ihn gut.» «Feldherr, das ist sehr gewagt, sehr groß.» «Es ist das einzig Mögliche.» «Ja, du hast recht, wie immer, o Cethegus», stimmte nach einigem Besinnen Salvius Julianus bei. «Gewalt und Täuschung sind unmöglich. Und willigt er ein, dann will ich gern gestehn, daß meine Besorgnisse... » «Auf Überschätzung des Staatsmannes Narses beruhten. Euch haben die dicken Zahlen eingeschüchtert und die freilich gar nicht zu überschätzende Feldherrngröße des Kranken. Ja, ich gestehe es: vor Taginä sah es gewitterschwül aus -, aber da ich noch lebe, waren jene Annahmen Irrtümer. Ich schicke euch beide selbst sofort mit meiner Anfrage an Narses; ihr seid mißtrauisch; ihr werdet also scharf beobachten. Geht, sagt ihm: die Römer wollten mich, den Stadtpräfekten, jetzt schon, noch vor Vernichtung der Goten Tejas, in ihre Mauern lassen. Ich ließe ihn fragen, ob er gestatten wolle, daß ihr mit meinen Isauriern sofort nach Rom abzöget, oder ob er darin eine Verletzung unseres Übereinkommens erblicke: ohne seinen Willen würden die Isaurier und ich nicht aufbrechen.» Die beiden Tribunen schieden voneinander und Piso lachte beim Hinausschreiten aus dem Zelt des Präfekten. «Länger hat euren Geist die Krücke des Narses als meine Finger der Knüttel des Hirten unbrauchbar gemacht.» Als sie draußen waren, eilte Syphax auf seinen Herrn zu: «O Herr», sprach er ängstlich, «mißtraue diesem Kranken mit dem ruhigen, durchdringenden Auge. Ich habe in letzter Nacht wieder das Schlangenorakel gefragt: die abgestreifte Haut meines Gottes, in zwei Hälften geteilt, auf Kohlen gelegt das Stück überlebte das Stück lange, lange. Soll ich nicht noch einmal versuchen? Du weißt, ein Hautritz mit diesem Dolche, und er ist verloren. - Was liegt daran, wenn sie dann Syphax pfählen, des Hiempsals Sohn. - Mit List geht es nicht: - der Langbärtge Fürst schläft in seinem Zelt, das Feldbett quer vor den Eingang gerückt, und sieben seiner liegen auf der Schwelle. Die Heruler stehen Wache vor der Tür. Ich habe, deinem Wink gemäß, seit Helvillum alle Nachtlager ausgespäht: kaum eine Stechfliege entgeht den Herulern und Langobarden, fliegt sie ins Zelt. Aber offen, bei Tage, einen Sprung in seine Sänfte eine Hautwunde, und er ist ein toter Mann in einer Viertelstunde.» «Und noch vorher nicht nur Syphax, des Hiempsals Sohn, -auch Cethegus. Nein. Aber höre: ich habe entdeckt, wo der Feldherr seine Geheimgespräche mit Basiliskos, auch mit Alboin, hält. Nicht im Zelt - das Lager hat tausend Ohren -: im Bade. Die Ärzte haben ihm ein Morgenbad im Meeresschlamm im Golf von Bajä verordnet: eine Badehütte haben sie ihm ins Meer gebaut, nur auf dem Kahne zu erreichen. Bevor Basiliskos und Alboin ihn dahin begleiten, sind sie nur so gescheit wie - nun, wie Basiliskos und Alboin. Kommen sie aber von daher zurück -sind sie immer von narsetischer Klugheit, wissen, was aus Byzanz für Briefe gekommen und andres mehr. Rings um die Badehütte wogt Schilf - Syphax, wie lange kannst du tauchen?» «Lange genug», sprach der Maure, nicht ohne Stolz, «bis sich das schwerfällige und mißtrauische Krokodil in unsern Strömen die als Köder ins Schilf geworfene Gazelle genau genug betrachtet und sich endlich entschlossen hat, darauf los zu schwimmen - dann das Messer von unten in den Bauch. Dieser kleinäugige Narses hat etwas vom Krokodil - laß sehen, ob ich nicht auch ihn überdauere in geduldigem Tauchen.» «Vortrefflich, mein Panther zu Lande, meine Tauchente zu Wasser!» «Auch ins Feuer spräng' ich für dich, mein Skorpion.» «Ja, belausche diese Badegespräche des Kranken.» «Das schließt sich vortrefflich an ein anderes Spiel. Seit mehreren Tagen winkt und blinzelt mich ein Fischer immer so einfältig klug an, der morgens und abends seine Netze wirft und nie was fängt. Ich glaube: er lauert auf mich, nicht auf die Meeräschen. Aber die langbärtigen Wölflein dieses Alboin sind mir immer auf den Fersen -: vielleicht erwische ich, aus dem Wasser tauchend, was mir dieser Fischer vertrauen will.» Achtes Kapitel Ernsten Sinnes, aber nicht mehr in tränenweicher Stimmung, hatte Adalgoth seinem jungen Weibe den Entschluß des Königs und den letzten Ausweg aus Knechtschaft und Schmach mitgeteilt. Er erwartete einen Ausbruch des Schmerzes, wie er selbst ihn kaum niedergekämpft. Aber zu seinem Staunen blieb Gotho unerschüttert. «Ich habe das längst vorausgesehen, mein Adalgoth. Das ist kein Unglück -: ein Unglück ist nur, im Leben verlieren, was man liebt. Ich habe höchstes Erdenglück erreicht. Ich ward dein Weib. Ob ich das nun zehn Jahre bleibe oder zwanzig oder ein halbes kaum - das ändert nichts. So sterben wir zusammen, an einem Tag, wohl in einer Stunde. Denn König Teja wird nicht verbieten, wenn du in der letzten Schlacht dein Teil getan und, vielleicht verwundet, nicht weiter kämpfen kannst, daß du hierher zurückkehrst und mich auf den Arm nimmst - wie oft daheim auf dem Iffinger - und mit mir in die Tiefe springst. O mein Adalgoth», rief sie, ihn heftig umarmend, «wie glücklich waren wir! Wir wollen's verdienen durch mutigen Tod, ohne feiges Jammern. Der Baltensproß soll nicht sagen», lächelte sie, «das Hirtenkind habe nicht Schritt halten können mit seiner Seele. Mir steigt die Großheit unsrer Berge mächtig im Gemüt empor. Der Ohm Iffa hat mich beim Scheiden gemahnt, der frischen, freien Bergluft zu gedenken, der strengen, hehren Zucht der stolzen Höhen, wann uns das Leben in den niedern, engen Goldgemächern zu klein und dumpf auf den Seelen lasten würde. Das hat uns nicht bedroht. Aber auch nun, da es galt, die Seele emporzureißen zu diesem Todesentschluß aus zagem, weichem Schmerz - der mich auch wohl beschleichen wollte -auch um die stolze Kraft zum stolzen Tod zu finden, hat mich das Bild der Heimatberge stark gemacht: , sprach ich still zu mir, » Und stolz und selig drückte Adalgoth das junge Weib an die Brust. Hinter dem Zelt des Herzogs erhob sich die niedre Laubhütte, in welcher Wachis und Liuta hausten; diese, die von Gotho den drohenden Ausgang vernommen, hatte ihrem wackern Mann (der kopfschüttelnd an seinem von langobardischen Wurfpfeilen bei der letzten Schluchtwache übel zugerichteten Schilde flickte, stopfte und hämmerte und manchmal zu pfeifen versuchte, um das Ringen mit dem Schluchzen zu verbergen) sehr ernsthaft zureden müssen, ihn zu der gleichen Entsagung zu steigern. «Ich glaube nicht», sagte cfer Schlichte, «daß das der liebe Himmelsherr mit ansehen kann. Ich bin von denen, die niemals gern sagen: Die Stolzen, die das Haupt so hoch tragen wie König Teja und Herzog Adalgoth, die rennen freilich immer und überall an die Balken des Schicksals. Aber wir kleinen Leute, die wir uns fügen und ducken können, wir finden leicht noch ein Mausloch oder eine Mauerlücke zu entrinnen. Es ist doch gar zu niederträchtig! elend! grausam! hundsföttisch!» - und jedes Wort begleitete ein stärkerer Hammerschlag. - «Ich will's nicht glauben vom lieben Gott! -daß hier in die Tausende von braven Weibern und hübschen Mädchen und lallenden Kindern und von grauen Greisen in das höllische Feuer! dieses verfluchten! Zauberberges! springen sollen, als wär's ein lustig Sonnwendfeuer, und als kämen sie drüben heil und gesund wieder heraus. Verbrennen hätt' ich dich auch in dem Haus bei Fäsulä schon lassen können. Und nun sollst nicht nur du verbrennen -: auch unser kommend Kind, das ich jetzt schon vorbenannt habe.» «Oder: - !» fügte errötend Liuta leise bei, sich an ihres Mannes Schulter schmiegend und sein Hämmern hemmend. «Laß dich diesen Namen mahnen, Wachis. Denk' an Rauthgundis, die Herrin! War sie nicht tausendmal herrlicher als Liuta, die Flachsmagd? Und würde sie sich besinnen, sich weigern, zu sterben an einem Tag zusammen mit ihrem Volk?» «Recht hast du, Weib! rief Wachis, mit einem letzten grimmen Hammerschlag, daß die Funken stoben. «Weißt, ich bin von Bauernart -, wir wollen durchaus nicht gerne sterben! Aber fällt der Himmel ein, schlägt er auch alle Bauern tot. Und vorher - hassa! hau' ich noch manchen Hieb! Das wäre auch Herrn Witichis und Frau Rauthgundis recht! Ihnen zu Ehren - ja, du hast recht, Liuta wollen wir tapfer leben -, und geht's denn wirklich gar, gar nicht anders -, tapfer sterben.» Neuntes Kapitel Freudig erstaunt kehrten alsbald von Narses die beiden Tribunen Licinius und Julianus zurück in das Zelt des Präfekten. «Abermals hast du gesiegt, o Cethegus!» rief Licinius. «Du hast recht behalten, Präfekt von Rom», sprach Salvius Julianus. «Ich begreife es nicht, - aber Narses überläßt dir wirklich Rom.» -«Ah», frohlockte Piso, der mit eingetreten war, «Cethegus, das ist dein altes, cäsarisches Glück. Neu steigt dein Stern, der sich seit dieses unheimlichen Kranken Auftreten geneigt zu haben schien. Mir ist, auch sein Geist hat manchmal epileptische Anfälle. Denn, bei gesundem Geist dich, ohne Widerstand, nach Rom zu lassen - nein: quem deus vult perdere dementat! Nun wird Quintus Piso wieder auf dem Forum wandeln und an den Läden der Buchhändler nachsehen, ob die Goten fleißig seine (Briefe an den höchst liebenswürdigen und geliebten Hirtenknaben Adalogth und seinen Knüttel) gekauft haben.» «So hast du in der Verbannung gedichtet, wie Ovidius?» lächelte Cethegus. «Ja», meinte Piso, «die sechsfüßigen Verse kamen leichter, seitdem sie nicht mehr die Goten, die um einen Fuß länger sind, zu scheuen hatten. Unter dem Lärm gotischer Gelage war auch im Frieden schon nicht gut dichten gewesen.» «Darüber hat er drollige Verse gemacht, mit gotischen Wörtern dazwischen gemengt», warf Salvius Julianus ein. «Wie fingen sie nur noch an: » «Versündige dich nicht an meinen Worten. Falsch zitieren darf man das Unsterbliche nicht.» «Nun, wie lauten die Verse?» frug Cethegus. «Folgendermaßen», sprach Piso. Not audet quisquam dignos educere versus: Calliope madido trepidat se jungere Baccho, Ne pedibus non stet ebria Musa suis.> (Über die Gelage der Barbaren. Unter dem Gotischen: «Heil! schafft Essen und Trinken den Goten!» Kann kein vernünftiger Mensch ein erträgliches Verslein ersinnen: Vor dem Bacchus im Rausch bebt lang die verschüchterte Muse, Und dem benebelten Vers auch! versagen die taumelnden Füße.) «Schauderhafte Poesie», meinte Salvius Julianus. «Wer weiß», lachte Piso, «ob der Durst der Goten nicht unsterblich wird durch diese Verse.» «Aber meldet nun genauer: was hat Narses geantwortet?» «Er hörte uns erst sehr ungläubig zu», sprach Licinius. «, fragte er mißtrauisch, Ich aber erwiderte: er unterschätze wohl der Römer Römertum. Und es sei deine Sache, ob du dich getäuscht. Ließen uns die Römer nicht freiwillig ein, so seien siebentausend Mann doch gewiß zu schwach, die Stadt zu stürmen. Das schien ihm einzuleuchten. Er verlangte nur das Versprechen, daß wir, wenn nicht freiwillig eingelassen, nicht Gewalt versuchen, sondern dann sofort hierher zurückkehren würden.» «Das glaubten wir in deinem Namen versprechen zu dürfen», ergänzte Julianus. «Ihr durftet», lächelte Cethegus. «, sagte Narses, Er setzte also voraus: du führtest selber deine Isaurier nach Rom! Und auch dawider hat er nichts! Er war sichtlich erstaunt, als ich entgegnete: du zögest vor, hier den Untergang der Goten mit anzusehen.» «Nun, wo ist er denn, dieser schreckliche Narses, der überlegene Staatsmann? Auch mein Freund Prokop hat ihn arg überschätzt, als er ihn mir einmal nannte.» «Der größte Mann der Zeit heißt: - - anders!» rief Licinius. «Prokop natürlich muß seines Belisars überlegenem Feinde die Palme zuerkennen vor allen Erdensöhnen. Aber diesen plumpsten Schnitzer des , mich freiwillig nach Rom zu lassen, sollte man fast benutzen», fuhr Cethegus nachsinnend fort. «Die Götter könnten zürnen, wenn wir solche Mirakel der Verblendung, die sie für uns vollbringen, nicht nützen. Ich ändere meinen Entschluß: - mich zieht es nach dem Kapitol: - ich gehe mit euch nach Rom. Syphax, wir brechen auf, sogleich - sattle mein Roß.» Da gab Syphax seinem Herrn einen warnenden Wink. «Verlaßt mich, Tribunen», sprach Cethegus. «Gleich ruf ich euch wieder.» «O Herr», rief Syphax eifrig, als beide allein waren, «nur heute gehe noch nicht. Sende jene voraus. Morgen früh angle ich zwei große Geheimnisse aus der See. Ich sprach heute schon, unter seinem Boote durchtauchend, jenen Fischer. Er ist kein Fischer. Er ist ein Sklave, ein Briefsklave Prokops.» «Was sagst du?» rief Cethegus rasch und leise. «Wir konnten nur wenige Worte flüstern. Die Langbärte standen am Ufer, mich beobachtend. Sieben Briefe Prokops, offen und heimlich geschickt, haben dich nicht erreicht. Drum wählte er diesen klugen Boten. Heute in dieser Nacht fischt er bei Fackellicht auf Thunfische. Dabei wird er mir den Brief Prokops geben. Er hatte ihn heute nicht bei sich. Und morgen früh, - heute hemmte die Krankheit - morgen badet Narses wieder im Meeresschlamm. Ich habe nun einen Versteck im Schilf gefunden, prächtig nahe: - und ich kann pfeifen, wie die Otter, falls sie wirklich Blasen aufsteigen sehen sollten aus dem Wasser. Ich sah die kaiserliche Post mit dicken Felleisen ankommen: Basiliskos nahm sie in Empfang. Warte nur noch bis morgen früh, gewiß verhandelt Narses morgen mit ihm und Alboin die neuesten Geheimnisse aus Byzanz. Oder laß mich allein zurück...-» «Nein, das würde dich als Späher sofort kennzeichnen. Du bist mehr wert als zehnfach dein Gewicht in Gold, Syphax. Ich bleibe bis morgen noch», rief er den wieder Eintretenden entgegen. «O Feldherr, komm mit uns», bat Licinius. «Fort aus der erdrückenden Nähe dieses Narses», mahnte Julianus. Aber Cethegus furchte die hohe Stirn. «Überragt er mich noch immer in euren Augen? Der Tor, der Cethegus aus seinem Langobardenbewachten Lager nach Rom entläßt, den Hecht aus seinem Netz zurück ins Wasser wirft! Allzusehr doch hat er euch eingeschüchtert! Morgen abend folg' ich euch. Ich habe hier noch ein Geschäft, das nur ich verrichten kann. Rom ohne Widerstand besetzen, das könnt ihr auch ohne mich. Ich hole euch aber gewiß unterwegs schon bei Terracina ein. Wenn nicht, rückt ruhig in Rom ein. Du, Licinius, wahrst mir das Kapitol.» Mit leuchtenden Augen erwiderte Licinius: «Hoch ehrst du mich, mein Feldherr! Mit meinem Herzblut steh' ich dir dafür ein. Darf ich eine Bitte wagen?» - «Nun?» - «Setze dich nicht wieder so tollkühn dem Speerwurf des Gotenkönigs aus! Vorgestern warf er zwei Speere zugleich gegen dich: mit der Linken und mit der Rechten. Wenn ich nicht mit dem Schilde den aus der linken Hand gefangen... -» «Dann, mein Licinius, hätte ihn der Jupiter des Kapitols von mir hinweggeblasen. Denn er braucht mich noch! Aber du meinst es treu.» «Laß Roma», mahnte Licinius, «nicht verwitwen!» Cethegus blickte ihn mit seinem unwiderstehlich gewinnenden Blick ehrender Liebe an. Und fuhr fort: «Salvius Julianus, du besetzest das Grabmal Hadrians: du, Piso, den Rest der Stadt am linken Tiberufer, zumal die Porta latina; durch diese folge ich euch. Narses allein öffnet ihr so wenig, wie weiland Belisar allein. Lebt wohl, grüßt mir mein Rom. Sagt ihm: der letzte Kampf um seinen Besitz, der zwischen Narses und Cethegus, habe mit des Cethegus Sieg geendet. Auf Wiedersehn in Rom! Roma eterna!» «Roma eterna!» wiederholten begeistert die Tribunen und eilten hinaus. «Oh, warum ist dieser Licinius nicht Manilias Sohn!» sagte Cethegus, dem Jüngling nachblickend, «Torheit des Herzens! Was bist du so zäh! Licinius, du sollst mir als mein Erbe Julius ersetzen! Oh, wärst du doch selber mein Julius!» Zehntes Kapitel Die Abreise des Präfekten nach Rom verzögerte sich um mehrere Tage. Narses zwar, der ihn zur Tafel zog, hielt ihn nicht zurück; er äußerte sogar sein Befremden, daß es den «Beherrscher des Kapitols» nicht mächtiger an den Tiberstrom zurückziehe. «Freilich», lächelte er, «ich kann verstehen: du hast diese Barbaren so lang in deinem Italien herrschen und siegen sehen, daß es dich verlangen mag, sie nun auch in deinem Italien fallen zu sehen. Aber ich kann nicht sagen, wie lange das noch anstehen wird. Zu stürmen ist jene Schlucht nicht, solang sie Männer wie dieser König decken. Schon mehr als tausend meiner Langobarden, Alamannen, Burgunden, Heruler, Franken und Gepiden fielen vor dem Paß.» «Schick' doch», warf Alboin verdrießlich ein, «auch einmal deine tapfern Romäer gegen die Goten. Die Heruler Vulkaris und Wilmut sind, kaum hier eingetroffen, von König Tejas Beil gefallen: der Gepide Asbad von Adalgoths, des Knaben Speer: mein Vetter Gisulf liegt schwertwund von des Herzogs Guntharis Streich: den Frankengrafen Butilin hat Wisand, der Bandalarius, mit der Bannerspitze erstochen: dem Burgunden Gernot hat der alte Waffenmeister mit seinem Steinbeil das Hirn gesegnet: den Alamannen Liuthari hat Graf Grippa, meinen Schildträger Klaffo ein gemeinfreier Gote erschlagen. Und um jeden dieser unsrer Helden liegen zu Dutzenden ihre Gefolgen. Und wenn gestern um Mitternacht nicht der Lavablock, auf dem ich stand, höchst verständigerweise gerade in dem Augenblick nach unten gerutscht wäre, als König Teja, der im Finstern sieht, seine fürchterliche Lanze warf, so war Rosamunde heute nicht mehr die schönste Frau, sondern die schönste Witwe im Langobardenreich. So kam ich mit häßlichen Schrunden davon, die einst der Heldensang nicht preisen wird, die mir aber viel lieber sind als König Tejas bester Speer im Bauch. - Aber ich meine: nun ist die Reihe an andern Helden: laß doch auch deine Makedonen und Illyrier dran. Wir haben's diesen jetzt oft genug vorgemacht, wie man vor jenem Nadelöhr stirbt.» «Nein, Wölflein. Diamant schneidet Diamant!» lächelte Narses. «Immer Germanen gegen Germanen: es sind euer allzuviele in der Welt.» «Auch von den Isauriern - das heißt von den meinen! -scheinst du diese väterliche Meinung zu hegen, Magister militum», sagte Cethegus: «kurz vor ihrem Aufbruch nach Rom hast du meine Isaurier zum Massensturm auf jene Schlucht befohlen -: der erste Massensturm, den du geboten: siebenhundert von meinen siebentausend sind liegengeblieben auf jenen Felsen, und Sandil, mein durch so viele Kämpfe erprobter Söldnerhäuptling, fand zuletzt doch auch dieses schwarzen Teja Schlachtbeil zu scharf für seine Sturmhaube. Schade! Er war mir wert.» «Nun, der Rest ist dir ja nun in deinem Rom geborgen. Jene Goten aber treibt nichts aus ihrem letzten Loch als Feuer. Wenn die Erde mir zuliebe doch auch einmal zucken wollte, wie zugunsten Belisars in Ravenna.» «Noch immer keine Kunde von dem Ausgang des Prozesses Belisars?» forschte lauernd Cethegus. «Neulich kamen Briefe aus Byzanz, nicht?» «Ich habe sie noch nicht alle gelesen. - - Oder, wenn nicht Feuer: - der Hunger. Und wann sie dann zum letzten Kampf ausbrechen, hörte wohl mancher lieber den Ganges als den Draco rauschen. - Nicht du, Präfekt! ich weiß, du kannst dem Tode kühn ins Auge sehn.» «Ich will die Dinge hier noch etwas abwarten. Es ist schlecht Reisewetter. Es stürmt und regnet ja unablässig. An dem ersten oder zweiten warmen Sonnentag breche ich auf nach Rom.» Das war es. Das Wetter war in der Nacht des Abzugs der Isaurier plötzlich umgeschlagen. Der Fischer, der in einem Dorfe bei Stabiä seine Behausung hatte, konnte sich nicht auf das Meer wagen, weniger des Sturmes als der Langobarden wegen, die ihn längst mißtrauisch beobachtet und schon einmal gefangengenommen hatten; erst als sein alter Vater herbeieilte und durch Zeugen dartat, daß Agnellus wirklich sein, des alten Fischers, Sohn sei, ließen sie ihn zögernd wieder los. Aber er konnte nicht wagen, scheinbar zu fischen, wann kein Fischer sonst Netze warf, und nur weit draußen in dem Wasser vermochte Syphax, der ebenfalls stets umspäht war, mit ihm zusammenzukommen. Die Ausgänge aller Lager, auch des jetzt halbleeren von Cethegus - nur dreitausend Thraker und Perser hatte Narses in der Isaurier verlassene Zelte gelegt - bewachten Tag und Nacht die Langobarden. Und auch das Meerschlammbad mußte Narses auf sonnigere Tage verschieben. Diese Geheimnisse aber, d. h. Prokops Brief und die Badegespräche des Narses, wollte Cethegus noch abwarten. Elftes Kapitel Des Präfekten altes Glück schien auch das Wetter nach seinen Wünschen rasch zu ändern. Prachtvoll leuchtete am Morgen nach der letzten Unterredung mit Narses die Sonne auf den blauschimmernden Golf von Bajä; und Hunderte von Fischerbooten eilten hinaus, die günstige Witterung zu nutzen. Syphax war mit dem ersten Morgengrauen, nachdem er seinen Platz auf der Schwelle des Zeltes seines Herrn den vier allein zurückgebliebenen Isauriern überwiesen, verschwunden. Als Cethegus das Morgenbad im Nebenzelt vollendet hatte und zum Frühmahl in sein Hauptzelt zurückkehrte, hörte er Syphax laut lärmend durch die Lagergassen schreien. «Nein!» rief er, «diesen Fisch dem Präfekten! Ich habe ihn bar bezahlt. Der große Narses wird doch nicht andrer Leute Fisch essen wollen.» Und mit diesen Worten riß er sich los von Alboin und einigen Langobarden sowie von einem Sklaven des Narses. Cethegus blieb stehen. Er erkannte den Sklaven: es war der Koch des meist kranken und immer sehr mäßigen Mannes, der fast nur für des Narses Gäste sich zu mühen hatte. «Herr», sprach der feingebildete Grieche, sich entschuldigend, in seiner Muttersprache zu dem Präfekten: «nicht mich schilt um diese Ungebühr. Was liegt mir an einer Meeräsche! Aber diese langbärtigen Barbaren zwangen mich, um jeden Preis den Fischkorb für Narses in Anspruch zu nehmen, den dein Sklave aus der See zurückbringen würde.» Ein zwischen Syphax und Cethegus gewechselter Blick genügte. Die Langobarden hatten das Griechische nicht verstanden. Cethegus gab Syphax einen Schlag auf die Wange und rief auf lateinisch: «Unnützer, frecher Sklave, kannst du denn niemals Sitte lernen? Soll nicht der kranke Feldherr das Beste haben?» Und unsanft entriß er den Korb dem Mauren und reichte ihn dem Sklaven: «Hier der Korb. Mögen die Fische Narses munden.» Der Sklave, der die Gabe deutlich genug abgelehnt zu haben glaubte, nahm den Korb kopfschüttelnd. «Was bedeutet das?» sagte er im Abgehn lateinisch. «Das bedeutet», antwortete, ihm folgend, Alboin, «daß der beste Fisch nicht in dem Korbe geborgen ist, sondern anderswo.» Im Zelte angelangt, griff Syphax eifrig in seinen Gürtel von Krokodilhaut, der, wasserdicht, ein Bündel von Papyrusrollen barg, und reichte sie rasch seinem Herrn. «Du blutest, Syphax?» «Nur wenig! Die Langbärte stellten sich, da sie mich im Wasser schwimmen sahen, als hielten sie mich für einen Delphin, und schossen mit ihren Pfeilen um die Wette auf mich.» «Pflege dich - ein Solidus für jeden Tropfen deines Blutes: -der Brief ist goldes- und bluteswert, wie es scheint. Pflege dich! Und die Isaurier sollen niemand einlassen.» Und nun allein im Zelt hob der Präfekt an zu lesen. Seine Züge verfinsterten sich: tiefer, immer tiefer ward die Mittelfurche der gewaltigen Stirn, immer fester und herber schlossen sich die Lippen. «An Cornelius Cethegus Cäsarius, den gewesenen Präfekten und gewesenen Freund zum letztenmal Prokopius von Cäsarea. Das ist das traurigste Schreibgeschäft, zu welchem ich je meine ehemalige und meine jetzige Schreibhand gebraucht. Und ich gäbe gern auch diese meine Linke, wie für Belisar meine Rechte, dahin, müßte ich diesen Brief nicht schreiben. Den Absagebrief, den Aufkündungsbrief unserer bald dreißigjährigen Freundschaft! An zwei Helden hatte ich geglaubt in dieser heldenlosen Zeit: an den Schwerthelden Belisar, an den Geisteshelden Cethegus. Den letzten muß ich fortan hassen, fast verachten... -» Der Leser warf den Brief auf den Lectus, darauf er lag: dann nahm er ihn mit gefurchten Brauen wieder auf und las weiter: «Nun fehlte nur noch, daß Belisar der Verräter wirklich gewesen wäre, als den du ihn darstellen wolltest. Aber Belisars Unschuld ist so leuchtend aufgedeckt worden wie deine schwarze Falschheit. Längst ward mir unheimlich bei deinen krummen Pfaden, auf welchen du auch mich ein gut Stück mitgeführt. Aber ich glaubte an dein selbstlos hohes Ziel: Italiens Befreiung. Nun aber durchschaue ich, als deine letzte Triebfeder, die maßlose, schrankenlose, scheulose Herrschsucht. Ein Ziel, eine Leidenschaft, die solche Mittel brauchen, sie sind entweiht für immer. Du hast den tapfersten Mann mit der treuen Kindesseele verderben wollen durch sein eignes, eben gebessertes Weib, deiner schändlichen Freundin Theodora und deiner eignen Herrschgier zum Opfer. Das ist teuflisch: und für immer wend' ich mich von dir.» Cethegus drückte die Augen zusammen. «Es darf mich nicht wundern» - sprach er dann vor sich hin. «Auch er hat seinen Abgott: Belisar! Wer dem klugen Manne den antastet, der ist ihm so greulich wie dem Christen, wer in dem Kreuz nur ein Stück Holz erblickt. Es darf mich also nicht wundern -: aber es schmerzt! Das ist die Macht dreißigjähriger Gewohnheit. Solang hüpfte etwas wärmer da unterm Harnisch bei dem Klang des Namens: . Wie schwach doch die Gewohnheit macht! Julius nahm mir der Gote: - Prokop nahm mir Belisar: - wer wird mir den Cethegus nehmen, meinen ältesten, letzten Freund? Niemand: auch Narses nicht: und nicht das Schicksal. Hinweg mir dir, Prokopius, aus meinem Lebenskreise. Du bist tot. Fast zu weinerlich, jedenfalls zu lang, ward die Grabrede, die ich dir gehalten. Was spricht er weiter, der Verstorbene?» «Ich aber schreibe dir dies, weil ich die lange Freundschaft, die du mit tückischem Angriff auf mein Sternbild Belisar geschlossen, meinerseits schließen will mit einem letzten Liebeszeichen: ich will dich warnen und retten, bist anders du zu warnen und zu retten. Sieben meiner früheren Briefe haben dich offenbar nicht erreicht - sonst weiltest du nicht mehr in des Narses Lager, wie dessen Kriegsberichte melden. So vertraue ich diesen achten meinem klugen Agnellus an, einem Fischersohn aus Stabiä, wo ihr ja nun lagert: ich schenke ihm die Freiheit und lege ihm diesen Brief als letzten Auftrag ans Herz. Denn, obwohl ich dich nur hassen sollte - : noch immer lieb' ich dich, Cethegus -. Man kann - weiß nicht warum, aber man kann nicht von dir lassen! - : und gern möcht' ich dich retten. Als ich, bald nach deiner Abreise, nach Byzanz kam - schon unterwegs hatte mich wie ein Donnerschlag die Kunde von Belisars Verhaftung (in einer Verschwörung wider Justinian!) erreicht - glaubte ich zuerst, du müssest getäuscht worden sein wie der Kaiser. Vergebens bemühte ich mich um Gehör bei dem Imperator: er wütete gegen alle Namen, die mit Belisar durch Freundschaft verknüpft waren. Vergebens versuchte ich, mit allen Mitteln, zu Antonina zu dringen: vortrefflich wurde sie - dank deinen Weisungen! - bewacht im roten Hause. Vergebens bewies ich Tribonian die Unmöglichkeit einer Verratsschuld Belisars: er zuckte die Achseln und sprach: Und verloren war er. Gefällt war der Spruch: Belisar zum Tode verurteilt. Antonina zur Verbannung. Des Kaisers Gnade hatte das in Blendung, Verbannung, fern von dem Exil Antoninas, und Vermögenseinzug verwandelt. Furchtbar lag dieses Wort auf Byzanz. Niemand glaubte an seine Schuld: ausgenommen der Kaiser und die Richter. - Aber niemand vermochte seine Unschuld zu beweisen, sein Schicksal zu wenden. Ich war entschlossen, mit ihm zu gehen: der Einarmige mit dem Blinden. Da hat ihn - und gesegnet soll er dafür sein! - gerettet: - - sein großer Feind Narses, den ich dir schon einmal den größten Mann des Jahrhunderts genannt habe.» «Natürlich», grollte Cethegus, «nun vollends ist er auch der Edelste.» «Aus den Bädern von Nikomedia, wo der Kranke weilte, war er, als ihn die Nachricht traf, sofort nach Byzanz geeilt. Er ließ mich rufen und sprach: Du weißt es: meine Wonne war es, Belisar in offner Feldschlacht gründlich zu schlagen. Aber so elend soll nicht, durch Lügen, untergehn, wer des Narses großer Feind gewesen. Komm mit mir, du, sein erster Freund, ich: sein erster Feind -: wir beide zusammen wollen ihn retten, den törichten Mann des Ungestüms.» Zwölftes Kapitel «Und er verlangte Audienz beim Kaiser, die der Gegner Belisars sofort erhielt. Da sprach er zu Justinian: Aber Justinian blieb taub. Narses jedoch legte seinen Feldherrnstab vor den Kaiser nieder und sprach: Wohlan: entweder du vernichtest den Spruch der Richter und bewilligst Neuaufnahme des Verfahrens, oder du verlierst an einem Tage deine beiden Feldherren. Denn an dem gleichen Tage mit Belisar geht Narses in Verbannung. Dann siehe zu, wer deinen Thron behütet vor Goten, Persern und Sarazenen.' Und der Kaiser schwankte und verlangte drei Tage Bedenkzeit: und inzwischen sollte Narses das Recht haben, mit mir die Akten einzusehen, Antonina und alle Angeschuldigten zu sprechen. Bald ersah ich aus den Akten, daß der schlimmste Beweis wider Belisar - denn jene Zusage auf der Wachstafel, die man bei Photius gefunden, hoffte ich hinwegdeuten zu können - der geheime nächtliche Verkehr des Anicius in seinem Hause war, den Belisar, Antonina, Anicius selbst wider allen Verstand hartnäckig leugneten. Als ich Antonina, die Verzweifelte, allein sprach, sagte ich ihr: - , rief sie leuchtenden Auges, Und sie gab mir eine Sammlung von Briefen des Anicius, die freilich, wenn dem Kaiser vorgelegt, alles erklären, aber auch - die Kaiserin furchtbar anklagen mußten. Und wie fest stand Theodora bei Justinian! Ich eilte mit den Briefen zu Narses. Dieser las und sprach: Und mit Antonina, von Wachen begleitet, eilten wir zu dem im Kerker langsam genesenden Anicius.» - Cethegus stampfte mit dem Fuß. - «Und dann wir alle vier zu Justinian. Die hochherzige Sünderin gestand, auf den Knien vor dem Kaiser, den nächtlichen Verkehr mit Anicius, der aber nur bezweckt habe, den Jüngling aus den Schlingen der Kaiserin zu lösen -: sie gab ihm des Anicius Briefe, die von der Verführerin, von ihren namenlosen Künsten, von dem geheimen Gang in ihr Gemach, von der drehbaren Justinianusstatue sprachen. Furchtbar loderte der arme Gatte empor. Er wollte uns alle wegen Majestätsbeleidigung, wegen maßloser Verleumdung auf dem Fleck verhaften lassen. Narses aber sprach: Der drehbare Justinianus! - das war so handgreiflich, die Beteuerung des Anicius, diese Geheimpforte oft durchschritten zu haben, so herausfordernd: - man konnte dergleichen doch kaum lügen. Justinianus nahm unsern Vorschlag an. In der Nacht führte Anicius den Kaiser und uns drei in die Gärten der Kaiserin. Ein hohler Platanenbaum barg die Mündung des unterirdischen Ganges, der unter dem Mosaik des Vorplatzes von Theodoras Grab endete. Bis dahin noch hatte Justinian seinen Glauben an die Kaiserin gewahrt. Als aber Anicius wirklich eine Marmorplatte beiseite schob, mit geheimem, aus seinem Hause geholtem Schlüssel ein Geheimschloß öffnete, und nun die Statue sichtbar ward - da sank der Kaiser, halb ohnmächtig, in meine Arme. Endlich raffte er sich auf und drang, an der Statue vorbei, er allein, in das Gemach. Dämmerlicht erfüllte den Raum. Die matt leuchtende Ampel zeigte das Pfühl Theodoras. Leise, wankenden Schrittes eilte der Betrogene an das Lager. Da lag Theodora, vollangekleidet, in kaiserlichem Schmuck. Ein greller Aufschrei Justinians rief uns alle an seine Seite. Und aus dem Vorgemach Galatea, deren ich mich sofort bemächtigte. Justinian wies, starr vor Entsetzen, auf die ruhende Kaiserin. -Wir traten hinzu - sie war tot. Galatea, nicht minder überrascht hiervon als wir, verfiel in Krämpfe. Wir untersuchten einstweilen das Gemach, und fanden auf goldnem Dreifuß die Asche zahlreicher verbrannter Papyrusrollen. Antonina rief Sklavinnen mit Licht herbei. Da erholte sich Galatea und erzählte, händeringend, die Kaiserin habe gegen Abend - das war die Zeit unserer Audienz gewesen -ohne Gefolge das Gartenviertel verlassen, den Kaiser, wie sie oft pflegte zu dieser Stunde, in seinem Schreibgemach aufzusuchen. Sehr rasch sei sie zurückgekommen: ruhig, jedoch auffallend bleich. Sie habe den Dreifuß mit glühenden Kohlen füllen lassen und darauf sich eingeschlossen. Auf Galateas Pochen habe sie am Abend geantwortet, sie sei schon zur Ruhe gegangen und bedürfe nichts weiter. Da warf sich der Kaiser wieder über die geliebte Leiche: und nun, im Glanz der Lichter, entdeckte er, daß an dem Schlangenring, einst Kleopatra eigen, den sie am kleinen Finger trug, die Rubinkapsel mit dem tödlichen Gift geöffnet war -: die Kaiserin hatte sich selbst getötet. Auf dem Citrustisch lag ein Streifen Pergament, darauf stand ihr alter Wahlspruch: . Wir zweifelten noch, ob etwa die Qualen ihrer Krankheit oder die Entdeckung ihres drohenden Sturzes sie zur verzweifelten Tat getrieben. Aber bald ward unser Zweifel gelöst. Als die Kunde von dem Tod der Kaiserin den Palast durchdrang, eilte Theophilos, der Velarius, der Türwächter des Kaisers, halb verzweifelt, in das Sterbegemach, warf sich vor Justinianus nieder und gestand: er ahne den Zusammenhang. Seit Jahren im geheimen Solde der Kaiserin habe er dieser jedesmal zu wissen getan, wann der Kaiser solche Audienzen erteilte, bei welchen er auch der Kaiserin, falls sie komme, den Zutritt im voraus versagte -. Sie habe dann fast immer aus einem Seitengemach die geheimsten Verhandlungen mit angehört. So habe er auch gestern getan, als wir, mit so ganz besondrer Einschärfung der Fernhaltung der Kaiserin, Audienz erhielten. Alsbald sei die Kaiserin erschienen, aber kaum habe sie von Anicius und Antonina einige Worte vernommen, als sie, mit leis ersticktem Schrei, in den Vorhängen zusammengesunken sei. Rasch gefaßt habe sie sich dann erhoben und sich, ihm Schweigen zuwinkend, entfernt. - - Narses drang in den Kaiser, Galatea auf der Folter nach weiteren Geheimnissen zu befragen, aber Justinian sprach: . Tag und Nacht blieb er allein, eingeriegelt, bei der Leiche der immer noch Geliebten, die er darauf mit höchsten kaiserlichen Ehren beisetzen ließ in der Sophienkirche. Amtlich wurde verkündet: die Kaiserin sei an Kohlendunst im Schlaf erstickt, und der Dreifuß mit den Kohlen ward öffentlich ausgestellt. Justinian aber war in jener Nacht ein Greis geworden. - Die nunmehr völlig übereinstimmenden Aussagen von Antonina, Anicius, Belisar, Photius, den Sklavinnen Antoninas, den Sänftenträgern, die dich kurz vor der Verhaftung Belisars an sein Haus getragen, deckten nun schlagend auf, daß du, im Bunde mit der Kaiserin, Belisar durch Antonina beredet habest, sich zum Schein an die Spitze der Verschworenen zu stellen: und ich beschwor, daß schon Wochen vorher Belisar mir seinen heiligen Zorn über das Ansinnen des Photius geäußert. Justinian eilte in Belisars Kerker, umarmte ihn unter Tränen, erbat Verzeihung für sich - und Antonina, die all ihre unschuldigen Liebeständeleien reuig beichtete und volle Vergebung erhielt. Der Kaiser bat Belisar, zur Sühne, den Oberbefehl in Italien anzunehmen. Belisar aber sprach: Und vor unsern gerührten Augen umarmten sich die beiden großen Feinde. Dies alles ist in tiefstes Geheimnis gehüllt, um das Andenken der Kaiserin zu schonen. Denn Justinian liebt sie noch immer. Es wurde verkündet: Belisars Unschuld sei von Narses, Tribonian und mir durch neu gefundene Briefe der Verschwornen aufgedeckt. Und Justinian begnadigte alle Verurteilten: auch Scävola und Albinus, die dereinst von dir Gestürzten. Ich aber schreibe dir die Wahrheit, dich zu warnen und zu retten. Denn, obzwar ich nicht weiß, in welcher Art und Weise, steht mir doch fest, daß Justinian deinen Untergang geschworen und Narses deine Vernichtung übertragen hat. Flieh -: rette dich! Dein Ziel: ein freies, verjüngtes, von dir allein beherrschtes Rom war ein Wahn. Ihm hast du alles, auch unsre schöne Freundschaft geopfert. Ich begleite Belisar und Antonina: und ich will suchen, in ihrer Nähe, an dem Anblick der vollversöhnten Gatten und ihres Glücks, den Ekel, Zweifel und Verdruß über alles Menschliche zu verwinden.» Dreizehntes Kapitel Cethegus sprang auf vom Lager, warf den Brief nieder und machte einen hastigen Gang durch das Zelt. «Schwächling Prokop! Und Schwächling Cethegus -: sich um eine dir verlorene Seele mehr zu ereifern! Hast du nicht Julius verloren, lang bevor du ihn getötet? Und lebst und ringst doch fort! Und dieser Narses, den sie alle fürchten, als sei er Gott Vater und der Teufel in einer Person: - soll er denn wirklich so gefährlich sein? Unmöglich! Er hat ja mir und den Meinigen blindlings Rom anvertraut! Nicht sein Verdienst, daß ich nicht in diesem Augenblick, unerreichbar seinen Händen, vom Kapitol herab Rom beherrsche und ihm Trotz biete. Bah: ich lerne es nicht mehr, mich zu fürchten auf meine alten Tage. Ich vertraue meinem Stern! Ist das Tollkühnheit? Ist's ruhigste Klugheit? Ich weiß es nicht. Aber mir ist: die gleiche Zuversicht hat Cäsar von Sieg zu Sieg geführt. Indes: hier habe ich kaum noch mehr zu erfahren aus den Badegesprächen des Narses, als ich aus diesem wortreichen Brief erfuhr.» Und er zerriß die Papyrusrollen in kleine Stückchen. «Ich breche auf, noch heute, auch wenn Syphax nichts weiter erlauscht in diesem Augenblick -: denn jetzt ist ja wohl die Badestunde.» Da ward von den Isauriern Johannes der Archon gemeldet und, auf des Cethegus Wink, hereingeführt. «Präfekt von Rom», sprach ihn dieser an, «ich habe dir ein altes Unrecht noch abzubitten. Der Schmerz um meinen Bruder Perseus hat mich damals argwöhnisch gemacht.» «Laß das ruhn», sprach Cethegus, «es ist vergessen.» «Aber unvergessen», fuhr jener fort, «ist mir deine heldenkühne Tapferkeit. Diese zu ehren und zu nützen zugleich komme ich mit einem Vorschlag zu dir. Ich und meine Kameraden, an Belisars frisches Drauflosgehen gewohnt, - wir finden diese vorsichtige Weise des großen Narses äußerst langweilig. Liegen wir nun doch bald zwei Monate vor jenem Paß, verlieren Leute und gewinnen wahrlich keinen Ruhm dabei. Aushungern will der Oberfeldherr die Barbaren! Wer weiß, wie lange das noch währt. Und dann wird es ein hübsches Gemetzel, wann sie endlich vorbrechen, von der Verzweiflung getrieben, jeden Tropfen Bluts teuer verkaufend. Es ist nun klar, wenn wir nun die Mündung des verfluchten Engpasses hätten... - » «Ja, wenn!» lächelte Cethegus. «Er ist nicht schlecht gehütet von diesem Teja.» «Eben deshalb muß er fallen. Er, der König, hält offenbar den ganzen Bündel lockerer Speere noch allein zusammen. Darum habe ich mit einer Schar - mehr als ein Dutzend etwa - der besten Klingen im Lager einen Bund geschlossen. Wir wollen -es kann ja immer nur einer zum Nahekampf heran, so schmal ist der Felsensteig - sooft den König die Wache trifft, einer nach dem andern - das Los entscheidet den Vortritt - den König bestehen. Die andern halten sich so nahe als möglich hinter dem Vorkämpfer, retten den Verwundeten, oder treten an des Gefallenen Stelle oder dringen mit dem Sieger nach des Goten Erlegung in den Paß. Außer mir sind dabei die Langobarden Alboin, Gisulf und Autharis, die Heruler Rodulf und Suartua, Ardarich der Gepide, Gundebad der Burgunde, Clothachar und Bertchramm, die Franken, Vadomar und Epurulf, die Alamannen, Garizo, der lange Bajuvare, Kabades der Perser, Althlas der Armenier, Taulantius der Illyrier. Wir möchten auch gern dein gefürchtet Schwert dabei haben. Du hassest diesen schwarzlockigen Helden. Willst du, Cethegus, mit im Bunde sein?» «Gern», sprach dieser, «solang' ich noch hier bin. Aber ich werde das Lager hier bald mit dem Kapitol vertauschen.» Ein seltsames, spöttisches Lächeln flog über des Archonten Antlitz, das Cethegus nicht entging. Aber er deutete es nicht richtig. «An meinem Mut kannst du, nach deinen eignen Worten, nicht wohl zweifeln», sagte er. «Aber es gibt für mich noch Wichtigeres, als hier die letzten glimmenden Kohlen des Gotenkrieges auszutreten. Die verwaiste Stadt verlangt ihren Präfekten. Mich ruft das Kapitol.» «Das Kapitol!» - - wiederholte Johannes. «Ich dächte, Cethegus, ein frischer, schöner Heldentod ist auch was wert.» «Ja, nachdem des Lebens Ziele erreicht sind.» «Keiner aber von uns weiß, o Cethegus, wie nah ihm dieses Ziel gerückt ist. - Aber noch eins. Es kommt mir vor, als ob sich bei den Barbaren etwas vorbereite auf ihrem verfluchten Feuerberg. Von dem Hügel auf meiner Lagerseite kann man ein klein wenig durch eine Spalte über die Lavaspitzen gucken. Dein geübtes Auge möchte ich dahin richten. Sie sollen uns doch mit ihrem Hervorbrechen wenigstens nicht überraschen. Folge mir dorthin. Aber schweige von jenem Bund vor Narses: - er liebt das nicht -. Ich wählte die Stunde seines Bades zu diesem Besuch bei dir.» «Ich folge», sagte Cethegus, vollendete seine Bewaffnung und ging, nachdem er vergeblich bei der isaurischen Schildwache nach Syphax gefragt, mit Johannes quer durch sein eignes, dann durch des Narses Mittellager und bog endlich in das äußerste rechte, das Lager des Johannes ein. Auf der Krone des von diesem erwähnten Hügels standen bereits mehrere Heerführer, die eifrig über eine kleine Senkung der Lavawälle hinweg in den hier sichtbaren schmalen Teil der gotischen Lagerungen spähten. Nachdem Cethegus einige Zeit hinübergeblickt, rief er: «Kein Zweifel! Sie räumen diesen Teil, den östlichsten, ihres Lagers: sie fahren die ineinandergeschobenen Wagen auseinander und ziehen sie weiter nach rechts, nach Westen: das deutet auf Zusammendrängung, vielleicht auf ein Hervorbrechen.» «Was meinst du», - fragte da rasch den Johannes ein junger, offenbar eben erst aus Byzanz angelangter Heerführer, den Cethegus nicht kannte «was meinst du? Könnten die neuen Ballisten nicht von jener Felsennase aus die Barbaren erreichen? Weißt du, des Martinus letzte Erfindung, die mein Bruder nach Rom schaffen mußte?» «Nach Rom?» rief Cethegus und warf einen blitzenden Blick auf den Frager und auf Johannes. Heiße und kalte Schrecken jagten urplötzlich ihm durch Herz und Mark -: erschütternder, als da er die Nachricht von Belisars Landung, von Totilas Erhebung, von Totilas Abschwenkung nach Rom bei Pons padi, von Totilas Eindringen auf dem Tiber, von Narses' Ankunft in Italien erfahren. Ihm war, als kralle sich eine zerdrückende Hand ihm um Herz und Hirn. Scharf erkannte er, daß Johannes mit einem grimmigen Furchen der Brauen dem jungen Frager Schweigen gewinkt. «Nach Rom?» wiederholte Cethegus tonlos, bald den Fremden, bald Johannes mit seinem Auge durchbohrend. «Nun ja, freilich nach Rom!» rief endlich Johannes. «Zenon, dieser Mann ist Cethegus, der Präfekt von Rom.» Der junge Byzantiner neigte sich mit dem Ausdruck, mit welchem man etwa ein vielgenanntes Ungetüm zum erstenmal vor sich sieht. «Cethegus, Zenon hier, der Archon, der bisher am Euphrates gefochten, ist erst gestern abend mit persischen Bogenschützen aus Byzanz angekommen.» «Und sein Bruder?» fragte Cethegus, «ist nach Rom!» «Mein Bruder Megas», antwortete, nun gefaßt, der Byzantiner, «hat den Auftrag, dem Präfekten von Rom» - und hier neigte er abermals das Haupt - «die neu erfundenen Doppelballisten für die Wälle Roms zur Verfügung zu stellen. Er hat sich lange vor mir eingeschifft: - so glaubt' ich ihn schon vor mir eingetroffen und mit dir nach Rom abgezogen. Aber seine Fracht ist schwer. Und ich freue mich, den gewaltigsten Mann des Abendlandes, den glorreichen Verteidiger des Hadrianusgrabes von Angesicht kennen zu lernen.» Aber Cethegus warf noch Johannes einen scharfen Blick zu und wandte sich dann, mit kurzem Abschiedsgruß an alle Versammelten, zum Gehen. Nach einigen Schritten sah er sich rasch, plötzlich sich wendend, um und bemerkte, wie Johannes mit beiden Fäusten drohend auf den geschwätzigen jungen Archonten vom Euphrat hineinschalt. Ein kalter Schauer rüttelte den Präfekten. Er wollte auf dem kürzesten Wege nach seinem Zelt zurückgehn und unverzüglich, ohne Syphax und dessen Entdeckungen abzuwarten, zu Pferde steigen und, sonder Abschied, nach Rom eilen. Um jenen kürzesten Weg zu erreichen, wollte er aus des Johannes Lager heraustreten und auf der Sehne des großen Lagerbogens seine eignen Zelte gewinnen. Vor ihm ritten einige persische Schützen aus dem Lager: auch Bauern, die Wein verkauft hatten, ließen die Wachen unbehindert hindurch. Es waren Langobarden, denen, wie überall, auch in diesem Lagerteil Narses die Lagerausgänge übertragen. Sie hielten ihn an mit gefällten Speeren, als er den Landleuten folgen wollte. Er griff zornig in die Lanzen, rasch sie teilend. Da stieß der eine der Langobarden ins Horn: die andern schlossen sich wieder fest vor Cethegus. «Befehl des Narses!» sprach Autharis, der Führer. «Und jene?» fragte der Präfekt, auf die Bauern und die Perser deutend. «Sind nicht du», sprach der Langobarde. Eine Schar Lagerwachen war noch herbeigeeilt auf jenen Hornruf. Sie spannten die Bogen. Cethegus wandte ihnen schweigend den Rücken und ging auf dem gleichen Wege, der ihn hergeführt, zurück nach seinem Zelt. Vielleicht war es nur sein plötzlich erregtes Mißtrauen, das ihm vorspiegelte, alle Byzantiner und Langobarden, durch die er dahin schritt, wichen ihm mit halb spöttischen, halb mitleidigen Blicken aus. Vor seinem Zelt befragte er die isaurische Schildwache: «Syphax zurück?» - «Ja, Herr, längst. Er harrt deiner sehnlich im Zelt. Er ist verwundet.» Rasch schlug Cethegus die Vorhänge zurück und trat ein. Da flog ihm Syphax, bleich unter seiner Bronzehaut, entgegen, umklammerte seine Knie und flüsterte mit leidenschaftlicher, verzweifelter Erregung: «O mein Herr, mein großer Löwe! Du bist umgarnt - verloren - nichts kann dich mehr retten.» «Mäßige dich, Sklave!» gebot Cethegus. «Du blutest... -» -«Es ist nichts! Sie wollten mich nicht in dein Lager zurücklassen - sie fingen in scheinbarem Scherz Streit mit mir an, aber ihre Messerstiche waren bitterer Ernst... -» - «Wer? Wessen Messerstiche?» - «Der Langobarden, Herr, die seit einer halben Stunde alle Ausgänge deines Lagers doppelt besetzt haben.» -«Ich werde Narses um den Grund fragen», drohte Cethegus. -«Der Grund, das heißt der Vorwand er sandte Kabades, dir das zu melden - ist ein Ausfall der Goten. - Aber, o mein Löwe -mein Adler - mein Palmbaum - mein Brunnquell - mein Morgenstern - du bist verloren!» Und wieder warf sich der Numider auf das Antlitz vor seinen Herrn und bedeckte dessen Füße mit glühenden Tränen und Küssen. «Erzähle - der Ordnung nach», sprach Cethegus, sich an den Mittelpfahl des Zeltes lehnend, mit auf den Rücken gekreuzten Armen und hoch das Haupt emporgerichtet: nicht auf Syphax' verzweifeltes Antlitz, in die leere Ferne schien er zu schauen. «O Herr - ich werd's nicht können in klarer Folge. - Also - ich erreichte das Schilfversteck - ich brauchte kaum zu tauchen -mich barg das Geröhricht - das Badezelt ist von dünnem Holz und von Leinwand neu errichtet, nach den letzten Stürmen -Narses kam in seinem kleinen Boot, Alboin, Basiliskos und noch drei Männer als Langobarden verkleidet - aber ich erkannte Scävola, Alinus...» - «Ungefährlich», unterbrach Cethegus. -«Und - Anicius!» - «Irrst du dich nicht?» fuhr Cethegus auf. -«Herr, ich kenne das Auge und die Stimme! Aus dem Gespräch - ich verstand nicht alle Worte, - aber den Sinn ganz klar» - «Ei, hättest du mir doch die Worte sagen können!» «Sie sprachen griechisch, Herr: ich verstehe das doch nicht so gut, wie deine Sprache, und die Wellen machten Geräusch, und der Wind war nicht günstig.» - «Nun, was sagten sie?» - «Die drei sind erst gestern abend aus Byzanz eingetroffen: sie forderten sofort deinen Kopf. Narses aber sprach: drängte Anicius. - fragte Basiliskos. , sagte Narses. , fügte er lachend bei.» - «Nannte er diese Namen?» forschte Cethegus ernst, «braucht' er dies Wort?» - «Ja, Herr. Dann sprach Alboin: - O Herr, ich fürchte, sie haben deine Treuesten von dir hinweggelockt.» «Ich glaub' es auch», sprach Cethegus finster. «Aber was sprachen sie von Rom?» - «Alboin fragte nach einem Führer, dessen Namen ich nie gehört.» - «Megas?» rief Cethegus. «Ja, Megas! so hieß er - woher weißt du... -!» «Gleichviel! Fahre fort! Was ist' mit diesem Megas?» «Alboin fragte, wie lange wohl schon Megas in Rom sei? -, antwortete Narses, forschte Scävola, - - fragte furchtsam Albinus. » Da schlug sich Cethegus die linke Hand grimmig vor die Stirn. « - forschte Scävola. rief Anicius. - , fuhr Narses fort -nach einigen Reden, die das Wellengeräusch mir entzog, gleichzeitig mit der langerwarteten Nachricht... - aus Rom... ->» «Welche Nachricht?» fragte Cethegus. «Das sagte er nicht. - - o Herr - es ist schrecklich... -» «Rede!» «, sprach Narses. mehr verstand ich nicht -» «Anachronismus!» sagte Cethegus, ruhig verbessernd. - « - Was kann er damit meinen?» forschte Syphax bang. «Kreuzigung!» antwortete Cethegus, den Dolch wieder bergend. «O Herr!» - «Gemach, noch hang' ich nicht in der Luft: noch schreite ich fest auf der heldennährenden Erde. Vollende.» «, fuhr Narses fort, Aber o nur das nicht - nur das nicht, Herr! wenn wir sterben müssen.» «Wir?» lächelte Cethegus, wieder ganz gesammelt. «Du hast nicht mit Theodora den großen Kaiser der Romäer überlistet. Dir droht nicht Gefahr.» Aber Syphax fuhr fort: «Weißt du's denn nicht? O zweifle nur daran nicht: - ganz Afrika weiß es - fehlt der Leiche das Haupt, muß die Seele als unrein niedres Gewürm ohne Kopf äonenlang durch Schlamm und Kot schleichen. O nur nicht dein Haupt vom Rumpfe getrennt!» «Noch ruht es fest auf diesem Nacken, wie auf dem Atlas das Himmelsgewölbe. Still - man kommt.» Der Isaurier, den er an Narses gesendet, brachte die versiegelte Antwort: «An Cethegus Cäsarius Narses, Magister militum. Deinem Wunsch, nach Rom aufzubrechen, steht auch heute nichts im Wege.» - «Ich begreife jetzt», sprach Cethegus. «Die Lagerwachen haben Befehl, dich abreiten zu lassen. Doch geb' ich dir, falls du auf der Abreise beharrst, tausend Langobarden, unter Alboin, zur Bedeckung mit. Die Straßen sind unsicher durch versprengte Goten. Da, allem Anschein nach, heute noch oder morgen ein Durchbruchversuch der Goten droht und wiederholt tollkühnes Verlassen der Lager den Verlust von Führern und Truppen herbeigeführt hat, ist niemand mehr ohne meine Erlaubnis das Lager zu überschreiten verstattet und haben alle Wachen, auch die Zeltwachen, meine verlässigen Langobarden bezogen.» Rasch sprang Cethegus gegen die Türe seines Zeltes und riß sie auf: seine vier Isaurier wurden abgeführt, zwanzig Langobarden unter Autharis zogen vor seinem Zelte auf. «Ich dachte noch an Flucht für heute nacht», sprach er zu Syphax. «Sie ist abgeschnitten. Und es ist besser so, würdiger. Lieber den Gotenspeer in die Brust als den Griechenpfeil in den Nacken. Aber Narses ist noch nicht zu Ende: » «Ha, mein Licinius, Piso, Julianus!» schrie der Präfekt, aus seiner eisigen, todesverachtenden Ruhe durch heißen Schmerz emporgeschreckt: - ha, schändlich hineingelockt! - «Mein zweiter Julius folgt dem ersten nach!» sprach Cethegus. «Nun, ich brauche keinen Erben mehr: - denn Rom wird nicht mein Eigentum und Nachlaß. Es ist vorbei. - - Der große Kampf um Rom ist aus. Und die dumpfe Überzahl, die kleine Pfiffigkeit hat gesiegt, wie über der Goten Schwerter, so über des Cethegus Geist. O Römer - Römer, Ja, meine Bruti seid ihr! Syphax, du bist frei. Ich gehe in den Tod -: geh du frei zurück in deine freie Wüste.» «O Herr», rief Syphax, laut aufschluchzend und sich auf den Knien vor ihm hinwälzend - «stoß mich nicht von dir: ich bin nicht minder treu als Aspa ihrer Herrin war: - laß mich mit dir sterben.» «Es sei», sagte Cethegus ruhig, die Hand auf des Mauren Haupt legend «Ich hab' dich lieb gehabt - mein Panther -: spring denn mit mir in den Tod. Reiche mir Helm, Schild, Schwert und Speer.» «Wohin?» - «Erst zu Narses.» - «Und dann?» - «Auf den Vesuvius!» Vierzehntes Kapitel Die Absicht König Tejas war gewesen, in der kommenden Nacht mit allen Waffenfähigen, bis auf einige Wächter des Engpasses, sich vom Vesuv herab auf das Lager des Narses zu werfen und in demselben, begünstigt durch das Dunkel und die Überraschung, noch ein furchtbares Blutbad anzurichten: war der Letzte der Ausfallenden erlegen, und drohte nun, etwa bei Tagesanbruch, der Angriff auf den Engpaß, so sollten die Wehrunfähigen, die nicht die Knechtschaft dem Tode vorzogen, durch den Sprung in den nahen Krater des Vesuvs ein freies Grab suchen, wonach auch die Verteidiger des Passes durch Hervorbrechen aus der Schlucht ein rasches Ende machen sollten. Es hatte den König mit freudigem Stolz erfüllt, daß auch nicht eine Stimme unter den Tausenden von Frauen und Mädchen -denn alle Knaben vom zehnten Jahre an und alle Greise wurden bewaffnet - die entehrende Sklaverei und das Leben statt des Todes im Vesuv gewählt hatte, als Teja den Versammelten in der Wagenburg die Wahl anheimgestellt. Sein Heldenherz erfreute sich an dem Gedanken, daß sein ganzer Stamm in einer in der Geschichte der Völker unerhörten Tat, in glorreichem Heldentod, wie ein Mann, seine große Vergangenheit ruhmvoll besiegeln wollte. Dieser Verzweiflungsgedanke des todgrimmen Helden wurde nicht verwirklicht: aber sein brechendes Auge sollte statt jenes grauenhaften Bildes ein helleres, ein versöhnendes schauen. Narses, immer wachsam und vorsichtig, hatte schon vor Johannes und Cethegus die drohenden Vorbereitungen der Feinde wahrgenommen und den Rat der Feldherrn auf die fünfte Tagesstunde in sein Zelt berufen, seine Gegenmaßregeln zu erfahren. Es war ein wunderbarer, goldner September: voll Schimmer des Lichts und Schimmer des Dufts über Land und Meer: wie er in solcher strahlenden Schönheit auch in Italien nur über den Golf von Bajä sich ergießt. In den lichtgesättigten Himmel stieg spielend die weiße Kräuselwolke des Vesuvs: Mit rhythmischem Anschlag rollten die letzten, leisen Meereswellen, wie huldigend, an das wunderschöne Land. Da schritt hart an dem Saume der Flut hin, so daß die rollenden Wellen manchmal seine gepanzerten Füße berührten, langsam, den Speer über der Schulter, von dem linken Lagerflügel her, einsam ein gewaltiger Mann. Die Sonne glitzerte auf seinem runden Schild, auf dem prachtvollen Panzer: der Seewind spielte in seinem purpurnen Helmbusch. Es war Cethegus: und er schritt auf dem Todesweg. Nur von weitem folgte ihm, ehrfürchtig, der Maure. Angelangt an einem schmalen Vorsprung des Küstensandes in den Golf hinein, ging er bis an die äußerste Spitze dieser kleinen Landzunge, wandte sich und blickte nach Nordwesten. Dort lag Rom: sein Rom. «Lebt wohl», sprach er tief bewegt, «lebt wohl, ihr sieben Hügel der Unsterblichkeit. Leb' wohl, Tiberstrom, der du den ehrwürdigen Schutt der Jahrhunderte dahin spülst: zweimal hast du mein Blut getrunken, zweimal mich gerettet. Nun rettest du mich nicht mehr, befreundeter Flußgott! Gerungen hab' ich und gekämpft um dich, mein Rom, wie keiner, wie selbst Cäsar nicht, vor mir. Die Schlacht ist aus: geschlagen ist der Feldherr ohne Heer. Ja, ich erkenne es nun: alles kann der gewaltige Geist des einzelnen ersetzen, nur nicht ein fehlend Volk. Sich selbst jung erhalten kann der Geist, nicht andre verjüngen. Ich habe das Unmögliche gewollt. Aber das Mögliche erreichen ist - gewöhnlich. Und spränge mir noch einmal aus meines zertrümmerten Cäsar Marmorhaupt der große Gedanke entgegen dieses Kampfes um Rom: gepanzert, wie Athene aus dem Haupte des Zeus - - ich kämpfte ihn noch einmal, diesen Kampf. Denn besser ist's, um das Übermenschliche ringend erliegen, als in der dumpfen Ergebung unter das Gemeine dahingehn. Du aber sei mir gesegnet» - und er kniete nieder und netzte die heiße Stirn unter dem ehernen Helm mit der salzigen Flut -«du aber sei mir gesegnet, Ausonias heilige Meerflut: sei mir gesegnet, Italias heiliger Boden» - und er griff mit der Hand tief in den Sand der Küste: «Dankbar scheidet von dir dein treuester Sohn -: erschüttert, nicht von dem Grauen des nahenden Todes, erschüttert allein von deiner Herrlichkeit. Lange Jahrhunderte ahn' ich für dich drückender Fremdherrschaft. Ich habe sie nicht von dir zu wenden vermocht: aber mein Herzblut bring' ich als Wunschopfer dar. Ist der Lorbeer deiner Weltherrschaft verdorrt für immer - dir lebe fort, unzertretbar, still grünend unter dem Staube, die Olive des Freiheitssinns und deines Volkes edle Eigenart. Und einst leuchte der Tag dir herauf, mein Rom, mein italisches Land, da kein Fremder mehr herrscht auf deinem geheiligten Boden, da du allein dir selber gehörst von den heiligen Alpen zum heiligen Meer.» Und ruhig erhob er sich nun und schritt, rascheren Ganges, nach dem Mittellager und dem Feldherrnzelt des Narses. Beim Eintreten fand er die Heerführer alle versammelt, und Narses rief ihm freundlich entgegen: «Zur guten Stunde kommst du, Cethegus. Zwölf meiner Feldherren, die ich auf einem Bund der Tollheit ertappt, wie sie etwa die Barbaren, aber nicht Schüler des Narses, begehen möchten, haben sich zur Entschuldigung auf dich berufen: es könne keine Tollheit sein, woran sich der geistesgewaltige Cethegus selbst beteilige. Sprich, bist du wirklich jenem Waffenbund gegen Teja beigetreten?» «Ich bin's, und ich gehe gerad' von hier - laß mir den Vortritt, Johannes, ohne Losung - auf den Vesuv. Die Wachtstunde des Königs naht.» «Das gefällt mir von dir, Cethegus.» «Danke: es spart dir wohl manche Mühe, Präfekt von Rom», erwiderte Cethegus. Eine Bewegung der höchsten Überraschung ging durch alle Anwesenden: denn auch die Eingeweihten staunten über seine Kenntnis der Lage. Nur Narses blieb ruhig: leise sagte er zu Basiliskos: «Er weiß alles. Und das ist gut.» «Nicht meine Schuld, Cethegus, daß ich dir nicht früher deine Ersetzung durch mich mitgeteilt: der Kaiser hatte es streng verboten. Ich lobe deinen Entschluß, Cethegus. - Denn er stimmt zu meinen besten Absichten. - Die Barbaren sollen nicht das Vergnügen haben, heute nacht nochmal eine Myriade unserer Leute zu schlachten. Wir rücken sofort mit allen unsern Truppen, auch den beiden Flügeln, bis auf Speerwurfweite vor den Engpaß: sie sollen nicht Raum zum Anlauf gewinnen: und ihr erster Schritt aus der Mündung der Schlucht soll sie in unsre Lanzen führen. Ich habe auch nichts dagegen, Cethegus, wenn Freiwillige jenen König der Schrecken bestehen -: mit seinem Tode, hoff ich, löst sich der Barbaren Widerstand. Nur eins macht mich besorgt. Ich habe die längst hierher beschieden, - ich hatte die Entscheidung einige Tage früher erwartet - und sie bleibt aus. Sie soll mir die gefangenen Barbaren sofort aufnehmen und nach Byzanz schaffen. Kam noch der Schnellsegler nicht zurück, Nauarch Konon, den ich auf Kundschaft durch die Meerenge von Regium geschickt?» «Nein, Feldherr! So wenig als ein zweites Eilschiff, das ich selber nachgesandt.» «Sollte der letzte Sturm die Flotte geschädigt haben?» «Unmöglich, Feldherr, er war nicht stark genug. Und sie lag ja, nach letzter Botschaft, sicher vor Anker im Hafen von Brundisium.» - «Nun, wir können nicht auf die Schiffe warten. Vorwärts, meine Feldherren, wir brechen alle, ich selber mit, sofort gegen den Engpaß auf. Leb' wohl, Cethegus! Laß dich die Entsetzung nicht anfechten. Ich besorge, es würde dir nach der Beendung des Krieges manch lästiger Prozeß drohen. Du hast viele Feinde: mit Recht und mit Unrecht. Böse Wahrzeichen drohen dir ringsumher. Aber ich weiß, du hast von jeher nur ein Wahrzeichen geehrt: -» « Nur noch eine Gunst: verstatte mir - meine Isaurier und Tribunen ruhen ja in Rom -die Italier und Römer in deinem Heer, die du unter alle deine Scharen verteilt hast, um mich zu sammeln und sie gegen die Barbaren zu führen» Einen Augenblick besann sich Narses. «Gut, sammle sie und führe sie! - Zum Tode», sagte er leise zu Basiliskos. «Es sind höchstens fünfzehnhundert Mann - ich gönne ihm die Freude, an der Spitze seiner Landsleute zu fallen - und sie hinter ihm! Leb' wohl, Cethegus.» Stumm, mit dem erhobenen Speer ihn grüßend, schritt Cethegus hinaus. «Hm», sagte Narses zu Alboin, «- schau' ihm nur ernsthaft nach, Langobarde. Da geht ein merkwürdiges Stück Weltgeschichte dahin. Weißt du, wer da hinausschritt?» «Ein großer Feind seiner Feinde», sagte Alboin ernst. «Ja, Wölflein, schau' dir ihn nochmal an: da geht zu sterben -: der letzte Römer!» - - Als alle Heerführer bis auf Basiliskos und Alboin Narses verlassen hatten, eilten aus dem durch Vorhänge abgesperrten Abschluß des Zeltes Anicius, Scävola und Albinus, noch in langobardischer Kleidung, mit bestürzten Mienen. «Wie?» rief Scävola, «du willst dem Richter diesen Mann entziehen?» -«Und dem Henker», sprach Albinus, «seinen Leib? und seinen Anklägern sein Vermögen?» Anicius nur schwieg und ballte die Faust um den Schwertgriff. «Feldherr», rief Alboin, «laß die zwei Schreier meines Volkes Kleidung von sich legen. Mich ekelt dieser Kläffer.» «Du hast nicht unrecht, Wölflein! - Ihr braucht euch nicht mehr zu vermummen», sprach Narses. «Ich bedarf euer nicht mehr als Ankläger. Cethegus ist gerichtet: das Urteil vollstrecken wird - König Teja. Ihr aber, Rabenschnäbel, sollt nicht noch einhacken auf den toten Helden.» «Und Kaiser Justinians Befehl?» trotzte hartnäckig Scävola. «Tote Männer kann auch Justinianus nicht blenden und kreuzigen lassen. Wenn Cethegus Cäsarius gefallen, kann ich ihn nicht wieder aufwecken, für des Kaisers Grausamkeit. Von seinem Gold aber, Albinus, erhältst du keinen Solidus: und du, Scävola, von seinem Blute keinen Tropfen. Sein Gold ist dem Kaiser, sein Blut den Goten, sein Name der Unsterblichkeit verfallen.» «Den Tod des Helden gönnst du diesem Bösewicht?» grollte jetzt Anicius. «Ja, Sohn des Boethius: denn er hat ihn verdient. Du aber hast ein tüchtig Recht auf Rache an ihm: - du wirst dem Gefallenen das Haupt abschlagen und nach Byzanz dem Kaiser bringen! Hört ihr die Tuba? Das Gefecht begann!» Fünfzehntes Kapitel Als König Teja das ganze Heer des Narses gegen die Mündung des Engpasses in Bewegung sah, sprach er zu seinen Helden: «Wohlan: so schaut denn statt der Sterne die Mittagssonne den letzten Kampf der Goten. Das ist die einzige Änderung unsres Entschlusses.» Er stellte eine Anzahl von Kriegern vor der Lavahöhle auf, wies ihnen die Leiche Theoderichs, auf purpurner Bahre aufgerichtet, und den Königshort und trug ihnen auf, während der Kampf um den Engpaß toben würde, die Purpurbahre und die Truhen in den Vesuv zu schleudern auf Adalgoths Wink, dem er mit Wachis die letzte Obhut des Passes anbefahl. Die Unwehrhaften drängten sich um die Lavahöhle zusammen -: man sah keine Träne, man hörte kein Schluchzen. Die Krieger aber ordnete Teja nach Hundertschaften, und innerhalb derselben nach den Sippen, so daß Väter und Söhne, Brüder und Vettern nebeneinander fochten: ein Gefüge der Schlachthaufen, dessen grimmige Zähigkeit die römischen Legionen seit den Tagen der Kimbern und Teutonen, des Ariovist und des Armin erprobt. Die natürliche Beschaffenheit des letzten Schlachtfeldes der Goten wies von selbst auf die alte, von Odin gelehrte Schlachtordnung zum Angriff aus dem Engpaß: dem Keil. Die tiefen, dichten Kolonnen der Byzantiner standen nun, wohl gegliedert, staffelförmig von dem Meeresufer an bis auf Speerwurfweite vor des Passes Mündung hintereinander aufgestellt: - ein prachtvoll schöner, aber furchtbarer Anblick. Die Sonne glänzte auf ihren Waffen, indes die Goten im Schatten der Felsen standen. Weit über die Lanzen und Feldzeichen der Feinde hinweg blickten die Germanen bis in das lachende, schimmernde Meer, das in wonnigem Lichtblau strahlte. König Teja stand neben Adalgoth, der das Banner Theoderichs trug, in der Mündung des Passes. Der Dichter regte sich in dem Heldenkönig. «Sieh hin», sprach er zu seinem Liebling, «wo könnten wir schöner sterben? Nicht im Himmel der Christen, nicht in Meister Hildebrands Asgardh oder Breidablick kann es schöner sein. Auf, Adalgoth, laß uns hier sterben, unsres Volkes und dieser schönen Todesstätte wert.» Und er warf den Purpurmantel zurück, den er über der schwarzen Erzrüstung getragen, nahm die kleine Harfe in den linken Arm und sang mit leiser verhaltener Stimme: «Vom fernsten Nord bis vor Byzanz, Bis Rom - welch Siegeswallen! Der Goten Stern stieg auf in Glanz: In Glanz auch soll er fallen. Die Schwerter hoch um letzten Ruhm Mit letzter Kraft zu werben: Fahr wohl, du stolzes Heldentum: Auf, Goten, - laßt uns sterben!» Und mit kräftigem Schlag zerschmetterte er die im Tode noch hellaufklingende Harfe an dem Fels zu seiner Linken. «Nun, Adalgoth, leb' wohl! Hätt' ich die Reste meines Volkes retten können! Nicht hier! Aber mit freiem Abzug gen Norden! Es sollte nicht sein. Narses würd's kaum gewähren. Und die letzten Goten bitten nicht. Zum Tod!» Und die mächtige Streitaxt an lanzengleichem Schaft erhebend, die gefürchtete Waffe, trat er an die Spitze des Keils. Hinter ihm Aligern, sein Vetter, und der alte Hildebrand. Hinter diesen Herzog Guntharis von Tuscien, der Wölsung, Graf Grippa von Ravenna und Graf Wisand von Volsinii, der Bandalarius. Hinter diesen Wisands Bruder: Ragnaris von Tarentum, und vier Grafen, dessen Gesippen. Darauf in steigender Breite, je sechs, acht, zehn Goten. Den Schluß bildeten dichte Haufen, je nach Zehnschaften geordnet. Wachis, neben Adalgoth in dem Engpaß haltend, gab, auf des Königs Wink, das Zeichen mit dem gotischen Heerhorn. Und nun brach die Sturmschar ausfallend aus der Schlucht. Auf der nächsten breiteren Stelle vor dem Paß hielten die mit Johannes verbündeten Helden: nur Alboin, Gisulf und Cethegus fehlten noch. Hinter jenen zehn Führern standen zunächst Langobarden und Heruler, die sofort einen Hagel von Speeren und Pfeilen auf die vorbrechenden Goten schleuderten. Zuerst sprang gegen den König, den die Zackenkrone auf dem schwarzen, geschlossenen Helm kenntlich machte, Althias, der Armenier. Sofort fiel er mit zerspaltenem Haupt. Der zweite war der Heruler Rudolf. Er rannte den Speer mit beiden Händen, links gefällt, wider Teja. Dieser fing den Stoß unerschüttert mit dem schmalen Schild und stieß dem von dem Anprall Zurücktaumelnden die lanzengleiche Spitze des Schlachtbeils in den Leib. Ehe er die Waffe aus dem Geschupp des Waffenrocks reißen konnte, waren zugleich Suartua, des gefallenen Herulers Neffe, der Perser Kabades und der Bajuvare Garizo heran. Letzterem, dem kühnsten und nächsten, stieß Teja den Schnabel des Schildes vor die Brust, daß er über den schmalen, glatten Lavasteig zur Rechten hinabstürzte. «Jetzt hilf, o heil'ge Waldfrau von Neapolis!» betete der Lange, dieweil er flog, «die du mir durch all diese Kriegsjahre geholfen»: und wenig geschädigt kam Miriams Bewunderer unten an, nur schwer betäubt vom Fall. Dem Heruler Suartua, der das Schwert über Tejas Haupt schwang, schlug Aligern, hinzuspringend, den Arm samt dem Schwerte glatt vom Rumpf. Er schrie und fiel. Dem Perser Kabades, welcher den krummen Säbel von unten schlitzend gegen des König Weichen hob, zerschlug der alte Hildebrand mit der Streitaxt Visier, Antlitz und Gehirn. Teja, seiner Streitaxt wieder mächtig und der nächsten Angreifer ledig, sprang nun selbst zum Ansturm vor. Er warf die Streitaxt im Schwung gegen einen im Eberhelm - Helm mit Haupt und Hauern des Wildebers - heranschreitenden Feind: Epurulf, der Alamanne war's: er stürzte rücklings. Über ihn beugte sich Vadomar, sein Gesippe, und wollte des Gotenkönigs schreckliche Waffe an sich reißen: aber im Flug war Teja zur Stelle, das kurze Schwert in der Rechten, hoch blitzte es, und Vadomar fiel tot auf seinen toten Freund. Da rannten zugleich die beiden Franken Chlotachar und Bertchramm, die Francisca, eine Tejas Streitbeil ähnliche Waffe schwingend, herzu: beide Äxte sausten zugleich: die eine fing Teja mit dem Schild auf: die zweite, die hoch im Bogen, sein Haupt bedrohend, heranflog, parierte er mit dem eignen Beil: und rasch stand er zwischen den beiden Feinden, schwang die Axt im Kreise furchtbar um seinen Helm, und auf einen Schwung sanken beide Franken nach links und rechts mit zerspellten Sturmhauben. Da traf sausend des Königs Schild ein Speer aus nächster Nähe: er durchbohrte den Stahlrand und streifte leicht den Arm. Während Teja sich gegen diesen Feind wandte - der Burgunde Gundobad war's -, lief ihn von hinten der Gepide Ardarich mit dem Schwerte an und schlug ihm einen schweren Streich auf das Helmdach, im Augenblick aber fiel Ardarich, von Herzog Guntharis' Wurfspeer durchbohrt. Und den Burgunden Gundobad, der sich grimmig wehrte, drückte der König mit dem Schild erst aufs Knie, er verlor den Helm, und Teja stieß ihm den Schildstachel in die Kehle. Aber schon standen Taulantius, der Illyrier, und Autharis, der Langobarde, vor ihm. Mit schwerer Keule aus der Wurzel der Steineiche schmetterte der Illyrier auf des Königs Schild und schlug ein Stück des untern Stahlrandes heraus, gleichzeitig traf, dicht über diesem Sprung, des Langobarden Lanzenwurf den Schild und riß den Beschlag um den Schildnabel hinweg, schwer in dem Schilde haftend mit langem Widerhaken und ihn nach unten zerrend. Und Taulantius hob schon die Keule gegen des Königs Visier. Da entschloß sich Teja kurz: den halbzertrümmerten Schild opfernd, schmetterte er diesen mit dem Stachel in des Illyriers Antlitz, den Schild fahren lassend, und fast gleichzeitig stieß er dem anstürmenden Autharis des Schlachtbeils Spitze durch den Ringpanzer in die Brust. Aber nun stand der König ohne Schild: und die feindlichen Fernkämpfer verdoppelten ihre Speere und Pfeile. Mit Beil und Schwert nur wehrte Teja den von allen Seiten dicht heransausenden Geschossen. Und ein Hornruf von dem Paß her mahnte ihn, umzuschauen. Da sah er den größten Teil der von ihm aus der Schlucht geführten Krieger gefallen. Die Ferngeschosse, die zahllosen, hatten sie niedergestreckt; und schon hatte sie, von der Linken einschwenkend, eine starke Schar Langobarden, Perser und Armenier von der Flanke erfaßt und im Nahkampf erreicht. Vom rechts aber sah der König eine Kolonne von Thrakiern, Makedonen und Franken mit gefällten Speeren auf die Wächter am Engpaß andringen, während eine dritte Abteilung, Gepiden, Alamannen, Isaurier und Illyrier ihn selbst und das schwache, noch hinter ihm haltende Häuflein von dem Rückweg nach dem Engpaß abzutrennen versuchte. Scharf blickte Teja nach dem Engpaß, da verschwand für einen Augenblick das Banner Theoderichs: es schien gefallen. Dies entschied des Königs Entschluß. «Zurück, zum Paß! Rettet Theoderichs Panier!» so rief er den hinter ihm Kämpfenden zu und stürmte zurück, indem er die ihn umgarnende Schar durchbrechen wollte. Aber dieser war es grimmiger Ernst, denn Johannes führte die Isaurier. «Auf den König!» schrie er. «Laßt ihn nicht durch! Laßt ihn nicht zurück! Speere! Werft!» Nun war Aligern heran: «Nimm rasch meinen Schild.» Teja ergriff den dargebotenen Büffelschild -: in diesem Augenblick flog des Johannes Wurflanze und hätte des Königs Visier durchbohrt, hob dieser nicht gerade noch den neugewonnenen Schild. «Zurück zum Paß!» rief Teja nochmal und rannte mit solcher Gewalt gegen den anstürmenden Johannes, daß dieser rücklings niederstürzte, die zwei nächsten Isaurier erschlug der König. Und nun eilten Teja, Aligern, Guntharis, Hildebrand, Grippa, Wisand und Ragnaris schleunigst gegen den Paß. Aber hier tobte bereits der Kampf. Alboin und Gisulf hatten hier gestürmt, und ein schwerer, spitzer Lavablock, von Alboin mit zwei Händen geschleudert, hatte Adalgoth auf den Schenkel getroffen und für einen Augenblick ins Knie gestürzt. Doch schon hatte Wachis das sinkende Banner Theoderichs ergriffen und Adalgoth selbst, sich aufraffend, den eindringenden Langobardenfürsten mit dem Schildstachel aus dem Engpaß gestoßen. Des Königs und seiner umgebenden Helden plötzliche Rückkehr machte den Bedrängten Luft: haufenweise fielen die Langobarden vor den unerwartet im Rücken Angreifenden. Mit Geschrei brachen zugleich die Wächter des Passes hervor, und rasch sprangen und liefen die Langobarden, ihre Führer mit fortreißend, über die Lavaklippen hinab. Aber nicht weit kamen sie. Da nahm sie der Isaurier und Illyrier, der Gepiden und Alamannen starker Schlachthaufe, geführt von Johannes, auf. Dieser hatte, zähneknirschend, sich erhoben, den Helm zurechtgeschoben und war sofort, Kehrt befehlend, gegen den Paß gerückt, den Teja nun erreicht hatte. «Vorwärts», befahl er, «hierher zu mir, Alboin, Gisulf, Vitalianus, Zenon, drauf! Laßt sehn, ob dieser König denn wirklich ganz unsterblich ist.» Teja hatte nun wieder seine alte Vorkämpferstellung, an der Mündung des Passes, eingenommen und lehnte, sich verkühlend, auf seinem Beilschaft. «Nun, Barbarenkönig, geht's zum Ende. Bist du wieder in dein Schneckenhaus gekrochen? Komm heraus, oder ich schlag' dir ein Loch ins Haus! Komm heraus, wenn du ein Mann bist!» So rief Johannes und wog den Wurfspeer. «Gebt mir drei Speere!» sprach Teja und reichte Schild und Axt dem verwundet neben ihm stehenden Adalgoth. «So! Nun, sowie er gefallen, folgt mir.» Und ohne Schild trat er einen Schritt ins Freie, in jeder Hand Speere. «Willkommen im Freien! Und im Tode!» rief Johannes und warf. Meisterhaft war sein Wurf gezielt, scharf auf des Königs Helmvisier. Aber Teja bog den Kopf zur Rechten, und an der Felswand splitterte die kräftig geschleuderte Eschenlanze. Sowie Teja mit der Rechten nun seinen ersten Speer entsandte, warf sich Johannes auf das Antlitz: der Speer traf und tötete Zenon hinter ihm. Rasch war Johannes wieder auf den Füßen und schoß, wie der Blitz, auf den König los, den zweiten Speer, den des Königs Rechte entsandte, fing er mit dem Schild. Aber Teja hatte diesmal augenblicklich, nach dem Wurf aus der Rechten, auch aus der gleich geübten Linken eine Lanze geschleudert, und diese, von dem Anrennenden nicht bemerkt, durchbohrte den Schuppenpanzer und die Brust des tapfern Mannes, im Rücken hervordringend. Er fiel. Da faßte seine Isaurier und Illyrier Entsetzen : denn er galt nach Belisar für den ersten Helden von Byzanz. Sie schrien laut auf, wandten den Rücken und flohen, in wilden Sätzen, ordnungslos, den Berg herabspringend, verfolgt von Teja und seinen Treuen. Einen Augenblick hielten noch die wieder gesammelten Langobarden. «Komm, Gisulf - beiß die Zähne zusammen -bestehen wir diesen König des Todes», rief Alboin. - Aber da stand schon Teja zwischen ihnen - hoch blitzte sein schreckliches Beil: durch den Ringpanzer tief in die rechte Schulter gehaun stürzte Alboin und gleich darauf Gisulf mit zerschmettertem Helm. Da war kein Halten mehr: Langobarden, Gepiden, Alamannen, Heruler, Isaurier, Illyrier jagten in blinder Flucht entschart den Berg hinab. Jauchzend verfolgten Tejas Genossen. Teja selbst hielt an dem Paß: er ließ sich nur von Wachis Speere reichen und, hoch über die gotischen Verfolger hinweg, im Bogenflug zielend, traf er Wurf auf Wurf und tötete, was er erreichte. Es waren des Kaisers beste Truppen: sie rissen die nachrückenden Makedonen, Thrakier, Perser, Armenier und Franken mit fort: bis an des Narses Seite fluteten die Versprengten, besorgt hob sich dieser aus seiner Sänfte. «Johannes gefallen!» - «Alboin schwer wund», riefen sie, an ihm vorübereilend. «Flieht! Zurück ins Lager!» - «Eine Angriffsturmsäule muß neu -» sprach Narses, «ha sieh: da kommt Cethegus, zur rechten Zeit!» Und er war's. Vollendet hatte er den langen Umritt bei allen Scharen, denen Narses Römer und Italier zugeteilt, gegliedert hatte er sie in fünf Haufen von je dreihundert Mann: nun schritt er an ihrer Spitze, der zum Angriff Geordneten, ruhig voran. Anicius folgte von ferne: Syphax ging, zwei Speere tragend, hart hinter seinem Herrn. Die flüchtenden Geschlagenen in ihren Zwischenräumen hindurchfluten lassend rückten die Italier vor: die meisten alten Legionäre aus Rom und Ravenna, Cethegus treu ergeben. Die gotischen Verfolger stutzten, als sie auf diese frische, übermächtige und wohlgeordnete Sturmschar stießen, und wichen langsam gegen den Engpaß zurück. Aber Cethegus folgte. Über die blutige, leichenbedeckte Stelle, wo Teja zuerst den Bund der Zwölf vernichtet, über den weiter oben gelegenen Kampfplatz, wo Johannes gefallen war, ging er in gleichmäßigem, ruhigem Schritt hinweg, Schild und Speer in der Linken, das Schwert in der Rechten: hinter ihm, die Lanzen gefällt, die Legionäre. Schweigend, ohne Feldruf, ohne Tubatöne rückten sie den Berg empor. Die gotischen Helden wollten nicht hinter ihren König in den Paß weichen. Sie hielten vor der Mündung. Guntharis war der erste, den Cethegus erreichte. Des Herzogs Wurfspieß splitterte an seinem Schild, und gleich darauf stieß ihm Cethegus den Speer in die Weichen: in der Wunde brach der tödliche Schaft. Graf Grippa von Ravenna wollte den Wölsungen rächen: er schwang, weit ausholend, das lange Schwert über dem Haupt, aber Cethegus unterlief den Hieb und stieß dem alten Gefolgsmann Theoderichs das breite Römerschwert in die rechte Schulterhöhe -: er fiel und starb. Zornig schritt Wisand, der Bandalarius, gegen Cethegus heran: die Klingen kreuzten sich, Funken stoben aus den Schwertern und den Helmen: da parierte geschickt Cethegus einen allzu ungefügen Hieb, und ehe der Gote sich wieder gedeckt, stieß er ihm das Schwert in den Schenkel, daß das Blut hoch aufspritzte. Wisand wankte -: zwei Vettern trugen den Verwundeten davon. Sein Bruder, Ragnaris von Tarent, lief Cethegus von der Seite an, aber den sehr wohlgezielten Speerstoß riß Syphax, hinzuspringend, in die Höhe, und ehe Ragnaris den Speerschaft losgelassen und das Handbeil aus dem Gürtel gerissen, stieß ihm Cethegus das Schwert zwischen den Augen in die Stirn. Erschrocken wichen die Goten vor dem Engpaß dem schrecklichen Römer aus und drängten sich, neben ihrem König vorbei, in die deckende Schlucht. Nur Aligern, Tejas Vetter, wollte nicht weichen: er warf den Speer so stark auf des Cethegus Schild, daß er diesen durchbohrte; aber Cethegus ließ den Schild sinken und fing den Wild-Anrennenden mit dem Schwert ab: in die Brust gestoßen fiel Aligern in des alten Hildebrand Arme, der, seinen schweren Steinhammer fallen lassend, mit Mühe den Verwundeten an Teja vorbei in den Engpaß tragen wollte. Zwar auch Aligern hatte gut getroffen: stark blutete des Cethegus Schildarm. Doch er achtete es nicht: nachdringend wollte er beide Goten, Hildebrand und Aligern, töten, da ersah Adalgoth den verhaßten Verderber seines Vaters. «Alarich! Alarich!» rief er mit heller Stimme: und vorspringend raffte er des alten Waffenmeisters schwere Steinaxt vom Boden auf: «Alarich», rief er nochmal. Hoch horchte Cethegus auf bei diesem Namen. Da sauste die Steinaxt, scharf gezielt, heran und schlug schmetternd auf seinen stolz geschweiften Helm: betäubt sank Cethegus um. Syphax sprang hinzu, faßte ihn mit beiden Armen und riß ihn rückwärts aus dem Gefecht. Aber die Legionäre wichen nicht; sie konnten gar nicht weichen; hinter ihnen drängten, von Narses nachgeschickt, zweitausend Perser und Thraker empor. «Wurfspeere herbei», befahl ihr Führer Aniabedes. «Keinen Nahekampf! Mit Wurfspeeren überschüttet den König, bis er fällt. So hat Narses geboten!» Und gern gehorchten die Truppen dem Gebot, das ihr Blut zu sparen verhieß. Ein so furchtbarer Hagel von Geschossen schlug alsbald wider die schmale Mündung der Schlucht, daß kein Gote mehr heraus und vor den König zu treten vermochte. Und nun verteidigte Teja, den Engpaß mit seinem Leib und seinem Schilde deckend, geraume, sehr geraume Zeit, ganz allein, sein Gotenvolk. Bewunderungsvoll hat uns Prokop, nach der Augenzeugen Bericht, diesen letzten Kampf des Teja beschrieben. «Nun hab' ich das Gefecht zu schildern, das höchst denkwürdige, und eines Mannes Heldentum, das hinter keinem derer, die man Heroen nennt, zurücksteht -: des Teja. Er stand, allen sichtbar, mit dem Schilde gedeckt, den Speer zückend, vor der Schlachtreihe der Seinen. Alle tapfersten Römer, deren Zahl groß war, stürmten nur gegen ihn an, denn mit seinem Fall, meinten sie, sei der Kampf zu Ende. Alle schleuderten und stießen auf ihn die Lanzen: er aber fing die Lanzen sämtlich auf mit seinem Schild, und er tötete in plötzlichem Ansprung einen nach dem andern, Unzählige. Und wenn der Schild so schwer von Geschossen starrte, daß er ihn nicht mehr halten konnte, winkte er dem Schildträger, der ihm einen neuen reichte. So stand er, nicht sich wendend und etwa auf den Rücken den Schild werfend und weichend: sondern fest, wie in die Erde gemauert, stand er: dem Feinde mit der Rechten Tod bereitend, mit der Linken von sich den Tod abwehrend und immer dem Waffenträger nach neuen Schilden und neuen Speeren rufend.» Wachis und Adalgoth waren es, die - aus dem Königshort waren Schilde und Speere haufenweise herangeschleppt worden - ihm immer neue Waffen reichten. Endlich sank den Römern, Persern und Thrakern der Mut, als sie alle ihre Anstrengungen an dem lebendigen Schild der Goten scheitern und jeden Vordersten, Kühnsten der Ihrigen, von dem Speer des Königs erreicht, fallen sahen. Sie wankten - die Italier riefen ängstlich nach Cethegus sie flohen. Da fuhr Cethegus aus seiner langen Betäubung auf. «Syphax, einen frischen Speer! Halt», rief er, «steht, ihr Römer! Roma, Roma eterna!» Und hoch sich aufrichtend schritt er gegen Teja heran. Die Römer erkannten seine Stimme. antworteten sie. und standen. Aber auch Teja hatte diese Stimme erkannt. Von zwölf Lanzen starrte sein Schild - er konnte ihn nicht mehr halten; aber da er den Heranschreitenden erkannte, dachte er nicht mehr des Schildwechsels. «Keinen Schild! Mein Schlachtbeil! Rasch!» rief er. Und Wachis reichte ihm die Lieblingswaffe. Da ließ König Teja den Schild fallen und sprang, das Schlachtbeil schwingend, aus dem Engpaß auf Cethegus. «Stirb, Römer!» rief er. Scharf bohrten die beiden großen Feinde noch einmal Aug' in Auge. Dann sausten Speer und Beil durch die Luft - denn keiner dachte der Abwehr. Und beide fielen. Tejas Beil drang mit der Speerspitze durch Schild und Harnisch in des Cethegus linke Brust. rief er noch einmal. Dann sank er tot zurück. - Sein Speer hatte den König in die rechte Brust getroffen: nicht tot, aber sterbenswund, trugen ihn Wachis und Adalgoth in den Paß. Und sie hatten Eile damit. Denn als sie - endlich! - den König der Goten fallen gesehen -acht Stunden hatte er ununterbrochen gekämpft, und es neigte zum Abend -: da rannten alle Italier, Perser, Thraker und, von unten aufsteigend, neue Schlachthaufen gegen den Engpaß, den nun Adalgoth mit dem Schilde deckte, Hildebrand und Wachis standen hinter ihm. Des Cethegus Leiche hatte Syphax mit beiden Armen umschlungen und seitwärts aus dem Getümmel getragen. Laut aufschluchzend hielt er das edle Haupt, im Tode von hehrer Majestät fast über Menschenmaß hinaus verklärt, auf den Knien. Vor ihm, gegen den Engpaß hin, tobte der Kampf. Da bemerkte der Maure, daß Anicius, gefolgt von einer Byzantinerschar - auch Scävola und Albinus erkannte er darunter - sich ihm, gebieterisch deutend, näherte. «Halt», rief er aufspringend, «was wollt ihr?» «Das Haupt des Präfekten dem Kaiser bringen», sprach Anicius. «Gehorche, Sklave!» Aber Syphax stieß einen gellenden Schrei aus; sein Wurfspeer flog, und. Anicius fiel. Und pfeilschnell, ehe die andern, mit dem Sterbenden beschäftigt, näher gekommen waren, hatte Syphax die teure Last auf den Rücken gehoben und rannte damit, rasch wie der Wind, ungangbare Pfade, die fast senkrechten Lavaklippen hinauf, neben dem Engpaß, eine Wand empor, die Goten und Byzantiner bisher als unersteiglich betrachtet. Syphax klomm rasch und rascher hinauf. Sein Richtpunkt war die kleine Rauchsäule, die hart jenseits der Lavawand emporstieg. Denn dicht jenseits der Felsklippe gähnte einer der kleinen Kraterrisse des Vesuvs. Einen Augenblick noch hielt Syphax inne auf dem Grat des schwarzen Felsens: auf beiden starken Armen hob er des Cethegus Leiche noch einmal waagrecht in die Höhe, der sinkenden Sonne die stolze Gestalt zeigend. Und plötzlich waren Herr und Sklave verschwunden. Der Feuerberg hatte mit Syphax, dem treuen, den toten Cethegus, seine Größe und seine Schuld in dem brennenden Schoße begraben. Er war entrückt dem kleinen Haß seiner Feinde. Scävola und Albinus, die den Vorgang mit angesehen hatten, eilten zu Narses und forderten von ihm, man solle an dem Krater nach der Leiche forschen. Narses aber sprach: «Gönnt dem Gewalt'gen sein gewaltig Grab. Er hat's verdient. Mit Lebenden und nicht mit Toten kämpf ich.» Aber im gleichen Augenblick fast verstummte auch der laute klirrende Kampf um den Engpaß, an welchem Adalgoth, nicht unwürdig seines königlichen Harfen- und Speermeisters Teja, dem Ansturm der Feinde heldenmütig und todeskühn wehrte. Denn während, hinter Adalgoth stehend, Hildebrand und Wachis plötzlich riefen: «Seht auf das Meer! Das Meer! Die Drachenschiffe! Die Nordlandhelden! Harald! Harald!» mahnten von unten, von der Sänfte des Narses her, feierliche Tubatöne zur Einstellung des Kampfes, zur Waffenruhe sehr freudig senkten die kampfesmüden Byzantiner die Schwerter. König Teja aber, der auf seinem Schilde lag - den Speer des Cethegus herauszuziehen hatte Hildebrand verboten «denn mit seinem Blute fließt sein Leben hin» -, forschte mit leiser Stimme: «Was hör' ich da rufen? Die Nordlandhelden? Ihre Schiffe? Harald ist da?» «Ja: Harald und Errettung für den Rest des Volkes, für uns und - für die Frauen, die Kinder» jubelte Adalgoth, an seiner Seite kniend. «So war es nicht umsonst, du ewig teurer Held, dein unvergleichlich Heldentum, dein stundenlanges Ausharren über Menschenkraft! - Basiliskos kam soeben als Gesandter des Narses: Harald hat die des Kaisers vernichtet im Hafen von Brundisium. Er droht mit Landung, mit neuem Angriff den müden Byzantinern; er fordert, was von uns noch lebt, davonzuführen, mit Wehr und Waffen und Gerät, in die Freiheit, nach Thuleland. Narses hat eingewilligt: er ehre, sagte er, König Tejas hohes Heldentum an seines Volkes Resten. Dürfen wir? O dürfen wir, mein König?» «Ja», sprach Teja mit brechenden Augen. «Ihr dürft und sollt. Frei, gerettet unseres Volkes Reste! Die Frauen, die Kinder - Heil mir! - nicht in den Vesuv! Ja, führt nach Thuleland alle noch Lebenden; und nehmt auch mit die beiden Toten: den König Theoderich -» «Und König Teja!» sprach Adalgoth und küßte des Toten Mund. Sechzehntes Kapitel Und so war's geschehen, und also geschah's. Schon gleich, nachdem Narses sein Zelt verlassen, ward ihm ein Fischer zugeführt, der, auf kleinem, schnellem Fahrzeug soeben um die Landzunge von Sorrentum gesegelt, versicherte, eine ungeheure Kriegsflotte der Goten sei im vollen Ansegeln begriffen. Narses lachte dazu: er wußte, daß auf allen Meeren kein Gotenkiel mehr schwamm. Näher befragt mußte der Fischer gestehn, die Flotte allerdings nicht selbst gesehen zu haben: Kaufleute hätten ihm davon erzählt und von einer großen Seeschlacht, in welcher die Goten bei Brundisium die «jonische Flotte» des Kaisers vernichtet. Das war nun unmöglich, wie Narses wohl wußte. Und nachdem der Fischer das Ansehen der angeblichen Gotenschiffe, nach Mitteilung seiner Gewährsmänner, geschildert, rief der Feldherr: «Nun, endlich kommen sie! Trieren und Galeeren: das sind ja unsere Schiffe, die also in Sicht sind, nicht gotische.» An die Wikingerflotte, die seit vier Monden verschollen war und als nach Norden zurückgekehrt galt, dachte niemand. Wenige Stunden darauf, während der Kampf um den Engpaß, alle Aufmerksamkeit fesselnd, tobte, ward Narses von den Küstenwächtern wirklich die Annäherung einer sehr großen kaiserlichen Flotte gemeldet: deutlich habe man das Schiff des Nauarchen, die Sophia, erkannt; doch sei die Zahl der Segel viel größer, als man erwartet, auch die von Narses entgegengeschickten Schiffe, die zur Eile hatten mahnen sollen, seien darunter; diese segelten in erster Linie, der frische Südostwind müsse sie bald auf die Höhe des Lagers führen. Und bald konnte Narses selbst von seiner Sänfte aus auf dem Hügel den prachtvollen Anblick der mit vollen Segeln und von eifriger Ruderkraft herangetriebenen Flotte genießen. Beruhigt wandte er den Blick wieder den Kämpfenden auf dem Vesuv zu - als plötzlich aus dem Lager Boten ihn erreichten, die furchtbar jene Gerüchte bestätigten oder vielmehr noch Schlimmeres meldeten. Sie waren einer Gesandtschaft vorausgeeilt, die, gerade als Cethegus gegen Teja zum letzten Kampfe schritt, bei des Narses Sänfte anlangte: es waren, mit gebundenen Händen, die Nauarchen der «jonischen Flotte», die zugleich die Botschaft der vier sie begleitenden Nordmänner verdolmetschten. Sie erzählten kurz, daß sie im Hafen von Brundisium, in stürmischer Nacht, von der für längst verschwunden erachteten Flotte der Wikinger überfallen und ihre Schiffe fast alle genommen seien; entkommen, um zu warnen, konnte nicht eines, da die Feinde den Hafen sperrten. Nachdem Jarl Harald den drohenden Untergang des am Vesuv zusammengedrängten Restes der Goten erfahren, habe er geschworen, deren Fall zu wenden oder zu teilen: und nun seien sie, die genommenen Griechenschiffe vorausschickend und hinter diesen ihre Drachen weislich bergend, auf den Flügeln des Ostwinds herangebraust. «Und so», schloß der Dolmetsch, «so spricht Harald der Wiking: Entweder ihr verstattet, daß alle noch lebenden Goten, mit Waffen und Habe, auf unseren Schiffen abziehen aus dem Südland, mit uns in die Heimat kehrend, wofür wir alle unsre Tausende von Gefangenen und alle genommenen Schiffe, die wir nicht zur Unterbringung der Goten brauchen, herausgeben. Oder wir töten sofort alle unsre Gefangenen, landen und fassen dein Lager und Heer im Rücken. Dann siehe zu, wie viele von euch, von den Goten und von uns, von Stirn und Rücken angegriffen, übrigbleiben werden: denn wir Nordmänner kämpfen dann bis zum fetzten Mann: ich hab's geschworen bei Odin.» Ohne Besinnen gewährte Narses den Abzug der Goten. «Ich habe nur geschworen, sie aus dem Reich, nicht aus der Welt zu schaffen. Wenig Ruhm brächte es, den armen Rest solch edeln Volkstums mit Übermacht zu Tod zu würgen; ich ehre dieses Teja Heldentum: in vierzig Jahren des Krieges hab' ich seinesgleichen nicht gesehen. Und durchaus nicht verlangt mich, zu erproben, wie mein tief erschüttert Heer, das einen Tag des furchtbarsten Kampfes hinter sich, fast alle seine Führer und die tapfersten Männer verloren hat, diesen Nordlandriesen, die frisch an Kraft und Mut daherkommen, widerstehn würde.» Und so hatte denn Narses sofort Herolde auf die Schiffe Haralds und nach dem Engpaß geschickt: der Kampf ward eingestellt, der Abzug der Goten begann. In langer, vom Berge bis an das Meer reichender Doppelreihe bildete das Heer des Narses ein Spalier; die Wikinger hatten vierhundert Helme gelandet, die an der Küste die schnell Heranschreitenden in Empfang nahmen. Noch bevor jedoch der Zug begann, winkte Narses Basiliskos heran und sprach: «Der Gotenkrieg ist aus - der Edelhirsch erlegt -, jetzt fort mit den Wölfen, die ihn uns gehetzt: die Führer der Langobarden, wie steht's mit ihren Wunden?» «Bevor ich antworte», sprach Basiliskos ehrerbietig, «nimm hier den Lorbeerkranz, den dir dein Heer gewunden hat: es ist Lorbeer vom Vesuvius, vom Paß da oben; Blut liegt auf den Blättern.» Narses schob den Kranz zuerst abweisend mit der Hand zurück, dann sprach er: «Gib, 's ist gut.» Aber er legte ihn neben sich in die Sänfte. «Autharis, Warnfrid, Grimoald, Aripert, Agilulf und Rotharis sind tot: sie haben über siebentausend Mann verloren; Alboin und Gisulf liegen reglos, tief wund in ihren Zelten.» «Gut! Sehr gut! Sowie die Goten eingeschifft, läßt du die Langobarden sofort abführen, sie sind entlassen aus meinem Dienst, und Alboin sagst du zum Abschied von mir nur das eine: